Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (8. Senat) - 8 A 10965/11


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 30. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem zugunsten der Beigeladenen für die Errichtung eines Erdwärmekraftwerks im Gemeindegebiet der Klägerin die Abweichung von dem raumordnerischen Ziel „Vorranggebiet für die Landwirtschaft“ zugelassen wurde.

2

Die Beigeladene beabsichtigt, im Bereich Kandel mehrere geothermische Kraftwerke zu errichten. Teil dieses Konzeptes ist es, auf dem Gemeindegebiet der Klägerin drei Bohrungen bis zu einer Tiefe von etwa 3.600 m auszubringen. Oberirdisch soll ein Kraftwerk mit einer Leistung von 5 bis 7 MW entstehen. Für die Anlage wird eine Fläche von etwa 13.000 m² benötigt. Der vorgesehene Standort liegt südwestlich der Ortslage der Klägerin in einer Entfernung von etwa 900 m zur dortigen Wohnbebauung. Im Regionalen Raumordnungsplan Rheinpfalz 2004 ist der betroffene Bereich als „Vorranggebiet für die Landwirtschaft“ ausgewiesen. Im Flächennutzungsplan der Verbandsgemeinde Kandel ist der vorgesehene Standort als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt.

3

Unter dem 31. August 2009 beantragte die Beigeladene für ihr Vorhaben eine vereinfachte raumordnerische Prüfung. Im Rahmen dieses Verfahrens äußerten sich unter anderem der Verband Region Rhein-Neckar als Planungsträger der Raumordnung sowie die Klägerin. Diese führte aus, dass die noch ungeklärten Auswirkungen der Bohrung und des Kraftwerksbetriebes einer positiven Stellungnahme entgegenstünden. Das Projekt führe zu einer Inanspruchnahme intensiv genutzter Ackerflächen und beeinträchtige die Schutzgüter Boden und Landschaftsbild.

4

Mit Bescheid vom 9. März 2010 ließ der Beklagte für die Errichtung eines Erdwärmekraftwerkes die Abweichung von dem raumordnerischen Ziel „Vorranggebiet Landwirtschaft“ zu.

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Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2010 zurückgewiesen wurde. Der Beklagte führte zur Begründung aus, der Widerspruch sei sowohl unzulässig, als auch unbegründet. Die Klägerin werde durch die Zielabweichungsentscheidung nicht in subjektiven öffentlichen Rechten verletzt, weshalb sie nicht widerspruchsbefugt sei. Die Ausweisung eines Vorranggebietes für die Landwirtschaft diene nicht ihren Interessen. Auch werde sie nicht in ihrer kommunalen Planungshoheit tangiert. Im Übrigen bestünden auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Zielabweichungsentscheidung.

6

Am 20. Januar 2011 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie dargelegt hat, der Widerspruchsbescheid enthalte eine zusätzliche selbstständige Beschwer, da die im Widerspruchsverfahren vorgesehene Zweckmäßigkeitsprüfung des Bescheides unterblieben sei. Ihre Widerspruchsbefugnis sei zu Unrecht verneint worden. Ihr stünde im weiteren Verfahren keine Möglichkeit mehr offen, gegen die Zielabweichungsentscheidung vorzugehen. Der von der Entscheidung unmittelbar betroffenen Gemeinde müsse eine Abwehrmöglichkeit hiergegen zustehen. Die Klägerin könne sich auf ihr Selbstverwaltungs- sowie ihr Selbstgestaltungsrecht berufen. Durch den Zielabweichungsbescheid werde ihr die Möglichkeit genommen, bei der Entscheidung über die Erteilung ihres Einvernehmens nach § 36 BauGB den Umstand zu berücksichtigen, dass raumbedeutsame Vorhaben den Zielen der Raumordnung nicht widersprechen dürften (§ 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB). Der Bescheid erweise sich auch inhaltlich als rechtswidrig.

7

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, dass der Widerspruchsbescheid gegenüber der Zielabweichungsentscheidung keine selbstständige Beschwer enthalte. Er habe auch zu Recht die Widerspruchsbefugnis der Klägerin verneint. Es sei nicht erkennbar, dass sie durch die Zielabweichungsentscheidung in einer subjektiven Rechtstellung betroffen sein könnte.

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Die Beigeladene hat sich den Ausführungen des Beklagten angeschlossen.

9

Mit Urteil vom 30. Juni 2011 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei zulässig. Sie sei als Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid statthaft, da dieser eine zusätzliche Beschwer enthalte. Die Klage erweise sich indessen als unbegründet, da die Klägerin nicht widerspruchsbefugt gewesen sei. Eine derartige Widerspruchsbefugnis könne zunächst nicht aus der möglichen Verletzung von Beteiligungsrechten hergeleitet werden. Auch werde die Planungshoheit der Klägerin nicht beeinträchtigt. Wesentliche Teile des Gemeindegebietes würden nicht in Anspruch genommen, weil das Vorhaben lediglich eine Fläche von 1,3 ha umfasse. Zudem bestehe für den Standort keine eigene, hinreichend bestimmte Planung der Klägerin. Auch das Selbstgestaltungsrecht der Klägerin sei nicht betroffen, da keine erhebliche Auswirkung des Vorhabens auf das Ortsbild eintreten könne. Die Zielfestsetzung „Vorrangfläche für die Landwirtschaft“ begründe im Übrigen keine subjektive Rechtsposition der Klägerin. Ihr stünden zudem Mitwirkungsbefugnisse im Rahmen der erforderlichen Genehmigungsverfahren zu.

10

Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und führt ergänzend aus, dass das Verwaltungsgericht einen zu engen Maßstab für das Vorliegen einer Widerspruchsbefugnis angelegt habe. Ihr Selbstgestaltungsrecht werde durch die Auswirkungen des Kraftwerks auf die Ortslage beeinträchtigt. Sowohl die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 10 Abs. 6 LPlG als auch die von ihr herangezogenen Ziele und Grundsätze des Landesentwicklungsprogramms dienten ihrem Schutz.

11

Die Klägerin beantragt,

12

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 30. Juni 2011 den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. Dezember 2010 aufzuheben.

13

Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er vertritt die Auffassung, dass sich die Klägerin nur auf solche Belange stützen könne, die dem Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 GG zugeordnet werden könnten. Was das Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde angehe, so werde dieses nicht durch jede Maßnahme der überörtlichen Planung beeinträchtigt. § 10 Abs. 6 Landesplanungsgesetz stelle keine Schutznorm zugunsten der Gemeinde dar.

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Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Aus ihrer Sicht sei nicht erkennbar, dass die Klägerin durch den Zielabweichungsbescheid in ihren Rechten verletzt werde.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Behördenakten sowie auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.

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Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. Dezember 2010 gerichtete Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

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Die Klage erweist sich allerdings bereits als unzulässig. Die Klägerin konnte zwar mit ihrer Anfechtungsklage isoliert gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten vorgehen. Ihr fehlt indessen die für die Erhebung einer solchen Klage erforderliche Klagebefugnis.

23

1. Die Anfechtungsklage der Klägerin konnte sich gemäß § 79 Abs. 2 VwGO auf den Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2010 beschränken. Eine isolierte Anfechtung des Widerspruchsbescheides ist nach dieser Vorschrift zulässig, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält (Satz 1). Als zusätzliche Beschwer gilt dabei auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, soweit der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht (Satz 2).

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Die Klägerin kann eine zusätzliche Beschwer daraus herleiten, dass durch die Zurückweisung ihres Widerspruchs als unzulässig eine Sachentscheidung unterblieben ist, bei der der Widerspruchsbehörde ein über die gerichtliche Rechtskontrolle des Ausgangsbescheides hinausgehender Entscheidungsspielraum zugestanden hätte (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. 2009, § 79 Rn. 11; Brenner in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 79 Rn. 48; Saurenhaus in Wysk, VwGO, 2010, § 7, Rn. 8, Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 79, Rn. 10, OVG RP, Urteil vom 03. Juli 2002 – 8 A 10670/02.OVG −, juris, Rn. 17). Gegenstand der Prüfung der Widerspruchsbehörde ist im vorliegenden Fall neben der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes auch dessen Zweckmäßigkeit (§ 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da § 10 Abs. 6 Landesplanungsgesetz – LPlG − der Behörde bei der Entscheidung über eine Zielabweichung Ermessen einräumt. Hä;tte der Beklagte den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen, wäre die im Gesetz vorgesehene - und nur der Widerspruchsbehörde mögliche - umfassende inhaltliche Prüfung des Ausgangsbescheides fehlerhaft unterblieben. Der Beklagte kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass er den Widerspruch in dem angefochtenen Bescheid auch als unbegründet zurückgewiesen habe. Seine Ausführungen zur Begründetheit stellen nämlich lediglich darauf ab, dass keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Zielabweichungsentscheidung bestünden. Hiernach hat die Widerspruchsbehörde aber lediglich auf Rechtsfehler abgestellt und die Zweckmäßigkeit der Verfügung nicht eigenständig beurteilt. Für die Annahme einer Ermessensreduzierung auf Null ergeben sich ebenfalls keine Anhaltspunkte.

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2. Die Klägerin ist indessen nicht nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Sie wird durch die Zurückweisung ihres Widerspruchs als unzulässig offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise in ihren Rechten verletzt. Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist die Anfechtungsklage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein.

26

a. Die Klagebefugnis, die die Möglichkeit voraussetzt, dass der Klägerin durch den angefochtenen Bescheid zu Unrecht eine Sachentscheidung vorenthalten wurde (vgl. Kopp/Schenke, VwGO 17. Auflage 2011, § 79 Rn. 12), ist bereits deshalb zu verneinen, weil der Klägerin für den von ihr erhobenen Rechtsbehelf gegen den Zielabweichungsbescheid die erforderliche Widerspruchsbefugnis fehlt.

27

Zwar ist eine Widerspruchsbefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung bei Ermessensverwaltungsakten auch dann gegeben, wenn der Widerspruchsführer sich auf die bloße Unzweckmäßigkeit der behördlichen Entscheidung stützt. Er kann auch darauf abstellen, dass der Ausgangsverwaltungsakt zwar nicht rechtsfehlerhaft ist, eine andere Lösung sich aber als zweckmäßiger und für ihn vorteilhafter erwiese. Auch hierfür ist allerdings Voraussetzung, dass der Widerspruchsführer sich auf eine Betroffenheit in eigenen Rechten berufen kann und damit auf ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung. Auch der Widerspruch dient als Rechtsbehelf dem subjektiven Rechtsschutz und eröffnet keine Popularbeschwerde (vgl. Kopp/Schenke, a.a.O., § 69, Rn. 6; Dolde/Porsch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, 22. Ergänzungslieferung 2011, § 70, Rn. 42; Geis in Sodan/Ziekow, a.a.O., § 69, Rn. 52). Die Möglichkeit der Betroffenheit in eigenen Rechten ist hiernach gleichermaßen Voraussetzung von Klage- und Widerspruchsbefugnis.

28

b. Im Falle der Klägerin wird indessen eine subjektive Rechtsstellung durch die Zielabweichungsentscheidung des Beklagten offensichtlich nicht berührt. Sie wird durch die Entscheidung des Beklagten nicht in ihren Beteiligungsrechten verletzt. Darüber hinaus kann sie nicht verlangen, dass ihre Belange bei der Entscheidung über eine Zielabweichung berücksichtigt werden.

29

aa. Rechtsgrundlage für die Entscheidung über eine Zielabweichung ist § 10 Abs. 6 LPlG. Hiernach kann die obere Landesplanungsbehörde im Benehmen mit den fachlich berührten Stellen der oberen Verwaltungsebene und der jeweiligen Planungsgemeinschaft die Abweichung von einem Ziel des regionalen Raumordnungsplans zulassen, wenn diese aufgrund veränderter Tatsachen oder Erkenntnisse unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und der regionale Raumordnungsplan in seinen Grundzügen nicht berührt wird.

30

bb. Die Klägerin kann sich im Hinblick auf das Verfahren des Beklagten zunächst nicht auf die Verletzung eines Beteiligungsrechts berufen. Die Beteiligung der Gemeinde, deren Gebiet von der Zielabweichung betroffen ist, ist in der gesetzlichen Regelung des Zielabweichungsverfahrens in § 10 Abs. 6 LPlG nicht vorgesehen. Mit dem Verwaltungsgericht kann aus dem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht nach Art. 28 Abs. 2 GG zwar je nach Betroffenheit ein Beteiligungsrecht, nicht jedoch ein Recht der Gemeinde darauf abgeleitet werden, dass die Zielabweichungsentscheidung nur in ihrem Einvernehmen ergehen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.02.1969 − IV C 82.66 –, BRS 22 Nr. 29 und juris, Rn. 24). Da die Klägerin ihre Beteiligung im vereinfachten raumordnerischen Verfahren dazu genutzt hat, auch zur Frage der Zielabweichung Stellung zu nehmen, war sie in jedem Fall in einer diesen Anforderungen genügenden Weise in das Verfahren des Beklagten einbezogen.

31

cc. Auch was den Inhalt des Zielabweichungsbescheides angeht, werden hierdurch Rechte der Klägerin nicht betroffen.

32

(1) Dafür, dass § 10 Abs. 6 Satz 1 LPlG die Rechte der von einer Zielabweichungsentscheidung betroffenen Gemeinde schützt, lassen sich dem Wortlaut der Vorschrift keinerlei Anhaltspunkte entnehmen.

33

(2) Die Zielabweichungsentscheidung greift auch nicht zwangsläufig in die Rechtsstellung der Belegenheitsgemeinde ein. Vielmehr wird durch die Zulassung der Abweichung eine durch die raumordnerische Zielfestlegung entstehende Bindung der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG angelegten Planungshoheit der Belegenheitsgemeinde gelockert, so dass sie sich für die Gemeinde im Regelfall begünstigend auswirkt. Mit der Entscheidung, auch wenn sie an einen Privaten gerichtet ist, wird nämlich die in § 4 Abs. 1 Raumordnungsgesetz – ROG − formulierte Beachtenspflicht und die sich aus § 1 Abs. 4 BauGB ergebende Anpassungspflicht des Trägers der kommunalen Bauleitplanung an ein bestehendes Ziel der Raumordnung in einem konkreten Einzelfall und für ein bestimmtes Vorhaben suspendiert (vgl. Goppel in Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG, 2010, § 6 Rn. 16).

34

(3) Auch liegt kein Fall vor, bei dem ausnahmsweise von einer rechtlichen Betroffenheit der Gemeinde ausgegangen werden kann. Eine derartige Rechtsbetroffenheit kommt nur dann in Betracht, wenn das Ziel der Raumordnung, von dem eine Abweichung zugelassen wurde, dazu bestimmt ist, Belange der Gemeinde zu schützen, oder wenn bei der Zielabweichungsentscheidung zugunsten der Errichtung eines bestimmten Vorhabens raumordnerische Belange unberücksichtigt gelassen wurden, die den Interessen der Gemeinde dienen sollen (vgl. OVG RP, Urteil vom 26. Oktober 2010 – 8 C 10150/10.OVG – juris, Rn. 83; vgl. zum Schutz der Nachbargemeinde durch eine landesplanerische Festsetzung: BVerwG, Urteil vom 5. November 2009 - 4 C 3.09 -, BVerwGE 135, 209 und juris, Rn. 14).

35

(a) Die Ausweisung eines Vorranggebietes für die Landwirtschaft, der nach Nr. 4.1.2 des Regionalen Raumordnungsplanes Rheinpfalz 2004 Zielqualität zukommt, dient nicht den Interessen der Klägerin. Ausweislich der Begründung zu dieser Zielsetzung soll hierdurch die raumordnerische und landesplanerische Bedeutung der Landwirtschaft in der Planungsregion unterstützt werden. Die landwirtschaftlichen Betriebe sollen vor dem Hintergrund einer zunehmenden Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen für die Siedlungsausweitung mit in qualitativer und quantitativer Hinsicht hinreichenden Flächen ausgestattet werden.

36

Hiernach dient die Zielsetzung aber der Aufrechterhaltung einer überörtlichen landwirtschaftlichen Struktur und der Sicherung der Grundlage für die landwirtschaftlichen Betriebe. Die betroffenen Flächen werden gerade einer planerischen Gestaltung durch die Gemeinde entzogen, da sie vor einer außerlandwirtschaftlichen Inanspruchnahme zu schützen sind. Mit der Zielausweisung wird hiernach gerade nicht die Absicht verfolgt, die Interessen der Klägerin zu schützen und insbesondere ihre Planungshoheit zu gewährleisten.

37

(b) Auch bei der Entscheidung, dass eine Abweichung von dem Ziel „Vorrangfläche für die Landwirtschaft“ zugunsten der Errichtung eines Geothermiekraftwerkes zulässig sein soll, hat der Beklagte keine Belange unberücksichtigt gelassen, die rechtlich geschützte Interessen der Klägerin schützen sollen. Als Standort für ein dahingehendes Berücksichtigungsgebot käme lediglich die nach § 10 Abs. 6 Satz 1 LPlG zu prüfende raumordnerische Vertretbarkeit der Abweichung oder die nach dieser Vorschrift aufzuwerfende Frage, ob der regionale Raumordnungsplan in seinen Grundzügen berührt wird, in Betracht.

38

Der Regionale Raumordnungsplan Rheinpfalz 2004 selbst enthält keine Vorgaben für die Zulässigkeit eines derartigen Kraftwerks, schon gar nicht in der Hinsicht, dass bei einer hierfür notwendigen Zielabweichung Interessen der Belegenheitskommune zu berücksichtigen wären. Der Grundsatz 6.3.3.1 benennt lediglich die Geothermie als Form erneuerbarer Energien, die bis zum Jahr 2010 etwa 6 % der Stromerzeugung in der Region ausmachen sollen. Auch die von der Klägerin angeführten Vorgaben des Landesentwicklungsprogramms (LEP IV) sind nicht darauf angelegt, ihre Interessen zu wahren. Sie stellt auf die Grundsätze 165 und 170 sowie die Ziele 171 und 172 des Landesentwicklungsprogramms ab. Die entsprechenden Grundsätze und Ziele lassen indessen nicht erkennen, dass hiermit der Schutz der Interessen der Standortgemeinden gewährleistet werden soll. Vielmehr werden aus energiepolitischer Sicht Anforderungen an die Ausweisung der Standorte von Energieversorgungsanlagen formuliert, bei denen insbesondere die Nutzung erneuerbarer Energien im Vordergrund stehen soll. Zum Zweck einer effektiven Energienutzung ist dabei vorgesehen, Abwärmeverluste nach Möglichkeit zu vermeiden. Als hierfür geeignete Techniken werden die Kraft-Wärme-Kopplung und der Ausbau von Nahwärmenetzen angesehen. Eine Berücksichtigung schutzwürdiger Belange der Standortgemeinden lässt sich indessen diesen Vorgaben nicht entnehmen.

39

Dass in dem in Aufstellung befindlichen Raumordnungsplan Rhein-Neckar 2020 eine Regelung vorgesehen ist, wonach Geothermiekraftwerke vorrangig in Industrie- oder Gewerbegebieten errichtet werden sollen, streitet – abgesehen von der Frage der rechtlichen Relevanz des Entwurfs als sonstiges Erfordernis der Raumordnung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG (vgl. Runkel in Spannowsky/ Runkel/Goppel, a.a.O., § 3 Rn. 70) − ebenfalls nicht für die Klägerin. Auch hiermit soll eine effiziente Energieausnutzung unter Einschluss der Abwärme gewährleistet werden, so dass eine auf die Belange der Standortkommunen abzielende Schutzrichtung nicht erkennbar wird.

40

(3) Auch unter weiteren, im bisherigen gerichtlichen Verfahren angesprochenen Gesichtspunkten ist die Planungshoheit der Klägerin nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG durch die Zielabweichungsentscheidung nicht betroffen.

41

(a) Nicht einschlägig ist die Rechtsprechung, wonach für die materielle Rechtfertigung von Einschränkungen der kommunalen Planungshoheit verbindliche raumordnerische Vorgaben der Wahrung überörtlicher Interessen von höherem Gewicht dienen und sich angesichts der Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung als verhältnismäßig darstellen müssen (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. November 2011 - 4 CN 9.10 -, juris, Rn. 12, Urteil vom 15. Mai 2003 - 4 CN 9.01 -, BVerwGE 118, 181 und juris, Rn. 14). Dieser Maßstab gilt für den Fall, dass die Gemeinde im Rahmen der überörtlichen Planung an ein Ziel der Raumordnung gebunden wird. Durch die angefochtene Zielabweichungsentscheidung, die die bislang bestehende Zielbindung lockert, entsteht indessen gerade keine Einschränkung der Planungshoheit in dem angesprochenen Sinne. Es fehlt an der Kollision zwischen gemeindlicher Planungshoheit und der Bindung an eine überörtliche Planung. Hinzu kommt, dass eine raumordnerische Planungsentscheidung final programmiert ist, während die auf behördlichem Ermessen beruhende Ermöglichung einer Zielabweichung eine konditional vorgeprägte Entscheidung darstellt (vgl. Schmitz in Bielenberg/ Runkel/Spannowsky/Reitzig/Schmitz, Raumordnungs- und Landesplanungsrecht des Bundes und der Länder, EL 3/2011, Oktober 2011, L § 6 Rn. 133).

42

(b) Gleichermaßen greifen die Kriterien für die Berücksichtigung der kommunalen Planungshoheit im Rahmen fachplanerischer Entscheidungen und Regelungen nicht ein. Die Gemeinde kann sich hiernach gegen eine Fachplanung unter Berufung auf ihre Planungshoheit grundsätzlich dann zur Wehr setzen, wenn durch das zugelassene Vorhaben eine hinreichend konkrete und verfestigte eigene Planung der Gemeinde nachhaltig gestört wird, wenn das Fachplanungsvorhaben wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer kommunalen Planung entzieht oder wenn gemeindliche Einrichtungen erheblich beeinträchtigt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 2005 – 9 A 62.03 -, DVBl. 2005, 903 und juris, Rn. 44; Urteil vom 27. März 1992 – 7 C 18.91 -, BVerwGE 90, 96 und juris, Rn. 20). Die Zulassung einer Zielabweichung ist indessen nicht mit einer fachplanerischen Entscheidung vergleichbar. Gegenstand der Fachplanung sind Einzelvorhaben oder einzelne fachliche Gesichtspunkte. Demgegenüber sind raumordnerische Entscheidungen fachübergreifend und gesamträumlich angelegt. Zudem ist wiederum darauf zu verweisen, dass die Zielabweichungsentscheidung von vorneherein keine zusätzliche Einschränkung der gemeindlichen Planungshoheit entstehen lässt.

43

(c) Die Klägerin wird durch die Zielabweichungsentscheidung zudem nicht in ihrem Selbstgestaltungsrecht beeinträchtigt. Das gemeindliche Selbstgestaltungsrecht als Teil der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG räumt der Gemeinde ein Abwehrrecht gegen solche Maßnahmen ein, die das Ortsbild entscheidend prägen und hierdurch nachhaltig auf das Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. April 1999 – 4 VR 18.98 -, NVwZ-RR 1999, 554 und juris, Rn. 9; OVG RP, Beschluss vom 11. Juni 2010 – 8 B 10618/10.OVG –, LKRZ 2010, 346 und juris, Rn. 4; BayVGH, Urteil vom 6. März 2009 – 22 A 07.40036 -, BRS 74, Nr. 152 und juris, Rn. 26). Die Entscheidung darüber, ob ein bestimmtes Vorhaben unter Abweichung von raumordnungsrechtlichen Zielvorgaben zulässig ist, wirkt sich indes auf das Ortsbild der betroffenen Gemeinde nicht aus, da lediglich eine Aussage über den Umfang der Zielbindung getroffen wird. Entsprechende Auswirkungen können sich erst aus einer Entscheidung ergeben, mit der über die Zulässigkeit des Vorhabens insgesamt befunden wird.

44

(d) Schließlich eröffnet das Einvernehmenserfordernis des § 36 BauGB der Klägerin ebenfalls kein Abwehrrecht gegen die Entscheidung des Beklagten. Das aus der gemeindlichen Selbstverwaltung erwachsende Beteiligungsrecht des § 36 BauGB ermöglicht es der Gemeinde zwar, ihr Einvernehmen zu versagen, wenn die objektiv-rechtlichen Voraussetzungen für die bauplanerische Zulässigkeit eines Vorhabens im Außenbereich nach § 35 BauGB nicht vorliegen und insbesondere raumbedeutsame Vorhaben entgegen § 35 Abs. 3 Satz 2 BauGB den Zielen der Raumordnung widersprechen. Diese umfassende Prüfungsbefugnis räumt der Gemeinde allerdings keinen Anspruch darauf ein, dass die bei der Prüfung zu berücksichtigende objektive Rechtslage unverändert erhalten bleibt. Ihr wird kein Durchgriffsrecht auf die der rechtlichen Beurteilung nach § 35 BauGB zugrundeliegenden raumordnerischen Vorgaben eingeräumt.

45

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2 und 3 sowie 162 Abs. 3 VwGO.

46

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus den §§ 167 Abs. 2 VwGO und 708 ff. ZPO.

47

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO hierfür genannten Gründe vorliegt.

48

Beschluss

49

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 15.000,-- € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).

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