Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (3. Senat) - 3 MR 15/20

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zu 1/3.

Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag der Antragstellerinnen,

2

die Schließungsanordnung aus § 6 Abs. 1 SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung (SARS-CoV-2-BekämpfVO) vom 18. April 2020 im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Normenkontrollantrag der Antragstellerinnen vorläufig außer Vollzug zu setzen, soweit den Antragstellerinnen der Betriebe ihrer Möbeleinzelhandelsgeschäfte in Schleswig-Holstein auf einer Verkaufsfläche von mehr als 800 m² untersagt wird,

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hat in der Sache keinen Erfolg.

4

I. Der Antrag ist zulässig.

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1. Der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 VwGO ist zulässig. Danach entscheidet das Oberverwaltungsgericht im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt. Eine entsprechende Bestimmung ist in § 67 Landesjustizgesetz enthalten. Die Antragstellerin wendet sich gegen § 6 Abs. 1 SARS-COV-2-BekämpfVO vom 18. April 2020 (im Folgenden: SARS-COV-2-BekämpfVO), mithin gegen eine untergesetzliche Norm in Form einer Landesverordnung.

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2. Die Antragstellerinnen sind im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift, die Gegenstand des Normenkontrollantrags ist, oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein, oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Dabei sind an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung keine höheren Anforderungen zu stellen als die in § 42 Abs. 2 VwGO enthaltenen. Es genügt danach, wenn die Antragstellerinnen hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass sie durch die Vorschrift des § 6 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO in einem subjektiven Recht verletzt werden (vgl. BVerwG, stRspr.,
vgl. z.B. Beschl. v. 17.12.2012 - 4 BN 19.12 -, juris Rn. 3 und v. 24.09.1998
- 4 CN 2.98 -, juris LS 1 und Rn. 9).

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Die vorstehend genannte Norm verbietet den Antragstellerinnen den zugelassenen und uneingeschränkten Betrieb ihrer großflächigen Einzelhandelsbetriebe auf einer Verkaufsfläche von mehr als 800 m², weshalb es möglich erscheint, dass die Antragstellerinnen dadurch in ihrem Recht auf Gewerbefreiheit (§ 1 GewO) sowie ihrem Grundrecht auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG) und in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein könnten. Diese Grundrechte sind auch auf juristische Personen des Privatrechts (vgl. Art. 19 Abs. 3 GG) – wie hier die Antragstellerin – anwendbar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.03.1968 - 1 BvR 975/58 -, juris Rn. 40; BVerfG, Beschl. v. 08.06.2010 - 1 BvR 2011/07 u.a. -, juris Rn. 85).

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3. Der Antrag ist auch nicht etwa deshalb unzulässig, weil er nur eine Woche vor dem Außerkrafttreten der mit ihm angegriffenen Landesverordnung, die insgesamt nur eine Geltungsdauer von zwei Wochen hat, anhängig gemacht worden ist. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG gebietet vielmehr die Möglichkeit der Anrufung des Gerichts auch bei kurzer Geltungsdauer der Norm. Ob ein Rechtsschutzbedürfnis in anderen Konstellationen zu verneinen sein kann - etwa wenn der Zeitraum zwischen Antragstellung bei Gericht und Ende der Geltungsdauer einer Landesverordnung noch (viel) kürzer ist -, lässt der Senat offen. Hier hatten die Antragstellerinnen zudem drei Tage vor Anrufung des Gerichts versucht, beim Antragsgegner eine Zulassung der Öffnung der Möbelmärkte ohne Flächenbeschränkung zu erreichen.

9

4. Soweit der Antragsgegner meint, der Antrag sei nicht statthaft, weil dieser individuell auf die Antragstellerinnen bezogen sei, § 47 Abs. 6 VwGO aber nicht ermögliche, dass eine Entscheidung in Bezug individuell auf den jeweiligen Antragsteller außer Vollzug gesetzt werden könne, dringt der Antragsgegner damit im Ergebnis nicht durch. Denn bei Auslegung des Antrags entsprechend § 88 VwGO unter Berücksichtigung des Begehrens der Antragstellerinnen ist dieser abstrakt dahingehend zu verstehen, dass eine vorläufige Außervollzugsetzung von § 6 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO beantragt wird, soweit damit Möbeleinzelhandelsgeschäfte für den Publikumsverkehr und Besuche auf einer tatsächlich genutzten Verkaufsfläche von mehr als 800 m² geschlossen bleiben.

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II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet, weil die Voraussetzungen gemäß § 47 Abs. 6 VwGO, wonach das Normenkontrollgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist, im Ergebnis nicht vorliegen.

