Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (7. Senat) - 7 A 10889/18
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 23. November 2017 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
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Die Beteiligten streiten darum, ob die Beklagte über den in Deutschland gestellten Asylantrag der Klägerin befinden und ihr Schutz gewähren muss.
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Die Klägerin hatte vor ihrer Einreise bereits in Bulgarien einen Asylantrag gestellt; dort war ihr internationaler Schutz gewährt worden. In Deutschland stellte sie am 11. Juli 2014 erneut einen Asylantrag.
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Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 2017 als unzulässig ab, verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten, forderte die Klägerin zur Ausreise auf und drohte ihr die Abschiebung nach Bulgarien an.
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Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und Eilrechtsschutz beantragt.
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Zur Begründung hat sie ausgeführt, eine Abschiebung nach Bulgarien sei wegen systemischer Mängel nicht zulässig. Es gebe dort keinen Zugang zu einem effektiven und fairen Asylverfahren. Sie leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ihrem Ehemann sei in Deutschland der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden.
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Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. August 2017 abgelehnt.
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Die Klage ist mit Urteil vom 23. November 2017 abgewiesen worden. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung ausgeführt:
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Der Asylantrag der Klägerin habe als unzulässig abgelehnt werden dürfen, da sie in Bulgarien als Flüchtling anerkannt sei. Abschiebungsverbote lägen in ihrem Fall nicht vor. In Bulgarien seien keine systemischen Mängel bei der Betreuung von anerkannten Flüchtlingen erkennbar. Nach der Auskunftslage sei nicht anzunehmen, dass Flüchtlingen in Bulgarien kein Obdach zur Verfügung stehe oder sie die notwendige Versorgung nicht erhalten könnten. Es gebe keinen Grund, warum die Klägerin sich den Bedingungen in Bulgarien nicht stellen könnte. Die Ehe mit einem in Deutschland anerkannten Flüchtling wirke sich nicht auf die Unzulässigkeitsentscheidung aus, da die Ehe erst in Deutschland geschlossen worden sei.
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Auf ihren Antrag hin ist die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen worden.
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Zur Begründung der Berufung wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen aus der ersten Instanz. Sie verweist erneut darauf, dass sie mit einem in Deutschland anerkannten Flüchtling verheiratet sei. Sie hätten Nachwuchs bekommen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 23. November 2017 den Bescheid der Beklagten vom 12. April 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und das Asylverfahren der Klägerin durchzuführen,
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unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 23. November 2017 die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 12. April 2017 zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG zuzusprechen,
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hilfsweise festzustellen, dass der Klägerin subsidiärer Schutz gem. § 3 AsylG zugesprochen wird, bzw. dass ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 2, 3, 7 S. 2 AufenthG vorliegt,
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hilfsweise festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5, 7 S. 1 AufenthG vorliegt.
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Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
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Der Senat hat auf die Möglichkeit hingewiesen, nach § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Die Klägerin hat sich damit nicht einverstanden erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsund die Verwaltungsakte sowie auf die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel verwiesen; sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.
II.
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Der Senat entscheidet gemäß § 130a Satz 1 Alt. 2 VwGO durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet erachtet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind dazu angehört worden (§ 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ihr Einverständnis ist nicht erforderlich.
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Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin kann weder die Aufhebung des angegriffenen Bescheids noch die hilfsweise beantragte Feststellung von Abschiebungsverboten verlangen. Der Bescheid der Beklagten vom 12. April 2017 ist auch zum gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Dies gilt insbesondere für die Unzulässigkeitsentscheidung (1.) und die Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG (2.). Für die mit der Berufung hilfsweise beantragte Feststellung sonstiger Abschiebungsverbote ist kein Raum (3.).
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1. Die im Bescheid vom 12. April 2017 getroffene Unzulässigkeitsentscheidung ist rechtmäßig.
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a) Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrags der Klägerin als unzulässig ist § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG.
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Danach ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem jeweiligen Antragsteller bereits internationalen Schutz im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Dies ist hier der Fall. Bulgarien, ein Mitgliedstaat der Europäischen Union, hatte der Klägerin subsidiären Schutz zuerkannt und es sind keine Anhaltspunkte dafür dargetan oder ersichtlich, dass der Schutzstatus nicht mehr besteht oder erloschen ist.
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Mit § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG hat der nationale Gesetzgeber Art. 33 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes umgesetzt.
