Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 12 A 3621/20
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v. H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die Klägerin ist Mutter der am 2012 geborenen Zwillinge K. und T. . Für ihre Tochter T. führt die Klägerin das Berufungsverfahren 12 A 3583/20. Sie beantragte für beide Kinder am 27. Januar 2017 (Eingang beim Beklagten) Unterhaltsvorschuss nach dem UVG und gab im Antragsformular an, sie sei ledig und lebe vom Vater der Kinder, der die Vaterschaft anerkannt habe, seit dem 1. September 2013 getrennt. Zur Betreuungssituation der nach den Antragsangaben bei ihr lebenden Kinder fügte sie die Abschrift eines familiengerichtlichen Vergleichs vor dem Amtsgericht - Familiengericht - C. vom 4. Oktober 2016 bei ( F ) bei, der vorsieht, dass "vollständig eine gemeinsame elterliche Sorge eingerichtet" und das auch beim Jugendamt vereinbarte Wechselmodel bis Ende Januar 2017 praktiziert werden solle. Ferner wurden die näheren Einzelheiten des Umgangsrechts und der Umgangspflicht des Vaters vereinbart. Der Vater der Kinder teilte dem Beklagten unter dem 6. März 2017 mit, beide Eltern teilten sich die Kosten des Kindesunterhalts, es werde das Wechselmodell praktiziert.
4Auf dieser Grundlage hörte der Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung ihres Antrages an, wozu diese anführte, das Wechselmodell werde in Kürze (nach der Geburt ihres dritten Kindes) enden, ferner seien die Kinder in der letzten Zeit öfter beim Kindesvater gewesen als vereinbart. Von den Kosten des Kindesunterhalts übernehme der Vater nur das Essensgeld beider Kinder, im Übrigen sorge jeder von ihnen nach Absprache für die Lebensunterhaltungskosten in seinem jeweiligen Haushalt.
5Mit jeweils getrennten Bescheiden vom 23. Mai 2017 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf UVG-Leistungen für T. und für K. ab. Die Klägerin sei nicht alleinerziehend, weil die Erziehungsaufgaben zwischen den Eltern weitgehend aufgeteilt seien.
6Am 27. Juli 2017 beantragte die Klägerin erneut für K. und T. Unterhaltsvorschussleistungen und gab im Formularvordruck an, dass die Kinder bei ihr lebten und dass Zahlungen seitens des Kindesvaters nicht geleistet würden.
7Mit Bescheid für beide Kinder vom 24. August 2017 lehnte der Beklagte auch diese Anträge nach Anhörung der Klägerin ab. An der zuvor getroffenen Entscheidung werde festgehalten.
8Mit weiteren Anträgen für beide Kinder, beim Beklagten eingegangen am 20. Februar 2020, beantragte die Klägerin erneut UVG-Leistungen für die Zwillinge. Zu ihrer Lebenssituation gab sie an, sie wohne derzeit mit ihrem Freund zusammen. Der Vater der Zwillinge zahle die Hälfte vom Essensgeld für diese in der OGS-Betreuung. Der Vater übe den Umgang wie im familiengerichtlichen Vergleich vom 4. Oktober 2016 vereinbart aus. Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung machte die Klägerin geltend, der Kindesvater betreue die Kinder ja nur alle zwei Wochen vier Tage hintereinander. Im daraufhin übersandten Betreuungsbogen gab die Klägerin Einzelheiten zu Betreuungsleistungen an.
9Mit jeweils getrennten Bescheiden vom 10. März 2020 lehnte der Beklagte die Anträge der Klägerin unter Verweis auf die vorangegangen Entscheidungen ab.
10Dagegen erhob die Klägerin für beide Kinder am 31. März 2020 Widerspruch und verwies darauf, dass der Lebensmittelpunkt der Kinder bei ihr liege, wie der Vergleich vor dem Familiengericht ausweise. Sie kümmere sich auch um Arzttermine, Schulmaterial und Bekleidung. Wenn der Kindesvater dies trotzdem auch tue, sei es "von ihm dann eine freiwillige Sache".
