Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MB 1/16

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 7. März 2016 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

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Die Antragstellerin wendet sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen „Auflagen“ zur Genehmigung einer Windkraftanlage (WKA) durch den Antragsgegner. Die WKA ist in Brunsbüttel (Flurstück 87/2 der Flur 44) im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 67 der Stadt Brunsbüttel – während des Beschwerdeverfahrens - errichtet worden. In einem Abstand von etwa 50 m führen am genehmigten Standort der WKA drei Pipelines vorbei, in denen Ethylen, Wasserstoff und Rohöl transportiert werden. Die Pipelines werden von der Beigeladenen betrieben. Für diese Leitungen sind beschränkte persönliche Dienstbarkeiten bestellt sowie Baugenehmigungen vom 26.07.1963 (Ethylen-, Wasserstoff-Pipeline) bzw. vom 14.12.1973 (Rohöl-Pipeline) erteilt worden.

2

Die Genehmigung des Antragsgegners vom 02.06.2015 enthält u. a. folgende „Auflagen“:

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»2.11.8 Zur Sicherstellung der Pipeline-Sicherheit wird im Bereich der WKA im Radius des 1,1-fachen der Nabenhöhe auf einer Rohrleitungslänge von ca. 180 m ein Schutz vor herabfallenden Windenergieanlagenteilen mit abnehmbaren Stahlbetonplatten mit einer Dicke von 0,20 m erforderlich. Diese Stahlbetonplatten sollen mit einer Überdeckung von ca. 0,50 m auf zu errichtenden Fundamenten verlegt werden. Vor Baubeginn sind die statischen Berechnungen … [der Beigeladenen] vorzulegen.

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2.11.9 Vor Baubeginn ist der [Beigeladenen] eine vertiefte Einzelfallbetrachtung mit einer gutachterlichen Stellungnahme sowie einem statischen Nachweis vorzulegen, … .«

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Die Antragstellerin und die Beigeladene haben dagegen Widerspruch erhoben; der Widerspruch der Beigeladenen wurde zurückgewiesen; Klage hat sie nicht erhoben. Auf den Antrag der Antragstellerin hat der Antragsgegner am 03.09.2015 die sofortige Vollziehung der Genehmigung vom 02.06.2015 angeordnet, wobei „ausdrücklich darauf hingewiesen“ wurde, dass der Sofortvollzug „für die Genehmigung insgesamt, also auch für die … Nebenbestimmungen“ gelte.

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Den Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung der Genehmigung in Bezug auf die „Auflagen“ 2.11.8 und 2.11.9 lehnte der Antragsgegner ab und wies den Widerspruch der Antragstellerin (auch) insoweit zurück. Zugleich mit ihrer dagegen erhobenen Klage (VG 6 A 169/15) hat die Antragstellerin die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bzgl. der Auflagen Nr. 2.11.8 und Nr. 2.11.9 beantragt. Diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 07.03.2016 abgelehnt und zu Begründung i. w. ausgeführt, es sei nicht glaubhaft gemacht worden, dass von der WKA ohne die Nebenbestimmungen keine Gefahren für die Pipelines ausgingen.

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Zur Begründung ihrer dagegen gerichteten Beschwerde vertritt die Antragstellerin die Ansicht, ihr Antrag sei zulässig und ihr stehe auch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Abwehr des Vollzuges der Nebenbestimmungen zur Seite. Der Sofortvollzug sei ohne eine Begründung angeordnet worden und deshalb bereits formell rechtswidrig. Die „Auflagen“ seien auch materiell rechtswidrig, da sie nicht notwendig seien. Den Pipelines drohe im Havariefall kein relevantes Risiko, wie sich aus einem probabilistischen Gutachten ergebe. Das Verwaltungsgericht habe dieses nicht richtig gewürdigt. Es könne nicht verlangt werden, jedes theoretische Risiko auszuschließen. Die Kosten für einen „Sarkophag“ i. S. d. Nebenbestimmungen seien auf 999.326 Euro zu schätzen. Nach dem „Maßstab der praktischen Vernunft“ seien die vom Antragsgegner und der Beigeladenen beschriebenen Schadensszenarien unwahrscheinlich. Ungewissheiten seien unentrinnbar und als Restrisiko tolerabel. Ein Rohleitungsrecht stehe auf der Grundlage einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nur der Deutschen Texaco AG zu. Zudem verlaufe die Pipelinetrasse (3) der Beigeladenen nicht innerhalb des grundbuchlich gesicherten Streifens. Die illegal betriebene Pipeline könne kein geeignetes Schutzobjekt von „Auflagen“ zu ihren Lasten sein. Im Verlauf der Pipeline befänden sich drei weitere Windenergieanlagen, welche den geforderten Abstand des 1,1-fachen der Nabenhöhe unterschreiten, ohne dass dort vergleichbare Sicherheitsmaßnahmen gefordert worden seien.

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Der Antragsgegner meint, die Antragstellerin handle rechtsmissbräuchlich, da sie im Genehmigungsverfahren selbst den Vorschlag für die hier streitigen „Auflagen“ gemacht habe. Der Antrag sei nach § 80 Abs. 5 VwGO unzulässig, überdies auch unbegründet. Der Sofortvollzug sei ausreichend begründet worden. Die „Auflagen“ seien materiell rechtmäßig, da nur so gewährleistet sei, dass vor oder nach Baubeginn bzw. bei einem Rückbau von der WKA keine Gefahr der Beschädigung der Rohrleitungen entstehe. Insoweit sei nicht nur die Schadenswahrscheinlichkeit, sondern auch das Ausmaß eines möglichen Schadensereignisses einzubeziehen. Bei einem Unglücksfall sei mit erheblichen Auswirkungen und Gefährdungen von Menschen, der Umwelt und von Sachwerten zu rechnen. Die ausreichende Sicherheit alternativer Möglichkeiten (Erdwall) sei nicht nachgewiesen worden. Nachdem die Antragstellerin die WKA errichtet habe, ohne – wie gefordert – die „Auflagen“ vorab zu erfüllen, müsse deren Sofortvollzug bestehen bleiben, weil die errichtete WKA andernfalls bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens betrieben werden dürfe, ohne dass es einen Schutz der Rohrleitungen gebe. Die daraus resultierende Kostenbelastung sei hinzunehmen, da sie Folge der Errichtung der WKA ohne den vorherigen Bau von Schutzmaßnahmen sei. Es sei nicht primäres Ziel der „Auflagen“, die Pipelines um ihrer selbst willen zu schützen, vielmehr sollten schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und Belästigungen verhindert werden. Verstöße gegen zivilrechtliche Vereinbarungen seien insofern unerheblich. Eine Verletzung privater Rechte sei nicht belegt. Soweit die Antragstellerin auf andere WKA und deren Abstand zur Pipeline verweise, seien diese mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar; eine Anlage (W 10) halte den geforderten Sicherheitsabstand ein, eine andere (W 12) ebenfalls und sei bereits zurückgebaut. Die Anlage „W 13“ unterschreite den Abstand nur marginal um 3,65 m, während die Unterschreitung vorliegend 58 m betrage.

