Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (4. Senat) - 4 LA 37/17

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts
- 1. Kammer, Einzelrichter - vom 19. Januar 2017 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der vom Kläger ausdrücklich nur geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor, jedenfalls fehlt es an einer entsprechenden Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

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1. Der Kläger wendet sich gegen eine aus 13 Einzelmaßnahmen bestehende tierschutzrechtliche Ordnungsverfügung, die die Haltung von Pferden, Rindern und Kaninchen auf seinem Hof betrifft. Er rügt, dass das Gericht in seinem klagabweisenden Urteil ausschließlich auf die Äußerungen der auch als Zeugin gehörten Amtstierärztin … eingehe und diese vor dem Hintergrund der Aussage des Zeugen … nicht hinterfrage. Der Zeuge habe erklärt, dass ihm in den Gebäuden und Stallungen keine beanstandungswürdigen Gesichtspunkte aufgefallen seien. Weder sei der Hof baufällig noch sei ihm etwas aufgefallen, was weitere Maßnahmen notwendig gemacht hätte. Diese Aussage sei vom Gericht mit keinem Wort berücksichtigt worden. Das Gericht hätte in Anbetracht der unterschiedlichen Aussagen zumindest aufgrund einer kurzen Abwägung entscheiden müssen. Ferner macht der Kläger geltend, dass das Verwaltungsgericht die Aussage der Zeugin … fehlerhaft gewichtet habe. Soweit es ihrer Aussage als Amtstierärztin ein besonders großes Gewicht zuerkenne, blende es bestehende Konflikte aus. Als Amtstierärztin stehe sie seit vielen Jahren in Auseinandersetzung mit dem Kläger. Eine objektive Bewertung sei deshalb nicht möglich.

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a. Für die Darlegung ernstlicher Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO muss ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten zumindest insoweit in Frage gestellt werden, dass der Erfolg des Rechtsmittels bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung ebenso wahrscheinlich erscheint wie der Misserfolg (BVerfG, Beschl. v. 16.01.2017 - 2 BvR 2615/14 - in juris Rn. 19 m.w.N.). Hierfür muss der Antragsteller ausführen, welche Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung er für unzutreffend hält und aus welchen Gesichtspunkten sich dies ergibt. Er muss ferner darlegen, dass und aus welchen Gründen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung auf diesen – aus seiner Sicht fehlerhaften – Erwägungen beruht, d.h. die dargestellten Zweifel müssen im konkreten Fall entscheidungserheblich sein. Aus ihnen muss sich die Unrichtigkeit der Entscheidung im (allein relevanten) Ergebnis ergeben; betrifft der Zweifel nur die Begründung, kann eine Zulassung nicht erfolgen (OVG Schleswig, Beschl. v. 14.05.1999 - 2 L 244/98 -, Juris Rn. 18).

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Die Gründe, aus denen heraus ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Entscheidung bestehen, können sich auch aus einer unzureichenden Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts ergeben, da die Sachverhalts- und Beweiswürdigung grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.11.1995 - 9 B 710/94 -, NVwZ-RR 1996, 359, Juris Rn. 4; Beschl. v. 30.06.2015 - 3 B 47/14 -, Juris Rn. 24; OVG Magdeburg, Beschl. v. 15.09.2017 - 2 L 23/16 -, Juris Rn. 8; Roth in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, 44. Ed., § 124 Rn. 80.1). Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Wird im Rahmen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO eine fehlerhafte Sachverhalts- bzw. Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt, bedarf es der Darlegung gewichtiger Anhaltspunkte dafür, dass die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder etwa wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung des vorliegenden Tatsachenmaterials bzw. der Beweisaufnahme oder das Ziehen anderer Schlussfolgerungen rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (VGH München, Beschl. v. 09.01.2018 - 8 ZB 16.2351 -, Juris Rn. 15; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.09.2017 - OVG 5 N 40.16 -, Juris Rn. 9; Beschl. des Senats v. 30.01.2018 - 4 LA 118/17 -). Sind bei der Beweiswürdigung mehrere Folgerungen denkgesetzlich möglich, so ist es fehlerfrei, wenn sich das Tatsachengericht für eine von mehreren möglichen Folgerungen entscheidet, da es seine ihm durch § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO übertragene Aufgabe ist, sich unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung zu bilden (VGH Kassel, Beschl. v. 10.11.2015 - 1 A 645/14.Z -, juris Rn. 29).

