Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 10344/16
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 29. Februar 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt als Träger der Jugendhilfe von dem Beklagten als Träger der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes die weitere Erstattung von Kosten der Jugendhilfe in Höhe von 703,44 €, die er im Zeitraum vom 1. September 2013 bis 31. Juli 2014 aufgewandt hat.
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Die am 31. August 2009 geborene V.S. wurde im November 2009 von ihrer Mutter misshandelt. V.S. wurde zunächst von dem Kläger in Obhut genommen und lebt seit Dezember 2009 in einer Pflegefamilie. Das Jugendamt des Klägers ist als Pfleger mit den Wirkungskreisen "Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge sowie Recht zur Beantragung von Hilfen zur Erziehung" für V.S. bestellt (Beschluss des Amtsgerichts Montabaur vom 7. Dezember 2009 – 3 F 442/09 –). Für den Teilbereich der Vermögenssorge betreffend die Verwaltung der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ist das Jugendamt des Klägers als Ergänzungspfleger bestimmt (Beschluss des Amtsgerichts Montabaur vom 20. Juni 2011 – 3 F 126/11 –).
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Das Amtsgericht Montabaur verurteilte die Mutter von V.S. am 12. Juli 2010 wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch zwei rechtlich selbstständige Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (Az.: 2020 Js 76809/09.2a Ls). Mit Bescheid vom 2. April 2012 erkannte der Beklagte bei V.S. als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes bei einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 ab dem 5. November 2009 als Schädigungsfolgen an: 1. Hirnschädigung nach Schütteltrauma, 2. cerebrales Krampfanfallsleiden. Zugleich bewilligte er ihr eine Grundrente nach § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 31 Bundesversorgungsgesetz (BVG) entsprechend dem anerkannten GdS. In der Folgezeit sparte der Ergänzungspfleger von der Nachzahlung und den monatlichen Leistungen der Grundrente für V.S. bei der Sparkasse W. im Rahmen eines Zuwachssparens – Führerscheinsparen – ein Guthaben an. Mit weiterem Bescheid vom 24. April 2013 bewilligte der Beklagte V.S. eine Ausgleichsrente nach § 1 Abs. 1 OEG i.V.m. § 34 BVG ab dem 1. Dezember 2009.
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Der Kläger bewilligte dem Jugendamt als Pfleger von V.S. für deren Unterbringung in einer Pflegefamilie Pflegegeldleistungen als Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 33 SGB VIII. Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 3. Mai 2013 einen Erstattungsanspruch aufgrund der Bewilligung der Ausgleichsrente für V.S. geltend gemacht hatte, teilte der Beklagte mit Schreiben vom 25. Juni 2013 mit, dass aufgrund des erhobenen Erstattungsanspruchs die Ausgleichsrente in Höhe von monatlich 410,00 € ab dem 1. August 2013 laufend monatlich an den Kläger ausgezahlt und deren Nachzahlung in Höhe von 17.232,00 € an ihn überwiesen werde.
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Mit Schreiben vom 2. August 2013 nahm der Kläger den Beklagten für auf der Grundlage der §§ 27, 33 SGB VIII geleistete Jugendhilfe in Höhe von 10.360,83 € in Anspruch. Der Beklagte erkannte unter Abzug eines Betrages für eine Erstausstattung einen Betrag in Höhe von 9.919,45 € als erstattungsfähig für entstandene OEG-Aufwendungen an. Mit Schreiben vom 22. Juli 2014 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten wegen gemäß §§ 27, 33 SGB VIII geleisteter Hilfe zur Erziehung einen Erstattungsanspruch für den Zeitraum vom 1. September 2013 bis zum 31. Juli 2014 in Höhe von 2.718,64 € geltend. Dieser Betrag setzte sich nach der vom Kläger übersandten "Kostenrechnung über geleistete Jugendhilfe" wie folgt zusammen: Pflegegeld für den Zeitraum vom 1. September 2013 bis zum 31. Juli 2014 in einem Gesamtbetrag von 6.842,00 €, Beiträge zur Altersvorsorge für den Zeitraum vom 1. Dezember 2013 bis zum 31. Juli 2014 von 320,00 €, Unfallversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 1. September 2013 bis zum 31. Juli 2014 von 72,38 €, Beiträge zur Haftpflichtversicherung für den Zeitraum vom 1. September 2013 bis zum 31. Dezember 2013 von 8,24 € und für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Juli 2014 von 17,71 €, Zuschuss für eine Brille 2013 von 86,66 €, Zuschuss zum Urlaub 2014 von 255,65 € und Weihnachtsbeihilfe für 2013 von 36,00 €. Von dem Gesamtbetrag in Höhe von 7.638,64 € brachte der Kläger die ihm vom Beklagten geleisteten Ersatzleistungen (Ausgleichsrente für den Zeitraum vom 1. August 2013 bis zum 31. Juli 2014) in einer Gesamthöhe von 4.920,00 € in Abzug. Der Beklagte zog Unterlagen über die Vermögensverhältnisse von V.S. bei. Danach verfügte sie am 3. März 2014 über ein Gesamtvermögen von 12.450,55 €. Der Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 30. September 2014 mit, dass V.S. als entstandene OEG-Aufwendungen ein Betrag von insgesamt 2.015,20 € erstattet werde. Von der Gesamtforderung in Höhe von 2.718,64 € habe der über dem Vermögenschonbetrag von 11.747,00 € (Stand: 31. Juli 2014) liegende Betrag in Höhe von 703,44 € in Abzug gebracht werden müssen. Unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2010 – 5 C 7.09 –, dass der Einsatz des Vermögens, das aus der Grundrente angespart worden sei, für V.S. eine besondere Härte darstellen würde, forderte der Kläger den Beklagten mit Schreiben vom 29. Oktober 2014 auf, auch den Restbetrag zu erstatten.