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Die Beigeladene folgt der Begründung des Antragsgegners. Sie habe die Pipeline-trasse 3 erworben; eine Übertragung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit sei vereinbart worden und solle im Grundbuch noch eingetragen werden. Die von der Antragstellerin zur alternativen Möglichkeit eines Erdwalls vorgelegten Unterlagen seien unzureichend. Den im Genehmigungsbescheid geforderten Nachweis der Nichtbeeinträchtigung der Rohrleitungen habe die Antragstellerin nicht vorgelegt. Ihr sei seit 2013 bekannt gewesen, dass bei einer Abstandsunterschreitung zur Pipeline Ersatzmaßnahmen zu treffen und Nachweise vorzulegen seien. Aus einer evtl. Abstandsunterschreitung durch andere WKA könne die Antragstellerin für sich nichts herleiten; es gebe keine Gleichbehandlung im Unrecht.

II.

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Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 07.03.2016 ist unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO), stellen das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses nicht in Frage.

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1. Der Antrag der Antragstellerin ist - entgegen der Ansicht des Antragsgegners - zulässig. Die Antragstellerin wendet sich im Klageverfahren (VG 6 A 169/15) gegen die Nebenbestimmungen zur Genehmigung vom 02.06.2015, die von der Anordnung des Sofortvollzugs durch den Antragsgegner vom 03.09.2015 – ausdrücklich – mit umfasst sind. Die Nebenbestimmungen „belasten“ die Antragstellerin; das gilt insbesondere für die den Schutz der Pipelines betreffende Nebenbestimmung Nr. A III.2.11.8 (sog. „Sarkophag“), deren Erfüllung mit erheblichen Aufwendungen verbunden ist.

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Die Nebenbestimmung ist selbständig anfechtbar. Anders wäre dies nur, wenn eine isolierte Aufhebbarkeit dieser Nebenbestimmung offenkundig von vornherein nicht in Betracht käme. Dies ist indes keine Frage der Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sondern der Begründetheit (BVerwG, Urt. v. 17.10.2012, 4 C 5.11 –, BVerwGE 144, 341 ff. [bei Juris Rn. 5]). Vorliegend betrifft die Pflicht zur Errichtung der in Nr. A III.2.11.8 geforderten Stahlbetonabdeckung im Bereich der Pipelines einen – zwar mit der Genehmigung der Windkraftanlage verbundenen, aber davon unterscheidbaren - Regelungsgegenstand, der selbständig angegriffen werden kann. Das gilt auch dann, wenn die Nebenbestimmung eine Pflicht regelt, die die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen sicherstellt (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG). Nach der Fassung der in Nr. A III. 2.11.8 der Genehmigung vom 02.06.2015 getroffenen Nebenbestimmung hat diese auf den Bestand oder die Geltung der Genehmigung selbst – Errichtung und Betrieb der WKA – keine unmittelbare Auswirkung. Insbesondere wird durch die Nebenbestimmung nicht der Inhalt dessen, was genehmigt worden ist, näher bestimmt (vgl. Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 2014, § 12 BImSchG Rn. 115).

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Der Antragstellerin kann in Bezug auf die Anfechtung bzw. den Sofortvollzug der genannten Nebenbestimmung auch ein Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden. Dabei kann offen bleiben, ob die Nebenbestimmung auf einen „Vorschlag“ der Antragstellerin im Genehmigungsverfahren zurückzuführen ist. Indem der Antragsgegner diesen „Vorschlag“ aufgegriffen und (mit) für sofort vollziehbar erklärt hat, kann sich die Antragstellerin dagegen bzw. gegen deren – technisch und finanziell aufwändigen – Vollzug im Wege eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zur Wehr setzen, wenn sie – und sei es auch nachträglich – an ihrem früheren Vorschlag aus sachlichen Gründen nicht mehr festhalten wird.

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2. Die Anordnung des Sofortvollzuges ist formell rechtmäßig. Die Antragstellerin vermisst zu Unrecht eine – nach § 80 Abs. 3 VwGO geforderte - Begründung dieser Anordnung:

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Die Anordnung vom 03.09.2015 führt – im Anschluss an die Begründung des überwiegenden Vollzugsinteresses der Antragstellerin – aus, dass (auch) die Nebenbestimmungen zu den in der Genehmigung festgesetzten Zeitpunkten erfüllt sein müssen, da damit die Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen gewährleistet ist. Diese Gründe mögen knapp erscheinen, doch gelten insoweit keine hohen Begründungsanforderungen. Der Sofortvollzug der Genehmigung ist von der Antragstellerin selbst - am 27.08.2015 - beantragt worden; wenn diesem Antrag - zu Gunsten der Antragstellerin - entsprochen wird, drängt es sich auf, den Sofortvollzug - wie geschehen - auch auf die der Genehmigung beigefügten Nebenbestimmungen A III Nr. 2.11.1 bis 2.11.9 zu erstrecken, zumal diese dem durch die Errichtung der Windkraftanlage veranlassten Schutzbedürfnis – insbesondere – für die von der Beigeladenen betriebenen Pipelines dienen.