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Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergibt sich kein Hindernis für die Anwendung der beiden Vorschriften im konkreten Fall. Einem Mitgliedstaat ist es nur dann verboten, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Betroffenen zuvor in einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn dort erwarten, ihn der ernsthaften Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRC, dem Art. 3 EMRK entspricht, aussetzen würden (vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17, Hamed –, juris, Rn. 43). Im Rahmen des gemeinsamen Europäischen Asylsystems gilt zunächst die Vermutung, dass die Behandlung der Betroffenen im Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem Mitgliedstaat stößt, so dass ein ernsthaftes Risiko besteht, dass Personen bei einer Überstellung dorthin in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, Rn. 82 f.). Das mit einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung befasste Gericht ist daher, falls es über Angaben verfügt, die die betreffende Person zum Nachweis des Vorliegens eines derartigen Risikos vorgelegt hat, verpflichtet, auf ausreichender Grundlage unter Beachtung der Bedeutung der Grundrechte zu würdigen, ob systemische, allgemeine oder aber bestimmte Personengruppen betreffende Schwachstellen vorliegen (vgl. EuGH, Urteil vom
19. März 2019 – C-163/17, Jawo –, Rn. 90; sowie Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17, Hamed –, Rn. 38; beide juris).
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Eine auf Grund der Lebensumstände drohende konventionswidrige Behandlung ist nur anzunehmen, wenn eine besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit erreicht wird, die von sämtlichen Umständen des Falles abhängt. Sie wäre erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre. Die Schwelle wird selbst in durch große Armut oder eine starke Verschlechterung der Lebensverhältnisse der Person gekennzeichneten Situationen dann nicht erreicht, wenn sie nicht mit extremer materieller Not verbunden sind, auf Grund derer sich die Person in einer Lage befindet, die einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommt (vgl. EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim –, Rn. 89 - 91; und – C-163/17, Jawo –, Rn. 91 – 93; beide juris).
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Im Rahmen der hierbei zu treffenden Prognoseentscheidung ist eine tatsächliche Gefahr des Eintritts der maßgeblichen Umstände erforderlich, es darf nicht nur eine auf bloßen Spekulationen gegründete Gefahr bestehen. Die Gefahr einer Art. 3 EMRK – bzw. Artikel 4 GRC – zuwiderlaufenden Behandlung muss auf Grund aller Umstände des Falles hinreichend sicher und nicht nur hypothetisch sein. Es gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit; die für die Gefahr sprechenden Umstände müssen ein größeres Gewicht haben als diejenigen, die dagegensprechen (vgl. Beschluss des Senats vom 17. März 2020 – 7 A 10903/18.OVG –, juris, Rn. 34, m.w.N.).
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b) Der Klägerin droht in Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konventionswidrige Behandlung.
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Die auf dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens beruhende Vermutung, dass ihre Behandlung in Bulgarien im Einklang mit Art. 3 EMRK steht, ist nicht widerlegt.
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aa) Dies gilt schon deshalb, weil die Klägerin keine stichhaltigen Angaben im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Nachweis einer ihr drohenden extremen Notsituation gemacht hat.
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Aus ihren Ausführungen ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine ihr aktuell in Bulgarien drohende Notsituation. Zudem hat die Beklagte insoweit im angegriffenen Bescheid zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin von ihrem Ehemann unterstützt werden könne. Der von ihr in Bezug genommene Bericht des UNHCR stammt aus dem Jahr 2014 und gibt keine Auskunft über die aktuelle Lage. Die von der Klägerin zitierten Gerichtsentscheidungen ergingen vor den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 19. März 2019 (– C-297/17 u.a., Ibrahim – und – C-163/17, Jawo –), in denen die Maßstäbe für die Feststellung einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Notsituation präzisiert wurden. Die von der Klägerin genannten Entscheidungen konnten diese Maßstäbe nicht berücksichtigen und sind deshalb für die Beurteilung im vorliegenden Fall nicht entscheidend. Zudem stammen sie aus den Jahren 2013 sowie 2014 und beruhen somit auf nicht mehr ausreichend aktuellen Erkenntnisquellen.
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bb) Nach Auswertung der vorliegenden Informationsmittel ist nicht festzustellen, dass eine zurückgeführte Person mit Schutzstatus in Bulgarien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit infolge Gleichgültigkeit der dortigen Behörden in eine Situation extremer materieller Not geraten könnte, die es ihr nicht erlaubt, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, und die ihre Gesundheit beeinträchtigt oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzt.
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Anerkannte Schutzberechtigte sind – soweit hier von Bedeutung – rechtlich und tatsächlich bulgarischen Staatsbürgern gleichgestellt. Sie haben die reale Möglichkeit, sich durch Arbeit ein Existenzminimum zu sichern, sie sind nicht von Obdachlosigkeit bedroht und ihnen wird eine ausreichende medizinische Versorgung gewährt. Der Senat hat diese Feststellungen in seinem Beschluss vom 17. März 2020 (– 7 A 10903/18.OVG –, juris, Rn. 50 ff.) wie folgt begründet.