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1. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind in erster Linie die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache anhängigen Normenkontrollantrags, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, juris Rn. 12; OVG Schleswig, Beschl. v. 09.04.2020 - 3 MR 4/20 -, juris). Dabei erlangen die Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags eine umso größere Bedeutung für die Entscheidung im Eilverfahren, je kürzer die Geltungsdauer der in der Hauptsache angegriffenen Normen befristet und je geringer damit die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Entscheidung über den Normenkontrollantrag noch vor dem Außerkrafttreten der Normen ergehen kann. Das muss insbesondere dann gelten, wenn – wie hier – die in der Hauptsache angegriffene Norm in quantitativer und qualitativer Hinsicht erhebliche Grundrechtseingriffe enthält oder begründet, sodass sich das Normenkontrollverfahren (ausnahmsweise) als zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG geboten erweisen dürfte.

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Ergibt demnach die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn der (weitere) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist.

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Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Eilantrag nicht (hinreichend) abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, das Hauptsacheverfahren aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, das Normenkontrollverfahren aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung - trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache - dringend geboten ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.02.2015 - 4 VR 5.14 -, juris Rn. 12; vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 NE 20.632 –, juris Rn. 31ff.).

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2. Nach diesen Maßstäben kommt eine vorläufige Außervollzugsetzung von § 6 Abs. 1 – insbesondere von Satz 3 – SARS-CoV-2-BekämpfVO, wonach abweichend vom Schließungsgebot nach den Sätzen 1 und 2 vorstehender Norm stationäre Verkaufs- und Warenausgabestellen des Einzelhandels bis zu 800 m² bei Einhaltung bestimmter Voraussetzungen geöffnet werden dürfen, für Möbeleinzelhandelsgeschäfte nicht in Betracht.Der Normenkontrollantrag (Az. 3 KN 18/20) wird voraussichtlich unbegründet sein; denn bei summarischer Prüfung ergeben sich gegen die angegriffene Vorschrift weder in formeller (a) noch in materieller Hinsicht (b) durchgreifende Bedenken.

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a) Die in der Hauptsache angegriffene Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2-Bekämpfungsverordnung – SARS-CoV-2-BekämpfVO) vom 18. April 2020 ist ordnungsgemäß im Wege der Ersatzverkündung (§ 60 Abs. 3 Satz 1 LVwG) auf der Internetseite der Landesregierung (https://www.schleswig-holstein.de/DE/Schwerpunkte/Coronavirus/Erlasse/Landesverordnung_Corona.

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html) bekanntgemacht worden.

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b) Die Landesverordnung findet in § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage.

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aa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind erfüllt.

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Gemäß § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG kann die zuständige Behörde Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon ausschließen.

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Die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen vor. In ganz Schleswig-Holstein gibt es bestätigte Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus SARS-CoV-2, welches die übertragbare Krankheit (im Sinne von § 2 Nr. 3 IfSG) COVID-19 auslöst; am 29. April 2020 beliefen sich die bestätigten Fälle für Schleswig-Holstein auf 2.679 (siehe: https://www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html).

21

Aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG („die zuständige Behörde trifft die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.“) folgt, dass der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ umfassend ist und der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen eröffnet, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird. Dieses Ergebnis ergibt sich zum einen anhand der Gesetzesmaterialien (vgl. Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drucks. 8/2468, S. 27 zu dem insoweit vergleichbaren § 34 BSeuchG). Danach lässt sich die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht von vornherein übersehen.

22

Gleichfalls hat das Bundesverwaltungsgericht zu den nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG möglichen Schutzmaßnahmen in seinem Urteil vom 22. März 2012 (3 C 16.11, juris Rn. 24) ausgeführt, dass hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – „wie“ – des Ergreifens – der Behörde, Ermessen eingeräumt sei. Dem liege die Erwägung zu Grunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lasse. Der Gesetzgeber habe § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen werde dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln müsse, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten seien. Darüber hinaus seien dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. Entw. eines vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Dr 8/2468, S. 27 zur Vorgängerregelung in § 24 BSeuchG).

23

Aus alledem folgt, dass alle notwendigen Schutzmaßnahmen – und mithin auch die (teilweise) Schließung von Möbeleinzelhandelsgeschäften (vgl. § 6 Abs. 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO) – auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden können.