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Unabhängig davon besteht für den Antragsgegner die Möglichkeit, die Begründung des Sofortvollzugs auch noch bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens zu ergänzen (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 28.10.2016, 13 B 903/16, Juris [Rn. 5 f.]); davon hat der Antragsgegner in seiner Beschwerdeerwiderung vom 04.08.2016 (S. 4-5) Gebrauch gemacht. Formelle Begründungsmängel sind danach nicht gegeben. Die Frage einer – in Fällen einer „privatnützigen“ Vollzugsanordnung ebenfalls möglichen (vgl. Beschl. des Senats vom 31.07.2007, 1 MB 13/07, NordÖR 2007, 452 ff.) – Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs durch das Gericht stellt sich damit vorliegend nicht.

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3. Die gegen die Nebenbestimmung in Nr. A III. 2.11.8 – auch – im Beschwerdeverfahren angeführten Einwände der Antragstellerin sind nicht erfolgversprechend; sie rechtfertigen eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht.

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3.1 Die Nebenbestimmung findet ihre Rechtsgrundlage in § 12 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG.

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3.1.1 Sie soll nach ihrer Begründung (S. 27 des Bescheides vom 02.06.2015) der Abwehr eines „Unfallrisikos“ in Bezug auf die rd. 52 m entfernten Pipelines „für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft“ dienen. Dazu soll die geforderte Stahlbeton-Abdeckung auf einer Rohrleitungslänge von 180 m nach dem erkennbaren Sinn der in Nr. A III. 2.11.8 getroffenen Regelung „vor Baubeginn“ hergestellt werden, um baubedingten Gefahren (Umstürzen von Kränen mit oder ohne Bauteilen, Herabfallen von Kran- oder Bauteilen) zu begegnen, die auch bei einem späteren Rückbau entstünden (vgl. Schriftsatz vom 04.08.2016, S. 6). Daneben dienen die Nebenbestimmungen der Abwehr von Gefahren nach Errichtung der WKA, die aus sog. Havarien entstehen können. Das wird aus der - im Bescheid vom 02.06.2015 (S. 27) in Bezug genommenen - Beurteilung des Unfallrisikos durch den Betrieb der WKA deutlich, wie sie aus den im Genehmigungsverfahren vorgelegten Gutachten vom 06.05.2015 [Anlage Ast 12] bzw. vom 11.12.2014 [Anlage Ast 13] und den dort behandelten „Havarieszenarien“ zu entnehmen ist. Danach soll unter Einbeziehung der Nebenbestimmungen zu A III Nr. 2.11.1 bis 2.11.9 kein signifikant erhöhtes Unfallrisiko in Bezug auf einen Rotorblatt- oder Maschinenhausabwurf, Eisfragmente oder einen Turmbruch (mehr) zu erwarten sein.

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3.1.2 Um sicherzustellen, dass die Pipelines geschützt werden, bevor überhaupt eine (bau- oder betriebsbedingte) Gefahr im o. g. Sinne entsteht, hätte der Antragsgegner (insbesondere) die Nebenbestimmung A III. 2.11.8 auch als aufschiebende Bedingung (§ 107 Abs. 2 Nr. 2 LVwG SH) ausgestalten können. Indem er sich für eine Auflage entschieden hat, hat er sich für ein die Antragstellerin weniger beeinträchtigendes Mittel entschieden, weil die Genehmigung – zunächst – unabhängig von der Erfüllung der Auflage Bestand hat und die Auflage einer selbständigen Durchsetzung bedarf (vgl. Mann, a.a.O., Rn. 63; Storost, in: Ule/Laubinger, BImSchG, Stand April 2017, § 12 Rn. D 5).

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Es bleibt damit der Entscheidung des Antragsgegners vorbehalten, wie er die Auflage durchsetzt bzw. ob er im Fall einer (weiteren) Nichterfüllung der Auflage von der Möglichkeit einer vollständigen oder teilweisen Betriebsuntersagung (§ 20 Abs. 1 BImSchG) oder eines - im Ermessen stehenden - Widerrufs der Genehmigung gem. § 21 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG Gebrauch macht. Alle genannten Möglichkeiten hängen von der Vollziehbarkeit der Auflage ab.

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3.2 Den Einwänden der Antragstellerin gegen die sachliche Rechtfertigung der angefochtenen Auflage zu A III. 2.11.8 sind keine Erfolgsaussichten zuzuerkennen.

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Die immissionsschutzrechtliche Genehmigung hat sicherzustellen, dass von der Anlage keine Gefahren für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft hervorgerufen werden (§ 6 Abs. 1 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG). Dabei geht es nicht um solche Gefahren, die (allein) den Pipelines bzw. den diesbezüglichen Nutzungsrechten der Beigeladenen drohen. Regelwerke, die insoweit Abstandsvorgaben enthalten

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(vgl. zu Pipelines: § 3 Abs. 2 RohrfernleitungsVO [BGBl. 2017 I, S. 626] sowie die „Technische Regel Rohrfernleitung“ [TRFL] (s. dazu LT-Drs. Bad.-Wütt. 14/6392 vom 18.05.2010) bzw. für der öffentlichen Versorgung dienende Leitungen „Technische Regel Gasdruckleitungen“ [TRGL]; § 3 Abs. 2 GashochdruckleitungsVO [BGBl. 2017 I S. 626] i. V. m. DVGW-Arbeitsblatt G 463 (für Stahlrohr-Gasleitungen für einen Betriebsdruck > 16 bar; zu Hochspannungsfreileitungen: DIN EN 50341-3-4, VDE 201-3),

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dienen der Sicherung des Bestandes der Leitungen, nicht aber der – unabhängig davon zu beurteilenden – Abwehr von Gefahren, die infolge einer Beschädigung der Leitungen durch eine „benachbarte“ Anlage entstehen und die Rechtsgüter Dritter oder der Allgemeinheit gefährden. Soweit die genannten Regelwerke Meidungsabstände für Leitungstrassen vorsehen, sind diese für die - etwa im Rahmen einer Planfeststellung vorzunehmende - Trassenwahl relevant (vgl. dazu OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.06.2011, 7 MS 73/11, ZfB 2012, 130 ff. [Juris Rn. 56]), nicht aber für die - hier maßgebliche - Frage, ob andere Bauwerke - etwa eine Windenergieanlage - „unterhalb“ bestimmter Abstände von einer Leitungstrasse mit Auflagen im hier gegebenen Sinne belegt werden können. Dazu enthalten die genannten Regelwerke keine Aussage (vgl. Beschl. des Senats v. 28.03.2014, 1 MR 1/14, Rn. 36; ferner: OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.06.2011, 7 MS 73/11, Juris).

