Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 A 2457/21.A
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr. E. wird abgelehnt.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das zweitinstanzliche Verfahren ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung unter Anlegung der für die Gewährung von Prozesskostenhilfe geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe,
3vgl. dazu etwa BVerfG, Beschlüsse vom 26. Juni 2003 – 1 BvR 1152/02 – NJW 2003, 3190 = juris Rn. 10, und vom 7. April 2000 – 1 BvR 81/00 –, NJW 2000, 1936 = juris Rn. 16, sowie VerfGH NRW, Beschluss vom 30. April 2019 - 2 /19.VB-2 -, juris Rn. 24 ff. m. w. N.,
4aus den nachstehend bezeichneten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
5II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
61. Die Berufung ist nicht wegen der geltend gemachten Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
7a) Der Kläger zeigt nicht auf, dass sein Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt worden ist, dass das Verwaltungsgericht seinen in der mündlichen Verhandlung am 16. Juli 2021 (unbedingt) gestellten Beweisantrag,
8zum Beweis der Tatsache, dass er an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, Beweis durch Einholung eines (weiteren) psychiatrisch-psychologischen Sachverständigengutachtens zu erheben,
9abgelehnt hat.
10Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird durch die Ablehnung eines Beweisantrags (nur) verletzt, wenn seine Ablehnung im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet.
11Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 8. November 1978 ‑ 1 BvR 158/78 -, BVerfGE 50, 32 = juris Rn. 11, und vom 29. November 1983 - 1 BvR 1313/82 -, BVerfGE 65, 305 = juris Rn. 8; BVerwG, Beschluss vom 24. März 2000 - 9 B 530.99 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 308 = juris Rn. 13.
12Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung am 23. Juli 2021 durch Beschluss als unsubstantiiert abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
13"Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung substantiiert dargelegt. In dem vorangegangenen Klageverfahren 1 K 7147/18.A hat der Kläger dem Gericht kein ärztliches Attest mit einer entsprechenden Diagnose vorgelegt. In der vom Sachverständigen in dem vorherigen Klageverfahren zur Abfassung des in Auftrag gegebenen Gutachtens eingeholten Verlaufsdokumentation und elektronischen Patientendokumentation der LVR-Klinik wurde die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zwar aufgeführt, hingegen, wie in dem Urteil des genannten Verfahrens dargestellt, ohne Darstellung der tatsächlichen und medizinischen Umstände, auf denen die Diagnose erfolgt ist. Zudem hat die LVR-Klinik die im April und Juli 2019 gestellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung, wie der Sachverständige in seinem Gutachten wiedergibt, ab Oktober 2019 nicht mehr gestellt. Die Klinik ist mithin von dieser Diagnose abgerückt. Auch der Sachverständige in dem vorangegangen Klageverfahren ist nicht zu der Annahme des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung gekommen, ebenso wie der vom Amtsgericht W. beauftragte Sachverständige Dr. L. . Behauptet der Kläger damit nach eigenem Vorbringen nun erstmalig das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung bedarf es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, vgl. Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8/07 -, juris, Rn. 15, zur Substantiierung dieses Vortrages der Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attestes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört hierzu insbesondere die Angabe der Grundlage der Diagnose, wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt, dazu gehören auch Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Diesen Voraussetzungen genügen die vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen der LVR-Klinik W. vom 1. Dezember 2020 und 10. Juli 2021 nicht. In diesen fehlen insbesondere die Angaben, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde und ob die von dem Kläger geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden konnten. In den vorgelegten Stellungnahmen werden im Wesentlichen die Feststellungen früherer Behandlungsunterlagen wiedergegeben und dargelegt, welche Symptome bei einer posttraumatischen Belastungsstörung nach der ICD-10 auftreten und dass der Kläger in den vorangegangenen Behandlungen entsprechende Beschwerden geschildert hat. Allerdings bleibt unklar, auf welcher Grundlage letztlich die in den Stellungnahmen enthaltene Diagnose einer PTBS gestellt wurde und ob die von dem Kläger geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden.
14Unabhängig davon fehlt in den fachärztlichen Stellungnahmen jegliche Auseinandersetzung mit den den Stellungnahmen und damit der Diagnose zugrunde gelegten, früheren Behandlungsunterlagen. Die den Kläger zuvor behandelnden Ärzte, deren Aufzeichnungen die aktuelle Ärztin des Klägers für ihre Stellungnahmen heranzieht, sind bei den von dem Kläger geschilderten und nunmehr wiedergegebenen Beschwerden nicht zu der Diagnose einer PTBS gekommen bzw. haben von einer solchen wiederum Abstand genommen. Die den Kläger aktuell behandelnde Ärztin hat sich mit diesem Umstand nicht auseinandergesetzt und nicht plausibel dargetan, aus welchem Grund entgegen der vorherigen ärztlichen Stellungnahmen nunmehr eine PTBS vorliegen soll. Ebenso führt Herr Dr. L. in seinem Gutachten von März 2020 aus, dass es einer weiteren Differenzierung zur Feststellung bedürfe, ob das Vollbild einer PTBS bei dem Kläger vorliege. Eine solche Differenzierung hat die behandelnde Ärztin des Klägers in den vorgelegten Stellungnahmen hingegen, wie bereits aufgezeigt, nicht vorgenommen.
