Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (6. Senat) - 6 A 10526/18

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Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 30. März 2017 wirkungslos. Im Übrigen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 30. März 2017 abgeändert und der Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 12. April 2016 aufgehoben.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, die Ortsgemeinde A…, wendet sich gegen den Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des beklagten Landkreises vom 12. April 2016, mit dem dieser den Beitragsvorausleistungsbescheid der Klägerin vom 6. Mai 2014 aufgehoben hat. Mit diesem Bescheid wurden der Beigeladene zu 2) und seine am …. Februar 2018 verstorbene Ehefrau als Eigentümer des Hausgrundstücks Gemarkung A..., Flur 14 Flurstück …/…, zu einer Vorausleistung auf den Ausbaubeitrag in Höhe von 1.421,86 € für den Ausbau der Nebenanlagen der Ortsdurchfahrt der Kreisstraße 10 (K 10, B...str./ H...str.) in A... herangezogen.

2

Der Gemeinderat der Klägerin fasste in der Sitzung vom 17. Februar 2009 den Beschluss, im Zuge der geplanten Erneuerung der K 10 durch den Beklagten den in der Baulast der Ortsgemeinde stehenden Gehweg entlang der B...str./ H...str. auszubauen. Am 25. April 2012 beschloss der Rat den Ausbau der Beleuchtungsanlage sowie das Ausbauprogramm, die Erhebung von Vorausleistungen auf den endgültigen Ausbaubeitrag und die Festsetzung des Gemeindeanteils auf 50 v.H..

3

In der auf einer Verwaltungsvorlage beruhenden Sitzungsniederschrift heißt es hierzu, die Einrichtungen Kindergarten, Bürgerhaus, Spielplatz, Sportzentrum, Tennishalle, die verschiedenen Geschäfte im Ort sowie die Spaziergänger etc. verursachten Fußgänger-Durchgangsverkehr in der Ortsdurchfahrt. Da die überwiegende Anzahl der Einwohner der übrigen Ortsteile (C..., G..., B..., usw.) die meisten Einrichtungen eher mit dem Pkw, nicht aber zu Fuß ansteuerten, verursachten sie insoweit keinen Fußgänger-Durchgangsverkehr. Der Fußgängerverkehr, der über die Bushaltestelle im Ortskern abgewickelt werde, stelle hingegen Durchgangsverkehr für die Ausbaustraße K 10 dar, wobei von einer starken Frequentierung, insbesondere durch Schulkinder, auszugehen sei. Die Fußgänger zur Kirche machten keinen überwiegenden Durchgangsverkehr aus. Demgegenüber sei der Anliegerverkehr in der Ortsdurchfahrt, der durch die Besucher der Gaststätte und des Friedhofs entstehe, zu berücksichtigen.

4

Gegen den Beitragsvorausleistungsbescheid der Klägerin vom 6. Mai 2014 erhoben der Beigeladene zu 2) und seine Ehefrau Widerspruch, dem der Kreisrechtsausschuss stattgab. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. April 2016 hob er den Vorausleistungsbescheid „mit der Maßgabe“ auf, den auf 50 v.H. festgesetzten Gemeindeanteil durch den Ortsgemeinderat der Klägerin neu festzusetzen. Nach der Überzeugung des Kreisrechtsausschusses seien nicht alle relevanten tatsächlichen Umstände zureichend berücksichtigt worden. Aus diesem Defizit der Ermittlung könne sich ein Mehr an Durchgangsverkehr und damit ein höherer Gemeindeanteil als 50 v.H. ergeben. Vom Kreisrechtsausschuss werde beanstandet, dass der Ortsgemeinderat beim verursachten Durchgangsverkehr von nicht berücksichtigungsfähigem Fahrverkehr ausgehe, obwohl den eingereichten Statistiken zufolge die dreifache Anzahl der die Gehweganlage der B...str./H...str. (K 10) nutzenden Einwohner in den übrigen Straßen der Ortsgemeinde lebe, deren wohl überwiegende fußläufige Nutzung der Nebenanlagen an der K 10 Fußgänger-Durchgangsverkehr darstelle. Das gelte auch für die Wanderer auf dem Rheinsteig sowie dem Rheinhöhenwanderweg und für die Fußgänger nach L..., X... und zum Krankenhaus. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Friedhof auch über das Straßengrundstück „Zum schwarzen See" fußläufig angegangen werde. Ferner sei angesichts der vorgelegten Belegungspläne des Bürgerhauses und des Gemeindezentrums nicht auszuschließen, dass die dortigen Veranstaltungen überwiegenden Fußgänger-Durchgangsverkehr auslösten.