24

bb) Bei summarischer Prüfung vermag der Senat nicht festzustellen, dass der Antragsgegner sein Ermessen fehlerhaft betätigt haben könnte, soweit er es gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 SARS-CoV-2-BekämpVO vom 18. April 2020 Möbeleinzelhandelsgeschäften verbietet, großflächig zu öffnen. Es gibt derzeit keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass die Maßnahme nicht notwendig sein könnte. Sie verletzt die Antragstellerinnen weder in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG oder in ihrem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. <1>) noch in ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG) (vgl. <2>). Die Schutzmaßnahme erweist sich vielmehr derzeit als geeignet, erforderlich und angemessen, um den angestrebten Zweck, das Infektionsgeschehen einzudämmen, zu erreichen. Sie ist mithin noch verhältnismäßig.

25

(1) Soweit die Antragstellerinnen rügen, das Verbot, ihre Möbelhäuser großflächig zu öffnen, greife unverhältnismäßig in ihre Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und in Art. 14 Absatz 1 Satz 1 GG, insbesondere in ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein - die faktische Schließung ihrer Möbeleinzelhandelsgeschäfte habe für sie existenzbedrohende Wirkungen -, folgt der beschließenden Senat dieser Auffassung nicht. Denn die in § 6 Abs. 1 Satz 3 SARS-CoV-2-BekämpfVO getroffene Regelung ist bei summarischer Prüfung noch verhältnismäßig.

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Wie bereits oben ausgeführt, räumt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG der Behörde ein Auswahlermessen in Bezug auf die zu treffende Schutzmaßnahme ein. Die Ermessensausübung ist auf „notwendige Schutzmaßnahmen“ beschränkt; das heißt es muss sich bei den ergriffenen Maßnahmen um solche handeln, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt. Wird ein Kranker, Krankheitsverdächtiger, Ansteckungsverdächtiger oder Ausscheider festgestellt, begrenzt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG den Handlungsrahmen der Behörde nicht dahin, dass allein Schutzmaßnahmen gegenüber der festgestellten Person in Betracht kommen. Die Vorschrift ermöglicht Regelungen gegenüber einzelnen wie mehreren Personen (OVG Schleswig, Beschl. v. 02.04.2020 – 3 MB 8/20 –, juris Rn. 36 unter Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 22.03.2012, a.a.O., juris Rn. 25).

27

Hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 GG, der keinen Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten umfasst (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.06.2002 – 1 BvR 558/91 –, juris Rn. 43), stellt sich die angegriffene Regelung für die Antragstellerinnen als Berufsausübungsregelung dar, da mit dieser zeitweise der Geschäftsbetrieb der Antragstellerinnen (partiell) unterbunden wird. Eine Berufsausübungsregelung ist aber schon gerechtfertigt, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie als zweckmäßig erscheinen lassen und das Grundrecht nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird (BVerfG, Urt. v. 17.02.1998 – 1 BvF 1/91 -, juris Rn. 99). Die mit dem Antrag angegriffene Vorschrift dient dem Schutz des Lebens und der Gesundheit der gesamten Bevölkerung, ist mithin eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls.

28

In Bezug auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, der das bürgerlich-rechtliche Eigentum samt Nutzung schützt, ist § 6 Abs. 1 Satz 3 SARS-CoV-2-BekämpfVO als eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu qualifizieren. Das Bundesverfassungsgericht betont, dass auch der Schutz des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs“ nicht weiter reicht als der Schutz, den seine wirtschaftliche Grundlage genießt und nur den konkreten Bestand an Rechten und Gütern erfasst; bloße Umsatz- und Gewinnchancen oder tatsächliche Gegebenheiten werden hingegen auch unter dem Gesichtspunkt „des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs“ nicht von der Eigentumsgarantie erfasst (BVerfG, Urt. v. 06.12.2016 – 1 BvR 2821/11 u.a. –, NJW 2017, 217, 223).

29

Die (zeitlich befristeten) Beschränkungen von Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG sind derzeit aber verhältnismäßig, d.h. geeignet, erforderlich und angemessen im Hinblick darauf, das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.

30

(a) Die Schließung der großflächigen Möbeleinzelhandelsgeschäfte ist geeignet, die Anzahl der Kontakte von Menschen und damit die Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus zu reduzieren.

31

(b) Die auf 800 m² begrenzte Öffnungsmöglichkeit bzw. die Schließung der großflächigen Möbelgeschäfte ist auch erforderlich, weil ein gleich geeignetes Mittel zur Reduzierung der Anzahl der im Falle der Öffnung der Geschäfte zusammenkommenden Personen nicht ersichtlich ist (vgl. dazu nachstehende Ausführungen unter <2>).

