Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 50/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist unbegründet. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, gibt keinen Anlass, den angefochtenen Beschluss aufzuheben oder zu ändern.
3Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin vorläufig bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zum Auswahlverfahren für den gehobenen Polizeivollzugsdienst des Landes Nordrhein-Westfalen zuzulassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es fehle jedenfalls an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass entgegen der Feststellung des Antragsgegners die für eine Einstellung in den Polizeivollzugsdienst erforderliche aktuelle gesundheitliche Eignung gegeben sei. Der Antragsgegner habe sich auf das polizeiamtsärztliche Gutachten des LRMD Dr. Q. vom 21. September 2021 stützen dürfen. Das Gutachten begründe die fehlende Polizeidiensttauglichkeit der Antragstellerin in sich schlüssig und widerspruchsfrei sowie überzeugend, indem es aus der gesicherten Diagnose einer Laktose- sowie Fruktoseintoleranz (Fruktosemalabsorption) unter Benennung der Symptomatik, Behandlungs- und Heilungsmöglichkeiten die Auswirkungen auf den Polizeivollzugsdienst und die Einsetzbarkeit der Antragstellerin herausarbeite. Dabei habe es keiner eigenen Befunderhebung durch den Polizeiarzt bedurft. Die Antragstellerin habe im Rahmen der späteren Anhörung zur beabsichtigten Nichtberücksichtigung ihrer Bewerbung selbst einen Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. C. vom 6. August 2021 zu den Unterlagen gereicht, in dem die gemessenen Befunde nach Fruktose-Gabe (40 ppm nach 60 Minuten, Beschwerden = Meteorismus) bzw. Laktose-Gabe (23 ppm nach 120 Minuten) aufgeführt und die Diagnosen „Fruktoseintoleranz (E 74.1 G)“ und „Laktoseintoleranz (E 73.9 G)“ bescheinigt seien. Dieser Bericht sei zur Grundlage der polizeiamtsärztlichen Begutachtung gemacht worden, ebenso wie die weitere von der Antragstellerin vorgelegte ärztliche Bescheinigung des Dr. C. vom 13. September 2021, in der die Diagnosen „Laktoseintolerenz“ und „Fruktosemalabsorptionssyndrom“ genannt seien. Weiter gehe LRMD Dr. Q. in seinem Gutachten darauf ein, dass eine Laktoseintoleranz nicht heilbar sei und ihr (nur) durch eine laktosefreie Ernährung begegnet werden könne. Im Hinblick auf die Fruktoseintoleranz (Fruktosemalabsorption) führe er aus, dass es infolge einer unzureichenden Resorption im Darm zu Abdominalbeschwerden wie Blähungen, Durchfall oder Stuhlunregelmäßigkeiten komme und eine Behandlung außer durch Verzicht auf fruktosehaltige Nahrungsmittel nicht möglich sei. Im Anschluss ziehe er die Schlussfolgerung, dass die Antragstellerin den dienstlichen Anforderungen im Sinne einer universellen Einsetzbarkeit im Polizeivollzugsdienst auf Dauer nicht genüge. Die von der Antragstellerin beigebrachten Bescheinigungen des Dr. C. vom 6. August 2021 und 13. September 2021 sowie der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. vom 5. November 2021 seien nicht geeignet, die im polizeiamtsärztlichen Gutachten getroffenen Feststellungen zu erschüttern.
4Diesen weiter begründeten Erwägungen setzt die Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegen. Die Antragstellerin hat auch im Beschwerdeverfahren keine Umstände glaubhaft gemacht, die einen Anspruch auf Erlass der von ihr begehrten Regelungsanordnung begründen (vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO).
5Ihr Vorbringen, bei ihr sei lediglich eine schwach ausgeprägte Fruktose- bzw. Laktoseintoleranz vermutet worden bzw. es bestehe nur der Verdacht einer Laktoseintoleranz, wird bereits durch den von ihr vorgelegten Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. C. vom 6. August 2021 widerlegt. Diesbezüglich hat LRMD Dr. Q. in seiner im Schriftsatz des Antragsgegners vom 18. Oktober 2021 wiedergegebenen Stellungnahme zur Erläuterung Folgendes ausgeführt:
6„Als positiv anzusehen sei ein Fruktosebelastungstest/Laktosebelastungs-test (Wasserstoffexhalationstest), wenn die H2-Abatmung über 20 ppm liegt (...).
