Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 D 106/20.NE
Tenor
Die Veränderungssperre der Stadt M. vom 12. Juni 2019 für den Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 314 „Q. M1. “ in der Fassung des Satzungsbeschlusses vom 27. Mai 2019 ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Antragstellerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Antragstellerin wendet sich gegen eine Veränderungssperre der Antragsgegnerin für den Bereich des alten Postgeländes an der Straße M1. zwischen der Lippe und einem Kanal. Sie ist Eigentümerin des Grundstücksbereichs, der derzeit von der Deutschen Q. AG genutzt wird und jedenfalls den größten Teil des Satzungsgebietes ausmacht. Ein Bebauungsplan existiert für diesen Bereich (bisher) nicht. Nachdem sie in früheren Plänen für den Bereich des alten Postgeländes ein „Wohnschiff“ projektiert hatte, das sich als abgerundete, sich über das gesamte Postgelände erstreckende mehrgeschossige Bebauung mit einem in der Mitte gelegenen Freiraum darstellte, hat sie derzeit eine Bauvoranfrage an die Antragsgegnerin gerichtet, die die Errichtung eines mehrgeschossigen Wohn- und Geschäftshauses zur Straße „M1. “ vorsieht und die östlichen Grundstücksbereiche als Grünfläche ausweist. In der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks befinden sich unterschiedliche Nutzungen, die von Wohnnutzungen, öffentlichen Gebäuden, Bürogebäuden bis hin zu gewerblichen Nutzungen reichen.
3Bereits am 18. Juni 2015 hatte der Stadtentwicklungsausschuss der Antragsgegnerin einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan Nr. 314 „Q. M1. “ gefasst. Hintergrund war der Umstand, dass das Postgelände damals öffentlich zum Verkauf angeboten wurde. Ausweislich der Sitzungsniederschrift ging der Ausschuss davon aus, dass sich durch einen Eigentümerwechsel eine Nutzungsänderung für das Grundstück ergeben könne. Zugleich bestünde dadurch auch die Chance, die Fläche neu zu gestalten und als Entree für den sog. Grünen Winkel aufzuwerten, zumal dieser Bereich zur Römer-Lippe-Route gezählt werden könne. Um handlungsfähig zu sein und einem neuen Investor klare Ziele aufzuzeigen, sei die Aufstellung eines Bebauungsplanes erforderlich. Auch wenn derzeit Person und Pläne eines Investors unbekannt seien, wolle sich die Stadt insoweit wappnen. Erforderlich aber auch ausreichend seien hierfür Eckpunkte, ein fertiger städtebaulicher Entwurf sei (noch) nicht erforderlich. Die Ausschussmitglieder waren sich weitgehend einig darüber, dass über den Aufstellungsbeschluss hinaus noch nicht zu viel Arbeit in einen Bebauungsplan investiert werden solle, weil die zukünftige Entwicklung des Standortes noch nicht feststehe. Vor diesem Hintergrund fasste der Ausschuss den Aufstellungsbeschluss, der in der Anlage auf die Ziele eines im Jahre 2010 für die Altstadt von M. entwickelten Integrierten Handlungskonzeptes Bezug nimmt. Dort werden für den Bereich der hier in Rede stehenden „Insel“ folgende Ziele und Maßnahmen formuliert:
4◦ Sicherung und Weiterentwicklung der vorhandenen Aufenthaltsqualitäten und Wegeverbindungen am Kanal.
5◦ Schaffung von Zugangsmöglichkeiten zur Lippe und zum Kanal.
6◦ Einbindung des Übergangs "Entree Grüner Winkel" in einem größeren Kontext.
7◦ Schaffung von Übergängen zum westlich gelegenen Freiraum.
8◦ Pflege und Aufwertung der Grünstrukturen.
9◦ Entwicklung der Flächenpotentiale des Postgeländes angepasst an die bestehenden Strukturen.
10Entsprechend dieser im Handlungskonzept benannten Ziele solle „für den Bereich des Postgeländes der Bebauungsplan Nr. 314 „Q. M2. “ erarbeitet werden, um die Entwicklung zielgerichtet steuern zu können. Nach der Konkretisierung der bisherigen Nutzungsvorstellungen werden die Varianten für die „Neugestaltung“ des Postgeländes in einer der nächsten Sitzungen dem Stadtentwicklungsausschuss zur Beratung vorgelegt."