32

(c) Die Maßnahme ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne, mithin angemessen. Insoweit kommt es auf den Rang des zu schützenden Rechtsguts und die Intensität seiner Gefährdung einerseits sowie auf die Art und Schwere der Beeinträchtigung der hier in Rede stehenden Freiheitsrechte der Antragstellerinnen andererseits an (vgl. BVerfG, Beschl. v. 24.05.2005 - 1 BvR 1072/01 -, juris Rn. 66). Hier stehen sich die Schutzpflicht des Staates im Hinblick auf das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung auf der einen Seite und das Eigentumsrecht, insbesondere das Recht am eingerichteten und ausgeübten Geschäftsbetrieb, sowie die Berufsfreiheit der Antragstellerinnen auf der anderen Seite gegenüber.

33

In einer Güterabwägung muss das Interesse der Antragstellerinnen an einem uneingeschränkten Geschäftsbetrieb hinter dem überragenden öffentlichen Interesse an der Eindämmung der Ausbreitung von COVID-19 – betroffen sind die Schutzgüter Leben und körperliche Unversehrtheit im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – zurückstehen. Das Robert-Koch-Institut schätzt weiterhin die Gefährdung durch das Coronavirus SARS-CoV-2 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland als hoch, für Risikogruppen als sehr hoch ein (COVID-19-Lagebericht vom 28. April 2020, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/ Con-tent/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-28-de.pdf?__blob=publicationFile). Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe – insbesondere nach Ablauf des derzeit bis zum 3. Mai 2020 befristeten Geltungszeitraums der Landesverordnung – hat der Antragsgegner fortlaufend zu prüfen, ob die Regelung noch erforderlich ist.

34

Würde die angegriffene Regelung im Sinne der Antragstellerinnen vorläufig außer Vollzug gesetzt, d.h. unter Regulierung des Zutritts bei umfangreichenden Hygienemaßnahmen – wie von den Antragstellerinnen geplant –, wäre dennoch ein Kontakt des Publikums untereinander und damit eine Infektionsgefahr nicht ausgeschlossen (siehe unten unter <2>). Vor diesem Hintergrund ist es den Antragstellerinnen ebenso wie den anderen derzeit geschlossenen Geschäften und Gaststätten zuzumuten, die Einbußen, die mit der auf 800 m² begrenzten Öffnungsmöglichkeit verbunden sind, hinzunehmen. Insoweit mag der vom Antragsgegner angeführte Aspekt, dass es in der Zukunft bei Öffnung der Möbelhäuser zu Nachholeffekten – des nur selten anstehenden Kaufs von Möbeln – kommen könnte, die den Antragstellerinnen entstehenden Härten der Schließung abmildern.

35

(2) § 6 Abs. 1 Satz 3 SARS-CoV-2-BekämpVO verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

36

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen (und gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auch juristische Personen) vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Dabei verwehrt Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Anforderungen, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG, Beschl. v. 07.03.2017 – 1 BvR 1314/12 –, BVerfGE 145, 20-105, Rn. 171 mwN).

37

Hiernach sind die sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Grenzen für die Infektionsschutzbehörde, die mit der Differenzierung zwischen Verkaufsstellen für solche Güter, deren Verfügbarkeit sie für die tägliche Versorgung der Bevölkerung als erforderlich ansieht, und denen, hinsichtlich derer ein erschwerter Zugang vorübergehend im Interesse einer möglichst weitgehenden Verringerung der Infektionsgefahr hingenommen werden kann, bei Regelungen eines dynamischen Infektionsgeschehens weniger streng (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.04.2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris Rn. 25). Auch kann die strikte Beachtung des Gebots innerer Folgerichtigkeit hier – anders als etwa im Steuerrecht – nicht eingefordert werden (so auch OVG Hamburg, Beschl. v. 26.03.2020 - 5 Bs 48/20 -, juris Rn. 13; OVG Weimar, Beschl. v. 09.04.2020 - 3 EN 245/20 -, juris Rn. 67 -, OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.04.2020 - 13 MN 98/20 -, juris Rn. 64). Zudem ist die sachliche Rechtfertigung nicht allein anhand des infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrades der betroffenen Tätigkeit zu beurteilen. Vielmehr sind auch alle sonstigen relevanten Belange zu berücksichtigen, etwa die Auswirkungen der Ge- und Verbote für die betroffenen Unternehmen und Dritte und auch öffentliche Interessen an der uneingeschränkten Aufrechterhaltung bestimmter unternehmerischer Tätigkeiten (so OVG Lüneburg, Beschl. v. 27.04.2020, a.a.O., juris Rn. 64).