5

Daraufhin fasste der Gemeinderat der Klägerin in der Sitzung vom 8. Juni 2016 erneut einen Beschluss über die Höhe des Gemeindeanteils. Er bekräftigte mit Stimmenmehrheit die Festsetzung des Gemeindeanteils auf 50 v.H.. Dabei wurde ausdrücklich auf die Veränderungen seit dem Jahr 2012 hingewiesen, insbesondere die Schließung der Gaststätte in der H...str.. Die Sitzungsniederschrift erwähnt außerdem die Gesichtspunkte, deren Berücksichtigung der Kreisrechtsausschuss vermisst hat, nämlich den Fußgängerverkehr durch Wanderer auf dem Rheinsteig sowie dem Rheinhöhenwanderweg, durch Fußgänger nach L... und zum Krankenhaus. Außerdem wurde der Verkehr zum Friedhof, zur Bushaltestelle, zum Gemeindezentrum, zum Bürgerhaus und zum Kindergarten erörtert.

6

Die gegen den Widerspruchsbescheid von der Klägerin erhobene Klage wurde vom Verwaltungsgericht abgewiesen. Es hat seine Prüfung für den Zeitpunkt der Entscheidung des Kreisrechtsausschusses durchgeführt und deshalb den erst danach ergangenen Beschluss des Gemeinderats der Klägerin vom 8. Juni 2016, den es außerdem wegen Beschlussunfähigkeit des Gemeinderats beanstandet hat, nicht als entscheidungserheblich erachtet. Zur Begründung der Klageabweisung hat sich das Verwaltungsgericht zum Einen auf die Erwägungen des Kreisrechtsausschusses bezogen und des Weiteren ausgeführt, die Klägerin sei von fehlerhaften Voraussetzungen ausgegangen, weil sie der Festlegung des Gemeindeanteils zugrunde gelegt habe, dass sich an der K 10 noch eine von Fußgängern häufiger aufgesuchte Gaststätte befunden habe. Die Klägerin habe ferner nicht beachtet, dass entlang der K 10 nur ein einseitiger Gehweg gebaut worden sei, der sich in ihrer Baulast befinde. Auf der anderen Straßenseite sei lediglich ein mehr oder minder breites Schrammbord angelegt worden, dessen Kosten allein der Beklagte trage. Die davon betroffenen Anlieger hätten keinen Gehweg auf ihrer Straßenseite und würden die Einrichtungen wie das Gemeindezentrum, die Bushaltestelle, die Kirche und die Bäckerei ohne Nutzung des hier abgerechneten Gehwegs über das Schrammbord und die nahegelegenen Nebenstraßen (wie K…straße, N…straße, M…, I…) erreichen. Dadurch vermindere sich der Fußgänger-Anliegerverkehr. Auch angesichts der sich aus den vorgelegten Belegungsplänen ergebenden Nutzung des Bürgerhauses und des Gemeindezentrums fehle es an einer plausiblen Darstellung, dass hier kein überwiegender Durchgangsverkehr vorliege. Ob der Friedhof als Anliegergrundstück der K 10 anzusehen sei, könne offen bleiben, da er keine besonders häufig genutzte und für Fußgänger „attraktive“ Einrichtung der Klägerin darstelle.

