Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 4 A 289/20
Tenor
Der Antrag des Beigeladenen, ihm eine Frist zum weiteren Vortrag bis zum 6.7.2020 zu gewähren, wird abgelehnt.
Der Antrag des Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 28.11.2019 wird abgelehnt.
Der Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Der Antrag des Beigeladenen auf Gewährung einer Frist zu weiterem Vortrag ist abzulehnen, weil die Frist für die Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) seit dem 5.2.2020 abgelaufen ist, und sich aus dem Antrag kein Ansatz dafür ergibt, welchen „rechtlich-relevanten“ Vortrag der Beigeladene noch vorlegen möchte, und warum ihm dieser Vortrag bislang nicht möglich war. Angesichts der vom Kammergericht im Beschluss vom 6.4.2020 ‒ 10 U 161/18 ‒, dem Kläger zugegangen am 26.5.2020, gesetzten Stellungnahmefrist von einem Monat zur beabsichtigten Zurückweisung seiner Berufung durch Beschuss, ist eine kurzfristige Entscheidung angezeigt, zumal es dem Kläger in diesem Verfahren darum geht, auf den Prozess vor dem Kammergericht noch Einfluss nehmen zu können.
2Der Antrag des Beigeladenen auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
31. Das Zulassungsvorbringen weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Zweifel in diesem Sinn sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.
4Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, 1163 ff. = juris, Rn. 15.
5Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Direktors des Arbeitsgerichts Köln vom 3.12.2018 verpflichtet, den Antrag des Klägers auf Akteneinsicht in die Gerichtsakte des Verfahrens 14 Ca 4004/18 (Arbeitsgericht Köln) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung des stattgebenden Teils hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG in Verbindung mit § 299 Abs. 2 ZPO seien erfüllt. Der Kläger habe das erforderliche rechtliche Interesse glaubhaft gemacht, das sich im Rahmen des Interesses an einer „prozessualen Waffengleichheit“ daraus ergebe, Kenntnis aus dem Kündigungsschutzprozess des Beigeladenen vor dem Arbeitsgericht zur Abwehr eines gegen ihn vom Beigeladenen geltend gemachten äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs zu erlangen. In dem die einstweilige Verfügung zum äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch bestätigenden Urteil habe das Landgericht darauf abgestellt, dass kein Mindestbestand an Beweistatsachen vorliege, der eine identifizierende Verdachtsberichterstattung rechtfertige, zumal die Anschuldigungen teils anonym vorgebracht worden seien. Der Annahme eines rechtlichen Interesses stünden weder die Möglichkeit eines Antrags des Klägers auf Beiziehung der Akten aus dem Kündigungsschutzverfahren entgegen, die im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht als Mittel der Glaubhaftmachung vorgesehen sei, noch der Einwand einer rechtsmissbräuchlichen Vorgehensweise des Klägers. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe die sich gegenüberstehenden Interessen des Klägers, des Beigeladenen und der Zeuginnen im Kündigungsschutzverfahren nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht und entsprechenden Schutzmöglichkeiten abgewogen.
6Die gegen diese Wertung des Verwaltungsgerichts erhobenen Einwände des Beigeladenen greifen nicht durch.
7Das Zulassungsvorbringen setzt der Annahme des Verwaltungsgerichts, das rechtliche Interesse ergebe sich bereits auf der Herstellung der prozessualen Waffengleichheit, nichts Durchgreifendes entgegen.
8Ein rechtliches Interesse kann sich aus dem Interesse ergeben, die „prozessuale Waffengleichheit“ in einem anhängigen gerichtlichen Verfahren zu wahren, etwa weil und soweit die Gegenseite auf den Inhalt eines anderen Gerichtsverfahrens verweist, auf das sich der Akteneinsichtsantrag bezieht. Insbesondere kann die Akteneinsicht erforderlich sein, damit sich der Antragsteller über das Nichtvorliegen von Umständen vergewissern kann, die einem scheinbar bereits schlüssigen Anspruch entgegenstehen könnten. Dementsprechend ist ein rechtliches Interesse im Sinne von § 299 Abs. 2 ZPO regelmäßig dann gegeben, wenn die erstrebte Kenntnis von dem Inhalt der Akten zur Verfolgung von Rechten oder zu Abwehr von Ansprüchen erforderlich ist.
9Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.1.2017 – 4 A 1606/16 –, DVBl. 2017, 576 = juris, Rn. 35 ff., m. w. N.
10Dies ist hier der Fall. Ausweislich des auf die mündliche Verhandlung vom 28.8.2018 ergangenen Urteils des Landgerichts Berlin ‒ 27 O 209/18 ‒ war es der Beigeladene, der als dortiger Antragsteller vorgetragen hat, dass es an einem Mindestbestand an Beweistatsachen für die aus anonymer Quelle stammenden Vorwürfe fehle (Urteilsabdruck, Seite 3, zweiter Absatz). Dies hat das Landgericht (unter anderem) dazu bewogen, den Mindestbestand an Beweistatsachen wegen der zwar zahlreichen ‒ wenn auch anonymen ‒ Anschuldigungen zu verneinen (Urteilsabdruck, Seite 6, letzter Absatz). Im Zulassungsverfahren bestätigte der Beigeladene nunmehr die Feststellung des Verwaltungsgerichts für das erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Verfahren, es sei unstreitig, dass in den Akten des arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens die Namen der Personen enthalten seien, die die Vorwürfe erhoben hätten. Um die durch den Beigeladenen im Zivilprozess aufgestellte abweichende Behauptung der anonymen Anschuldigungen substantiiert entkräften zu können, bedarf es mithin der Einsichtnahme in die Akten des arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens.
11Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger mit seiner Äußerung ‒ unabhängig von einem etwaigen Verstoß gegen Sorgfalts- und Recherchepflichten ‒ den Auslöser für das Verfahren um den äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch gesetzt hat. Vorliegend geht es nicht um die Berechtigung zur Berichterstattung, deren Beurteilung allein den Zivilgerichten zusteht. Das hiesige Verfahren betrifft ausschließlich einen Anspruch auf Akteneinsicht, um den aufgestellten Behauptungen des Beigeladenen zur Begründung eines von ihm geltend gemachten zivilrechtlichen Anspruchs entgegentreten zu können.
12Das berechtige Interesse des Klägers ist nicht deshalb zu verneinen, weil sich sein Akteneinsichtsgesuch als missbräuchlich darstellen könnte. Auch unter Zugrundelegung der vom Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich benannten Voraussetzungen des Missbrauchs, die das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23.11.1993,
13‒ 1 C 21.92 ‒, BVerwGE 94, 294 = juris, Rn. 18,
14vorgenommen hat, ist ein missbräuchliches Vorgehen des Klägers nicht ansatzweise ersichtlich. Nach den Darlegungen des Bundesverwaltungsgerichts spielt im öffentlichen Recht vornehmlich die unzulässige Ausübung von Rechten eine Rolle, die dann gegeben ist, wenn eine atypische Situation vorliegt, die die Geltendmachung eines an sich vorgesehenen Rechtes als missbräuchlich erscheinen lässt. Dabei kann die Unzulässigkeit in der Rechtsausübung selbst liegen, etwa, wenn eine Leistung beansprucht wird, die sofort wieder zurückgewährt werden müsste. Sie kann aber auch gegeben sein, wenn die Voraussetzungen eines (vertraglichen oder gesetzlichen) Anspruchs in missbilligenswerter Weise begründet worden sind. Es bestehen keine Anzeichen dafür, dass der Kläger seine Äußerung über den Beigeladenen auch nur in der Annahme vorgenommen haben könnte, auf dieser Grundlage später Einsicht in die Akten des Kündigungsschutzprozesses erlangen zu können. Im Zeitpunkt der Berichterstattung hatte der Beigeladene noch kein Verfahren wegen eines äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs gegen den Kläger