Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen - 2 B 929/22
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Unter Abänderung des erstinstanzlichen Streitwertbeschlusses wird der Streitwert für beide Instanzen auf 44.375,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist jedenfalls unbegründet.
2Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
3Das Verwaltungsgericht hat mit dem angegriffenen Beschluss die aufschiebende Wirkung der Klage 8 K 938/22 in der Fassung des Schriftsatzes des Antragstellers vom 8. Juni 2022 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. Mai 2022 über die Ausübung des Vorkaufsrechts im Wesentlichen mit der Begründung wiederhergestellt, die Anfechtungsklage sei zulässig und begründet. Der Antrag finde nicht etwa einen bereits bestandskräftigen Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts vor. Soweit der Antragsteller die ursprüngliche Verpflichtungsklage (auf Erteilung eines Negativzeugnisses im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 3 BauGB) um die Anfechtung des Bescheids über die Ausübung des Vorkaufsrechts erweitert habe, stelle dies eine zulässige Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO dar. Die Klagebegehren stünden in Zusammenhang. Die Erteilung eines Negativzeugnisses sei akzessorisch bezogen auf das Bestehen eines Vorkaufsrechts. Die Änderung sei auch sachdienlich. Der Streitstoff bleibe im Wesentlichen derselbe. Der Sachdienlichkeit stehe nicht entgegen, dass die als Untätigkeitsklage erhobene Verpflichtungsklage bereits unzulässig gewesen wäre. Vielmehr spreche Vieles dafür, dass die Untätigkeitsklage jedenfalls vor Erlass des Bescheides über die Ausübung des Vorkaufsrechts zulässig geworden sei. Ob ein Vorkaufsrecht bestehe, könne in der Regel – so auch hier – in kurzer Zeit geklärt werden; hierfür seien maximal zwei bis drei Wochen zu veranschlagen. Ohne sachliche Notwendigkeit könne die Gemeinde sich nicht auf die Drei-Monats-Frist in § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB berufen, da diese Frist nur für die Ausübung des Vorkaufsrechts selbst gelte. Das könne hier aber auch dahinstehen, denn eine Bestandskraft des Bescheides über die Ausübung des Vorkaufsrechts sei nicht eingetreten. So spreche Vieles dafür, dass im Anwendungsbereich des § 58 Abs. 1 VwGO selbst zum Zeitpunkt der Eilbeschlussfassung noch eine Anfechtungsklage gegen den Bescheid erhoben werden könnte. In der Sache überwiege das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage 8 K 938/22, soweit sie sich gegen die Ausübung des Vorkaufsrechts mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 30. Mai 2022 richte, weil diese sich aus den im vorliegenden Verfahren allein zu beurteilenden baurechtlichen Gründen im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als offensichtlich rechtswidrig erweisen werde. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Vorkaufsrechts lägen bei summarischer Prüfung nicht vor. Für Kaufverträge, die vor der Fassung eines Bebauungsplanänderungsbeschlusses und dem anschließenden Beginn der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs geschlossen würden, stehe der Gemeinde kein Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 2 BauGB zu. Das sei hier aber der Fall gewesen. Im Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Kaufvertrages am 14. Dezember 2021 hätten die davon erfassten Grundstücke zwar im Geltungsbereich des Bebauungsplans der Antragsgegnerin Nr. 10 Abschnitt C, "E.