Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 10542/14
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 24. März 2014 die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
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Am 28. August 1990 reiste er in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag. Nachdem er am 2. Mai 1996 eine in Deutschland geborene türkische Staatsangehörige geheiratet hatte, nahm er seinen Asylantrag zurück und erhielt auf seinen Antrag hin am 14. August 1997 eine Aufenthaltserlaubnis, die in der Folgezeit auf seinen jeweils rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrag hin jeweils verlängert worden ist, zuletzt bis 2016. Die Ehe des Klägers wurde am 6. Dezember 2003 geschieden. Aus ihr waren am … 1997 die Tochter P. und am … 1999 der Sohn M. hervorgegangen. Diese beiden Kinder und ihre Mutter besitzen inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Kläger ist für diese beiden Kinder, die im Haushalt ihrer Mutter leben, unter Ausschluss des Aufenthaltsbestimmungsrechts personensorgeberechtigt, gemäß Urteil des Amtsgerichts Wetzlar vom 14. März 2002 hat er diesen beiden Kindern jeweils 91,00 €/M Unterhalt zu zahlen. Ferner ist der Kläger Vater des am … 2007 geborenen ukrainischen Staatsangehörigen G., der im Haushalt seiner Mutter lebt und für den diese allein personensorgeberechtigt ist. Durch Beschluss des Amtsgerichts Bingen vom 18. Februar 2008 wurde auf der Grundlage der Regelbetragsverordnung ein vom Kläger für diesen zu zahlender Unterhaltsbetrag in Höhe von 150 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe festgesetzt. Derzeit lebt der Kläger zusammen mit einer Lebensgefährtin in einer gemeinsam angemieteten Wohnung und erzielt ein Bruttoerwerbseinkommen in Höhe von 1.788,00 €/M.
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Den bereits am 11. November 2009 vom Kläger gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lehnte der inzwischen örtlich zuständig gewordene Beklagte mit Bescheid vom 2. Januar 2013 ab, der hiergegen fristgerecht erhobene Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 23. Juli 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Kreisrechtsausschuss aus: Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach der allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 9 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG – nicht zu. Zwar verfüge er über ausreichende Mittel, um für sich selbst ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel sorgen zu können. Jedoch seien bei der Beantwortung der Frage, ob ein Ausländer gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG seinen Lebensunterhalt sichern könne, auch dessen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern mit in die Betrachtung einzubeziehen. Die Sicherung des Lebensunterhalts der unterhaltsberechtigten Kinder sei Bestandteil der eigenen Lebensunterhaltssicherung. Der Kläger sei vorliegend aber nicht in der Lage, mit seinem Einkommen in Höhe von 1.247,84/M € netto sowohl seinen Regelbedarf von 345,00 €/M nebst hälftiger Miete in Höhe von 250,00 €/M und Nebenkosten in Höhe von mindestens 40,00 €/M als auch den Bedarf seiner Kinder zu decken, der zumindest in Höhe des Regelbedarfs von je 289,00 €/M für die ersten beiden Kinder und von 255,00 €/M für das dritte Kind anzusetzen sei.
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Daraufhin hat der Kläger am 22. August 2013 Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt und geltend gemacht hat: Bei der Frage, ob sein Lebensunterhalt im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG gesichert sei, komme es ausschließlich auf sein Einkommen und seinen Bedarf an. Hiervon ausgehend könne er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Die Frage, ob er wirtschaftlich in der Lage sei, auch seinen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen Kindern in Gänze nachzukommen, sei demgegenüber unerheblich.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2. Januar 2013 und des hierzu ergangenen Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2013 zu verpflichten, ihm die beantragte Niederlassungserlaubnis zu erteilen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich zur Begründung seines Antrags auf die Gründe der ergangenen Bescheide. Obwohl der Kläger die sonstigen tatbestandlichen Merkmale des § 9 Abs. 2 AufenthG erfülle, könne ihm die begehrte Niederlassungserlaubnis nicht er-teilt werden, da er nicht in der Lage sei, den seinen Kindern zustehenden Unterhalt zu gewährleisten.