11Mit Widerspruchsbescheiden vom 16. April 2020 wies der Beklagte beide Widersprüche zurück. Bei typisierender Betrachtung der Betreuungszeiten liege der Anteil des Vaters - ohne Ferienzeiten - schon bei 36%. Bei einem Anteil über 30% Betreuung durch den anderen Elternteil könne nicht mehr von Alleinerziehung ausgegangen werden. Die Dauer sei aber nicht allein entscheidend. Hinzu komme, dass der Vater an der Erziehung mitwirke. So habe dieser etwa die Kinder durchgehend betreut, während die Klägerin wegen der Geburt ihres dritten Kindes im Krankenhaus gelegen habe.
12Am 29. April 2020 hat die Klägerin jeweils für die Kinder Klage erhoben und verfolgt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens ihre Begehren auf Unterhaltsvorschusszahlungen für beide Kinder weiter.
13Die Klägerin hat beantragt,
14den Beklagten unter entsprechender Änderung des Bescheides vom 10. März 2020 in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 16. April 2020 erfahren hat, zu verpflichten, ihr für die Betreuung des Kindes K. Leistungen nach dem UVG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
15Der Beklagte hat beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Er hat sich zur Begründung auf die Gründe der angefochtenen Bescheide gestützt.
18Mit Urteil vom 25. November 2020, auf das Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
19Auf Antrag der Klägerin hat der Senat sowohl im vorliegenden als auch im parallelen Verfahren die Berufung mit Beschluss vom 28. Juli 2021 zugelassen.
20Zur Begründung ihrer rechtzeitig eingelegten Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Die Kinder hätten ihren Lebensmittelpunkt bei ihr, obgleich sie dem Kindesvater ein großzügiges Umgangsrecht eingeräumt habe. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach mit den Leistungen den Schwierigkeiten alleinerziehender Elternteile begegnet werden solle, treffe auf sie zu. Eine Berechnung nach tatsächlichen Betreuungszeiten sei willkürlich. Sie komme überwiegend für die Kinder auf. Einmalige und freiwillige Leistungen des Vaters seien nicht einkalkulierbar. Daneben leiste sie auch die Betreuung überwiegend. Auch treffe sie der Organisationsaufwand für die Absprachen im Wechselmodell. Der Gesetzgeber habe großzügige Umgangskontakte zudem gewollt. Nur wenn die finanziellen Lasten aufgeteilt seien, sei Unterhaltsvorschuss nicht zu gewähren. Auf Vorschriften des Wohngeldgesetzes komme es dabei nicht an.
21Die Klägerin beantragt schriftsätzlich (sinngemäß),
22das angegriffene Urteil zu ändern und nach ihrem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen.
23Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Er trägt vor: UVG-Leistungen seien besondere Sozialleistungen für zusätzliche Belastungen, die die alleinige Last eines Elternteils bei der Erziehung abmilderten. Der Vater der Kinder erbringe hier wesentliche Betreuungsleistungen, im Alltag werde die Klägerin dadurch wesentlich entlastet. Die Eltern hätten im Interesse der Kinder ein aktives Modell der Kinderbetreuung in Abhängigkeit von situationsbedingten Änderungen getroffen und lebten dies auch. Dafür stünden UVG-Leistungen regelmäßig nicht zur Verfügung.
26Der Senat hat die Akten des Amtsgerichts - Familiengericht - C. zu ( F ) und ( F ) beigezogen. Aus letzterem Verfahren ergibt sich, dass die Eltern der Kinder am 20. Mai 2020 erneut vor dem Familiengericht eine Vereinbarung getroffen haben, nach der sie den Vergleich vom 4. Oktober 2016 bekräftigt und darüber hinaus u. a. vereinbart haben, sich gegenseitig über Wesentliches im Leben der Kinder zu informieren bzw. nachzufragen. Das Familiengericht hat die Vereinbarung mit Beschluss vom gleichen Tage gebilligt.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der neun Verfahrensakten des Amtsgerichts - Familiengericht - C. zu ( F ) und ( F ) Bezug genommen
28II.
29Über die Berufung der Klägerin kann gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat die Berufung einstimmig für erfolglos und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung für nicht erforderlich erachtet. Die Beteiligten sind hierzu nach § 130a Satz 2 i. V. m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO angehört worden.
30Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Verpflichtungsklage der Klägerin ist unbegründet.
31Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihre Tochter K. . Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 10. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
32Der Senat lässt offen, auf welche Bewilligungszeiträume sich die angefochtenen Bescheide erstrecken, ob insbesondere die Verfahren, in denen bereits bestandskräftige Bescheide ergangen sind (Bescheide vom 23. Mai 2017 und 24. August 2017), wiederaufgenommen wurden und die Klage somit auch die Zeiträume von Januar 2017 (Eingang des Antrages der Klägerin) bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2020 umfassen kann. Der Anspruch der Klägerin auf Leistungen nach dem UVG für K. (wie auch für deren Zwillingsschwester T. ) ist dem Grunde nach für den gesamten Zeitraum ausgeschlossen.
33Voraussetzung eines Anspruchs auf Unterhaltsleistung nach dem UVG ist u. a., dass das Kind, für welches die Leistung gewährt werden soll, im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG).
34Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal bei einem alleinstehenden leiblichen Elternteil nur dann erfüllt, wenn dieser wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal "bei einem seiner Elternteile lebt" als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschuss-gesetz zu gewähren. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen. Dazu bedarf es einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012 - 5 C 20.11 -, juris Rn. 20 f. m. w. N., und OVG NRW, Urteil vom 24. Mai 2016 - 12 A 157/15 -, juris Rn. 22.
36Ausgehend von diesen Grundsätzen, die der Senat namentlich in den Fällen anwendet, in denen die Eltern die Betreuung der Kinder im sog. Wechselmodel übernehmen,
37vgl. dazu: OVG NRW, Beschluss vom 14. Februar 2019 - 12 E 992/18 -, juris Rn. 20,
38war und ist die Klägerin jedenfalls seit Januar 2017 nicht alleinerziehend i. S. d. UVG. Grundlage der Betreuung und Versorgung der Kinder ist nämlich nach wie vor der am 4.Oktober 2016 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - C. geschlossene Vergleich, den das Familiengericht durch Beschluss vom gleichen Tage gebilligt hat( F ). Bedeutsam ist zunächst, dass die leiblichen Eltern von T. und K. nach diesem Vergleich die "elterliche Sorge vollständig gemeinsam ausüben". Damit obliegt die Entscheidung in wesentlichen Angelegenheiten der Kinder beiden Eltern gleichermaßen. Beide Eltern trifft auch die Pflicht, die persönliche Sorge für die Kinder vollumfänglich wahrzunehmen. Die dadurch eintretende Teilhabe auch des Vaters an der Erziehung und Entwicklung der Kinder führt faktisch zu einer Entlastung der Mutter. Dabei kommt es nicht maßgeblich darauf an, ob einzelne organisatorische Fragen im Alltag jeweils von dem einen oder anderen Elternteil oder sogar ganz überwiegend von nur einem Elternteil - wie die Klägerin für sich geltend macht - entschieden werden. Dem neueren gesetzlichen Leitbild eines gemeinsamen Sorgerechts entspricht die Befugnis gemäß § 1687 BGB, dass der jeweils Betreuende die anstehenden Entscheidungen über tägliche Angelegenheiten trifft. Neben das vollständig auszuübende Sorgerecht tritt die Vereinbarung, dass der Vater die Kinder auch in erheblichem Umfang persönlich zu betreuen hat, indem er sie in Schulzeiten 14-tägig mittwochs von der Schule abholt und fortlaufend bis Montag zur Schule bringt und sie anschließend ab Montag der Mutter für die darauffolgende Woche zur Betreuung überlässt. Bei dieser Festlegung eines bestimmten Betreuungsmodells handelt es sich - ebenso wie bei einer herkömmlichen Umgangsregelung - um eine Frage der tatsächlichen Ausübung der elterlichen Sorge, und zwar unabhängig davon, in welchem quantitativen Ausmaß ein solches Umgangsrecht vereinbart wird.
39Vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15 -, juris Rn. 20 m. w. N.
40Wie der Beklagte errechnet hat, beträgt der Anteil der tatsächlichen Betreuung durch den Vater allein in den Schulzeiten rd. 36% und käme im Falle einer hälftigen Aufteilung der Ferienzeiten und Feiertage einem paritätischen Wechselmodel schon nahe. Ungeachtet dessen lässt das Gesamtbild des hier vereinbarten Sorgerechts einschließlich der Aufteilung des persönlichen Umgangs im Wechselmodel objektiv den Eindruck einer Alleinerziehenden nicht entstehen, sondern entspricht eher dem einer - wie auch immer gestalteten - vollständigen Familie, in der eine wechselseitige Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der familiären Alltagssituation erfolgt. Die Vereinbarung einer solchen Umgangsaufteilung im Wechselmodell, die das Familiengericht durch Beschluss zu billigen hat (vgl. § 156 Abs. 2 FamFG), setzt nämlich - da sie insbesondere am Kindeswohl auszurichten ist - eine funktionierende Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft beider Eltern voraus.
