Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 1 A 323/18
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Fußheberparese (Fußheberschwäche) am rechten Fuß als Folge eines am 9. Juli 2014 erlittenen Dienstunfalls.
3Der am 5. Oktober 1954 geborene Kläger stand zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens als Postbetriebsassistent im Dienst der Beklagten und war als Zusteller in der Brief-/Verbundzustellung beschäftigt.
4Nach dem Inhalt der Unfallanzeige vom 21. Juli 2014 rutschte ihm am 9. Juli 2014 eine schwere, unhandliche Sendung aus den Händen und fiel ihm auf den rechten Fuß. Unter dem 10. Juli 2014 diagnostizierte Dr. L. vom Medicenter E. eine Prellung an der 4. Zehe rechts. Nachdem der Kläger, wie er in der Unfallzeige weiter ausgeführt hat, seinen Dienst am 11. Juni 2014 unter Schmerzen beendet habe, habe er sich am 12. Juli 2014 wegen eines Taubheitsgefühls in den Zehen des rechten Fußes erneut bei dem Medicenter E. (nun Dr. I. ) vorgestellt.
5Im Rahmen einer am 22. Juli 2014 bei Dr. Rückforth, E. , durchgeführten MRT der Lendenwirbelsäule klagte der Kläger über eine Zehenheberschwäche rechts und berichtete über ein stattgehabtes Unterschenkeltrauma.
6Am 29. Juli 2014 wurden in der Uniklinik L1. eine Nukleotomie (Entfernung hervorgehobener Bandscheibenteile) und eine Foraminotomie (Erweiterung des Nervenaustrittkanals) L 5/S 1 rechts durchgeführt. Im Abschlussbericht der Uniklinik L1. vom 5. August 2014 heißt es unter anderem, der Kläger habe von einer Fußheberparese berichtet, die seit dem 13. Juli 2014 bestehe, nachdem ihm ein Gegenstand auf den Fuß gefallen sei. Die Fußheberparese sei im Verlauf leicht rückläufig gewesen. Bei der durchgeführten MRT von Oberschenkel und Knie rechts habe eine Nervenschädigung nicht festgestellt werden können.
7Auch nach Abschluss einer Rehabilitationsmaßnahme vom 24. September bis zum 10. November 2014 bestand die Schwäche beim Hochheben des rechten Fußes fort.
8Mit Bescheid vom 13. Oktober 2014 erkannte die Unfallkasse Post und Telekom das Ereignis vom 9. Juli 2014 als Dienstunfall im Sinne des § 31 BeamtVG an. Unfallfolge sei eine leichte Prellung des rechten Fußes. Die bei der MRT festgestellten Veränderungen an der Wirbelsäule seien nicht ursächlich auf den Unfall zurückzuführen, sondern degenerativer Natur, wie bereits im Jahr 2012 festgestellt.
9Mit seinem Widerspruch vom 27. Oktober 2014 begehrte der Kläger die Anerkennung auch der Fußheberparese rechts als Unfallfolge.
10Dr. I. vom Medicenter E. teilte auf Anfrage der Beklagten im Zwischenbericht vom 13. November 2014 mit, der Kläger habe sich wegen des Unfalls vom 9. Juli 2014 dort in Behandlung befunden. Zweizeitig habe er über motorische Ausfälle geklagt, die aus dortiger Sicht nicht durch das Unfallereignis zu erklären seien. Er sei zur weiteren Abklärung der neurologischen Symptomatik an den Neurologen Dr. N. überwiesen worden. Ein Befund von diesem liege nicht vor. Die Behandlung sei am 17. Juli 2014 abgeschlossen worden.
11In einer von der Beklagten eingeholten ärztlichen Stellungnahme der Praxisgemeinschaft L2. gelangte der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie N1. T. unter dem 23. Dezember 2014 zu dem Schluss, die Fußheberparese rechts sei Folge des in der Uniklinik L1. operierten Bandscheibenvorfalls. Darüber hinaus bestehe eine axonale Polyneuropathie mit Irritation des Nervus peroneus rechts.
12Die Unfallkasse Post und Telekom änderte den Bescheid vom 13. Oktober 2014 mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2015 dahingehend ab, dass die Behandlung wegen der Dienstunfallfolgen (Fußprellung rechts) nicht mit dem 11. Juli 2014, sondern erst mit dem 17. Juli 2014 abgeschlossen sei. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Fußheberparese rechts sei nach Auskunft des Herrn T. vom 23. Dezember 2014 Folge eines Bandscheibenvorfalls, der in der Universitätsklinik L1. operiert worden sei.
13Am 30. Juni 2015 gab der Kläger gegenüber der Fachärztin für Neurologie Dr. U. an, ihm sei am 9. Juli 2014 ein schwerer Gegenstand auf den rechten Fuß gefallen, retrospektiv wohl auch auf das Knie. In der Anamnese wird ausgeführt, eine MRT des Oberschenkels und des rechten Kniegelenks sei anamnestisch nicht wegweisend gewesen. Daraufhin sei die Nukleotomie erfolgt. Klinisch hätten sich die Beschwerden postoperativ nicht gebessert. Seitdem seien insbesondere die Zehen 3-5 rechts gelähmt. Nach dem klinischen Befund sei nicht von einem Wurzelsyndrom L5 rechts auszugehen. Insgesamt bestehe eine Schädigung im Nervus peroneus communis (bei fehlendem sensiblen Defizit im Bereich des Nervus peroneus superficialis) sowie im Nervus tibialis. Anzunehmen sei entweder eine Läsion im Bereich des Nervus ischiadicus oder im Bereich des Kniegelenks an der Teilung des Nervus ischiadicus.
