Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 11437/17


Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird die Klage unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 13. Juli 2017 insgesamt abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie.

2

Das am ... 2010 geborene Kind wurde am 26. Mai 2011 stationär in der M.-Klinik in N. aufgenommen. Es lebte zu dieser Zeit bei den Eltern. Zwei Stiefgeschwister lebten außerhalb deren Haushalts.

3

Bei dem Kind wurde eine subdurale Blutung nach mehrmaligem Schütteltrauma diagnostiziert. Am 21. Juni 2011 setzten die behandelnden Ärzte zur Entlastung einen subduroperitonealen Shunt, welcher den Zustand deutlich verbesserte. Das Kind wurde am 4. Juli 2011 entlassen. Im vorläufigen Entlassungsbericht empfahl die Klinik Physiotherapie, die Kontrolle des Blutdrucks, eine kinderneuro-chirurgische und eine augenärztliche Kontrolle. Der Shunt wurde am 5. Februar 2016 ohne Komplikationen entfernt.

4

Das Jugendamt der Klägerin war seit dem 1. Juni 2011 informiert. Es richtete ab dem 16. Juni 2011 eine Erziehungsbeistandschaft durch eine Krankenschwester ein. Ziel der Maßnahme sollte es unter anderem sein, die Eltern nach dem stationären Aufenthalt zu unterstützen und Hilfestellung bei der Pflege zu geben.

5

Nachdem sich der Verdacht auf ein im familiären Bereich erlittenes Schütteltrauma aus ärztlicher Sicht erhärtet hatte, nahm das Jugendamt das Kind bei seiner Entlassung aus der Klinik in Obhut und brachte es zunächst in einer fremden Pflegefamilie und ab dem 14. Mai 2012 in der Familie einer Großtante unter. Nach dem Fallentscheidungsprotokoll vom 6. Juli 2011 erfolgten die Maßnahmen zum Schutz des Kindes.

6

Mit Schreiben vom 15. Juli 2011 beantragte die Klägerin beim Amtsgericht Zweibrücken die gerichtliche Entscheidung über die Inobhutnahme. Diese sei auf Grund der Arztberichte und der bekannten Vorgeschichte der Familie notwendig. Später wurde die Übertragung der elterlichen Sorge auf das Jugendamt beantragt. In der Folge übertrug das Amtsgericht Teilbereiche der elterlichen Sorge zunächst auf das Jugendamt der Klägerin und später auf die Großtante als Pflegerin.

7

Mit Bescheid vom 14. Juli 2011 bewilligte die Klägerin Jugendhilfe in Form von Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie. Die Bewilligung wurde an die späteren Veränderungen hinsichtlich des Sorgerechts und der Pflegefamilie angepasst.

8

Die Hilfepläne der Klägerin enthalten folgende Aussagen:

9

- Der Plan für die Zeit ab dem 26. Januar 2012 hält fest, das Kind sei fit und habe sich trotz des Schütteltraumas relativ regelrecht entwickelt. Eine Behinderung sei nicht festzustellen. Unter den Zielvereinbarungen steht die allgemeine Entwicklungsförderung und -begleitung an erster Stelle.

10

- Nach dem Plan für die Zeit ab dem 12. Dezember 2012 hätten die ärztlichen Untersuchungen und Kontrollen die regelrechte Entwicklung bestätigt. Der Kopfumfang nähere sich langsam dem Normalmaß.

11

- Die folgenden Hilfepläne gehen ebenfalls von einer regelrechten Entwicklung aus. In demjenigen für die Zeit ab dem 12. Juni 2015 wird von dem unauffälligen Befund einer augenärztlichen Untersuchung berichtet.

12

Zur gesundheitlichen Entwicklung des Kindes liegen unter anderem folgende Berichte vor:

13

- Im familiengerichtlichen Verfahren erstellte die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums des Saarlandes am 6. September 2011 ein Gutachten. Darin ist eine zufällige Ursache für die Hirnblutung unwahrscheinlich. Es seien Fortschritte im Bereich der Motorik sowie im Bereich des Kognitiven und Sprachlichen festgestellt worden. Das Ergebnis des Entwicklungstests habe dem eines zwei Monate jüngeren Kindes entsprochen. Eine weitere intensive Förderung sei zwingend geboten.