41Vgl. zur hälftig geteilten Ausübung der gemeinsamen Sorge im paritätischen Wechselmodell: BGH, Urteil vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15 -, a. a. O., Rn. 25 f.
42Der Vergleich wird von der Klägerin und dem Vater der Kinder trotz erneuter familiengerichtlicher Anträge auf andere Regelungen von Beginn an praktiziert und ist zuletzt durch Vereinbarung vor dem Amtsgericht - Familiengericht - C. vom 26. Mai 2020 in vollem Umfang bestätigt und sogar in Bezug auf gegenseitige Informationen über die Angelegenheiten der Kinder erweitert worden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Vater der Kinder die elterliche Sorge einschließlich des vereinbarten Umgangsrechts in erheblicher Weise davon zum Nachteil der Klägerin abweichend praktiziert. Tatsächlich hat er die elterliche Sorge in einer Notsituation der Klägerin (Krankenhausaufenthalt im Zusammenhang mit der Entbindung ihres dritten Kindes) sogar gänzlich ausgeübt.
43In Fällen, in denen - wie hier - ein vollständig gemeinsames Sorgerecht mit einem Umgangsrecht für einen Elternteil vereinbart ist und tatsächlich praktiziert wird, das jedenfalls mehr als ein Drittel der Schulzeiten erfasst, scheidet die Annahme, ein Elternteil sei alleinerziehend i. S. d. UVG, aus. Keines der Elternteile muss bei dieser Ausgestaltung der elterlichen Sorge Alltag und Erziehung der Kinder allein bewältigen, worin der Gesetzeszweck für die besondere Sozialleistung liegt.
44Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juni 2005 - 5 C 24.04 -, juris Rn. 23.
45Das gilt auch, soweit die Klägerin und der Vater der Kinder im familiengerichtlichen Vergleich vom 4. Oktober 2016 (dort unter Ziffer 2) vereinbart haben, dass der gewöhnliche Aufenthalt der Kinder ab Januar 2017 (Antragstellung auf UVG-Leistun-gen) bei der Klägerin liegen soll. Die gesetzliche Regelung zum Sorgerecht schreibt die Festlegung eines hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes nicht vor. Soweit in anderen rechtlichen Zusammenhängen die Festlegung des hauptsächlichen Aufenthalts des Kindes bei einem Elternteil unausweichlich ist, steht die Bestimmung des Lebensmittelpunkts eines Kindes regelmäßig vor dem Hintergrund der praktikablen Festlegung öffentlich-rechtlicher Rechtsfolgen und dient etwa zur Vereinfachung der Auszahlung öffentlicher Leistungen oder der verlässlichen ordnungsrechtlichen Zuordnung einer Person.
46Vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 - XII ZB 601/15 -, juris Rn.19 m. w. N.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 30. September 2015 - 6 C 38.14 -, juris Rn. 16 (zum Melderecht); BFH, Urteil vom 23. März 2005 - III R 91/03 -, juris Rn. 16 (zum Kindergeld).
47Die weitere Frage, ob und in welchem Umfang der Vater der Kinder Barunterhalt geleistet und ein UVG-Anspruch auch deshalb ganz oder teilweise ausscheidet, bedarf keiner Klärung. Allerdings räumt die Klägerin selbst ein, dass der Vater stets die Hälfte des Essensgeldes in der Betreuungseinrichtung für die Zwillinge gezahlt hat, weshalb jedenfalls Barleistungen vorlagen.
48Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
49Der Senat lässt die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsache zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
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Referenzen
- § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 132 1x
- VwGO § 188 1x
- XII ZB 601/15 3x (nicht zugeordnet)
- III R 91/03 1x (nicht zugeordnet)
- 12 A 157/15 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 1687 Ausübung der gemeinsamen Sorge bei Getrenntleben 1x
- VwGO § 125 1x
- 12 E 992/18 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- FamFG § 156 Hinwirken auf Einvernehmen 1x
- VwGO § 167 1x
- 12 A 3583/20 1x (nicht zugeordnet)