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Die vom Kläger am 5. März 2015 erhobene auf Zahlung von 703,44 € gerichtete Leistungsklage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 29. Februar 2016 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Gemäß § 104 Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) richte sich der Umfang des Erstattungsanspruchs nach den für den vorrangig leistungsverpflichteten Träger geltenden Rechtsvorschriften. Vorliegend seien dies die gemäß § 1 Abs. 1 OEG entsprechend anzuwendenden Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Danach habe der Beklagte zu Recht die Erstattung des streitigen Betrages abgelehnt, weil der Anspruch der leistungsberechtigten V.S. nach dem Bundesversorgungsgesetz vermögensabhängig sei und sie den über der Vermögensschongrenze von hier unstreitig 11.747,00 € hinausgehenden angesparten Betrag in Höhe von 703,44 € im Verhältnis zum Beklagten einzusetzen hätte. Dies ergebe sich unzweifelhaft aufgrund der Änderung des § 25f Abs. 1 BVG nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2010 – 5 C 7.09 –. Der Gesetzesbegründung sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber der Auffassung gewesen sei, dass bereits vor der Gesetzesänderung eine angesparte Grundrente oberhalb der Vermögensschongrenze berücksichtigungsfähiges Vermögen gewesen sei. Der Gesetzgeber habe sich zu der von ihm als Klarstellung empfundenen Neufassung jedoch wegen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2010 – 5 C 7.09 – veranlasst gesehen. Es liege keine Härte im Sinne des § 25f Abs. 1 Satz 3 BVG für V.S. vor. Auch aus sonstigen Gründen ergebe sich keine unbillige Härte. Der Hinweis des Klägers auf einen seines Erachtens gegebenen Unterschied zwischen der Situation von Kleinkindern, die nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz grundrentenberechtigt seien und der Situation von häufig erwachsenen Kriegsopfern, müsse schon deshalb ohne Erfolg bleiben, weil der Gesetzgeber insoweit keine Differenzierung zwischen Leistungsberechtigten unterschiedlichen Alters und zwischen unmittelbar nach dem Bundesversorgungsgesetz Kriegsopferfürsorgeberechtigten und Leistungsberechtigten nach dem Opferentschädigungsgesetz, für die die Regelungen der Kriegsopferfürsorge entsprechend anzuwenden seien, gemacht habe. Auch der Einwand des Klägers, folge man der Rechtsauffassung des Beklagten, werde der Geschädigte indirekt gezwungen, das Vermögen aufzubrauchen, obwohl der seitens des Amtsgerichts Montabaur bestellte Ergänzungspfleger festgestellt habe, dass das Vermögen aus der Grundrente für das Kind geschützt sei, überzeuge nicht. Im Verhältnis zum Kläger bestehe für V.S. kein Anlass zu der Befürchtung, der vom Gericht bestellte Ergänzungspfleger könne mittelbar gezwungen werden, das Vermögen aufzubrauchen. Der Umstand, dass die unterschiedlichen Regelungssysteme des Bundesversorgungsgesetzes einerseits und des Achten Buches Sozialgesetzbuch andererseits dazu führten, dass der Kläger letztlich Kinder- und Jugendhilfeleistungen für das Kind nach den Grundsätzen des Achten Buches Sozialgesetzbuch zu erbringen habe, die er von dem nur nach den Regelungen des Opferentschädigungsgesetzes in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz vorrangig leistungsverpflichteten Beklagten nicht vollständig erstattet verlangen könne, begründe keine Härte, denn dieses Ergebnis sei lediglich eine Folge nicht vollständig inhaltlich übereinstimmender unterschiedlicher Leistungssysteme und damit als Folge des gesetzgeberisch Gewollten hinzunehmen. Der Kläger könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die erbrachte Jugendhilfemaßnahme erst durch die Schädigung des Kindes notwendig geworden sei und die Kosten der Jugendhilfe aufgrund des festgestellten Kausalzusammenhangs zu erstatten seien. Zwar ergebe sich aus § 25f Abs. 1 Satz 6 BVG i.V.m. § 25c Abs. 3 Satz 2 BVG, dass bei ausschließlich schädigungsbedingtem Bedarf Vermögen nicht einzusetzen sei, im konkreten Fall würde durch die Leistungen des Klägers jedoch nicht ausschließlich schädigungsbedingter Bedarf des Kindes gedeckt. Dies ergebe sich bereits daraus, dass von der Hilfe zur Erziehung auch der allgemeine Lebensunterhalt des Kindes mit abgedeckt werde. Dieser Bedarf bestehe aber unabhängig von der als Schädigungsfolge anerkannten Hirnschädigung und dem Krampfanfallsleiden.
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Am 13. April 2016 hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen das am 16. März 2016 zugestellte Urteil eingelegt.
