Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 6 B 456/22
Tenor
Auf die Beschwerden wird Abs. 3 der Beschlussformel des Verwaltungsgerichts wie folgt geändert:
Die Antragsgegnerin zu 2. wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 26 K 8376/21 vorläufig zu ermöglichen, die Laufbahnausbildung für den allgemeinen Verwaltungsdienst (1. Einstiegsamt der Laufbahngruppe 2) fortzusetzen, und ihn für diesen Zeitraum erneut der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen zur Ausbildung zuzuweisen.
Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.
Der Antragsgegner zu 1. und die Antragsgegnerin zu 2. tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf die Wertstufe bis 7.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die zulässigen Beschwerden haben in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
3Die in den Beschwerdebegründungen dargelegten Gründe, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen eine Änderung des angefochtenen Beschlusses dahingehend, dass die Antragsgegner verpflichtet werden, dem Antragsteller die angestrebte Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu ermöglichen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung der Antragsgegnerin zu 2., den Antragsteller erneut in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zu berufen, war nicht auszusprechen.
4Das Verwaltungsgericht hat im Wege der einstweiligen Anordnung zum einen den Antragsgegner zu 1. (im Weiteren: Antragsgegner) verpflichtet, den Antragsteller vorläufig zu einer Wiederholung der Klausur in dem Modul 6.5 zum nächstmöglichen Prüfungstermin im letzten Prüfungsversuch zuzulassen, und zum anderen die Antragsgegnerin zu 2. (im Weiteren: Antragsgegnerin) verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf die Fortsetzung der Laufbahnausbildung für den allgemeinen Verwaltungsdienst zu ermöglichen und ihn vorläufig dem Antragsgegner erneut zur Ausbildung zuzuweisen, bis über die Rechtmäßigkeit des Prüfungsbescheids im Hauptsacheverfahren rechtskräftig entschieden worden ist. Zu Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller habe jeweils sowohl einen entsprechenden Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Nach der gebotenen summarischen Prüfung erweise sich der im Hauptsacheverfahren angegriffene Prüfungsbescheid der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV NRW) vom 4.11.2021, mit dem die Bewertung der Prüfungsleistung im Modul 6.5 als "nicht ausreichend" bekannt gegeben und das endgültige Nichtbestehen dieser Modulprüfung festgestellt worden sei, als rechtswidrig. Der vorliegende Anhörungsmangel könne zwar in den Grenzen des § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG NRW noch geheilt werden. Die Prüfungsentscheidung sei aber materiell rechtswidrig, weil anzunehmen sei, dass der Antragsteller von dieser Prüfung aus triftigem Grund zurückgetreten sei. Dieser habe ausreichend glaubhaft gemacht, dass seinem Rücktritt eine zur Prüfungsunfähigkeit führende Erkrankung zugrunde gelegen habe. Er habe seiner E-Mail vom 18.10.2021, dem Prüfungstag, einen Bericht des Krankenhauses, in dessen Notaufnahme er am Vorabend vorstellig geworden sei, beigefügt und darüber hinaus noch am Prüfungstag die Amtsärztin aufgesucht, die ihm Prüfungsunfähigkeit bescheinigt habe. Die Einschätzung der Amtsärztin habe der Antragsgegner nicht ernsthaft erschüttert. Angesichts des zusätzlich übersandten Attests des Hausarztes, den der Antragsteller am 18.10.2021 ebenfalls noch aufgesucht habe, spreche vielmehr Überwiegendes dafür, dass dieser am Prüfungstag (jedenfalls auch) an einer zeitweiligen körperlichen Erkrankung gelitten habe, die ihn prüfungsunfähig gemacht habe. Davon ausgehend sei ebenfalls überwiegend wahrscheinlich, dass dem Antragsteller bei entsprechender Geltendmachung im Hauptsacheverfahren wohl im Rahmen eines Folgenbeseitigungsanspruchs nach Beseitigung der belastenden Prüfungsentscheidung ein Anspruch auf die begehrte Fortsetzung der Ausbildung im Beamtenverhältnis auf Widerruf zugesprochen würde. Wesentliche Nachteile i. S. v. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO habe der Antragsteller mit dem Hinweis auf eine erhebliche Ausbildungsverzögerung und die damit einhergehende Notwendigkeit, sein Prüfungswissen und seine Prüfungsfähigkeiten auf unbestimmte Zeit aufrecht zu erhalten, glaubhaft gemacht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht im Hinblick auf Verzögerungen der Ausbildung durch die tatsächlich auffällig gehäuften zahlreichen Prüfungsrücktritte in der Vergangenheit, da - wie vom Antragsgegner in der Vergangenheit stets bescheinigt - anzunehmen sei, dass diese jeweils aus triftigem Grund erfolgt seien. Dem Anordnungsgrund stehe ferner nicht entgegen, dass das Beamtenverhältnis auf Widerruf, in dem die Laufbahnausbildung erfolge, gemäß § 22 Abs. 4 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 Ausbildungsverordnung erstes Einstiegsamt Laufbahngruppe 2 allgemeiner Verwaltungsdienst Land unabhängig von der Rechtmäßigkeit und vom Bestand der Prüfungsentscheidung kraft Gesetzes am Tag der Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens der Bachelorprüfung ende. Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 9.6.2020 im Verfahren 2 BvR 469/20 festgestellt habe, würde eine pauschale Versagung einstweiligen Rechtsschutzes hinsichtlich der vorläufigen Fortsetzung der Ausbildung und Wiederholung einer Prüfung dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht.
5A. Die dagegen mit den Beschwerden der Antragsgegner jeweils erhobenen Einwände führen in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zu einer abweichenden Entscheidung.