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Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 24. März 2014 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Entgegen der Auffassung des Beklagten erfülle der Kläger auch die allein streitige Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, da sein Lebensunterhalt gesichert sei. Er arbeite seit dem 1. März 2013 in einem Hotel- und Gaststättenbetrieb und erziele ein Bruttoeinkommen in Höhe von 1.700,00 €/M. Dieses Einkommen reiche zur Sicherung des eigenen Lebensunterhaltes des Klägers aus. Es sei nicht erforderlich, dass der Kläger mit diesem Einkommen auch den Lebensunterhalt seiner drei unterhaltsberechtigten minderjährigen Kinder sichern könne. Eine solche Forderung lasse sich dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht entnehmen. Der Gesetzgeber habe nämlich in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG den Begriff "sein Lebensunterhalt" verwendet, während er sehr bewusst in anderen Bestimmungen, insbesondere in § 9a Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, andere Begrifflichkeiten verwendet habe, wonach es etwa erforderlich sei, dass der Ausländer zusätzlich auch den Lebensunterhalt von Familienangehörigen bestreiten könne. Dem stünden auch nicht etwa der Sinn und Zweck des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Zwar bezwecke das Aufenthaltsgesetz auch, die öffentlichen Kassen nicht durch den Zuzug und Verbleib von Ausländern zu belasten, die nicht in der Lage seien, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Hieraus folge aber nicht ohne weiteres, dass entgegen einer eindeutigen gesetzlichen Regelung ein Aufenthaltstitel nur dann erteilt werden dürfe, wenn auch der Lebensunterhalt aller unterhaltsberechtigten Personen gesichert sei. Dieses Erfordernis sei dem Aufenthaltsgesetz nicht immanent. An mehreren Stellen und im Rahmen verschiedener Vorschriften werde vielmehr deutlich, dass der Gesetzgeber von dieser vermeintlich zwingenden Vorgabe abgesehen habe, etwa in § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG und in § 5 Abs. 3 AufenthG.
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Dass ein Ausländer zur Erfüllung der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht auch den Lebensunterhalt seiner unterhaltsberechtigten Kinder sichern müsse, gelte jedenfalls dann, wenn er mit diesen – wie im vorliegenden Fall – nicht in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 9 Abs. 2 SGB II zusammenlebe. Auch der Hinweis des Beklagten auf § 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Kläger beziehe keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Zudem sehe § 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II nur die Absetzung der tatsächlichen Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel festgelegten Betrag vor. Soweit der Kläger seinen Kindern tatsächlich Unterhalt leiste, sei er trotz dieser Zahlungen in der Lage, mit dem Restbetrag seinen Lebensunterhalt sicherzustellen.
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Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht gegen sein Urteil zugelassenen Berufung führt der Beklagte im Wesentlichen aus: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts müsse der eine Niederlassungserlaubnis begehrende Ausländer stets nicht nur seinen eigenen Lebensunterhalt sicherstellen, sondern auch den seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen. Zwar habe dieser im vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall mit jenen in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt, doch werde aus dem Urteil deutlich, dass dies bei der Kernfamilie auch sonst gelte. Im vorliegenden Fall sei auch nicht etwa bezüglich der beiden deutschen Kinder des Klägers eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu machen, weil dies im Rahmen von § 9 AufenthG nicht möglich sei. Der Kläger sei nun unabhängig davon, ob in diesem Zusammenhang auf den Regelbedarf, auf den gesetzlichen Mindestunterhalt oder gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II auf die titulierten Unterhaltsansprüche abzustellen sei, nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt unter Berücksichtigung seiner Kinder sicherzustellen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts komme es insoweit nicht darauf an, ob der Kläger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beziehe oder weniger Unterhalt leiste als tituliert sei, weil zu prognostizieren sei, ob er dauerhaft den Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten könne. Davon sei nicht auszugehen, weil es nicht nur möglich sein müsse, vom Nettoeinkommen des Klägers in Höhe von 1.247,84 €/M die titulierten Unterhaltsansprüche abzusetzen, sondern gemäß § 11b Abs. 1 Nrn. 3 bis 6 i.V.m. Abs. 2 und 3 SGB II auch weitere Beträge in Höhe von zusammen 300,00 €/M. Dann verbleibe lediglich ein Einkommen in Höhe von § 474,84 €/M, dem jedoch ein Regelbedarf des Klägers von 353,00 €/M sowie seine Unterkunftskosten in Höhe von mindestens 275,00 €/M gegenüberstünden.