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(1) In Bulgarien als Flüchtlinge anerkannte Schutzberechtigte sind mit Ausnahme einiger Rechtspositionen, die die bulgarische Staatsbürgerschaft voraussetzen <…>), bulgarischen Staatsbürgern rechtlich gleichgestellt. <…>
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In Bulgarien anerkannte Schutzberechtigte erhalten Aufenthaltstitel, bei deren Auslaufen der Schutzstatus nicht erlischt. Die Betroffenen können in diesem Fall einen neuen Aufenthaltstitel beantragen (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 31. Dezember 2017, S. 5). <…>
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Die Berichtslage zeigt übereinstimmend, dass in den letzten Jahren (etwa seit 2017) immer weniger Schutzsuchende in Bulgarien eintreffen. Während im Jahr 2015 noch insgesamt 5.597 Personen als Schutzberechtigte anerkannt wurden, waren es in den Folgejahren deutlich weniger (2016 = 1.351; 2017 = 1.704; 2018 = 730) bis zuletzt nur noch 481 Personen im Jahr 2019 (vgl. Dr. Ilareva, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 7. April 2017, S. 8 f.; AIDA, Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2017, S. 19 und Stand: 31. Dezember 2018, S. 19; vgl. zu alledem auch die auf der Internetseite der bulgarischen staatlichen Flüchtlingsagentur „State Agency for Refugees“ – SAR – abrufbaren Statistiken, verfügbar unter: http://www.aref.government.bg/en/node/179).
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Von einem weit überwiegenden Teil von Schutzberechtigten und -suchenden wird Bulgarien nach wie vor nur als „Transitland“ angesehen. Die wenigsten von ihnen wollen dortbleiben und sich eine Existenz aufbauen (vgl. Dr. Ilareva, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 7. April 2017, S. 2; UNHCR: „Where there is a will, there is a way; private sector engagement in the employment of beneficiaries of international protection“, Stand: 26. April 2017, S. 7; Caritas Bulgaria, The Bulgarian Migration Paradox – migration and development in Bulgaria, Stand Mai 2019, S. 7). Die Tendenz zum Verlassen des Landes ist steigend (vgl. AIDA, Country Report Bulgaria, Stand 31. Dezember 2018, S. 19, dort ist für 2018 ein Anteil von 79 % der Schutzsuchenden angegeben, die Bulgarien schon während des Anerkennungsverfahrens wieder verlassen).
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Für einzelne staatliche Leistungen – beispielsweise den Zugang zu sozialer Unterstützung, den Erhalt von Identitätsdokumenten sowie den Abschluss einer Krankenversicherung – aber auch für die Anmietung privaten Wohnraums ist die Registrierung im nationalen Melderegister erforderlich. Dies stellt häufig eine administrative Hürde dar. Denn für diese Registrierung wiederum bedarf es der Angabe einer festen Wohnanschrift. <…> Nach Informationen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge können aber jedenfalls die temporären Unterkünfte als Meldeadressen genutzt werden (vgl. BAMF, Länderinformation Bulgarien, Stand: Mai 2017, S. 3; so auch OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 14/17 –, juris, Rn. 96). <…>
- 39
Anspruch auf Sozialhilfe haben anerkannt Schutzberechtigte unter denselben Bedingungen wie bulgarische Staatsangehörige (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Juli 2018, S. 2; AIDA, Contry Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2018, S. 77). <…>
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Für anerkannte Schutzberechtigte wie auch für bulgarische Staatsangehörige ist der Zugang zur staatlichen Sozialhilfe aufgrund der allgemeinen Zulassungskriterien schwierig (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Thüringen vom 18. Juli 2018, S. 2; BAMF, Länderinformation Bulgarien, Stand: Mai 2018, S. 9). Auch hier ist u. a. die Eintragung in das Melderegister Voraussetzung (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 13. Dezember 2017, S. 19; Dr. Ilareva, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 7. April 2017, S. 4; und zu den Problemen bei der Eintragung in das Melderegister die vorherigen Ausführungen). In der Praxis stellt dies ein großes Hindernis dar. Darüber hinaus sind auch die weiteren formellen Bedingungen bei der Einreichung von Sozialhilfeanträgen schwer zu überwinden, wobei Nichtregierungsorganisationen hierbei Unterstützung leisten (vgl. AIDA, Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2018, S. 77). <…>
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(2) Anerkannt Schutzberechtigte können ihren Lebensunterhalt in Bulgarien aber perspektivisch selbst erwirtschaften.