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Der Kläger trägt vor: Es sei bereits in sich widersprüchlich, wenn – wie das Verwaltungsgericht feststelle – einerseits der über die Vermögensschongrenze hinausgehende angesparte Betrag im Verhältnis zum Beklagten nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes einzusetzen sei (Urteilsabdruck Seite 6), während andererseits auf Seite 10 des Urteils festgestellt werde, das bedeute "nicht auch, dass das Kind im Verhältnis zum Beklagten sein Vermögen einzusetzen hat". Dieser Wertungswiderspruch führe letztlich in Fällen wie diesem zu einer unbeabsichtigten Einschränkung des § 104 SGB X, die für den nachrangig verpflichteten Leistungsträger sehr wohl eine Härte bedeuten würde. Es sei nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diese Härte so gewollt habe. Nach § 104 Abs. 3 SGB X seien für den Umfang der Erstattung die für den vorrangig zuständigen Leistungsträger gültigen Rechtsvorschriften anzuwenden. Im vorliegenden Fall bestehe kein Interesse des vorrangigen Leistungsträgers, in die Leistung einzutreten. Würde dies von ihm verlangt, so müsste ein Parallelsystem zur Kinder- und Jugendhilfe entwickelt werden. Eine solche Forderung würde jedoch dem Grundsatz der Verwaltungseffizienz zuwiderlaufen. Die Ausnahmeregelung, wonach ein nachrangiger Träger leiste und Erstattungen durch den vorrangigen Träger begehre, werde im Verhältnis zwischen Opferentschädigung und Jugendhilfe zum Grundsatz. Dass hieraus wegen nicht vollständiger Erstattungsfähigkeit ein Nachteil des nachrangigen Leistungsträgers entstehe, könne gerade nicht beabsichtigt gewesen sein und stelle daher eine Härte für den nachrangigen Leistungsträger dar. Dem Jugendhilfeträger sei eine andere Form der Leistung nicht möglich, da Vorschriften der Kriegsopferfürsorge nicht anwendbar seien. Eine Leistungsverweigerung mit Verweis auf den Einsatz des angesparten Vermögens sei dem Jugendhilfeträger nicht möglich. Letztlich werde der nachrangige Leistungsträger bei rechtmäßiger und sorgsamer Arbeit der Pfleger für Vermögens-sorge bezüglich der Verwaltung der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz auf "Kosten sitzen bleiben".
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Im Übrigen seien alle erbrachten Jugendhilfeleistungen für V.S. im unmittelbaren Kausalzusammenhang mit der Gewalttat zulasten des Mädchens zu sehen, sodass es sich um ausschließlich schädigungsbedingte Bedarfe im Sinne von § 25f Abs. 1 Satz 6 BVG i.V.m. § 25 c Abs. 3 Satz 2 BVG handele. Die Schädigung von V.S. habe zwingend zu einer Inobhutnahme des Mädchens geführt, da die Gefahr einer weiteren Gewalttat an dem schutzbefohlenen Kind innerhalb des elterlichen Haushaltes nicht habe ausgeschlossen werden können. Im Rahmen der von ihm durchgeführten Inobhutnahme habe sich der Bedarf gezeigt, V.S. dauerhaft außerhalb des Elternhauses unterzubringen. Die von V.S. im Haushalt der Eltern erlittenen Misshandlungen hätten zu einer Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit des Mädchens geführt. Den eingetretenen und anerkannten Schädigungsfolgen habe nur außerhalb der eigenen Familie begegnet werden können. Als Aufenthaltsbestimmungspfleger habe man die Unterbringung in einer Pflegefamilie als geeignete Maßnahme für den Hilfebedarf von V.S. gesehen. Eine Unterbringung im Rahmen einer Vollzeitpflege gehe immer mit der Sicherstellung des Lebensunterhalts einher. Diese sei als Annexleistung untrennbar mit der pädagogischen Hilfegewährung verbunden, da im vorliegenden Fall eine vollstationäre Jugendhilfe zur Abwendung weiterer Gefahren geeignet sei. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, wonach es sich bei der Sicherstellung des Lebensunterhaltes um eine nicht ausschließlich schädigungsbedingte Leistung handele, sei nicht zutreffend. Der Kausalzusammenhang zwischen der anerkannten Schädigung von V.S. und deren stationäre Unterbringung schließe eine solche Feststellung aus. Der von V.S. erlittene Gesundheitsschaden durch die Verletzung der Fürsorgepflicht begründe letztlich die vollstationäre Unterbringung, die als ursächlich für die Gewährung von Jugendhilfeleistungen zu sehen sei. Ihr Lebensunterhalt wäre zwar auch ohne die stattgefundene Gewalttat sicherzustellen, da V.S aufgrund ihres Alters über kein eigenes Einkommen verfüge. Da jedoch keine Alternative zur Fremdunterbringung bestanden habe, könne die Sicherstellung des Lebensunterhalts nicht von der Hilfeart separiert werden. Ein Verweis auf das aus OEG-Leistungen angesparte Vermögen von V.S. laufe ins Leere, da die Grundrente nicht zur Sicherstellung des Lebensunterhalts eingesetzt werden dürfe.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 29. Februar 2016 abzuändern und den Beklagen hinsichtlich der von ihm für das Kind V.S. im Zeitraum vom 1. September 2013 bis zum 31. Juli 2014 aufgewendeten Kosten gemäß dem Erstattungsantrag vom 22. Juli 2014 zu verurteilen, an ihn einen weiteren Betrag von 703,44 € zuzüglich Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 5. März 2015 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Er ist der Auffassung, es sei vom Gesetzgeber gewollt, dass es unterschiedliche Regelungen gebe und sich eine Erstattung gemäß § 104 SGB X nach dem Recht des vorrangigen Leistungsträgers richte. Eine Härte im Sinne des § 25f Abs. 1 Satz 3 BVG könne nicht festgestellt werden. Eine Leistung aus Billigkeitserwägungen komme nur in Betracht, wenn sich direkte Nachteile für den Betroffenen ergeben würden. Dies sei im Erstattungsverfahren nicht der Fall.