11In seiner Sitzung vom 11. Oktober 2018 beschloss der Stadtentwicklungsausschuss sogenannte Grundsätze der städtebaulichen Entwicklung für den Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 314 und beauftragte die Verwaltung, auf der Grundlage der in der Vorlage definierten Grundsätze zur städtebaulichen Entwicklung des Areals mit dem Investor für das Postgelände in Kontakt zu treten, um alternativ zum Projekt „Wohnschiff“ Entwicklungsszenarien zur baulichen Ausgestaltung auszuarbeiten. Die beschlossenen Grundsätze sehen Folgendes vor:
12„Leitbild:
13◦ Es wird die Entwicklung eines Quartiers mit eigener Identität angestrebt, welches den vorhandenen freiräumlichen Qualitäten gerecht wird, ein bauliches Pendant zu diesen darstellt und sich mit diesen sinnvoll vernetzt.
14◦ Der „öffentliche“ Charakter der Insel muss insbesondere im Bereich der Q. und im Übergang zwischen Stadt und Landschaft spürbar werden. Bauflächen/ Gebäude müssen so beschaffen sein, dass sie keine erneute Barriere im Gebiet darstellen.
15◦ Als räumlicher Bestandteil der historisch gewachsenen Altstadt ist ein gewisses Maß an gestalterischer Heterogenität (Gebäudemaße, Höhenentwicklung, Fassadengestaltung, etc.), Vielfältig- und Kleinteiligkeit wünschenswert.
16Bebauung/Nutzungen:
17◦ Es soll ein Wohnstandort mit ergänzenden öffentlich-wirksamen Nutzungen an geeigneten Stellen entwickelt werden. Darüber hinaus könnte im Bereich der Straße „M1. “ ein kleinteiliges Angebot der Nahversorgung und Dienstleistung entstehen.
18◦ Vorstellbar wäre eine bauliche Dichte, wie sie im Bereich des L.--------wegs vorzufinden ist. Die solitäre Stadtvillenstruktur wäre an dieser Stelle auch eine historische Reminiszenz und entspräche den Dimensionen der Villen I. und C. , die bis zum Bau der Q. auf dem Gelände gestanden haben.
19◦ Dennoch sollte aufgrund der zentralen Lage und der vorhandenen Freiraumqualitäten im Umfeld auf großzügige private Freiflächen verzichtet werden. Eine angemessene Dichte sollte vielmehr zur Entstehung einer eigenständigen Identität des Standorts beitragen und Urbanität erkennbar und erlebbar machen.
20◦ Entgegen den Zielvorstellungen des IHK's und der Gestaltungssatzung für die Innenstadt könnte durch die besondere Lage des Standortes auch der Anspruch an eine eigene Bebauungstypologie/-morphologie geltend gemacht werden.
21Freiraum:
22◦ Als Trittstein zum „Grünen Winkel“ gilt es den Standort in dieser Funktion zu qualifizieren. Ergänzend zu den bereits vorhandenen Wegeverbindungen sollen weitere Fuß-/Radwege die Querbarkeit und Vernetzung fördern. Dazu gehören insbesondere Verbindungsmöglichkeiten über das Gelände der Q. in Nord-Südrichtung.
23◦ Aktuell behindert das abgeschlossene Postgelände die Wahrnehmbarkeit des „Grünen Winkels“. Durch die Umgestaltung des Postgeländes soll die Barriere zwischen Stadt und Freiraum aufgehoben werden und ein erkennbarer Eingang in den Landschaftsbereich an der Straße „M1. “ entstehen.
