Beschluss vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (2. Senat) - 2 B 11489/20
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 18. November 2020 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass der Antragsteller bis zum rechtskräftigen Abschluss des – von ihm innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses einzuleitenden und weiter zu betreibenden – Hauptsacheverfahrens seine Rechte als Ruhestandsbeamter nicht aufgrund des Urteils des Landgerichts Koblenz vom 31. Januar 2020 (Az. 10 KLs 2050 Js 37425/10 [2]) verloren hat. Dies schließt sowohl die Zahlung der rückständigen Versorgungsbezüge seit dem 1. Oktober 2020 als auch die Gewährung von seit diesem Zeitpunkt aufgelaufenen Beihilfeleistungen ein.
Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird, zugleich unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 18. November 2020, für beide Rechtszüge auf jeweils 58.605,34 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
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Der im Jahr 1950 geborene Antragsteller ist Ruhestandsbeamter und wendet sich gegen die Einstellung der Zahlung seiner Versorgungsbezüge.
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Der Antragsteller trat 1985 in den öffentlichen Dienst im Land Nordrhein-Westfalen ein und war als Stadtkämmerer und Oberstadtdirektor im dortigen Landesgebiet tätig. Im Jahr 1997 wechselte er nach Rheinland-Pfalz und wurde zunächst Staatssekretär und ab 2006 Minister im Ministerium der Finanzen. Während seiner Zeit als Minister beging er im Zusammenhang mit der Durchführung eines vom Antragsgegner teilweise mitfinanzierten Investitionsvorhabens (sog. Nürburgring-Affäre) vier Untreuehandlungen.
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Unmittelbar nach Bekanntwerden des Scheiterns des Investitionsvorhabens trat der Antragsteller am 7. Juli 2009 von seinem Amt als Finanzminister zurück. Drei Monate nach seinem Rücktritt erfolgte, wie gesetzlich vorgesehen, seine Versetzung in den Ruhestand. Seither und bis zur Einstellung der Zahlungen am 1. Oktober 2020 erhielt er Versorgungsbezüge in Höhe von 67,46 vom Hundert aus der Besoldungsgruppe B 10 der Landesbesoldungsordnung – LBesO –.
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Nach seiner Zurruhesetzung vom 7. Oktober 2009 sagte der Antragsteller am 2. Juli 2010 als Zeuge vor einem Untersuchungsausschuss des Landtags aus, der sich mit den Vorgängen im Zusammenhang mit der sog. Nürburgring-Affäre befasste. Im Verlauf der Ausschusssitzung vom 2. Juli 2010 machte der Antragsteller eine Aussage, die nicht der Wahrheit entsprach.
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Mit Urteilen vom 16. April 2014 – Az.: 4 KLs 2050 Js 37425/10 – und 31. Januar 2020 – Az.: 10 KLs 2050 Js 37425/10 (2) – verurteilte das Landgericht Koblenz den Antragsteller wegen der vier während seiner Ministerzeit begangenen Untreuehandlungen sowie der nach seiner Zurruhesetzung gemachten falschen uneidlichen Aussage vor dem Untersuchungsausschuss zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Ausweislich der Entscheidungsgründe des letztgenannten Urteils setzte die Strafkammer bei der Bildung der Gesamtstrafe für die falsche uneidliche Aussage als höchste verwirkte Einsatzstrafe ein Jahr und vier Monate ein. Für die vier Untreuehandlungen wurden jeweils sechs, acht, neun und zehn Monate Freiheitstrafe als Einzelstrafen festgesetzt. Die Strafkammer berücksichtigte strafmildernd, dass der Antragsteller nach ihrer Auffassung mit Rechtskraft der Entscheidung seine beamtenrechtliche Versorgung verlieren werde. Das Urteil wurde am 19. August 2020 rechtskräftig, nachdem der Bundesgerichtshof die hiergegen eingelegte Revision des Antragstellers mit Beschluss vom 18. August 2020 – 3 StR 245/20 – als unbegründet verworfen hatte. In den Entscheidungsgründen wird unter anderem ausgeführt, die Strafzumessung des Landgerichts lasse keine Rechtsfehler erkennen; die Strafkammer habe auch bedacht, dass der Angeklagte mit Rechtskraft des Urteils seine Pensionsansprüche verlieren werde.
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Weder in dem Urteil des Landgerichts noch in dem Beschluss des Bundesgerichtshofes werden Vorschriften genannt, aus welchen sich der Verlust der Versorgungsansprüche des Antragstellers ergebe; in den Entscheidungen finden sich auch keine Begründungen für die nach Auffassung der beiden Strafgerichte kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge der strafgerichtlichen Verurteilung.
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Nach Ergehen der Entscheidung des Landgerichts und noch vor Ergehen der Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs hatte die Staatskanzlei dem Antragsteller durch E-Mail vom 20. April 2020 mitgeteilt, dass wegen der ihrer Auffassung nach eindeutigen gesetzlichen Regelung im rheinland-pfälzischen Beamtenversorgungsrecht kein Verlust seiner Pensionsansprüche drohe.
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Ohne vorherige Ankündigung oder Anhörung teilte das Landesamt für Finanzen dem Antragsteller durch ihm frühestens am 26. September 2020 zugegangenes Schreiben vom 24. September 2020 mit, dass der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18. August 2020 festgestellt habe, dass er – der Antragsteller – mit Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Koblenz seinen Anspruch auf Beamtenversorgung und damit verbunden auch auf Beihilfeleistungen verloren habe. Da der Beschluss des Bundesgerichtshofs seit dem 19. August 2020 rechtskräftig sei, werde die Zahlung seiner Versorgungsbezüge ab dem Monat Oktober 2020 fortlaufend eingestellt.
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Eine Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung hatte der Antragsgegner zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt.
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Am 1. Oktober 2020 stellte der Antragsgegner sämtliche Versorgungszahlungen und Beihilfeleistungen ein.
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Der Antragsteller suchte daraufhin am 9. Oktober 2020 beim Verwaltungsgericht Koblenz um Eilrechtsschutz nach, um seine Versorgungsbezüge und Beihilfeleistungen vorübergehend weiterhin zu erhalten. Er beziehe nach dem Wegfall seiner Pension ab Oktober 2020 nur noch eine Altersrente aus einer früheren sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit sowie einen Krankenkassenzuschuss. Eine Nachversicherung habe der Antragsgegner vor seiner ohne jede Vorankündigung erfolgten Einstellung der Versorgungsleistungen nicht in die Wege geleitet. Der unangekündigte und vollständige Wegfall seiner Haupteinkünfte führe aufgrund seiner hohen Schuldenlast aktuell zunächst zu einem Notverkauf seines Eigenheimes und sodann zwangsläufig zur Privatinsolvenz. Zum Beleg hierfür reichte der Antragsteller eine Aufstellung ein, in der er seine private finanzielle Situation vor und nach dem Entzug der Pension im Einzelnen darstellte. Die Zusammenstellung, die sein Bevollmächtigter der Antragsschrift vom 9. Oktober 2020 als Anlage beifügte, ist überschrieben mit „(…) 27.09.2020“ (Bl. 29 der Gerichtsakte).
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Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 18. November 2020 ab. Der Antragsteller habe bereits keine besondere Eilbedürftigkeit und damit keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Aufstellung über seine private finanzielle Situation genüge den Anforderungen an eine Glaubhaftmachung nicht. Dem Gericht sei schon nicht bekannt, wer die Aufstellung zu seiner finanziellen Situation gefertigt habe. Zudem habe der Antragsteller es versäumt, die einzelnen Positionen substantiiert nachvollziehbar zu machen. Außerdem sei kein Anordnungsanspruch gegeben. Der Antragsteller habe seine Versorgungsbezüge aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten schon deshalb verloren, weil viel dafür spreche, dass er bereits mit Beginn seiner Tätigkeit als Minister der Finanzen in den Ruhestand getreten sei. Da der Antragsteller damit sämtliche der mit insgesamt zwei Jahren und drei Monaten abgeurteilten Straftaten im Ruhestand begangen habe und das Gesetz bei einem Ruhestandsbeamten den Verlust der Beamtenrechte schon ab einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren vorsehe, habe der Antragsgegner die Zahlung der Versorgungsbezüge zurecht eingestellt. Der Antragsteller habe seine Rechte als Ruhestandsbeamter aber auch dann verloren, wenn man davon ausgehe, dass seine Versetzung in den Ruhestand erst am 7. Oktober 2009 erfolgt sei. Dann habe er zwar die vier Untreuehandlungen noch vor seiner Pensionierung begangen. Die für Ruhestandsbeamte geltende Strafmaßgrenze von zwei Jahren werde aber auch in diesem Fall erreicht. Denn die Einsatzstrafen für die vier Untreuehandlungen müssten mit der auf ein Jahr und vier Monate erfolgten Verurteilung wegen uneidlicher Falschaussage zusammengerechnet werden. Jede andere Sichtweise würde zu einer Besserstellung und zu unerträglichen Wertungswidersprüchen führen. Eine solche Privilegierung des Antragstellers habe der Gesetzgeber nicht intendiert.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsstellers, mit der er unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags an seinem Feststellungs- und Leistungsbegehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes festhält. Der Antragsgegner hält dagegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts für zutreffend und tritt der Beschwerde mit ergänzenden Ausführungen entgegen.
II.
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Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.
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1. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist in Form der Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung
– VwGO – statthaft.