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3.2.1 Die angefochtene Auflage zur Genehmigung der Windkraftanlage ist durch das immissionsschutzrechtliche Schutz- und Vorsorgeprinzip (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BImSchG) gedeckt. Sie wirkt Gefahren aus den in Betracht zu ziehenden Havarien der WKA entgegen oder mindert mögliche Schadensfolgen. Zu den nach § 5 Abs. 1 BImSchG relevanten Gefährdungen gehören auch solche, die durch einen Einsturz der Anlage oder sich lösende und umher fliegende Teile entstehen (vgl. OVG Saarlouis, Beschl. v. 12.12.2013, 2 A 334/13, BeckRS 2013, 59824).

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3.2.2 Vorliegend besteht über die „Natur“ der mit der genehmigten Windkraftanlage verbundenen bau- bzw. betriebsbedingten Risiken Einigkeit (s. o. 3.1.1: Umsturz von Kränen, Turmbruch, Rotorblatt- oder Maschinenhausabwurf, Eiswurf; Gutachten vom 06.05.2015 [Anlage Ast 12] bzw. vom 11.12.2014 [Anlage Ast 13]).

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Streitig ist die Wahrscheinlichkeit des Eintritts solcher Risiken. Amtliche Zahlen über Fälle der genannten Art

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(zu Einzelfällen s. z. B. “Spiegel-Online“ v. 10.03.2017; n-tv vom 03.01.2017, LVZ vom 28.12.2016: Turmbrüche; NOZ 27.01.2016: Gondelabbruch; Soester Anzeiger 09.11.2016: Rotorblattabbruch)

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liegen dem Senat nicht vor. Die den o. g. Gutachten zugrundeliegende Schadensstatistik beruht auf einer Internetrecherche des Gutachters für den Zeitraum von 1996 – 2003 (Anlage A1 – Ziffer 7 – U 27).

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3.2.2.1 Für die Risikobeurteilung wäre im vorliegenden Fall - genauer - darauf abzustellen, ob der Aufprallbereich der Windenergieanlage oder von Teilen derselben im Falle einer Havarie im Bereich der Pipelines liegen könnte. Nach dem Gutachten vom 06.05.2015 wäre dies im Falle eines Turmbruchs wegen des geringen Anstands zur Pipeline eindeutig der Fall (S. 20); das Gleiche gilt für den Fall eines Maschinenhausabwurfs, wenn dieser auch die daran befestigten Rotoren betrifft. Für Rotorblattbrüche sind - abhängig von der Windrichtung - Aufprallorte im Bereich der Pipelines möglich.

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Damit ergibt sich jedenfalls für zwei der drei untersuchten Havariefälle die Möglichkeit eines Schadens.

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3.2.2.2 Die Antragstellerin ordnet diese Risiken unter Verweis auf die o. g. Gutachten allerdings als „theoretisch“ ein, da für den Eintritt der betrachteten Risiken keine relevante Wahrscheinlichkeit bestehe. Soweit die erstinstanzliche Entscheidungsbegründung (S. 13 - 15 des Beschl.-Abdr.) dem nicht folge, werde diese durch das Gutachten vom 06.05.2015 und die – ergänzend vorgelegte – Stellungnahme des Gutachters vom 18.04.2016 (Anlage Ast 16) widerlegt. Danach sei es „undenkbar, dass bei Montagefehlern die in 52 m Entfernung liegenden Pipelines in Mitleidenschaft gezogen werden“ [S. 3]; eine Gefährdungslage für die Pipelines, die die in Deutschland „normativ“ festgelegten Grenzwerte überschreitet, gebe es nicht [S. 6].

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Dem kann nicht gefolgt werden.

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Die herangezogenen „Grenzwerte“ leiten die Gutachter aus der DIN EN ISO 16708 („Erdöl- und Erdgasindustrie - Rohrleitungstransportsysteme – Zuverlässigkeitsanalysen“) und dem Gutachten „97111 Rev07“ (in „Kurzfassung“ als Anlage Ast. 13 vorgelegt) ab. Für das Schutzobjekt „Mineralölleitung“ soll danach ein Gefährdungs-„Grenzwert“ von (bis zu) 1,00*10-6 Ereignissen pro Jahr gelten, wobei „eingeerdete“ Pipelines zu berücksichtigen sind. Die Gesamt-Gefährdung wird mit 9,00*10-8 Ereignissen pro Jahr berechnet und gegenüber den angenommenen „Grenzwerten“ von 1,00*10-5 bis 1,00*10-7 Ereignissen pro Jahr als „gering“ eingestuft (Anlage Ast 14 vom 04.02.2016, S. 3).

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Demgegenüber ist bereits zweifelhaft, ob es für Schadenswahrscheinlichkeiten überhaupt (feste) Grenzwerte geben kann. Soweit immissionsschutzrechtliche Regelwerke (z. B. § 2 der 16. BImSchV oder Nr. 6.1 der TA Lärm) Grenz- oder Richtwerte enthalten, beziehen sich diese auf das Maß bestimmter Immissionen, nicht auf die Wahrscheinlichkeit ihrer Wirkungen. Auch die 12. BImSchV kennt für die Wahrscheinlichkeit von „Störfällen“ keine Grenzwerte (allenfalls „Mengenschwellen“).