---straße " gelegen. Dieser hätte indes für die Grundstücke keine Festsetzung der Nutzungsart für öffentliche Zwecke, sondern die Festsetzung "Allgemeines Wohngebiet" enthalten. Der entsprechende Beschluss zur Änderung des Bebauungsplans mit dem Ziel der Änderung des Nutzungszwecks sei vom Rat der Antragsgegnerin erst am 6. April 2022 und damit nach Abschluss des notariellen Kaufvertrages gefasst worden. Auch geltend gemachte besondere Umstände des Einzelfalls geböten keine davon abweichende zeitliche Abfolge. Zwar habe der Notar der Antragsgegnerin den Kaufvertragsabschluss vom 14. Dezember 2021 erst Anfang März 2022 und damit nach ca. 2,5 Monaten mitgeteilt. Daraus habe die Antragsgegnerin aber kein Recht ableiten können, bis zur Ausübung eines Vorkaufsrechts ebenso lange abzuwarten, um hierfür zunächst die dafür erforderlichen bauplanungs- bzw. satzungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Die Verlängerung der Ausübungsfrist in § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB durch das Gesetz zur Mobilisierung von Bauland vom 14. Juni 2021 (vgl. BGBl. Teil I Nr. 33, S. 1802) von zwei auf drei Monate ergebe nichts anderes. Es handele sich um eine reine verfahrensrechtliche Vorschrift. Der Gesetzgeber habe jedoch nicht § 24 Abs. 1 BauGB – auf diese Vorschrift werde das Vorkaufsrecht gestützt – dahingehend geändert, dass Vorkaufsrechte an Grundstücken durch einen nachträglichen Planänderungs- oder Aufstellungsbeschluss begründet werden könnten. Auch die von der Antragsgegnerin angeführte besondere Situation in Form der durch den Angriff Russlands auf die Ukraine eingeleiteten historischen Zeitenwende und ein damit im Zusammenhang stehendes dringendes Erfordernis der Unterbringung von Kriegsflüchtlingen in Deutschland und im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin erfordere nicht ausnahmsweise die Möglichkeit eines nach Abschluss eines Grundstückskaufvertrages zu schaffenden gemeindlichen Vorkaufsrechts.
4Diesen im Einzelnen weitergehend nachvollziehbar und überzeugend begründeten Ausführungen setzt die Beschwerde nichts Durchgreifendes entgegen, was im Ergebnis eine andere Bewertung der Interessenlage im Eilverfahren und die Ablehnung des Eilrechtschutzersuchens begründet.
5Ohne Erfolg wendet sich die Beschwerde gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Einbeziehung des Anfechtungsbegehrens gegen den Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts in die Klage 8 K 938/22 sei als sachdienliche Klageänderung nach § 91 VwGO zulässig. Die Entscheidung über die Sachdienlichkeit liegt im Ermessen der darüber entscheidenden Instanz.
6Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2010 – 4 B 35.10 -, juris Rn. 5.
7Dafür, dass das Verwaltungsgericht den Rechtsbegriff der Sachdienlichkeit bei seiner Einschätzung verkannt hätte, zeigt die Beschwerde nichts Greifbares auf.
8Der Vorhalt der Beschwerde, es handele sich um einen gänzlich neuen Prozessstoff, ist unbegründet. Zur Erläuterung führt sie an, bei dem Antrag auf Erteilung des sogenannten Negativzeugnisses gehe es um die abstrakte Frage, ob der Antragsgegnerin ein Vorkaufsrecht aus irgendeinem denkbaren Rechtsgrund zustehen könne oder ob sie gewillt sei, ihr Vorkaufsrecht überhaupt auszuüben, während es bei dem streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Mai 2022 um die konkrete Ausübung des Vorkaufsrechts gehe. Bei der abstrakten Frage des grundsätzlichen Vorliegens eines Vorkaufsrechts befasse sich ein zur Entscheidung berufenes Gericht lediglich dem Grundsatz nach und in abstrakter Weise mit einer Vielzahl in Betracht kommender Rechtsgrundlagen, so etwa aus dem Baugesetzbuch, dem Denkmalschutzgesetz NRW oder dem StrWG NRW, ohne konkret die weiteren Voraussetzungen und Erwägungen des Einzelfalls prüfen zu können.
9Diese Erwägungen sind nicht zielführend, denn weder eine Klagehäufung nach § 44 VwGO noch die Sachdienlichkeit einer darauf abzielenden nachträglichen, nicht bereits nach § 173 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 2 ZPO zulässigen Klageerweiterung hängen davon ab, dass für die geltend gemachten Ansprüche abstrakt ein identisches Prüfprogramm in Rede steht.