eingeleitet. Da die Tatsache, die Gegenstand der im Zivilprozess umstrittenen Äußerung des Klägers ist, nämlich dass dem Beigeladenen sexuelle Belästigung vorgeworfen worden ist und er vom WDR freigestellt worden ist, zwischen den Beteiligten nicht umstritten und vom WDR auf Presseanfragen bestätigt worden ist, musste der Kläger allenfalls mit Blick auf die den Beigeladenen unter Beifügung eines Fotos identifizierende Berichterstattung auf Twitter damit rechnen, von diesem zivilrechtlich auf Unterlassen in Anspruch genommen zu werden. Auch wenn deshalb die Einleitung eines solchen Verfahrens als Reaktion auf die Äußerung des Klägers im Bereich des Möglichen lag, musste er aber nicht damit rechnen, dass der Beigeladene in einem etwaigen späteren Zivilprozess die Behauptung aufstellen werde, gegen ihn seien nur Anschuldigungen aus anonymer Quelle erhoben worden, der ‒ im Beibringungsprozess ‒ das Landgericht Berlin im August 2018 und nunmehr auch das Kammergericht in seinem Beschluss vom 6.4.2020 ‒ 10 U 161/18 ‒ gefolgt sind. Erst nach Abschluss des erstinstanzlichen zivilgerichtlichen Verfahrens hat der Kläger im September 2018 zur Rechtsverteidigung im Rechtsmittelverfahren vor dem Kammergericht beim Arbeitsgericht Köln die hier in Rede stehende Akteneinsicht in die Verfahrensakte 14 Ca 4004/18 begehrt. Erst durch die aus dem Urteil des Landgerichts ersichtliche Behauptung des Beigeladenen im Zivilprozess, gegen ihn seien nur anonyme Anschuldigungen erhoben worden, und die dem Beklagten schon im Zeitpunkt seiner Entscheidung ebenso bekannte ‒ nunmehr zwischen den Beteiligten des Verwaltungsprozesses unstreitige ‒ Tatsache, dass in den Akten des arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahrens die Namen der Personen enthalten sind, die die Vorwürfe erhoben haben, wurde das berechtigte Interesse des Klägers an der Einsicht in die arbeitsgerichtlichen Prozessakten aus Gründen prozessualer Waffengleichheit begründet. Dies hat das Verwaltungsgericht der Sache nach zutreffend angenommen und die Nichtberücksichtigung dieses zu Gunsten des Klägers streitenden Interesses durch den Beklagten als fehlerhaft beanstandet, ohne dass dies vom Beigeladenen schlüssig in Frage gestellt wird.
15Der Einwand des Beigeladenen, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von einer auch im Übrigen ermessensfehlerhaften Entscheidung der Beklagten über den Antrag des Klägers ausgegangen, greift ebenfalls nicht durch.
16Das Verwaltungsgericht hat sich zutreffend an die zu § 299 Abs. 2 ZPO ergangene obergerichtliche Entscheidung gehalten, die auf höchstrichterlicher Rechtsprechung beruht und deren Richtigkeit auch der Beigeladene nicht in Frage stellt. Danach ist als rechtliches Interesse zunächst etwa ein privates Interesse des Antragstellers an effektivem Rechtsschutz einschließlich des Interesses an lückenloser Sachverhaltsaufklärung im gerichtlichen Verfahren in die Abwägung einzustellen. Vergleichbar den anerkannten rechtlichen Vorgaben für Ermessensentscheidungen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind daneben ‒ je nach Fallkonstellation ‒ jedenfalls alle sonstigen grundrechtlich relevanten Belange, wie etwaige gegenläufige Geheimhaltungsinteressen, zu benennen, zu berücksichtigen und mit ihrem jeweiligen Gewicht in die Abwägung einzustellen.
17Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.1.2017 – 4 A 1606/16 –, DVBl. 2017, 576 = juris, Rn. 61 ff., m. w. N.
