Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 B 11770/19
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 15. November 2019 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 € festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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Die Ausführungen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren, auf die sich die Prüfung des Senats beschränkt, enthalten keine Gründe, aus denen der angegriffene Beschluss abzuändern oder aufzuheben ist (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO).
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1. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 27. Juni 2019 anzuordnen.
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Das Verwaltungsgericht hat einen Anspruch des Antragstellers auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 18 Abs. 2 Satz 1 AufenthG für die Beschäftigung als leitender Angestellter im China-Restaurant „A.“ zutreffend mit der Begründung verneint, es fehle die erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. Diese sei nicht nach § 3 Nr. 1 BeschV deshalb entbehrlich, weil einem leitenden Angestellten mit Generalvollmacht oder Prokura ein Aufenthaltstitel erteilt werden solle. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, die Ausgestaltung des vom Antragsteller vorgelegten Arbeitsvertrags, seine sprachlichen Fähigkeiten und die Höhe des vereinbarten Entgelts ließen nicht die Annahme zu, dass er in leitender Funktion angestellt sei. Diese Ausführungen werden mit der Beschwerde nicht in Frage gestellt. Auch unter Berücksichtigung der Beschwerdebegründung ist der Antragteller nicht als leitender Angestellter anzusehen.
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2. § 3 Nr. 1 BeschV enthält keine konkrete Definition des Begriffes des leitenden Angestellten. Für die Abgrenzung des Begriffes bietet sich das Betriebsverfassungsgesetz, insbesondere § 5 Abs. 3 Satz 2 BetrVG an (vgl. Nr. 3.01 der Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 3 BeschV vom 13. Juni 2019). Maßgebliche Kriterien für die Annahme einer leitenden Stellung sind die Berechtigung zu selbständigen Personalentscheidungen, Generalvollmacht oder Prokura und die im Wesentlichen weisungsfreie Wahrnehmung von Aufgaben, die für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens bzw. Betriebs bedeutsam sind. Leitende Angestellte sind also in ihrer Stellung sehr stark der des Arbeitgebers angenähert, da sie eigenverantwortlich wesentliche unternehmerische Entscheidungen treffen (vgl. Fehrenbacher, in: HTK-AuslR, Stand: 04/2019, § 3 BeschV – zu Nr. 1 – leitende Angestellte).
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Bei der Prüfung, ob es sich tatsächlich um einen leitenden Angestellten handelt, sind neben dem Rechtsverhältnis zum Arbeitgeber die betrieblichen Gegebenheiten und die individuellen Fähigkeiten zu berücksichtigen.
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Denn der Begriff des leitenden Angestellten im Sinne von § 3 Nr. 1 BeschV ist objektiv zu verstehen. Deshalb muss beim Arbeitgeber nachvollziehbar der Bedarf nach einer Führungskraft bestehen und der betroffene Ausländer muss erkennbar in der Lage sein, die Führungsaufgaben umfassend wahrzunehmen. Wegen der Gefahr, dass durch unzutreffende Angaben Ausländern der Aufenthalt ohne Zustimmung der Bundesagentur ermöglicht werden soll, genügt die vertragliche Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses für die Annahme einer leitenden Funktion nicht. Sie muss den Gegebenheiten im Betrieb und den Fähigkeiten des Ausländers entsprechen (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 9. August 2017 – 13 ME 204/17 –, juris, Rn. 4).
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3. Hinsichtlich der vertraglichen Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses sind nicht nur die eingeräumten Befugnisse nach innen und außen von Bedeutung. Auch das vereinbarte Gehalt ist ein Indiz für die Abgrenzung zwischen einfachen und leitenden Angestellten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. April 2018 – OVG 6 N 55.17 –, juris, Rn. 7). So ergibt sich aus § 5 Abs. 4 Nr. 3, 4 BetrVG die Annahme des Gesetzgebers, dass leitende Angestellte Arbeitsentgelt in einem bestimmten Umfang erhalten.