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a) Der Antragsteller kann seine Rechte nicht im Wege eines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO verfolgen. Ein solcher Antrag käme im Wege des verwaltungsgerichtlichen Eilrechtschutzes nach § 123 Abs. 5 VwGO nur dann in Betracht, wenn das Schreiben des Landesamtes für Finanzen vom 24. September 2020, mit dem die Behörde dem Antragsteller mitteilte, dass er seinen Anspruch auf Zahlung von Versorgungsbezügen ab dem 1. Oktober 2020 verlieren werde, als feststellender und damit belastender Verwaltungsakt im Sinne von § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz in Verbindung mit § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz zu qualifizieren wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Denn mit diesem Schreiben wollte die Behörde erkennbar keine Einzelfallentscheidung treffen, sondern lediglich das aus ihrer Sicht seit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Koblenz bereits kraft Gesetzes eingetretene Erlöschen seiner Versorgung deklaratorisch mitteilen. Zwar findet sich in dem Schreiben auch eine Äußerung in Bezug auf die Beihilfeleistungen, die entgegen der Behauptung des Landesamtes nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs abzuleiten ist (weil sie dort nicht aufgeführt wird). Andererseits ist wegen der auch insofern vollständig unterbliebenen Prüfung sämtlicher Tatbestandsvoraussetzungen für einen Beihilfeverlust nicht davon auszugehen, dass die Festsetzungsbehörde über den aus ihrer mutmaßlichen Sicht gleichfalls bereits kraft Gesetzes eingetretenen Verlust der Beihilfeberechtigung hinaus eine eigenständige Regelung treffen wollte.
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b) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist allerdings gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO als sog. Regelungsanordnung statthaft. In der Hauptsache kann der Antragsteller eine Klage auf Erlass eines das Weiterbestehen seiner Versorgungsberechtigung feststellenden Verwaltungsaktes, mithin eine Verpflichtungsklage erheben (so Thüringer OVG, Urteil vom 11. Februar 2003 – 2 KO 548/01 –, juris Rn. 51). Möglich ist auch eine unmittelbar auf weitere Zahlung der Versorgungsbezüge gerichtete allgemeine Leistungsklage (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1970 – VI C 8.69 –, BVerwGE 36, 179 [182]). Für die Frage des statthaften Eilantrags ist es insofern nicht erheblich, welche Klageart der Antragsteller im Hauptsacheverfahren wählt. Zur vorläufigen Wahrung seiner Rechte ist in beiden Klagearten die begehrte Regelungsanordnung statthaft und auch sonst zulässig.
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2. Der danach zulässige Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist auch begründet.
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Nach dieser Vorschrift sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Zivilprozessordnung – ZPO –). Beide Voraussetzungen liegen im Fall des Antragstellers vor.
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a) Dem Antragsteller steht ein Anordnungsgrund zur Seite. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach sein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schon deshalb nicht erfolgreich sein kann, weil insofern kein „besonderes Eilbedürfnis“ erkennbar sei, nicht. Denn er hat sowohl wesentliche Nachteile als auch andere Gründe im Sinne von § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht (aa). Unabhängig hiervon liegt ein Anordnungsgrund auch offenkundig vor (bb).
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aa) Zur Glaubhaftmachung genügt es, dass das Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen – abweichend vom Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO – überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. OVG RP, Beschluss vom 25. Juni 1990 – 2 B 11182/90.OVG –, NVwZ 1990, 1087 [1088]; HessVGH, Beschluss vom 5. Februar 1993 – 7 TG 2479/92 –, juris Rn. 2; Schenke, in: Kopp/Schenke [Hrsg.], VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 23). Hierzu kann sich ein Antragsteller grundsätzlich aller Beweismittel einschließlich der Versicherung an Eides Statt bedienen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Oktober 1995 – 7 B 163.95 –, NJW 1996, 409; unter Verweis auf § 294 ZPO).
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Diesen Anforderungen wird der Eilantrag des Antragstellers gerecht. Die am 27. September 2020 gefertigte und dem Eilantrag vom 9. Oktober 2020 beigefügte Auflistung seiner monatlichen Einnahmen und Verpflichtungen lässt erkennen, wer diese gefertigt hat, da sie als Überschrift den Namen des Antragstellers aufweist. Davon abgesehen hat sein Bevollmächtigter die vom Antragsteller eigenhändig verfasste Gegenüberstellung von Einnahmen und Ausgaben seiner Antragsschrift als Anlage beigefügt und hierauf in seiner Antragsbegründung zur Glaubhaftmachung ausdrücklich Bezug genommen. Damit hat der Bevollmächtigte sich diese Ausführungen in prozessual zulässiger Weise zu eigen gemacht.
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Die vom Verwaltungsgericht des Weiteren vermisste Vorlage von Belegen für die vom Antragsteller im Einzelnen aufgelisteten und erläuterten Verpflichtungen hätte, ebenso wie die von der Vorinstanz zusätzlich für erforderlich gehaltene Eidesstattliche Versicherung, ohne Weiteres vor Ergehen des Beschlusses vom 18. November 2020 gefordert werden können, statt ohne einen vorherigen rechtlichen Hinweis den begehrten Eilrechtschutz schon wegen des Fehlens eines „besonderen Eilbedürfnisses“ abzulehnen. Auf Nachfrage des Senats hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren sowohl Belege für seine finanzielle Situation vorgelegt als auch eine eidesstattliche Versicherung abgegeben.
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bb) Abgesehen von diesen Erwägungen gibt der konkrete Ablauf des Verfahrens dem Senat Veranlassung, auf Folgendes hinzuweisen: Der Antragsteller wurde, wie bereits dargelegt, mit Schreiben des Landesamtes für Finanzen vom 24. September 2020, zugegangen nicht vor dem 26. September 2020, davon in Kenntnis gesetzt, dass ihm seine seit elf Jahren gezahlten Versorgungsbezüge nur wenige Tage später, am 1. Oktober 2020, vollständig entzogen werden. Da dem Antragsteller ab der vollständigen Einstellung aller Versorgungszahlungen seine Rente aus der Nachversicherung noch nicht einmal als Abschlag ausgezahlt wurde, musste er ab diesem Tag seine gesamten finanziellen Verpflichtungen mit der ihm nunmehr allein verbleibenden Altersrente aus einer früheren sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit bedienen. Der Antragsteller wurde durch die innerhalb von nur drei Werktagen vollzogene Einstellung aller Zahlungen, auf die er sich, auch wegen der entgegenstehenden „Sprachregelung“ der Staatskanzlei, noch nicht einmal vorbereiten konnte, de facto in den Status eines Sozialhilfeempfängers versetzt. Bei einer solchen Sachlage ist ein Grund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung derart offenkundig, dass es im Grunde keiner Glaubhaftmachung mehr bedarf.
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Nur am Rande sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass dem Antragsteller, wären ihm seine Versorgungsbezüge wegen eines besonders schweren Dienstvergehens gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 Landesdisziplinargesetz – LDG – im Disziplinarwege aberkannt worden, nach § 10 Abs. 2 LDG für die Dauer von sechs Monaten ein Unterhaltsbeitrag in Höhe von 70 % seines Ruhegehaltes zugestanden hätte. Mit dieser Regelung bringt der Gesetzgeber als Ausfluss der verfassungsrechtlich verankerten Fürsorgepflicht des Dienstherrn (Art. 33 Abs. 5 Grundgesetz – GG –, Art. 126, 127 Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –) zum Ausdruck, dass ein Beamter, auch wenn er aus dem Dienst entfernt oder ihm das Ruhegehalt aberkannt wird, zumindest für einen (vom Gesetzgeber mit sechs Monaten definierten Übergangszeitraum) nicht gezwungen werden soll, Sozialhilfe zu beantragen oder – wie hier – eine Privatinsolvenz einzuleiten. Auch wenn diese Regelung auf den Antragsteller, der nicht disziplinarisch, sondern kraft Gesetzes seine Versorgung verlieren soll, nicht unmittelbar anwendbar ist, so macht sie doch deutlich, dass eine nahezu vollständige Entziehung der wirtschaftlichen Grundlage eines ehemaligen Beamten innerhalb von nur drei Werktagen ohne vorherige Ankündigung und Anhörung sowie ohne Sicherstellung einer Minimalversorgung (etwa in Form eines Abschlages auf die zu erwartenden Zahlungen aus der Nachversicherung) mit dem höherrangigen Verfassungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 5 GG, Art. 126, 127 LV so offenkundig unvereinbar ist, dass sich allein hieraus ein Anordnungsgrund herleiten lässt. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller nach seinen unwidersprochen gebliebenen Angaben bis zum Zeitpunkt des Ergehens dieser Entscheidung noch keine Altersrente aus der angekündigten Nachversicherung erhalten hat.
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cc) Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass der Erlass der vom Antragsteller beantragten Anordnung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu einer vollständigen Weiterzahlung der Versorgungsbezüge führen wird. Gerade wegen der von ihm nachvollziehbar dargelegten Möglichkeit einer Privatinsolvenz besteht somit die Gefahr, dass ihm in der Zwischenzeit gewährte Versorgungsbezüge im Fall einer später erfolgenden Privatinsolvenz vom Antragsgegner ganz oder teilweise nicht mehr erfolgreich zurückgefordert werden könnten. Aus diesem Grund stellt die vom Antragsteller begehrte vorläufige Weiterzahlung jedenfalls für den Antragsgegner eine zumindest teilweise Vorwegnahme der Hauptsache dar. Um jedoch einen effektiven Rechtsschutz im Sinne von Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, Art. 124 LV zu gewährleisten, steht das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache einer einstweiligen Anordnung hier ausnahmsweise nicht entgegen.