14Am 29. Juli 2015 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Fußheberparese sei Folge des Unfallereignisses vom 9. Juli 2014 und nicht auf einen Bandscheibenvorfall zurückzuführen. Die in der Akte befindliche Unfallanzeige sei telefonisch fehlerhaft aufgenommen worden. Er habe stets darauf hingewiesen, dass ihm das Paket nicht nur auf den Fuß, sondern auch an das Bein gefallen sei. Vor dem Unfallereignis vom 9. Juli 2014 habe es bei ihm keine Anzeichen oder Symptome einer Fußheberparese gegeben. Diese Symptome seien erstmals in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli 2014 aufgetreten.
15Der Kläger hat beantragt,
16die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2015 zu verpflichten, die bei ihm bestehende Fußheberparese rechts als Folge des Dienstunfalls vom 9. Juli 2014 anzuerkennen.
17Die Beklagte hat beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Kläger schildere nunmehr einen anderen Unfallhergang als zeitnah zum Unfallereignis. Nach den eindeutigen Stellungnahmen der behandelnden Ärzte gehe keiner davon aus, dass das Ereignis vom 9. Juli 2014 die rechtlich wesentliche Ursache für die Fußheberparese sei.
20Dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. T1. könne nicht gefolgt werden, da es widersprüchlich und nicht schlüssig sei. Mit einer traumatischen Ursache sei die in der Akte durch elektrophysiologische Befunde dokumentierte Zunahme der Lähmung nicht vereinbar. Ein weiteres Argument sei das Fehlen eines Brückensymptoms einer direkten Nervenschädigung. Weiter fehle eine Abgrenzung zwischen Unfallfolge und Vorschaden in Form einer chronisch fortgeschrittenen Nervenschädigung. Dass nach der MRT von Oberschenkel und Knie eine Nervenschädigung ausgeschlossen worden sei, stütze die Annahme, dass der Peroneusnerv im Rahmen der bekannten Polyneuropathie geschädigt worden sei. Diese Annahme werde durch das Vorliegen pathologischer Nervenleitgeschwindigkeiten auch im linken Nervus tibialis gestützt.
21Das Verwaltungsgericht hat Beweis zu der Frage erhoben, ob die bei dem Kläger bestehende Fußheberparese eine Folge des Unfallgeschehens vom 9. Juli 2014 ist, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Direktors der Klinik für Neurologie des Uniklinikums B. , Prof. Dr. T1. . Das Gutachten wurde unter dem 20. Juli 2016 vorgelegt. Im Kern hieß es darin:
22Es sei auszuschließen, dass die Beschwerden (allein) durch die ebenfalls diagnostizierte Polyneuropathie oder durch einen Bandscheibenvorfall verursacht worden seien. Die rasche Entwicklung der Beschwerden werde durch die Polyneuropathie nicht erklärt.
23Der von dem Kläger geschilderte Unfallhergang – plötzliches akutes Aufpralltraum ohne begleitende ausgeprägte knöcherne Verletzungen oder Schwellungen der Weichteile in der Knie- und Unterschenkel-Region – sei nicht typisch für eine Schädigung des Nervus peroneus. Deren häufigste Ursache sei Druck von außen im Bereich des Kopfes des Wadenbeins (Fibula), um welchen der Nerv oberflächlich ziehe. Typischerweise würden Schädigungen durch chronischen Druck auftreten, wie beispielsweise im Schlaf, bei Lagerung in Narkose, im Koma, bei längerer Bettlägerigkeit oder durch zu eng anliegende Gipsverbände. Auch das Sitzen mit übereinandergeschlagenen Beinen oder langes Hocken könne zu einer Läsion des Nervus peroneus führen. Im Fall des Klägers hätten sich keine dieser Schädigungsmechanismen in Erfahrung bringen lassen. Weitere mögliche, seltene Ursachen seien Ganglien und Zysten im Bereich des Kniegelenks sowie Tumore der Fibula und Lipome. Auch diese Ursachen seien mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen. Die MRT des Oberschenkels und der Knieregion rechts in der Uniklinik L1. im August 2014 habe radiologisch keine Nervenschädigung ergeben. Auch ein Hämatom oder eine sonstige (Weichteil-) Schwellung, die einen Zusammenhang der bestehenden Symptomatik mit dem Anpralltrauma durch das herabfallende Paket bestärkt hätte, habe nicht gesichert werden können. Die Knie-MRT sei allerdings auch erst mit einem Abstand von über zwei Wochen zum Trauma durchgeführt worden. Kleine Nervenschädigungen seien meist nur mittels Spezialsequenzen nachweisbar. Ein detaillierter radiologischer Bericht habe nicht vorgelegen.