14

- Im endgültigen Arztbrief des Universitätsklinikums des Saarlandes – Klinik für Neurochirurgie – vom 19. Dezember 2012 wird festgehalten, dem Kind gehe es gut, es entwickele sich gut und regelgerecht und sein Kopfumfang entwickele sich auf das Normalmaß zu.

15

- Nach dem Bericht des Universitätsklinikums des Saarlandes – Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin – vom 8. Februar 2016 verlief die Entfernung des Shunts komplikationslos. Vom diesem sei wegen fester Verwachsungen ein geringer Anteil verblieben. Das Kind sei neurologisch unauffällig in gutem Allgemeinzustand entlassen worden.

16

Mit Schreiben vom 2. September 2014 beantragte die Klägerin beim Beklagten, ihr die Kosten für die geleistete Hilfe zu erstatten.

17

Im Rahmen der danach eingeleiteten Prüfung auf Opferentschädigung erstellte die Ärztin H. am 8. Mai 2015 eine sozialmedizinische Stellungnahme. Die Hirnblutung sei als gesundheitliche Störung anzuerkennen. Sie sei offensichtlich folgenlos resorbiert worden. Von Sehstörungen werde nicht mehr berichtet.

18

Mit Bescheid vom 22. Mai 2015 erkannte der Beklagte ab dem 1. September 2014 als Schädigungsfolge im Sinne der Opferentschädigung die „mit Shunt versorgte Hirnblutung nach Schütteltrauma“ an. Der Grad der Schädigungsfolgen wurde auf 30 und es wurden Versorgungsbezüge festgesetzt. Mit Schreiben vom 18. Juni 2015 wurde das Kind als sonderfürsorgeberechtigt anerkannt.

19

Mit Schreiben vom 9. September 2015 lehnte der Beklagte eine Kostenerstattung zu Gunsten der Klägerin ab. Es fehle an einem Ursachenzusammenhang zwischen der Schädigungsfolge und dem Bedarf. Zudem sei die von der Klägerin gewährte Leistung nicht mit einer Leistung des Opferentschädigungsrechts vergleichbar.

20

Nachdem eine zweite Aufforderung zur Kostenerstattung erneut erfolglos blieb, hat die Klägerin am 19. August 2016 Klage mit dem Ziel erhoben, den Beklagten zur Erstattung der ihr bis dahin entstandenen Kosten zu verurteilen und seine Pflicht zur Erstattung künftig anfallender Kosten festzustellen. Sie fügte eine Aufstellung bei, nach der sich die Kosten für die Jugendhilfemaßnahmen bis einschließlich August 2016 auf insgesamt 43.040,98 € beliefen.

21

Zur Klagebegründung hat sie vorgetragen, kausal für die Jugendhilfemaßnahme sei nicht nur das Unvermögen der Eltern zur Erziehung gewesen, sondern auch, dass das Kind wegen der anerkannten Schädigungsfolgen aus der Familie habe genommen werden müssen. Beide Ursachen stünden gleichwertig nebeneinander. Dann sei nach § 25a Abs. 2 Satz 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) von einem Zusammenhang auszugehen. Es sei weder offenkundig noch nachgewiesen, dass kein Zusammenhang zwischen der Schädigung und der Notwendigkeit der Leistung bestehe. Es gebe im Versorgungsrecht Leistungen, die der jugendhilferechtlichen Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie vergleichbar seien.

22

Der Beklagte hat dem entgegengehalten, es gebe keine unwiderlegbare Vermutung für einen Ursachenzusammenhang. Die Schädigung des Kindes sei nicht ursächlich für die Unterbringung in der Pflegefamilie gewesen. Vielmehr habe es sich um eine jugendhilferechtliche Bedarfslage gehandelt, nachdem die Gefahr bestanden habe, dass es im häuslichen Umfeld zu weiteren Übergriffen kommen könne. Diese Gefahr sei entscheidend für die Unterbringung gewesen. Ohnehin komme nur eine Erstattung ab Antragstellung in Betracht.