7Die H2-Abatmung lag beim vorgelegten Fruktosebelastungstest aus der Praxis Dr. C. vom 06.08.2021 bei bis zu 40 ppm, beim Laktosebelastungstest bei 23 ppm (...). Bei Werten von 40 bzw. 23 ppm handelt es sich nicht um ein grenzwertiges Ergebnis, sondern um einen deutlich erhöhten Wert. Die Diagnosen werden vom Untersucher selbst als gesichert dokumentiert (Diagnosen: Fruktoseintoleranz (E 74.1 G) und Laktoseintoleranz (F 73.9 G)). Der Zusatz „G“ bedeutet „gesicherte Diagnose“ im Gegensatz zu „V“ für „Verdachtsdiagnose“.“
8Die Behauptung der Beschwerde, die Fruktoseintoleranz sei zwischenzeitlich nicht mehr feststellbar, ist durch nichts belegt. Eine Beschwerdefreiheit infolge einer auf ärztlichen Rat erfolgten „Abstinenz“ bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die Antragstellerin ohne eine entsprechende Diät beschwerdefrei ist.
9Soweit die Antragstellerin bezüglich des Ergebnisses des Laktosebelastungstests geltend macht, die Überschreitung des Wertes vom 20 ppm könne auch auf die Zusammensetzung der Bakterien im Darm (Darmflora) zurückzuführen sein, ohne dass tatsächlich eine Laktoseintoleranz vorliege, und ein Testergebnis leide regelmäßig an weiteren Unsicherheiten, die etwa mit einer vorherigen Nahrungsaufnahme im Zusammenhang stehen könnten, ist ihr entgegenzuhalten, dass vorliegend kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass das Ergebnis des Laktosebelastungstests vom 6. August 2021 aus einem dieser Gründe nicht aussagekräftig ist.
10Im Übrigen lässt die Antragstellerin außer Acht, dass ein/e Einstellungsbewerber/in die materielle Beweislast für die erforderliche gesundheitliche Eignung trägt.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. April 2017 - 2 VR 2.17 -, IÖD 2017, 122 = juris Rn. 13; OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Oktober 2020 - 6 B 1296/20 -, juris Rn. 18, vom 14. Juli 2020 - 6 B 602/20 -, juris Rn. 29, und vom 18. Februar 2020 - 6 A 1136/17 -, juris Rn. 41.
12Die von der Antragstellerin vorgelegten Bescheinigungen des Facharztes für Innere Medizin Dr. C. vom 13. September 2021 und der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. vom 5. November 2021 stellen das Testergebnis ebenfalls nicht in Frage und sind auch ansonsten nicht ansatzweise geeignet, die Feststellungen des LRMD Dr. Q. in Zweifel zu ziehen. Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich zutreffend darauf hingewiesen, dass erstere nicht den spezifischen, auf die besonderen dienstlichen Anforderungen im Sinne einer universellen Einsetzbarkeit im Polizeivollzugsdienst abstellenden Maßstab anlege und es insoweit auf ein bei entsprechender Abstinenz bzw. Medikamenteneinnahme mögliches „normales Leben mit jeder Belastbarkeit“ und eine etwaig unbeschränkte Belastbarkeit außerhalb des Vollzugsdienstes nicht maßgeblich ankomme. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. B. hat der Antragstellerin entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht die „volle Belastbarkeit“, geschweige denn ihre uneingeschränkte Verwendbarkeit im gesamten polizeilichen Einsatzbereich bescheinigt.
13Zu Recht hat das Verwaltungsgericht weiter ausgeführt, der Antragsgegner habe im Schriftsatz vom 22. November 2021 unter Einbeziehung einer weiteren Stellungnahme des LRMD Q. , die nach Vorlage der vorstehenden privatärztlichen Bescheinigungen eingeholt worden sei, dezidiert und nachvollziehbar dargelegt, weswegen die Polizeidiensttauglichkeit der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Polizeivollzugsdienstes auch bei mehrtägigen Einsätzen mit Gemeinschaftsverpflegung nicht gegeben sei. Die weitere polizeiamtsärztliche Stellungnahme enthält u. a. folgenden Erläuterungen:
14„Polizeidiensttauglichkeit setzt die uneingeschränkte Einsatzbarkeit einer Bewerberin oder eines Bewerbers in allen Funktionen des Polizeivollzugsdienstes voraus. Insbesondere Unverträglichkeitserscheinungen im Zusammenhang mit dem Konsum von Nahrungsmitteln oder Nahrungsmittelallergien erfordern dabei ein besonders sorgfältiges Augenmerk, dasichergestellt werden muss, dass die Bewerberin oder der Bewerber gesundheitlich in der Lage sein müssen, beispielsweise bei Einsätzen aus besonderem Anlass an der Gemeinschaftsverpflegung teilzunehmen. Gemäß § 111 LBG NRW sind Polizeibeamtinnen und -beamte verpflichtet, auf Anordnung in einer Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen und an einer Gemeinschaftsverpflegung teilzunehmen.
15Bei einer Nahrungsmittelunverträglichkeit ist eine risikoarme Versorgung dann nicht mehr sicherzustellen, da eben ein wesentliches Merkmal im Umgang mit Unverträglichkeiten, nämlich der Verzicht auf den die Unverträglichkeit auslösenden Stoff nicht mehr sichergestellt werden kann. Aus Fürsorgegründen müsste die betroffene Person also von entsprechenden Einsätzen entbunden werden, da sie nicht einem vermeidbaren Risiko ausgesetzt werden darf.