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Unabhängig davon sind die in den von der Antragstellerin vorgelegten Gutachten angegebenen Grenzwerte nicht tragfähig. Sie gehen aus einer nach der DIN EN ISO 16708 vorgenommenen „probabilistischen Bewertung“ hervor, sind also nicht unmittelbar aus der genannten DIN entnommen. Eine technische Norm – als solche – könnte i. Ü. rechtlich verbindliche „Grenzwerte“ nicht begründen. Das gilt ebenso für das allgemeine Risikogutachten „97111 Rev07“, und zwar auch dann, wenn dieses von anderen Behörden (LBEG Clausthal-Zellerfeld, Bezirksregierung Weser-Ems) oder (gar) „bundesweit“ verwendet wird. Für die Entscheidungspraxis des Antragsgegners, insbesondere die ihm obliegende Risikoermittlung und -bewertung bzw. für deren anschließende gerichtliche Kontrolle sind die in den Gutachten angenommenen Grenzwerte nicht bindend.

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Den sog. „Grenzwerten“ kommt - überdies - eine unterschiedliche Bedeutung zu, je nachdem, ob es um die Überprüfung der bau- oder planungsrechtlichen Zulässigkeit einer Anlage oder – wie hier – einer möglichen Gefährdung einer (vorhandenen) Anlage durch ein neu hinzukommendes Bauwerk geht.

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Im erstgenannten Fall geht es um eine Einschätzung denkbarer anlagebezogener Gefahren und ihrer Ereigniswahrscheinlichkeiten, um bei einer erhöhten Gefährdung mit der Anlagenzulassung über Schutzvorkehrungen zu entscheiden. Insoweit kann (auch) eine probabilistische Methode zur Anwendung kommen (vgl. z. B. VGH München, Urt. v. 14.06.2004, 8 A 02.40087, Juris).

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Im vorliegenden Fall des „Heranrückens“ einer potentiell gefährdenden Anlage an eine schutzbedürftige Pipeline müssen demgegenüber - in einem ersten Schritt - die von der gefährdenden Anlage ausgehenden Schadensrisiken auf ihr Schädigungspotential untersucht werden. Sodann sind - in einem zweiten Schritt - die Schadenswahrscheinlichkeit(en) und die im Schadensfall eintretenden Folgen zu prüfen.

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Ein Schädigungspotential ist hier - jedenfalls - für die Risiken eines Turmbruchs und eines Maschinenhaus- oder Rotorblattabwurfs gegeben (s. o. 3.2.2.1).

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Dem Antragsgegner ist darin zu folgen, dass der - weiteren - Gefährdungsbeurteilung nicht nur die „reine Schadenswahrscheinlichkeit“, sondern auch das Ausmaß möglicher Schadensereignisse zugrunde zu legen ist (Schriftsatz vom 04.08.2016, S. 6). Risiken mit (eher) geringem Schädigungspotential (z. B. Eiswurf) sind hier anders zu bewerten als solche, die große Schäden besorgen lassen. Die Beurteilung der Schadenswahrscheinlichkeit bzw. der Verwirklichung bestimmter Risiken erfolgt - m. a. W. - nicht losgelöst vom Ausmaß möglicher Schäden. Je größer und folgenschwerer möglicherweise eintretende Schäden sind, desto geringer sind die Anforderungen, die an die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts gestellt werden können; insoweit geht eine wertende Abwägung in die Prognose ein (BVerwG, Urt. v. 06.09.1974, I C 17.3, BVerwGE 47, 31 [bei Juris Rn. 23], OVG Münster, Beschl. v. 26.03.2003, 7 A 4491/99, BeckRS 2003, 22626). Das gilt – im Baurecht – etwa für Brandgefahren, die tendenziell eine niedrige „Eingriffsschwelle“ begründen, um Schäden an Leib und Leben einer unbestimmten Vielzahl von Menschen, die jederzeit eintreten können, oder gravierende Umweltschäden zu vermeiden. Zur Gefahrenabwehr sind dann auch „auf der sicheren Seite“ liegende Maßnahmen gerechtfertigt (OVG Münster Urt. v. 21.09.2012, 2 A 182/11, NVwZ 2013, 213). Liegt – wie hier – aufgrund der Möglichkeit eines Schadens ein hohes Besorgnispotential vor, können zumutbare Maßnahmen zur Schadensvorsorge – unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips - auch dann gefordert werden, wenn Risiken zu beurteilen sind, für deren Eintrittswahrscheinlichkeit (noch) keine gesicherten Erkenntnisgrundlagen bestehen.

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3.2.2.3 Vorliegend müsste mit (sehr) gravierenden Folgen gerechnet werden, wenn infolge der o. g. Havarien die Pipelines „getroffen“ und beschädigt würden.

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Der Antragsgegner hat insoweit auf den Schutz des Bodens und des Grundwassers sowie auf die Rohstoffversorgung mehrerer Industrieunternehmen und darüber hinaus „aufgrund der durchgeleiteten Stoffe“ auf Gefährdungen von Mensch, Umwelt und Sachwerten verwiesen. Damit sind nicht nur Belange der Beigeladenen betroffen, sondern auch solche unbeteiligter Dritter und der Allgemeinheit.

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Die in den Pipelines transportierten – entzündbaren - gasförmigen Stoffe (Ethylen [C2H4], Wasserstoff) sind im Gemisch mit Luft gefährlich; bei einer Beschädigung der Pipelines muss mit Gasaustritt und anschließend mit einem brand- oder explosionsgefährlichen Gas-/Luftgemisch gerechnet werden .

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(vgl. zu Ethylen: REACH-Sicherheitsdatenblatt gem. Richtlinie 1907/2006/EG, Stand 13.10.2015, Abschnitte 2 und 10.3; zu Wasserstoff: Bericht „Anwendung der Wasserstofftechnologie – eine Bestandsaufnahme der Störfallkommission [SFK] beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, SFK-GS-37, vom 22.05.2002, S. 9-11, S. 28)

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Bei einer havariebedingten Schädigung der Ölleitung kann austretendes Rohöl zu den (vom Antragsgegner befürchteten) Boden- und Grundwasserverunreinigungen führen. Damit ist – insbesondere hinsichtlich der Gasleitungen - mit ganz erheblichen Gefahren zu rechnen, die nicht nur Schutzgüter der Beigeladenen, sondern auch solche nichtbeteiligter Dritter und Umweltgüter betreffen.