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Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (Schriftsatz des Klägers vom 20. Oktober 2016 und des Beklagten vom 24. Oktober 2016).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Beklagte ist zur Erstattung eines weiteren Betrages in Höhe von 703,44 € zuzüglich Zinsen nicht verpflichtet.
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Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass – wie hier – die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser Leistungsträger nicht bereits geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis hat, was vorliegend nicht der Fall war. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Erläuternd führt § 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X zum Nachrangverhältnis aus, ein Erstattungsanspruch bestehe nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. § 104 SGB X geht also von nebeneinander bestehenden Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger aus, wobei die Verpflichtung eines der Leistungsträger entweder wegen System- oder wegen Einzelanspruchssubsidiarität der Leistungspflicht des anderen nachgeht (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 RAr 42/93 –, juris, Rn. 16).
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Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Leistungen der Jugendhilfe gegenüber den Leistungen anderer Sozialleistungsträger grundsätzlich nachrangig. Hierzu gehören auch Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz – OEG – in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz – BVG – (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 2015 – 12 B 15.25 –, juris, Rn. 17, Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 10, Rn. 21d). Voraussetzung für das Rangverhältnis zwischen Jugendhilfe und Leistungen anderer Sozialleistungsträger ist, dass sowohl ein Anspruch auf Jugendhilfe als auch ein Anspruch gegen den anderen Leistungsträger gegeben ist und beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 5 C 6/11 –, juris, Rn. 16.). Dabei kommt es für das Erfordernis der vollständigen oder mindestens teilweisen Deckungsgleichheit der Leistungspflichten bei dem Aufeinandertreffen von Leistungen der Jugendhilfe mit solchen anderer Soziallleistungsträger nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht darauf an, ob der junge Mensch für beide Leistungen anspruchsberechtigt ist (BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2011, a.a.O., Rn. 17).
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Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 27. Mai 2010 – 5 C 7.09 –, juris, Rn. 10) hat der Kläger dem Grunde nach einen Kostenerstattungsanspruch aus § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegen den Beklagten, weil Leistungspflichten mindestens zweier Leistungsträger, nämlich des Klägers als Träger der Jugendhilfe und des Beklagten als Träger der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz nebeneinander bestehen und miteinander konkurrieren und die Verpflichtung des Klägers der Leistungspflicht des Beklagten nachgeht. Unschädlich ist hierbei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Kläger dem Jugendamt als Pfleger von V.S. Hilfe zur Erziehung durch Bewilligung von Leistungen nach §§ 27, 33 SGB VIII bewilligt hat und es sich bei der Gewährung dieser Leistungen nicht um bewilligte Eingliederungshilfeleistungen handelt, während V.S. gegen den Beklagten einen Anspruch auf Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz hatte bzw. hat. Für die Annahme einer Gleichartigkeit der Leistung bedarf es nach der Rechtsprechung weder einer Einheitlichkeit des Rechtsgrundes (zwischen Vollzeitpflege einerseits und Eingliederungshilfe andererseits – vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 2015, a.a.O., Rn. 23) noch einer "Einheit des Leistungsgrundes" (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 2013 – 5 C 30.12 –, juris, Rn. 39). Daher ist es vorliegend nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch ohne Bedeutung, dass der Leistungskatalog des § 27d Abs. 1 BVG, nach dem sich die Ansprüche von V.S. richten, lediglich die Eingliederungshilfe enthält und nicht auch die Vollzeitpflege erwähnt. Für die Frage, ob sich beide Leistungen überschneiden, ist danach lediglich maßgeblich, dass beide auch laufenden Unterhalt des Betroffenen umfassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2010, a.a.O. Rn. 11 f. und Urteil vom 19. Oktober 2011, a.a.O., Rn. 16 bei streitigem Erstattungsanspruch wegen jugendhilferechtlicher Heimunterbringung nach §§ 27, 34 SGB VIII).
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Vorliegend hat der Beklagte das Vorliegen schädigungsbedingter Folgen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes mit Bescheid vom 2. April 2012 ausdrücklich anerkannt. Es kann allerdings offen bleiben, ob V.S. nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dem Grunde einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 OEG auf Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe in analoger Anwendung von § 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG, der zugleich auch die Kosten der Vollzeitpflege umfasst, hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2010, a.a.O., Rn. 11 f.) und die erforderliche Leistungskonkurrenz besteht, denn ein Erstattungsanspruch des Klägers ist nicht in der mit Antrag vom 22. Juli 2014 geltend gemachten noch offenen Höhe von 703,44 € gegeben.
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Der Beklagte kann dem Begehren des Klägers auf Erstattung der ihm tatsächlich entstandenen Aufwendungen jedenfalls entgegen halten, er sei in Höhe des hier noch im Streit stehenden Betrages selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen Denn V.S. müsste sich im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz, für die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG die Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes entsprechend anzuwenden sind, in Höhe von 703,44 € ihr aus der angesparten Grundrente stammendes Vermögen, das oberhalb der Vermögensschongrenze liegt, anrechnen lassen.