6I. Es kann dahinstehen, ob - was der Antragsgegner in Frage stellt - an die begehrte Regelungsanordnung die besonderen Anforderungen anzulegen sind, die im Fall der Vorwegnahme der Hauptsache maßgeblich sind. Jedenfalls eine endgültige Vorwegnahme - die nur gegeben ist, wenn Anordnungs- und Klageantrag übereinstimmen und die erlassene Regelung nicht unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Klageverfahrens steht, die begehrte vorläufige Entscheidung also einer endgültigen gleichkäme - liegt nicht vor. Die begehrte gerichtliche Eilentscheidung nimmt die Hauptsache nicht vollständig irreversibel vorweg, weil dem Antragsteller lediglich eine vorläufige Rechtsposition eingeräumt wird, die ihm abhängig vom Ergebnis des Hauptsacheverfahrens wieder entzogen werden kann. Denn hätte die negative Prüfungsentscheidung endgültig Bestand, weil sie sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erwiese, käme dem - infolge ihrer Vorläufigkeit unter den Vorbehalt der Hauptsacheentscheidung gestellten - Ergebnis der Wiederholungsprüfung in Bezug auf die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Laufbahnprüfung keine Rechtswirkung mehr zu. Eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache ist auch nicht in der vorläufigen Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu sehen. Diese ist zeitlich beschränkt auf den Zeitraum des Hauptsacheverfahrens und erfolgt unbeschadet einer zwischenzeitlichen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses aus anderen Gründen, die - beispielsweise mangels gesundheitlicher Eignung des Antragstellers - weiterhin möglich ist. Sollte die Klage abgewiesen werden, kann das Ausbildungsverhältnis sowohl im Falle der Ableistung nach § 6 Abs. 2 der Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für die Ämtergruppe des ersten Einstiegsamtes der Laufbahngruppe 2 des allgemeinen Verwaltungsdienstes (Bachelor) des Landes Nordrhein-Westfalen vom 5.8.2008, GV. NRW. S. 572, zuletzt geändert durch Verordnung vom 20.8.2021, GV. NRW. S. 1046, (VAP2.1) als auch bei einer Ausgestaltung nach § 6 Abs. 1 VAP2.1 durch Kündigung des Vertragsverhältnisses oder Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf beendet werden. Entscheidet sich die Antragsgegnerin für eine Fortführung nach § 6 Abs. 1 VAP2.1, bedarf es zur Umsetzung der Eilentscheidung wegen der gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VAP2.1 eingetretenen Entlassung kraft Gesetzes zuvor der erneuten Ernennung des Antragstellers zum Beamten auf Widerruf. Gleichwohl kann ihm die durch die Beschwerdeentscheidung gewährte Rechtsposition wieder entzogen werden.
7Entgegen der Auffassung des Antragsgegners hat der Antragsteller - wie sich aus dem Nachfolgenden ergibt - jedoch auch unter Zugrundelegung der Anforderungen, die im Fall einer Vorwegnahme der Hauptsache gelten, die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes glaubhaft gemacht.
8II. In Bezug auf beide Anträge ist - im Hinblick auf den Antrag zu 2. im der Beschlussformel zu entnehmenden Umfang - ein Anordnungsanspruch gegeben.
91. Dies gilt zunächst für den auf vorläufige Zulassung zu einer Wiederholung der Klausur in dem Modul 6.5 gerichteten Antrag.
10Insoweit ist der Vorwurf des Antragsgegners abwegig, dass erstinstanzlich eine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit des im Klageverfahren 26 K 8376/21 angefochtenen Prüfungsbescheids nicht erfolgt wäre. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr auf den Seiten 3 bis 8 des angefochtenen Beschlusses ausführlich erläutert, warum sich der Prüfungsbescheid vom 4.11.2021 nach der gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist. Dass der Antragsgegner dem nicht zustimmt, wie sich aus seinem weiteren Beschwerdevorbringen ergibt, belegt nicht das beanstandete Fehlen einer solchen Prüfung.
11Die Einwände des Antragsgegners gegen die Einschätzung des Verwaltungsgerichts greifen nicht durch. Das gilt zunächst für dessen Annahme, grundsätzlich trage zwar der Prüfling die Darlegungs- und Beweislast für die seine Prüfungsunfähigkeit bewirkenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen; die Prüfungsbehörde sei indessen dafür darlegungs- und beweispflichtig, dass eine bestehende, amtsärztlich bescheinigte Prüfungsunfähigkeit nicht anzuerkennen sei, weil sie Folge einer Dauererkrankung oder psychischen Beeinträchtigung sei. Ausgehend von der Erwartung, der Amtsarzt, zu dessen Tätigkeit das Ausstellen solcher Atteste gehöre, werde darin auch die erforderlichen inhaltlichen Angaben aufnehmen, dürfe sich ein Prüfling prinzipiell darauf verlassen, dass die amtsärztlichen Angaben zutreffend und inhaltlich ausreichend seien. Vor diesem Hintergrund sei die Prüfungsbehörde in Fallgestaltungen, in denen sie die Angaben in einem amtsärztlichen Gutachten als unzureichend oder unzutreffend ansehe, ihrerseits gehalten, unverzüglich eine weitere Sachaufklärung einzuleiten, etwa indem sie eine ergänzende Beurteilung des Amtsarztes herbeiführe, eine weitere ärztliche Begutachtung veranlasse oder auch die Vorlage weiterer ärztlicher Atteste fordere, von denen sie sich Erkenntnisse für die ihr obliegende Beurteilung verspreche. Das Verwaltungsgericht hat sich dazu auf höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung gestützt, wonach die Prüfungsbehörde ihrer Entscheidung darüber, ob ein wichtiger Grund für den Rücktritt von einer Prüfung vorgelegen hat, in aller Regel ein amtsärztliches Attest zugrunde legen muss, wenn sie keine anderslautenden Erkenntnisse hat oder durch eingehende ärztliche Begutachtung gewinnen kann. Nimmt die Prüfungsbehörde an, dass der Prüfling nicht nur akut für die konkrete Prüfung, sondern dauernd prüfungsunfähig ist, muss sie dies alsbald geltend machen und nach Möglichkeit durch Einholung eines ärztlichen Gutachtens aufklären.
12Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22.6.1993 - 6 B 9.93 -, juris Rn. 3; OVG NRW, Urteil vom 29.1.2020 - 19 A 3028/15 -, juris Rn. 73 ff., sowie Beschluss vom 18.4.2002 - 14 A 308/02 -, juris Rn. 4; Saarl. OVG, Urteil vom 26.1.2012 - 2 A 329/11 -, juris Rn. 59 ff.
13Eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung im Zusammenhang mit einer als Rücktrittsgrund geltend gemachten Prüfungsunfähigkeit lässt die Beschwerde bereits vermissen. Ohne Erfolg beruft sie sich stattdessen darauf, bei einer amtsärztlichen Bestätigung einer zur Prüfungsunfähigkeit führenden gesundheitlichen Beeinträchtigung beeinflusse die Mitwirkungspflicht des Antragstellers aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht die Darlegungs- und Beweispflicht der Prüfungsbehörde dahingehend, dass sie darauf beschränkt sei, den Prüfling zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zu veranlassen. Das hilft schon deshalb nicht weiter, weil der Antragsteller der Aufforderung des Antragsgegners zur Stellungnahme nachgekommen ist; hierzu kann auf die entsprechenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts (S. 7 des Beschlussabdrucks) verwiesen werden. Dass er sich etwa einer Schweigepflichtentbindung seines Hausarztes oder der Amtsärztin entgegengestellt hätte, ist weder vorgetragen noch sonst zu erkennen. Der Antragsgegner stellt sich vielmehr auf den Standpunkt, der Antragsteller habe seiner Darlegungs- und Beweislast nicht genügt, weil das von ihm vorgelegte amtsärztliche Attest widersprüchliche Angaben enthalten habe, die dessen Beweiswert allgemein erkennbar habe zweifelhaft werden lassen. Darüber hinaus habe das Attest zu den noch nachgereichten ärztlichen Bescheinigungen in Widerspruch gestanden.
14Mit dieser von der Würdigung des amtsärztlichen Attests durch das Verwaltungsgericht abweichenden Einschätzung dringt der Antragsgegner jedoch auch im Beschwerdeverfahren nicht durch. Seine Einwendungen gegen die tatsächlichen Feststellungen und Befunderhebungen der Amtsärztin und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zum (erheblich eingeschränkten) Leistungsvermögen des Antragstellers reichen nicht aus, den Beweiswert der amtsärztlichen Bestätigung der Prüfungsunfähigkeit des Antragstellers zu entkräften. Eine Widersprüchlichkeit des amtsärztlichen Attests vom 18.10.2021 ist mit dem Einwand, die dort niedergelegten Beschwerden wie Durchfall, Erbrechen und Schwindel mit Schwächegefühl stellten lediglich eine Wiedergabe eines möglichen subjektiven Empfindens dar, während die körperliche Untersuchung bis auf einen geröteten Rachen und eine Druckempfindlichkeit in der Magengegend unauffällig gewesen sei, bereits nicht dargelegt. Die vom Patienten geschilderten Beschwerden werden typischerweise bei der ärztlichen Anamnese aufgenommen. Warum dieser körperliche Befund den vom Antragsteller beklagten Beschwerden widersprechen soll, ist nicht zu erkennen und wird vom Antragsgegner auch nicht erläutert.
15Der behauptete unzureichende Beweiswert des amtsärztlichen Attests ergibt sich auch nicht aus der weiter gerügten Tatsache, diesem sei keine Diagnose zu entnehmen. Warum der Beweiswert des Attests dadurch nicht beeinträchtigt wurde, hat das Verwaltungsgericht auf Seite 7 des Beschlussausdrucks überzeugend ausgeführt. Dem ist die Beschwerde nicht entgegengetreten. Insbesondere nimmt der Antragsgegner nicht dazu Stellung, warum er eine vom Verwaltungsgericht aufgezeigte weitere Aufklärung durch Einholung etwa einer Stellungnahme der Amtsärztin u. a. zu deren Diagnose unterlassen hat.