24◦ Weitere Möglichkeiten des Aufenthalts und die Aufwertung der Grünstrukturen können die lokalen Freiraumpotentiale freisetzen und erlebbar machen.“
25In Reaktion auf die zuletzt gestellte Bauvoranfrage beschloss der Rat der Antragsgegnerin nach vorheriger Befassung des Stadtentwicklungsausschusses in seiner Sitzung vom 27. Mai 2019, für den Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 314 eine Veränderungssperre zu erlassen. In der zugehörigen Beschlussvorlage 112/2019 heißt es, das zur Genehmigung gestellte Vorhaben widerspreche den Zielsetzungen des Bebauungsplanes Nr. 314. Es schaffe mit seiner geschlossenen, straßenbegleitenden Bauweise und Höhe von circa 20 Metern trotz des vorgelagerten Platzes keinen angemessenen Zusammenhang zwischen Straßenraum und Grünem Winkel; ein solcher werde nicht einmal angedeutet. Die Raumkanten, die durch das Bauvorhaben entstünden, führten vielmehr zu einer stärkeren räumlichen Trennung der östlich an den Geltungsbereich angrenzenden Freiräume als die heutige Bestandsbebauung. Damit werde weder das bauliche noch das freiräumliche Potential des Postgeländes durch das Bauvorhaben „genutzt, zielgerichtet inszeniert oder in Bezug zueinander gesetzt. Die Bauvoranfrage lässt insbesondere unter diesem Aspekt eine ganzheitliche Entwicklungsstrategie für den Standort vermissen.“ Zudem widerspreche es in weiten Teilen den städtebaulichen Entwicklungsgrundsätzen. Die Bauvoranfrage enthalte keine Aussagen zur weiteren Entwicklung des östlichen Plangebiets oder zur Vernetzung des Standortes mit den umlaufenden öffentlichen Räumen. Es könne auch nicht die Entstehung eines Quartiers mit eigener Identität begünstigen. Es fehle ein Gesamtkonzept. Zudem widerspreche das circa 120 Meter lange und durchgängig viergeschossige Gebäude mit Walmdach der Zielsetzung gestalterischer Heterogenität, auch wenn sich einige dieser Merkmale aus der Umgebung ableiten ließen. Aus diesem Grund sei der Erlass einer Veränderungssperre notwendig. Nur so könne die Richtung, die durch die städtebaulichen Leitlinien vorgegeben sei, eingehalten werden. Ziel sei es insoweit, dass „weiterhin auf die Umsetzung einer Gesamtkonzeption für das Plangebiet und dessen Umgebung gedrängt werden kann. Hierzu wird der weitere Diskurs zwischen der Investorengruppe und der Verwaltung angestrebt.“ Im Weiteren heißt es: „Sollte vor Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. 314 oder des Außerkrafttretens der Veränderungssperre bereits eine Gesamtkonzeption entstanden sein, könnten Bauanfragen im Rahmen dieses Konzepts als Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden.“
26Die Satzung wurde aufgrund einer Bekanntmachungsanordnung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin vom 12. Juni 2019 am 14. Juni 2019 öffentlich bekannt gemacht.
27Am 12. Juni 2020 hat die Antragstellerin den vorliegenden Normenkontrollantrag gestellt. Die Veränderungssperre sei unwirksam, weil der Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplans und die Veränderungssperre nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden seien und zudem ein klares städtebauliches Konzept fehle. Der Bürgermeister der Antragsgegnerin habe die Bekanntmachungsanordnung allenfalls mit einem Kürzel oder einer Paraphe versehen, nicht aber unterschrieben. Materiell lasse die Begründung der Veränderungssperre kein in sich geschlossenes Konzept erkennen. Die angegebenen Gründe seien zu unbestimmt, um daraus klare städtebauliche Konzepte abzuleiten. Eine hinreichend konkretisierte Planung, wie sie für den Erlass einer Veränderungssperre erforderlich sei, habe zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nicht bestanden.
28Die Antragstellerin beantragt,
29die vom Rat der Antragsgegnerin in seiner Sitzung vom 27. Mai 2019 beschlossene und gemäß der Bekanntmachungsanordnung des Bürgermeisters vom 12. Juni 2019 am 14. Juni 2019 bekannt gemachte Veränderungssperre für den Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 314 „Q. M1. “ für unwirksam zu erklären.
30Die Antragsgegnerin beantragt,
31den Antrag abzulehnen.