23

Das Verwaltungsgericht Mainz hat der Klage teilweise stattgegeben. Es hat den Beklagten zur Erstattung für den Zeitraum vom 1. September 2014 bis zum 15. August 2016 verurteilt und festgestellt, dass ab dem 16. August 2016 ein Erstattungsanspruch der Klägerin besteht. Im Übrigen, also hinsichtlich einer Erstattung der vorher entstandenen Kosten, wurde die Klage abgewiesen.

24

In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, der Beklagte sei dem Grunde nach zur Erstattung verpflichtet, da Leistungen der Jugendhilfe gegenüber denjenigen der Opferentschädigung nachrangig seien. Der Beklagte müsse indes nur das erstatten, was er selbst hätte an Leistungen erbringen müssen. Vor dem 1. September 2014 sei er zu Opferentschädigung nicht verpflichtet gewesen, da der Antrag der Klägerin erst ab da Wirkung entfalte. Für die Zeit danach bestehe eine Erstattungspflicht. Die von der Klägerin gewährten Leistungen seien mit denjenigen der Eingliederungshilfe nach § 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG vergleichbar. Die Schädigung des Kindes sei für den Versorgungsbedarf kausal gewesen. Dabei sei auf die wesentliche Ursache abzustellen und die Vermutungsregel in § 27a Abs. 2 Satz 1 BVG anzuwenden. Die Eltern hätten ihre Fürsorgepflicht nicht hinreichend wahrgenommen. Daraus habe sich eine massive Gefährdung im häuslichen Umfeld ergeben. Bei der Maßnahme sei es um die Prävention weiterer Schädigungen gegangen. Unerheblich sei, dass die Leistungsgewährung nicht unmittelbar mit der anerkannten Schädigungsfolge zusammenhänge, sondern nur über die angestellte Gefahrenprognose. Das Opferentschädigungsgesetz sei nach der Intention des Gesetzgebers Ausdruck der Pflicht des Staates, seine Bürger vor Gewalttätern zu schützen. Es mache deshalb keinen Unterschied, ob anerkannte Folgen einer Gewalttat kompensiert oder Wiederholungen solcher Gewalttaten verhindert werden sollten. Der Anwendungsbereich des Opferentschädigungsrechts würde wesentlich verkürzt, wenn er auf die unmittelbare Kompensation von Schädigungsfolgen beschränkt wäre. Die Berufung wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung des Verhältnisses von Leistungen der Jugendhilfe zu denen der Opferentschädigung und wegen der Bedeutung der Vermutungsregel zugelassen.

25

Mit seiner am 10. August 2017 eingelegten Berufung wendet sich der Beklagte gegen das erstinstanzliche Urteil, soweit es den Zeitraum ab dem 1. September 2014 betrifft. Die entschädigungsrechtliche Vermutungsregelung greife nicht, da die jugendhilferechtliche Notwendigkeit der Maßnahme offenkundig sei. Entscheidend sei, ob aus Schädigungsfolgen eine Teilhabebeeinträchtigung resultiere. Im konkreten Fall lägen keine unmittelbaren Auswirkungen der Schädigung vor. Damit sei die Schädigungsfolge nicht kausal für die Unterbringung in der Pflegefamilie. Die Auslegung des Opferentschädigungsgesetzes durch das Verwaltungsgericht gehe zu weit, da das Gesetz nicht auf Prävention ausgerichtet sei.

26

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

27

das Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 13. Juli 2017 insoweit aufzuheben, als er zur Erstattung der im Zeitraum 1. September 2014 bis 15. August 2016 entstandenen Kosten für die im Rahmen der Jugendhilfe gewährte Vollzeitpflege verurteilt und festgestellt wurde, dass ab dem 16. August 2016 ein Erstattungsanspruch der Klägerin für ab diesem Zeitpunkt entstandene und zukünftig entstehende Kosten für Jugendhilfemaßnahmen in Form der Vollzeitpflege bestehe.

28

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Nach ihrer Auffassung hat das Verwaltungsgericht den Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes zutreffend interpretiert. Er sei eröffnet, obschon die Maßnahmen primär der Verhinderung weiterer Verletzungen des Kindes dienten.

31

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO) ist begründet.