24Da sich in der MRT von Oberschenkel und Knie offensichtlich kein relevanter Befund ergeben habe, wäre bei einer reinen akuten Druckschädigung des Nervs im Bereich des Fibula-Kopfes eine Besserung der Symptomatik im Verlauf der folgenden Wochen zu erwarten gewesen. Allerdings bestehe im Fall des Klägers im Rahmen der vornehmlich demyelinisierenden Polyneuropathie zusätzlich die beschriebene chronische fortgeschrittene Nervenschädigung, welche die Erholung des geschädigten Nervs mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert habe. Eine genaue Höhenlokalisation der Schädigung sei nicht mehr möglich. Allerdings sei eine Schädigung des Nervus peroneus unterhalb des Knies, passend zum vom Kläger geschilderten Unfallhergang, aufgrund der elektromyographischen Befunde aus dem Musculus biceps femoris (caput breve) wahrscheinlich.
25Zusammengefasst sei der Zusammenhang zwischen dem von dem Kläger geschilderten Unfallmechanismus und der Fußheberschwäche, die wiederum Folge der diagnostisch gesicherten Schädigung des Nervus peroneus sei, somit als wahrscheinlich anzusehen. Es werde von einer traumatisch bedingten Weich-teilschwellung durch ein Ödem oder ein Hämatom ausgegangen, die dann konsekutiv zu einer Kompression des Nervus peroneus profundus geführt habe. Die unzureichende Besserung der Beschwerden werde mit der zusätzlich bestehenden Polyneuropathie erklärt. Wahrscheinlich sei, dass die Vorschädigung, also die Polyneuropathie unklarer Genese, eine Restitution der wahrscheinlich zusätzlichen traumatischen Nervenschädigung und somit des beklagten Funktionsausfalls verhindert habe, dass die akute Pathologie aber durch das Trauma erklärt sei. Eine weitere Differenzierung zwischen Unfallfolge und Vorschaden sei allerdings nicht (mehr) möglich. Aufgrund der Zweifel, dass die Schwerpunktneuropathie ursächlich sei, sei schon allein aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs von wenigen Tagen ein kausaler Zusammenhang der Beschwerden des Klägers mit dem Arbeitsunfall wahrscheinlicher, wenngleich ein ursächlicher Zusammenhang klinisch und mittels (elektrophysiologischer) Zusatzuntersuchungen nicht (mehr) sicher nachzuweisen sei.
26Der Sachverständige hat am 18. April 2017 und am 8. Oktober 2017 ergänzend zu den Einwendungen der Beklagten Stellung genommen.
27Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit dem angefochtenen Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, unter Abänderung des Bescheides der Unfallkasse Post und Telekom vom 13. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Juli 2015 verpflichtet, die bei dem Kläger bestehende „Fußheberparese rechts“ als Folge des Dienstunfalls vom 9. Juli 2014 anzuerkennen, und zur Begründung ausgeführt: Der Kläger habe Anspruch darauf, dass auch seine körperliche Beeinträchtigung in Gestalt einer „Fußheberparese rechts“ als Folge des gemäß § 31 BeamtVG anerkannten Dienstunfalls vom 9. Juli 2014 anerkannt werde. Die körperliche Schädigung sei ursächlich dadurch entstanden, dass dem Kläger am 9. Juli 2014 ein Paket auf Bein und Fuß gefallen sei. Es stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Schädigung des Klägers Folge des anerkannten Dienstunfalls sei. Dies folge zunächst aus der Feststellung des gerichtlich bestellten Sachverständigen, wonach der Zusammenhang zwischen dem vom Kläger geschilderten Unfallmechanismus und der Fußheberschwäche, die wiederum Folge der diagnostisch gesicherten Peroneusschädigung sei, als wahrscheinlich anzusehen sei. Die gegen die Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen vorgebrachten Bedenken seien von diesem sämtlich zur Kenntnis genommen und als nicht stichhaltig beurteilt worden. Dies gelte für die Vermutungen der Beklagten, die Fußheberschwäche beruhe ursächlich auf einer beim Kläger vorbestehenden und unfallunabhängigen Polyneuropathie mit Irritation des Nervus peroneus rechts bzw. auf einer chronisch lymphatischen Leukämie oder einer – operativ behandelten – degenerativen Veränderung der Wirbelsäule im Bereich der LWS. Mit Blick auf den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Auftreten der Fußheberparese halte der Sachverständige nachvollziehbar eine durch die Schwerpunktneuropathie verursachte Muskellähmung als Folge einer autoimmunen oder paraneoplastischen Nervenschädigung für unwahrscheinlich, wenn es – wie bei dem Kläger – im Anschluss über zwei Jahre hinweg nicht zu weiteren Muskellähmungen gekommen sei. Diese fachneurologische Bewertung sei nachvollziehbar und fordere keine weitere Beweiserhebung. Auch eine lymphatische Leukämie schließe der Sachverständige schlüssig und fachmedizinisch begründet als Auslöser sowohl für eine Schwerpunktneuropathie als auch für die Fußheberschwäche aus. Schließlich scheide der Gutachter nach einer Erörterung im Gutachten und seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. April 2017 auch die Bandscheibenoperation in der Uniklinik L1. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als Ursache für die Fußheberparese aus, ohne dass dem weitere substantielle Einwände entgegengesetzt worden seien. Bei dieser Sachlage, bei der ein gerichtlich bestellter Sachverständiger von vier in Betracht kommenden Ursachen drei nachvollziehbar und fachmedizinisch begründet ausscheide, erachte das Gericht die Schädigung des Klägers „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ als durch die verbleibende – vierte – in Betracht gezogene Ursache verursacht. Dies sei der Dienstunfall vom 9. Juli 2014. Dass der Sachverständige wegen des lange zurückliegenden Unfallereignisses mittels seiner medizinischen Möglichkeiten diesen Wahrscheinlichkeitsgrad nicht positiv habe darlegen können, sei in diesem Fall nicht von entscheidender Bedeutung. Diese Wertung obliege ausschließlich dem Gericht.