32Entgegen der Auffassung der Antragstellerin stehe nicht fest, dass die Bauvoranfrage nach § 34 BauGB tatsächlich positiv beschieden werden müsste. Auch die Beschlussvorlage zur Veränderungssperre führe insoweit lediglich aus, dass dies voraussichtlich der Fall sei. Die Bekanntmachungsanordnung sei ordnungsgemäß unterschrieben. Bei der Unterzeichnung handele es sich um eine Unterschrift, nicht lediglich um eine Paraphe. Inhaltlich seien die Anforderungen an eine wirksame Veränderungssperre erfüllt. Es liege eine sicherungsfähige Bauleitplanung vor. Schon die Ziele des Aufstellungsbeschlusses aus dem Jahre 2015 ließen dies hinreichend erkennen. Sie seien zudem durch die anschließende Erarbeitung der städtebaulichen Entwicklungsgrundsätze weiter konkretisiert worden. Insgesamt ergebe sich so eine positive planerische Gestaltungsvorstellung für die M3. . Danach sei eindeutig, dass der Bebauungsplan mit dem Ziel aufgestellt worden sei und werde, ein integriertes Gesamtkonzept umzusetzen, welches die Freisetzung der baulichen Potentiale auf den Grundstücken der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Vernetzung der angrenzenden öffentlichen Räume der Stadt M. sehe. Hierzu sei vorgesehen, ein Quartier zu entwickeln, dass im Schwerpunkt dem Wohnen diene und darüber hinaus öffentlich wirksame Angebote und ein kleinteiliges Angebot zur Nahversorgung enthalte. Die Art der im Bebauungsplan angestrebten baulichen Nutzung sei hierdurch beschrieben. Weitere konkrete Ziele seien die Schaffung eines erkennbaren Eingangs in den Landschaftsbereich an der Straße „M1. “, die Erweiterung und Qualifizierung von Fuß- und Radwegen sowie die Erzeugung von weiteren Möglichkeiten des Aufenthaltes und die Aufwertung der Grünstrukturen. Nach Bekanntwerden der Entwicklungsabsichten der Antragstellerin habe sie, die Antragsgegnerin, bewusst auf die Erarbeitung weiterer Festsetzungsinhalte des Bebauungsplanes, die über die grundlegende Zielsetzung zum Zeitpunkt des Aufstellungsbeschlusses und die später beschlossenen Entwicklungsgrundsätze hinausgingen, verzichtet. Damit solle ein ergebnisoffener Dialog mit der Klägerin im Rahmen dieser Zielsetzungen geführt werden können, um deren private Interessen an der Entwicklung ihres Grundstücks berücksichtigen zu können.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungs- und Aufstellungsvorgänge Bezug genommen.
34E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
35Der Antrag hat Erfolg.
36Er ist zulässig. Als Eigentümerin eines Grundstücks, das von der angefochtenen Veränderungssperre erfasst ist, ist die Antragstellerin antragsbefugt. Sie hat ihren Antrag auch innerhalb der Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt.
37Der Antrag ist auch begründet.
38Die Satzung über die Anordnung der Veränderungssperre vom 12. Juni 2019 leidet zwar nicht an zu ihrer Unwirksamkeit führenden beachtlichen formellen Mängeln, insbesondere vermag der Senat auch unter Berücksichtigung der Einwände der Antragstellerin nicht zu erkennen, dass es an der erforderlichen Unterschrift des (damaligen) Bürgermeisters der Antragsgegnerin unter der Ausfertigung der Satzung fehlen könnte.
39Die Satzung ist aber materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am 27. Mai 2019 nicht vor.
40Nach § 14 BauGB kann die Gemeinde, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans (wirksam) gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt beschließen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen.
41Eine Veränderungssperre kann nur verhängt werden, wenn die Planung einen Stand erreicht hat, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Hierzu gehören regelmäßig insbesondere konkretisierte Vorstellungen zur angestrebten Art der zulässigen baulichen Nutzungen. Nur dann kann die Veränderungssperre ihren Sinn erfüllen, vorhandene planerische Ziele zu sichern und deren weitere Entwicklung zu ermöglichen. Unzulässig ist eine Veränderungssperre hingegen, wenn zur Zeit ihres Erlasses der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise abzusehen ist. Demgemäß muss im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre über den bloßen Aufstellungsbeschluss hinaus auch eine hinreichende Konkretisierung der positiven Planungsabsichten vorliegen, die insbesondere eine Entscheidung über Ausnahmen nach § 14 Abs. 2 BauGB rechtssicher und vorhersehbar ermöglicht. Der der Veränderungssperre zugrunde liegende Beschluss, einen Bebauungsplan aufzustellen, muss über den Inhalt der angestrebten Planung aber keinen abschließenden Aufschluss geben. Eine strikte Akzessorietät zwischen konkreten Planungsabsichten der Gemeinde und der Rechtmäßigkeit der Veränderungssperre besteht nicht. Es ist gerade deren Sinn, vorhandene planerische Ziele zu sichern und deren weitere Entwicklung zu ermöglichen. Wesentlich ist aber, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen oder zu verhindern, reicht grundsätzlich nicht aus.
42Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Oktober 2010 - 4 BN 26.10 -, BRS 76 Nr. 108 = juris Rn. 6, und vom 1. Oktober 2009 - 4 BN 34.09 -, NVwZ 2010, 42 = juris Rn. 9, Urteil vom 19. Februar 2004 ‑ BVerwG 4 CN 16.03 - BVerwGE 120, 138 =juris Rn. 28, Beschlüsse vom 30. September 1992 ‑ 4 NB 35.92 -, BRS 54 Nr. 72 = juris Rn. 6, und vom 9. August 1991 - 4 B 135.91 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Urteile vom 11. April 2016 ‑ 2 D 30/15.NE - juris, und vom 26. Februar 2009 ‑ 10 D 40/07.NE -, juris Rn. 44 ff., sowie Beschluss vom 16. März 2012 - 2 B 202/12 -, BRS 79 Nr. 119 = juris Rn. 14.
43Dabei gilt der Grundsatz, dass eine die Veränderungssperre hinreichend tragende Planung regelmäßig erst dann den erforderlichen Konkretisierungsgehalt hat, wenn der Plangeber sie auf einen bestimmten Gebietstyp nach der Baunutzungsverordnung ausgerichtet hat.
44Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. August 2016 - 4 C 5.15 -, BVerwGE 156, 1 = juris Rn. 19; Beschluss vom 21. Oktober 2010 – 4 BN 26.10 -, BauR 2011, 481 = juris Rn. 8; OVG NRW, Urteil vom 8. Mai 2018 - 2 D 44/17.NE -, BRS 86 Nr. 48 = juris Rn. 44; Mitschang, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB-Kommentar, 14. Auflage 2019, § 14 Rn. 9; Rieger, in Schrödter, BauGB – Kommentar, 9. Aufl. 2019, § 14 Rn. 13a.
45Zielt der Bebauungsplan nicht auf die Festsetzung eines solchen bestimmten Gebietstyps, sondern soll er sich auf sonstige Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 bis Abs. 2a BauGB beschränken, ist ein hinreichender Konkretisierungsgrad mit Blick auf § 14 Abs. 2 BauGB erst dann erreicht, wenn sich den Planungsvorstellungen ein hinreichend konkreter Gebietsbezug dergestalt entnehmen lässt, für welche Teile des Plangebietes welche dieser Festsetzungen in Betracht gezogen wird. Eine Veränderungssperre kann und darf nur eine bestimmte Planung, nicht aber allgemein die Planungsmöglichkeit der Gemeinde oder den Planungsprozess als solchen schützen.
46Vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 ‑ 4 CN 16.03 -, BVerwGE 120, 138 = juris Rn. 30; OVG S.-H., Urteil vom 17. Februar 2011 - 1 KN 12/10 -, juris Rn. 19; Stock, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, BauGB – Kommentar, Stand Februar 2019, § 14 Rn. 46, m. w. N.
47Gemessen an diesen Maßstäben fehlte es vorliegend an einer durch eine Veränderungssperre sicherungsfähigen, also bereits hinreichend konkretisierten bauleitplanerischen Vorstellung der Antragsgegnerin jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses.
48Eine solche ergibt sich zunächst nicht aus dem Integrierten Handlungskonzept der Antragsgegnerin mit den dortigen Zielen für die Entwicklung der M4. Altstadt, auf das der Aufstellungsbeschluss vom 18. Juni 2015 allein rekurriert hat. Die auf das Plangebiet bezogenen Vorstellungen beschränken sich im Wesentlichen auf die Freiräume des Geländes und sehen hinsichtlich der baulichen Nutzungen lediglich eine „Entwicklung der Flächenpotentiale des Postgeländes angepasst an die bestehenden Strukturen“ vor. Damit wird hinsichtlich der künftigen Nutzung letztlich alles offengelassen – eine Veränderungssperre kann darauf nicht gestützt werden.
49Vgl. allgemein dazu BVerwG, Urteile vom 10. September 1976 – 4 C 39.74 -, BVerwGE 51, 121 = juris Rn. 29 ff., und vom 19. Februar 2004 – 4 CN 16.03 -, BVerwGE 120, 138 = juris Rn. 28, 30; OVG S.-H., Urteil vom 17. Februar 2011 ‑ 1 KN 12/10 ‑, juris Rn. 19; Stock, in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – Kommentar, Stand Februar 2019, § 14 Rn. 46.