10Wesentlich für den Begriff der Sachdienlichkeit ist vielmehr der Gesichtspunkt der Prozessökonomie, der eine konkrete einzelfallbezogene Betrachtung aus der objektiven gerichtlichen Perspektive erfordert. Danach ist eine Klageänderung regelmäßig schon dann sachdienlich, wenn sie die Möglichkeit bietet, einen zwischen den Beteiligten bestehenden sachlichen Streitstoff endgültig zu bereinigen, und wenn die Rechte der anderen Beteiligten nicht wesentlich verkürzt werden. Ziel ist eine rechtseffektive und effiziente Lösung von Konflikten, die vor allem unter Wahrung der in § 91 Abs. 1 VwGO geschützten Belange der Einwilligungsberechtigten erarbeitet wird.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 4 CN 4.16 -, juris Rn. 10, und Beschluss vom 13. Dezember 2010 - 4 B 35.10 -, juris Rn. 5, m. w. N.; OVG NRW, Urteil vom 7. Juni 2019 – 2 A 670/17 –, juris Rn. 34; Beschluss vom 30. Mai 2022 – 7 A 1049/21 –, juris Rn. 6 (zur gerichtlichen Perspektive); Peters/Kujath, in: Sodan/Ziekow, VwGO – Kommentar, 5. Auflage 2018, § 91 Rn. 53.
12Von diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Dabei hat es den sachlichen Zusammenhang des neu angebrachten Anfechtungsbegehrens mit dem – bisher aufrechterhaltenen – ursprünglichen Verpflichtungsbegehren im Sinne des § 44 VwGO überzeugend aus dem Umstand abgeleitet, dass die geltend gemachte Erteilung eines Negativzeugnisses akzessorisch bezogen auf das Bestehen eines Vorkaufsrechts sei. Der Antragsteller verlangt in erster Linie die Ausstellung einer Bescheinigung über das Nichtbestehen eines Vorkaufsrechts, dessen Bestand die Antragsgegnerin mit dem von dem Antragsteller in das Klageverfahren eingeführten Bescheid behauptet. Dies erhellt zugleich, dass es sich nicht etwa um einen gänzlich anderen Prozessstoff handelt, sondern die Erweiterung an den ursprünglichen anknüpft. Die Klageerweiterung zielte zugleich auf die Vermeidung eines weiteren Prozesses in Form einer getrennt erhobenen Anfechtungsklage.
13Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, weshalb das Verwaltungsgericht bei dieser Sachlage die Sachdienlichkeit schon deshalb hätte verneinen müssen, weil der Rechtsstreit ohne Berücksichtigung der Klageänderung bereits entscheidungsreif gewesen wäre. Die Frage der Entscheidungsreife des Rechtsstreites vor der Klageänderung ist gerade auch im Falle einer nachträglichen Klagehäufung allenfalls ein Umstand in der Bewertung. Das hebt auch das von der Beschwerde herangezogene Urteil des Bundesgerichtshofes vom 4. Oktober 1976 – VIII ZR 139/75 – (juris Rn. 27 ff.) hervor, das sich im Übrigen mit der Frage der Sachdienlichkeit einer erstmals im Berufungsverfahrens erklärten Aufrechnung befasst, sich also auf gänzlich andere Umstände des Einzelfalls bezieht. Insbesondere wird der Antragsgegnerin hier keine Instanz genommen.
14Auch ist nichts dagegen zu erinnern, dass das Verwaltungsgericht weiter eingestellt hat, dass das Verpflichtungsbegehren jedenfalls nicht offensichtlich bereits als unzulässig abzuweisen gewesen wäre, sondern Vieles dafür spricht, dass die (Untätigkeits-)Klage vor Erlass des Bescheids über die Ausübung des Vorkaufsrechts zulässig geworden sei.