15Überdies sind die vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen aber auch in sich nicht schlüssig, denn in diesen werden zur Begründung des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung auch von dem Kläger geschilderte Beschwerden herangezogen, die vor dem traumaauslösenden Ereignis gelegen haben und denen daher ersichtlich keine Aussagekraft für das Vorliegen einer PTBS zukommen kann. Insoweit wird in der Stellungnahme vom 10. Juli 2021 etwa auf den Entlassungsbericht der LVR-Klinik W. zum stationären Aufenthalt vom 5. September bis 20. September 2018 und die dort vom Kläger geschilderten Beschwerden Bezug genommen, obgleich der das Trauma auslösende Überfall erst im Februar 2019 stattgefunden hat."
16In dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht darüber hinaus zusammenfassend ausgeführt, dass dem gestellten Beweisantrag nicht nachzugehen gewesen sei, weil die vom Kläger vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen der LVR-Klinik W. vom 1. Dezember 2020 und 10. Juli 2021 aufgrund der vorstehenden Erwägungen nicht geeignet gewesen seien, das im vorangegangen Klageverfahren - 1 K 7147/18.A - eingeholte Sachverständigengutachten von Herrn Dr. T. vom 14. April 2020 zu erschüttern (vgl. Urteilsabschrift, Seite 23 oben).
17Dass die so begründete Ablehnung seines Beweisantrags prozessordnungswidrig erfolgt ist, hat der Kläger nicht dargelegt.
18Das Verwaltungsgericht kann den Beweisantrag eines Verfahrensbeteiligten auf Einholung eines (ersten, eigenen) gerichtlichen Sachverständigengutachtens ablehnen, wenn das Vorbringen des Verfahrensbeteiligten gegen das in einem anderen gerichtlichen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten nach den Grundsätzen der richterlichen Überzeugungsbildung und freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 286 ZPO) nicht geeignet ist, den fachlichen Inhalt dieses Sachverständigengutachtens ernsthaft zu erschüttern.
19Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2020 - 2 B 30.19 -, NVwZ-RR 2020, 1078 = juris Rn. 27 f. m. w. N.
20So liegt der Fall auch hier.
21So hatte das Verwaltungsgericht im vorangegangen Asylklageverfahren - 1 K 7147/18.A - das Sachverständigengutachten von Herrn Dr. T. vom 14. April 2020 unter anderem zu der Beweisfrage eingeholt, ob der Kläger an einer körperlichen und / oder psychischen Erkrankung leide und wie diese nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) zu klassifizieren sei. In dem Gutachten (vgl. Seite 58 ff. und 76 unten) wird ausgeführt, dass nach den Kriterien der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der 10. Revision (ICD-10/WHO) die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) beim Kläger nicht gestellt werden könne. Nach ICD-10/WHO werde gefordert, dass die Störung mit einer Latenz von Wochen bis Monaten einsetze (zweites Eingangskriterium – sog. Zeitkriterium); beim Kläger bestehe die Symptomatik aber seit dem Vorfall. "Abgesehen davon" habe beim Kläger das für die Diagnoseerstellung der PTBS zwingende Symptom der "emotionalen Taubheit" (deafness) nie vorgelegen und liege auch aktuell nicht vor. "Emotionale Taubheit" bedeute, dass die Betroffenen insbesondere positive Gefühle (aber auch negative Gefühle) nicht spüren könnten. Den Betroffenen sei es z. B. nicht möglich, Liebe und Mitleid zu empfinden für andere Menschen, sie könnten auch nicht spüren, dass sie von diesen Menschen geliebt werden. Dies sei besonders quälend für die Betroffenen, da sie nicht spüren könnten, dass sie z. B. von ihren Ehepartnern oder Eltern geliebt werden, oder dass sie Eltern oder Ehepartner liebten. Der Kläger könne jedoch in jedem Fall die Liebe zu seiner Mutter, das Mitleid mit ihr empfinden, könne auch die Stärkung und die Unterstützung durch sie empfinden, liebe sie auch. Zudem spreche auch die Aufnahme einer neuen nahen Beziehung zu einer neuen Partnerin gegen eine "emotionale Taubheit" des Klägers. Damit hat der Gutachter Dr. T. das Vorliegen einer PTBS beim Kläger aus zwei jeweils selbständig tragenden Gründen - fehlendes "Zeitkriterium" und fehlende "emotionale Taubheit" - verneint. Dieser Einschätzung des Gutachters ist das Verwaltungsgericht in seinem - anschließend rechtskräftig gewordenen - Urteil vom 22. Mai 2020 - 1 K 7147/18.A - gefolgt und hat die Feststellung des Bestehens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgelehnt (vgl. Urteilsabschrift, Seite 26 f., 32 f. und 35 ff.).