28Zur Begründung der von dem Senat mit Beschluss vom 5. November 2020 zugelassenen Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend: Sowohl der gerichtliche Sachverständige als auch das Verwaltungsgericht seien von einem falschen Unfallhergang ausgegangen. Im Übrigen lasse sich auch anhand der medizinischen Befunde eine Verletzung des Knies oder des Unterschenkels nicht belegen. Es seien in diesem Bereich keinerlei Verletzungszeichen erkannt worden, über Schmerzen sei nicht geklagt worden. Auch der Sachverständige räume ein, dass selbst der vom Kläger geschilderte Unfallhergang nicht typisch sei. Die Schädigung des Nervus peroneus entstehe nach Ansicht des Sachverständigen typischerweise durch einen chronischen Druck auf diese Nerven. Eine weitere Möglichkeit sei ein Hämatom oder ein Ödem, das durch die Verletzung entstanden sei und auf den Nerv drücke. Durch zeitnahe Untersuchungen habe auch dies ausgeschlossen werden können. Weiter konstruiere der Gutachter einen Zusammenhang mit der unfallunabhängig vorliegenden Polyneuropathie, die die Erholung des geschädigten Nervs verhindert habe. Da sich jedoch eine Schädigung des Nervs durch das Unfallereignis nicht nachweisen lasse, sei auch diese Schlussfolgerung abwegig. Auch der Hinweis auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem – nachgeschobenen und konstruierten – Unfallmechanismus und der Fußheberschwäche sei nicht geeignet, einen insoweit bestehenden Kausalzusammenhang nachzuweisen. Im Dienstunfallrecht bedürfe es insoweit des vollen Beweises im Sinne an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit; der Sachverständige halte den Kausalzusammenhang aber selbst nur für wahrscheinlich. Der Einzelrichter mache hieraus unzulässiger Weise und unter Verstoß gegen geltende Beweisregeln in eigener Wertung ein „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“. Durch keine medizinische Aussage könne im Sinne eines Vollbeweises nachgewiesen werden, dass die bei dem Kläger vorliegende Fußheberparese rechtlich wesentlich auf den Dienstunfall zurückzuführen sei.
29Die Beklagte beantragt,
30das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
31Der Kläger beantragt,
32die Berufung zurückzuweisen.
33Zur Begründung bezieht er sich zunächst auf seinen erstinstanzlichen Vortrag und macht ergänzend geltend, die Zweifel der Beklagten an dem von dem Kläger geschilderten Schadensablauf seien verspätet und angesichts des vorliegenden Gutachtens unbegründet. Der Sachverständige habe sowohl die bei dem Kläger vorliegende Leukämieerkrankung als auch Bandscheibenbeschwerden als Ursachen für die vorhandene Fußheberparese definitiv ausgeschlossen. Der Kläger habe auch keine geänderte Unfallschilderung „nachgeschoben“, vielmehr habe er – wie bereits mit Schriftsatz vom 10. Februar 2016 erstinstanzlich vorgetragen und unter Beweis gestellt und danach von der Beklagten nicht mehr bestritten – dargelegt, dass die erste Unfallmeldung telefonisch erfolgt sei und von der annehmenden Mitarbeiterin der Unfallhotline nicht zutreffend aufgenommen worden sei.
34Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung einschließlich der ergänzenden Befragung des Sachverständigen wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Senats vom 9. Juli 2021 Bezug genommen.
35Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (Beiakte Heft 1) sowie des von dem Verwaltungsgericht eingeholten Gutachtens (Beiakte Heft 2) einschließlich elektrophysiologischer Befunde (Beiakte Heft 3) Bezug genommen.
36Entscheidungsgründe
37Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
38Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung der Fußheberparese rechts als weitere Folge des bestandskräftig nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG anerkannten Dienstunfalls vom 9. Juli 2014. Der Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2015 sind insoweit, als sie diesen Anspruch verneinen, rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
39Die vom Kläger geklagte Fußheberparese ist im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in der hier maßgeblichen, bis zum 10. Januar 2017 gültig gewesenen Fassung vom 24. Februar 2010
40– dazu, dass sich die dienstunfallrechtliche Behandlung eines Ereignisses grundsätzlich nach dem zum Zeitpunkt des Dienstunfalls geltenden Recht beurteilt, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2019 – 2 A 6.18 –, juris, Rn. 15, m. w. N.–
41durch den Dienstunfall verursacht.
421. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
43Das hier maßgebliche Merkmal „ein (…) einen Körperschaden verursachendes Ereignis“ setzt einen mehrfachen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Dienst, dem Ereignis und dem Körperschaden voraus. Für die Frage der kausalen Verknüpfung zwischen Unfallereignis und (weiterem) Körperschaden ist dabei die sog. Theorie der wesentlichen Verursachung bzw. der zumindest wesentlich mitwirkenden Teilursache maßgeblich.
44Diese Auffassung dient in erster Linie der Differenzierung zwischen mehreren Ursachen, die adäquat kausal zu einem Unfall geführt haben. Dies zielt auf eine sachgerechte Risikoverteilung. Dem Dienstherrn sollen nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit oder nach der Lebenserfahrung auf sie zurückführbaren, für den Schaden wesentlichen Risiken aufgebürdet werden. Diejenigen Risiken, die sich aus persönlichen, von der Norm abweichenden Anlagen oder aus anderen als dienstlich gesetzten Gründen ergeben, sollen hingegen bei dem Beamten belassen werden. Der Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden besteht dann nicht mehr, wenn für den Erfolg eine weitere Bedingung ausschlaggebende Bedeutung hat.
45(Mit-)ursächlich für einen eingetretenen Körperschaden sind daher nur solche Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinn, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei natürlicher Betrachtungsweise zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben.
46Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. Dezember 2019– 2 A 6.18 –, juris, Rn. 17 ff., vom 25. Februar 2010 – 2 C 81.08 –, juris, Rn. 9, und vom 18. April 2002 – 2 C 22.01 –, juris, Rn. 11, sowie Beschluss vom 8. März 2004 – 2 B 54.03 –, juris, Rn. 7 f.
47Maßgebend ist, ob der Schaden, wie er konkret im dienstlichen Zusammenhang eingetreten ist, hypothetisch ohne Weiteres und in absehbarer Zeit auch im privaten Bereich hätte eintreten können. Diese Beurteilung beruht im Wesentlichen auf der Feststellung, in welchem Zustand sich das geschädigte Körperteil vor dem Unfall befand und welche spezifischen Anforderungen aus der dienstlichen Betätigung herrühren, die die Zuordnung des Schadensereignisses zur privaten Sphäre ausschließen.
48Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2004 – 2 B 54.03 –, juris, Rn. 9.
49Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht kann danach auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder (nur) beschleunigt. Diesem Ereignis darf allerdings im Verhältnis zu anderen Bedingungen – zu denen auch die bei Eintritt des äußeren Ereignisses schon vorhandene Veranlagung gehört – keine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommen, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtung allein als maßgeblich anzusehen sind.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2018 – 1 A 2072/15 –, juris, Rn. 19, und Urteil vom 23. November 2015 – 1 A 857/12 –, juris, Rn. 70, m. w. N.
51Keine Ursache im Rechtssinne ist demnach eine sog. Gelegenheitsursache. Eine solche Gelegenheitsursache ist gegeben, wenn die Beziehung zum Dienst ein rein zufällige ist und das schädigende Ereignis nach menschlichem Ermessen bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlass in naher Zukunft ebenfalls eingetreten wäre. Der Zusammenhang zum Dienst ist daher nicht anzunehmen, wenn ein anlagebedingtes Leiden durch ein dienstliches Vorkommnis nur rein zufällig ausgelöst worden ist. Dies ist in Fällen anzunehmen, in denen die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden des Beamten so leicht aktualisierbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte.
52Zu den Begrifflichkeiten zuletzt BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 2019 – 2 A 6.18 –, juris, Rn. 19, m. w. N.; ferner OVG NRW, Beschluss vom 27. Februar 2018 – 1 A 2072/15 –, juris, Rn. 19 f., und Urteil vom 23. November 2015 – 1 A 857/12 –, juris, Rn. 70 f., jeweils m. w. N.
53Die materielle Beweislast für den Nachweis des dienstunfallrechtlichen Kausalzusammenhangs trägt der (anspruchstellende) Beamte. Grundsätzlich bedarf es insoweit des vollen Beweises im Sinne einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“.
54Ständige Rechtsprechung, vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Februar 2018 – 1 A 2072/15 –, juris, Rn. 19 f., und vom 15. November 2017– 1 A 2597/16 –, juris, Rn. 12 f., sowie Urteil vom 23. November 2015 – 1 A 857/12 –, juris, Rn. 70 f., jeweils m. w. N.
552. Gemessen hieran liegt der dienstunfallrechtliche Kausalzusammenhang zwischen dem – als solchem bereits anerkannten – Dienstunfall vom 9. Juli 2014 und der bei dem Kläger diagnostizierten, auch von der Beklagten nicht bestrittenen Fußheberparese am rechten Fuß vor. Dieser Körperschaden beruht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit kausal auf dem Dienstunfall (dazu a). Es handelt sich bei dem Dienstunfall auch unter Berücksichtigung der Vorerkrankung des Klägers um eine wesentliche (Mit)Ursache (dazu b). Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem auf der Grundlage der vorliegenden fachärztlichen Berichte und eigener Untersuchungen erstellten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. T1. vom 20. Juli 2016, dessen weiteren Stellungnahmen vom 18. April 2017 und vom 8. Oktober 2017 sowie insbesondere dessen ergänzenden und klarstellenden Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2021.