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Der Kläger legt nicht überzeugend dar, dass die vom Verwaltungsgericht u.a. auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen augenscheinlich nicht zutreffen oder sonst ernstlich zweifelhaft wären. Dies gilt insbesondere für die Maßgeblichkeit der Bekundungen der Amtstierärztin, die eine gezielte Überprüfung der klägerischen Stallungen und Anlagen vorgenommen, hierüber einen Vermerk nebst Lichtbildern gefertigt und als Zeugin gehört worden ist. In Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. Beschl. v. 02.04.2014 - 3 B 62/13 -, Juris Rn. 10) und anderer Obergerichte weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass das Gesetz die Einschätzung eines zugezogenen beamteten Tierarztes als gesetzlich vorgesehenen Sachverständigen im Regelfall als maßgeblich ansehe und dass dessen fachlicher Bewertung besonderes Gewicht zukomme. Die amtstierärztlichen Wertungen und die ihnen zugrunde liegenden Feststellungen könnten deshalb nicht mit schlichtem Bestreiten entkräftet werden. Diesen vom Verwaltungsgericht formulierten Ausgangspunkt der Überzeugungsbildung zieht der Kläger nicht in Zweifel. Er legt nicht dar, dass die darauf aufbauende Beweiswürdigung sich nicht schwerpunktmäßig auf die Wertungen und Feststellungen der Amtstierärztin hätte stützen dürfen. In Anbetracht der demgegenüber als eher unergiebig zu bewertenden Aussage des …, der (sinngemäß) angab, nur zur Behandlung einer Stute auf dem Hof gewesen zu sein und sich nicht weiter umgesehen zu haben, bestehen auch keine Bedenken dagegen, dass die Sachverhalts- und Beweiswürdigung den o.g. Anforderungen des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entspricht.

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b. Auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO beruft sich der Kläger nicht ausdrücklich. Entsprechend setzt er sich mit den diesbezüglichen Voraussetzungen auch nicht auseinander. Soweit er mit seinem Vortrag gleichwohl Verfahrensfehler i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend machen will, wird er schon diesbezüglichen den Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht gerecht.

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Gleichwohl merkt der Senat hierzu an, dass sich aus dem klägerischen Vortrag kein auf § 108 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 VwGO zu stützender Verfahrensmangel ergibt.

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Der aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO abzuleitende Überzeugungsgrundsatz darf nicht für eine Würdigung in Anspruch genommen werden, die im Vorgang der Überzeugungsbildung an einem Fehler leidet, z.B. an der Missachtung gesetzlicher Beweisregeln oder an der Berücksichtigung von Tatsachen, die sich weder auf ein Beweisergebnis noch sonst wie auf den Akteninhalt stützen lassen. Verfahrensfehler können außerdem in Gestalt einer im Einzelfall willkürlichen Würdigung – etwa wegen widersprüchlicher oder aktenwidriger Feststellungen oder wegen Verstößen gegen Natur- oder Denkgesetze – vorliegen. Für die Annahme, das Gericht habe dieser Verpflichtung nicht genügt, bedarf es über das Fehlen einer Auseinandersetzung mit einem einzelnen Vorbringen hinaus allerdings auch hier sonstiger eindeutiger Anhaltspunkte (BVerwG, Beschl. v. 01.06.2010 - 6 B 77/09 -, Juris Rn. 14 m.w.N.; Beschl. v. 27.03.2013 - 6 B 50/12 -, NVwZ-RR 2013, 491, Juris Rn. 11).

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Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen die Entscheidungsgründe die Gründe wiedergeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung zum entscheidungserheblichen Sachverhalt und für dessen rechtliche Beurteilung im Einzelnen maßgeblich gewesen sind. Dazu gehört auch das Ergebnis einer Beweisaufnahme und der Beweiswürdigung (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 117 Rn. 14). Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet und in welchen konkreten Bezug es diesen zu den angewendeten Rechtsnormen gesetzt hat. Das bedeutet allerdings nicht, dass sich das Verwaltungsgericht mit jeder Einzelheit des Sachverhalts auseinandersetzen muss (BVerwG, Urt. v. 20.06.1984 - 6 C 110/83 -, Juris Rn. 7; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., § 108 Rn. 30). Abgesehen von den Fällen des Fehlens jeglicher Begründung liegt ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur dann vor, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder sonst wie unbrauchbar sind (BVerwG, Beschl. v. 01.06.2010 - 6 B 77/09 -, Juris Rn. 15 m.w.N.). Dagegen verstößt ein Urteil nicht schon dann gegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.11.2010 - 8 LA 224/10 -, Juris Rn. 21 m.w.N.).