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Bei einer vorliegend unterstellten grundsätzlichen Erstattungspflicht des Beklagten gegenüber dem Kläger ist dadurch dessen – vorliegend streitige – Höhe noch nicht bestimmt. Maßgebliche Regelung für die Feststellung der Höhe des Erstattungsanspruchs ist § 104 Abs. 3 SGB X. Danach richtet sich dessen Umfang nach den für den vorrangigen Leistungsträger (hier: Beklagten) geltenden Rechtsvorschriften. Das bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Beklagte als Träger der Leistungen der Kriegsopferfürsorge bei der Anwendung des § 104 Abs. 1 SGB X zugunsten des Klägers als Träger der Jugendhilfe nicht weniger, aber auch "nicht weitergehend belastet werden (soll), als seine Verpflichtung dem Berechtigten gegenüber bestand" (BT-Drucks. 9/95, S. 25). Nach Maßgabe dieses Grundsatzes ist vorliegend die vom Ergänzungspfleger der V.S. angesparte Grundrente insoweit zu berücksichtigen, als sie über dem Vermögensschonbetrag liegt.
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Nach § 25f Abs. 1 Satz 1 BVG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist beim Bezug von Leistungen auch von dem Opfer einer Gewalttat das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Nach § 25f Abs. 1 Satz 2 BVG gilt dies auch für Ansparungen aus Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz, wobei Vermögenswerte aus Nachzahlungen von Renten nach diesem Gesetz nach Satz 5 des § 25 f Abs. 1 BVG für einen Zeitraum von einem Jahr unberücksichtigt bleiben. Dies bedeutet vorliegend, dass – entgegen der Auffassung des Klägers – die von dem Ergänzungspfleger für V.S. angesparte Beschädigtengrundrente oberhalb der Vermögensfreigrenze berücksichtigungsfähig ist. Mit der Neufassung des § 25f Abs. 1 BVG durch das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 20. Juni 2011 (BGBl. I S. 1114) ist das von dem Kläger in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2010 – 5 C 7.09 – mit Wirkung vom 1. Juli 2011 insoweit überholt, als dort ausgesprochen wird, dass der Einsatz von Ansparungen aus einer gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V.m. § 31 BVG bewilligten Grundrente als Vermögen im Rahmen der Gewährung von Eingliederungshilfe für die Heimerziehung nicht verlangt werden könne, weil dies für den Hilfeempfänger eine Härte bedeuten würde.
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Bereits aus dem Wortlaut der am 1. Juli 2011 in Kraft getretenen Vorschrift des § 25f Abs. 1 Satz 2 BVG ergibt sich, dass Ansparungen aus Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz ungeachtet dessen, ob eine monatliche gezahlte Leistung privilegiert sein könnte, als verwertbares Vermögen anzusehen ist. Dass eine Privilegierung aus Ansparungen der gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V.m. § 31 BVG bewilligten Grundrente vom Gesetzgeber nicht gewollt ist und er sich ausdrücklich auch gegen die Auslegung, wie sie vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 27. Mai 2010 (a.a.O.) vorgenommen worden ist, wendet, ergibt sich aus der Gesetzesbegründung. Dort wird ausgeführt, der Satz 2 des § 25f BVG regele, dass alle Ansparungen aus Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz bei nicht ausschließlich schädigungsbedingtem Bedarfen oberhalb der Vermögensschongrenzen verwertbares Vermögen seien. Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass dies auch für Ansparungen aus der Grundrente gelte. Wörtlich heißt es: "Diese Regelung entspricht dem in der bisherigen Praxis der Kriegsopferfürsorge und in der bisher langjährigen höchstrichterlichen Rechtsprechung geltenden Grundsatz, dass eine angesparte Grundrente verwertbares Vermögen in der Kriegsopferfürsorge darstellt. Die Klarstellung ist wegen der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2010 (BVerwG 5 C 7/09) erforderlich. (…) Die in der Urteilsbegründung vorgenommene Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts, dass Ansparungen aus Beschädigtengrundrenten in der Kriegsopferfürsorge als Vermögen stets anrechnungsfrei bleiben sollen, verkennt den Willen des Gesetzgebers. Die Grundrente soll Mehraufwendungen ersetzen, die ein gesunder Mensch nicht hätte. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die monatlich gezahlte Grundrente zu diesem Zweck benutzt wird und dem Berechtigten entsprechend zugute kommt. Sie soll weder zur Bestreitung des Lebensunterhalts noch zur Begründung eines Sparvermögens verwendet werden." Es wird weiter darauf verwiesen, dass die Kriegsopferfürsorge ein einkommens- und vermögensabhängiges Fürsorgesystem sei, das über den Ausgleich unmittelbarer Schädigungsfolgen hinaus auch der Absicherung von allgemeinen Lebensrisiken diene, die sonst über die Sozialhilfe aufgefangen werden müssten. Besserstellungen gegenüber der Sozialhilfe, zum Beispiel höhere Einkommens- und Vermögensschongrenzen oder einkommens- und vermögensunabhängige Leistungen bei ausschließlich schädigungsbedingten Bedarfen, trage der besonderen Verantwortlichkeit des Staates gegenüber den Berechtigten Rechnung. Ziel der fürsorgerischen Leistungen der Kriegsopferfürsorge sei es hingegen nicht, einen Vermögensaufbau über die in der Kriegsopferfürsorge geltenden großzügigen Vermögensschonbeträge hinaus zu ermöglichen. Eine generelle Nichtanrechnung der angesparten Grundrente hätte zum Beispiel für den Bereich der Kriegsbeschädigten zur Folge, dass auch bei vorhandenen Vermögen fürsorgerische Leistungen der Kriegsopferfürsorge erbracht werden müssten (BT-Drucks. 17/5311, S. 17).