16Anders als der Antragsgegner geltend macht, entkräften auch die vom Antragsteller vorgelegten weiteren ärztlichen Bescheinigungen seines Hausarztes vom 18.10.2021 nicht den Beweiswert des amtsärztlichen Attests. Der Hausarzt hat sich nicht, wie der Antragsgegner vorträgt, durch die von ihm ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Widerspruch zu einer am 8.10.2021 gestellten Diagnose verbunden mit einer Arbeitsunfähigkeit bis zum 15.10.2021 gesetzt. Hintergrund waren zwar insoweit ausweislich des Formulars für den Nachweis der Prüfungsunfähigkeit tatsächlich Klagen des Antragstellers u. a. über Husten, Schnupfen, Kopf-, Glieder- und Rückenschmerzen sowie über Übelkeit, während der Hausarzt am 18.10.2021 eine Gastroenteritis, vermutlich ausgelöst durch eine Lebensmittelvergiftung, diagnostiziert hat. Dass er dennoch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18.10.2021 als Folgebescheinigung bezeichnet und eine Arbeitsunfähigkeit vom 8.10. bis zum 20.10.2021 bescheinigt hat, entkräftet aber nicht durchgreifend den Beweiswert des amtsärztlichen Attests. Selbst wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18.10.2021 im Hinblick auf die Angaben des Antragstellers, ab dem 16.10.2021 unter massivem Erbrechen und wohl nicht mehr unter den zuvor vor allem beklagten Erkältungssymptomen gelitten zu haben, als Erstbescheinigung hätte bezeichnet werden müssen, stellte dies nicht die Feststellungen in dem amtsärztlichen Attest in Frage. Denn der dort niedergelegte Befund stimmt in den hier maßgeblichen Teilen mit der Diagnose des Hausarztes überein, die wiederum im Einklang mit den Feststellungen der Notfallambulanz des Q. -Krankenhauses in X. am 17.10.2021 steht, wohin sich der Antragsteller wegen starken Erbrechens begeben hatte.
17Der Vortrag des Antragsgegners, hinreichende Möglichkeiten zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hätten ihm nicht zur Verfügung gestanden bzw. wären im Hinblick auf eine beim Antragsteller vermutete Prüfungsangst voraussichtlich erfolglos geblieben, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Es wäre immerhin denkbar gewesen, ergänzende Stellungnahmen der Amtsärztin oder auch des Hausarztes, aber auch der den Antragsteller am 17.10.2021 behandelnden Ärztin in der Notaufnahme des Q. -Krankenhauses einzuholen. Soweit der Antragsgegner beim Antragsteller eine symptomatische Prüfungsangst vermutet und geltend macht, diese sei einem Beweis kaum zugänglich, entbindet dies nicht von den oben genannten Maßgaben der Rechtsprechung. Dabei trifft es nicht nur zu, dass Prüfungsstress und Examensangst der Risikosphäre des Prüflings zugerechnet werden und keinen Fall der Prüfungsunfähigkeit darstellen,
18vgl. dazu OVG Berlin-Bbg, Beschluss vom 21.7.2014 - OVG 10 S 5.14 -, NVwZ-RR 2014, 889 = juris Rn. 18 m. w. N., OVG NRW, Urteil vom 3.11.2005 ‑ 14 A 3101/03 -, MedR 2007, 51 = juris Rn. 31 ff., sowie Beschluss vom 16.2.2004 - 14 A 3057/03 -, NVwZ-RR 2004, 497 = juris Rn. 14 ff.,
19sondern auch, dass bei dem Antragsteller angesichts sowohl der außergewöhnlich hohen Zahl der Prüfungsrücktritte und deren Begründung als auch der vornehmlich im Zusammenhang mit Prüfungen auftretenden Erkrankungen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Dauerleidens in Gestalt der Prüfungsangst bestehen. So ist der Antragsteller bereits zwischen dem 6. und dem 15.2.2021 neunmal von Prüfungen zurückgetreten, weil er wegen Übelkeit und/oder Erbrechens bzw. Kopfschmerzen prüfungsfähig gewesen ist. Weitere Ermittlungen der HSPV NRW im Hinblick auf eine Migräneerkrankung sind ohne Ergebnis geblieben. Bei vier weiteren Prüfungsrücktritten zwischen dem 6.5.2021 und dem 10.9.2021 hat der Antragsteller seine Prüfungsunfähigkeit jeweils auf den Verdacht einer Infektion mit dem Coronavirus gestützt, ohne dass sich dieser in auch nur einem Fall bestätigt hätte. In diesem Zusammenhang hätte der Antragsgegner auch berücksichtigen können, dass dem Antragsteller erst durch Verfügung vom 5.10.2021, zugestellt am 7.10.2021, - erneut - eine amtsärztliche Begutachtung bei weiteren krankheitsbedingten Prüfungsrücktritten auferlegt worden ist. Er sollte zwar bereits ab dem 10.8.2020 für den Fall des krankheitsbedingten Rücktritts von jeder weiteren Klausur des ersten Studienjahrs im Erstversuch und in den Wiederholungen zwingend ein amtsärztliches Attest vorlegen. Diese Auflage wurde jedoch anschließend wegen der Überlastung des Amtsarztes durch die aktuelle Situation nicht konsequent umgesetzt. Tatsächlich ist der Antragsteller vor den Untersuchungen am 8. und 18.10.2021 lediglich am 5. und am 15.2.2021 amtsärztlich im Hinblick auf eine Prüfungsunfähigkeit untersucht worden. Vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass weitere Ermittlungen gerade auch unter Einbeziehung des Amtsarztes von vorneherein nicht erfolgversprechend gewesen wären.
20Ohne Erfolg hält der Antragsgegner schließlich mit der Beschwerde an seiner Auffassung fest, der ihm obliegenden weiteren Aufklärung des Sachverhalts mit der E-Mail vom 20.10.2021 an den Antragsteller genügt zu haben. Das ist, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, nicht der Fall. Der Antragsgegner hat sich in dem betreffenden Schreiben im Wesentlichen auf folgende Aussage bzw. Aufforderung beschränkt:
21"Die Nichtteilnahme an einer Prüfungsleistung stellt einen Prüfungsrücktritt dar. Sie haben ein Attest vom Amtsarzt eingereicht. Dieses zeigt jedoch keinerlei Auffälligkeiten, weshalb ich Sie bitte, nochmals selbst Stellung zu dem Prüfungsrücktritt zu nehmen.