22Daraufhin hat der Kläger am 21. Januar 2021 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) unter Vorlage der fachärztlichen Stellungnahme der LVR-Klinik W. vom 1. Dezember 2020 einen sog. isolierten Folgeschutzantrag - gerichtet auf Wiederaufgreifen des Verfahrens auf Feststellung des Bestehens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG wegen PTBS - gestellt. Diesen Antrag hat das BAMF mit Bescheid vom 14. April 2021 abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben und im Laufe des Klageverfahrens die weitere fachärztliche Stellungnahme der LVR-Klinik W. vom 10. Juli 2021 vorgelegt.
23Weder die fachärztliche Stellungnahme der LVR-Klinik W. vom 1. Dezember 2020 noch diejenige vom 10. Juli 2021 erschüttert allerdings ernsthaft die Feststellung in dem Sachverständigengutachten von Herrn Dr. T. , das Vorliegen einer PTBS beim Kläger sei aus zwei jeweils selbständig tragenden Gründen - fehlendes "Zeitkriterium" und fehlende "emotionale Taubheit" - zu verneinen. Beide fachärztlichen Stellungnahmen der LVR-Klinik W. sind daher auch keine neuen Beweismittel i. S. d. 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, die eine dem Kläger günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden.
24Die fachärztliche Stellungnahme der LVR-Klinik W. vom 1. Dezember 2020 enthält zwar die Diagnose "Posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F43.1)" für den Kläger, geht aber überhaupt nicht auf das nach dem Gutachten von Herrn Dr. T. vom 14. April 2020 hierfür fehlende "Zeitkriterium" und die ebenfalls fehlende "emotionale Taubheit" ein.
25In der fachärztlichen Stellungnahme der LVR-Klinik W. vom 10. Juli 2021 (vgl. Seite 5 f.) wird zwar unter Bezugnahme auf das Gutachten von Herrn Dr. T. vom 14. April 2020 ausgeführt, dass entgegen der inzwischen in Revision befindlichen ICD-10 die aktuelle wissenschaftliche "S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung" der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (2019) davon ausgehe, dass die Symptomatik einer PTBS auch unmittelbar nach einem traumatischen Geschehen auftreten und langfristig persistieren könne. Es müsse auch nicht zwingend das Vollbild einer PTBS mit allen genannten Symptomen bestehen; diese könnten in unterschiedlicher Ausprägung auch fluktuieren. Jedoch finden sich in der Version von 2019 der "S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung" der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie die in der fachärztlichen Stellungnahme der LVR-Klinik W. vom 10. Juli 2021 angeführten Inhalte so nicht wieder. Vielmehr lautet die Empfehlung Nr. 2 dieser Leitlinie, dass die Diagnostik der PTBS nach klinischen Kriterien der jeweils gültigen Version der ICD erfolgen soll. Dies ist vorliegend jedoch geschehen, da Herr Dr. T. seinem Gutachten die ICD in der 10. Revision zugrunde gelegt hat; die ICD-11 trat erst am 1. Januar 2022 in Kraft. In der Vorgängerversion "S3-Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung ICD-10: F43.1" von 2011 findet sich zwar der Satz, dass die Symptomatik unmittelbar oder auch mit (z.T. mehrjähriger Verzögerung) nach dem traumatischen Geschehen (verzögerte PTBS) auftreten kann. Gleichzeitig heißt es dort jedoch, dass das syndromale Störungsbild "geprägt" ist durch "emotionale Taubheit (allgemeiner Rückzug, Interesseverlust, innere Teilnahmslosigkeit)". Zudem soll nach der Leitlinienempfehlung 3 die Diagnostik der PTBS nach klinischen Kriterien (ICD 10) erfolgen. In der zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung durch Herrn Dr. T. am 14. April 2000 geltenden ICD-10-GM (German Modification) Version 2019 finden sich unter der Rubrik "F43.1 Posttraumatische Belastungsstörung" allerdings folgende Sätze: "Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. … Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann." (Unterstreichungen durch den Senat).