7

Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung trägt die Klägerin vor, angesichts der Länge der Ortsdurchfahrt der K 10 sei der Fußgänger-Anliegerverkehr erheblich und ein höherer Gemeindeanteil als 50 v.H. keinesfalls angezeigt. Der Durchgangsverkehr durch Wanderer finde nur auf einem kurzen Teilstück der Ortsdurchfahrt statt. Da sich der Friedhof auf einem Anliegergrundstück befinde, sei der Fußgängerverkehr, der dieses Ziel habe, als Anliegerverkehr zu werten. Das Bürgerhaus und die übrigen vom Verwaltungsgericht erwähnten Einrichtungen würden nicht nur zu Fuß, sondern in erheblichem Umfang mit Kraftfahrzeugen erreicht. Ferner treffe nicht zu, dass entlang der K 10 nur ein einseitiger Gehweg bestehe. Zwar seien wegen der vorhandenen Bebauung oder topografischer Besonderheiten zum Teil Engstellen in der Ortsdurchfahrt vorhanden, die den Bau eines beidseitigen Gehwegs mit einer Breite von mindestens 75 cm nicht zuließen. Dennoch dienten diese − zum Teil schmaleren − Flächen dem Fußgängerverkehr und ließen einen solchen auch unabhängig davon zu, ob die Klägerin oder der Beklagte die Kosten dafür trage.

8

In der mündlichen Verhandlung haben die Hauptbeteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich des angefochtenen Widerspruchsbescheids vom 12. April 2016 insoweit für erledigt erklärt, als in dem Tenor des Bescheids die Maßgabe ausgesprochen wurde, den auf 50 v.H. festgesetzten Gemeindeanteil durch den Ortsgemeinderat der Klägerin neu festzusetzen.

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Die Klägerin beantragt,

10

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 30. März 2017 den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 12. April 2016 aufzuheben.

11

Der Beklagte beantragt,

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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

13

Der Beklagte bekräftigt seine Auffassung, der Vorausleistungsbescheid vom 6. Mai 2014 sei wegen zu niedrig festgelegten Gemeindeanteils rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht habe sowohl die atypische Situation in der Ortsdurchfahrt der K 10 als auch den Umstand eines nur einseitig angelegten Gehwegs zutreffend gesehen. Außerdem sei ein Betrag von 2.819,60 € vom beitragsfähigen Aufwand abzuziehen, der auf den erst im Jahr 2000 unter Heranziehung der Grundstücksanlieger zu Beiträgen erfolgten Gehwegausbau entlang der ehemaligen Gaststätte sowie an den gegenüber liegenden Hausgrundstücken Nr. 34 bis Nr. 42 entfalle.

14

Auch der Beigeladene zu 2) verteidigt die verwaltungsgerichtliche Entscheidung.

15

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus den zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätzen sowie den vorgelegten Verwaltungs- und Widerspruchsvorgängen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

16

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit nicht übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt haben (1.), ist die Berufung der Klägerin begründet (2.).

17

1. Mit dem Widerspruchsbescheid des Kreisrechtsausschusses des Beklagten vom 12. April 2016 wurde der gegenüber dem Beigeladenen zu 2) und seiner Ehefrau ergangene Vorausleistungsbescheid der Klägerin vom 6. Mai 2014 „mit der Maßgabe“ aufgehoben, den auf 50 v.H. festgesetzten Gemeindeanteil durch den Ortsgemeinderat der Klägerin neu festzusetzen. Hinsichtlich dieser „Maßgabe“ haben die Hauptbeteiligten in der mündlichen Berufungsverhandlung den Rechtsstreit übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts für wirkungslos zu erklären (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO analog) und lediglich wegen der Kosten (3.) zu entscheiden.

18

2. Soweit der Beitragsvorausleistungsbescheid der Klägerin vom 6. Mai 2014 durch den Kreisrechtsausschuss des Beklagten aufgehoben wurde, hat die Berufung der Klägerin Erfolg. Der Widerspruchsbescheid vom 12. April 2016 verletzt die Klägerin in ihrem kommunalen Selbstverwaltungsrecht, zu dem auch die Abgabenhoheit auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes – KAG – zählt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 – 2 BvK 1/00 – BVerfGE 103, 332; BVerfG, Beschluss vom 15. November 1993 – 2 BvR 1199/91 –, juris; BVerwG, Beschluss vom 20. August 2015 – 9 B 13.15 –, juris; BayVerfGH, Entscheidung vom 27. März 1992 – Vf. 8-VII-89 –, juris). Denn ihr Bescheid vom 6. Mai 2014, mit dem sie gemäß § 10 Abs. 8 i. V. m. § 7 Abs. 5 KAG nach ihrem Ermessen (hierzu OVG RP, Urteil vom 1. April 2003 – 6 A 10778/02.OVG –, KStZ 2003, 199) von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, Vorausleistungen zu erheben, ist rechtmäßig. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 30. März 2017 ist dementsprechend abzuändern.