34

Das Verwaltungsgericht hätte die Klage insgesamt abweisen müssen. Die Klägerin hat in Bezug auf in der Vergangenheit bewilligten Jugendhilfeleistungen in Form der Vollzeitpflege keinen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten. Ein solcher Anspruch besteht hinsichtlich künftiger Leistungen gleichfalls nicht, sofern die maßgeblichen Tatsachen unverändert bleiben.

35

1. Rechtsgrundlage des Erstattungsanspruchs ist § 104 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, der Leistungsträger zur Erstattung verpflichtet, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte; die in der Norm enthaltenen Ausnahmen greifen hier nicht. Nach dem folgenden Satz 2 ist ein Leistungsträger nachrangig verpflichtet, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Verpflichtung eines anderen Trägers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. § 104 SGB X geht von nebeneinander bestehenden Leistungspflichten (mindestens) zweier Leistungsträger aus, wobei die Leistungspflicht eines Trägers derjenigen des anderen nachgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Mai 2010 – 5 C 7/09 –, BVerwGE 137, 85-95, juris, Rn. 11; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Dezember 2016 – 7 A 10344/16.OVG –, juris, Rn. 19).

36

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) sind Leistungen der Jugendhilfe grundsätzlich gegenüber den Leistungen anderer Sozialleistungsträger nachrangig. Leistungen zur Opferentschädigung fallen darunter (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 2015 – 12 B 15.25 –, juris, Rn. 17). Dieses Rangverhältnis rechtfertigt einen Erstattungsanspruch indes nur, wenn in Bezug auf die konkrete Leistung sowohl ein Anspruch nach Jugendhilfe- als auch ein Anspruch nach Opferentschädigungsrecht gegeben ist, beide Ansprüche also auf Leistungen zielen, die gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 5 C 6/11 –, juris, Rn. 16.).

37

2. Hier kann dahinstehen, ob die erforderliche Leistungskonkurrenz besteht, ob also die Opferentschädigung eine Hilfe vorsieht, die der vollzeitigen Hilfe zur Erziehung in einer Pflegefamilie nach § 27 i.V.m. § 33 SGB VIII entspricht. Vergleichbar könnte die Eingliederungshilfe gemäß § 1 Abs. 1 des Opferentschädigungsgesetzes (OEG) i.V.m. § 27d Abs. 1 Nr. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sein. Diese kann gemäß § 27d Abs. 3 Satz 1 BVG i.V.m. § 54 Abs. 3 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) auch mittels der Betreuung in einer Pflegefamilie erfolgen. Die Frage der Vergleichbarkeit beider Hilfetypen braucht der Senat hier aber ebenso wie in seinem Urteil vom 6. Dezember 2016 (– 7 A 10344/16.OVG –, juris, Rn. 22) nicht abschließend zu beantworten.

38

3. Denn der Erstattungsanspruch der Klägerin scheitert, weil der Beklagte während der in Rede stehenden Zeit nicht verpflichtet war, für das Kind Leistungen in Form der Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie zu erbringen. Diese Maßnahme dient nicht dazu, einen opferentschädigungsrechtlichen Bedarf zu decken. Dieser steht nicht in einem ausreichend engen ursächlichen Zusammenhang zur Schädigungsfolge (a), wobei präventive Leistungsziele außer Betracht bleiben müssen (b).

39

a) Die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie beruht nicht auf einer Bedarfslage, für die Hilfen der Kriegsopferfürsorge gewährt werden.

40

Zur Bewertung der Frage des Ursachenzusammenhangs ist von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG auszugehen. Danach erhält eine Person, die infolge eines Angriffs eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, sofern weitere – hier nicht relevante – Voraussetzungen gegeben sind. Zu unterscheiden ist zwischen dem schädigenden Vorgang, der hervorgerufenen gesundheitlichen Schädigung und den Folgen der Schädigung (vgl. Gelhausen/Weiner, OEG-Kommentar, 6. Aufl. 2015, § 1 Rn. 46). Für die Prüfung, ob eine Verknüpfung zwischen diesen drei Elementen erfolgen kann, ist die Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung heranzuziehen. Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Die Prüfung ist indes auf die Bedingungen zu beschränken, die unter Beachtung des Schutzzwecks der einschlägigen Normen zum schädigenden Ereignis in besonderer Beziehung stehen. Nach der vorgenannten Theorie kommt es nicht darauf an, ob eine Bedingung generell geeignet ist, einen Erfolg herbeizuführen; bedeutsam ist vielmehr, ob im konkreten Fall die Bedingung wesentlich zum Erfolg beigetragen hat (vgl. Gelhausen/Weiner, OEG-Kommentar, a.a.O., Rn. 48). Als Bewertungsmaßstab ist ferner § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG von Bedeutung. Danach genügt zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.