26Darüber hinaus vermag auch das sonstige Vorbringen des Klägers im erstinstanzlichen Klageverfahren die Feststellung in dem früheren Sachverständigengutachten von Herrn Dr. T. , die Diagnose einer PTBS beim Kläger sei aus zwei jeweils selbständig tragenden Gründen - fehlendes "Zeitkriterium" und fehlende "emotionale Taubheit" - auszuschließen, nicht ernsthaft zu erschüttern. Soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers im Schriftsatz vom 21. Mai 2021 (vgl. Seite 5 f.) ausführt, die beiden vom Gutachter für das Vorliegen einer PTBS angeführten Voraussetzungen - "Zeitkriterium" und "emotionale Taubheit" - seien in der für Deutschland geltenden ICD-10 der WHO nicht existent, trifft dies - wie zuvor bereits ausgeführt - nicht zu. Warum der Gutachter nach Ansicht der Prozessbevollmächtigten des Klägers neben der ICD-10 der WHO auch das in den USA verbreitete Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders in der 4. bzw. 5. Revision (DSM-4 bzw. DSM-5) hätte heranziehen sollen, wird im Schriftsatz vom 21. Mai 2021 nicht weiter dargelegt. Schließlich hat der Sachverständige Dr. T. seinem Gutachten vom 14. April 2020 auch alle bis dahin verfügbaren, für die Frage nach dem Vorliegen einer PTBS relevanten ärztlichen Informationen über den Kläger zugrunde gelegt und diese in dem Gutachten - anders als der Kläger meint - umfassend und nachvollziehbar ausgewertet.
27b) Soweit der Kläger ferner geltend macht, das Verwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es die diagnostischen Feststellungen in den fachärztlichen Stellungnahmen der LVR-Klinik W. vom 1. Dezember 2020 und vom 10. Juli 2021 nicht zur Kenntnis genommen habe, greift dieser Einwand nicht durch. Denn im Tatbestand des angegriffenen erstinstanzlichen Urteils (vgl. Urteilsabschrift, Seite 14 und 16) sind diese diagnostischen Feststellungen aufgeführt. Zudem sind die Feststellungen in den Entscheidungsgründen (vgl. Urteilsabschrift, Seite 18 ff. und 21 ff.) auch rechtlich gewürdigt worden. Dass der Kläger diese Würdigung für falsch hält, begründet keine Gehörsverletzung. Fehler bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind selbst im Falle ihre Vorliegens - wofür hier allerdings nichts spricht - regelmäßig dem sachlichen (materiellen) Recht zuzuordnen und nicht dem Verfahrensrecht.
28Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. November 1995 - 9 B 710.94 -, juris Rn. 4 f., und vom 8. Februar 2011 - 10 B 1.11 -, juris Rn. 3.
292. Erfolglos bleibt auch die weitere Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung dadurch verletzt, dass es kein (weiteres) Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt habe, ob der Kläger an einer PTBS leide. Eine Verletzung der dem Gericht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht gehört nämlich nicht zu den in § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i. V. m. § 138 VwGO bezeichneten Verfahrensmängeln, bei deren Vorliegen die Berufung zuzulassen ist.
303. Die Berufung ist auch nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
31Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes erforderlich, dass die entsprechende Frage aufgeworfen und substantiiert ausgeführt wird, warum sie für entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Juli 2018 - 9 A 2789/17.A -, juris Rn. 4 f. m. w. N.
33Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsbegründung nicht.
34Der Kläger hat bereits die Entscheidungserheblichkeit der dort als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Frage,
35ob es zulässig ist, dass das Verwaltungsgericht den Beweisantrag auch dann ablehnen darf, wenn es ohne eigene Sachkunde nur einem Gutachten folgt, welches das Vorliegen einer PTBS "lediglich" auf der Grundlage nicht aktueller wissenschaftlicher Standards beurteilt und es damit ausgeschlossen hat, obwohl bei einer Begutachtung nach aktuellen wissenschaftlichen Standards eine PTBS vorliegen könnte,
36nicht dargelegt. Denn die Zulassungsbegründung zeigt nicht auf, dass der Ausschluss der Diagnose einer PTBS bei dem Kläger in dem Sachverständigengutachten von Herrn Dr. T. vom 14. April 2020 auf der Grundlage nicht aktueller wissenschaftlicher Standards erfolgt ist. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen unter 1. a) Bezug genommen. Im Übrigen wird mit der aufgeworfenen Frage lediglich die unter 1. a) bereits behandelte Gehörsrüge im Gewande einer Grundsatzrüge erhoben.
37Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.
38Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- VwGO § 86 1x
- 1 BvR 81/00 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 286 Freie Beweiswürdigung 1x
- 9 A 2789/17 1x (nicht zugeordnet)
- 1 K 7147/18 4x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- 10 C 8/07 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 138 1x
- § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 108 1x
- 1 BvR 1313/82 1x (nicht zugeordnet)
- § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 173 1x
- 1 BvR 158/78 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 1152/02 1x (nicht zugeordnet)