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Sie haben wie Inländer ungehinderten und automatischen Zugang zum Arbeitsmarkt (vgl. BAMF, Länderinformation Bulgarien, Stand: Mai 2018, S. 10; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 26. April 2018, S. 2). Ein fester Wohnsitz ist für eine Arbeitsaufnahme nicht erforderlich (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Trier vom 26. April 2018, S. 3). Lediglich für die Registrierung bei der Arbeitsagentur als arbeitssuchend ist ein Ausweisdokument von Nöten (vgl. Dr. Ilareva, Bericht über die rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien vom 27. August 2015, S. 3), wobei die Möglichkeiten einer staatlichen Arbeitsvermittlung und späteren Arbeitsaufnahme aufgrund der Sprachbarriere, der praktischen Nichtanerkennung von Berufsqualifikationen und einer fehlenden staatlichen Unterstützung für die Berufsausbildung beschränkt sein sollen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 18. Juli 2017, S. 6; BAMF, Länderinformation Bulgarien, Stand: Mai 2018, S. 10; AIDA, Country Report Bulgaria, Stand: 31. Dezember 2018, S. 76). Im Juni 2016 waren in bulgarischen Arbeitsämtern 61 anerkannte Schutzsuchende arbeitslos gemeldet; elf von ihnen fanden Arbeitsstellen und zehn Personen nahmen an Schulungsmaßnahmen teil (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Bulgarien, Stand: 13. Dezember 2017, S. 20).
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Der lokale Arbeitsmarkt bietet aber auch geringqualifizierten Arbeitern Möglichkeiten zur Beschäftigungsaufnahme, beispielsweise in der Landwirtschaft und Gastronomie. Diese Tätigkeiten setzen in der Regel keine hohen Sprachkenntnisse und keine besonderen Qualifizierungen voraus. Die Nachfrage nach Arbeitskräften ist besonders in den ländlichen Gebieten hoch. <…> Die nach der Erkenntnisquellenlage vorherrschenden Zugangsprobleme zum Arbeitsmarkt sind damit überwindbar (vgl. hierzu auch: VGH BW, Beschluss vom 27. Mai 2019 – A 4 S 1329/19 –, juris, Rn. 22 ff. und vom 22. Oktober 2019 – A 4 S 2476/19 –, juris, Rn. 16; SächsOVG, Urteil vom 13. November 2019 – 4 A 947/17.A –, juris, Rn. 48; OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, juris, Rn. 70 ff., HambOVG, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 1 Bf 132/17.A –, juris, Rn. 92-98).
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Hinzu kommt, dass sich die wirtschaftliche Lage Bulgariens zunehmend verbessert. Die Arbeitslosenquote in der Altersgruppe der 15- bis 74-jährigen lag im Dezember 2018 bei lediglich 5,2 % <…> (vgl. EURES, Das europäische Portal zur beruflichen Mobilität, Arbeitsmarktinformationen Bulgarien). Im Verhältnis zur Kaufkraft sind die Lebenshaltungskosten in Bulgarien EU-weit derzeit am niedrigsten. <…>
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Der Arbeitsmarkt entwickelt sich dynamisch und auch die Beschäftigungschancen für anerkannt Schutzberechtigte sind wegen der großen Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt, die als einer der Haupttrends in allen bulgarischen Wirtschaftszentren beobachtet wurde, gewaltig. Rund zwei Drittel der Arbeitgeber sind nach eigenen Angaben bereit, Flüchtlinge in ihre Betriebe aufzunehmen, auf die sie aufgrund der anhaltend hohen Abwanderung der bulgarischen Arbeitnehmer im Rahmen der EU-Freizügigkeit zunehmend angewiesen sind (vgl. Analyse des österreichischen Consulting-Unternehmens CATRO aus dem Jahre 2018 zur möglichen Integration von Schutzberechtigten in den bulgarischen Arbeitsmarkt, S. 55 ff.).
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In Übereinstimmung mit dieser Erkenntnislage teilten Nichtregierungsorganisationen, die nationale Flüchtlingsagentur SAR und der Direktor der größten Flüchtlingsunterkunft in Harmanli mit, dass sich Unternehmer immer wieder und zunehmend ausdrücklich bezüglich der Möglichkeiten erkundigen, Flüchtlinge zu beschäftigen. Generell existiert – zumindest nach Auskunft des Direktors der Unterkunft in Harmanli – sogar ein Überangebot an freien Stellen, die in der Einrichtung beworben würden (vgl. BAMF, Aktuelle Entwicklungen zur Rechtslage und Situation von Asylbewerbern und anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien, Stand: Mai 2019, S. 6). Diese Unternehmen bieten dabei nicht nur Arbeitsstellen an, sondern auch eine Unterkunft sowie Hilfe bei der Registrierung der Kinder in der Schule und in Sprachkursen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 18. Juli 2017, S. 6 f.; BAMF, Länderinformation Bulgarien, Stand: Mai 2018, S. 10).