19

Der Vorausleistungsbescheid der Klägerin vom 6. Mai 2014 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch (a) weder wegen der Festlegung des Gemeindeanteils für den Ausbau der Nebenanlagen der Ortsdurchfahrt der Kreisstraße 10 in A... auf 50 v.H. (b) noch aus anderen Gründen (c) zu beanstanden.

20

a) Im Grundsatz ist davon auszugehen, dass die Rechtmäßigkeit eines Vorausleistungsbescheids nach der Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist, die im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch besteht (OVG RP, Urteil vom 19. Januar 2010 – 6 A 10730/09.OVG –; OVG RP, Urteil vom 19. März 2009 – 6 A 10750/08.OVG –, AS 37, 200; OVG RP, Urteil vom 5. November 2013 – 6 A 10553/13.OVG –, AS 42, 77). Das gilt für die Prognose, ob die (endgültige) Beitragspflicht überhaupt und in welcher Höhe sie voraussichtlich entstehen wird (OVG RP, Urteil vom 27. April 2004 – 6 A 10035/04.OVG –, AS 31, 283 = NVwZ-RR 2005, 499), also auch für die Überprüfung des festgelegten Gemeindeanteils.

21

Während die Entscheidung des Gemeinderats über die Höhe des Vorteils der Allgemeinheit (Gemeindeanteil) am Straßenausbau bei der (endgültigen) Beitragserhebung nach dem Verhältnis des Anliegerverkehrs zum Durchgangsverkehr im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht zu erfolgen hat (OVG RP, Urteil vom 21. Januar 2009 – 6 A 10697/08.OVG –, AS 37, 129), ist dieser Zeitpunkt im Fall der Vorausleistungserhebung noch nicht erreicht. Beschließt der Gemeinderat die Erhebung von Vorausleistungen auf den einmaligen Ausbaubeitrag, kann er den Gemeindeanteil (zunächst) nur nach den Umständen im Beschlusszeitpunkt festsetzen. Er muss diese Festlegung aber „unter Kontrolle“ behalten und ggf. bis zur Widerspruchsentscheidung an Änderungen anpassen, soweit sie nicht völlig unbedeutend sind (vgl. OVG RP, Urteil vom 19. Januar 2010 – 6 A 10730/09.OVG –; OVG RP, Urteil vom 19.März 2009 – 6 A 10750/08.OVG –, AS 37, 200). Gleiches hat in Bezug auf andere Elemente der Prognose über Entstehen und Höhe der endgültigen Beitragspflicht zu geschehen.

22

Wurde in diese Prognose ein bestimmter Gesichtspunkt vor der Entscheidung über den Widerspruch eingestellt, sind zulässige Ergänzungen in diesem Zusammenhang auch noch nach Ergehen des Widerspruchsbescheids in analoger Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO im gerichtlichen Verfahren zu berücksichtigen (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2014 – 9 B 57.13 –, KStZ 2014, 156).

23

b) Die Festlegung des Gemeindeanteils (aa) für den Ausbau der Nebenanlagen der Ortsdurchfahrt der Kreisstraße 10 in A... auf 50 v.H. und die Beibehaltung dieses Gemeindeanteils sind nicht zu beanstanden (bb).

24

aa) Gemäß § 10 Abs. 3 KAG muss die Festlegung des Gemeindeanteils bei der Ermittlung der Beiträge einen dem Vorteil der Allgemeinheit entsprechenden Anteil außer Ansatz lassen, der dem nicht den Beitragsschuldnern zuzurechnenden Verkehrsaufkommen entspricht (vgl. OVG RP, Urteil vom 16. März 2010
6 A 11146/09.OVG −, NVwZ-RR 2010, 62).