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Die Betrachtung der betrieblichen Gegebenheiten hat vor allem das Ziel zu prüfen, ob tatsächlich ein Bedarf nach einer weiteren Führungskraft – neben dem Arbeitgeber – besteht oder dieser nur vorgeschoben ist. Anhaltspunkte für diese Prüfung lassen sich ebenfalls dem Betriebsverfassungsgesetz entnehmen. Von Bedeutung ist die Größe des Betriebs. Mit Blick auf § 1 Abs. 1 BetrVG dürfte die Annahme gerechtfertigt sein, dass bei Betrieben mit weniger als fünf ständigen Arbeitnehmern in der Regel kein Bedarf nach einer weiteren Führungskraft besteht. Denn nach dieser Vorschrift werden bei solchen Betrieben keine Betriebsräte gewählt. Damit wird die Unterscheidung zwischen leitenden und sonstigen Angestellten in § 5 BetrVG bedeutungslos. Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass in diesen Kleinbetrieben kein Raum für eine Funktionsebene zwischen Arbeitgebern und einfachen Angestellten ist. Neben der Größe des Betriebs ist ein zeitlicher Faktor zu berücksichtigen. Der betriebliche Bedarf nach einem leitenden Angestellten darf nicht nur kurzfristig bestehen. Auch hier kann das Betriebsverfassungsgesetz als Anhalt dienen, das an diversen Stellen Fristenregelungen enthält. So sind etwa nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur Betriebsangehörige für den Betriebsrat wählbar, die sechs Monate dem Betrieb angehören. Daraus lässt sich ableiten, dass betriebsbezogene persönliche Veränderungen, wie die Übernahme leitender Funktionen, regelmäßig erst Bedeutung erlangen, wenn sie seit einiger Zeit bestehen oder nachvollziehbar für längere Zeit bestehen sollen.
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Für die Bewertung, ob der Ausländer überhaupt die Fähigkeiten besitzt, eine leitende Funktion auszufüllen, ist auf das geschäftliche und bürokratische Umfeld des Betriebes abzustellen. Er muss die Amtssprache so beherrschen, wie es den betrieblichen Erfordernissen und seiner Rechtsmacht entspricht und wie es die Gesamtverantwortung für den Betrieb und dessen Repräsentanz nach außen erfordern. Danach ist im Einzelfall zu klären, ob und in welchem Umfang die Wahrnehmung der übertragenen Aufgaben Kenntnisse der deutschen Sprache und des deutschen Rechtssystems voraussetzen, um Verhandlungen und Gespräche mit Geschäftspartnern sachgerecht führen zu können (vgl. Fehrenbacher, in: HTK-AuslR, Stand: 04/2019, § 3 BeschV – zu Nr. 1 – leitende Angestellte).
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4. Der Antragsteller erfüllt keinen der drei Gesichtspunkte, die einen leitenden Angestellten kennzeichnen. Die vertraglichen Gegebenheiten, die betrieblichen Verhältnisse und seine Fähigkeiten lassen nicht auf eine leitende Funktion schließen.
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a) In Bezug auf die vertragliche Ausgestaltung der angeblichen Leitungsfunktion, die der Antragsteller ausüben soll, hat das Verwaltungsgericht zu Recht beanstandet, dass die Handlungsvollmacht des Antragstellers durch den Arbeitsvertrag vom 2. Mai 2018 massiv beschränkt wird. So darf der Antragsteller über Anschaffungen mit einem Volumen von mehr als 2.000 € und über die Einstellung zusätzlicher Arbeitskräfte nicht eigenständig entscheiden; er ist dabei von der Zustimmung seines Arbeitgebers abhängig. Insoweit steht die Behauptung des Antragstellerbevollmächtigten, sein Mandant sei befugt, Arbeitskräfte je nach Bedarf einzustellen oder ihnen zu kündigen, die mit dem Hinweis verbunden ist, in der Hochsaison würden mehr Arbeitskräfte benötigt, nicht mit den vertraglichen Bestimmungen im Einklang. Denn diese untersagen es dem Antragsteller, zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen. Damit behält sich der Arbeitgeber wesentliche Entscheidungen des betrieblichen Ablaufs vor und überträgt sie gerade nicht.
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Das vertraglich vereinbarte Gehalt spricht ebenfalls gegen die Annahme, der Antragsteller werde in leitender Funktion beschäftigt. Nach § 5 Abs. 4 Nr. 3 BetrVG ist als leitender Angestellter im Zweifel derjenige anzusehen, der ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt enthält, das für leitende Angestellte in dem Unternehmen üblich ist. Hier hat der Antragsteller nicht dargelegt und belegt, dass ein Monatsbruttogehalt von 3.200 € in dem Restaurant, in dem er beschäftigt ist, üblicherweise für leitende Angestellte gezahlt wird. Es fehlt schon ein Nachweis dazu, dass es in diesem Restaurant üblicherweise leitende Angestellte gab. Es wäre indes Aufgabe des Antragstellers gewesen, solche Nachweise zu bringen, da es zu seinen Mitwirkungspflichten nach § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gehört, für ihn günstige Umstände unverzüglich geltend zu machen und die erforderlichen Nachweise beizubringen. Die Differenz zwischen dem Gehalt des Antragstellers als Koch und dem jetzt vereinbarten ist kein Beleg dafür, dass er nunmehr deutlich weiterreichende und mit erheblich größerer Verantwortung verbundene Aufgaben wahrnehmen soll. Als Koch erhielt er ein Brutto-Festgehalt in Höhe von 2.028 € monatlich. Es ist nicht erkennbar, ob der Anstieg um etwa 1.100 € den angeblich deutlich gewachsenen Verantwortungen und Aufgaben entspricht.