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Die staatliche Arbeitsagentur sendet regelmäßig Arbeitsangebote an die Flüchtlingsagentur SAR, die ihrerseits – wenn möglich – Kontakte zwischen arbeitssuchenden Schutzberechtigten und dem jeweiligen Arbeitgeber herstellt (vgl. BAMF, Länderinformation Bulgarien, Stand: Mai 2018, S. 10 f.; UNHCR: „Where there is a will, there is a way; private sector engagement in the employment of beneficiaries of international protection“, Stand: 26. April 2017, S. 19). Darüber hinaus organisiert die SAR Informationsveranstaltungen mit Firmen, die Asylbewerber und anerkannte Schutzberechtigte rekrutieren möchten. <…> Im Jahr 2015 sollen insgesamt 192 Arbeitsverträge von Schutzberechtigten registriert worden sein und im Folgejahr 162. <…>
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(3) Anerkannt Schutzberechtigten droht – insbesondere auch in der Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr – nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Obdachlosigkeit.
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Zwar wird in zahlreichen Berichten und Auskünften hervorgehoben, dass die Wohnungssuche in Bulgarien für anerkannt Schutzberechtigte schwierig sei. <…>
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In der Praxis droht aber jedenfalls der Mehrheit der anerkannten Schutzberechtigten nicht die Obdachlosigkeit.
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Die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen und staatlichen Stellen in Verbindung mit der geringen Anzahl von in Bulgarien befindlichen Schutzberechtigten sorgt nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes im Ergebnis dafür, dass es kaum obdachlose Flüchtlinge gibt (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Potsdam vom 16. Januar 2019, S. 2). Dies deckt sich mit der Aussage weiterer Berichte. Lokale Nichtregierungsorganisationen und die zu den in Bulgarien vorherrschenden Lebensbedingungen mehrfach um Auskunft gebetene Sachverständige Dr. Ilareva haben keine Erkenntnisse, dass anerkannte Schutzberechtigte im Allgemeinen obdachlos oder davon besonders gefährdet seien (vgl. Dr. Ilareva, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 7. April 2017, S. 8; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 18. Juli 2017, S. 9). <…>
- 52
Bei freien Kapazitäten gewähren die – primären – Aufnahmezentren für Asylbewerber anerkannt Schutzberechtigten für bis zu sechs Monate Unterkunft. <…> Zwar besteht auf die Aufnahme in einem dieser – primären – Zentren für anerkannt Schutzberechtigte, die aus dem Ausland zurückkehren, kein Rechtsanspruch. Doch die Erkenntnismittel berichten übereinstimmend, dass diese Aufnahmezentren mittlerweile deutliche Überkapazitäten besitzen und eine Unterbringung auch in diesen Unterkünften bei einer Rückkehr durchaus möglich ist (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das Verwaltungsgericht Trier vom 26. April 2018, S. 3 und an das BAMF vom 25. März 2019, S. 2; VGH BW, Beschluss vom 27. Mai 2019 – A 4 S 1329/19 –, juris, Rn. 20).
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Darüber hinaus gibt es landesweit 12 „Zentren für temporäre Unterbringung“ mit einer Gesamtkapazität von 607 Plätzen <…>. Die Unterbringung dort ist für maximal drei Monate innerhalb eines Jahres möglich. Daneben gibt es in Sofia zwei kommunale „Krisenzentren“ für die Unterbringung von Bedürftigen während der Wintermonate mit einer Gesamtkapazität von 170 Plätzen. Die Unterbringungssituation in staatlichen Obdachlosenunterkünften ist zwar bescheiden, jedoch nicht menschenunwürdig (zu alledem: BAMF, Länderinformation Bulgarien, Stand: Mai 2018, S. 9; Auswärtiges Amt, Auskünfte an das Verwaltungsgericht Trier vom 26. April 2018, S. 2 und an das Verwaltungsgericht Potsdam vom 16. Januar 2019, S. 2). <…>
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(4) In Bulgarien anerkannt Schutzberechtigte haben einen effektiven Zugang zu einer den Anforderungen des Art. 4 GRC genügenden medizinischen Versorgung.