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Ferner ergibt sich, dass eine Privilegierung von Ansparungen aus der gemäß § 31 BVG (auch i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG) bewilligten Grundrente vom Gesetzgeber nicht gewollt ist, auch aus der Änderung des § 25f Abs. 1 Satz 5 BVG, der Nachzahlungen von Renten – und damit auch der Grundrente – nach dem Bundesversorgungsgesetz betrifft. Diese Zahlungen dienen der Befriedigung eines schädigungsbedingten Nachholbedarfs, wobei der Gesetzgeber davon ausgeht, dass nach einer angemessenen Frist – längstens ein Jahr nach Gutschrift der Nachzahlung – diese berücksichtigt werden können (BT-Drucks. 17/5311, S. 18).
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Eine andere Entscheidung ergibt sich nicht aufgrund des Vortrags des Klägers, es sei bereits in sich widersprüchlich, wenn – wie das Verwaltungsgericht feststelle – einerseits der über die Vermögensschongrenze hinausgehende angesparte Betrag im Verhältnis zum Beklagten nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes einzusetzen sei (Urteilsumdruck Seite 6), während andererseits auf Seite 10 des Urteils festgestellt werde, das bedeute "nicht auch, dass das Kind im Verhältnis zum Beklagten sein Vermögen einzusetzen hat". Dieser Wertungswiderspruch führe letztlich in Fällen wie diesem zu einer unbeabsichtigten Einschränkung des § 104 SGB X, die für den nachrangig verpflichteten Leistungsträger sehr wohl eine Härte bedeuten würde. Dieser Einwand des Klägers und sein Vortrag, die Ausnahmeregelung, wonach ein nachrangiger Träger leiste und Erstattungen durch den vorrangigen Träger begehre, werde im Verhältnis zwischen Opferentschädigung und Jugendhilfe zum Grundsatz, sodass hieraus wegen nicht vollständiger Erstattungsfähigkeit ein Nachteil des nachrangigen Leistungsträgers entstehe, was nicht beabsichtigt gewesen sein könne, widerspricht dem Wortlaut und der Zielsetzung des § 104 Abs. 1 und Abs. 3 SGB X.
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Es entspricht bereits dem ausdrücklichen Wortlaut des § 104 Abs. 3 SGB X, dass die für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften im Rahmen des Erstattungsrechts Anwendung finden. Nur so kann die vom Gesetzgeber gewollte Rangordnung, das heißt der Rechtszustand wiederhergestellt werden, der bestanden hätte, wenn der vorrangige Leistungsträger von Anfang an geleistet hätte (vgl. BT-Drucks. 9/95, S. 25). Zielsetzung des § 104 Abs. 1 SGB X ist es, unter mehreren Leistungsträgern einen Ausgleich zwischen ihren demselben Leistungsempfänger erbrachten Aufwendungen nach dem Modell von Vor- und Nachrangigkeit der Leistungsverpflichtungen herzustellen, hierbei aber den vorrangigen Träger gemäß Absatz 3 nicht über seine dem Berechtigten gegenüber bestehende gesetzliche Leistungspflicht hinaus zu belasten (BSG, Urteil vom 14. November 1984 – 1/4 RJ 57/84 –, juris, Rn. 23). Die Höhe des Erstattungsanspruchs ist damit aufgrund der gesetzlichen Regelung durch das begrenzt, was der erstattungspflichtige Leistungsträger jeweils selbst hätte als Leistung erbringen müssen. Dass sich der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Leistungssysteme, die im Bereich des Sozialleistungsrechts Anwendung finden, gleichwohl bewusst für die Regelung des § 104 Abs. 3 SGB X entschieden hat, ergibt sich auch aus einem Vergleich mit § 102 Abs. 2 SGB X. Nach dieser Regelung richtet sich die Höhe des Erstattungsanspruchs eines vorläufig vorleistenden Trägers gegen den endgültig leistungsverpflichteten Träger nach den Rechtsvorschriften des Ersteren. In diesem Fall kann der Erstattungsanspruch des nur vorläufig vorleistenden Trägers gegen den endgültig leistungsverpflichteten Träger auch höher sein und er hat gleichsam "Sanktionscharakter" (vgl. BSG, Urteil vom 14. November 1984, a.a.O., Rn. 21).
- 30
Ein Rechtsgrund, der es rechtfertigt, dass bei einem Aufeinandertreffen von Leistungen der Jugendhilfe mit solchen der Kriegsopferfürsorge (auch Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz) wegen der unterschiedlichen Möglichkeit der Berücksichtigung von Vermögen – wie der Kläger meint – entgegen der Regelung des § 104 Abs. 3 SGB X das Recht zur Anwendung kommen soll, nach dem der Träger der Jugendhilfe seine nachrangigen Leistungen erbracht hat, ist nicht ersichtlich. Das Gesetz sieht keine Härtefallregelung für Erstattungsansprüche von Leistungsträgern vor. Im Übrigen verkennt der Kläger die Voraussetzungen für die Annahme einer mit einer Norm verbundenen unzulässigen Härte. Wie bereits ausgeführt, regelt § 104 Abs. 1 SGB X nicht die Rechtsansprüche von Individualpersonen gegenüber einer Mehrheit von Leistungsträgern, sondern den Ausgleich von Aufwendungen unter mehreren Leistungsträgern. Der Gesetzgeber ist – insbesondere bei Massenerscheinungen – befugt, zu generalisieren, zu typisieren und zu pauschalieren, wobei die Frage, ob damit eine nicht mehr hinnehmbare Härte verbunden ist, lediglich in dem Fall, zu prüfen ist, wenn der Normadressat Grundrechtsträger ist, was vorliegend nicht der Fall ist. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr – wie bereits ausgeführt – bei der Schaffung des § 104 Abs. 3 SGB X ausdrücklich dafür entschieden, dass der vorrangig verpflichtete Leistungsträger nicht weitergehend belastet werden soll als seine Verpflichtung gegenüber dem Berechtigten bestand (BT-Drucks. 9/95, S. 25) mit der Folge, dass beim Aufeinandertreffen von Leistungsträgern mit unterschiedlichen Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei einer Kostenerstattung der nachrangige Leistungsträger mit einem Teil seiner Kosten ausfallen kann.