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In einem solchen Fall kann die begehrte Eilmaßnahme aber nur ergehen, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 – 2 BvR 745/88 –, BVerfGE 79, 69 [75]; BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 – 10 C 9.12 –, BVerwGE 146, 189 [197], Beschlüsse vom 14. Dezember 1989 – 2 ER 301.89 –, juris, Rn. 3 und vom 13. August 1999 – 2 VR 1.99 –, BVerwGE 109, 258 [262]; VGH BW, Beschluss vom 31. März 2015 – 4 S 630/15 –, juris Rn. 2; Schenke, in: Kopp/Schenke [Hrsg.], VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 14 m.w.N.). Die Hauptsache, nämlich die weitere Zahlung der Versorgungsbezüge des Antragstellers, darf daher nur vorweggenommen werden, wenn ihm das Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ihm im Zeitpunkt der Eilentscheidung ein Anspruch auf eine beamtenrechtliche Versorgung zusteht. Ein derart hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen in der Hauptsache ist, wie nachfolgend aufgezeigt wird, im vorliegenden Fall gegeben.
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b) Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht. Nach den im Eilverfahren vorliegenden Erkenntnissen kann der Antragsteller vom Antragsgegner die weitere Zahlung seiner Versorgungsbezüge verlangen. Denn er hat seine Rechte als Ruhestandsbeamter nicht aufgrund der am 19. August 2020 eingetretenen Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Koblenz vom 31. Januar 2020 verloren.
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aa) Entgegen der Auffassung des Landesamtes für Finanzen in dem Schreiben vom 24. September 2020 ergibt sich das Erlöschen des dem Antragsteller seit seiner Zurruhesetzung am 7. Oktober 2009 zustehenden Versorgungsanspruchs weder aus den Ausführungen des Landgerichts Koblenz im Urteil vom 31. Januar 2020 noch aus den Gründen des Beschlusses des Bundesgerichtshofes vom 18. August 2020. Denn diese Gerichte geben zum Beleg für ihre Behauptung, der Antragsteller werde seine Pension verlieren, noch nicht einmal die hierfür maßgebliche beamtenrechtliche Vorschrift an. Die Strafgerichte bilden darüber hinaus keinen rechtlichen Maßstab, benennen nicht die Tatbestandsvoraussetzungen für einen solchen Rechtsverlust und führen keine Subsumtion durch. Dies alles brauchten sie aber auch nicht, da beide Gerichte für eine rechtsverbindliche Feststellung des Verlustes der Versorgungsbezüge des Antragstellers schon nicht zuständig sind. Darüber hinaus bezogen sich ihre Ausführungen nur auf das Vorliegen eines Strafmilderungsgrundes und wirkten sich damit im Strafverfahren lediglich zu Gunsten des Antragstellers aus. Dass sich das Landesamt für Finanzen zur Begründung für die innerhalb nur weniger Tage erfolgte vollständige Einstellung aller Versorgungs- und Beihilfeleistungen ohne eigenständige Bewertung der Rechtslage allein auf diese strafgerichtlichen Entscheidungen berufen hat, kann deshalb nur als offensichtlich unzureichend gewertet werden.
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bb) Die allein in Betracht kommende Rechtsgrundlage für den Verlust der Versorgungsbezüge des Antragstellers ist § 70 Abs. 1 Satz 1 Landesbeamtenversorgungsgesetz – LBeamtVG – vom 18. Juni 2013 (GVBl. S. 157), zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 23. September 2020 (GVBl. S. 516). Nach Nr. 1 dieser Vorschrift verliert ein Ruhestandsbeamter, gegen den wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat eine Entscheidung ergangen ist, die nach § 24 Beamtenstatusgesetz – BeamtStG – zum Verlust seiner Beamtenrechte geführt hätte (unter anderem die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr durch ein deutsches Strafgericht im ordentlichen Strafverfahren), mit der Rechtskraft der Entscheidung seine Rechte als Ruhestandsbeamter und damit auch seine beamtenrechtliche Versorgung. Die gleiche Rechtsfolge tritt ein, wenn ein Ruhestandsbeamter wegen einer nach Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen vorsätzlichen Tat durch ein deutsches Gericht im Geltungsbereich des Grundgesetzes im ordentlichen Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist (§ 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a LBeamtVG).
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cc) Die Dienstbehörden und die Verwaltungsgerichte sind hierbei an die strafgerichtlichen Entscheidungen dergestalt gebunden, dass allein zu prüfen ist, ob eine Entscheidung eines deutschen Strafgerichts vorliegt, die Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Tat erfolgte, das Strafmaß die jeweils mindestens erforderliche Zeitdauer (abgesehen von Friedensverrat, Hochverrat u. ä. bei Straftaten vor Beendigung des Beamtenverhältnisses ein Jahr und bei danach begangenen Taten zwei Jahre) erreicht und ob die Entscheidung rechtskräftig ist. Der Rechtsverlust tritt dann kraft Gesetzes ein, ohne dass ein dies umsetzender Verwaltungsakt erforderlich wird. Eine gleichwohl ergehende Mitteilung ist – wie vorstehend bereits dargelegt – lediglich deklaratorischer Natur.
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Nicht zulässig sind ergänzende Erwägungen oder tatsächliche Feststellungen der Verwaltungsgerichte, die sich auf eine der vorstehenden Voraussetzungen beziehen, zum Beispiel, ob bei einer verhängten Gesamtstrafe wegen vorsätzlich und fahrlässig begangenen Einzeldelikten der Strafanteil, der sich auf die Vorsatztat bezieht, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr geführt hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für den kraft Gesetzes eintretenden Verlust aller Beamtenrechte müssen sich vielmehr zweifelsfrei aus dem Strafurteil selbst ergeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 2 C 51.88 –, BVerwGE 84, 1 [3]; Urteil vom 28. Mai 1998 – 2 C 3.98 –, BVerwGE 107, 34 [37]; Reich, BeamtVG, 2. Aufl. 2019, § 59 Rn. 6; May, in: Schütz/Maiwald; Beamtenrecht, Stand September 2020, § 59 BeamtVG Rn. 17; Wilhelm, in: Fürst u.a. [Hrsg.] GKÖD, Stand August 2020, § 59 BeamtVG Rn. 10).
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dd) Der Anwendbarkeit der Verlustregelung von § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG steht nicht entgegen, dass das Landgericht den Antragsteller nicht wegen einer einzelnen Tat, sondern wegen mehrerer, in Tatmehrheit begangener, Einzeltaten zur einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt hat. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist seit langem geklärt, dass auch mehrere zu unterschiedlichen Zeiten und durch voneinander unabhängige (tatmehrheitliche) Handlungen erfolgende Verstöße gegen Strafnormen als „eine Tat“ im Sinne einer solchen Verlustregelung anzusehen sind. Zwar läge es nahe, den Begriff „einer vorsätzlichen Tat“ so zu verstehen, dass damit nur eine einzige konkrete Handlung oder Unterlassung gemeint sei. Danach käme es nicht auf die Höhe der Gesamtstrafe, sondern auf die jeweilige Einzelstrafe an. Dies würde jedoch nicht dem Sinn und Zweck der Regelung entsprechen. Es ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung insofern seit Jahren geklärt, dass eine Verurteilung „wegen einer vorsätzlichen Tat“ auch dann vorliegt, wenn wegen mehrerer vorsätzlich begangenen Rechtsverletzungen eine Gesamtfreiheitsstrafe – selbst wenn sie nachträglich gebildet wird – ausgesprochen worden ist. Denn ein Beamter (im Ruhestand), der eine Freiheitsstrafe von insgesamt einem Jahr (bzw. zwei Jahren) durch mehrere Rechtsverstöße verwirkt hat, hat sich nicht weniger untragbar gemacht als ein Beamter, gegen den eine solche Strafe bereits nach einem einzigen Rechtsverstoß verhängt werden musste. Insofern besteht auch kein Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes. Als „eine vorsätzliche Tat“ im Sinne der beamtenrechtlichen Verlustregelungen ist das dem Strafausspruch wegen vorsätzlichen Handelns insgesamt zugrundeliegende Verhalten anzusehen (vgl. zur inhaltsgleichen Bundesnorm: BVerwG, Urteil vom 29. Dezember 1969 – VI C 4.65 –, BVerwGE 34, 353 [356 f.]; Beschluss vom 10. Juni 1992 – 2 B 88.92 und 2 C 13.92 –, juris Rn. 1; Urteil vom 15. Mai 1997 – 2 C 39.96 –, juris Rn. 29; OVG NW, Urteil vom 15. April 1999 – 12 A 2950/98 –, juris Rn. 2; BayVGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2016 – 3 ZB 14.1307 –, juris Rn. 9; und vom 5. August 2019 – 3 ZB 17.2479 –, juris Rn. 13). Dem folgt die ganz überwiegende Kommentarliteratur (Leihkauff in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsrecht des Bundes und der Länder, Stand Dezember 2019, § 59 BeamtVG Rn. 11; May, in: Schütz/Maiwald; Beamtenrecht, Stand September 2019, § 59 BeamtVG Rn. 22; Plog/Wiedow, Kommentar zum Bundesbeamtengesetz, Stand: Januar 2021, § 41 BBG Rn. 8; Zängl, in: Fürst u.a. [Hrsg.] GKÖD, Stand August 2020, § 41 BBG Rn. 22; a. A. soweit ersichtlich nur Reich, a.a.O. § 59 Rn. 6).
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ee) Problematisch und deswegen klärungsbedürftig ist dagegen die vom Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung aufgeworfene Frage, ob sich der Antragsteller womöglich schon ab dem 18. Mai 2006, dem Zeitpunkt seiner Ernennung zum Minister, im Ruhestand befand. Träfe dies zu, dann hätte er sämtliche Straftaten im Ruhestand begangen. In diesem Fall wäre die zeitliche Grenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe (§ 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a LBeamtVG) eindeutig überschritten. Der Senat beantwortet diese, von der Vorinstanz zwar gestellte, jedoch letztlich offen gelassene Frage dahingehend, dass der Antragsteller die vier Mitte 2008 und Anfang 2009 begangenen Untreuehandlungen noch im aktiven Dienstverhältnis, die falsche uneidliche Aussage dagegen im Ruhestand begangen hat.