16Bei den Einsätzen der Polizei aus besonderem Anlass, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit bei der Bereitschaftspolizei regelmäßig anfallen, handelt es sich häufig um mehrtägige Einsätze, bei denen die zur Verfügung stehende Gemeinschaftsverpflegung nur eine sehr eingeschränkte Essensauswahl bietet und Alternativen nicht zur Verfügung stehen. Eine medikamentöse Behandlung mit Laktasetabletten kann dienstlicherseits weder verlangt noch sichergestellt werden.
17Daher besteht bei der Bewerberin von vornherein nicht die uneingeschränkte dienstliche Einsetzbarkeit.“
18Der Hinweis der Antragstellerin, die meisten Lebensmittel seien laktosefrei, sei - so das Verwaltungsgericht weiter - nicht geeignet, die nachvollziehbaren Ausführungen des LRMD Dr. Q. zur fehlenden universellen Einsetzbarkeit unter Hinweis auf die Notwendigkeit, bei Einsätzen aus besonderem Anlass an der Gemeinschaftsverpflegung teilnehmen zu können, zu widerlegen. Hiernach könne unbeschadet einer etwaig generell hohen Anzahl laktosefreier Lebensmittel gerade nicht sichergestellt werden, dass im Rahmen der Gemeinschaftsverpflegung ausschließlich laktosefreie Lebensmittel zur Verfügung gestellt würden, ebenso wenig sei eine Selbstversorgung im Rahmen der (mehrtägigen) Einsätze möglich. Zudem weise der Polizeiarzt darauf hin, dass nicht nur Nahrungsmittel, die als Milchprodukte erkennbar seien, oft erhebliche Mengen an Milchzucker enthielten. Letztlich dringe die Antragstellerin auch nicht mit ihrem Argument durch, sie könne auf die angebotene Gemeinschaftsverpflegung verzichten oder eine Laktasetablette einnehmen. Der Verzicht auf eine ausgegebene laktosehaltige Mahlzeit wäre gerade im Einsatzfall keine Option, die Einsatzfähigkeit zu erhalten bzw. sicherzustellen, weil der Antragstellerin in einem solchen Fall die vom Dienstherrn als notwendig erachtete Ernährung fehlte. Auch die Möglichkeit einer reaktiven Einnahme eines geeigneten Präparats könne die vorliegende Bewertung nicht ändern, weil die Einsatzfähigkeit in einem solchen Fall schon durch das Auftreten von Symptomen beeinträchtigt worden wäre. Außerdem bestünde auch insoweit das Problem, dass die Antragstellerin die eingenommene Menge an Laktose nicht kennen könnte, was wiederum die Einnahme einer bedarfsgerechten Medikation ausschlösse. Schließlich könnte die Antragstellerin unter Einsatzbedingungen nicht immer sicherstellen, dass sie sich zeitgerecht eine (unterstellt) bedarfsgerechte Medikation verabreiche. Es spreche vieles dafür, dass es der Antragstellerin während eines (mehrtägigen) Einsatzes mit Gemeinschaftsverpflegung schon aus logistischen Gründen nicht gelingen dürfte, durch von ihr mitgebrachte laktose- und fruktosefreie Speisen in ausreichendem Umfang für ihre eigene Verpflegung zu sorgen. Der von der Antragstellerin angestellte Vergleich, dass es auch durch andere Lebensmittel wie etwa Zwiebeln oder Knoblauch bei „völlig normalen Menschen“ zu Verdauungsbeschwerden kommen könne, sei nicht geeignet, ihrePolizeidiensttauglichkeit trotz der diagnostizierten Laktose- und Fruktoseintoleranz zu begründen.
19Mit diesen Erwägungen setzt sich das Beschwerdevorbringen bereits nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise auseinander. Sie wiederholt im Kern lediglich ihr erstinstanzliches Vorbringen, ohne auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts einzugehen.
20Verfehlt ist schließlich der Einwand der Beschwerde, es sei nicht nachvollziehbar, dass „andere Personengruppen, die spezielle Ernährungsgewohnheiten aus religiösen oder sonstigen Gründen“ hätten, als polizeidiensttauglich angesehen würden. Im Fall der Anordnung der Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung (vgl. § 111 LBG NRW) stehen bei ihnen - anders als bei der Antragstellerin - Gesundheitsrisiken nicht in Rede.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
23Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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Referenzen
- ZPO § 920 Arrestgesuch 1x
- ZPO § 294 Glaubhaftmachung 1x
- §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG 2x (nicht zugeordnet)
- § 111 LBG 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 123 1x
- VwGO § 146 1x
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 152 1x
- 6 B 1296/20 1x (nicht zugeordnet)
- 6 B 602/20 1x (nicht zugeordnet)
- 6 A 1136/17 1x (nicht zugeordnet)