18Dabei ist der Ermessensspielraum der Beklagten nicht auf den ausschließlichen Schutz der Persönlichkeitsrechte des Beigeladenen reduziert. Auch nach der von ihm zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts,
19BVerfG, Beschluss vom 13.6.2007 ‒ 1 BvR 1783/05 ‒, BVerfGE 119, 1 = juris, Rn. 79 ff., 88,
20unterliegt das Persönlichkeitsrecht der Abwägung mit anderen Rechtsgütern, so dass es mit dem ihm im konkreten Fall zukommenden Gewicht in eine Abwägung insbesondere mit dem Anspruch des Klägers auf effektiven Rechtsschutz nach den Grundsätzen der prozessualen Waffengleichheit zur Verfolgung des zivilgerichtlich zu seiner Rechtsverteidigung geltend gemachten Rechts auf eine freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG einzustellen ist.
21Vgl. zur grundrechtlichen Schutzwürdigkeit der vom Landgericht Berlin im Äußerungsprozess angenommenen Verdachtsberichterstattung BGH, Urteil vom 7.12.1999 – VI ZR 51/99 –, BGHZ 143, 199, Rn. 21, sowie Urteil vom 30.1.1996 ‒ VI ZR 386/94 ‒, BGHZ 132, 13 = juris, Rn. 32; siehe auch BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 259/05 –, NJW-RR 2007, 619 = juris, Rn. 10 ff., zu den Maßstäben für identifizierende Berichterstattung über die Kündigung einer Person in hervorgehobener Stellung.
22Der absolut geschützte Bereich privater Lebensgestaltung, der keiner Abwägung mit anderen Rechtsgüter unterliegt, ist hier nicht betroffen, auch wenn ihm Ausdrucksformen der Sexualität angehören können. Der Bereich der Sexualität gehört nämlich nicht immer und zwangsläufig zum absolut geschützten Kernbereich.
23Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.6.2009 – 1 BvR 1107/09 –, NJW 2009, 3357 = juris, Rn. 25 f.
24Das berechtigte Interesse des Klägers ergibt sich wie ausgeführt daraus, dass unstreitig nicht lediglich anonyme Beschuldigungen erhoben worden sind, wovon das Landgericht Berlin ausgegangen ist, sondern zwischen den Beteiligten ‒ nur in diesem Verfahren ‒ unstreitig Vorwürfe durch mehrere zumindest dem WDR namentlich bekannte Frauen über sexuelle Belästigungen des Beigeladenen unter Missbrauch einer Machtstellung, die nach Art und Ausmaß jenseits des Bereichs privater Lebensgestaltung die Sphäre anderer und wegen der früheren hervorgehobenen Stellung des Beigeladenen beim gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk sogar Belange der Gemeinschaft berühren können. Inwieweit das Gemeinhaltungsinteresse des Beigeladenen vor diesem Hintergrund rechtlich schutzwürdig ist und im Rahmen der erforderlichen Abwägung Geltung beanspruchen kann, hat der Beklagte im Rahmen der Neubescheidung anhand des nur ihm bekannten Akteninhalts zu beurteilen. Er wird dabei zu berücksichtigen haben, dass im Zivilprozess, für den der Kläger die Akteneinsicht begehrt, das Landgericht Berlin und das Kammergericht Beweistatsachen für erforderlich halten, die für den Wahrheitsgehalt der veröffentlichten Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen.
25Vgl. Kammergericht, Beschluss vom 6.4.2020 ‒ 10 U 161/18 ‒, Seite 2 des Beschlussabdrucks, unter Bezugnahme auf BGH, Urteil vom 18.11.2014 – VI ZR 76/14 –, BGHZ 203, 239 = juris, Rn. 16.
