Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 A 1407/19.A
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung des Klägers aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
3II. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von ihm geltend gemachten Berufungszulassungsgründe der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 1 VwGO, siehe 1.), des Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 5 VwGO, siehe 2.), der grundsätzlichen Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG, siehe 3.) und der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, siehe 4.) liegen nicht vor.
41. Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 1 VwGO (nicht vorschriftsmäßige Besetzung des erkennenden Gerichts) zuzulassen. Nicht vorschriftsgemäß besetzt im Sinne von § 138 Nr. 1 VwGO ist das erstinstanzliche Gericht unter anderem dann, wenn der erkennende Spruchkörper bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht den gesetzlichen Vorschriften, dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts nach § 21e GVG oder dem der Kammer selbst nach § 21g GVG entspricht und dies gleichzeitig eine Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darstellt.
5Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1988 - 9 C 276.86 -, Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 76 = juris Rn. 5; Neumann/Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 138 Rn. 19 m. w. N.
6Das Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dessen Sicherung und Durchsetzung die Besetzungsrüge dient, verlangt, dass die Geschäftsverteilungspläne des Gerichts und der Kammer im Voraus abstrakt-generell die Zuständigkeit hinreichend klar festlegen, damit sachfremde Einflüsse auf die Bestimmung des gesetzlichen Richters und damit möglicherweise auf das Entscheidungsergebnis ausgeschlossen sind. Das Erfordernis der Bestimmung der Zuständigkeit nach allgemeinen, abstrakten und objektiven Merkmalen gilt auch im Falle der Umverteilung bereits anhängiger Verfahren.
7Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2020 - 2 C 2.19 -, NJW 2020, 3333 = juris Rn. 8 f.
8Dabei erfordert die Darlegung einer Besetzungsrüge im Sinne von § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG die Angabe der einzelnen Tatsachen, aus denen sich die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts ergeben soll. Da es sich hierbei um gerichtsinterne Vorgänge handelt, die dem Rechtsmittelführer nicht ohne weiteres bekannt sind, muss er insoweit eine Aufklärung durch zweckentsprechende Ermittlungen anstreben und gegebenenfalls darlegen, dass er sich vergeblich um die Aufklärung dieser Tatsachen bemüht hat. Die lediglich „auf Verdacht" aufgestellte Behauptung einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung reicht insoweit nicht aus.
9Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 30. November 2004 - 1 B 48.04 -, juris Rn. 3 m. w. N. (zu § 138 Nr. 1 VwGO), und vom 10. Oktober 2013 - 4 BN 36.13 -, BauR 2014, 57 = juris Rn. 11.
10An einer solchen Darlegung fehlt es hier. Ausweislich der Antragsschrift hält der Kläger es lediglich für möglich, dass die Verteilung der Klage auf die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf unter Anwendung der insoweit als unbestimmt gerügten Regelung in Ziffer 7 Abs. 4 des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2018 „irrtümlich“ erfolgte und mutmaßt - ohne jegliche Grundlage - darüber hinaus, dass das Verfahren dem erkennenden Richter aufgrund dessen besonderer Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich des Iran übertragen worden ist. Dass tatsächlich ein „gleichzeitiger Eingang“ im Sinne der Ziffer 7 Abs. 4 des Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2018 vorgelegen hat bzw. es zu einer Übertragung des Verfahrens in das Dezernat des erkennenden Richters aus anderen als abstrakt-generellen Gründen gekommen ist, lässt sich dem Vorbringen indes nicht entnehmen.
112. Ohne Erfolg rügt der Zulassungsantrag das Vorliegen eines Verfahrensmangels nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 5 VwGO. Mit Blick auf § 138 Nr. 5 VwGO ist die Berufung zuzulassen, wenn das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind. Erfasst wird danach nur der Fall, dass das Urteil „auf eine mündliche Verhandlung“ ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, nicht hingegen die unterbliebene Verkündung des Urteils in öffentlicher Sitzung.
12Vgl. grundlegend: BVerwG, Beschluss vom 30. September 2010 - 9 B 3.10 -, Buchholz 310 § 138 Ziff. 5 VwGO Nr. 4 = juris Rn. 10 m. w. N., ebenso BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2016 - 4 B 45.15 -, juris Rn. 21.
13Diese im Wortlaut des § 138 Nr. 5 VwGO angelegte Einschränkung der Rügebefugnis rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass sich eine Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes bei der Urteilsverkündung nicht auf die Entscheidungsfindung auswirken kann.
14Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1980- 6 CB 29.80 -, juris Rn. 14; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. März 2018 - 13 A 171/18.A -, juris Rn. 5 und vom 12. Februar 2020 - 11 A 324/20.A -, AuAS 2020, 67 = juris Rn. 48.
15Danach kann das Vorbringen im Zulassungsantrag, das Verwaltungsgericht habe gegen Art. 47 Satz 1 und 2 GR-Charta bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 EMRK verstoßen, indem es das angefochtene Urteil nicht öffentlich verkündet, sondern unter Berücksichtigung von § 116 Abs. 2 VwGO zugestellt habe, nicht zur Zulassung der Berufung führen. Denn der damit geltend gemachte Verfahrensfehler betrifft ausschließlich die Frage der öffentlichen Verkündung des Urteils nach dem Schließen der mündlichen Verhandlung und nicht die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. März 2018 - 13 A 171/18.A -, juris Rn. 7; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. März 2017 - 4 L 93/16 -, juris Rn. 13 ff.; Nds. OVG, Beschluss vom 26. Januar 2015 - 4 LA 232/14 -, juris Rn. 7; Bay. VGH, Beschluss vom 4. Mai 2011 - 14 ZB 11.30142 -, juris Rn. 3.
17Schon aus dem Grunde bedarf es zur Klärung der von dem Kläger im Zusammenhang mit der Zustellung des Urteils aufgeworfenen Fragen auch nicht einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gem. Art. 267 AEUV.
183. Die Berufung ist weiterhin nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.
19Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn für die Entscheidung der Vorinstanz eine grundsätzliche, bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärte Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre und deren Klärung im Interesse der einheitlichen Rechtsanwendung oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Die Darlegung der Grundsatzbedeutung gemäß § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfordert, dass eine bestimmte, obergerichtlich oder höchstrichterlich noch nicht hinreichend geklärte und (auch) für die Berufungsentscheidung erhebliche Frage rechtlicher oder tatsächlicher Art herausgearbeitet und formuliert wird; zudem muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Darzulegen sind die konkrete Frage, ihre Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit und allgemeine Bedeutung.
20Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Januar 2021 - 6 A 3413/20.A -, juris Rn. 4.
21Schon diesen Anforderungen entspricht der Zulassungsantrag nicht. Mit ihm wird weder explizit noch sinngemäß eine als klärungsbedürftig angesehene Frage aufgeworfen. Der Kläger macht vielmehr geltend, das Gericht habe durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellte Grundsätze außer Acht gelassen. Für eine solche Kritik steht weder der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung noch ein anderer Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 AsylG zur Verfügung.
224. Schließlich ergibt sich aus dem Antragsvorbringen auch nicht, dass die geltend gemachte Gehörsverletzung (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO) vorliegt.
23Das Gebot des rechtlichen Gehörs gibt einem Prozessbeteiligten das Recht, alles aus seiner Sicht Wesentliche sowohl zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt als auch der entscheidungserheblichen Rechtslage vortragen zu können, und verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.
24Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 25. September 2020 - 2 BvR 854/20 -, NVwZ-RR 2021, 131 = juris Rn. 26 m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 10 B 38.11 -, juris Rn. 2.
25Es gebietet aber nicht, dass sich das Gericht in seinen schriftlichen Entscheidungsgründen mit jeder Einzelheit ausdrücklich und in ausführlicher Breite auseinandersetzt. Deshalb müssen, um eine Versagung rechtlichen Gehörs festzustellen, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist.
26Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - 2 BvR 722/06 -, DVBl 2007, 253 = juris Rn. 23; BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2011 - 10 B 38.11 -, a. a. O. Rn. 2.
27Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war.
28Vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 25. September 2020 - 2 BvR 854/20 -, a. a. O. Rn. 26 m. w. N.
29Die Rüge der Verletzung des verfassungsrechtlich in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten rechtlichen Gehörs ist allerdings von vornherein nicht geeignet, eine (vermeintlich) fehlerhafte Feststellung und Bewertung des Sachverhaltes einschließlich seiner rechtlichen Würdigung zu beanstanden. Eine Ausnahme gilt dann, wenn die Würdigung objektiv willkürlich ist oder gegen gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze bzw. allgemeine Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen.
30Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 9 B 11.17 -, juris Rn. 3; Urteil vom 15. April 1997 - 8 C 20.96 -, juris Rn. 10.
31Diese Maßstäbe zugrunde gelegt lässt sich eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht feststellen.
32Ausweislich der Urteilsgründe ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, der Kläger sei unverfolgt ausgereist, auch wenn es möglich sei, dass er im Jahr 2011 Artikel verfasst und im Internet veröffentlicht habe sowie zum Verfassen und Unterschreiben einer Verpflichtungserklärung gezwungen worden sei. Denn ohne dass es auf das tatsächliche Vorliegen einer solchen Verpflichtungserklärung ankomme, sei dieser Umstand bereits nach dem klägerischen Vortrag und auch mit Blick auf den erheblichen Zeitablauf nicht fluchtauslösend gewesen und habe zudem nicht die nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG notwendige Intensität erreicht. Bezüglich der geltend gemachten seit Anfang 2015 wieder aufgenommenen Aktivitäten des Klägers hat das Gericht festgestellt, der Kläger habe jedenfalls keine derart exponierte Stellung inne gehabt, dass sich aus ihr eine staatliche Entdeckung und Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG zwangsläufig ergeben hätte. In den von dem Kläger verfassten Artikeln seien harsche, aufwiegelnde oder im offenen Widerspruch zum iranischen Regierungssystem respektive dem schiitischen Islam stehende Passagen nicht enthalten. Eine Verhaftung habe dem Kläger nicht unmittelbar gedroht. Er habe den Inhalt des als Ausdruck einer Fotografie vorgelegten haftbezogenen Dokuments nicht überzeugend erläutern können. Außerdem seien die klägerischen Angaben zum Erhalt dieses Dokuments und den dadurch ausgelösten Verhaltensweisen und Ereignissen, einschließlich des Verschwindens des Onkels, der Vorfälle bei einer Gedenkveranstaltung und der Sperrung seiner Internetseite im Ergebnis unglaubhaft. Aus den Angaben des Klägers zu dem Verbleib seines Reisepasses folge außerdem seine Unglaubwürdigkeit.
33a. Sofern sich der Kläger darauf beruft, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Würdigung die – näher konkretisierten – Feststellungen des Auswärtigen Amtes nicht berücksichtigt, kann dem nicht gefolgt werden. Anders als der Kläger meint, trifft es nicht zu, dass nach dem Lagebericht feststeht, „dass jeder Kritiker mit Verfolgung rechnen muss.“ Denn die rechtliche Bewertung, ob einem Schutzsuchenden eine Verfolgung im Sinne der §§ 3 ff. AsylG im Fall einer Rückkehr in das Herkunftsland aufgrund regimekritischer Aktivitäten droht, ist nicht Gegenstand des Lageberichts des Auswärtigen Amtes, sondern obliegt allein den Gerichten. Von daher ist nichts dagegen einzuwenden, wenn das Gericht ausgehend von der auch im Lagebericht enthaltenen Erkenntnis der Gefährlichkeit regimekritischen Verhaltens im Iran - und im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung - für die Beurteilung, ob eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, darauf abstellt, ob sich der Schutzsuchende in exponierter Weise aus der Masse der Regimekritiker herausgehoben hat.
34Vgl. zum Ganzen etwa OVG NRW, Beschluss vom 22. August 2019 - 6 A 300/19.A -, juris Rn. 14 f. m. w. N.; Bay. VGH, Beschluss vom 15. Januar 2013 - 14 ZB 12.30220 -, juris Rn. 11; OVG Bremen, Beschluss vom 8. November 2010 - 2 A 209/08.A -, juris Rn. 6.
35b. Weiterhin ist in Bezug auf die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Verwarnung durch die Sepah/Revolutionsgarden stelle keine relevante Vorverfolgung dar, weil sie nicht fluchtauslösend gewesen sei und auch nicht die von § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG geforderte Intensität erreicht habe, im Hinblick auf das Gebot des rechtlichen Gehörs nichts zu erinnern. Sofern sich der Kläger sinngemäß gegen die rechtliche Bewertung der Frage, ob eine Vorverfolgung vorliegt, wendet, kann dies ausgehend vom anzulegenden Maßstab nicht mit der Gehörsrüge angegriffen werden.