56a) Die bei dem Kläger bestehende Fußheberparese rechts resultiert danach aus einer Schädigung des Nervus peroneus profundus rechts (dazu aa)), die wiederum Folge des Unfallgeschehens vom 9. Juli 2014 ist (dazu bb)).
57aa) Zunächst begegnet die Einschätzung des Sachverständigen, die Körperschädigung des Klägers sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch die Läsion des Nervus peroneus profundus verursacht und nicht etwa (maßgeblich) auf andere Ursachen zurückzuführen, unstreitig keinen Bedenken (mehr).
58Der Sachverständige hat – wie schon das Verwaltungsgericht dargelegt hat – insbesondere nachvollziehbar erklärt, warum die Fußheberschwäche weder durch die seit Jahren bestehende, nur fachonkologisch beobachtete chronische Leukämie verursacht sein kann noch auf einen Bandscheibenvorfall, auf eine Schädigung des Nervus ischiadicus oder (allein) auf die bestehende Polyneuropathie unklarer Genese zurückzuführen ist. Dies hat die Beklagte im Berufungsverfahren auch nicht mehr angegriffen.
59bb) Der Dienstunfall vom 9. Juli 2014 ist auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ursächlich für diese diagnostizierte Schädigung des Nervus peroneus und damit in der Folge auch für die hierdurch verursachte Fußheberschwäche.
60In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige zwar erklärt, es sei „wahrscheinlich“, dass die Fußheberschwäche des Klägers eine Folge des Unfallgeschehens vom 9. Juli 2014 sei. Auf ergänzende Fragen des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2021 hat er diese Einschätzung für den Senat jedoch ohne Weiteres nachvollziehbar dahingehend erläutert, dass damit eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gemeint gewesen sei.
61(1) Der Sachverständige hat insoweit ausgeführt, es fehle im Ansatz an einer anderen plausiblen Ursache für die Schädigung des Nervus peroneus. Namentlich sei es auszuschließen, dass dieser infolge der Behandlung des verletzten Zehs, beispielsweise durch eine Kühlung oder einen Verband, geschädigt worden sei. Der Zeh sei von dem Ort der Schädigung im Bereich des Wadenbeinköpfchens zu weit entfernt.
62(2) Es treffe zwar zu, dass ein einfacher Schlag durch das Auftreffen des Paktes auf den Nervus peroneus auch an dieser Stelle, an der der Nerv relativ oberflächlich verlaufe und daher besonders leicht verletzt werden könne, für sich genommen nicht zu dessen (dauerhafter) Schädigung ausreiche. Es bedürfe vielmehr grundsätzlich einer länger andauernden Drucksituation, also einer traumatischen (durch den Schlag bedingten) Weichteilschwellung durch ein Ödem oder Hämatom. Davon, dass eine solche Weichteilschwellung vorgelegen habe, sei jedoch angesichts des sehr engen zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem Dienstunfallgeschehen und dem ersten Auftreten der Fußheberschwäche zwingend auszugehen. Dieses zeitliche Intervall lasse sich nämlich gerade und letztlich nur dadurch erklären, dass die Schwellung sich nach dem Aufpralltrauma zunächst ausgebildet habe, was dann zu der Drucksituation und in deren Folge zu der Schädigung des Nervus peroneus geführt habe.
63(3) Dieser Würdigung steht nicht entgegen, dass sich in der am 21. Juli 2014 telefonisch aufgenommenen Unfallanzeige nur die Angabe findet, eine schwere und unhandliche Sendung sei dem Kläger aus den Händen auf den rechten Fuß gerutscht, ein Aufprall im Kniebereich also nicht erwähnt wird. Dass dieser Aufprall stattgefunden (und die zwingend anzunehmende Weichteilschwellung hervorgerufen) hat, ist nämlich auch dann nicht zweifelhaft, wenn der Kläger ihn bei der Abgabe seiner Unfallanzeige am 21. Juli 2014 entgegen seiner späteren Behauptung tatsächlich nicht geschildert haben sollte. Dies wäre im Gegenteil ohne weiteres nachvollziehbar (und sogar naheliegend). Zwar hatte sich die Fußheberparese schon wenige Tage nach dem Unfall manifestiert,
64vgl. den Bericht der Uniklinik L1. , Dr. C. , vom 5. August 2014, nach dem der Kläger berichtet hat, dass die Fußheberparese "seit dem 13.07.2014" bestehe, den Ärztlichen Abschlussbericht des Dürener Rehabilitationszentraums, Dr. C1. , vom 10. November 2014, nach dem der Kläger am 12. Juli 2014 festgestellt hat, dass er den Vorfuß nicht mehr habe heben können, und die Stellungnahme des Sachverständigen vom 18. April 2017, S. 4 unten, der dementsprechend von einem "engen zeitlichen Zusammenhangs von wenigen Tagen" spricht,
65so dass der Kläger bei der Abgabe der Unfallanzeige schon unter dieser litt. Berücksichtigt man aber die Erläuterung des Sachverständigen, die sicher anzunehmende Weichteilschwellung im Kniebereich müsse weder sichtbar noch schmerzhaft gewesen sein, so sprach aus der Sicht des Kläger – eines medizinischen Laien – am 21. Juli 2014 mangels entsprechender Symptome nichts dafür, die Parese überhaupt mit dem scheinbar folgenlosen Aufprall des Pakets im Kniebereich in Verbindung zu bringen und dieses daher gänzlich unwichtig erscheinende Teilgeschehen des Unfalls zu erwähnen. Dieser Einschätzung entspricht, dass der Kläger einen Aufprall im Kniebereich noch im Jahr 2015 rückschauend eher vermutet denn als sicher geschehen geschildert hat. So heißt es etwa in dem Bericht der Frau Dr. U. vom 2. Juli 2015 im Abschnitt "Anamnese":
66"Am 09.07.2014 war Herrn S. ein schwerer Gegenstand auf den rechten Fuß, retrospektiv wohl auch auf das Knie gefallen."