22Ich gebe Ihnen die Möglichkeit, bis zum 27.10.2021 schriftlich zu dem oben angeführten Sachverhalt Stellung zu nehmen. Bitte teilen Sie mit, weshalb Sie nicht an der Prüfungsleistung teilgenommen haben. Die Stellungnahme kann gerne per E-Mail erfolgen."
23Dem Schreiben ist bereits nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, im Hinblick auf welchen "Sachverhalt" die Stellungnahme erfolgen soll. Vielmehr ist die Formulierung, das amtsärztliche Attest zeige "keinerlei Auffälligkeiten", missverständlich. Gemeint ist wohl, dass die körperliche Untersuchung dem Attest zufolge bis auf einen geröteten Rachen und eine Druckempfindlichkeit in der Magengegend zu keinem auffälligen Befund geführt hat. Dass ein Attest keine Auffälligkeiten aufweist, kann allerdings ohne Weiteres auch dahin verstanden werden, dass die Bescheinigung selbst nach Einschätzung der Prüfungsbehörde unauffällig ist.
24Unabhängig davon lässt die Anfrage offen, in welcher Richtung die Prüfungsbehörde den Sachverhalt mit Hilfe der Stellungnahme des Antragstellers weiter aufklären möchte. Das gilt - wie ausgeführt - insbesondere hinsichtlich einer vermuteten Prüfungsangst und der Einschätzung, dass eine Prüfungsunfähigkeit, die ihre Ursache in einem Dauerleiden bzw. einer psychischen Beeinträchtigung, das heißt einer krankheitsbedingten generellen und damit zur Person des Prüflings gehörenden Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit hat, den Rücktritt von einer Prüfung nicht rechtfertigen könne.
25Warum dieser Verdacht in der E-Mail - anders als beispielsweise anlässlich einer weiteren Aufklärung im Hinblick auf das Dauerleiden "Migräne" mit E-Mail vom 25.5.2020 und vom 30.10.2020 - nicht erwähnt ist, erläutert die Beschwerde nicht. Nicht nachzuvollziehen ist ferner, warum die Prüfungsbehörde den von ihr angenommenen Widersprüchen innerhalb des amtsärztlichen Attests selbst und im Verhältnis zu den weiteren ärztlichen Bescheinigungen nicht durch eine Rückfrage bei der Amtsärztin bzw. durch eine Aufforderung an den Antragsteller nachgegangen ist, zu bestimmten Fragen eine ergänzende Stellungnahme des Hausarztes beizubringen, wie etwa bereits mit E-Mail vom 23.9.2021 geschehen. Dazu nimmt der Antragsgegner mit seiner Beschwerde nicht Stellung, obwohl das Verwaltungsgericht weitere Aufklärungsmöglichkeiten aufgezeigt hat.
26Auf die fehlende Schriftform des Rücktritts, die § 19 Abs. 2 Satz 1 Teil A Studienordnung der Bachelorstudiengänge an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW (StudO BA) anordnet,
27vgl. hierzu Senatsbeschluss vom heutigen Tag im Verfahren 6 B 458/22,
28hat sich der Antragsgegner nicht, insbesondere auch mit der Beschwerde nicht berufen, so dass dem Senat eine entsprechende Prüfung schon gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO versperrt ist.
292. Der Antragsteller hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang auch hinsichtlich des Antrags zu 2. die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht. Jener Antrag ist darauf gerichtet, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf oder eines ähnlichen Dienstverhältnisses vorläufig die Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu ermöglichen und ihn dem Antragsgegner erneut zur Ausbildung zuzuweisen, bis über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Prüfungsbescheides endgültig entschieden worden ist.
30Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, ist die begehrte Fortsetzung der Laufbahnausbildung nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Antragsteller gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG (i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VAP2.1) kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis entlassen ist mit der Folge, dass er gemäß § 24 FHGöD auch nicht mehr Mitglied der HSPV NRW ist und keine Berechtigung zur Fortsetzung des Studiums hat. Auch der Senat geht davon aus, dass in Fällen, in denen nach Bekanntgabe des endgültigen Nichtbestehens einer Prüfung deren Wiederholung bzw. Neubewertung und daneben die Fortsetzung der Laufbahnausbildung begehrt wird, nicht bereits die Regelung des § 22 Abs. 4 BeamtStG (i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 2 VAP2.1) der Gewährung einstweiligen Rechtschutzes gemäß § 123 VwGO entgegensteht.
31In der Vergangenheit hat der Senat angenommen, die begehrte (vorläufige) Fortsetzung der Laufbahnausbildung sei schon deshalb ausgeschlossen, weil der Beamte mit dem endgültigen Nichtbestehen der für die Laufbahn vorgeschriebenen Prüfung gemäß § 22 Abs. 4 BeamtStG kraft Gesetzes aus dem Beamtenverhältnis entlassen sei und eine Fortsetzung der Ausbildung außerhalb des Beamtenverhältnisses nicht in Betracht komme, bzw. mit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis die erforderliche Zuweisung durch die Ausbildungsbehörde gemäß § 22 Abs. 1 und 2 FHGöD nicht mehr vorliege. Auf die Rechtmäßigkeit der Prüfungsentscheidung und deren Bestandskraft komme es in diesem Zusammenhang nicht an.
32Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 21.2.2018 ‑ 6 B 53/18 -, juris Rn. 5 ff. m. w. N.