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Was unter einer „Beendigung des Beamtenverhältnisses“ im Sinne von § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG zu verstehen ist, ergibt sich zunächst aus § 21 BeamtStG. Danach endet das Beamtenverhältnis durch Entlassung, Verlust der Beamtenrechte, Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach den Disziplinargesetzen oder Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand. Hier trifft keine der vier vorgenannten Alternativen zu.
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Allerdings war der Antragsteller ab dem 18. Mai 2006 als Minister der Finanzen Mitglied der Landesregierung. Deswegen gilt in seinem Fall das Landesgesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Landesregierung Rheinland-Pfalz (Ministergesetz – MinG –) vom 12. August 1993 (GVBl. S. 455). Nach § 1 MinG stehen die Mitglieder der Landesregierung nach Maßgabe der Verfassung für Rheinland-Pfalz und dieses Gesetzes zum Land in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis. Wird ein Beamter des Landes zum Mitglied der Landesregierung ernannt, so scheidet er zwar mit dem Beginn dieses Amtsverhältnisses aus seinem bisherigen Amt als Beamter aus. Für die Dauer der Mitgliedschaft ruhen die in seinem Dienstverhältnis begründeten Rechte und Pflichten (mit Ausnahme der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und des Verbots der Annahme von Belohnungen oder Geschenken) jedoch nur. Dies ist nicht gleichzusetzen mit dem Eintritt in den Ruhestand.
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Ein solches „Ruhen“ ist nicht als eine Beendigung im Sinne von § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG zu werten. Der Antragsteller steht als Mitglied der Landesregierung vielmehr nach wie vor in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis (vgl. § 1 MinG). Wenn ein Mitglied der Landesregierung, wie in § 16 Abs. 1 MinG geregelt, aus seinem bisherigen Amt als Beamter ausscheidet, so ist dies auf das jeweilige Statusamt, nicht aber auf die Eigenschaft als Angehöriger in einem „besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis“ im Sinne von Art. 33 Abs. 4 GG, Art. 125 LV bezogen. Seit seiner Ernennung zum Landesminister war der Antragsteller vielmehr nur statusrechtlich nicht mehr Angehöriger der Verwaltung („Exekutive)“, sondern der Regierung (sog. Gubernative).Für solche Fälle hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst klargestellt, dass aktives Beamtenverhältnis und Ruhestandsverhältnis strikt voneinander zu trennen sind und nicht gleichzeitig bestehen können (BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 2020 – 2 C 9.20 –, juris Rn. 10). Ein „Ruhen“ von beamtenrechtlichen Rechten und Pflichten ist mithin jedenfalls dann als aktives Beamtenverhältnis zu qualifizieren, wenn nach dem Gesetz (hier gemäß § 16 Abs. 2 MinG) die Zurruhesetzung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Das trifft auf den Antragsteller zu, weil er, wie gesetzlich vorgesehen, drei Monate nach seinem Rücktritt als Landesminister am 7. Oktober 2009 in den Ruhestand getreten ist.
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ff) Da sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der vier Untreuehandlungen Ende 2008/Anfang 2009 deshalb noch gemäß §§ 1 und 16 MinG in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis und nicht im Ruhestand befand, folgt hieraus die für die Aberkennung seiner Rechte als Ruhestandsbeamter zentrale Frage, ob die Verurteilung zu einer Gesamt-Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten die Voraussetzungen des § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG erfüllt. Das ist, wie nachfolgend aufgezeigt wird, nicht der Fall.
- 39
Das Landgericht Koblenz hat in seinem Urteil vom 31. Januar 2020 eine Gesamtstrafe gebildet. Rechtlicher Ausgangspunkt und Maßstab einer Gesamtstrafenbildung ist § 54 Abs. 1 Satz 1 Strafgesetzbuch – StGB –. Danach wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, hier also durch Erhöhung der vom Landgericht für die uneidliche Falschaussage festgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten um die Einzelstrafen für die vier Untreuehandlungen, gebildet.
- 40
In Bezug auf die uneidliche Falschaussage, die unzweifelhaft nach der Zurruhesetzung des Antragstellers erfolgte, erfüllt die strafgerichtliche Verurteilung wegen dieser Tat mit einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe nicht die für den Verlust der Beamtenrechte erforderliche zeitliche Vorgabe des § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a LBeamtVG. Dafür hätte das Landgericht eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verhängen müssen.
- 41
Die vier vom Antragsteller begangenen Untreuehandlungen erfolgten – wie bereits dargelegt – noch vor seiner Zurruhesetzung; die strafgerichtliche Verurteilung wegen dieser Taten erfüllt jedoch gleichfalls nicht die erforderlichen zeitlichen Vorgaben des § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG, diesmal allerdings nicht nach Nr. 2 Buchst. a, sondern nach Nr. 1 der Vorschrift (in Verbindung mit § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG). Denn für einen mit Rechtskraft der Entscheidung eintretenden Verlust der Versorgungsbezüge hätte das Landgericht für die vier in der Ministerzeit des Antragstellers begangenen Untreuehandlungen zumindest eine Freiheitsstrafe von zusammengerechnet einem Jahr (12 Monate) festsetzen müssen. Dies ist jedoch unterblieben.
- 42
Zwar hat das Landgericht in seinem Urteil für die vier Untreuehandlungen jeweils Einzelstrafen von 6, 8, 9 und 10 Monaten ausgeworfen. Nach Abzug der (1 Jahr und 4 Monate =) 16 Monate, die das Strafgericht für die uneidliche Falschaussage als höchste Einsatzstrafe verhängt hat, bleiben für die vier abgeurteilten Untreuehandlungen bei einer Gesamtstrafe von (2 Jahren und 3 Monaten =) 27 Monaten jedoch nur noch (27 – 16 =) 11 Monate übrig. Damit erreicht die verhängte Freiheitsstrafe für die vier vor der Zurruhesetzung des Antragstellers begangenen Straftaten unter keinen denkbaren Umständen den gemäß § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBeamtVG erforderlichen Mindestzeitraum von einem Jahr.
- 43
Nicht zulässig ist eine nachträgliche Addition der für die vier Untreuehandlungen festgesetzten einzelnen Einsatzstrafen von 8, 6, 9 und 10 Monate (dies wären zusammengerechnet 33 Monate) im Sinne einer „nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe“ dergestalt, dass für die vor der Zurruhesetzung begangenen Straftaten eine insgesamt höhere Freiheitsstrafe als 11 Monate angenommen würde. Dies wäre mit den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts in den Urteilen vom 12. Oktober 1989 (2 C 51.88, BVerwGE 84, 1) und vom 28. Mai 1998 (2 C 3.98, BVerwGE 107, 34) nicht vereinbar, wonach den Verwaltungsgerichten ergänzende strafrechtliche Erwägungen für die Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen der beamtenrechtlichen Verlustvorschriften (§ 59 BeamtVG bzw. § 70 LBeamtVG) verwehrt sind. Dies wäre insbesondere deshalb unzulässig, weil in diesem Fall der Senat dann zwangsläufig auch die für die uneidliche Falschaussage ausgeworfene höchste Einsatzstrafe von 1 Jahr und 4 Monate (= 16 Monate) herabzusetzen hätte, um rechnerisch überhaupt noch auf eine Gesamtstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten (= 27 Monate) zu gelangen. Damit würde der Senat in unzulässiger Weise in die Strafmaßfestsetzung des Landgerichts eingreifen.
- 44
gg) Aus dieser Konstellation ergibt sich die zentrale Frage des Falles: Der Antragsgegner und ihm folgend das Verwaltungsgericht sind der Auffassung, dass die vorstehende Betrachtungsweise, die sich stringent an den beiden Gesetzesalternativen orientiert und im Übrigen der in einer „Sprachregelung“ enthaltenen Auffassung der Staatskanzlei vom 20. April 2020 entspricht, nicht zutreffend sei. Vielmehr müssten beide Freiheitsstrafen – die Einsatzstrafe von 16 Monaten für die uneidliche Falschaussage und die weiteren Freiheitsstrafen für die vier Untreuehandlungen mit zusammengerechnet 11 Monaten – unabhängig von der Frage, ob die zugrundeliegenden Straftaten vor oder nach der Zurruhesetzung begangen worden sind, in jedem Fall zusammengerechnet werden. Andernfalls drohten bei den Straftaten, die ein Ruhestandsbeamter teilweise vor und teilweise nach seiner Zurruhesetzung begangen hat und die je für sich den zeitlichen Bezugsrahmen des § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG (ein Jahr bzw. zwei Jahre) nicht erreichen, „unerträgliche Wertungswidersprüche“ und eine unerwünschte Privilegierung, die „der Gesetzgeber bei Schaffung des § 70 LBeamtVG nicht intendiert“ habe (so das Verwaltungsgericht Koblenz in seinem Beschluss vom 18. November 2020, S. 7 f. des Beschlussabdrucks).
- 45
Diese Auffassung teilt der Senat nicht. Vielmehr ergibt sich nach einer Auslegung der Vorschrift, welche die in Rechtsprechung und Rechtslehre allgemein anerkannten Auslegungsmethoden der Wortlautanalyse (1), der Entstehungsgeschichte des Gesetzes (2), der Rechtssystematik (3) sowie des Sinnes und Zwecks des Gesetzes (4) beachtet, das Gegenteil der vom Antragsgegner und der Vorinstanz vertretenen Meinung.