- 31
Auch die Argumentation des Klägers, es sei nicht interessengerecht, dass vorliegend der vorrangige Leistungsträger aufgrund der fehlenden Strukturen nicht Leistungen der Jugendhilfe erbringen könne, und dem Leistungsträger der Jugendhilfe ein Verweis auf den Einsatz des angesparten Vermögens nicht möglich sei, verkennt, dass darin kein Widerspruch zur gesetzgeberischen Grundentscheidung, die in § 104 Abs. 3 SGB X getroffen worden ist, liegt, sondern dies eine Folge der unterschiedlichen Zwecke der Sozialleistungssysteme ist, die den unterschiedlichen Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen zugrunde liegen. Im Rahmen der Jugendhilfe ist Leistungsgrund und Leistungsvoraussetzung in der Regel ein pädagogischer Bedarf und nicht der Mangel an Einkommen und Vermögen. Das bedeutet, Vorrausetzung für das Einsetzen von Leistungen der Jugendhilfe ist nicht der Einsatz von vorhandenem Vermögen. Der Nachrang wird vielmehr dadurch hergestellt, dass im Fall der Leistungsfähigkeit ein Kostenbeitrag nach den Vorschriften der §§ 90 ff. SGB VIII erhoben werden kann (vgl. Loos, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, vor § 90, Rn. 2). Im Unterschied dazu ist die Kriegsopferfürsorge ein einkommens- und vermögensabhängiges Fürsorgesystem (BT-Drucks. 17/5311, S. 17). Kriegsopferfürsorgeleistungen sind soziale Hilfen, die grundsätzlich finanzielle Hilfebedürftigkeit voraussetzen. Damit können die unterschiedlichen Regelungen – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen führen. Dies ist jedoch den unterschiedlichen Zwecken der konkurrierenden Leistungen geschuldet und liegt im System der unterschiedlichen sozialrechtlichen Leistungen begründet. Der Gesetzgeber hat für die Erstattungsregelung des § 104 Abs. 3 SGB X aufgrund der getroffenen gesetzlichen Regelung entschieden, dass bei Erstattungsverfahren aufgrund dieser Norm das Leistungssystem zu berücksichtigen ist, nach dem der vorrangig verpflichtete Leistungsträger Leistungen zu erbringen gehabt hätte.
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Folgte man den Ausführungen des Klägers, widerspräche es dem Willen des Gesetzgebers, wenn der Beklagte ohne Berücksichtigung von zur Vermögensbildung dienende Ansparungen aus der Grundrente, die die Vermögensschongrenze überschreiten, Erstattungsleistungen erbringen müsste. Die Grundrente soll – wie bereits ausgeführt – Mehraufwendungen ersetzen, die ein gesunder Mensch nicht hätte. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die monatlich gezahlte Grundrente zu diesem Zweck eingesetzt wird und dem Berechtigten entsprechend zugute kommt (BT-Drucks. 17/5311, S. 17). Darüber hinaus sieht das Bundesversorgungsgesetz bewusst Vorschriften mit großzügigen Regelungen zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen vor.
- 33
Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann der Beklagte nicht erfolgreich einwenden, dass der Einsatz des über den Vermögensschonbetrag, den der Beklagte zutreffend angenommen hat, hinausgehendes Betrages für V.S. eine besondere Härte im Sinne des § 25f Abs. 1 BVG bedeuten würde. Nach § 25f Abs. 1 Satz 2 BVG ist Vermögen nur insoweit einzusetzen, als es für den Leistungsberechtigten, der das Vermögen einzusetzen hat, keine Härte bedeuten würde. Eine Härte ist nach § 25f Abs. 1 Satz 3 BVG anzunehmen, wenn der Einsatz des Vermögens eine angemessene Lebensführung, die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung oder die Sicherstellung einer angemessenen Bestattung und Grabpflege wesentlich erschweren würde. Unstreitig ist keiner dieser Fälle ist bei V.S. gegeben. Soweit § 25f Abs. 1 Satz 6 BVG hinsichtlich des Einsatzes von Vermögen auf die Regelungen des § 90 Abs. 2 Nrn. 1 – 7 und 9 SGB XII sowie § 91 SGB XII verweist, ist auch insoweit kein Tatbestand zu Gunsten von V.S. erfüllt, der es rechtfertigt, den hier streitigen Betrag von 703,44 € als Schonvermögen anzusehen.
- 34
Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Einsatz des über die Vermögensschongrenze hinausgehenden Vermögens von V.S. auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich um ausschließlich schädigungsbedingten Bedarf handele. Denn dies ist vorliegend nicht der Fall.