26Der Beklagte hat ebenso wenig wie das seine Entscheidung überprüfende Verwaltungsgericht selbst den Zivilrechtsstreit zu beurteilen. Er hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung nur zu berücksichtigen, inwieweit dem berechtigten Interesse des Klägers an einer Information über den Inhalt des arbeitsgerichtlichen Verfahrens gegenüber widerstreitenden Interessen berechtigterweise Geltung verschafft werden soll, insbesondere angesichts der vom Kläger geltend gemachten zivilrechtlichen Prozesslage, die ausweislich des landgerichtlichen Urteils durch eine Einlassung des Beigeladenen entstanden ist, die den tatsächlichen Inhalt der arbeitsgerichtlichen Verfahrensakte unzutreffend wiedergibt.
27Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass der Beklagte das Interesse des Klägers an effektivem Rechtsschutz und lückenloser Sachverhaltsaufklärung im Verfahren betreffend den äußerungsrechtlichen Unterlassungsanspruch nicht zutreffend in seine Abwägung eingestellt, die gegenläufigen Belange nicht ausreichend ermittelt und gewichtet sowie das Gewicht der Geheimhaltungsinteressen des Beigeladenen angesichts der bereits allgemein veröffentlichten Anschuldigungen ‒ die ein Sprecher des WDR laut einem Bericht in der WAZ vom 28.5.2018 nach sorgfältiger Prüfung auch nach Anhörung des Mitarbeiters als glaubhaft und so gravierend eingestuft hat, dass der WDR die entsprechende Konsequenz gezogen hat ‒ nicht nachvollziehbar eingeschätzt hat. Auch wenn es sich insoweit um Informationen allgemeiner Art handelt, hätte die Bekanntheit der Vorwürfe und die dadurch bereits bestehende Schädigung des beruflichen Ansehens des Beigeladenen in die Abwägung des Beklagten eingestellt werden müssen. Weiterhin ist nicht erwogen worden, in welchem Umfang angesichts des landgerichtlichen Urteilsspruchs, der dem Kläger identifizierende Berichterstattung über den Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen den Beigeladenen untersagt, überhaupt persönliche Daten des Beigeladenen im Rahmen der Rechtsverteidigung des Klägers öffentlich bekannt gemacht würden.
28Insoweit stellen die Einwände des Beigeladenen, der Kläger werde die erlangten Informationen zum Gegenstand weiterer Recherchen machen, und die Vorwürfe würden in einem öffentlichen Gerichtsverfahren erörtert, die allein noch streitgegenständliche Annahme des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage, dass der Beklagte zu einer Neubescheidung des Akteneinsichtsantrags des Klägers verpflichtet ist und hierbei die berechtigten Interessen des Klägers mit gegenläufigen Interessen des Beigeladenen und sonstiger Dritter in einen angemessenen Ausgleich zu bringen hat. Insoweit trägt auch das Bedenken des Beigeladenen, der Kläger könne mit Hilfe geschwärzter Daten zu den Personen, die die Anschuldigungen erhoben haben, seine Verdachtsberichterstattung nicht rechtfertigen, nicht. Vorliegend geht es gerade nicht um die Rechtfertigung dieser Berichterstattung, wie bereits ausgeführt, sondern ausschließlich um die Widerlegung der Behauptung des Beigeladenen, die Anschuldigungen seien anonym erfolgt, die im Zivilprozess zentrale Bedeutung erlangt hat. Das Vorbringen des Beigeladenen weckt keine Zweifel daran, dass die um die Namen und anderweitigen Identifikationsmerkmale geschwärzten Informationen aus dem arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzprozess zu diesem Zweck ausreichen können. Mehr hat das Verwaltungsgericht nicht angenommen, indem es den Beklagten zu einer ermessensgerechten neuen Entscheidung nach Prüfung der Möglichkeit etwaiger Anonymisierungen verpflichtet und damit der Klage des Klägers teilweise stattgegeben hat.