25

Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 21. Januar 2009 – 6 A 10697/08.OVG –, AS 37, 129; Beschluss vom 15. Dezember 2005 – 6 A 11220/05.OVG –, NVwZ-RR 2006, 285) ist der Eigenanteil einer Gemeinde im Einzelfall unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände zu ermitteln, wobei ein ganz überwiegender Anliegerverkehr bei geringem Durchgangsverkehr einen Gemeindeanteil von 25 v.H., ein erhöhter Durchgangs-, aber noch überwiegender Anliegerverkehr regelmäßig einen Gemeindeanteil von 35 bis 45 v.H. rechtfertigt, während bei überwiegendem Durchgangsverkehr davon ausgegangen werden kann, dass der Gemeindeanteil regelmäßig 55 bis 65 v.H. beträgt. Sollten sich Anlieger- und Durchgangsverkehr die Waage halten, kann ein Gemeindeanteil von 50 v.H. als angemessen abgesehen werden. Dabei schließt der der Gemeinde zustehende Einschätzungsspielraum eine geringe Bandbreite mehrerer vertretbarer Vorteilssätze ein, die nach oben und unten um nicht mehr als 5 v.H. abweichen (OVG RP, Urteil vom 20. August 2002 – 6 C 10464/02.OVG –, AS 30, 106 = KStZ 2003, 35; OVG RP, Urteil vom 16. März 2010 − 6 A 11146/09.OVG − NVwZ-RR 2010, 62).

26

Die Entscheidung über den Gemeindeanteil setzt nach dieser Rechtsprechung (vgl. auch OVG RP, Beschluss vom 23. August 2007 – 6 A 10468/07.OVG −; OVG RP, Urteil vom 29. Juni 2017 – 6 A 11584/16.OVG –, juris) weder eine Verkehrszählung noch die Ermittlung der Verkehrsfunktion der Straße durch einen Sachverständigen voraus. Abgesehen davon, dass solche formellen Erhebungen wegen der Ermittlung von Ausgangspunkt und Ziel der Fahrten zu unterschiedlichen Tageszeiten einen großen Aufwand erfordern, sind sie häufig nur für einen kurzen Zeitraum aussagekräftig. Demgegenüber vermag der Gemeinderat, der mit den örtlichen Verhältnissen, insbesondere den Grundstücksnutzungen, der flächenmäßigen Ausdehnung der Straßen und ihrer Bedeutung im Gefüge der Verkehrswege vertraut ist, im Allgemeinen die zahlenmäßige Relation der Verkehrsfrequenzen innerhalb der einheitlichen öffentlichen Einrichtung hinreichend zuverlässig einzuschätzen. Die Festlegung des Gemeindeanteils durch den Rat ist allerdings zu beanstanden, wenn der diesbezügliche Ratsbeschluss auf einer greifbaren Fehleinschätzung beruht, weil er die vorstehend dargestellten Maßstäbe verfehlt, nicht alle relevanten tatsächlichen Umstände berücksichtigt oder in sich widersprüchlich ist (OVG RP, Urteil vom 21. Januar 2009 – 6 A 10697/08.OVG –, AS 37, 129; OVG RP, Urteil vom 12. Januar 2012 – 6 A 10971/11.OVG –, AS 41,1 = KStZ 2012, 73; OVG RP, Urteil vom 29. Juni 2017 – 6 A 11584/16.OVG –, juris).

27

Die Überprüfung des dem Gemeinderat bei der Bestimmung des Gemeindeanteils zukommenden Beurteilungsspielraums kann schwierig sein, wenn die Gründe für die Entscheidung nicht schriftlich festgehalten sind. Inwieweit auf die Überlegungen, die seitens der Verwaltung in eine Beschlussvorlage für den Gemeinderat aufgenommen wurden, zurückgegriffen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. So kann sich aus der Niederschrift über die Ratssitzung ergeben, dass sich der Rat den Vorüberlegungen der Verwaltung, die in einer Sitzungsvorlage zusammengefasst sind, angeschlossen hat (vgl. OVG RP, Urteil vom 15. März 2011 – 6 C 11187/10.OVG –, NVwZ-RR 2011, 577).

28

bb) Nach diesem Maßstab ist davon auszugehen, dass der Gemeinderat der Klägerin sowohl in der Sitzung vom 25. April 2012 (1) als auch in der Sitzung vom 8. Juni 2016 (2) mehrheitlich den in der jeweiligen Sitzungsvorlage formulierten Überlegungen der Verwaltung gefolgt ist.