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Der Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 24. März 2014 die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Er macht erneut geltend, dass nach dem eindeutigen Wortlaut von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nur "sein Lebensunterhalt" gesichert sein müsse, anders als nach § 9a Abs. 2 Nr. 2 AufenthG also nicht auch der Lebensunterhalt unterhaltsberechtigter Angehöriger.
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Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Verwaltungsakten der Beteiligten Bezug genommen, die allesamt Gegenstand der Beratung des Senats gewesen sind.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.
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Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG.
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Er erfüllt nämlich nicht die hierfür in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG aufgestellte Voraussetzung, wonach sein Lebensunterhalt gesichert sein muss. Nach der gesetzlichen Definition in § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Ziel dieser Bestimmung ist es zu verhindern, dass für die Sicherung des Lebensunterhaltes öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden müssen. Die Lebensunterhaltssicherung nach § 2 Abs. 3 AufenthG wird in der Begründung des Gesetzentwurfs als eine der Erteilungsvoraussetzungen von grundlegendem staatlichen Interesse und als wichtigste Voraussetzung, um die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu verhindern, bezeichnet (BT-Drucks. 15/420 S. 70). Dies spricht dafür, dass im Falle eines voraussichtlichen Anspruchs auf öffentliche Mittel, sofern sie nicht ausdrücklich nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG außer Betracht zu bleiben haben, der Lebensunterhalt nicht als gesichert angesehen werden kann, da dann eine Inanspruchnahme dieser Mittel zu erwarten oder jedenfalls nicht auszuschließen ist. Ob die Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden, ist nach dem gesetzgeberischen Regelungsmodell unerheblich (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 26. August 2010 – 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370 [377 Rn. 21]). Dies wird u.a. auch durch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 27 Abs. 3 AufenthG bestätigt, in der zu dem vergleichbaren Erfordernis des Angewiesenseins auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites und Zwölftes Buch ausgeführt wird, es komme wie im bisherigen Recht "nur auf das Bestehen eines Anspruchs auf Sozialhilfe, d.h. das Vorliegen der Voraussetzungen, nicht auf die tatsächliche Inanspruchnahme an" (BT-Drucks. 15/420 S. 81). Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Ausländer aller Voraussicht nach bei gleich bleibenden Einkommens- und Bedarfsverhältnissen ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel durch eigenes Einkommen, Vermögen oder zulässige Leistungen Dritter seinen notwendigen Lebensunterhalt wird bestreiten können. Hierfür ist ein Vergleich des voraussichtlichen Bedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln anzustellen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 – 1 C 20.09 – BVerwGE 138, 135 [140 f. Rn. 20]).
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Die Definition des Begriffs der Lebensunterhaltssicherung sollte sich an der bisher geltenden Auslegung des § 7 Abs. 2 Nr. 2 AuslG orientieren (vgl. BT-Drucks. 15/420 S. 68). Die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs, die sich früher an dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne von § 12 BSHG orientierte, der wiederum vorbehaltlich der Besonderheiten des Einzelfalles durch die Regelsätze nach § 22 BSHG konkretisiert wurde (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 4. November 1996 – 1 B 189.96 – Buchholz 402.240 § 17 AuslG 1990 Nr. 7), richtet sich seit der Änderung des Rechts der Sozial- und Arbeitslosenhilfe vom 1. Januar 2005 an bei erwerbsfähigen Ausländern nach den entsprechenden Bestimmungen des Sozialgesetzbuches Zweites Buch. Dies gilt, soweit wie hier keine unionsrechtlichen Bestimmungen entgegenstehen, auch für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens, das nach den Regelungen in § 11 SGB II bzw. seit dem 1. April 2011 in den §§ 11 bis 11b SGB II zu ermitteln ist. Danach sind von dem nach § 11 Abs. 1 SGB II zu ermittelnden Bruttoeinkommen die in § 11b SGB II genannten Beträge abzusetzen (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 26. August 2008 – 1 C 32.07 – BVerwGE 131, 370 [375 f. Rn.19] und vom 16. November 2010 – 1 C 21.09 – BVerwGE 138, 148 [156 f. Rn. 20]).