29Fehl geht auch die Annahme des Beigeladenen, dass das Interesse des Klägers an effektivem Rechtsschutz und lückenloser Sachverhaltsaufklärung mangels Grundrechtsbedeutung nicht im Rahmen einer praktischen Konkordanz gegen Grundrechte des Beigeladenen hätte abgewogen werden dürften. Das Verwaltungsgericht hat diese Interessen des Klägers im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung,
30vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14.3.2006 ‒ 1 BvR 2087/03 u. a. ‒, BVerfGE 115, 205 = juris, Rn. 98, 107, und vom 6.3.2014 ‒ 1 BvR 3541/13 u. a. ‒, NJW 2014, 1581 = juris, Rn. 19, 26 ff.; siehe auch die weiteren Nachweise bei OVG NRW, Urteil vom 16.1.2017 – 4 A 1606/16 –, DVBl. 2017, 576 = juris, Rn. 61 f.,
31dem Geheimnisschutzinteresse des Beigeladenen gegenüber gestellt. Der Einwand, es gebe kein Recht auf lückenlose Sachverhaltsaufklärung, weil im Zivilprozess der Beibringungsgrundsatz gelte, greift in diesem Zusammenhang bereits deshalb nicht durch, weil der Beigeladene selbst die Behauptung von (ausschließlich) anonymen Anschuldigungen aufgestellt hat, gegen die sich der Kläger mit dem Antrag auf Einsicht in die Akten, aus denen sich zwischen den Beteiligten unstreitig gerade das Gegenteil ergibt, berechtigterweise zur Wehr setzt. Da der Rechtsanwalt des Klägers im Verfahren vor dem Kammergericht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung alles vorbringen muss, was die Entscheidung günstig beeinflussen kann, und selbst etwaige Versäumnisse des Gerichts die Mitverantwortung des Rechtsanwalts für eigenes Versehen grundsätzlich nicht ausschließen,
32vgl. BGH, Urteil vom 10.12.2015 – IX ZR 272/14 –, NJW 2016, 957 = juris, Rn. 8,
33ist es sogar seine vom Beklagten als rechtlich schutzwürdig zu berücksichtigende prozessuale Pflicht, sich für eine Einsicht in die arbeitsgerichtlichen Prozessakten einzusetzen, um nach Möglichkeit dem rechtlichen Ansatz von Landgericht und Kammergericht folgend auf dieser Grundlage dem Kammergericht die von ihm bisher vermissten Beweistatsachen liefern zu können, statt sich nur auf die abweichende Einlassung des Beigeladenen im Verwaltungsprozess zu berufen, was ihm schon ohne die begehrte Akteneinsicht möglich ist, im Zivilprozess bisher aber zumindest nicht mit Erfolg geltend gemacht worden ist. Dass dem berechtigten Interesse des Klägers an prozessualer Waffengleichheit durch die bloße Möglichkeit, im Äußerungsprozess die Beiziehung der Akten aus dem Kündigungsschutzverfahren beantragen zu können, vor diesem Hintergrund nicht in gleicher Weise Rechnung getragen wird, liegt auf der Hand, nachdem das Kammergericht sich diesbezüglich in seinem Beschluss vom 6.4.2020 ‒ 10 U 161/18 ‒, Seite 2 des Beschlussabdrucks, letzter Absatz, auf die Feststellung beschränkt, der Direktor des Arbeitsgerichts Köln habe den Antrag des Klägers auf Akteneinsicht zurückgewiesen und es sei nicht dargelegt, dass die dagegen beim Verwaltungsgericht erhobene Klage in der Sache Erfolg gehabt habe. Nach diesen Sätzen, in denen das Kammergericht nicht einmal zu erkennen gibt, dass das Verwaltungsgericht erstinstanzlich die Entscheidung des Direktors des Arbeitsgerichts Köln aufgehoben hat, ist die Befürchtung des Klägers, ohne zuvorige stattgebende Entscheidung in diesem vor den Verwaltungsgerichten ausgetragenen Akteneinsichtsstreit werde das Kammergericht keinen Anlass sehen, die arbeitsgerichtlichen Akten zum Zivilverfahren beizuziehen, nicht von der Hand zu weisen.
342. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Sache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.
35Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten liegen dann vor, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären lassen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern. Die geltend gemachten rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten müssen für das Entscheidungsergebnis von Bedeutung sein.
36Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2.3.2017 – 4 A 1808/16 –, juris, Rn. 15 f., m. w. N.
37Das ist hier nicht der Fall. Weder die geltend gemachten umfangreichen Einwände gegen die Richtigkeit des Urteils, noch eine Notwendigkeit komplexer Beurteilung eines Handlungszusammenhangs oder prozessuale Fragen vermögen besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der allein streitentscheidenden Frage zu begründen, ob das Verwaltungsgericht den Beklagten zutreffend zur Neubescheidung verpflichtet hat. Aus den Ausführungen zu vorstehendem Gliederungspunkt 1 ergibt sich, dass sich anhand der vorzufindenden höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung bereits im Zulassungsverfahren die hier entscheidungserheblichen Fragen verlässlich klären lassen. Dass die dem Beklagten obliegende Entscheidung angesichts der betroffenen Interessen besondere Sorgfalt erfordert und schwierig erscheinen kann, ist für die Frage unerheblich, ob die Beurteilung der Richtigkeit der angegriffenen Annahme, der Beklagte sei zur Neubescheidung verpflichtet, tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufwirft. Das ist ‒ wie ausgeführt ‒ auf der Grundlage der hierzu bestehenden Rechtsprechung nicht der Fall.
383. Der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
39Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn sie eine für die Entscheidung des Streitfalls im Rechtsmittelverfahren erhebliche klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft. Die Darlegung dieses Zulassungsgrundes setzt die Formulierung einer bestimmten, noch nicht geklärten und für die Rechtsmittelentscheidung erheblichen Frage und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll.
40Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2.3.2017 ‒ 4 A 1808/16 ‒, juris, Rn. 20 f., m. w. N.
41Daran fehlt es hier. Die vom Beigeladenen sinngemäß aufgeworfene Frage, ob eine mangels ausreichender Recherche rechtswidrige Verdachtsberichterstattung nachträglich durch Gewährung von Einsicht in maßgebliche Akten legitimiert kann, stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht. Im Streitfall geht es ausschließlich um ein im Einzelfall bestehendes berechtigtes Interesse des Klägers zur Abwehr des vom Beigeladenen mit der Behauptung anonymer Anschuldigungen erhobenen Anspruchs auf äußerungsrechtliche Unterlassung.
424. Das Zulassungsbegehren kann auch nicht mit Erfolg auf § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO gestützt werden, weil es den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht genügt.
43Eine Divergenz ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz benannt wird, mit dem das Verwaltungsgericht einem Rechtssatz widersprochen hat, den eines der in der gesetzlichen Regelung aufgeführten Gerichte in Anwendung derselben Rechtsvorschrift und die Entscheidung tragend aufgestellt hat.
44Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.7.2017 ‒ 4 A 468/17 ‒, juris, Rn. 49 f., m. w. N.
45Daran fehlt es hier. Der Beigeladene stellt zwar die Behauptung auf, das Verwaltungsgericht stelle in seinem Urteil den Rechtssatz auf, der Einwand des Rechtsmissbrauchs erfordere zweckgerichtetes Handeln. Ein derartiger Rechtssatz findet sich jedoch nicht in dem Urteil. Vielmehr stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass eine rechtsmissbräuchliche Vorgehensweise etwa in der Veröffentlichung zum Zweck der Schaffung eines rechtlichen Interesses für die Akteneinsicht liegen könne (Urteilsabdruck, Seite 10, dritter Absatz, zweiter Satz). In der konkreten Rechtsanwendung verneint es diese Voraussetzung und prüft weiter, ob es noch andere Anhaltspunkte für einen Rechtsmissbrauch durch den Kläger geben könnte (Urteilsabdruck, Seite 10, dritter Absatz, dritter Satz).
46Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
47Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
48Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
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