33Dieser Rechtsstandpunkt kann im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 - nicht aufrechterhalten werden. Danach wird die pauschale Versagung einstweiligen Rechtsschutzes auf vorläufige Fortsetzung einer Laufbahnausbildung innerhalb oder außerhalb eines Beamtenverhältnisses gestützt auf den Eintritt der Beendigungswirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht gerecht. Es bestünden - so das Bundesverfassungsgericht - besondere Erfordernisse an die Effektivität des Rechtsschutzes, wenn die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes zu einer erheblichen Ausbildungsverzögerung führt. Die dadurch verlorenen Studienjahre stellten für sich genommen schon einen gravierenden Nachteil dar, abgesehen davon, dass bereits in der Ausbildung befindliche Betroffene darüber hinaus gehalten seien, prüfungsrelevante Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem aktuellen Stand zu halten, obwohl ihre Situation durch die Ungewissheit über den weiteren Werdegang gekennzeichnet sei. Mit Rücksicht darauf könne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht pauschal gestützt auf die Sperrwirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG ausgeschlossen werden. Wenn dem Entlassenen vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung - etwa in Gestalt der vorläufigen Fortsetzung der Ausbildung durch Neubegründung eines Beamtenverhältnisses oder außerhalb eines solchen, der vorläufigen Zulassung zur Wiederholungsprüfung oder der vorläufigen Neubewertung - gewährt werde, bleibe die Beendigungswirkung des § 22 Abs. 4 BeamtStG mit Blick auf das bisherige Beamtenverhältnis an sich unangetastet. Zwar komme es für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung aufgrund der gestuft prüfungs- und beamtenrechtlichen Hauptsache (zunächst Beseitigung der belastenden Prüfungsentscheidung gegebenenfalls in Kombination mit einer Neubewertung oder Wiederholung der Prüfung und sodann Neubegründung eines Widerrufsbeamtenverhältnisses wohl im Rahmen eines Folgenbeseitigungsanspruchs) auf die prüfungsrechtlichen Einwendungen an. Bei Gewährung des skizzierten einstweiligen Rechtsschutzes werde die Beendigungswirkung jedoch gerade respektiert. Der einstweilige Rechtsschutz setze zeitlich später an als die Beendigungswirkung und operiere mit dieser, ohne sie aus regelungssystematischer Sicht zu suspendieren.
34Vgl. zum Ganzen BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 9.6.2020 - 2 BvR 469/20 -, NVwZ 2020, 1187 = juris Rn. 25 ff.
35Dies zugrunde gelegt ist in einer Konstellation, wie sie im Streitfall vorliegt, im Rahmen der einstweiligen Anordnung vorläufiger Rechtsschutz in geeigneter Form zu gewähren, sofern die prüfungsrechtlichen Einwendungen hierzu Anlass geben.
36Ebenso im Anschluss an das BVerfG Sächs. OVG, Beschluss vom 4.9.2020 - 2 B 333/19 -, juris Rn. 5; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 6.5.2021 ‑ 2 MB 29/20 -, NVwZ-RR 2021, 987 = juris Rn. 14 ff; VG Düsseldorf, Beschluss vom 28.2.2022 - 26 L 2647/21 -, juris Rn. 37.
37Diese Grundsätze gelten im Hinblick auf den insoweit ebenfalls maßgeblichen § 22 Abs. 4 BeamtStG und die vergleichbaren Regelungen in § 8 Abs. 1 und 2 Nr. 2 VAP2.1 auch für die im vorliegenden Fall einschlägige Ausbildung bezogen auf eine Laufbahn in der allgemeinen Verwaltung im Sinne dieser Verordnung.
38Hiervon ausgehend steht dem Antragsteller ein Anspruch darauf zu, seine Ausbildung fortsetzen zu können. Wie bereits ausgeführt, ist die Bewertung der Prüfung im Modul 6.5 mit "nicht ausreichend" und die darauf beruhende Feststellung eines endgültigen Nichtbestehens der Bachelorprüfung aller Voraussicht nach rechtswidrig. Der Antragsteller ist nicht i. S. v. § 19 Abs. 1 Teil A StudO BA ohne triftigen Grund nicht zur Prüfung am 18.10.2021 erschienen, er hat vielmehr einen solchen Grund zumindest nach der aktuellen Verwaltungspraxis des Antragsgegners den Anforderungen des § 19 Abs. 2 Teil A StudO BA entsprechend unverzüglich angezeigt und glaubhaft gemacht. Insoweit wird auf die Ausführungen unter II.1. verwiesen. Der Anspruch auf vorläufige Fortsetzung der Ausbildung umfasst auch die Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller erneut i. S. v. § 22 Abs. 1 Satz 1 FHGöD der HSPV NRW zuzuweisen, damit er als Mitglied der Fachhochschule an dem von ihm begonnenen Studiengang teilnehmen und die anstehenden Prüfungen absolvieren kann, wobei allerdings die Anerkennung sämtlicher weiterer Studienleistungen unter dem Vorbehalt eines Obsiegens des Antragstellers im Hauptsacheverfahren stehen.
39Dem treten die Antragsgegner mit ihren Beschwerden im Grundsatz nicht entgegen. Sie wenden sich allerdings gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die begehrte vorläufige Fortsetzung der Ausbildung könne nur im Beamtenverhältnis auf Widerruf erfolgen. Sie machen insoweit geltend, die VAP2.1 sehe gemäß § 6 Abs. 2 als Alternative vor, dass zugelassene Personen, die für eine Tätigkeit auf der Funktionsebene der Ämtergruppe des ersten Einstiegsamtes der Laufbahngruppe 2 befähigt werden sollen, für die Dauer der Ausbildung und Prüfung mit der Einstellungsbehörde einen Vertrag für das Studium im Beschäftigungsverhältnis abschließen, was ausreiche und die öffentlichen Interessen wahre. Damit setzen sie den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, das ausgehend von den Ausführungen des BVerfG im Beschluss vom 9.6.2020 - 2 BVR 469/20 - einen Folgenbeseitigungsanspruch angenommen hat, nichts entgegen, sondern berufen sich der Sache nach auf das Fehlen eines diesbezüglichen Anordnungsgrundes (dazu nachfolgend). Der Senat kann vor diesem Hintergrund unerörtert lassen, ob in Bezug auf die begehrte vorläufige Fortsetzung der Ausbildung im Beamtenverhältnis auf Widerruf ein (Anordnungs-) Anspruch besteht.