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3.2.2.4 Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sind die aufgezeigten - gravierenden - Folgen von möglichen Schadensfällen nicht einem „unentrinnbaren“ und (daher) hinzunehmenden „Restrisiko“ zuzuordnen.

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Der Bereich eines - hinzunehmenden - Restrisikos (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.08.1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89 ff. [Juris Rn. 112]) wird vorliegend nicht erreicht. Der Antragsgegner kann von der Antragstellerin im Genehmigungsverfahren verlangen, dass diese (auch) den nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG bestehenden immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflichten nachkommt. Der Umstand, dass sich Dritte darauf nicht berufen können (BVerwG, Urt. v. 18.05.1982, 7 C 42.80, NVwZ 1983, 242), ändert daran nichts. Im Rahmen der Vorsorgepflicht können auch - technisch mögliche und wirtschaftlich zumutbare - Maßnahmen zur Risikominderung verlangt werden, auch wenn diese (noch) nicht dem Stand der Technik entsprechen, um das Ausmaß von Gefährdungen durch Havarien so gering wie möglich zu halten (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.07.2015, 7 C 10.13, NVwZ 2016, 79).

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Maßnahmen zur Verhinderung oder Minimierung einer durch eine „Havarie“ verursachten Gefährdung greifen „oberhalb“ des „unentrinnbaren“ Restrisikos. Soweit solche Maßnahmen möglich und verhältnismäßig sind, sind sie zulässig, was zugleich bedeutet, dass die damit vermiedenen oder verminderten Risiken nicht als sog. „Restrisiko“ tolerabel sind (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.06.2011, a.a.O., Rn. 58).

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3.2 Den angefochtenen Nebenbestimmungen kann nicht entgegengehalten werden, die Pipelines der Beigeladenen seien kein „geeignetes Schutzobjekt“, weil sie illegal betrieben werde, außerhalb des grundbuchlich gesicherten Schutzstreifens verlaufe und dinglich – durch eine beschränkte persönlichen Dienstbarkeit – nicht zu Gunsten der Beigeladenen, sondern der Deutschen Texaco AG gesichert sei.

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3.2.1 Zur Genehmigungslage hat der Antragsgegner – auf Anfrage des Senats – die Genehmigungsbescheide vom 26.07.1963 (Äthylen-, Wasserstoffleitung) und die Betriebserlaubnis vom 14.12.1973 (Rohölleitung) vorgelegt (Anlagen Ag 3 und 4); die Angaben werden durch die Beigeladene bestätigt (Anlagen B 5 und B 6). Die genannten Genehmigungen haben – soweit ersichtlich – bis heute Bestand. Von (öffentlich-rechtlich) „illegalen“ Pipelines kann damit nicht ausgegangen werden.

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3.2.2 Die Frage, ob alle Pipelines innerhalb des Schutzstreifens verlaufen, der den im Grundbuch von Brunsbüttel Blatt 4303 – Zweite Abteilung, lfd. Nr. 1, 2 und Nr. 5 eingetragenen beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten auf den Flurstücken 88/2, 86/1, 85/1, 83 und 76/4 der Flur 44 Gemarkung Brunsbüttel zuzuordnen ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da die angefochtene Auflage zu Nr. A III.2.11.8 des Genehmigungsbescheides vom 02.06.2015 der Abwehr von Gefahren dient, die die - öffentlich-rechtlich genehmigten (s.o. 3.2.1) - Pipelines betreffen; diese bestehen auch dann, wenn die Pipelines (derzeit) nicht vollständig durch beschränkte persönliche Dienstbarkeiten gesichert sind. Hinzuweisen ist i. Ü. darauf, dass sich die Auflage zu Nr. A III.2.11.8 des Genehmigungsbescheides - ersichtlich – nur auf die Rohöl-, Ethylen- und Wasserstoff-Pipelines der Beigeladenen bezieht, die in einem Abstand von 13,5 – 14 m daneben verlaufende Leitungstrasse der RWE DEA AG ist somit nicht betroffen.

54

Die – weitere – Frage, ob die Beigeladene als Berechtigte der im Grundbuch (a.a.O.) eingetragenen beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten i. S. d. § 1090 Abs. 1 BGB anzusehen ist bzw. ob ihr die Dienstbarkeit gem. § 1092 Abs. 3 BGB übertragen worden ist, ist für die vorliegende Entscheidung ebenfalls unerheblich, da – auch – insoweit allein die Gefahrenabwehrfunktion der angefochtenen Auflage maßgeblich ist. Es bedarf deshalb auch keiner Klärung der Frage, ob die Dienstbarkeiten inzwischen auf die Beigeladene grundbuchlich „ungeschrieben“ worden sind.

55

3.3 Die angefochtenen Auflagen sind zur Abwehr des mit einem Havariefall verbundenen Gefährdungspotentials erforderlich und verhältnismäßig.

56

Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn das mit den Auflagen verfolgte Ziel der Vermeidung von Gefahren bzw. Minderung von Schadensfolgen nicht mit weniger beeinträchtigenden Maßnahmen erreichbar ist. Die angeordnete Maßnahme muss dementsprechend verhältnismäßig sein; das gilt sowohl für die Lage (1,1-facher Radius der Nabenhöhe), Dimensionierung (180 m Länge) und bauliche Ausführung (0,2 m dicke Stahlbetonplatten) der Schutzmaßnahme als auch in Bezug auf das Verhältnis zwischen dem dadurch entstehenden finanziellen Aufwand und dem erreichbaren „Sicherheitsgewinn“ (vgl. Storost, a.a.O., § 12 Rn. D 3, D 5). Grundsätzlich gilt - auch - hier die „Je - desto“-Formel: Je höher das abzuwehrende Besorgnispotential ist, desto eher können belastende, aufwändige Maßnahmen verlangt werden, soweit diese „risikoproportional“ sind (vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 2016, § 5 BImSchG Rn. 159, 160).