29

(1) Die Erwägungen, die in die Sitzungsniederschrift vom 25. April 2012 aufgenommen worden sind, lassen keine greifbare Fehleinschätzung erkennen. Insbesondere sind weder die vorstehend dargestellten Maßstäbe zur Festlegung des Gemeindeanteils noch die relevanten tatsächlichen Umstände verkannt worden. Das gilt auch für den vom Verwaltungsgericht hervorgehobenen Umstand, dass der Betrieb der Gaststätte in der H...str. nach der Ratssitzung vom 25. April 2012, aber vor der Entscheidung über den Widerspruch aufgegeben wurde. Deswegen war keine Änderung der Einschätzung, der Gemeindeanteil sei auf 50 v.H. festzulegen, angezeigt oder gar zwingend. Vielmehr durfte die Klägerin die Schließung der Gaststätte einstweilen unberücksichtigt lassen, weil sie − auch im Interesse der Erhaltung eines gastronomischen Angebots in der Gemeinde − die Fortführung der Gaststätte durch einen anderen Betreiber erhoffte, wie der Erste Beigeordnete der Klägerin in der mündlichen Berufungsverhandlung angab.

30

Eine greifbare Fehlentscheidung durch die Festlegung und Beibehaltung eines Gemeindeanteils von 50 v.H. ergibt sich auch nicht aus den weiteren Gründen, die der Kreisrechtsausschuss und das Verwaltungsgericht angeführt haben. Es liegt im Gegenteil fern, dass der Gemeinderat der Klägerin die Anzahl der Anlieger der Ortsdurchfahrt im Vergleich mit der Zahl der Einwohner der anderen Straßen in der Gemeinde, die Nutzungsintensität des Bürgerhauses sowie des Gemeindezentrums und die Weise, wie die Nutzer dorthin gelangen, verkannt haben könnte. Ferner ist für eine Fehleinschätzung des Rats hinsichtlich eines ins Gewicht fallenden Fußgängerverkehrs in die Nachbarorte, zum Krankenhaus oder auf den Wanderwegen nichts ersichtlich. Anhaltspunkte, der Gemeinderat könnte die Zugangsmöglichkeiten zum Friedhof, der auf Anliegergrundgrundstücken der H...str. angelegt ist, übersehen haben, bestehen ebenso wenig.

31

Dem Gemeinderat kann eine greifbare Fehlentscheidung insbesondere nicht – wie jedoch mit dem Widerspruchsbescheid geschehen – mit der Begründung vorgehalten werden, es sei „nicht auszuschließen“, dass die Veranstaltungen im Bürgerhaus und im Gemeindezentrum überwiegenden Fußgänger-Durchgangsverkehr mit sich bringen. Denn damit wird eine Verkennung relevanter tatsächlicher Umstände allenfalls für möglich gehalten, nicht aber belegt. Gleiches gilt für die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, bestimmte Einrichtungen wie Bürgerhaus, Kindergarten, Spielplatz, Kirche, Bushaltestelle, Gemeindezentrum und Bäckerei seien attraktiv und gut besucht; die Beförderung mit dem Fahrzeug zu diesen Einrichtungen sei „nicht als einzige naheliegende Variante anzudenken“. Mit dieser Formulierung wird nur als denkbar erachtet, dass zu diesen Einrichtungen tatsächlich ein erheblicher Fußgänger-Durchgangsverkehr in der Ortsdurchfahrt der K 10 zu verzeichnen ist. Solche Mutmaßungen belegen ebenso wenig eine greifbare Fehlentscheidung des Gemeinderats der Klägerin wie das vom Verwaltungsgericht kritisierte Fehlen „einer plausiblen Darstellung, dass hier kein überwiegender Durchgangsverkehr vorliegt“.