40III. Das Verwaltungsgericht hat schließlich auch zutreffend angenommen, dass der Antragsteller einen Anordnungsgrund in Bezug auf die begehrten vorläufigen Regelungen glaubhaft gemacht hat. Die hiergegen erhobenen Einwände der Antragsgegner greifen nur insoweit durch, als das Verwaltungsgericht die Antragsgegnerin verpflichtet hat, den Antragsteller erneut ins Beamtenverhältnis auf Widerruf zu berufen.
411. Im Hinblick auf die Verpflichtung der Antragsgegner in dem der Beschlussformel zu entnehmenden Umfang besteht ein Anordnungsgrund.
42Zunächst ist wiederum der Vorwurf einer unzureichenden Prüfung des Anordnungsgrundes durch das Verwaltungsgericht unberechtigt. Der angefochtene Beschluss setzt sich auf Seite 8 und 9 mit den Voraussetzungen eines Anordnungsgrundes und den insoweit erstinstanzlich geäußerten Einwänden des Antragsgegners auseinander. Aus Sicht des Verwaltungsgerichts reicht für die Darlegung eines Anordnungsgrundes auch im vorliegenden Fall der Verweis darauf aus, dass einerseits durch die regelmäßige Dauer eines prüfungsrechtlichen Klageverfahrens eine erhebliche Ausbildungsverzögerung droht und andererseits für den Antragsteller die Notwendigkeit besteht, sein Prüfungswissen und seine Prüfungsfähigkeiten auf unbestimmte Zeit präsent zu halten. Dies ist nicht zu beanstanden. Auf diese beiden Gesichtspunkte hat sich der Antragsteller bereits in seiner Antragsschrift berufen und insoweit auf die einschlägige Rechtsprechung nicht zuletzt des Bundesverfassungsgerichts in seinem Kammerbeschluss vom 9.6.2020 -
432 BvR 469/20 -, a.a.O. Rn. 25 und 29 -
44Bezug genommen. Die Rüge des Antragsgegners, das Verwaltungsgerichts habe diese auch in der Beschwerdebegründung zitierten Passagen nicht hinreichend berücksichtigt, bleibt ohne Erfolg. Eine unzureichende Betrachtung des vorliegenden Einzelfalls ist nicht festzustellen. Das Verwaltungsgericht ist vielmehr zutreffend davon ausgegangen, dass die oben genannten gravierenden und irreparablen Nachteile auch im vorliegenden Fall eintreten werden, wenn mehrere Jahre bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Prüfungsbescheides vergehen; der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann nur entnommen werden, dass die Nachteile regelmäßig - und so auch hier - von hinreichendem Gewicht sind, um den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu rechtfertigen.
45Einer Grundlage entbehrt der Vortrag, dass es bei dem Antragsteller gar kein relevantes Prüfungswissen gebe, das er während des Hauptsacheverfahrens präsent und aktuell zu halten hätte. Das Verwaltungsgericht hat ferner zu Recht angenommen, dass dem Antragsteller die Verzögerung der Ausbildung durch Prüfungsrücktritte, die von der HSPV NRW in der Vergangenheit als aus triftigem Grund erfolgt anerkannt wurden, nicht als selbstverschuldet entgegen gehalten werden kann.
46Anders als der Antragsgegner behauptet, können die festgestellten drohenden Nachteile auch durch eine vorläufige Fortsetzung der Ausbildung vermieden werden. Es trifft nicht zu, dass der Antragsteller, wenn er tatsächlich zwischenzeitlich sämtliche Studienleistungen einschließlich der Bachelorarbeit mit Erfolg absolvieren sollte, nicht zum Kolloquium zugelassen werden könnte, weil er im Fall des Bestehens die angestrebte Laufbahnbefähigung erhalten und in ein Beamtenverhältnis auf Probe übernommen würde, obwohl er die Ausbildung nur vorläufig fortgesetzt hätte. Der vom Antragsgegner auf Seite 9 der Beschwerdeschrift skizzierte Automatismus ist so nicht vorgesehen und ergibt sich weder aus dem zitierten § 17 Abs. 1 Satz 2 Teil A StudO BA noch aus § 22 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 BeamtStG bedarf die Umwandlung des Beamtenverhältnisses in ein solches anderer Art vielmehr einer Ernennung. Der Antragsteller könnte allerdings, sollte das Hauptsacheverfahren bis zum Ende der vorläufig absolvierten Ausbildung noch nicht abgeschlossen sein, nicht in den allgemeinen Verwaltungsdienst als Beamter auf Probe aufgenommen werden, weil seine Studienleistungen nur vorläufig sind und ihm gerade nicht endgültig die Laufbahnbefähigung vermitteln.