- 46
(1) Der Wortlaut des § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG ist eindeutig. Er lässt nach keiner denkbaren Lesart ein anderes Ergebnis zu. Die für den Verlust der Versorgung des Antragstellers allein entscheidende Norm lautet wie folgt:
- 47
Landesbeamtenversorgungsgesetz
vom 18. Juni 2013 (GVBl. S. 157)
- 48
§ 70
- 49
Erlöschen der Versorgungsbezüge wegen Verurteilung
- 50
(1) Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamte,
- 51
1. gegen die wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat eine Entscheidung ergangen ist, die nach § 24 BeamtStG zum Verlust der Beamtenrechte geführt hätte, oder
- 52
2. die wegen einer nach Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat durch ein deutsches Gericht im Geltungsbereich des Grundgesetzes im ordentlichen Strafverfahren
- 53
a) wegen einer vorsätzlichen Tat zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren oder
- 54
b) wegen einer vorsätzlichen Tat, die nach den Vorschriften über Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit strafbar ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten
- 55
verurteilt worden sind,
- 56
verlieren mit der Rechtskraft der Entscheidung ihre Rechte als Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamte. Entsprechendes gilt, wenn Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamte aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Artikel 18 des Grundgesetzes ein Grundrecht verwirkt haben.
- 57
(2) […]
- 58
Die in § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBeamtVG genannte bundesrechtliche Regelung (§ 24 BeamtStG) sieht in der hier interessierenden Konstellation einen kraft Gesetzes eintretenden Verlust der Beamtenrechte bei einem noch im aktiven Dienst befindlichen Beamten unter anderem dann vor, wenn dieser durch ein deutsches Strafgericht im ordentlichen Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtStG).
- 59
Der Wortlaut von § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG („wegen einer vor [bzw. nach] Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat“) ist eindeutig. Es besteht hiernach ein Alternativverhältnis, welches keine Kumulation von Strafen zulässt, die wegen vor bzw. nach dem Ruhestandseintritt begangenen Straftaten verhängt wurden (so auch Reich, a.a.O., § 59 BeamtVG Rn. 3 und 5; May, a.a.O., § 59 BeamtVG Rn. 5; Leihkauff, a.a.O., § 59 BeamtVG Rn. 8 und Wilhelm, a.a.O., § 59 BeamtVG Rn. 8; jeweils zu der inhaltsgleichen bundesrechtlichen Vorschrift).
- 60
Es kommt insofern auch nicht etwa darauf an, wann die strafgerichtliche Verurteilung erfolgte, sondern allein auf den Zeitpunkt der Taten (May, a.a.O.,
§ 59 BeamtVG Rn. 28). Dies folgt aus der – wiederum keine andere Lesart zulassenden – Formulierung, die der Gesetzgeber gewählt hat („wegen einer […] begangenen Tat“).
- 61
Dieses Auslegungsergebnis reicht im Rahmen des anhängigen Eilverfahrens bereits aus, dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat anschließt, setzt die rechtliche Automatik der kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Beamtenverhältnisses bzw. des Verlustes der Rechte als Ruhestandsbeamter einen „eindeutigen, für Zweifelsfragen der Auslegung keinen Raum lassenden Anknüpfungspunkt“ voraus. Der Bedeutung des Beamtenverhältnisses entspricht es danach, dass über seinen Bestand jederzeit möglichste Klarheit herrscht. Deshalb kann nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber eine kraft Gesetzes eintretende Beendigung dieses Verhältnisses an Voraussetzungen hat knüpfen wollen, die erst durch eine zweifelhafte, unter Umständen sogar von verschiedenen Gerichtsinstanzen unterschiedlich beurteilte, Auslegung zu ermitteln sind. In solchen Fällen bleibt dem Dienstherrn – und so auch hier dem Antragsgegner – nur der Weg des Disziplinarverfahrens, um den Verlust von Beamtenrechten durch die im Wege der Disziplinarklage mögliche Dienstentfernung oder Aberkennung des Ruhegehaltes herbeizuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 2 C 51.88 –, BVerwGE 84, 1 und juris, dort Rn. 15). Hiervon ausgehend erfolgen die weiteren Ausführungen in diesem Beschluss lediglich ergänzend.
- 62
(2) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts steht diesem eindeutigen Auslegungsergebnis ein mutmaßlicher Wille des Gesetzgebers nicht entgegen. Maßgeblich für die Ermittlung des gesetzgeberischen Willens sind in erster Linie die Gesetzesmaterialien. Aus diesen ergibt sich jedoch der vom Antragsgegner und der Vorinstanz unterstellte „Wille des Gesetzgebers“ nicht.
- 63
Im Einzelnen:
- 64
Die Verlustvorschrift des § 70 LBeamtVG erging als Artikel 1 des Gesetzes zur Reform des finanziellen öffentlichen Dienstrechts vom 18. Juni 2013 (GVBl. S. 157), das aufgrund der durch die Föderalismusreform II dem Land erstmals eingeräumten Gesetzgebungskompetenz für das Beamtenversorgungsrecht beschlossen wurde und am 1. Juli 2013 in Kraft trat. Die Gesetzesbegründung zu § 70 LBeamtVG-E (LT-Drucks. 16/1822, S. 232) lautet:
- 65
„Die Bestimmung entspricht mit redaktionellen Anpassungen § 59 BeamtVG, wonach Ruhestandsbeamtinnen und Ruhestandsbeamte ihre Rechte im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung oder Grundrechtsverwirkung nach Art. 18 GG verlieren.“
- 66
Mit dieser Begründung kann unter keinem denkbaren Gesichtspunkt davon ausgegangen werden, der Landesgesetzgeber habe – entgegen dem eindeutigen Wortlaut – keine Unterscheidung zwischen Straftaten vor und nach einer Zurruhesetzung des Beamten machen wollen.
- 67
Bei der in der vorstehend zitierten Gesetzesbegründung genannten Vorschrift („§ 59 BeamtVG“) handelt es sich um die für Versorgungsempfänger des Bundes geltende Verlustregelung. Diese stimmt in der Tat bis auf wenige, rein redaktionelle, Abweichungen mit § 70 LBeamtVG inhaltlich überein. Die am 1. Januar 1977 in Kraft getretene Verlustregelung war in dem vom Bundestag beschlossenen, seinerzeit noch für sämtliche Beamte in der Bundesrepublik Deutschland, also auch für Landesbeamte, unmittelbar geltenden Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Ländern (Beamtenversorgungsgesetz – BeamtVG –) vom 24. August 1976 (BGBl. I S. 2485) enthalten und wurde bis zum Inkrafttreten von § 70 LBeamtVG am 1. Juli 2013 inhaltlich nicht geändert.
- 68
Die Gesetzesbegründung zu § 59 BeamtVG in der Fassung des Gesetzes vom 24. August 1976 enthält jedoch wiederum keine inhaltliche Erläuterung eines mutmaßlichen Willens des Gesetzgebers, sondern verweist ihrerseits auf eine Vorgängernorm. In der Gesetzesbegründung (BT- Drucks. 7/2505, S. 53) heißt es hierzu nämlich nur:
- 69
„Die Vorschrift ersetzt die §§ 162 BBG, 86 BRRG, nimmt aber zusätzlich wegen der Geltung im Länderbereich die in den §§ 48, 50 und 51 BBG entsprechenden Vorschriften des Landesrechts in Bezug.“
- 70
Auch insofern kann also von einem „Willen des Gesetzgebers“ in dem vom Antragsgegner und Verwaltungsgericht unterstellten Sinn schlechterdings nicht gesprochen werden.
- 71
Von den in der vorstehenden Gesetzesbegründung angesprochenen Vorschriften sind in dem hier interessierenden Zusammenhang nur § 162 BBG und § 86 BRRG von Bedeutung. Die – nicht mehr in Kraft befindlichen – Vorschriften lauteten:
- 72
Bundesbeamtengesetz (BBG)
vom 14. Juli 1953 (BGBl. I S. 551)
- 73
§ 162
- 74
Erlöschen der Versorgungsbezüge
- 75
(1) Ein Ruhestandsbeamter,
- 76
1. gegen den wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat eine Entscheidung ergangen ist, die nach § 48 zum Verlust der Beamtenrechte geführt hätte [= Verurteilung zu Zuchthaus oder einer Freiheitsstrafe von einem Jahr durch ein deutsches Strafgericht im ordentlichen Strafverfahren], oder
- 77
2. der wegen einer nach Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat durch ein Gericht im Bundesgebiet im ordentlichen Strafverfahren zu Zuchthaus oder wegen vorsätzlicher hochverräterischer oder landesverräterischer Handlung zu Gefängnis verurteilt worden ist,
- 79
verliert mit der Rechtskraft der Entscheidung seinen Anspruch auf Versorgungsbezüge; er darf die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amt verliehenen Titel nicht führen.
(2) […]
- 80
Die Gesetzesbegründung zu § 159 BBG-E (in der späteren Gesetzesfassung § 162 BBG) ist dabei eindeutig:
- 81
„§ 159 sieht einen Verlust des Anspruchs auf Versorgungsbezüge für einen Ruhestandsbeamten oder früheren Beamten dann vor, wenn er vor Beendigung des Beamtenverhältnisses eine Tat begangen hat, die nach § 48 zum Verlust der Beamtenrechte geführt hätte, oder wegen einer nach Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat durch ein Gericht im Bundesgebiet im ordentlichen Strafverfahren zu Zuchthaus oder wegen vorsätzlicher hochverräterischer oder landesverräterische Handlung zu Gefängnis verurteilt worden ist“ (BT- Drucks. 1/2846, S. 54 – Hervorhebung nur hier).
- 82
Ein „Wille des Gesetzgebers“, bei einer Verurteilung eines Ruhestandsbeamten in der vorliegenden Konstellation den Verlust der Beamtenrechte unabhängig vom Zeitpunkt der Tatbegehung eintreten zu lassen, kann hieraus nicht geschlossen werden; vielmehr ist das genaue Gegenteil der Fall.