57

Nach diesen Maßstäben ist die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der angefochtenen Auflagen anzuerkennen. Zwar erfordert ihre Erfüllung einen beträchtlichen (technischen und finanziellen) Aufwand, doch ist dieser – unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips - gerechtfertigt, da die in Rede stehenden Risiken mit einem hohen Schädigungs- und Gefahrenpotential verbunden sind (s. o. 3.2.2.3).

58

3.3.1 Die Antragstellerin schätzt die Gesamtkosten der Errichtung der 180 m langen Stahlbeton-Überdeckung im Radius des 1,1-fachen der Nabenhöhe auf 999.326,00 Euro (e-mail vom 03.05.2016). Ob diese aus „Erfahrungswerten“ abgeleitete Kostenschätzung realistisch ist, mag hier offen bleiben. Im Hinblick auf die geringen Nennweiten der Ethylen- (NW 200) und der Wasserstoffleitung (NW 80) und der Nennweite der Rohölleitung (NW 450) wäre eine Stahlbetonüberdeckung möglicherweise nicht in 8 m Breite (wie berechnet) erforderlich.

59

3.3.2 Hinsichtlich der Risiken ist das Erfordernis der Stahlbeton-Abdeckung jedenfalls in Bezug auf die Gefahren infolge eines Turmbruchs bzw. einer Ablösung des Maschinenhauses oder von Rotorblättern gegeben. Allein Gefährdungen durch Eiswurf können vernachlässigt werden, da insoweit die Erdüberdeckung genügend Schutz vor einer Beschädigung der Pipelines bietet (vgl. Gutachten vom 06.05.2015, Anlage A 1, S. 7).

60

Bei einem Bruch des (bis zur Nabe) 100 m hohen Turms liegen die Pipelines innerhalb des Radius, in dem der Turm niedergehen kann; nach dem Lageplan (Anlage A 2.1 zum Gutachten vom 06.05.2015) beträgt der geringste Abstand zu den Pipelines weniger als 50 m. Hier wäre also eine Leitungsbeschädigung durch den Turm und (evtl.) auch durch das darauf montierte Maschinenhaus möglich.

61

Beim Abwurf oder Abbruch eines Rotorblattes geht das Gutachten vom 06.05.2015 (Anlage A 1, S. 10) von einer Schädigung des Schutzobjekts aus, wenn das Rotorblatt mit ausreichender kinetischer Energie darauf trifft. Die Lage einer evtl. Aufprallstelle kann nicht vorausberechnet werden; innerhalb der im Gutachten (Anlagen A 3.1 – A 3.14, A 4.1- A 4.14) angegebenen Aufprallbereiche ist jede Lage als „probabilistisch gleichwertig“ zu betrachten, wobei für den Fall eines Auftreffens des Rotorblatts in „kritischer Stellung“ mit einer Zerstörung des Schutzobjekts zu rechnen ist (Anlage A 1, S. 14, 15). Daraus ergibt sich eine Gefährdung mit einem (sehr) hohen Schädigungspotential.

62

Bei einem „Abwurf“ des Maschinenhauses würde der Aufprallbereich, wenn allein dieses sich löst, (weit) abseits der Leitungen liegen: Nach dem Gutachten vom 06.05.2015 (S. 9; Anlage A 1, S., 17; Anlage A 5) wäre ein Radius von 17,92 m um die WKA betroffen. Mit einer wind-/sturmbedingten Abdrift ist aufgrund des hohen Gewichts des Maschinenhauses von knapp 180 t (inkl. Nabe und Blätter) nicht zu rechnen.

63

Mit einer Schädigung der Pipelines wäre allerdings zu rechnen, wenn sich das Maschinenhaus zusammen mit den daran befestigten Rotoren vom Turm ablöst. In diesem Fall können Schädigungen der Pipelines durch die ca. 50 m langen Rotorblätter entstehen.

64

3.3.3 Die geforderte Schutzmaßnahme für die Pipelines ist – ihrer Ausdehnung nach – angemessen. Die o. g. Risiken eines Turmbruchs bzw. einer Ablösung des Maschinenhauses oder von Rotorblättern betreffen – zumindest – den Bereich innerhalb des Radius des Turms (bis zur Nabenhöhe); für die Szenarien eines Abbruchs des Maschinenhauses mit Rotoren oder von Rotorblättern geht der gefährdete Bereich noch darüber hinaus. Aus dem Lageplan (Anlage A 2.1 zum Gutachten vom 06.05.2015) ist zu entnehmen, dass schon bei der (konservativen) Annahme, dass die Gefährdung auf einen Umkreis von 100 m – entsprechend der Turmhöhe bis zur Nabe – begrenzt wird, eine Leitungslänge von 170 – 180 m im Gefährdungsbereich liegt. Die in der Auflage A III 2.11.8 geforderte Überdeckung auf einer Länge von 180 m ist damit – an der unteren Grenze – noch als risikoadäquat anzuerkennen.

65

3.3.4 Gegen die Erforderlichkeit der bautechnischen Ausgestaltung der Pipeline-Abdeckung bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Eine 20 cm starke Betonabdeckung vermittelt nach der hier vorzunehmenden summarischen Beurteilung auch bei besonders „kritischen“ Schadensszenarien eine ausreichende Sicherheit vor den im Havariefall möglichen Gefährdungen.

66

3.4 Der Einwand der Antragstellerin, im Verlauf der Pipeline seien drei weitere Windenergieanlagen anzutreffen, welche den geforderten Abstand des 1,1-fachen der Nabenhöhe unterschreiten, ohne dass dort vergleichbare Sicherheitsmaßnahmen gefordert worden seien, stellt die Rechtmäßigkeit der in ihrem Fall verfügten Auflage nicht in Frage.

