Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 21 E 595/21
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Verwaltungsgericht Köln zur erneuten Entscheidung über den Vollstreckungsantrag vom 29. April 2021 mit der Maßgabe zurückverwiesen, den beantragten Haftbefehl gegen die Geschäftsführerin der Vollstreckungsschuldnerin zum Zwecke der ihr mit Vollstreckungsverfügung vom 28. Januar 2021 aufgegebenen Abgabe der Vermögensauskunft zu erlassen. Die insoweit erforderlichen Anordnungen werden dem Vorsitzenden der 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln übertragen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Vollstreckungsschuldnerin.
1
G r ü n d e
2Die Beschwerde hat Erfolg.
3Sie ist zulässig, insbesondere nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaft, da sie an die Stelle der in den entsprechend anzuwendenden Normen eröffneten sofortigen Beschwerde tritt (allgemein § 167 VwGO i. V. m. § 793 ZPO; hier spezieller § 169 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 5 Abs. 1 VwVG, § 284 Abs. 8 Satz 7 AO, § 567 Abs. 1 ZPO, weil der Vollstreckungsgläubiger als Öffentlich bestellter Vermessungsingenieur und damit Beliehener als Teil der öffentlichen Hand anzusehen ist,
4vgl. Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 167 Rn. 5 ff. und 14 ff., Stand: Oktober 2016, sowie § 169 Rn. 148 m. w. N., Stand: Juli 2011).
5Die Beschwerde ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte den auf Erlass eines Haftbefehls gerichteten Vollstreckungsantrag vom 29. April 2021 nicht ablehnen dürfen.
6Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen liegen, wie sich aus der Vollstreckungsverfügung vom 23. September 2020 sowie den Vollstreckungsaufträgen vom 28. Januar 2021 und vom 23. März 2021 ergibt, unzweifelhaft vor. Da die Geschäftsführerin der Vollstreckungsschuldnerin im Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne ausreichende Entschuldigung nicht erschienen ist, liegen auch die Voraussetzungen zum Erlass eines Haftbefehls grundsätzlich vor (§ 169 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 5 Abs. 1 VwVG, § 284 Abs. 8 Satz 1 und 3 AO, § 802g Abs. 1 Satz 1 ZPO).
7Diese Vollstreckungsmaßnahme ist – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts – auch nicht mangels Eignung unverhältnismäßig. Es liegen keine sicheren und verlässlichen Hinweise auf eine Vermögenslosigkeit der Vollstreckungsschuldnerin vor. Diese folgen insbesondere nicht aus den Schreiben der Gerichtsvollzieherin U. vom 9. November 2020 und 14. April 2021. Zwar mag es sich bei der Anschrift der Vollstreckungsschuldnerin um eine „Briefkastenanschrift“ handeln, an der einer Sachpfändung zugängliches Vermögen nicht vorhanden ist, und weder ein Kraftfahrzeug noch ein Konto der Vollstreckungsschuldnerin existieren. Diese hat jedoch bislang keinen Insolvenzantrag gestellt und in ihrem Jahresabschluss vom 25. März 2020 für das Jahr 2018 noch nicht unbeträchtliches Eigenkapital ausgewiesen. Insofern ist die Vermögensauskunft erforderlich, um festzustellen, worin dieses Eigenkapital bestanden hat und ggfs. noch besteht und es damit überhaupt erst für die Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers zugänglich zu machen. Bezeichnenderweise hat die anwaltlich vertretene Vollstreckungsschuldnerin selbst im vorliegenden Vollstreckungsverfahren zu keinem Zeitpunkt Vermögenslosigkeit geltend gemacht. Zwar ist nicht auszuschließen, dass die Vollstreckungsschuldnerin sich als vermögenslos erweist, doch solange keine sicheren und verlässlichen Hinweise darauf vorliegen, bleibt es dem Vollstreckungsgläubiger unbenommen, auf eigenes Kostenrisiko die Vollstreckung weiter zu betreiben, ohne dass die sich nicht dazu äußernde und jede Mitwirkung vermissen lassende Vollstreckungsschuldnerin schutzwürdig wäre.
8Der Senat beschränkt sich neben der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses auf die Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht und macht dabei von seiner Befugnis Gebrauch, dem Vorsitzenden, von dem die beschwerende Entscheidung erlassen war, die erforderlichen Anordnungen zu übertragen (§ 169 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 5 Abs. 1 VwVG, § 284 Abs. 8 Satz 7 AO, § 572 Abs. 3 ZPO).
9Vgl. zur grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 572 Abs. 3 ZPO im Verwaltungsprozess: OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2009 – 15 E 31/09 –, juris, Rn. 12; Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 169 Rn. 8 und 149 m. w. N., Stand: Juli 2011.
10Letzteres trägt sowohl der nach § 167 Abs. 1 Satz 2 und § 169 Abs. 1 Satz 2 VwGO verfahrensrechtlich herausgehobenen Rolle des Vorsitzenden des Ausgangsgerichts, der als Vollstreckungsgericht nach § 169 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 5 Abs. 1 VwVG, § 284 Abs. 8 Satz 2 AO selbst zuständig für die Anordnung der Haft ist, als auch dem Rechtsschutzbedürfnis des Vollstreckungsgläubigers und der Verfahrensökonomie in der konkreten Lage des Vollstreckungsverfahrens angemessen Rechnung. Unabhängig davon, ob der Senat als Beschwerdegericht aufgrund des Devolutiveffekts der Beschwerde umfassend gerade auch in die Position des Vollstreckungsgerichts eintritt,
11vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 10. September 2013 – 16 E 100/13 –, juris, Rn. 13 ff. m. w. N.,
12und deshalb selbst den beantragten Haftbefehl erlassen könnte, besteht die Gefahr von Verzögerungen im weiteren Vollstreckungsverfahren, wenn den Beteiligten und/oder dem für den Vollzug des Haftbefehls zuständigen Gerichtsvollzieher unklar wäre, mit welchen Nachfragen/Rückmeldungen sie sich an den Senat und mit welchen an den Vorsitzenden des Verwaltungsgerichts zu wenden hätten. Durch die Übertragung der entsprechenden Anordnungen auf den Vorsitzenden des Gerichts des ersten Rechtszugs bleibt das weitere Vollstreckungsverfahren hingegen „in einer Hand“.
13Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für erstinstanzliche Verfahren dieser Art eine Festgebühr (Nr. 5301 der Anlage 1 zum GKG) bestimmt ist und für das Beschwerdeverfahren eine Gebühr nur entsteht, wenn – anders als hier – die Beschwerde verworfen oder zurückgewiesen wird (Nr. 5502 der Anlage 1 zum GKG).
14Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Referenzen
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- ZPO § 567 Sofortige Beschwerde; Anschlussbeschwerde 1x
- § 5 Abs. 1 VwVG 4x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 802g Erzwingungshaft 1x
- VwGO § 169 4x
- § 284 Abs. 8 Satz 7 AO 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- 15 E 31/09 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 1x
- 16 E 100/13 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 793 Sofortige Beschwerde 1x
- VwGO § 167 1x
- ZPO § 572 Gang des Beschwerdeverfahrens 2x
- § 284 Abs. 8 Satz 1 und 3 AO 1x (nicht zugeordnet)