- 83
Diese Norm blieb bis zum Inkrafttreten der ihr nachfolgenden Regelung des § 59 BeamtVG gegenüber der ersten Fassung in dem hier interessierenden Umfang inhaltlich unverändert mit einer Ausnahme: Durch Art. 19 des Ersten Strafrechtsreformgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) wurde § 162 Abs. 1 Nr. 2 BBG dahingehend geändert, dass an die Stelle der durch die Strafrechtsreform weggefallenen Zuchthausstrafe die zeitige Freiheitsstrafe von zwei Jahren trat. Weitere inhaltliche Änderungen waren mit dieser Neufassung ausweislich der Gesetzesbegründung zu Art. 19 des Ersten Strafrechtsreformgesetzes (BT-Drucks. V/4094, S. 52) ebenfalls nicht verbunden. Diese lautet nämlich nur:
- 84
„Die Änderungen ergeben sich aus der Beseitigung der verschiedenen Arten von Freiheitsstrafe sowie daraus, daß der Ausspruch des Verlustes der bürgerlichen Ehrenrechte entfällt. […]“
- 85
Neben dieser, für Bundesbeamte bis zum Inkrafttreten von § 59 BeamtVG also inhaltlich nicht geänderten, Vorschrift wurde in dem kurze Zeit später in Kraft getretenen Beamtenrechtsrahmengesetz auch für die Beamten der Länder das Erlöschen der Versorgungsbezüge weitgehend identisch wie folgt geregelt:
- 86
Beamtenrechtsrahmengesetz
vom 1. Juli 1957 (BGBl. I S. 667)
- 87
§ 86
- 88
Erlöschen der Versorgungsbezüge
- 89
(1) Ein Ruhestandsbeamter,
- 90
1. gegen den wegen einer vor Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat eine Entscheidung ergangen ist, die nach § 22 Abs. 1 zum Verlust der Beamtenrechte geführt hätte [= Verurteilung im ordentlichen Strafverfahren zu Zuchthaus oder einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder längerer Dauer oder wegen vorsätzlicher hochverräterischer oder landesverräterischer Handlung durch ein deutsches Gericht im Geltungsbereich dieses Gesetzes], oder
- 91
2. der wegen einer nach Beendigung des Beamtenverhältnisses begangenen Tat durch ein deutsches Gericht im Geltungsbereich dieses Gesetzes im ordentlichen Strafverfahren
- 92
a) zu Zuchthaus oder
- 93
b) Gefängnis mit Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von mindestens drei Jahren oder
- 94
c) wegen vorsätzlicher hochverräterischer oder landesverräterischer Handlung zu Gefängnis
- 95
verurteilt worden ist,
- 97
verliert mit der Rechtskraft der Entscheidung seine Rechte als Ruhestandsbeamter.
(2) […]
- 98
In der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift, die bis zum Inkrafttreten von § 59 BeamtVG inhaltlich nicht geändert wurde, heißt es insoweit lediglich:
- 99
„Die §§ 79 und 79 regeln das Ruhen von Versorgungsbezügen, § 80 das Zusammentreffen, §§ 81 bis 83 das Erlöschen von Versorgungsbezügen“ (BT-Drucks. 2/1549, S. 50)
- 100
Auch hier wurde später die in der Ursprungsfassung noch enthaltene Zuchthausstrafe durch Art. 18 des Ersten Strafrechtsreformgesetzes vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 645) dahingehend geändert, dass an die Stelle der durch die Strafrechtsreform weggefallenen Zuchthausstrafe die zeitige Freiheitsstrafe von zwei Jahren trat. Die Gesetzesbegründung ist identisch (BT-Drucks. V/4094, S. 52).
- 101
Die beiden vorgenannten bundesrechtlichen Regelungen des § 86 BRRG und § 162 BBG ersetzten ihrerseits das bis zum erstmaligen Inkrafttreten dieser Gesetze noch als Reichsrecht ergangene und gemäß der Bundesbekanntmachung vom 30. Juni 1950 auch nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland fortgeltende Deutsche Beamtengesetz (DBG) vom 26. Januar 1937 (RGBl. I S. 39).
- 102
Die für die hier interessierende Frage maßgebliche Vorschrift lautete:
- 104
Deutsches Beamtengesetz
vom 26. Januar 1937 (RGBl. I S. 39)
- 105
in der Fassung der Bundesbekanntmachung vom 30. Juni 1950
(BGBl. Nr. 30 vom 11. Juli 1950, S. 279)
- 106
§ 132
- 107
Ein Ruhestandsbeamter, gegen den wegen einer vor Eintritt in den Ruhestand begangenen Tat auf eine Strafe erkannt wird, die nach § 53 das Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis zur Folge hat [= Verurteilung zum Tode, zu Zuchthaus, wegen vorsätzlich begangenen Tat zu Gefängnis von einem Jahr oder längerer Dauer oder wegen vorsätzlicher hoch- oder landesverräterischen Handlung zu Gefängnis], oder der wegen eines nach Eintritt in den Ruhestand begangenen Hochverrats oder einer sonst mit dem Tode bedrohten Handlung zum Tode oder zu Zuchthaus oder wegen einer anderen hochverräterischen Handlung zu Gefängnis verurteilt wird, verliert mit der Rechtskraft des Urteils den Anspruch auf Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung; er darf die Amtsbezeichnung und die im Zusammenhang mit dem Amte verliehenen Titel nicht führen und die Dienstkleidung nicht tragen.
- 108
Mit dieser Vorschrift wurde erstmals im deutschen Beamtenrecht eine gesetzgeberische Unterscheidung zwischen Straftaten, die ein Beamter während seiner Dienstzeit und denjenigen Taten, die erst nach der Zurruhesetzung begangen hat, eingeführt. Auch hier belegt bereits der unzweideutige Wortlaut die Unterscheidung der Rechtsfolgen nach dem Zeitpunkt der Tatbegehung (und nicht etwa dem Tag der Verurteilung im Strafverfahren).
- 109
Bemerkenswert an dieser Unterscheidung zwischen den Rechtsfolgen bei Straftaten vor bzw. nach einer Zurruhesetzung ist, dass eine Gefängnisstrafe nur im ersten Fall für den Verlust der Versorgungsbezüge ausreichte. Befand sich der Beamte bereits im Ruhestand, konnte ihm selbst bei einer sehr hohen Gefängnisstrafe (also auch wenn diese über zwei Jahre lag) das Ruhegehalt nicht aberkannt werden. Dies war erst bei einer Verurteilung zum Tode, zu Zuchthaus oder zu Gefängnis wegen Hochverrats oder einer sonst mit dem Tode bedrohten Handlung oder wegen einer anderen hochverräterischen Handlung möglich. Ursprünglich wurde zwischen aktiven und Ruhestandsbeamten also nicht im Zusammenhang mit der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe, sondern allein in Bezug auf die Art des Strafausspruchs (Gefängnis einerseits und Todesstrafe bzw. Zuchthaus auf der anderen Seite) oder der Art der Straftat (hochverräterischer Handlung) unterschieden. Diese Unterscheidung übernahmen in der Folge, wie aufgezeigt, auch die in der 1950er Jahren vom Bundestag beschlossenen Beamtengesetze der Bundesrepublik Deutschland (§ 86 BRRG und § 162 BBG), allerdings nur bis zur Abschaffung der Zuchthausstrafe durch die Strafrechtsreform im Jahr 1969.
- 110
Für die Übernahme der Regelungen des § 132 DBG durch die Neubekanntmachung nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949, sowie mit der Inkraftsetzung des § 162 BBG und sodann von § 86 BRRG in den Jahren 1953 und 1957 hatte der Bundesgesetzgeber zudem die bei der erstmaligen Einführung der Verlustvorschriften in § 162 BBG, § 86 BRRG vorhandene Auslegung der Vorgängernorm durch die Gerichte zu beachten. Denn weil bei Inkrafttreten des Beamtenrechtsrahmengesetzes eine Begründung des Gesetzgebers für das Verhältnis der beiden Tatbestandsalternativen zueinander – wie soeben nachgewiesen – nicht vorgenommen wurde, muss für die weitere rechtshistorische Untersuchung die bei Erlass der beiden Bundesgesetze vorhandene Rechtsprechung zu § 132 DBG herangezogen werden. Hierzu gibt es, soweit ersichtlich, nur eine einschlägige Entscheidung:
- 111
Das Reichsgericht hatte in seinem Urteil vom 21. November 1941 (Az. III 63/41, RGZ 168, 81) zu entscheiden, ob ein beamteter Volksschullehrer seine Versorgungsbezüge kraft Gesetzes (aufgrund § 132 DBG) verloren hatte, nachdem er von der Großen Strafkammer eines Landgerichts wegen in teilweiser Tateinheit mit Unterschlagung und gewinnsüchtiger Urkundenfälschung begangenen fortgesetzten Untreue sowie wegen zweier Betrugsfälle zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und zwei Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Die Einsatzstrafen betrugen seinerzeit ein Jahr Gefängnis für die fortgesetzte Untreue und je sechs Wochen Gefängnis für die beiden Betrugsfälle.
- 112
Ausweislich der Entscheidungsgründe des Reichsgerichts fielen einige der vom Kläger im Fortsetzungszusammenhang begangenen Untreuehandlungen noch in seine Dienstzeit, die übrigen sowie die beiden Betrugsfälle in die Zeit seines Ruhestandes. Das Reichsgericht hatte zunächst – was hier nicht von Bedeutung ist – rechtsgrundsätzlich ausgeführt, dass durch den Fortsetzungszusammenhang auch die im Ruhestand begangenen Untreuehandlungen dem aktiven Dienstverhältnis zuzurechnen seien. Dieser Rechtsprechung zum Fortsetzungszusammenhang ist das Bundesverwaltungsgericht nach Aufgabe dieser Rechtsfigur durch das Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes vom 3. Mai 1994 (BGHSt 40, 138) später nicht mehr gefolgt (Urteil vom 28. Mai 1998 – 2 C 3.98 –, BVerwGE 107, 34).