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Verbleiben somit auch bei der Anwendung von § 5 Abs. 4 Nr. 3 BetrVG noch Zweifel an der Einstufung der Tätigkeit des Antragstellers, ist auf § 5 Abs. 4 Nr. 4 BetrVG abzustellen. Danach ist eine Person im Zweifel dann als leitender Angestellter anzusehen, wenn sie ein regelmäßiges Jahresarbeitsentgelt erhält, dass das Dreifache der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet. Die Bezugsgröße lag für die alten Bundesländer im Jahr 2019 bei 37.380 € jährlich und 3.115 € monatlich. Das vereinbarte Gehalt des Antragstellers übersteigt gerade eben die einfache monatliche Bezugsgröße und unterschreitet klar deren dreifachen Wert.
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b) Die betrieblichen Gegebenheiten lassen ebenfalls nicht den Schluss zu, dass der Antragsteller tatsächlich in leitender Funktion beschäftigt wird.
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Zunächst fehlt ein stichhaltiger Vortrag dazu, dass in dem betreffenden Restaurant ein objektiver Bedarf nach einem leitenden Angestellten besteht. Das vorzubringen, ist ebenfalls eine Obliegenheit des Antragstellers gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Die bloße Behauptung, die Verwendung des Antragstellers in leitender Funktion entspräche den Vorstellungen des Restaurantinhabers, genügt nicht. Hier ist nicht einmal belegt, dass der Betrieb die Mindestgröße nach § 1 Abs. 1 BetrVG erreicht.
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Die zeitlichen Umstände sprechen ebenfalls gegen die Annahme, der Antragsteller werde tatsächlich in leitender Funktion eingesetzt. Denn es darf nicht übersehen werden, dass der entsprechende Arbeitsvertrag am 2. Mai 2018 zu einem Zeitpunkt abgeschlossen wurde, in dem der Ablauf der dem Antragsteller zuvor erteilten Aufenthaltserlaubnis (2. September 2018) absehbar war. Auf Grund dieses zeitlichen Zusammenhangs ergeben sich Zweifel daran, ob der Antragsteller langfristig eine leitende Funktion ausfüllen sollte.
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c) Die Fähigkeiten des Antragstellers lassen nicht den Schluss zu, er sei in leitender Funktion tätig.
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Schon seine Deutschkenntnisse reichen dazu nicht aus, wie zutreffend bereits das Verwaltungsgericht dargelegt hat; insoweit wird auf die Gründe des angegriffenen Beschlusses Bezug genommen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Der dagegen vorgebrachte Einwand, er könne sich mit den Angestellten des Restaurants und den Lieferanten auf Chinesisch verständigen, überzeugt nicht. Denn die Aufgaben eines leitenden Angestellten sollen denjenigen eines Betriebsinhabers entsprechen und beschränken sich demzufolge nicht auf den Umgang mit dem Personal und den Lieferanten. Erforderlich ist auch die Fähigkeit, sich klar und unmissverständlich mit Kunden und Behörden verständigen zu können. Ohne ausreichende Deutschkenntnisse kann der Antragsteller weder auf Reklamationen deutscher Kunden angemessen reagieren noch sicherstellen, dass Vorgaben der Gesundheitsämter richtig verstanden und umgesetzt werden. Der Hinweis auf die mögliche Unterstützung von Dolmetschern führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn es bleibt unklar, wie der Antragsteller seinen Kontrollaufgaben gerecht werden will, die sich dann ja auch auf die Überprüfung der jeweiligen Übersetzung erstrecken müssten.
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Ein weiteres Indiz gegen die Annahme, beim Antragsteller handele es sich um einen leitenden Angestellten, ist im Fehlen eines Nachweises darüber zu sehen, dass er zumindest ansatzweise Kenntnisse über die rechtlichen Rahmenbedingungen hat, die für die Führung eines Speiserestaurants gelten.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an Nr. 1.5 und 8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).
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Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
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Referenzen
- § 18 Abs. 2 Satz 1 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
- BetrVG § 1 Errichtung von Betriebsräten 2x
- VwGO § 152 1x
- § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 80 1x
- Beschluss vom Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (13. Senat) - 13 ME 204/17 1x
- BetrVG § 8 Wählbarkeit 1x
- § 3 BeschV 3x (nicht zugeordnet)
- § 18 SGB IV 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 146 1x
- BetrVG § 5 Arbeitnehmer 6x
- VwGO § 122 1x
- § 3 Nr. 1 BeschV 3x (nicht zugeordnet)
- § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG 2x (nicht zugeordnet)