32

Soweit in dem angefochtenen Urteil der Umfang des Fußgänger-Anliegerverkehrs in der Ortsdurchfahrt wegen eines streckenweise weniger als 75 cm breiten Gehwegs (bzw. „Schrammbords“) bezweifelt wird, folgt dem der Senat ebenfalls nicht. Die Anlage eines so schmalen Bereichs für die Fußgänger bedeutet nicht, dass insoweit kein Gehweg vorhanden ist, auf dem Fußgängerverkehr stattfindet (vgl. hierzu etwa OVG RP, Urteil vom 21. Januar 2009 – 6 A 10697/08.OVG –, AS 37, 129). Entscheidend ist nämlich nicht eine bestimmte Mindestbreite des Gehwegs, sondern ob er im Hinblick auf den im Einzelfall zu bewältigenden Fußgängerverkehr funktionsgerecht ist (OVG RP, Urteil vom 27. April 2004 – 6 A 10035/04.OVG –, AS 31, 283 = NVwZ-RR 2005, 499). Davon kann hier angesichts der Größe der Gemeinde ausgegangen werden, zumal der Beigeladene zu 2) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, dass der als Schrammbord bezeichnete Gehweg von den Anwohnern der Ortsdurchfahrt für den Fußgängerverkehr genutzt wird. Ob die Kosten für diesen schmalen Fußgängerbereich von der Klägerin oder vom Beklagten zu tragen sind, hat zwar Auswirkungen auf den Umfang des beitragsfähigen Aufwands, nicht jedoch auf das Verhältnis des Fußgänger-Anliegerverkehrs zum Fußgänger-Durchgangsverkehr in der Ortsdurchfahrt der K 10. Wie die bereits erwähnte Angabe des Beigeladenen zu 2) in der mündlichen Berufungsverhandlung deutlich macht, ist nicht ersichtlich, dass die Anlieger den als Schrammbord bezeichneten Fußgängerbereich wegen seiner geringen Breite ebenso wie den gegenüberliegenden (breiteren) Gehweg meiden und deshalb der Anteil des Fußgänger-Anliegerverkehrs vom Gemeinderat überschätzt worden sein könnte.

33

(2) Selbst wenn man mit dem Verwaltungsgericht davon ausgeht, die Schließung der Gaststätte in der H...str. habe bis zur Entscheidung über den Widerspruch berücksichtigt und der Gemeindeanteil habe gegebenenfalls korrigiert werden müssen, wäre ein darin liegendes Versäumnis durch den Ratsbeschluss vom 8. Juni 2016 überholt. In der Niederschrift der Sitzung vom 8. Juni 2016 wird dieser Umstand ausdrücklich als zwischenzeitlich eingetretene Änderung erwähnt. Sie ist in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2014 – 9 B 57.13 –, KStZ 2014, 156).

34

Anders als das Verwaltungsgericht meint, war der Ratsbeschluss vom 8. Juni 2016 nicht wegen Beschlussunfähigkeit des Gemeinderats zu beanstanden. Zwar setzt die Beschlussfähigkeit des Gemeinderats gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 der Gemeindeordnung − GemO − grundsätzlich voraus, dass bei der Beschlussfassung mehr als die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder anwesend ist. Abweichend davon ist der Gemeinderat − wenn Ratsmitglieder gemäß § 22 GemO an der Beratung und Abstimmung nicht teilnehmen können − aber nach § 39 Abs. 2 GemO beschlussfähig, sofern mindestens ein Drittel der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder anwesend ist. Soweit das Verwaltungsgericht die Bestimmung des § 39 Abs. 2 GemO nur für anwendbar hält, wenn die Beschlussunfähigkeit auf der Anwendung des § 22 GemO beruht, entspricht dies zwar dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 2. Oktober 1978 (– 10 C 11/78 –, AS 15, 144). Dieser beruhte jedoch auf einer anderslautenden Fassung des § 39 GemO und wurde vom Gesetzgeber zum Anlass genommen, die Vorschrift zu ändern: Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs (vgl. LT-Drucks. 12/2796, S. 75) soll § 39 Abs. 2 GemO auch dann Anwendung finden, wenn die Beschlussunfähigkeit durch die Ausschließung einzelner Ratsmitglieder lediglich mitverursacht wird.