- 113
Die in der Zeit des Ruhestandes des Volksschullehrers begangenen Betrugsfälle berücksichtigte das Reichsgericht dagegen nicht, sondern zog die diesbezüglichen Einsatzstrafen von der durch das Landgericht ausgeworfenen Gesamtstrafe ab. In den Entscheidungsgründen heißt es insofern:
- 114
„Zwei der Straftaten, die beiden Betrugsfälle, hat der Kläger erst im Ruhestande begangen. Die sie betreffenden Gefängniseinsatzstrafen müssen daher bei Beantwortung der Frage, ob die Verurteilung mit ihrer Rechtskraft den Verlust des Ruhegehaltes des Klägers nach sich gezogen hat, ohne weiteres ausscheiden“ (RGZ 168, 81 [84] – Hervorhebung nur hier).
- 115
Da der Bundesgesetzgeber diese Rechtsprechung bei den Gesetzesberatungen zum Bundesbeamtengesetz und zum Beamtenrechtsrahmengesetz in den 1950er Jahren vorgefunden hatte und er hiervon bei Schaffung der seinerzeit in Kenntnis dieser Rechtsprechung in Kraft gesetzten § 162 BBG, § 86 BRG, etwa durch eine andere Gesetzesfassung, nicht abrückte, ist auch bei einer rechtshistorischen Auslegung davon auszugehen, dass nicht die kumulative, sondern nur die alternative Auslegung von § 59 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG („oder“) zutreffend ist.
- 116
Nach alledem ist festzustellen, dass auch die rechtshistorische Auslegung ein alternatives und nicht kumulatives Verhältnis zwischen den beiden Tatbestandsalternativen des § 70 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. a LBeamtVG bestätigt. Die vom Landgericht für die nach der Versetzung in den Ruhestand begangene uneidliche Falschaussage des Antragstellers ausgeworfene Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und vier Monaten (die für sich genommen die maßgebliche Grenze von zwei Jahren Freiheitsstrafe nicht erreicht) darf nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht durch die vor der Zurruhesetzung begangenen Untreuehandlungen (insgesamt nur elf Monate der insgesamt ausgeurteilten Gesamtstrafe) erhöht werden.
- 117
(3) Dieses Ergebnis wird weiterhin durch eine rechtssystematische und rechtsvergleichende Auslegung bestätigt. Hierzu gilt:
- 118
Rechtsgrund für den Verlust der Versorgungsbezüge nach § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBeamtVG (Straftaten, die vor einer Zurruhesetzung begangen wurden) ist, dass der Beamte als Repräsentant des Staates auftritt. Dagegen ist Rechtsgrund für den Verlust der Versorgungsbezüge nach § 70 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a LBeamtVG (Straftaten, die nach einer Zurruhesetzung begangen wurden) der Gedanke der Anspruchsverwirkung. Das Bundesverwaltungsgericht führt hierzu aus (Urteil vom 28. Mai 1998 – 2 C 3.98 –, BVerwGE 107, 34 und juris, dort Rn. 16):
- 119
„§ 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG knüpft an die für (aktive) Beamte geltende Vorschrift des § 48 BBG sowie entsprechendes Landesrecht (…) an, deren Sinn und Zweck dahin geht, daß Beamte, die sich ausweislich strafgerichtlicher Verurteilung besonders schwerwiegender Rechtsverstöße schuldig gemacht haben, als schlechthin untragbar für den öffentlichen Dienst kraft Gesetzes ihre Beamtenrechte verlieren, ohne daß es dazu noch eines Disziplinarverfahrens bedarf (vgl. Beschluß vom 10. Juni 1992 - BVerwG 2 B 88.92/BVerwG 2 C 13.92 -
). Ob dies der Fall ist, kann allein aufgrund des bis zur Beendigung des Beamtenverhältnisses verwirklichten strafbaren Verhaltens, wie es von dem Strafgericht festgestellt worden ist, beurteilt werden. Damit unterscheidet sich die Regelung wesentlich von den für Ruhestandsbeamte und andere Versorgungsberechtigte geltenden Verlustvorschriften des § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und des § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BeamtVG, die im hier einschlägigen Fall jeweils eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren voraussetzen und ohne Anknüpfung an eine Verletzung spezifischer beamtenrechtlicher Pflichten auf dem Gedanken der Anspruchsverwirkung beruhen; danach soll allgemein derjenige, der die in der Strafrechtsordnung verankerten elementaren Regeln zum Schutze der staatlichen Gemeinschaft gravierend verletzt hat, nicht erwarten können, daß sein angemessener Lebensunterhalt aufgrund eines Rechtsanspruchs auf beamtenrechtliche Versorgung finanziert wird (vgl. Urteil vom 15. Mai 1997 - BVerwG 2 C 39.96 - ).“
- 120
In einer etwas älteren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 15. Mai 1997 – 2 C 39.96 –, juris Rn. 20) heißt es sogar:
- 121
„Die Systematik des Beamten- und Beamtenversorgungsrechts spricht ebenfalls dafür, daß jemand, der in erheblicher Weise straffällig geworden ist, keinen Rechtsanspruch auf Versorgungsbezüge erwirbt oder beibehält. Dies gilt ohne Rücksicht darauf, ob die Straftat oder die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat vor Begründung des Beamtenverhältnisses, während des Beamtenverhältnisses oder nach Eintritt in den Ruhestand vorgelegen hat.“
- 122
Aus diesen Ausführungen ließe sich in der Tat vordergründig schließen, dass, wie vom Antragsgegner und der Vorinstanz angenommen, eine kumulative Lesart des § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG möglich ist. Die letztgenannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings zu § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BeamtVG ergangen und betraf die Versorgung eines Hinterbliebenen, der lange Zeit bevor er eine später verstorbene Beamtin geheiratet hatte, als Aufseher in einem Konzentrationslager vom Strafgericht wegen mehrfacher Beihilfe zum gemeinschaftlich begangenen Mord verurteilt worden war und nach dem Tod der Beamtin eine Witwerversorgung begehrte. Diese besondere Sachlage liegt hier so offensichtlich nicht vor, dass allein die vorgenannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht auf die Versorgung des Beamten selbst übertragen werden kann. Insoweit führt das Bundesverwaltungsgericht selbst aus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Witwen- und Witwerversorgung gegenüber den für den Beamten selbst geltenden Vorschriften nach dem Wortlaut des § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BeamtVG weiter gefasst seien (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Mai 1997 – 2 C 39.96 –, juris Rn. 15).
- 123
In rechtsvergleichender Hinsicht kommt hinzu, dass der Landesgesetzgeber eine solche „Zusammenschau“ der Straftaten unabhängig vom Zeitpunkt der Begehung (vor oder nach der Zurruhesetzung) im Jahr 2013 nicht in das Gesetz aufgenommen hat. Dass dies aber möglich ist, zeigen die entsprechenden Regelungen in Bayern
- 124
Bayerisches Beamtenversorgungsgesetz
vom 5. August 2010
- 125
Art. 80
- 126
Verlust der Versorgung infolge Verurteilung
- 127
(1) Ruhestandsbeamte und Ruhestandsbeamtinnen, die durch ein deutsches Gericht im ordentlichen Strafverfahren
- 128
1. wegen einer vorsätzlichen Tat zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren oder
- 129
2. wegen einer vorsätzlichen Tat, die nach den Vorschriften über Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit strafbar ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten
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verurteilt worden sind, verlieren mit der Rechtskraft der Entscheidung ihre Rechte als Ruhestandsbeamte und Ruhestandsbeamtinnen; dies gilt für Hinterbliebene entsprechend.
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und Brandenburg
- 132
Brandenburgisches Beamtenversorgungsgesetz
vom 20. November 2013
- 133
§ 11
- 134
Verlust der Versorgung
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(1) Eine Ruhestandsbeamtin oder ein Ruhestandsbeamter verliert mit der Rechtskraft der Entscheidung die Rechte als Ruhestandsbeamtin oder als Ruhestandsbeamter, wenn
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1. sie oder er wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren oder wegen einer vorsätzlichen Tat, die nach den Vorschriften über Friedensverrat, Hochverrat, Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates oder Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit strafbar ist, zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist […].
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Wie schon die rechtshistorische Untersuchung, so unterstützt somit auch die rechtssystematische und rechtsvergleichende Betrachtung die bereits aus dem Wortlaut von § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG gewonnene Erkenntnis: Hätte der Gesetzgeber in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden tatsächlich allein auf die Strafhöhe (zwei Jahre Freiheitsstrafe) unabhängig von dem Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung abstellen wollen, so hätte er dies eindeutig zum Ausdruck bringen müssen, etwa indem er die Vorschrift wie in den bayerischen und brandenburgischen Versorgungsregelungen geschehen formuliert. Da der rheinland-pfälzische Gesetzgeber eine solche Gesetzesfassung gerade nicht beschlossen hat, verbietet sich auch deshalb eine entgegen dem Wortlaut erfolgende Auslegung.
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(4) Schließlich ist eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm vorzunehmen. Auch diese sog. teleologische Auslegungsvariante führt zu einem klaren Ergebnis.
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Wie bereits dargelegt bezwecken die status- und versorgungsrechtlichen Verlustregelungen (§ 24 BeamtStG und § 70 LBeamtVG), das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis eines Beamten, der wegen schwerwiegender Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden ist, ohne Durchführung eines Disziplinarverfahrens zu beenden, falls sich der Betreffende noch im aktiven Dienst befindet.