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Es trifft zwar zu, dass die Entscheidungsgründe die Aussage des Zeugen … nicht erwähnen und sie infolgedessen auch nicht der Aussage der Amtstierärztin gegenüberstellen. Dies begründet jedoch noch keinen Verstoß gegen die Begründungspflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Denn die insoweit bestehende Unvollständigkeit führt nicht zu inhaltlichen Lücken, die das Urteil unbrauchbar machen. Die für das Verwaltungsgericht maßgebliche Begründung für das Ergebnis der Beweiswürdigung ergibt sich nach den obigen Ausführungen zwanglos aus dem Umstand, dass es vorrangig den Wertungen und Feststellungen der Amtstierärztin gefolgt ist. Damit bringt es zugleich zum Ausdruck, dass die Aussage des … dem substantiell nichts entgegenzusetzen vermocht hat. Dass diese richterliche Beweiswürdigung zu einem anderen als vom Kläger erhofften Ergebnis geführt hat, stellt keinen Begründungsmangel dar.

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Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich sogleich, dass das angegriffene Urteil auch nicht an einer fehlerhaften Überzeugungsbildung i.S.d. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO leidet. Allein der Umstand, dass die Zeugenaussage des … in den Entscheidungsgründen nicht erwähnt wird, heißt nicht, dass dessen Aussage nicht ausreichend gewürdigt worden wäre. Anderweitige Fehler sind weder dargelegt noch erkennbar.

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2. Schließlich rügt der Kläger, dass das Verwaltungsgericht bei der Zeugenvernehmung die erforderlichen Formvorschriften nicht eingehalten und die vernommenen Zeugen nicht danach gefragt habe, ob sie mit einem der Beteiligten verwandt oder verschwägert seien. Dabei bleibt offen, ob er damit den sachlichen Gehalt des Urteils in Frage stellen will, um ernstliche Zweifel i.S.d. Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend zu machen oder ob er einen vom Verwaltungsgericht begangenen Verfahrensfehler und damit den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend machen will (vgl. zur Abgrenzung Rudisile in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EL Juni 2017, § 124 Rn. 50 m.w.N.).

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Darauf kommt es allerdings nicht an, weil der Kläger es auf jeden Fall versäumt hat darzulegen, dass die als Zeugen vernommenen Personen tatsächlich mit einem der Beteiligten verwandt oder verschwägert sind. Um die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu klären, kann sich das Gericht gemäß §§ 98 VwGO, § 395 Abs. 2 Satz 2 ZPO „erforderlichenfalls“ nach etwaigen Verwandtschafts- oder Schwägerschaftsverhältnissen erkundigen. § 395 Abs. 2 Satz 2 ZPO schreibt solche Glaubwürdigkeitsfragen allerdings nicht zwingend vor, sondern stellt dies in das Ermessen des Gerichts (Damrau in MüKo, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 395 Rn. 4). Welchen Anlass das Gericht hätte haben sollen, danach zu fragen, trägt der Kläger nicht vor.

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Auch für einen Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach §§ 98 VwGO, 383 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 ZPO als Verfahrensmangel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO hätte der Kläger darlegen müssen, dass zwischen den Zeugen und den Beteiligten ein solches, die Belehrungspflicht nach § 383 Abs. 2 ZPO auslösendes Verhältnis besteht oder auch nur bestehen könnte. Liegt aber ein entsprechender Verfahrensfehler schon nicht vor, kommt es auf die Frage, ob das angegriffene Urteil darauf „beruhen“ könnte, nicht mehr an. Dass das Verwaltungsgericht ohne den behaupteten Verfahrensverstoß zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 14.05.1999 - 2 L 244/98 -, Juris LS 2 und Rn. 5), legt der Kläger allerdings auch nicht dar.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

16

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

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Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

18

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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