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Eine solche dürfte regelmäßig bereits durch die ohne weiteres zur Verfügung stehende Notfallversorgung gewährleistet sein. Die medizinische Notfallversorgung ist wie auch für bulgarische Staatsangehörige, von denen etwa eine Million nicht krankenversichert sind (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, S. 20), unabhängig vom Versicherungsstatus kostenlos (vgl. Auswärtiges Amt, Auskünfte an das OVG Niedersachsen vom 18. Juli 2017, S. 9 sowie an das Verwaltungsgericht Trier vom 26. April 2018, S. 4). Sie umfasst die Maßnahmen zur Heilung von akut lebensbedrohlichen Funktionsstörungen oder zur Aufrechterhaltung lebenswichtiger Körperfunktionen. Weder dem Auswärtigen Amt noch den Nichtregierungsorganisationen noch der Sachverständigen Dr. Ilareva sind Fälle bekannt geworden, in denen kranken Schutzberechtigten diese Versorgung verweigert worden ist und es deshalb zu ernsthaften Schäden für Leib und Leben gekommen ist (vgl. Dr. Ilareva, Auskunft an das OVG Niedersachsen: Expertise zur Lage anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien, Stand: 7. April 2017, S. 11; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 7. April 2017, S. 10).
- 56
Anerkannt Schutzberechtigte müssen sich darüber hinaus – wie bulgarische Staatsangehörige – ab dem ersten Tag ihrer Anerkennung auf eigene Kosten krankenversichern (vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bulgarien, Stand: 13. Dezember 2017, S. 20; Auswärtiges Amt, Auskunft an das OVG Niedersachsen vom 18. Juli 2017, S. 9). <…> Damit haben sie Anspruch auf eine Grundversorgung durch Hausärzte, Spezialisten und in Krankenhäusern. <…>
- 57
(5) Zuletzt ist zu berücksichtigen, dass gerade auch anerkannt Schutzberechtigte Zugang zu den Hilfeleistungen kommunaler und karitativer Einrichtungen sowie der Nichtregierungsorganisationen haben, die ein funktionierendes Auffangnetz gegen Hunger und Entbehrung bilden. <…>
- 58
cc) Nach alledem ist ein von dem eigenen Willen unabhängiger „Automatismus der Verelendung“ (vgl. hierzu: OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25. Juli 2019 – 4 LB 14/17 –, juris, Rn. 133) für nach Bulgarien zurückkehrende anerkannt Schutzberechtigte nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten.
- 59
Es kann im Übrigen nicht davon ausgegangen werden, nach Bulgarien zurückgeführte Schutzberechtigte stünden behördlicher Gleichgültigkeit gegenüber. Vielmehr wurde am 19. Juli 2017 eine neue Integrationsverordnung erlassen, nach welcher Integrationsvereinbarungen zwischen Flüchtlingen und Kommunen für ein Jahr geschlossen werden können. Diese umfassen die Erstellung eines individuellen Integrationsplans mit konkreten Integrationsmaßnahmen, wie beispielsweise Zugang zu Bildung, Beschäftigung, Ausbildung, Unterkunft, Gesundheitsversorgung sowie soziale Fürsorge und soziale Dienstleistungen (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Potsdam vom 16. Januar 2019, S. 1). <…>Zwar gibt es keine Verpflichtung der Gemeinden zur Teilnahme an dem Programm (vgl. Auskunft der Botschaft Sofia an das Auswärtige Amt vom 1. März 2018, S. 2). <…> Das mangelnde Interesse an den Integrationsvereinbarungen ist jedoch nicht lediglich den Gemeinden, sondern auch den anerkannt Schutzberechtigten zuzuschreiben, da viele von ihnen nach ihrer Anerkennung Bulgarien sofort verlassen, ohne sich zu bemühen, ernsthaft in Bulgarien – auch im ländlichen Bereich – Fuß zu fassen (vgl. Auskunft der Botschaft Sofia an das Auswärtige Amt vom 1. März 2018, S. 2; UNHCR, Representation in Bulgaria, Age, Gender and Diversity Participatory Assessment Report, 2017, S. 10).
- 60
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 19. März 2019 – C-297/17 u.a., Ibrahim u.a. –, juris, Rn. 95) liegt eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aber nur vor, wenn dem Schutzberechtigten „unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen“ eine Situation extremer materieller Not droht (vgl. auch EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540/17, Hamed u.a. – juris, Rn. 39). Dies ist nicht der Fall, wenn betroffene Personen es durch eigene Entscheidungen und Handlungen selbst in der Hand haben, eine Lage extremer materieller Not abzuwenden. Hiervon ausgehend kann von in Bulgarien anerkannten Schutzberechtigten grundsätzlich erwartet werden, dass sie eigene Anstrengungen unternehmen, um eine Unterkunft zu finden, sich eigenständig eine Existenzgrundlage aufzubauen und die ihnen formal zustehenden Rechte <…> faktisch bei den örtlichen Behörden durchzusetzen.