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Der Kläger erzielt ausweislich der von ihm vorgelegten Verdienstbescheinigungen derzeit ein Bruttoerwerbseinkommen in Höhe von 1.788,00 €/M.
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Von diesem Bruttoeinkommen abzusetzen sind zunächst gemäß § 11b Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGB II die auf das Einkommen entrichteten Steuern sowie die Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung. Ausweislich der vorgelegten Verdienstbescheinigungen sind dies 174,95 € sowie 365,21 €.
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Von diesem Bruttoeinkommen abzusetzen ist gemäß § 11b Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nrn. 3 bis 5 SGB II weiterhin mindestens ein Pauschalbetrag in Höhe von 100,00 € u.a. für Versicherungsbeiträge, Altersvorsorge und mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben.
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Von diesem Bruttoeinkommen abzusetzen ist gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II ferner ein Betrag, der sich für den Teil des monatlichen Einkommens, das 100,00 € übersteigt und nicht mehr als 1.000,00 € beträgt, auf 20 % und für den Teil des monatlichen Einkommens,das1.000,00 € übersteigt und nicht mehr als1.200,00 € beträgt, auf 10 % beläuft. Im vorliegenden Fall sind dies 900,00 € x 20/100 = 180,00 € sowie 200,00 € x 10/100 = 20,00 €, zusammen also 200,00 €.
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Von diesem Bruttoeinkommen abzusetzen sind gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II schließlich die Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag. Da es im Rahmen der ausländerrechtlichen Prognose darauf ankommt, ob der Lebensunterhalt eines Ausländers ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel auf Dauer gesichert ist (s.o.), genügt es nicht, wenn sein Einkommen momentan nur deshalb seinen Bedarf übersteigt, weil er weniger Unterhalt zahlt als bereits tituliert ist oder tituliert werden könnte, er aber später seine diesbezüglichen Aufwendungen erhöhen könnte oder gar müsste (vgl. BVerwG, Urteile vom 7. April 2009 – 1 C 17.08 – BVerwGE 133, 329 [342 f. Rn. 33] und vom 29. November 2012 – 10 C 4.12 – BVerwGE 145, 153 [164 f. Rn. 27]). Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts kommt es deshalb nicht darauf an, dass der Kläger derzeit keine Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch bezieht und dass er seinen Kindern derzeit weniger Unterhalt zahlt als tituliert ist. Vielmehr ist auf die titulierten Unterhaltsbeträge abzustellen, also auf je 91,00 €/M für seine beiden älteren Kinder (vgl. das Urteil des AG Wetzlar vom 14. März 2002 – S. 433 der Verwaltungsakte [im Folgenden: VA]) und auf 304 €/M für seinen jüngeren Sohn (vgl. den Beschluss des AG Bingen vom 18. Februar 2008 – S. 619 VA). Bei richtiger Umrechnung des darin auf der Grundlage der Regelbetragsverordnung festgesetzten Unterhaltsbetrages gemäß § 36 Nr. 3 Satz 4 lit. a EGZPO in einen Prozentsatz des Mindestunterhalts nach § 1612a BGB musste beim Wechsel seines jüngeren Sohnes in die nächsthöhere Altersstufe am 1. Januar 2013 zwar erneut der für den 1. Januar 2008 zutreffend ermittelte neue Prozentsatz von 108,6 % verwendet (vgl. nur BGH, Urteil vom 18. April 2012 – XII ZR 66/10 – NJW 2012, 1873 [1874 f. Rnrn. 21 f.]), jedoch der am 1. Januar 2013 und noch immer geltende doppelte Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in Höhe von 364,00 €/M – abzüglich des hälftigen Kindergeldes in Höhe von derzeit 92,00 €/M – angesetzt werden (Die Umrechnungen auf Seite 621 VA treffen für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2013 also nicht mehr zu). Vorsorglich sei angemerkt, dass es sich bei dem Schreiben der Kreisverwaltung Mainz-Bingen vom 24. März 2010 (S. 622 VA) trotz der darin und vom Beklagten verwendeten zum Teil missverständlichen Formulierungen lediglich um einen Zwangsvollstreckungsverzicht, nicht aber um einen – gemäß § 1614 Abs. 1 BGB zudem unzulässigen – Verzicht auf Unterhaltsleistungen für die Zukunft oder um eine – nur im gerichtlichen Verfahren nach § 240 FamFG mögliche – Abänderung des am 18. Februar 2008 festgesetzten Unterhaltsbetrages handelt.