50Dies entsprach sogar dem ausdrücklichen Willen des Plangebers, „nicht zu viel Arbeit in den Bebauungsplan zu investieren“, weil die zukünftige Entwicklung des Standorts - namentlich Person und Ziele eines künftigen Eigentümers - noch nicht feststehe.
51Daran hat sich in der Folgezeit jedenfalls bis zum Satzungsbeschluss am 27. Mai 2019 nichts Durchgreifendes geändert, namentlich lassen die am 11. Oktober 2018 beschlossenen Grundsätze der städtebaulichen Entwicklung eine hinreichende Konkretisierung der bauleitplanerisch festzusetzenden Entwicklung des Plangebiets ebenfalls vermissen. Aus ihnen ergibt sich zunächst - und als grundlegendes Defizit - nicht, was für ein Baugebiet der Antragsgegnerin vorschwebte. Die konkreter angedachten Nutzungen „Wohnen“, (eventuell vorstellbares) „kleinteiliges Angebot der Nahversorgung und Dienstleistungen“ und „öffentlich-wirksame Nutzungen“ lassen in Anbetracht der gewählten weiteren Formulierungen eine Bandbreite zu, die von einem (reinen oder allgemeinen) Wohngebiet über ein Mischgebiet bis zu einem Urbanen Gebiet reichen. Letzteres erscheint insbesondere angesichts des Zieles einer eigenen „Identität“ des Gebietes, die „Urbanität erlebbar“ machen soll, sogar augenscheinlich naheliegend, ein allgemeines Wohngebiet etwa ist hierfür ungeeignet. Dies gilt umso mehr angesichts des in der mündlichen Verhandlung dargestellten Verständnisses des dem Bauplanungsrecht in dieser Form fremden und deshalb schon für sich genommen Planungsvorstellungen nicht hinreichend konkretisierenden Begriffs der „öffentlich wirksamen Nutzungen“. Darunter sollen neben einer Fortnutzung als Postfiliale insbesondere auch gastronomische Einrichtungen, die die Lagegunst an M5. und Kanal nutzen, fallen. Als solche dürften sie aber etwa in einem allgemeinen Wohngebiet kaum zulässig sein. In der mündlichen Verhandlung haben die Vertreter der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang im Übrigen selbst darauf hingewiesen, dass sich der in einem späteren Bebauungsplanentwurf festzusetzende Baugebietstyp – wie etwa auch Fragen der zulässigen Bebauungsdichte - erst im weiteren Planungsverlauf aus den sonstigen Zielen im Zuge ihrer Konkretisierung habe herausstellen können und sollen.
52Zugleich hat der Plangeber deutlich gemacht, auf weitere Konkretisierungen bewusst verzichtet zu haben, um mit dem Investor einen „ergebnisoffenen Dialog“ über die konkrete Nutzung führen zu können. Das folgt insbesondere aus der Beschlussvorlage 112/2019 zum Satzungsbeschluss über die Veränderungssperre. Diese legt auf Seite 6 (zutreffend) dar, dass die Satzung hier letztlich allein auf die Freihaltung von Planungsmöglichkeiten ziele, bis Näheres/Konkreteres für den weiteren Bereich der Insel geplant werden könne - und das wiederum abhängig davon, dass ein Investor „mitzieht“. Es ging dem Satzungsgeber der Sache nach also in erster Linie um einen Zeitgewinn für die Entwicklung eines bestimmten Planungskonzepts in Abhängigkeit möglicher Investorenvorstellungen, mit anderen Worten um die Offenhaltung von Planungsmöglichkeiten. Das reicht für den Erlass einer Veränderungssperre gerade nicht aus.