67

Der Antragsgegner und die Beigeladene weisen zu Recht darauf hin, dass auch dann, wenn in den von der Antragstellerin benannten Fällen vergleichbare Sachverhalte vorlägen, kein Anspruch bestünde, die dortige Genehmigungspraxis auch im vorliegenden Fall beizubehalten. Die Genehmigungsbehörde ist in jedem Einzelfall verpflichtet, Gefahren, die mit dem Bau oder Betrieb von Windkraftanlagen verbunden sind, durch geeignete und verhältnismäßige Auflagen vorzubeugen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG); wenn dies in anderen Fällen nicht geschehen sein sollte, kann die Antragstellerin nicht verlangen, dass auch in ihrem Fall von einer Anwendung des Immissionsschutzrechts abgesehen wird.

68

Der von der Antragstellerin geforderten Beiziehung der (Genehmigungs-)Akten zu den Windenergieanlagen „W 10“, „W 12“ und „W 13“ bedarf es deshalb nicht; die in jenen Fällen vorzufindende Genehmigungspraxis ist für die hier zu treffende Entscheidung unerheblich. Lediglich anzumerken bleibt, dass nach den Angaben des Antragsgegners (Schriftsatz vom 22.05.2017) zwei der drei von der Antragstellerin benannten Windenergieanlagen einen Abstand von mehr als dem 1,1-fachen der Nabenhöhe zur Rohrleitung hatten. Allein bei der Anlage „W 13“ ist dies („marginal“) nicht der Fall, wobei die Abstandsunterschreitung im Fall der Anlage der Antragstellerin deutlich stärker ausfällt.

69

Der (allgemeine) Hinweis der Antragstellerin darauf, dass die Pipeline in ihrem (weiteren) Verlauf auch oberirdische (Gewässer-)Querungsbauwerke aufweist bzw. (oberirdisch) entlang „häufig frequentierter“ Straßen und Wege verläuft (s. dazu Anlage Ast 18), ist vorliegend ebenfalls unerheblich. Die durch die Errichtung und den Betrieb der WKA der Antragstellerin begründete Gefahr wird nicht dadurch „kleiner“, dass die Pipeline – möglicherweise – noch andere Gefahrenstellen aufweist.

70

3.5 Die - auf gerichtliche Anregung - erwogene Standortverschiebung der WKA zur Minderung des Havarierisikos dürfte nach Errichtung der Anlage nicht mehr in Betracht kommen (s. dazu auch Anlage Ast 17).

71

Die – weiteren - alternativen Möglichkeiten zur Risikominderung (Erdwallüberdeckung der Pipelines, Bepflanzung) kämen in Betracht, wenn dadurch die Gefahren infolge einer Havarie im o. g. Sinne (3.2.2.3, 3.3.2) hinreichend sicher ausgeschlossen werden könnten. Eine alternative Lösung könnte - im Sinne eines Austauschmittels - an die Stelle der Auflage zu A III.2.11.8 treten, wenn sie zur Gefahrenabwehr ebenso wirksam ist wie das geforderte Mittel (vgl. OVG Münster Urt. v. 26.3.2003, 7 A 4491/99, BeckRS 2003, 22626 sowie Urt. v. 21.09.2012, 2 A 182/11, NVwZ-RR 2013, 213 [bei Juris Rn. 114]).

72

Vorliegend ist – auch im Beschwerdeverfahren – kein Austauschmittel im genannten Sinne hervorgetreten, das es rechtfertigen könnte, das „Festhalten“ des Antragsgegners an der Auflage 4 III.2.11.8 als unverhältnismäßig anzusehen. Der Antragsgegner ist nicht gehalten, von sich aus nach solchen Mitteln zu „forschen“.

73

Es ist Sache der Antragstellerin, ein solches Austauschmittel vorzuschlagen (Urt. des Senats v. 18.01.2013, 1 LB 2/12, Juris [Rn. 39] – mit Hinweis auf BVerwG, Beschl. v. 12.06.1973, IV B 58.72, BRS 27 Nr. 151). Das gilt auch in Bezug auf der Gefahrenabwehr dienende Auflagen zu einer Genehmigung, wenn es - wie hier - darum geht, ein „milderes“ Mittel zur wirksamen Abwehr von Havarierisiken zu finden; insoweit gelten die Anforderungen des Genehmigungsverfahrens entsprechend (§ 4 Abs. 1, § 4b Abs. 1 Nr. 2 der 9. BImSchV).

74

Als Austauschmittel käme u. U. eine weniger breite Abdeckung der Pipelines in Betracht, wenn dies im Hinblick auf die Nennweiten der Rohrleitungen ausreichend ist (s. o. 3.3.1). Was die Möglichkeit einer Erdwallüberdeckung (mit/ohne Geotextilverstärkung bzw. Bepflanzung) anbetrifft, weist der Antragsgegner zutreffend darauf hin, dass der Antragstellerin als Anlagenbetreiberin und Genehmigungsinhaberin der Nachweis obliegt, dass eine (kostengünstigere [nach der vorgelegten Schätzung nur 134.600 Euro erfordernde]) Erdwallüberdeckung eine Beschädigung der Rohrleitungen im Fall einer Havarie oder herabstürzender Anlagenteile ausschließt (Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 28.06.2016). Die dazu von der Antragstellerin übersandten Unterlagen (Stellungnahme Dipl.-Ing. C. vom 18.07.2016, Stellungnahme Dipl.-Ing. M. vom 14.07.2016) lassen aus der - nachvollziehbaren - Sicht des Antragsgegners allerdings Aussagen dazu vermissen, ob eine Erdwallüberdeckung einen hinreichend sicheren Havarieschutz erbringt. Die Antragsgegnerin kann sich erst nach Vorlage der erforderlichen Nachweise und Prüfung der damit erreichten Sicherheit auf eine Alternativlösung als Austauschmittel zu der angefochtenen Auflage einlassen.

75

4. Die Beschwerde ist nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil sie sich mit eigenen Anträgen am Beschwerdeverfahren beteiligt hat.

76

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG (1/2 der geschätzten Kosten der Stahlbetonüberdeckung).

77

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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