36c. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt auch nicht darin, dass das Verwaltungsgericht die behauptete und in Bezug auf die Frage der Vorverfolgung für möglicherweise glaubhaft erachtete Tatsache, dass der Kläger bereits 2011 in den Blick der Sicherheitsbehörden gelangt sein und eine Verpflichtungserklärung unterschrieben haben soll, nicht (nochmals) im Zusammenhang mit der - von einer eventuellen Vorverfolgung losgelösten - Frage, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung des Klägers im Rückkehrfall droht, ausdrücklich in den Entscheidungsgründen erwähnt hat. Insofern mag die ggf. in der Missachtung der Verwarnung zum Ausdruck gebrachte Untergrabung der Autorität der Sicherheitsbehörden durchaus bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Einleitung weitergehender staatlicher Maßnahmen erwägenswert gewesen sein. Allerdings ist hierin, da das Gericht die Tatsachenbehauptung als solche zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen zumindest in Bezug auf die Vorverfolgung einbezogen hat, keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu sehen.
37Entgegen der Ansicht des Klägers liegt auch keine Überraschungsentscheidung vor. Unter diesem Gesichtspunkt wird das rechtliche Gehör nur verletzt, wenn das Gericht, das auf den Inhalt der beabsichtigten Entscheidung regelmäßig nicht vorab hinweisen muss, auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.
38Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Mai 2017 - 5 B
3975.15 D -, juris Rn. 11, m. w. N. und vom 18. Dezember 2017 - 6 B 52.17-, juris Rn. 6.
40Dagegen kann von einer Überraschungsentscheidung nicht gesprochen werden, wenn das Gericht Tatsachen, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten, in einer Weise würdigt oder aus ihnen Schlussfolgerungen zieht, die nicht den subjektiven Erwartungen eines Prozessbeteiligten entsprechen oder von ihm für unrichtig gehalten werden.
41Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Juli 2020 -
426 A 1784/20.A -, juris Rn. 11.
43So liegt es aber hier: Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil das Vorbringen des Klägers in Bezug auf die Verpflichtungserklärung, die auch Gegenstand der informatorischen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht war, wiedergegeben und gewürdigt. Es sind keine besonderen Umstände substantiiert vorgetragen oder sonst ersichtlich, aus denen der Kläger hätte schließen können, die unterschriebene Verpflichtungserklärung werde im Rahmen der Verfolgungsprognose in der von ihm als zutreffend erachtenden Weise (doppelt) berücksichtigt. Letztlich erschöpfen sich die hinsichtlich der Verpflichtungserklärung und auch die weiteren, unter dem Aspekt der Überraschungsentscheidung angeführten Einwände des Klägers gegen die erstinstanzliche Entscheidung in einer Kritik an der dem sachlichen Recht zuzurechnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.
44d. Ohne Erfolg macht der Kläger ferner geltend, eine Gehörsverletzung sei darin zu erblicken, dass das Gericht gegen die Amtsermittlungspflicht verstoßen habe, indem es die von der Beklagten veranlassten Übersetzungen der vom Kläger veröffentlichten Artikel der Entscheidung zugrunde gelegt hat, obwohl diese nicht brauchbar gewesen seien. Selbst ein unterstellter Aufklärungsmangel begründete grundsätzlich - und so auch hier - keinen Gehörsverstoß; er gehört zugleich nicht zu den sonstigen Verfahrensmängeln im Sinne der § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 VwGO. Dies gilt auch insoweit, als der gerichtlichen Aufklärungspflicht verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt.
45Vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 10. Februar 2020 - 6 A 885/19.A -, a. a. O. Rn. 15 und vom 1. März 2019 - 6 A 1882/18.A -, juris 34 ff.
46e. Schließlich ist kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in Bezug auf die vom Verwaltungsgericht nach Auffassung des Zulassungsantrags auf der Grundlage eines falschen Sachverhalts in Frage gestellte Glaubwürdigkeit des Klägers dargetan. Es ist schon nicht ersichtlich, dass das Gericht entscheidungserheblich auf die Unglaubwürdigkeit des Klägers abgestellt hat; vielmehr hat der Hinweis hierauf erkennbar nur flankierenden Charakter. Demnach ist auszuschließen, dass unter Zugrundelegung des vom Kläger für richtig gehaltenen Sachverhalts das Gericht zu einer anderen, für diesen günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
47Vgl. zu dieser Voraussetzung OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 13 A 1529/18.A -, juris Rn. 16 u.a. mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 13. März 1993 - 2 BvR 1988/92 -, DVBl. 1993, 601 = juris Rn. 34.
48III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.
49Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.
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