Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 10993/13


Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 21. August 2013 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ein durch Beamte der Bundespolizei angeordneter Platzverweis sowie die Androhung und Anwendung unmittelbaren Zwangs rechtswidrig waren.

2

Am 5. Mai 2012 fuhr sie zusammen mit Frau H., die ebenfalls Klage bezüglich der gegen sie ergriffenen polizeilichen Maßnahmen erhoben hat (vgl. Urteil des Senats im Verfahren 7 A 11202/13.OVG), mit dem Zug nach K.. Sie beobachteten dabei zwei Beamte der Bundespolizei, die lagebildabhängige Befragungen und Kontrollen unter anderem zur Dunkelfeldaufhellung im Bereich illegaler Migration durchführten. Nach der Kontrolle einer "ausländisch aussehenden" Person sprachen sie die Polizeibeamten an und fragten nach den Gründen der Kontrolle. Dabei machten sie deutlich, dass sie eine Kontrolle allein aufgrund des ausländischen Erscheinungsbildes für diskriminierend und nicht zulässig hielten.

3

Am Hauptbahnhof in K. stiegen sowohl die Klägerin und ihre Begleiterin als auch die beiden Polizeibeamten aus. Im Bahnhofsgebäude beobachteten sie die Befragung und Kontrolle eines dunkelhäutigen Mannes - des Herrn M. - durch die Polizeibeamten. Sie gingen auf die dreiköpfige Personengruppe zu und stellten sich in einem Abstand von etwa 1,5 m seitlich neben die Polizeibeamten. Ihren eigenen Angaben zufolge wollten sie der kontrollierten Person deutlich machen, dass sie nicht allein war, und - so die Formulierung der Klägerin - ihr Beistand leisten bzw. - so die Formulierung von Frau H. - den Polizisten kenntlich machen, dass sie mit der Kontrolle nicht einverstanden waren. Die Polizeibeamten forderten sie auf, sich zu entfernen, weil sie eine polizeiliche Maßnahme behinderten. Die Klägerin entgegnete, sie störten doch nicht. Die Polizeibeamten wiederholten die Aufforderung zweimal und wiesen darauf hin, dass dies ein Platzverweis sei. Die Klägerin wendete ein, dafür bestehe ihrer Ansicht nach kein Anlass. Daraufhin drohten die Polizeibeamten mehrfach körperlichen Zwang zur Durchsetzung des Platzverweises an. Nachdem die beiden Frauen der Aufforderung weiterhin nicht nachkamen, ergriff einer der beiden Polizeibeamten, Polizeihauptmeister B., die Klägerin am Arm, drehte ihn auf den Rücken und brachte sie in diesem Polizeigriff zu einem Seitenausgang aus dem Bahnhofsgebäude. Dort ließ er sie los und kehrte in die Bahnhofshalle zurück. Die Klägerin folgte ihm. Frau H. und der andere Polizeibeamte, Polizeikommissar S., waren im Bahnhofsgebäude geblieben. Da die Klägerin und ihre Begleiterin sich beschweren wollten, wurde der Vorgesetzte der beiden Polizeibeamten, Polizeihauptkommissar F., hinzugerufen.

4

Polizeihauptmeister B. schrieb unter dem 5. Mai 2012 einen Bericht über den Vorfall. Darin heißt es, Polizeikommissar S. und er seien im Zug nach K. von zwei Frauen angesprochen und gefragt worden, warum sie Personen mit ausländischem Erscheinungsbild kontrollieren würden. Bei einer Personalienüberprüfung in der Halle des Hauptbahnhofs K. seien diese beiden Frauen erneut, dieses Mal seitlich, dicht an die kontrollierenden Beamten herangetreten. Durch das fortan gezeigte, aufdringliche Verhalten sei die ordnungsgemäße Fortführung der laufenden Maßnahme erheblich erschwert worden. Im Anschluss an die Beschwerde seien die beiden Frauen auf den Adressaten der vorangegangenen Kontrolle zugegangen und hätten ihn gefragt, ob er mit der polizeilichen Maßnahme einverstanden sei, ob er sich diskriminiert und ausgestoßen fühle. Der eigentliche Adressat der Maßnahme habe gegenüber Polizeihauptkommissar F. Verständnis für diese gezeigt.