38

Der Verordnungsgeber hat sich für ein stufenweises Hochfahren des öffentlichen Lebens entschieden (vergleiche Begründung unter A zur SARS-CoV-2-BekämpfVO). Dabei hat er zutreffend erwogen, dass bei dem Ansatz des stufenweisen Hochfahrens eine strikt am Gedanken der Gleichbehandlung aller betroffenen Lebensbereiche orientierte Regelung nicht leistbar ist. Bei der Entscheidung, welche konkreten Bereiche des öffentlichen Lebens wieder eine Öffnung erfahren, die infektionsschutzrechtlich vertretbar ist, hat der Verordnungsgeber in Ex-ante-Perspektive unter Abwägung der verschiedenen Belange des Grundrechtsschutzes und weiterer, auch volkswirtschaftlicher Gesichtspunkte zu entscheiden. Dabei kommt ihm ein weiter Einschätzungsspielraum zu. Die Maßnahmen werden fortlaufend evaluiert, um ihre Notwendigkeit und Geltungsdauer ebenso wie ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.

39

Unter dieser Prämisse ist (die nicht geltend gemachte) Ungleichbehandlung mit Geschäften des nicht großflächigen Einzelhandels und die von den Antragstellerinnen geltend gemachte Ungleichbehandlung mit Kraftfahrzeughändlern, Fahrradhändlern und Buchhandlungen, denen es nach § 6 Abs. 2 Satz 1 SARS-CoV-2-BekämpfVO § 6 Abs. 2 Satz 4 SARS-CoV-2-BekämpfVO erlaubt ist, unabhängig von der Größe der Verkaufsfläche zu öffnen, gerechtfertigt.

40

Im Vergleich zum kleinflächigen ist beim großflächigen Einzelhandel eine überregionale große Anziehungswirkung gegeben, die eine Vielzahl von Kontakten potenzieller Virusträger ermöglicht. Dass die Möbelhäuser in der Regel außerhalb von Innenstädten liegen und mit dem eigenen Auto angefahren werden, ist insoweit irrelevant. Denn die von den Antragstellerinnen eingewandte Möglichkeit, dass sich auf großer Fläche die Kundenströme besser verteilten und sich die Häufigkeit der Begegnungen reduziere, vermag die Tatsache nicht zu entkräften, dass auch auf großer Verkaufsfläche eine Begegnung der Kundinnen und Kunden nicht gänzlich vermieden werden kann. Insbesondere ist eine unbeabsichtigte Unterschreitung des Mindestabstands im Ein- und Ausgangsbereich sowie im Bereich vor Rolltreppen und Treppen beim Wechseln der Stockwerke nicht auszuschließen. Hinzu kommt die mit dem Möbelkauf in der Regel einhergehende relativ lange Verweildauer im Geschäft (vgl. zu erhöhter Infektionsgefahr bei langer Verweildauer und zur Gefahr der Unterschreitung des Mindestabstands: Beschl. des Senats v. 29.04.2020 - 3 MR 10/20 -); denn es gilt, das große Sortiment zu sichten, bevor eine größere Investition getätigt wird. Selbst bei Einhaltung sämtlicher von den Antragstellerinnen vorgesehenen Hygienemaßnahmen ist eine Infektionsmöglichkeit nicht auszuschließen.

41

Von den Geschäften des großflächigen Einzelhandels, die derzeit geöffnet haben dürfen, unterscheiden sich die Möbelgeschäfte hinsichtlich der in Krisenzeiten entstehenden Bedarfslage, sodass eine Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt ist. Wer die Anschaffung von Möbeln beabsichtigt, kann die Investition bei einer Ersatzbeschaffung in der Regel zeitlich hinausschieben oder sich bei geplanter Erstbeschaffung übergangsweise mit wenig Mobiliar begnügen. Wer hingegen ein neues Auto oder Fahrrad anschaffen muss, weil das alte Fortbewegungsmittel nicht mehr fahrtüchtig und nicht mehr zu reparieren ist, kann dies in einer Zeit, in der die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln mit einer erhöhten Ansteckungsgefahr mit dem Coronavirus verbunden ist, zeitlich nicht hinausschieben. Zutreffend hat der Antragsgegner ausgeführt, dass die großflächigen Buchhandlungen das von den Antragstellerinnen angeführte Argument, auf einer größeren Fläche könne sich die Kundschaft besser aus dem Weg gehen als auf kleiner Fläche, ebenfalls – d.h. wie die Antragstellerinnen – für sich beanspruchen können. Zudem decken die Buchhandlungen aber den Bedarf am Zugang zu kulturellen Gütern in den eigenen vier Wänden. Dies vermag eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Denn diesem Bedürfnis kommt eine besondere Bedeutung zu, weil bislang Theater, Opern, Konzerthäusern und Museen der Zutritt verwehrt ist und das Verbleiben zuhause zum Lesen dem Infektionsschutz dienlich ist.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

43

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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