41

Im vorliegenden Fall ist ein Ursachenzusammenhang zwischen Angriff, Schädigung und gesundheitlicher Störung nicht nur wahrscheinlich. Nach den vorliegenden Unterlagen und der Einschätzung der Beteiligten besteht er sicher. So geht der vorläufige Entlassungsbericht der M.-Klinik nach umfangreichen Untersuchungen des Kindes von einem Schütteltrauma und damit von einem tätlichen Angriff aus. Dieser hat zu einer Schädigung, der Hirnblutung, geführt. Unmittelbare Folge der Blutung war die Notwendigkeit der Versorgung mit einem Shunt. Folgerichtig hat der Beklagte im Bescheid vom 22. Mai 2015 als Schädigungsfolge die „mit Shunt versorgte Hirnblutung nach Schütteltrauma“ anerkannt.

42

Im Bereich der Kriegs- oder Gewaltopferfürsorge muss aber ferner eine sogenannte wirtschaftliche Kausalität vorliegen. Nach § 25a Abs. 1 BVG kommen Leistungen in diesem Bereich nur in Betracht, wenn der Beschädigte infolge der Schädigung nicht in der Lage ist, den anzuerkennenden Bedarf aus den übrigen Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und seinem Einkommen und Vermögen zu decken. Die als vergleichbare Leistung in Betracht kommende Eingliederungshilfe nach § 27d Abs. 1 Nr. 3 BVG zählt zur Opferfürsorge.

43

Die Leistung muss dabei dem Bedarf entsprechen (vgl. HessVGH, Urteil vom 13. Februar 2018 – 10 A 312/17 –, juris, Rn. 28). In Anwendung der Theorie der wesentlichen Bedingung muss die Schädigung wesentliche Ursache des Unvermögens des Beschädigten sein, den eigenen Bedarf zu decken, sie muss nicht die alleinige Ursache sein. Sind andere Umstände für das wirtschaftliche Unvermögen mitverantwortlich, so muss die anerkannte Schädigungsfolge gegenüber diesen Ursachen zumindest annähernd gleichwertig sein. Kommt den anderen Ursachen überwiegende Bedeutung zu, so ist die wirtschaftliche Kausalität nicht gegeben. Leistungen der Kriegsopferfürsorge setzen deshalb einen kausalen Bezug zur Schädigung voraus. Insbesondere muss ein Ursachenzusammenhang zwischen anerkannter Schädigungsfolge einerseits und dem geltend gemachten Bedarf andererseits bestehen. Leistungen kommen nur, aber eben auch stets dann in Betracht, wenn der eingetretene Bedarf auf der als Schädigungsfolge anerkannten Gesundheitsstörung beruht. Mit anderen Worten muss die Leistung dem Ausgleich einer schädigungsbedingten Teilhabebeeinträchtigung dienen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 2015 – 12 B 15.25 –, juris, Rn. 29 ff.).

44

Im konkreten Fall besteht kein Ursachenzusammenhang zwischen der anerkannten Schädigungsfolge und der vollzeitigen Unterbringung in einer Pflegefamilie. Vielmehr ist der Bedarf für diese Maßnahme ausschließlich jugendhilferechtlich begründet. Diese Bewertung stützt sich sowohl auf die vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen wie auch auf die Einschätzung der Klägerin. Nach dem Inhalt dieser Unterlagen erfolgte die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie zum Schutz vor weiteren Übergriffen und nicht, um Schädigungsfolgen zu begegnen.