5

Am 4. September 2012 hat die Klägerin Klage erhoben, gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des angeordneten Platzverweises, der Androhung und Anwendung unmittelbaren Zwanges sowie einer Personalienfeststellung, die im Anschluss durch die Polizeibeamten vorgenommen worden sei. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung als auch unter dem der Wiederholungsgefahr und des tiefgreifenden Grundrechtseingriffs. Ihre Begleiterin und sie hätten sich bei der Kontrolle von Herrn M. im K. Hauptbahnhof lediglich in die Nähe gestellt und diese beobachtet. Sie hätten weder gestört noch überhaupt etwas gesagt.

6

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat angegeben, bei der polizeilichen Maßnahme gegenüber Herrn M. in der Haupthalle des K. Hauptbahnhofs hätten sich die Klägerin und Frau H. seitlich sehr dicht an die handelnden Beamten gestellt und während der Maßnahme wiederholt auf die zu kontrollierende Person - Herrn M. - eingeredet. Die "bedrängende Anwesenheit" der Klägerin habe es nicht zugelassen, die Befragung einer Person unter Beachtung ihrer Persönlichkeitsrechte und Integrität durchzuführen. Ein gewisses Maß an Abstand durch Passanten sei zwingend erforderlich, allein aus datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Interessen der betreffenden Personen. Außerdem sei zu befürchten gewesen, dass die betreffende Person wegen der Präsenz der Klägerin Angaben nicht korrekt oder nicht vollständig machen würde. Die Behauptung der Klägerin, sie habe die Kontrolle lediglich still beobachtet, treffe nicht zu. Sie habe auch durch gezielte Fragen gestört, wie etwa, ob Herr M. sich durch die Kontrolle diskriminiert und ausgestoßen fühle.

7

Das Verwaltungsgericht hat nach Vernehmung der Polizeibeamten B. und S. sowie von Herrn M. und Frau H. als Zeugen mit Urteil vom 21. August 2013 die Klage abgewiesen. Sie sei in Bezug auf den Platzverweis, die Androhung unmittelbaren Zwangs und die Identitätsfeststellung mangels Feststellungsinteresses bereits unzulässig. Hinsichtlich der Anwendung unmittelbaren Zwangs sei die Klage zwar zulässig, aber unbegründet, weil die Maßnahme - ebenso wie der Platzverweis und die Androhung unmittelbaren Zwangs - rechtmäßig gewesen sei. Die beiden Polizisten, denen dabei eine Einschätzungsprärogative zukomme, hätten zu Recht von einer Störung ihrer Aufgabenwahrnehmung ausgehen dürfen. Schon die Nähe der Klägerin - und ihrer Begleiterin - zu den kontrollierenden Beamten rechtfertige die Annahme einer solchen Störung. Überdies habe die Klägerin nach Überzeugung der Kammer auf die Dreiergruppe der beiden Polizeibeamten und Herrn M. eingeredet und auch dadurch den Kontrollvorgang gestört.

8

Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht die Klägerin geltend, sie habe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit auch des Platzverweises und der Androhung unmittelbaren Zwangs. In der Sache sei die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts nicht nachvollziehbar. Sie habe die polizeiliche Maßnahme gegenüber Herrn M. nicht gestört, sondern lediglich still beobachtet.

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Die Klägerin beantragt zuletzt, nachdem sie die Berufung hinsichtlich der Personalienfeststellung zurückgenommen hat,

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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 21. August 2013 festzustellen,

11

1. dass der von Beamten der Beklagten ihr gegenüber angeordnete Platzverweis am 5. Mai 2012 in dem Hauptbahnhof K. rechtswidrig gewesen ist,

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2. dass die von Beamten der Beklagten ihr gegenüber ausgesprochene Androhung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung ihr am 5. Mai 2012 in dem Hauptbahnhof K. erteilten Platzverweises rechtswidrig gewesen ist,

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3. dass die Art und Weise des von Beamten der Beklagten ihr gegenüber durchgeführten unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung des ihr am 5. Mai 2012 in dem Hauptbahnhof K. erteilten Platzverweises rechtswidrig gewesen ist.

14

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

16

Hinsichtlich des Vorbringens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats im Einzelnen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27. März 2014 verwiesen. Der Senat hat die Bundespolizeibeamten B., S. und F. sowie Herrn M. und Frau H. als Zeugen über die Umstände der Kontrolle des Herrn M. am 5. Mai 2012 im Hauptbahnhof K. vernommen. Hinsichtlich ihrer Aussage wird ebenfalls auf die Sitzungsniederschrift vom 27. März 2014 Bezug genommen.

17

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist unbegründet.