- 61
cc) An seiner Einschätzung, dass zurückgeführte Schutzberechtigte in Bulgarien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in eine gegen Art. 3 EMRK – bzw. Art. 4 GRC – verstoßende Notsituation geraten, hält der Senat fest.
- 62
Ihm sind keine nach dem 17. März 2020 veröffentlichten Erkenntnismittel bekannt, die eine andere Bewertung rechtfertigen. Auch die Corona-Pandemie führt nicht zu der Annahme, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass Schutzberechtigte in Bulgarien in eine konventionswidrige Situation geraten könnten. Dabei ist hinsichtlich der Auswirkungen der Pandemie zu unterscheiden.
- 63
Soweit sie bulgarische oder deutsche Behörden veranlasst, die Rückführung anerkannt Schutzberechtigter abzulehnen bzw. aufzuschieben, könnten zwar die Voraussetzungen für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG erfüllt sein. Die Frage, ob diese Vorschrift tatsächlich greift, ist jedoch für das vorliegende Verfahren ohne Bedeutung. Sie gehört nicht zum Prüfprogramm der Beklagten nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG für Entscheidungen über unzulässige Asylanträge, das lediglich Abschiebungsverbote im Sinne von § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG umfasst.
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Soweit die Auswirkungen der Pandemie die tatsächlichen Verhältnisse in Bulgarien betreffen, gibt es keine stichhaltigen Anhaltspunkte dafür, dass sich die Chancen anerkannter Flüchtlinge darauf, ihren Lebensunterhalt selbständig zu bestreiten, gravierend und nachhaltig verschlechtert hätten. Gleiches gilt in Bezug auf den Zugang zu einer Unterkunft sowie auf ausreichende Grund- und medizinische Mindestversorgung. Maßgeblich ist dabei, dass es keine Indizien für eine aus Sicht der Flüchtlinge nachhaltige Verschlechterung der Arbeitsmarktsituation und der Einstellung der bulgarischen Stellen zu ihnen gibt.
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Nach allgemein zugänglichen Quellen ist Bulgarien nicht landesweit von Corona betroffen und ein faktischer oder verordneter Stillstand des öffentlichen bzw. wirtschaftlichen Lebens ist nicht festzustellen. Die Krankheit tritt in Bulgarien regional unterschiedlich stark auf. Derzeit gibt es Infektionsherde in den Verwaltungsbezirken Blagoevgrad und in Targowischte (siewurden von Deutschland als Risikogebiete eingestuft). In den übrigen Landesteilen bewegen sich die Infektionszahlen auf niedrigerem Niveau. Seit dem 1. September 2020 ist EU-Staatsangehörigen die Einreise ohne Vorlage eines COVID-19-Tests gestattet. Es besteht Maskenpflicht bei der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs, in Apotheken und anderen geschlossenen öffentlichen Räumen (vgl. Auswärtiges Amt, Bulgarien: Reise und Sicherheitshinweise, Stand: 20. Oktober 2020; auswaertiges-amt.de; Robert Koch Institut, Informationen zur Ausweisung internationaler Risikogebiete durch das Auswärtige Amt, BMG und BMI, Stand: 15. Oktober 2020, rki.de).
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Die Arbeitsmarktsituation in Bulgarien hat sich durch die Corona-Pandemie seit dem Beschluss des Senats vom 17. März 2020 nicht so verschlechtert, dass Schutzberechtigte nicht mehr in zumutbarer Zeit Arbeit finden könnten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zwar gab es in Bulgarien wie in anderen europäischen Staaten zu Beginn der Corona-Pandemie große Einschränkungen für die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben. Diese Situation hat sich jedoch wieder geändert. Die meisten EU-Staaten – wie Deutschland – lassen die Einreise bulgarischer Staatsbürger zu. Damit können sie im EU-Ausland arbeiten und sind nicht mehr auf Arbeitsplätze in Bulgarien angewiesen, wo sie mit den Schutzberechtigten konkurrieren würden. Zudem lässt Bulgarien Touristen aus bestimmten Ländern zu. Arbeitsplätze im Bereich Tourismus stehen den Schutzberechtigten somit wieder zur Verfügung. Zudem deuten Prognosen darauf hin, dass die Wirtschaft Bulgariens 2021 den Stand erreichen wird, den sie vor der Pandemie hatte. Seit Mitte Mai ist zudem die Zahl der vermittelten Arbeitnehmer größer als die der neuen Arbeitslosen (vgl. SächsOVG, Urteil vom 15. Juni 2020 – 5 A 382/18 –, juris, Rn. 45, m.w.N.).