- 35
Nach § 25c Abs. 3 Satz 2 BVG ist bei ausschließlich schädigungsbedingtem Bedarf Einkommen nicht einzusetzen. Diese Regelung über die Unbilligkeit des Einsatzes von Einkommen ist nach § 25f Abs. 1 Satz 6 BVG entsprechend für den Einsatz von Vermögen anzuwenden und stets als allgemeine Schranke zu beachten (Grube, in: Knickrehm, Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, § 25f BVG, Rn. 8). Grundlage der Regelung des § 25c Abs. 3 Satz 2 BVG ist die besondere Zielsetzung der Kriegsopferfürsorge. Der Betroffene soll nicht dadurch belastet werden, dass er Einkommen für die Bedarfsdeckung einsetzen muss, wenn es um die unmittelbaren Folgen der anerkannten Schädigung geht (Rohr, BVG, Stand Januar 2010, § 25c, Anm. 5). Mit ausschließlich schädigungsbedingtem Bedarf bezeichnet § 25c Abs. 3 Satz 2 BVG einen besonders engen kausalen Zusammenhang zwischen den gesundheitlichen Folgen der Schädigung und dem (schädigungsbedingten) Bedarf. Es ist daher nicht ausreichend, dass die Schädigungsfolge nur annähernd gleichwertige Bedingung oder nicht unerhebliche Mitbedingung für das Entstehen des Bedarfs ist. Die Notwendigkeit der konkreten Maßnahme muss allein auf die gesundheitlichen Folgen einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des § 1 BVG zurückzuführen sein, andere Faktoren als bedarfsbegründende Ursachen dürfen nicht vorliegen oder nur von so geringem Gewicht sein, dass sie außer Betracht bleiben können (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 1995 – 5 C 15.93 –, juris, Rn. 14). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
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Der Kläger hat dem Pfleger von V.S. Hilfen zur Erziehung gemäß §§ 27, 33 SGB VIII bewilligt. Mit dieser Leistung, deren Grundlage ein pädagogischer Bedarf des Personensorgerechtsberechtigten ist, wird auch ein erzieherischer Mangel der Eltern von V.S., wobei ihr Vater ihr gegenüber keine Straftat im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG verübt hat, ausgeglichen. Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII hat ein Personensorgeberechtigter bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Nach § 33 Satz 1 SGB VIII soll Hilfe zur Erziehung in Gestalt der Vollzeitpflege Kindern oder Jugendlichen unter anderem entsprechend den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie in einer anderen Familie eine zeitlich befristete Erziehungshilfe oder eine auf Dauer angelegte Lebensform bieten. Die Bewilligung von Leistungen nach §§ 27, 33 SGB VIII knüpft hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen nicht an gesundheitliche Beeinträchtigungen an. Im Übrigen wird vom Kläger nicht vorgetragen und ist nach Lage der Akten auch nicht ersichtlich, dass bei der Bewilligung der konkreten Vollzeitpflege allein auf die bei V.S. anerkannten Schädigungsfolgen Hirnschädigung nach Schütteltrauma und cerebrales Krampfanfallsleiden abgestellt wurde und dass gerade diese Maßnahme ausschließlich einen spezifischen Bezug zu diesen gesundheitlichen Einschränkungen bei V.S. aufweisen. Dagegen, dass vorliegend ein ausschließlich schädigungsbedingter Bedarf erfüllt wird, spricht bereits, dass außer V.S. weitere Pflegekinder in der Pflegfamilie leben. Insoweit ist es auch nicht ausreichend, dass der Kläger darauf verweist, eine dauerhafte Unterbringung von V.S. sei aufgrund der Gewalttat und drohender weiterer Gewalt notwendig gewesen. Soweit der Kläger ausführt, die Misshandlungen hätten zu einer Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit von V.S. geführt und aufgrund der anerkannten Schädigungsfolgen sei als geeignete Maßnahme die Unterbringung in einer Pflegefamilie als dem Hilfebedarf von V.S. als angemessen angesehen worden, ist festzustellen, dass der Kläger V.S. hinsichtlich der Leistungen, für die hier eine weitere Erstattung begehrt wird, keine Hilfe nach § 35a SGB VIII (Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche) gewährt hat.
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Im Übrigen sind die im streitigen Zeitraum bewilligten Leistungen, für die noch ein Erstattungsanspruch geltend gemacht wird, schon deshalb nicht ausschließlich schädigungsbedingter Bedarf von V.S., weil durch die Hilfe zur Erziehung, da V.S. außerhalb ihres Elternhauses untergebracht ist, zugleich ihr notwendiger Lebensunterhalt sichergestellt wird. Die Sicherstellung des Lebensunterhalts, der bei Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) den gesamten regelmäßig wiederkehrenden Bedarf von V.S. umfasst (§ 39 Abs. 2 SGB), ist entgegen den Ausführungen des Klägers schädigungsunabhängig. Wie der Kläger selbst feststellt, wäre der Lebensunterhalt von V.S. auch ohne die Gewalttat ihrer Mutter sicherzustellen. Zutreffend geht der Kläger davon aus, dass es sich bei der Sicherstellung des Lebensunterhalts um einen Annexanspruch an die Leistung von Hilfe zur Erziehung handelt. Dies kann entgegen der Auffassung des Klägers jedoch nicht dazu führen, dass in der Sicherstellung des Lebensunterhalts ein schädigungsbedingter Bedarf gesehen werden kann. Dem steht bereits der ausdrückliche Wortlaut der Vorschrift des § 25c Abs. 3 Satz BVG entgegen.
- 38
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
- 39
Die Revision ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, da aufgrund der Änderung des § 25f Abs. 1 BVG und der Klarstellung durch den Gesetzgeber weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Nr. 1) noch eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Nr. 2) vorliegt.
Beschluss
- 40
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 703,44 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 3 GKG).
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