45

Den vorliegenden Attesten lässt sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass das Kind wegen einer durch seine Schädigung verursachten Teilhabebeeinträchtigung eine Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie benötigt hätte oder benötigt.

46

So enthält der vorläufige Entlassungsbericht der M.-Klinik keine Therapieempfehlung, die auf die Notwendigkeit einer besonderen Betreuung des Kindes schließen ließe. Physiotherapie und die dort genannten Kontrollen sind medizinische Maßnahmen, zu deren Organisation Eltern keiner gesonderten Hilfe bedürfen. Solche Maßnahmen können zwar Gegenstand der Heilbehandlung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BVG mit der Folge sein, dass der Beklagte die Kosten insoweit zu übernehmen hätte. Es ist aber nicht erkennbar, weshalb neben diesen Maßnahmen eine vollzeitige Unterbringung in einer Pflegefamilie nötig wäre. Aus dem Gutachten des Universitätsklinikums des Saarlandes vom 6. September 2011 ergibt sich nichts anderes. Dort werden einerseits die Fortschritte hervorgehoben, andererseits wird wegen der Entwicklungsverzögerung eine weitere intensive Förderung angesprochen. Daraus lässt sich ein Sonderbedarf nicht ableiten. Denn es wird nicht angegeben, welche Fördermaßnahmen durchgeführt werden sollen. Damit fehlt ein Beleg für die Notwendigkeit einer Förderung des Kindes über die normale Erziehung und Unterstützung hinaus. Der endgültige Arztbrief des Universitätsklinikums des Saarlandes vom 19. Dezember 2012 und dessen Bericht vom 8. Februar 2016 stehen der Annahme eines Sonderbedarfs zwecks Ausgleichs von Teilhabedefiziten entgegen. Denn danach entwickelt sich das Kind regelgerecht und war auch nach der Entfernung des Shunts in einem guten Allgemeinzustand. Schließlich lässt sich aus der Stellungnahme der Ärztin H. vom 8. Mai 2015 kein gesonderter Bedarf an einer Vollzeitpflege ableiten. Danach waren die subduralen Blutungen folgenlos resorbiert und keine Sehstörungen festzustellen.

47

Die Einschätzung des Jugendamts der Klägerin führen zu dem gleichen Ergebnis. Schon die Hilfepläne für die Zeiten ab dem 26. Januar 2012 bzw. ab dem 12. Dezember 2012 gehen von einer regelrechten Entwicklung aus. Unter den vereinbarten Zielen steht dort die Entwicklungsförderung und -begleitung an erster Stelle. In den Hilfeplänen findet sich kein Grund für die Annahme, die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie sei wegen der Schädigung oder ihrer Folgen nötig gewesen. Auch die formulierten Erwartungen an die Eltern (z.B. Organisation von Arztbesuchen) bewegen sich im Rahmen dessen, was Eltern zu bewältigen haben, deren Kinder nicht Opfer eines Schütteltraumas wurden.

48

Ebenso spricht der Verfahrensablauf gegen die Annahme eines schädigungsbedingten Bedarfs an einer Vollzeitpflege. Denn zunächst erachtete es die Klägerin für ausreichend, die Eltern des Kindes durch eine Krankenschwester zu unterstützen. Aufschlussreich ist das Ziel dieser Maßnahme. Sie war ausweislich des bereits zitierten vorläufigen Entlassungsberichts als Erziehungsbeistandschaft gedacht. Unerheblich ist, dass die Eltern auch im richtigen medizinischen Umgang mit Kleinkindern geschult werden sollten (zu der Hilfeplan für die Zeit ab dem 26. Januar 2012). Jedenfalls war kein vollzeitiger Einsatz geplant. Mithin ging die Klägerin selbst nicht von der Notwendigkeit einer Vollzeitpflege aus.