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Eine Gleichgültigkeit bulgarischen Stellen gegenüber schutzberechtigten Personen, die auf Grund der Corona-Pandemie den Arbeitsplatz verloren haben und deshalb öffentlicher Hilfe bedürfen, ist nicht festzustellen. So bietet die staatliche Agentur für Flüchtlinge (SAR) weiterhin in ihren Aufnahmezentren Unterkünfte für Schutzberechtigte an, selbst wenn sie keinen Rechtsanspruch mehr darauf haben, aber auf Grund der Corona-Krise von Obdachlosigkeit bedroht sind. Zudem bietet die SAR Essen an (vgl. SächsOVG, Urteil vom 15. Juni 2020 – 5 A 382/18 –, juris, Rn. 44).
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Nach diesen Erwägungen ist es – trotz Corona-Pandemie – unwahrscheinlich, dass die Klägerin in Bulgarien in eine Situation geraten könnte, die einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung gleichkommt und somit gegen Art. 3 EMRK verstößt. Dabei ist zu unterstellen, dass sie mit Ehemann und Kind nach Bulgarien zurückkehrt (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 – 1 C 45/18 –, juris, LS 2). Sie ist dann zum einen darauf zu verweisen, sich selbst Arbeit zu suchen. Da Gleiches von ihrem Ehemann erwartet werden kann, bestehen gute Chancen, dass beide den notwendigen Unterhalt der Familie bestreiten können. Nach den obigen Ausführungen ist zudem nicht zu befürchten, dass sie auch nur vorübergehend ohne Obdach und ohne Zugang zu den zum Lebensunterhalt notwendigen Dingen bzw. zu medizinischer Versorgung bleiben.
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dd) Der Hinweis der Klägerin auf ihre familiäre Situation rechtfertigt nicht ihre Anerkennung als asylberechtigt im Wege des Familienasyls.
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Die Ableitung eines solchen Anspruchs von ihrem Ehemann, der in Deutschland als schutzberechtigt anerkannt ist, scheitert daran, dass die Ehe erst in Deutschland geschlossen wurde. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1 AsylG ist für diese Art des Familienasyls erforderlich, dass die Ehe bereits in dem Staat bestand, in dem der Betroffene politisch verfolgt wurde.
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Von ihrem in Deutschland geborenen Kind kann die Klägerin ebenfalls keinen Asylanspruch ableiten. Denn die Familie bestand nicht bereits im Verfolgerstaat (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG). Zudem hat sie nicht vorgetragen, dass ihr Kind bereits als asylberechtigt oder als Flüchtling anerkannt ist (§ 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AsylG).
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2. Die weiteren Entscheidungen im angegriffenen Bescheid sind ebenfalls rechtmäßig.
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Dies gilt zunächst für die Verneinung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Die Voraussetzungen für ein solches Verbot in Verbindung mit Art. 3 EMRK sind nicht gegeben. Dazu wird auf die Ausführungen in Abschnitt 1.b) verwiesen. Ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt ebenso wenig in Betracht. Andere als die bereits betrachteten Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit der Klägerin sind nicht ersichtlich.
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Rechtmäßigkeitsbedenken in Bezug auf die in Ziffer 3 des Bescheids ausgesprochene Abschiebungsandrohung samt der Zielstaatsbestimmung sowie die in Ziffer 4 des Bescheids auf 30 Monate ab dem Tage der Abschiebung festgesetzte Befristungsentscheidung zu dem Einreise- und Aufenthaltsverbot bestehen nicht.
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3. Mit ihren weiteren Begehren kann die Klägerin nicht durchdringen.
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Der Senat prüft den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht (§ 128 VwGO). Ausweislich des Tatbestands des angegriffenen Urteils hat das Verwaltungsgericht (lediglich) geprüft, ob die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids zu verpflichten war, ein Asylverfahren durchzuführen, und ob Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorlagen. Dies entspricht dem Prüfungsumfang der Beklagten nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG.
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Über die darüberhinausgehenden Anträge der Klägerin, etwa auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG war somit nicht zu entscheiden. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG enthält kein eigenes Abschiebungsverbot.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Beschlusses wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Art nicht vorliegen.
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Referenzen
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- § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 5 Satz 1 AsylG 1x (nicht zugeordnet)
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- § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
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- VwGO § 125 1x
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- § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
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