67Entsprechendes haben auch Herr Dr. L3. und die Assistenzärztin, Frau S1. , in ihrem Befundbericht vom 5. August 2015 anamnestisch festgehalten ("rückschauend vermutlich auch auf das Knie gefallen").
68(4) Gegen die dienstunfallrechtliche Ursächlichkeit des Dienstunfalls für die Schädigung des Nervus peroneus lässt sich auch nicht einwenden, die erforderliche Weichteilschwellung sei diagnostisch nicht sicher nachgewiesen worden.
69Der Sachverständige ist bei seiner Befragung durch den Senat in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2021 auch vor dem Hintergrund, dass eine Weichteilschwellung im Bereich des Nervus peroneus nicht nachgewiesen wurde, ausdrücklich bei seiner Einschätzung geblieben, diese Schädigung sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den Dienstunfall verursacht worden, weil eine solche Weichteilschwellung aus seiner Sicht sicher vorgelegen habe. Für diese Bewertung spricht, wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, gerade das zwischen dem Dienstunfall und den ersten Symptomen der Fußheberschwäche liegende zeitliche Intervall. Dieses entspricht nämlich gerade dem Zeitraum, den eine Weichteilschwellung typischerweise bis zu ihrer vollen Ausbildung und damit bis zu dem Zeitpunkt benötigt, von dem an sie den Nervus peroneus durch (persistierenden) Druck schädigt und infolgedessen die Fußheberparese herbeiführt. Das Fehlen einer entsprechenden Diagnose durch einen der unmittelbar nach dem Unfall behandelnden Ärzte wird durch die Erläuterung des Sachverständigen, eine solche Schwellung müsse (selbst für den Kläger) weder sichtbar noch fühlbar gewesen sein, ohne weiteres nachvollziehbar erklärt. Erkennbar aus diesem Grund ist zeitnah zum Unfall auch eine entsprechende Untersuchung des rechten Unterschenkels bzw. der betroffenen Region unterhalb des Knies nicht veranlasst worden. Die MRT des Oberschenkels und Knies rechts, die erst nach der am 24. Juli 2014 erfolgten stationären Aufnahme in die Uniklinik L1. und damit mit Abstand von über zwei Wochen zu dem Unfallgeschehen vorgenommen worden ist (vgl. den Bericht der Klinik vom 5. August 2014, S. 2, "Therapie und Verlauf"), konnte, wie der Sachverständige überzeugend dargelegt hat, aufgrund des Zeitablaufs eine Weichteilschwellung nicht mehr nachweisen. Der unauffällige MRT-Befund spricht im Übrigen auch nicht gegen das Vorliegen der (nach Rückbildung der Weichteilschwellung verbliebenen) Nervenschädigung. Insoweit hat der Sachverständige nämlich nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass direkte Nervenschädigungen mitunter nur mittels Spezialsequenzen nachweisbar seien.
70Zudem wird diese Bewertung durch das Fehlen einer anderen möglichen Ursachen für die diagnostisch gesicherte Schädigung des Nervus peroneus gestützt. Aus der überzeugenden (s. o.) Sicht des Sachverständigen gibt es keine andere plausible Erklärung für die Schädigung des Nervs als den Aufprall des Pakets unterhalb des Knies. Gegen ein zeitlich früheres oder späteres Trauma, das nicht durch den Dienstunfall verursacht wurde, spricht wiederum der gegebene zeitliche Ablauf von Trauma, Ausbildung der Weichteilschwellung und wenige Tage nach dem Trauma einsetzender Schädigung des Nervus peroneus durch nachfolgend länger persistierenden Druck, wie er durch den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung erläutert worden ist.
71b) Das bei Ausübung des Dienstes erlittene Aufpralltrauma knapp unterhalb des Knies (Dienstunfall) ist eine wesentlich mitwirkende Ursache im Sinne des Dienstunfallrechts für die Fußheberschwäche des Klägers. Ihm kommt jedenfalls zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für die Entstehung der Fußheberschwäche (hierzu aa)) wie auch für deren Fortdauern (hierzu bb)) zu wie dem hier ansonsten nur noch in Betracht kommenden Umstand, dass der Kläger an einer Polyneuropathie unklarer Genese leidet. Auch handelt es sich bei dem Dienstunfall nicht um eine bloße Gelegenheitsursache (hierzu cc)).