49

Im Umkehrschluss ergibt sich aus den Einschätzungen der Klägerin, dass der alleinige oder zumindest deutlich überwiegende Grund für die Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie nicht die festgestellte Schädigungsfolge war. Vielmehr erfolgte die Unterbringung aus rein jugendhilferechtlichen Gründen, nämlich um einer weiteren Verletzung vorzubeugen und um Erziehungsproblemen der Eltern zu begegnen. Letztere sind in den Verwaltungsakten belegt und waren der Klägerin bekannt. Sie resultierten unter anderem aus der familiären Situation der Mutter, die zum Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme mit unterschiedlichen Vätern zwei weitere Kinder hatte, die in einer Pflegefamilie bzw. bei einem Vater lebten. Zudem war im Protokoll des Amtsgerichts Zweibrücken vom 11. Oktober 2011 von einer Überforderung des Kindesvaters die Rede. Ferner belegt die geplante Erziehungsbeistandschaft, dass die Klägerin von Erziehungsdefiziten ausging.

50

Neben diesen Defiziten war indes aus Sicht der Klägerin in erster Linie die Furcht vor Verletzungen des Kindes im familiären Umfeld Anlass für die Unterbringung in einer Pflegefamilie. Dies belegt bereits das Fallentscheidungsprotokoll vom 6. Juli 2011, in dem als Grund für die Auswahl der Hilfe allein der Schutz des Kindes genannt wird. Im Schreiben der Klägerin an das Amtsgericht Zweibrücken vom 15. Juli 2011 wird dies näher erläutert. Danach war aus Sicht der Klägerin eine Entlassung des Kindes aus der Kinderklinik zu den Eltern nicht mehr möglich, nachdem die Ärzte auf ein Schütteltrauma als Ursache für die Hirnblutung geschlossen hatten. Schließlich zeigt die Inobhutname als solche das Hauptanliegen der Klägerin. Diese Maßnahme erfordert gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII eine dringende Gefahr für das Wohl des Kindes. Indem die Klägerin diese Maßnahme ergriff, zeigt sie, dass sie von einer solchen Gefahr ausging.

51

Die Vermutungsregelung in § 25a Abs. 2 Satz 1 BVG führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach wird unter anderem ein Zusammenhang zwischen der Schädigung und der Notwendigkeit der Leistung vermutet, sofern nicht das Gegenteil offenkundig oder nachgewiesen ist. Hier besteht ein solcher Zusammenhang offenkundig nicht. Denn nach den erörterten Stellungnahmen war die Unterbringung in der Pflegefamilie nicht wegen der Schädigungsfolgen indiziert. Die Maßnahme war und ist rein präventiv ausgerichtet und fällt nicht in den Bereich des Opferentschädigungsgesetzes.

52

b) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts können Maßnahmen der Jugendhilfe mit im Schwerpunkt präventiver Zielrichtung nämlich nicht in den Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes einbezogen werden.

53

Für eine solche Norminterpretation lassen der Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift und der gesetzgeberische Wille keinen Raum.

54

Der Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG steht der Einbeziehung präventiver Gesichtspunkte entgegen. Die Stufung „Angriff-Schädigung-Folge“ zeigt unmissverständlich, dass die Opferentschädigung an einen bereits erfolgten Angriff anknüpft und dessen Ausgleich dienen soll. Von der Norm nicht umfasst ist jedwedes Geschehen vor einem Angriff und damit auch nicht dessen Verhinderung.