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Setzt man vom Bruttoeinkommen des Klägers in Höhe von 1.788,00 €/M die Beträge 174,95 €, 365,21 €, 100,00 €, 200,00 €, 91,00 €, 91,00 € und 304,00 € ab, verbleibt ein maßgebliches Einkommen in Höhe von 461,84 €/M.
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Demgegenüber umfasst der voraussichtliche Bedarf des Klägers mindestens seinen Regelbedarf im Sinne von § 20 Abs. 1 SGB II, der für zusammenlebende Partner seit dem 1. Januar 2015 für jeden Partner 360,00 € beträgt, sowie seine Bedarfe für Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 SGB II, die sich ausweislich des vom Kläger vorgelegten Mietvertrages bei Halbierung der darin genannten Beträge auf 290,00 € belaufen. Da sich mithin der voraussichtliche Bedarf des Klägers auf mindestens 650,00 €/M beläuft, sein nach §§ 11 f. SGB II maßgebliches Einkommen vor einer etwaigen Abänderung der titulierten Unterhaltsansprüche seiner Kinder jedoch nur 461,84 €/M beträgt, kann seine Klage keinen Erfolg haben, ohne dass es darauf ankommt, ob angesichts der seinen jüngeren Sohn betreffenden erheblichen Unterhaltsrückstände von einem erhöhten Bedarf des Klägers auszugehen ist (vgl. dazu einerseits Zeitler in HTK-AuslR, zu § 2 Abs. 3 AufenthG – Lebensunterhalt – Nrn. 2.5 und 5.5 [Stand 11/2014] und andererseits Funke-Kaiser in GK-AufenthG, Loseblatt, § 2 Rn. 67 [Stand Mai 2014]).
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Nach alledem war die Klage abzuweisen. Für den Kläger bedeutet dies indes nicht, dass entgegen des Wortlautes von § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht nur "sein" Lebensunterhalt gesichert sein muss. Insbesondere muss er aus seinem Einkommen nicht etwa auch den Lebensunterhalt seiner Kinder in Höhe der von ihnen beanspruchbaren Regelsätze sowie ihrer anteiligen Bedarfe für Unterkunft und Heizung sicherstellen, weil er mit Ihnen nicht in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 SGB II zusammenlebt (vgl. dazu indes BVerwG, Urteil vom 16. November 2010 – 1 C 21.09 – BVerwGE 138, 148 [152 bis 156 Rnrn. 14 bis 19]). Vielmehr muss der Kläger mit Blick auf § 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II lediglich die titulierbaren bzw. titulierten Unterhaltsansprüche erfüllen können, die von der Höhe seines Einkommens abhängig sind und die gemäß § 1603 Abs. 1 BGB nicht bestehen, falls er zu deren Erfüllung unter Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts ("Selbstbehalt") außerstande ist. Da gemäß § 11b Abs. 1 Nr. 7 SGB II die Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag von seinem Bruttoeinkommen abzusetzen sind, er im Falle der Erfüllung der titulierten Unterhaltsansprüche seiner Kinder derzeit also einen Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch hätte, ist mithin sein eigener Lebensunterhalt nicht gesichert. Sollten die Unterhaltsansprüche seiner Kinder angesichts ihres derzeitigen Bedarfs und angesichts seiner derzeitigen Einkommensverhältnisse und des vom ihm beanspruchbaren Selbstbehalts zu hoch festgesetzt sein, ist es Sache des Klägers, eine Abänderung der Unterhaltstitel herbeizuführen. Bis dahin sind aber im Rahmen der nach § 2 Abs. 3 AufenthG zu erstellenden Prognose die derzeit titulierten Unterhaltsansprüche von seinem Bruttoeinkommen abzusetzen, um die Geltendmachung eines Anspruchs auf ergänzende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch durch den Kläger ausschließen zu können.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten aus § 167 Abs. 2 und 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Beschluss
- 34
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG für das zweitinstanzliche Verfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.
- 35
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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