15Es überzeugt, wenn das Verwaltungsgericht zugrunde legt, dass mit der "Unverzüglichkeitsfrist" in § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB eine Art fachliche Sonderregelung zur Dauer der angemessenen Frist vorhanden ist, die als besondere Umstände im Sinne des § 75 Satz 2 2. HS VwGO anzusehen sein dürfte. Danach ist die Negativbescheinigung unverzüglich zu erteilen, wenn ein Vorkaufsrecht nicht besteht. Sie beginnt mit der Kenntnis von dem Fehlen des Vorkaufsrechts zu laufen. Demgegenüber bezieht sich die Dreimonatsfrist in § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB nur auf die Ausübung eines Vorkaufsrechts. Der Einwand der Beschwerde, die Antragsgegnerin habe im Zeitpunkt der Klageerhebung noch gar nicht abschließend für sich entschieden gehabt, ob sie ein Vorkaufsrecht ausübe, bleibt unverständlich. Letztlich war der Antragsgegnerin nach Aktenlage bereits im März 2022 bekannt, dass ein Vorkaufsrecht für die in Rede stehenden Flurstücke nicht bestand und die sachlichen Voraussetzungen hierfür erst (noch) begründet werden sollten. Ein hinlänglicher Grund für die Verweigerung, den Antrag auf Ausstellung eines Negativzeugnisses zu bescheiden, ist indes in dem Ansinnen, ein Vorkaufsrecht erst entstehen zu lassen, nicht zu erkennen, da die Rechtslage in Fällen vorliegender Art eine solche Möglichkeit nicht vorhält, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen zu Recht ausgeführt hat.
16Auch lässt sich der Einschätzung des Verwaltungsgerichts zur Sachdienlichkeit der Klageerweiterung nicht entgegenhalten, dass ein Negativzeugnis schon vor der Prozesserklärung zur Klageänderung mit der Ausübung des Vorkaufsrechts nicht mehr verlangt werden konnte. Denn auch dies ist keinesfalls offensichtlich; zudem ist die Frage der Entscheidungsreife des ursprünglichen Klageantrages – wie gesagt - nur einer der für die Beurteilung der Sachdienlichkeit einzustellenden prozessökonomischen Aspekte.
17Anhaltspunkte dafür, dass der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechtes entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts rechtmäßig sein könnte, bietet die Beschwerde ebenfalls nicht.
18Die Ausführungen der Beschwerde zu der in dem angefochtenen Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechts gegebenen Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit sind bereits unerheblich, weil das Verwaltungsgericht diese nicht beanstandet hat. Auch die Kritik, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der formellen Prüfung gingen weit über die Anforderungen hinaus, die die Rechtsprechung an eine summarische Prüfung stelle, ist unbeachtlich. Denn das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts nicht an formellen Mängeln leidet, die voraussichtlich zu seiner Aufhebung im Klageverfahren führen würden.
19Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe sich fast ausschließlich mit der grundsätzlichen Frage des Vorkaufsrechts beschäftigt, greift – unabhängig davon, was damit konkret gemeint sein soll - zu kurz. Insbesondere ist nichts dagegen zu erinnern, dass das Verwaltungsgericht die nach § 80 Abs. 5 VwGO geforderte Interessenabwägung maßgeblich auf den Befund gestützt hat, dass der Bescheid über die Ausübung des Vorkaufsrechtes offensichtlich materiell rechtswidrig ist und die Klage voraussichtlich Erfolg haben wird.
20Rechtlich tragfähige Gründe dafür, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts materiell rechtens und die Anfechtungsklage keinen Erfolg haben könnte, lassen sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf der Beschwerde, die äußerst zögerliche Übermittlung des vollständigen Kaufvertrags erfahre keinerlei rechtliche Betrachtung, geht an den Entscheidungsgründen des angegriffenen Beschlusses vorbei. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr auf Seite 25 f. der Gründe im Einzelnen nachvollziehbar erläutert, dass und aus welchen Gründen der Antragsgegnerin ohne weitere Angaben aus dem Kaufvertrag die Prüfung möglich war, ob bezogen auf die streitigen Flurstücke ein Vorkaufsrecht nach § 24 BauGB oder § 25 BauGB bestand, und ist darauf auf Seite 31 f. noch einmal zurückgekommen. Dem setzt die Beschwerde auch inhaltlich nichts an Substanz entgegen.