53Den einschlägigen Passagen der Beschlussvorlage lässt sich im Weiteren entnehmen, dass die – zumindest auch vom Investor geforderte – „Gesamtkonzeption für das Plangebiet und die Umgebung“ zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses auch bei der Stadt noch nicht vorlag. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es nicht Aufgabe einer Bauvoranfrage sein kann, Gesamtkonzeptionen über das Vorhaben hinaus zu entwickeln. Erst recht gilt das für die in der Vorlage zum Ausdruck kommende Vorstellung, der Investor solle solches über das Plangebiet (und sein Eigentum) hinaus bewerkstelligen. Sofern die einschlägigen Passagen indes entgegen dem Zusammenhang allein auf die zuständigen Gremien der Stadt zielen sollten, unterstreicht dies lediglich noch einmal die Tatsache, dass eine solche Konkretisierung bis dato noch nicht vorhanden und letztlich auch nicht absehbar war, zumal sie noch über das eigentliche Plangebiet hinausgreifen müsste. Folgerichtig ist schließlich an dieser Stelle auch ausdrücklich festgehalten, dass jedenfalls zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses eine Entscheidung über Ausnahmen nach § 14 Abs. 2 BauGB nicht möglich war, wie es für den Einsatz dieses Instruments – wie ausgeführt – normativ gefordert ist. Anders ist die gewählte Formulierung „Sollte vor Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. 314 oder des Außerkrafttretens der Veränderungssperre bereits eine Gesamtkonzeption entstanden sein, könnten Bauanfragen im Rahmen dieses Konzepts als Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden.“ nicht zu verstehen. So konnte die Antragsgegnerin letztlich auch nur präzisieren, was sie im Plangebiet nicht will – nämlich alle Konzepte der Antragstellerin –, ohne ihr zugleich aufzuzeigen, was positiv dort möglich (werden) soll. Nur in diesem Fall darf sie aber eine (abweichende) bauliche Entwicklung vorübergehend unterbinden.
54Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf hin, dass ein „kooperatives“ Vorgehen, wie es der Antragsgegnerin offenbar vor Augen stand, zwar im Sinne einer realistischen Realisierungsmöglichkeit entwickelter und letztlich in einem Bebauungsplan festgesetzter Nutzungsoptionen sinnvoll sein mag, so aber den Rückgriff auf das Instrument der Veränderungssperre ausschließt. Denn dieses soll gerade nicht eine allgemeine Planungsmöglichkeit sichern, sondern kommt nur für eine konkrete gemeindliche Planung in Betracht. Sie kann damit nicht im Rahmen einer Abstimmung von Nutzungsvorstellungen als Mittel eingesetzt werden, den oder die potentiellen Nutzer zur Vorlage oder Mitwirkung an einer Gesamtkonzeption zu bewegen.
55Die Tatsache fehlender hinreichender Konkretisierung wird jenseits dessen dadurch unterstrichen, dass sich auch im Hinblick auf die weiteren Entwicklungsgrundsätze allenfalls mittelbar erschließt, inwieweit sie in einem Bebauungsplan festsetzungsfähig sein könnten. Eine präzisierte Verteilung der einzelnen Ansätze zur Nutzung lassen die eher wolkigen Grundsätze aus dem Jahr 2018 jedenfalls kaum zu; selbst eine Planidee, aus der sich Festsetzungen ergeben könnten, wird nicht eindeutig erkennbar. Welche Bebauungsdichte etwa realisiert werden soll, ist danach völlig offen. Einerseits ist von einer Anlehnung an die Villenstruktur der L1.--------allee – auch als historische Reminiszenz – als „vorstellbar“ die Rede, andererseits soll auf „großzügige private Freiflächen“ verzichtet und eine „angemessene“ Dichte erzielt werden. Das Ganze zielt auf eine „eigene Identität“ und soll „Urbanität erlebbar“ machen. Wiederum andererseits soll ein „gewisses Maß an gestalterischer Heterogenität“, wie sie (bereits) in der Altstadt vorhanden sei, angestrebt werden, was jedoch naheliegender Weise mit dem Verzicht auf eine eigene Identität verbunden wäre.
56Angesichts dessen kann dahinstehen, ob mit Blick darauf, dass fast sechs Jahre nach dem – wie ausgeführt – wenig konturierten Aufstellungsbeschluss und nach fast zweijähriger Geltung der Veränderungssperre gerade erst die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung vorbereitet wird, die Antragsgegnerin die zu sichernde Planung hinreichend ernsthaft und lösungsorientiert betreibt und/oder die Planung inzwischen einen Stand erreicht haben könnte, der den Erlass einer Veränderungssperre nunmehr tragen könnte.
57Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
58Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
59Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
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Referenzen
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 34 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 14 BauGB 2x (nicht zugeordnet)
- § 29 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 47 1x
- § 14 Abs. 2 BauGB 3x (nicht zugeordnet)
- § 9 Abs. 1 bis Abs. 2a BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 132 1x
- 2 D 30/15 1x (nicht zugeordnet)
- 10 D 40/07 1x (nicht zugeordnet)
- 2 B 202/12 1x (nicht zugeordnet)
- 2 D 44/17 1x (nicht zugeordnet)
- 1 KN 12/10 2x (nicht zugeordnet)