72aa) Der Dienstunfall hat zunächst auch in Ansehung des Vorbestehens einer Polyneuropathie bei dem Kläger wesentlich zum kurzfristigen Eintritt der Fußheberschwäche geführt.
73Die Nervenerkrankung des Klägers in Form einer vornehmlich demyelinisierenden sensomotorischen Polyneuropathie könnte zwar nach den Angaben des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 9. Juli 2021 zu einer erhöhten Vulnerabilität des Nervs geführt haben, weil der betroffene Nerv nicht mehr durch die Ummantelung geschützt ist. Der Sachverständige hat jedoch überzeugend ausgeführt, dass, selbst wenn bei einem polyneuropathisch vorgeschädigten Nerv die gleiche Einwirkung zu einem größeren Schaden als bei einem gesunden Nerv führen könne, dennoch die konkrete Einwirkung, hier also der Dienstunfall in Form des Aufpralltraumas durch das Paket, wesentlich für die Schädigung sei. Ohne eine solche Einwirkung wäre es nicht zu dieser Schädigung gekommen.
74bb) Auch die dauerhafte Verfestigung der Fußheberschwäche bei dem Kläger kann jedenfalls nicht so weit der vorbestehenden Polyneuropathie und damit dem individuellen Lebensschicksal des Klägers zugerechnet werden, dass der Dienstunfall nicht mehr als wesentliche (Mit-)Ursache im Sinne des Dienstunfallrechts angesehen werden kann. Dem Dienstunfall kommt im Verhältnis zu der bei dem Kläger schon vorhanden gewesenen Veranlagung (Polyneurophatie) keine derart untergeordnete Bedeutung für die Fortdauer der Fußheberschwäche zu, dass diese Vorerkrankung bei natürlicher Betrachtung allein oder überwiegend als maßgeblich für den eingetretenen Dauerschaden anzusehen ist.
75Nach der Einschätzung des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten wäre zwar typischerweise innerhalb von wenigen Wochen eine deutliche Besserung der Symptomatik zu erwarten gewesen. Dieser typische Ablauf sei mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen der diagnostizierten chronischen fortgeschrittenen Nervenschädigung verhindert worden. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige dies jedoch dahingehend präzisiert, dass sich zwar ein durch eine Polyneuropathie geschädigter Nerv schlechter regeneriere, jedoch nicht festgestellt werden könne, ob der Beitrag der Polyneuropathie zu der ausbleibenden Besserung der Fußheberschwäche wesentlich oder unwesentlich sei. Für die Regeneration sei neben dem Grad der Vorschädigung im Wesentlichen das Ausmaß der Schädigung maßgeblich, hier also das gerade nicht bekannte Ausmaß der Schädigung des Nervs durch den Aufprall des Pakets. Danach können die Verursachungsanteile nicht weiter aufgeklärt werden, mit der Folge, dass die Schädigung durch den Dienstunfall nicht zu Lasten des Klägers als derart untergeordnet angesehen werden kann, dass sie nicht mehr zumindest als wesentlich mitwirkende Teilursache anzusehen ist.
76cc) Schließlich ist der Dienstunfall auch nicht eine bloße Gelegenheitsursache für die (dauerhafte) Schädigung des Nervus peroneus. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das insoweit nur in Betracht kommende anlagebedingte Leiden (Polyneuropathie) so leicht ansprechbar war, dass auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte wie der Dienstunfall.
77Die bei dem Kläger diagnostizierte Polyneuropathie führte nicht zu einer derartigen Vulnerabilität der Nerven, dass tatsächlich ein anderes alltägliches Ereignis (etwa das bloße Sitzen mit übereinandergeschlagenen Beinen oder langes Hocken) hypothetisch ohne Weiteres und in absehbarer Zeit zu vergleichbaren, schweren Nervenschädigungen geführt hätten. Der Sachverständige hat insoweit nachvollziehbar darauf verwiesen, dass die Polyneuropathie des Klägers für sich genommen weder vor noch nach dem Dienstunfall zu anderen Nervschädigungen geführt habe.
78Zwischen dem Dienstunfall und dem (Gesundheits-)Schaden des Klägers besteht auch keine nur rein zufällige Beziehung. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, der Kläger habe letztlich Pech gehabt, dass das Paket genau die besonders vulnerable Stelle des Peroneusnervs getroffen habe. Diese Erläuterung verdeutlicht, dass nicht jedes beliebige andere Ereignis die gleichen Wirkungen gehabt hätte. Es war vielmehr eine konkrete Schädigung an genau dieser Stelle des Nervs erforderlich, wie sie durch den Aufprall des Pakets stattgefunden hat. Damit liegt ein prägender dienstlicher Bezug vor, angesichts dessen die Unfallfolgen nicht allein dem privaten Bereich des Klägers zuzurechnen sind.
79Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
80Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO und des § 127 des Beamtenrechtsrahmengesetzes nicht vorliegen.
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Referenzen
- BeamtVG § 31 Dienstunfall 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- VwGO § 132 1x
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- 1 A 2072/15 3x (nicht zugeordnet)
- 1 A 857/12 3x (nicht zugeordnet)
- 1 A 2597/16 1x (nicht zugeordnet)