55

Der gesetzgeberische Wille bestätigt dieses Normverständnis. Der erste Satz in Abschnitt „A. Zielsetzung“ des Gesetzentwurfs der Bundesregierung vom 27. August 1974 (BT-Drs. 7/2506, S. 1) lautet: „Strafrechtsreform und moderne Kriminalpolitik haben zum Ziel, dem Verbrechen vorzubeugen, <...>.“ Damit weist der Gesetzgeber die Prävention, die Verhinderung weiterer Straftaten und tätlicher Übergriffe nicht dem Opferentschädigungsrecht, sondern anderen Rechtsgebieten zu. Erst dann, wenn die in der Verantwortung des Staates liegende Prävention versagt hat und es zu einem tätlichen Angriff gekommen ist, soll das Opferentschädigungsrecht greifen. Diese vom Gesetzgeber ins Auge gefasste Abfolge zeigt sich in der allgemeinen Begründung des Gesetzentwurfs in Abschnitt „I. Einführung, A. Allgemeines“ (BT-Drs. 7/2506, S. 7). Dort findet sich nicht nur die vom Verwaltungsgericht in Bezug genommene Aussage, es sei Aufgabe des Staates, die Bürger namentlich vor Gewalttätern zu schützen. Bereits der nächste Satz ist ein Beleg für die Abfolge „Ausgleich nach Schädigung“. Danach muss sich der Staat für die Entschädigung des Opfers verantwortlich fühlen, wenn er seine Schutzpflicht nicht erfüllt. Noch deutlicher wird diese Abfolge in Abschnitt “II. Grundzüge des Entwurfs, A. Begrenzung der Entschädigung auf Opfer von Gewalttaten“ (BT-Drs. 7/2506, S. 10). Dort formuliert der Gesetzgeber, (nur) die Tatsache, dass der Staat es im Einzelfall nicht vermocht habe, den Bürger vor einem gewaltsamen Angriff zu bewahren, lasse das Bedürfnis nach einem Eintreten der Gesellschaft für Schäden aus einem solchen Angriff hervortreten. Nach der Intention des Gesetzgebers ist das Opferentschädigungsgesetz somit nicht Ausdruck der Pflicht, Bürger vor Gewalttätern zu schützen – so das Verwaltungsgericht –, sondern die Folge eines Versagens des Staates bei der Erfüllung dieser Pflicht.

56

Aus Sicht des Senats gibt es auch keinen Grund für die Einbeziehung maßgeblich präventiv ausgerichteter Maßnahmen in den Bereich der Opferentschädigung. Das Argument des Verwaltungsgerichts, der Anwendungsbereich des Gesetzes würde wesentlich verkürzt, wenn man ihn auf die unmittelbare Kompensation von anerkannten Schädigungsfolgen beschränkte, überzeugt nicht. Bei diesem Einwand wird die vom Gesetzgeber gewollte klare Aufgabenteilung zwischen Prävention und Entschädigung übersehen. Die Prävention ist anderen Normbereichen zugewiesen. Hingegen soll das Opferentschädigungsrecht das aus Sicht des Gesetzgebers bestehende Manko ausgleichen, dass Gewaltopfer keine staatliche Entschädigung erhalten haben, selbst wenn sie keine privatrechtlichen Ausgleichsansprüche (Schadensersatz oder Schmerzensgeld) durchsetzen konnten. Es kommt in erster Linie auf die Beseitigung dieses Nachteils und weniger darauf an, mittels welcher Instrumente sie erfolgt. Insoweit ist der Hinweis des Verwaltungsgerichts, die unmittelbare Kompensation von Schädigungsfolgen würde über die Krankenkassen erfolgen, unmaßgeblich. Zudem umfasst die Opferentschädigung und insbesondere die Sonderfürsorge nicht nur Hilfen zur Gesundheit, sondern ein Bündel weiterer Leistungen, wie der Maßnahmenkatalog in § 27d Abs. 1 BVG zeigt.

57

Das vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Mai 2015 (12 B 15.25) zwingt schon deshalb nicht zu einer anderen Bewertung, weil sich der dortige Sachverhalt grundlegend von dem vorliegenden unterscheidet. Dort ging es gerade nicht um eine eindeutig präventiv ausgerichtete Maßnahme. Bei der dortigen Hilfeempfängerin war eine länger andauernde Anpassungsstörung als Schädigungsfolge anerkannt worden. Die Behandlung dieser Störung und nicht die Verhinderung weiterer Schädigungen war Grund für die Hilfemaßnahme in jenem Verfahren. Ähnlich verhält es sich beim Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2010 (– 5 C 7/09 –, juris). Die Klägerin des dortigen Ausgangsverfahrens litt an einer psychoreaktiven Störung.

58

4. Als unterlegene Partei hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen.

59

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 Abs. 2, 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

60

Die Revision war nicht zuzulassen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Diese ist zu verneinen, weil die Beurteilung maßgeblich von der Würdigung konkreter Gegebenheiten des Einzelfalles abhängt. Die vorliegende Entscheidung beruht auf der Auswertung der ärztlichen Stellungnahmen und der Bewertungen der Jugendhilfe.

Beschluss

61

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 24.965,00 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, 3 GKG); dabei waren die Kosten für die Hilfeleistungen bis einschließlich August 2014 nicht zu berücksichtigen.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen