Urteil vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 10 D 80/19.NE
Tenor
Die 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. „Graben- und Wallzone“ der Stadt L. ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 von Hundert des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Antragsteller wenden sich gegen die 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. „Wall- und Grabenzone“ der Stadt L. (im Folgenden: Änderungsbebauungsplan). Sie sind Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks X.‑straße 25 in L. (Gemarkung L., Flur 9, Flurstück 411), das sich in einem festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet befindet. Ihr Grundstück grenzt westlich an den Geltungsbereich des Änderungsbebauungsplans. Das circa 0,5 ha große Plangebiet ist Teil der historischen Graben- und Wallzone L1., die den Stadtkern nahezu vollständig umschließt und den Verlauf der alten Befestigungs- und Schutzanlagen erkennen lässt.
3Der Ursprungsbebauungsplan aus dem Jahre 1980 setzt ausschließlich eine öffentliche Grünfläche mit den Zweckbestimmungen „Bolzplatz“ im Norden und „Parkanlage“ im Süden fest. Der Änderungsbebauungsplan sieht demgegenüber im südwestlichen Bereich der öffentlichen Grünfläche die Zweckbestimmung „Sportfläche Kleinfeldfußball“ und im Übrigen die Zweckbestimmung „Parkanlage“ vor. Ziel der Planung ist es, aus Gründen des Immissionsschutzes den Abstand der Ballspielfläche zur Wohnbebauung zu vergrößern.
4Das Planverfahren nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf: Der Rat beschloss am 12. Juli 2018 die Aufstellung des Änderungsbebauungsplans im beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB. Die frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung und die Beteiligung der Behörden und Träger öffentlicher Belange fand im Zeitraum vom 3. September bis 5. Oktober 2018 statt. Der Planentwurf lag in der Zeit vom 15. April bis 17. Mai 2019 öffentlich aus. Am 11. Juli 2019 beschloss der Rat den Änderungsbebauungsplan als Satzung. Der Satzungsbeschluss wurde am 8. August 2019 öffentlich bekannt gemacht.
5Die Antragsteller haben am 16. August 2019 den Normenkontrollantrag gestellt. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Die Voraussetzungen für das beschleunigte Verfahren nach § 13a BauGB lägen nicht vor. Das Plangebiet sei als Außenbereichsfläche zu qualifizieren. Es sei weder von einem Siedlungsbereich umschlossen noch nehme es an einem Bebauungszusammenhang teil. Darüber hinaus beruhe der Änderungsbebauungsplan auf einer fehlerhaften Abwägung. Er setze eine Sportanlage fest, obwohl ein Bolzplatz gemeint sei, sodass ein Etikettenschwindel gegeben sei. Zudem würden sie und die übrigen Anwohner nicht ausreichend vor dem mit der Nutzung der Ballspielfläche verbundenen Lärm geschützt. Eine hinreichende Untersuchung der Lärmimmissionen habe nicht stattgefunden. Zwar läge ein Schallgutachten vor, dieses weise jedoch verschiedene Fehler auf. Auch die Lage der Sportfläche neben einem Friedhof sei abwägungsfehlerhaft.
6Die Antragsteller beantragen,
7die 3. Änderung des Bebauungsplans Nr. – Graben- und Wallzone – der Stadt L. für unwirksam zu erklären.
8Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.
9Sie trägt im Wesentlichen vor: Das Verfahren nach § 13a BauGB sei unter Berücksichtigung der Lage des Plangebiets innerhalb des Stadtgefüges, der Bedeutung des historischen Grünzuges für die Innenstadt und die angrenzende Bebauung anwendbar. Dabei habe der Rat nicht nur den sparsamen Umgang mit Grund und Boden, sondern auch das Ziel des Gesetzgebers, Bauleitpläne zur Erhaltung und Fortentwicklung vorhandener Ortsteile zu fördern, berücksichtigt. Es bestehe ein Bedarf für zentrumsnahe Spiel- und Bewegungsmöglichkeiten. Die Sportfläche ermögliche eine öffentlich zugängliche und generationsübergreifende Nutzung. Es sei nur mit geringeren Lärmimmissionen zu rechnen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Aufstellungsvorgänge (1 Heft).
11Entscheidungsgründe
12Die Entscheidung ergeht gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter.
13Der Antrag hat Erfolg.
14Die Antragsteller sind antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 VwGO). Einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO kann jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Dabei sind an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung keine höheren Anforderungen zu stellen als § 42 Abs. 2 VwGO es tut. Es genügt, wenn der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem seiner Rechte verletzt wird. Die Antragsbefugnis fehlt nur, wenn subjektive Rechte offensichtlich nicht und nach keiner Betrachtungsweise verletzt sein können.
15Gemessen daran sind die Antragsteller antragsbefugt. Nach ihrem Vorbringen erscheint es möglich, dass sie durch die mit der Nutzung der geplanten Ballspielfläche verbundenen Geräuschimmissionen unzumutbar beeinträchtigt werden, so dass der Rat das ihnen zustehende Recht auf gerechte Abwägung ihrer privaten Interessen aus § 1 Abs. 7 BauGB verletzt haben könnte.
16Der Antrag ist auch begründet.
17Der Änderungsbebauungsplan leidet an formellen Fehlern, die nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich sind und zu seiner Unwirksamkeit führen.
18Der Änderungsbebauungsplan durfte nicht im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden. Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB kann ein Bebauungsplan für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder andere Maßnahmen der Innenentwicklung (Bebauungsplan der Innenentwicklung) im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden. Dies gilt entsprechend für die Änderung und Ergänzung eines Bebauungsplans gemäß § 13a Abs. 4 BauGB.