21Das Verwaltungsgericht hat auch – anders als die Beschwerde meint – nicht in Abrede gestellt, dass die Verlängerung der Frist in § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB zur Ausübung des Vorkaufsrechtes von zwei auf drei Monate "ein klares Zeichen dafür" ist, dass der Gemeinde ein längerer Zeitraum für die Prüfung und Bewertung der Frage zugestanden werden sollte, ob ein Vorkaufsrecht ausgeübt werde. Es hat allein herausgestellt, dass die Vorschrift nur die Ebene der Ausübung eines Vorkaufsrechts betrifft, also nichts zu den Entstehungsvoraussetzungen besagt und ein Vorkaufsrechtstatbestand nach § 24 Abs. 1 BauGB oder § 25 Abs. 1 BauGB i. V. m. einer gemeindlichen Vorkaufssatzung, der erst nach Abschluss eines Kaufvertrages über ein Grundstück geschaffen wird, für dieses kein Vorkaufsrecht begründet. Soweit die Beschwerde meint, die genannten Vorschriften seien insoweit nicht stringent und widerspruchsfrei formuliert, vermag der Senat dem nicht zu folgen.
22Die Rechtslage ist für Fälle wie hier - auch aus Sicht des Senats - eindeutig und die vom Verwaltungsgericht gefundene Auslegung der einschlägigen Vorschriften verfassungsrechtlich vorgezeichnet. Für Kaufverträge, die vor Beginn der öffentlichen Auslegung eines in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans geschlossen worden sind, steht der Gemeinde kein Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Satz 2 BauGB – auf den sich die Antragsgegnerin in erster Linie beruft - zu. Die Vorschrift verlangt als Entstehungsgrund eines Vorkaufsrechts "beim Kauf", auf dessen Zustandekommen sich die Ausübung des Vorkaufsrechts gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB, § 464 Abs. 2 BGB richten soll, einen gefassten Aufstellungsbeschluss und den Beginn der öffentlichen Auslegung, so wie § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB als Entstehungsgrund für ein besonderes Vorkaufsrecht voraussetzt, dass die Gemeinde durch Satzung die Flächen bezeichnet, auf die sie sich den Zugriff sichern will. Ohne dass die vorgeschriebenen Voraussetzungen bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages vorliegen, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage, derer die Gemeinde bedarf, um in das Privatrechtsverhältnis eingreifen zu dürfen, das durch den Kaufvertrag zwischen dem Grundstückseigentümer und einem Dritten geschaffen wurde.
23Dieser in der Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend vertretenen Auffassung,
24vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 1994 – 4 B 70/94 -, BauR 1994, 495 = juris Rn. 3, zu § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 6. Juli 2022 – 5 S 2129/20 -, juris Rn. 24 ff., zu § 24 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 7 BauGB; OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 1993 – 10 A 3593/91 -, BRS 55 Nr. 103 = juris (nur LS) zur Unwirksamkeit einer Vorkaufssatzung hinsichtlich eines rückwirkend bestimmten Zeitpunkts des Inkrafttretens; Bracher, in: Bracher/Reidt/Schiller, Bauplanungsrecht, 9. Aufl. 2022, Die gesetzlichen Vorkaufsrechte der Gemeinde, Rn. 23.4.; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 143. EL August 2021, § 24 Rn. 14 und 57; Kronisch, in: Brügelmann, BauGB, 121. EL Januar 2022, Vor. §§ 24-28 Rn. 28, 46 f.,
25setzt die Beschwerde nichts an Substanz entgegen.
26§ 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB rechtfertigt – wie gesagt - keine gegenteiligen Schlüsse. Ist ein Vorkaufsrecht mit Bezug auf den Kauf noch nicht begründet worden, so vermag auch § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB nicht darüber hinwegzuhelfen, dass eine etwaige Erklärung, die sich auf erst zu einem späteren Zeitpunkt geschaffene Voraussetzungen für die Ausübung eines Vorkaufsrechts beim Verkauf von Grundstücken stützt, mangels gesetzlicher Grundlage für einen Rückbezug auf den Zeitpunkt des zuvor abgeschlossenen Kaufvertrages ins Leere geht.
27Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 1994 – 4 B 70/94 -, BauR 1994, 495 = juris Rn. 3, zu § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB.
28Entgegen der Annahme der Beschwerde eröffnen die "momentane Situation" und das besonders dringliche Interesse der Antragsgegnerin, Wohnraum für Flüchtlinge aus der Ukraine zu beschaffen, keinen Ansatz für eine "anders gelagerte Betrachtungsweise". Hierzu hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt:
29"Auch angesichts besonderer politischer Herausforderungen ist allein der Gesetzgeber selbst in historisch einmaligen Situationen von Verfassungs wegen berufen, die erforderlichen rechtlichen Grundlagen für eine erleichterte Ausübung des Vorkaufsrechts im Hinblick auf einen akut gestiegenen Wohnraumbedarf zu regeln. Hingegen kann die Antragsgegnerin als Teil der vollziehenden Gewalt besonderen Entwicklungen nur dort Rechnung tragen, wo ihr ein eigenes Satzungsrecht eingeräumt ist oder Ermessensspielräume bestehen. Von dem ihr zustehenden Satzungsrecht hat sie indes erst durch den Planänderungsbeschluss vom 6. April 2022 und die Satzung über die Ausübung des Vorkaufsrechts für zukünftige Grundstückskaufverträge in deren Geltungsbereich Gebrauch gemacht."
30Dem ist nichts hinzuzufügen. Weshalb bei dieser Sach- und Rechtslage ein besonderes Vollzugsinteresse zu Lasten des Antragstellers bestehen sollte, zeigt die Beschwerde nicht auf. Für den Antragsteller streitet vielmehr bereits die gesetzliche Wertung aus § 80 Abs. 1 VwGO, wonach regelmäßig auch Klagen gegen die Ausübung eines Vorkaufsrechts aufschiebende Wirkung entfalten. Zudem ist zur Sicherung des mit dem angegriffenen Bescheid behaupteten Anspruchs auf Übereignung der in Rede stehenden Flurstücke auf der Grundlage des § 28 Abs. 2 Satz 3 BauGB bereits eine Vormerkung zu Gunsten der Antragsgegnerin eingetragen. Im Übrigen dient die vorgezogene Ausübungsbefugnis nach § 24 Abs. 1 Satz 2 BauGB in den Fällen des § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB allein dem Interesse, die Umsetzung der öffentlichen Zwecke nach dem hier noch ausstehenden Erlass des Bebauungsplans bzw. Erreichen seiner Planungsreife zu sichern. Das Interesse, die Grundstücke möglichst zeitnah auf der Grundlage der Festsetzungen des bestehenden, in Änderung befindlichen Bebauungsplans zu Wohnzwecken für ukrainische Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, ist demgegenüber im vorliegenden Zusammenhang irrelevant, weil die streitige Ausübung eines Vorkaufsrechts auf dieses Interesse nicht zielt.
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
32Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an dem Streitwertkatalog der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 2019 (BauR 2019, 610 f.) Nach Nr. 12 a) dieses Streitwertkatalogs beträgt der Streitwert im Hauptsacheverfahren für den hier gegebenen Fall, dass der Käufer ein von der Gemeinde ausgeübtes Vorkaufsrecht anficht, 25 % des Kaufpreises, hier also 88.750,00 Euro (25 % von 355.000 Euro). Nach Nr. 14 a) des Streitwertkatalogs ist im hier gegebenen Fall der vorläufigen Regelung nach § 80 VwGO als Streitwert regelmäßig die Hälfte des Streitwerts im Hauptsacheverfahren anzunehmen. Das zugrunde gelegt wird der Streitwert hier für beide Instanzen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auf 44.375 Euro festgesetzt. Die Befugnis zur Abänderung des Streitwertes für das erstinstanzliche verfahren folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 GKG.
33Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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