- 140
Bei Versorgungsempfängern soll dagegen differenziert werden zwischen Straftaten, die während der aktiven Dienstzeit begangen worden sind und solchen, die nach der Beendigung des Beamtenverhältnisses erfolgten. Dies mag, sofern man zutreffend auf das sich durch Subsumtion und rechtshistorische, rechtssystematische und rechtsvergleichende Auslegung gewonnene Ergebnis abstellt, in einem Fall wie dem Vorliegenden möglicherweise tatsächlich zu „unerträglichen Wertungswidersprüchen“ führen. Anderseits ist jedoch für jedes Gericht und jede Behörde der Wille des Gesetzgebers zu respektieren. Dies gilt umso mehr, wenn dieser – wie hier – klar und unmissverständlich zum Ausdruck kommt. In einem solchen Fall ist es einem Gericht verwehrt, eine Auslegung einer Norm vorzunehmen, die dem klar formulierten Wortlaut des Gesetzes widerspricht.
- 141
Nach feststehender verfassungs- und verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung bildet insofern der Wortlaut einer Vorschrift – falls er, wie hier bei § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG, eindeutig ist – die Grenze jeder Auslegung. Die Grenzen einer Auslegung ergeben sich dabei grundsätzlich aus dem ordnungsgemäßen Gebrauch der anerkannten Auslegungsmethoden. In Anwendung dieser Regeln darf eine Norm nur dann abweichend interpretiert werden, wenn keine nach den allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung vereinbare Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt, so ist zwar diese geboten. Die Möglichkeit einer Auslegung endet allerdings dort, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Normgebers in Widerspruch träte. Andernfalls könnten die Gerichte der rechtspolitischen Entscheidung des demokratisch legitimierten Normgebers vorgreifen oder diese sogar unterlaufen. Das Ergebnis einer Auslegung muss demnach nicht nur vom Wortlaut des Gesetzes gedeckt sein, sondern auch die prinzipielle Zielsetzung des Normgebers wahren. Das gesetzgeberische Ziel darf nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht werden (vgl. zum Vorstehenden: BVerfG, Beschlüsse vom 22. Oktober 1985 – 1 BvL 44/83 –, juris Rn. 56; vom 15. Oktober 1996 – 1 BvL 44/92 –, juris Rn. 130 und vom 31. Oktober 2016 – 1 BvR 871/13 –, juris Rn. 34; BVerwG, Beschluss vom 6. September 2018 – 9 C 5.17 –, juris Rn. 28). Eben diese Situation würde eintreten, wenn ein Gericht abgekoppelt vom erkennbaren Willen des Gesetzgebers wegen „unerträglicher Wertungswidersprüche“ den Wortlaut einer Norm ignoriert oder in sein Gegenteil verkehrt und damit letztlich seine eigene rechtspolitische Einschätzung an die Stelle der Einschätzung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers setzt.
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Das nach allen Auslegungsmethoden gewonnene Ergebnis ist im Übrigen ohnehin auch unter Wertungsgesichtspunkten zutreffend. Der Gesetzgeber knüpft den kraft Gesetzes eintretenden Verlust der Beamtenrechte eines zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilten Beamten oder Versorgungsempfängers an klare und zeitlich ohne weitere Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht feststellbare Voraussetzungen. Das entspricht, wie schon an anderer Stelle ausgeführt, der Bedeutung des Beamtenverhältnisses, die erfordert, dass über seinen Bestand jederzeit möglichste Klarheit herrscht (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 2 C 51.88 –, BVerwGE 84, 1 und juris, dort Rn. 15). Daher kann im Zweifel nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber eine kraft Gesetzes eintretende Beendigung an Voraussetzungen hat knüpfen wollen, die erst durch eine zweifelhafte oder – wie hier – nach den üblichen Auslegungsmethoden schon gar nicht zulässige Lesart zu ermitteln sind.
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Bei genauerer Betrachtung des vorliegenden Einzelfalls besteht aber auch kein in § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG selbst begründeter Wertungswiderspruch. Die eigentliche Ursache für die vom Antragsgegner und der Vorinstanz im vorliegenden Fall offenbar gesehene „Gerechtigkeitslücke“ ist vielmehr allein in der konkreten Strafzumessung durch das Landgericht Koblenz zu sehen: Hätte das Landgericht die Gesamtfreiheitsstrafe nur um einen einzigen Monat erhöht, so wären nach Abzug der für die Gesamtstrafenbildung maßgeblichen höchsten Einsatzstrafe für die uneidliche Falschaussage (16 Monate) bei einer dann gegebenen Gesamtfreiheitsstrafe von 28 Monaten für die vor der Zurruhesetzung begangenen Untreuehandlungen noch 12 Monate an Freiheitsstrafen übriggeblieben. Dies hätte ohne Weiteres den Verlust der Beamtenrechte des Antragstellers zur Folge gehabt, wie es ausweislich der Urteilsgründe vom Strafgericht (wohl) auch intendiert war.
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Das gleiche Ergebnis wäre eingetreten, wenn die Strafkammer die Einsatzstrafe für die uneidliche Falschaussage nicht auf 16, sondern nur auf 15 Monate festgesetzt hätte. Auch in diesem Fall wären für die vier der im Ministeramt begangenen Untreuehandlungen 12 Monate an Freiheitsstrafen übriggeblieben. Die stattdessen vom Landgericht konkret ausgeworfenen Einzelstrafen und die auf dieser Grundlage gebildete Gesamtstrafe hat der Senat für seine zu treffende Entscheidung zur Pensionsberechtigung des Antragstellers vorgefunden. Diese Einzel- und Gesamtstrafenfestsetzungen sind aufgrund der Bindung der Verwaltungsgerichte an ein vom Strafgericht ausgeworfenes Strafmaß genauso so zugrunde zu legen, wie sie vom Landgericht gefällt wurden. Sie dergestalt zu korrigieren, dass die vom Antragsgegner und Verwaltungsgericht ausgemachten „unerträglichen Wertungswidersprüche“ vermieden werden, ist, wie vorstehend aufgezeigt, mit einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar.
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Dem Antragsgegner bleibt insoweit nur der Weg des Disziplinarverfahrens, um den Verlust der Beamtenrechte des Antragstellers durch die im Wege einer Disziplinarklage grundsätzlich mögliche Aberkennung des Ruhegehaltes gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2, § 10 LDG herbeizuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 2 C 51.88 –, BVerwGE 84, 1 und juris, dort Rn. 15). Für die weitere disziplinarrechtliche Behandlung der beamtenrechtlichen Auswirkungen der strafgerichtlichen Verurteilung des Antragstellers wird der Antragsgegner allerdings die Einschränkung des § 8 Abs. 2 MinG zu beachten haben, wonach gegen Mitglieder der Landesregierung ein Disziplinarverfahren nicht stattfindet. Diese Regelung sperrt jedenfalls eine disziplinarrechtliche Verfolgung der im Ministeramt begangenen Untreuehandlungen.
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hh) Aus diesen Gründen ist der Antragsteller nach wie vor Versorgungsempfänger. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines dies feststellenden Verwaltungsaktes hat ebenso Aussicht auf Erfolg wie eine unmittelbar auf Zahlung von Versorgungsbezügen und Beihilfe gerichtete Leistungsklage.
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c) Nach alledem liegt neben dem Anordnungsgrund auch ein Anordnungsanspruch vor, dessen Wirkung allerdings wie aus dem Tenor ersichtlich zu begrenzen ist auf den rechtskräftigen Abschluss des – nach dem Erkenntnisstand des Senats bislang nicht eingeleiteten – Hauptsacheverfahrens.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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5. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 und Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Gerichtskostengesetz – GKG –. Das Verfahren betrifft nicht, wie vom Verwaltungsgericht unter Berufung auf Ziffer 10.4 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169) angenommen, einen sog. Teilstatus (in Form einer höheren Versorgung), sondern – wegen des aus § 70 Abs. 1 Satz 1 LBeamtVG folgenden vollständigen Verlustes aller Beamtenrechte – den sog. großen Gesamtstatus (vgl. insofern Nr. 10.1 des Streitwertkataloges). Maßgebend ist danach der Jahresbetrag des monatlichen Grundruhegehalts des Antragstellers in Höhe von 67,46 % aus der Besoldungsgruppe B 10 LBesO zum Zeitpunkt der Einleitung der Instanz (13.861,39 € x 67,46 % = 9.350,89). Der sich hiernach ergebende Streitwert ist nach Nr. 1.5 des Streitwertkataloges um die Hälfte zu reduzieren. Zwar stellt sich die vom Senat mit diesem Beschluss angeordnete Regelung für den Antragsgegner zumindest teilweise als Vorwegnahme der Hauptsache dar, so dass unter diesem Blickwinkel eine Reduzierung des Streitwertes zu unterbleiben hätte. Anders verhält es sich jedoch für den Antragsteller, da die Regelungsanordnung ihm gegenüber – wie ausgeführt – nur vorläufig erfolgt. Da sich der Streitwert gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 GKG nach der Bedeutung der Sache für den Kläger (hier: dem Antragsteller) bemisst, verbleibt es bei der Streitwertreduzierung. Gleiches gilt für den gemäß § 39 Abs. 1 GKG hinzuzurechnenden Streitwert für die vom Antragsteller mit seiner Antragsschrift vom 9. Oktober 2020 ausdrücklich mit beantragten Beihilfeleistungen, die vom Verwaltungsgericht zwar (konsequent) nicht verbeschieden wurden, aber gleichwohl streitbefangen sind.
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6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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Referenzen
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