19Das Tatbestandsmerkmal der Innenentwicklung beschränkt den räumlichen Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens. Innenentwicklung ist nur innerhalb des Siedlungsbereichs zulässig. Überplant werden dürfen im beschleunigten Verfahren nur Flächen, die von einem Siedlungsbereich mit dem Gewicht eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils umschlossen werden. Die äußeren Grenzen des Siedlungsbereichs dürfen durch den Bebauungsplan nicht in den Außenbereich erweitert werden. Es kommt für die Bestimmung der Grenzen des Siedlungsbereichs auf die tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf die planungsrechtliche Situation an, wie sich aus der Gesetzesbegründung und den gesetzlichen Beispielsfällen, die an einen ehemals oder aktuell noch vorhandenen Baubestand anknüpfen, ergibt. Darin kommt zum Ausdruck, dass für die Innenentwicklung auf solche Flächen zugegriffen werden soll, die bereits baulich in Anspruch genommen wurden und ihre bodenrechtliche Schutzwürdigkeit durch die damit einhergehende Versiegelung jedenfalls teilweise schon verloren haben. Der Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens ist aber zugleich auch inhaltlich beschränkt soweit die Vorschrift nur Bebauungspläne für die Wiedernutzbarmachung von Flächen, die Nachverdichtung oder eine andere Maßnahme der Innenentwicklung begünstigt.
20Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Juni 2021 – 4 CN 6.19 –, juris, Rn. 17, vom 25. Juni 2020 – 4 CN 5.18 –, juris, Rn. 28 und vom 4. November 2015 – 4 CN 9.14 –, juris, Rn. 22 f.
21Sowohl der räumliche als auch der inhaltliche Anwendungsbereich der Vorschrift sind hier nicht gegeben.
22Das Plangebiet gehört nicht zum Siedlungsbereich in dem oben beschriebenen Sinne, sondern ist als Außenbereich zu qualifizieren. Die circa 0,5 ha große Grünfläche gehört als Teil einer wesentlichen größeren unbebauten Fläche, der sogenannten Graben- und Wallzone, zu einem Grüngürtel, der den Stadtkern der Antragsgegnerin nahezu vollständig umschließt.
23Unabhängig davon dient der Änderungsbebauungsplan auch inhaltlich nicht einer „anderen Maßnahme der Innenentwicklung“. Dieser Auffangtatbestand umfasst alle Maßnahmen der Innenentwicklung, die nicht als Wiedernutzbarmachung von Flächen oder als Nachverdichtung zu beurteilen sind. Darunter fallen städtebauliche Maßnahmen in dem Gebiet, das überplant wird. Die maßgeblichen Ziele der Innenentwicklung sollen grundsätzlich im Geltungsbereich des Bebauungsplans erreicht werden und der Entwicklung der überplanten Fläche dienen. Ein Bebauungsplan nach § 13a BauGB muss mithin die bauplanungsrechtliche Grundlage für Maßnahmen der Innenentwicklung selbst schaffen. Es reicht nicht aus, wenn aufgrund eines nur mittelbaren Ursachenzusammenhangs die Innenentwicklung in anderen Teilen des Siedlungsbereichs positiv beeinflusst wird. Die Ausrichtung auf die städtebauliche Entwicklung nach innen schließt des Weiteren die alleinige Verfolgung anderer Zielsetzungen, wie zum Beispiel solche des Umweltschutzes, aus.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2021 – 4 CN 6.19 –, juris, Rn. 18.
25Der Änderungsbebauungsplan soll demgegenüber nach der Planbegründung ausschließlich den Immissionsschutz für die benachbarte Wohnbevölkerung verbessern. Der Rat wollte mithin nicht die überplante Fläche entwickeln, sondern durch die Verlegung der Ballspielfläche mittelbare Folgewirkungen außerhalb des Plangebiets erreichen.
26Der Änderungsbebauungsplan leidet aufgrund der Wahl des beschleunigten Verfahrens an beachtlichen Mängeln, weil es – insoweit folgerichtig – an einer Umweltprüfung (§ 2 Abs. 4 BauGB) und einem Umweltbericht (§ 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB) fehlt. Der Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB beachtlich.
27Die Aufstellung des Änderungsbebauungsplans im beschleunigten Verfahren kann auch nicht im Nachhinein als Aufstellung eines Bebauungsplans im vereinfachten Verfahren gemäß § 13 BauGB verstanden werden, in dem eine Umweltprüfung und ein Umweltbericht ebenfalls nicht erforderlich gewesen wären. Die verfahrensrechtlichen und die inhaltlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten schließen es aus, den vom Rat tatsächlich eingeschlagenen Verfahrensweg im Nachhinein umzudeklarieren.
28Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2016 – 4 BN 14.16 –, juris, Rn. 10; Külpmann, jurisPR-BVerwG 14/2017, Anm. 4.
29Die aufgezeigten Mängel wurden von den Antragstellern innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gerügt und führen zur Unwirksamkeit des Änderungsbebauungsplans insgesamt.
30Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
31Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
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Referenzen
- § 13a BauGB 4x (nicht zugeordnet)
- § 13 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 87a 1x
- VwGO § 47 2x
- VwGO § 42 1x
- § 1 Abs. 7 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB 2x (nicht zugeordnet)
- § 13a Abs. 1 Satz 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 13a Abs. 4 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 2 Abs. 4 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 2a Satz 2 Nr. 2 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 132 1x