35

So lagen die Dinge, als am 8. Juni 2016 der Ratsbeschluss über den Gemeindeanteil erging: Von den 17 Mitgliedern des Rats der Klägerin waren 11 bei Aufruf des Tagesordnungspunkts 2 anwesend, von denen drei nach § 22 GemO ausgeschlossen waren, nämlich die Herren R..., P... und O.... Die verbleibenden acht Ratsmitglieder stellten zwar nicht mehr, sondern weniger als die Hälfte der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder dar. Da drei Ratsmitglieder allerdings gemäß § 22 GemO an der Beratung und Abstimmung über den Gemeindeanteil nicht teilnehmen konnten, war die Beschlussfähigkeit des Gemeinderats bereits aufgrund von sechs anwesenden Mitgliedern gegeben, so dass der Rat mit acht Ratsmitgliedern ohne Weiteres beschlussfähig war (vgl. OVG RP, Urteil vom 20. Januar 2016 – 8 C 10885/15.OVG –, DVBl 2016, 653). Dass im Zusammenhang mit den beiden Abstimmungen, an denen sich jeweils acht Ratsmitglieder beteiligten, nur von zwei ausgeschlossenen Mitgliedern (R... und P...) die Rede ist, kann ein Schreibversehen sein, aber auch darauf beruhen, dass das RatsmitgliedO... die Sitzung zwischenzeitlich verlassen hatte. Dieser Umstand ändert jedoch nichts an der Beschlussfähigkeit des Gemeinderats.

36

c) Die dem Vorausleistungsbescheid der Klägerin vom 6. Mai 2014 zugrunde liegende Prognose ist auch nicht aus anderen Gründen zu beanstanden. Insbesondere musste die Klägerin den Vorausleistungsbescheid nicht mit Rücksicht darauf ermäßigen, dass sich die eingestellten Kosten mittlerweile zu einem Teil als überhöht herausgestellt haben. Im insoweit – wie ausgeführt – maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch war noch nicht bekannt, dass der Gehweg an der K 10 über das Ende der Ortsdurchfahrt hinaus ausgebaut wurde und dadurch nicht beitragsfähige Kosten entstanden. Soweit seitens der Klägerin bereits im Erörterungstermin vor dem Kreisrechtsausschuss erklärt wurde, Aufwendungen für den Gehwegflächenausbau entlang des Grundstücks, auf dem die Gaststätte in der H...str. betrieben wurde, sowie an den gegenüber liegenden Hausgrundstücken Nr. 34 bis Nr. 42 würden aus der Kostenermittlung herausgenommen, handelt es sich um einen Betrag von 2.819,60 €, der angesichts des Gesamtaufwands von mehr als 350.000 € als unbedeutend betrachtet und seine Berücksichtigung auf die endgültige Beitragserhebung verschoben werden durfte.

37

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3, 161 Abs. 2 sowie § 162 Abs. 3 VwGO.

38

Soweit der Rechtsstreit in der Hauptsache durch übereinstimmende Erklärungen der Hauptbeteiligten erledigt wurde, ist es i. S. d. § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO sachgerecht und angemessen, dass die diesbezüglichen Kosten dem Beklagten zur Last fallen. Denn die „Maßgabe“ des Widerspruchsbescheids zur Neufestsetzung des Gemeindeanteils dürfte gegen die Bestimmung des § 68 VwGO verstoßen haben. Danach kann der zur Entscheidung über einen Anfechtungswiderspruch berufene Kreisrechtsausschuss den angefochtenen Verwaltungsakt aufheben oder – im Falle eines Verpflichtungswiderspruchs – zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts verpflichten. Für die Anordnung einer Beschlussfassung durch den Rat, die keinen Verwaltungsakt darstellt, fehlt die erforderliche Rechtsgrundlage.

39

Im Übrigen trägt der Beklagte als der unterliegende Teil die Verfahrenskosten beider Rechtszüge, jedoch mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 2), der das Verfahren nach dem Tod seiner Ehefrau, der früheren Beigeladenen zu 1) ersichtlich auch für diese fortgeführt hat. Diese Kosten dem Beklagten nach § 162 Abs. 3 VwGO aufzuerlegen, entspricht nicht der maßgebenden Billigkeit, weil seitens der Beigeladenen kein Antrag gestellt wurde und damit ein eigenes Kostenrisiko nicht bestand (§ 154 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

40

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10 ZPO.

41

Gründe, gemäß § 132 Abs. 2 VwGO die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Beschluss

42

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 1.421,86 € festgesetzt (§§ 52 Abs. 3, 47 Abs. 1 GKG).

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