19

Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Klage ist - soweit sie nach teilweiser Rücknahme der Berufung noch anhängig ist - zwar zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

20

1. Die Klage, die nunmehr allein noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des durch Beamte der Bundespolizei angeordneten Platzverweises der Klägerin sowie der Androhung und Anwendung unmittelbaren Zwangs zu dessen Durchsetzung gerichtet ist, ist als Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO in den Fällen, in denen sich - wie hier - der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung erledigt hat, entsprechende Anwendung (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 2008 - 6 C 21.07 -, juris, Rn. 10 = BVerwGE 131, 216, m.w.N.). Dabei erfüllen nicht nur der Platzverweis und die Androhung unmittelbaren Zwangs, sondern auch das polizeiliche Verhalten mittels Anwendung körperlichen Zwangs die Merkmale eines Verwaltungsakts (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1967 - 1 C 49.64 -, juris, Rn. 14 = BVerwGE 26, 161).

21

Die Klägerin hat entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.

22

Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die Position der Klägerin in den genannten Bereichen zu verbessern (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 -, juris, Rn. 20 = BVerwGE 146, 303, m.w.N.). Ein berechtigtes Feststellungsinteresse ist hier unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung der Klägerin gegeben.

23

Ein Rehabilitierungsinteresse begründet ein berechtigtes Feststellungsinteresse, wenn es bei vernünftiger Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalles als schutzwürdig anzuerkennen ist. Dafür reicht es nicht aus, dass der Betroffene den erledigten Verwaltungsakt als diskriminierend empfunden hat. Maßgebend ist vielmehr, ob abträgliche Nachwirkungen des erledigten Verwaltungsaktes fortbestehen, denen durch eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes wirksam begegnet werden könnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1999 - 2 A 5.98 -, Buchholz 310, § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 8 m.w.N.). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung nur, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013, a.a.O., Rn. 25).

24

Eine diskriminierende bzw. stigmatisierende Wirkung kann sich nicht nur aus der Art des Verwaltungsaktes, seiner Begründung und den Umständen seines Erlasses ergeben, sondern entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts auch aus der Art und Weise seines Vollzugs (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Auflage 2013, § 113 Rn. 143; Knauff, in: Gärditz, VwGO, 2013, § 113 Rn. 59). Dem steht nicht entgegen, dass die Rechtmäßigkeit von Grundverwaltungsakt und Vollstreckungsmaßnahmen rechtlich getrennt zu prüfen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1967, a.a.O., Rn. 7 ff.). Dem Vollzug eines Verwaltungsakts kann gleichwohl Bedeutung für die Beurteilung der Frage von dessen Außenwirkung und des dadurch eingetretenen Ansehensverlusts haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013, a.a.O., Rn. 26 f.). So ist ein schutzwürdiges Rehabilitierungsinteresse bei einer polizeilichen Identitätsfeststellung angesichts der diskriminierenden Begleitumstände anerkannt worden, weil das Ansehen der Betroffenen in der Öffentlichkeit - bei unbeteiligten Beobachtern des Polizeieinsatzes - eine schwere Einbuße erlitten haben konnte (vgl. BayVGH, Urteil vom 2. Dezember 1991 - 21 B 90.166 -, juris, Rn. 49). Wenngleich diskriminierende bzw. stigmatisierende Wirkungen einer polizeilichen Maßnahme vor allem dann anzunehmen sind, wenn sie das Ansehen der Betroffenen bei Nachbarn und Bekannten herabsetzen, so kann demnach auch der erhebliche Ansehensverlust in der Öffentlichkeit hierfür ausreichen. Hiervon ausgehend ist ein schutzwürdiges Rehabilitierungsinteresse der Klägerin für ihr Feststellungsbegehren zu bejahen. Zwar hat der polizeilich angeordnete Platzverweis an sich das Ansehen der Klägerin in der Öffentlichkeit bei objektiver Betrachtung nicht erheblich herabgesetzt. Die Begleitumstände dieser polizeilichen Maßnahme dürfen jedoch nicht ausgeblendet werden. Hierzu zählen - wie dargelegt - auch die Art und Weise des Vollzugs des Platzverweises. Die Klägerin wurde, nachdem sie dem Platzverweis auch nach Androhung unmittelbaren Zwangs nicht nachkam, in den sogenannten Polizeigriff genommen - mit dem Arm auf dem Rücken - und zwangsweise aus dem Bahnhofsgebäude des K. Hauptbahnhofs gebracht. Bei einem unbeteiligten Beobachter dieses Vorgangs konnte daher der Eindruck entstehen, die Klägerin habe sich deswegen von der Polizei so behandeln lassen müssen, weil sie in nicht unerheblicher Weise gegen die Rechtsordnung verstoßen habe. Für die Androhung unmittelbaren Zwangs als untrennbarer Teil des Gesamtvorgangs sowie die Anwendung unmittelbaren Zwangs selbst gilt nichts anderes.

25

2. Die Klage ist unbegründet. Die gegen die Klägerin ergriffenen polizeilichen Maßnahmen waren rechtmäßig.

26

Der von Beamten der Bundespolizei gegenüber der Klägerin im K. Hauptbahnhof angeordnete Platzverweis findet seine Rechtsgrundlage in § 38 Bundespolizeigesetz - BPolG -. Danach kann die Bundespolizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen (Platzverweis).

27

Die Voraussetzungen für einen solchen Platzverweis lagen vor.

28

Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BPolG ist Gefahr im Sinne des § 38 BPolG eine im Einzelfall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Bereich der Aufgaben, die der Bundespolizei nach den §§ 1 bis 7 BPolG obliegen. Die Bundespolizei war in ihrer Funktion als Bahnpolizei (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 BPolG) sachlich zuständig für die Anordnung eines Platzverweises in der Halle des K. Hauptbahnhofs.

29

Zur öffentlichen Sicherheit gehören auch staatliche Einrichtungen, die sowohl in ihrem Bestand als auch in ihrem Funktionieren Schutz genießen. Wenn Dritte eine polizeiliche Maßnahme stören oder behindern, stellt dies eine konkrete Gefahr für das Funktionieren einer staatlichen Einrichtung und damit für die öffentliche Sicherheit dar (vgl. Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Auflage 2012, D Rn. 22 und 25; Martens, in: Heesen/Hönle/Peilert/Martens, BPolG, VwVG, UZwG, 5. Auflage 2012, § 38 BPolG Rn. 8). Dabei beurteilt sich die Frage, ob eine präventiv-polizeiliche Maßnahme erforderlich ist, nach den Verhältnissen und dem Erkenntnisstand zurzeit ihres Erlasses (sog. ex-ante-Betrachtung, vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1975 - 1 C 35.70 -, juris, Rn. 32 = BVerwGE 49, 36). Zwar ist ein polizeiliches Einschreiten auch zur Abwehr einer sogenannten Anscheinsgefahr gerechtfertigt (vgl. Lisken/Denninger, a.a.O., D Rn. 46 ff.; Peilert, in: Heesen/ Hönle/Peilert/Martens, a.a.O., § 14 BPolG Rn. 24 f.), der Polizei steht aber im Rahmen ihrer Gefahrenprognose keine Einschätzungsprärogative im Sinne eines gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraums zu (so ersichtlich auch VGH BW, Urteil vom 17. März 2011 - 1 S 2513/10 -, juris, Rn. 24, der von einer Einschätzungsprärogative lediglich in Bezug auf die gerichtliche Überprüfung am Maßstab der ex-ante-Prognose spricht).

30

Hiervon ausgehend durften die Beamten der Bundespolizei annehmen, dass die Klägerin - zusammen mit ihrer Begleiterin - die polizeiliche Befragung und Kontrolle des Herrn M. im K. Hauptbahnhof behindert hat.

31

Dies ergibt sich aus der Gesamtschau folgender Umstände: Die Klägerin ist ihren eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung des Senats zufolge während der polizeilichen Befragung und Kontrolle von Herrn M. zusammen mit ihrer Begleiterin, Frau H., auf diesen und die beiden Polizeibeamten zugegangen und hat sich in einem Abstand von ca. 1,5 m seitlich neben die Polizeibeamten gestellt. Ihr Vorbringen zur räumlichen Entfernung deckt sich im Wesentlichen mit den Angaben von Frau H. sowie der Polizeibeamten B. und S. in erster Instanz, die den Abstand auf etwa 1,5 bis 2 m bzw. auf etwa 1 oder 1 bis 2 m schätzten. Nach Angaben der Klägerin wollte sie der kontrollierten dunkelhäutigen Person signalisieren, dass sie nicht allein war, und - so die Formulierung der Klägerin - ihr Beistand leisten bzw. - so die Formulierung der Zeugin H. - den Polizisten kenntlich machen, dass sie und ihre Begleiterin mit der Kontrolle nicht einverstanden waren. Die Klägerin und ihrer Begleiterin beobachteten demnach nicht nur aus einem gewissen Abstand eine polizeiliche Befragung und Kontrolle. Sie suchten vielmehr eine demonstrativ geringe Nähe zu den Polizeibeamten und der kontrollierten Person, um ihre Missbilligung der Kontrolle bzw. ihren Beistand mit dem Kontrollierten deutlich zu machen. Dies wurde von den Polizeibeamten auch so verstanden. Sie waren nämlich von der Klägerin und ihrer Begleiterin bereits zuvor im Zug auf der Fahrt nach K. angesprochen und nach den Gründen der Kontrolle einer "ausländisch aussehenden" Person gefragt worden. Dabei hatten die beiden Frauen deutlich gemacht, dass sie eine Kontrolle allein aufgrund des ausländischen Erscheinungsbildes für diskriminierend und nicht zulässig hielten.

32

Vor diesem Hintergrund durften die Polizeibeamten in der demonstrativ geringen Nähe der Klägerin eine Behinderung der Befragung und Kontrolle des dunkelhäutigen Herrn M. sehen. Es bestand nicht nur aufgrund der geringen Nähe die konkrete Gefahr, dass die befragte Person keine weiteren oder keine vollständigen Auskünfte mehr geben würde, sobald sie die Anwesenheit der Klägerin und damit eines unbeteiligten Dritten in Hörweite bemerken würde. Es erscheint darüber hinaus aufgrund der demonstrativen Nähe auch die Annahme gerechtfertigt, dass die Klägerin mit der nonverbalen Kundgabe ihrer Missbilligung bzw. ihres Beistands auf die Fortführung der Befragung und Kontrolle von Herrn M. behindernd einwirken wollte, indem sie ihn durch ihr demonstrativ gezeigtes Verhalten letztlich zu einer Aufgabe seiner Auskunftsbereitschaft gegenüber den Polizeibeamten animieren würde.

33

Ob die Klägerin überdies die polizeiliche Befragung und Kontrolle auch dadurch gestört hat, dass aufgrund der geringen Nähe eine ordnungsgemäße Eigensicherung der kontrollierenden Beamten nicht mehr möglich gewesen ist, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, bedarf demnach keiner Entscheidung.

34

Ebenso kann mangels Entscheidungserheblichkeit offen bleiben, ob die Klägerin bereits - wie von der Beklagten geltend gemacht - während der polizeilichen Befragung und Kontrolle von Herrn M. auf diesen eingeredet und ihn sinngemäß gefragt hat, ob er sich durch die Kontrolle diskriminiert fühle, oder ob sie ihn dies erst nach dem Ende der Kontrolle im Anschluss an ihre Beschwerde gegenüber dem Vorgesetzten der beiden Polizeibeamten gefragt hat.

35

Die Klägerin war auch nicht im Wege der Nothilfe berechtigt, die polizeiliche Befragung und Kontrolle von Herrn M. zu behindern. Nothilfe ist nicht geboten, wenn der Rechtsgutsinhaber den Angriff nicht abwehren oder sich selbst verteidigen will; der Nothelfer darf seine Hilfe nicht aufdrängen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 1986 - 4 StR 306/86 -, juris, Rn. 4; Ellenberger, in: Palandt, BGB, 73. Auflage 2014, § 227 Rn. 3). Da Herr M. sich gegen seine Befragung und Kontrolle durch die Polizeibeamten ersichtlich nicht wehren wollte, sondern bereitwillig Auskunft erteilt hat, scheidet bereits aus diesem Grunde ein Nothilferecht der Klägerin aus. Es kommt daher nicht darauf an, ob die polizeiliche Befragung und Kontrolle von Herrn M. ihrerseits rechtmäßig war. Dadurch entsteht keine Rechtsschutzlücke. Vielmehr kann der von einer polizeilichen Maßnahme Betroffene grundsätzlich bei Vorliegen eines entsprechenden berechtigten Interesses deren Rechtmäßigkeit gerichtlich überprüfen lassen.

36

In diesem Zusammenhang weist der Senat im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht im Prozesskostenhilfeverfahren geäußerte Rechtsauffassung zur Rechtmäßigkeit der polizeilichen Kontrolle vorsorglich darauf, dass die beklagte Bundespolizei selbst eine Auswahl der verdachtsunabhängig zu befragenden bzw. kontrollierenden Personen allein aufgrund der Hautfarbe für nicht mit Art. 3 Abs. 3 GG vereinbar hält. Diese Auffassung hat auch der Senat in einem früheren Verfahren zum Ausdruck gebracht.

37

Ist nach alledem der Platzverweis der Klägerin rechtmäßig gewesen, so gilt gleiches für die Androhung und Anwendung unmittelbaren Zwangs zu dessen Durchsetzung.

38

Hinsichtlich der Androhung unmittelbaren Zwangs kann dahinstehen, auf welche Rechtsgrundlage diese hier gestützt werden kann.

39

Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz - VwVG - müssen Zwangsmittel, wenn sie nicht sofort angewendet werden können (§ 6 Abs. 2 VwVG), schriftlich angedroht werden. Nach § 13 Abs. 7 Satz 1 VwVG ist die Androhung zuzustellen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist die Schriftlichkeit der Androhung nach Bundesrecht zwingend. Damit ist es grundsätzlich ausgeschlossen, ein Zwangsmittel - wie den unmittelbaren Zwang (vgl. § 9 Abs. 1c VwVG) - mündlich anzudrohen. Lediglich in den Fällen der §§ 13, 14 UZwG - der Androhung des Gebrauchs von Schusswaffen sowie der Androhung des Einsatzes von Wasserwerfern, Dienstfahrzeugen und Explosivmitteln - entfällt die Schriftform. Folgt man der Auffassung, dass erst recht im einfachen Fall des § 13 Abs. 1 Satz 1 VwVG bei einem mündlichen Verwaltungsakt auch die mündliche Androhung eines Zwangsmittels genügen müsse (ablehnend Sadler, VwVG, VwZG, 7. Auflage 2010, § 13 VwVG Rn. 33), sodass auch die Zustellung der Androhung nach § 13 Abs. 7 Satz 1 VwVG entbehrlich wäre, liegen die weiteren Voraussetzungen für eine Androhung unmittelbaren Zwangs vor.

40

Der Platzverweis ist ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung im Sinne von § 6 Abs. 1 VwVG gerichtet ist. Er kann mit dem Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs (vgl. § 9 Abs. 1c VwVG) durchgesetzt werden, weil Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die unaufschiebbare Anordnung der Polizeivollzugsbeamten nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO keine aufschiebende Wirkung hatten. Die Androhung war schließlich auch erforderlich, da die Klägerin dem Platzverweis nicht nachgekommen ist.

41

Hält man hingegen eine mündliche Androhung des Zwangsmittels bei einem mündlichen Platzverweis nicht für zulässig, so ist die "Androhung" nur als Ankündigung des darauf folgenden unmittelbaren Zwangs durch sofortigen Vollzug nach § 6 Abs. 2 VwVG anzusehen (vgl. Sadler, a.a.O., § 13 VwVG, Rn. 33). Dann liegt hier der Ausnahmefall des § 13 Abs. 1 Satz 1 VwVG vor. Da das Zwangsmittel sofort angewendet werden kann im Sinne von § 6 Abs. 2 VwVG, muss es nicht schriftlich angedroht und die Androhung nicht zugestellt werden.

42

Die Anwendung des unmittelbaren Zwangs findet seine Rechtsgrundlage in § 6 in Verbindung mit § 12 VwVG.

43

Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit von Verwaltungszwang nach § 6 Abs. 1 VwVG waren hier gegeben, wie oben bereits ausgeführt. Die Anwendung von Ersatzvornahme oder Zwangsgeld war untunlich im Sinne von § 12 VwVG. Da die mit dem Platzverweis verbundene Verpflichtung, sich zu entfernen, nur von der Klägerin persönlich erfüllt werden konnte, schied eine Ersatzvornahme von vornherein aus. Ein Zwangsgeld wäre hier offensichtlich ineffektiv gewesen, um die mit dem Platzverweis bezweckte Abwehr der Störung der polizeilichen Kontrolle des Herrn M. zu erreichen. Da die Klägerin auf die Androhung unmittelbaren Zwangs dem Platzverweis weiterhin nicht folgte, war die Anwendung unmittelbaren Zwangs auch erforderlich.

44

Die Kostenentscheidung folgt unter Einbeziehung der teilweise rechtskräftig gewordenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts aus § 154 Abs. 2 VwGO.

45

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10 ZPO.

46

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

47

Beschluss

48

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren bis zur teilweisen Rücknahme der Berufung in der mündlichen Verhandlung des Senats auf 11.875,00 € und im Übrigen auf 6.875,00 € festgesetzt, wobei der Senat für die Identitätsfeststellung, hinsichtlich derer die Berufung zurückgenommen worden ist, den Regelstreitwert von 5.000,00 € veranschlagt (vgl. §§ 47, 52 Abs. 1 und 2 GKG).

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