47Vergeblich wendet der Antragsgegner schließlich ein, bereits nach dem derzeitigen Ausbildungsstand des Antragstellers sei aufgrund der durch die Vielzahl anerkannter Prüfungsrücktritte eingetretenen Verzögerung ein erfolgreicher Abschluss innerhalb der nach § 10a Abs. 1 Satz 3 VAP2.1 vorgesehenen Studiendauer nicht zu erwarten. Dass dies der Fall ist, hat der Antragsgegner nicht hinreichend konkret dargelegt; der Antragsteller befindet sich seit dem 1.9.2019 und damit erst rund zwei Jahre in der Ausbildung. Angemerkt sei allerdings, dass die mit diesem Beschluss ergehende einstweilige Anordnung bei einem Überschreiten der maximalen Zeitvorgabe des Studiums nach § 10a Abs. 1 VAP2.1 einer Entlassung bzw. einem Ausscheiden aus der Ausbildung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 VAP2.1 nicht entgegenstünde.
482. Kein Anordnungsgrund ist hingegen im Streitfall anzunehmen, soweit das Verwaltungsgericht die Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller vorläufig die Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu ermöglichen und ihn zu diesem Zweck der HSPV NRW zuzuweisen, mit der weiteren Verpflichtung verbunden hat, ihn erneut ins Beamtenverhältnis auf Widerruf zu berufen.
49Die Antragsgegner weisen mit Erfolg darauf hin, dass es der vom Verwaltungsgericht angeordneten erneuten Ernennung des Antragstellers zum Beamten auf Widerruf nicht bedürfe, um dem Begehren, wie es in den erstinstanzlichen Anträgen zum Ausdruck kommt, in Gänze zu entsprechen. Gemäß § 6 Abs. 1 und 2 VAP2.1 kann die Ausbildung sowohl im Beamtenverhältnis auf Widerruf als auch in einem vertraglichen Beschäftigungsverhältnis fortgesetzt werden; insoweit liegt es anders als etwa im Fall von Kommissaranwärtern, die gemäß § 15 Abs. 2 LVO Pol, § 5 VAPPol II Bachelor (stets) in das Beamtenverhältnis auf Widerruf berufen werden.
50Vgl. dazu Senatsbeschluss vom heutigen Tag - 6 B 458/22 -.
51Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die erneute Zuweisung an die HSPV NRW, die gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 FHGöD für die vorläufige Fortsetzung der Laufbahnausbildung erforderlich ist. Für den Fall, dass der Antragsteller die Ausbildung vorläufig auf der Grundlage eines Vertrages für das Studium im Beschäftigungsverhältnis i. S. v. § 6 Abs. 2 VAP2.1 fortsetzen sollte, ergibt sich aus § 3 Abs. 4 Nr. 3 Satz 3 FHGöD, dass zu den an der HSPV NRW angebotenen Studiengängen auch nichtbeamtete Studierende zugelassen und entsprechend ebenfalls durch die Einstellungsbehörde der Fachhochschule zugewiesen werden.
52Zwingende Gründe, die eine Fortsetzung der Ausbildung für den Antragsteller nur im Beamtenverhältnis auf Widerruf geböten, sind nicht ersichtlich. Denn aus Art. 19 Abs. 4 GG lässt sich nach dem einschlägigen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9.6.2020 lediglich ein Anspruch des Prüflings darauf ableiten, im Wege einer einstweiligen Anordnung irreversible Nachteile durch eine Verzögerung der für den Zugang zu einem Amt erforderlichen Laufbahnausbildung abzuwenden. Dieser wird mit der tenorierten Anordnung erfüllt. Stehen der Einstellungsbehörde wie im vorliegenden Fall mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, den Prüfling zwecks vorläufiger Fortsetzung der Laufbahnausbildung erneut zu beschäftigen, fehlt für eine Verpflichtung zur Umsetzung nur einer dieser Möglichkeiten der Anordnungsgrund. Soweit der Antragsteller nunmehr noch vorgetragen hat, er müsse im Sinne einer Folgenbeseitigung zum Beamten auf Widerruf ernannt werden, weil er als solcher zu Beginn seines Ausbildungsverhältnisses eingestellt worden sei, zielt dies allein auf den Anordnungsanspruch ab, belegt aber nicht das Vorliegen eines Anordnungsgrundes.
53B. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Ein teilweises Unterliegen des Antragstellers liegt nicht vor, weil dessen Antrag darauf gerichtet ist, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf oder eines ähnlichen Dienstverhältnisses vorläufig die Fortsetzung der Laufbahnausbildung zu ermöglichen.
54Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 39 Abs. 1, 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG. Der Senat bemisst den Streitwert für die begehrte Zulassung zur Wiederholungsprüfung im Modul 6.5 gestützt auf § 52 Abs. 2 GKG auf 2.500 Euro. Er nimmt insoweit eine Halbierung des in Anlehnung an Nr. 36.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit anzusetzenden Auffangwerts von 5.000 Euro vor, weil eine vollständige Vorwegnahme der Hauptsache - wie dargelegt - nicht vorliegt, da die Prüfung nur unter dem Vorbehalt des Erfolgs in der Hauptsache abgelegt wird. Für den daneben gestellten und selbstständig zu bewertenden Antrag, dem Antragsteller unter erneuter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf oder eines ähnlichen Dienstverhältnisses die Fortsetzung der Laufbahnausbildung vorläufig zu ermöglichen, wird gemäß § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, Sätze 2 und 3 GKG ein Streitwert i. H. v. 4.067,04 Euro - (6 x 1.355,68 Euro) : 2 - angesetzt. Auch insoweit bleibt der Senat mangels vollständiger Vorwegnahme der Hauptsache bei der Halbierung des Betrags. Die sich ergebenden Streitwerte sind gemäß § 39 Abs. 1 GKG zu addieren. Für die Einzelheiten wird auf den Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren 6 E 288/22 verwiesen. Eine Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung erfolgt durch jenen Beschluss und ist infolgedessen hier entbehrlich.
55Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 66 Abs. 3 Satz 3, 68 Abs. 1 Satz 5 GKG).
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