Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (1. Senat) - 1 MB 17/21
Tenor
Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 2. Kammer – vom 13. Juli 2021 wird geändert. Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 19. Mai 2021 wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 85.000,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Die Beigeladene wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zugunsten des Antragstellers, der einen Zurückstellungsbescheid des Antragsgegners angreift.
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Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks … im Stadtgebiet der Beigeladenen (Flurstück …, Flur … der Gemarkung …), das nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt. Mit seinem am 10. Dezember 2020 beim Antragsgegner eingegangenen Antrag begehrte er die Erteilung eines Bauvorbescheids für den Neubau eines Gebäudes als Wohnpark für altersgerechtes Wohnen nach dem „Bielefelder Modell“ mit 26 Wohneinheiten („Wohnpark …“) auf dem mit einer ehemaligen Gaststätte bebauten Grundstück.
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Die Beigeladene versagte im Januar 2021 das gemeindliche Einvernehmen, weil sich das Bauvorhaben nicht in die kleinteilige Nachbarbebauung der Umgebung einfüge bzw. rücksichtslos sei.
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Des Weiteren beschloss die Beigeladene am 11. Mai 2021 die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 3.69 „An der Chaussée 16“ zur „Sicherstellung einer städtebaulich verträglichen Nachnutzung des Grundstückes“ und beantragte sodann beim Antragsgegner die Zurückstellung der Bauvoranfrage.
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Mit Bescheid vom 19. Mai 2021 setzte der Antragsgegner die Entscheidung über die Voranfrage gemäß § 15 Abs. 1 BauGB unter Anordnung der sofortigen Vollziehung „für einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten“ aus. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf den Aufstellungsbeschluss der Beigeladenen vom 11. Mai 2021 und deren Antrag. Eine Veränderungssperre sei nicht beschlossen worden, obwohl deren Voraussetzungen gegeben seien. Zur Begründung der Sofortvollzugsanordnung wies der Antragsgegner darauf hin, dass Sinn und Zweck des Zurückstellungsbescheides – die Aussetzung der Entscheidung aufgrund der Aufstellung eines Bebauungsplans – umgangen würden, wenn es bei der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO bliebe.
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Der Antragsteller erhob hiergegen mit Schreiben vom 25. Mai 2021 Widerspruch.
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Am 31. Mai 2021 hat er zudem beim Verwaltungsgericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht.
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Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass die Sofortvollzugsanordnung zu allgemein und nicht den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechend begründet worden sei. Dem Bescheid mangele es zudem an einer hinreichenden Begründung im Sinne des § 109 Abs. 1 LVwG, da lediglich auf den Antrag der Beigeladenen Bezug genommen werde. Insbesondere werde auch der Zeitraum der Aussetzung nicht substantiiert begründet. Der Bescheid sei ferner materiell rechtswidrig. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 15 Abs. 1 BauGB seien nicht gegeben. Der Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplans sei rechtswidrig, da der Inhalt der beabsichtigten Planung nicht hinreichend sicherungsfähig sei. Es sei deutlich erkennbar, dass es der Beigeladenen ausschließlich um die Verhinderung seines Bauvorhabens gehe. Der Inhalt der künftigen Planung sei nicht absehbar. Die Beigeladene habe nicht einmal einen bestimmten Baugebietstyp ins Auge gefasst. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich auch daraus, dass die öffentlichen und seine privaten Belange nicht richtig gemäß § 1 Abs. 7 BauGB abgewogen worden seien. Neben dem gesellschaftlichen Interesse einer immer älter werdenden Bevölkerung seien sein erhebliches wirtschaftliches und finanzielles Interesse sowie die Eigentumsfreiheit aus Art. 14 GG einzubeziehen. Der Aufstellungsbeschluss sei auch deshalb rechtswidrig, weil er lediglich ein einzelnes Grundstück betreffe und deshalb ein vorhabenbezogener Bebauungsplan gemäß § 12 BauGB aufgestellt werden müsse. Schließlich verletze das gesamte Verfahren wegen der unterschiedlichen Behandlung verschiedener Bauherren durch die Beigeladene Art. 3 Abs. 1 GG.
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Die Beigeladene beschloss am 1. Juni 2021 zur Konkretisierung erneut die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 3.69 „An der Chaussée 16“. In der Begründung der Beschlussvorlage heißt es, allgemeines Ziel und Zweck der Planung sei ein allgemeines Wohngebiet mit Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, die einen oder mehrere gegliederte Baukörper mit für das Quartier angemessener Höhenentwicklung zum Ziel hätten, und damit die Sicherstellung einer städtebaulichen Nachnutzung des Grundstücks. Der Beschluss wurde am 9. Juni 2021 in der Zeitung „Holsteiner Allgemeine“ öffentlich bekannt gemacht.
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Mit Beschluss vom 13. Juli 2021 – 2 B 31/21 – hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 19. Mai 2021 wiederhergestellt und zur Begründung ausgeführt, dass die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zu dessen Gunsten ausfalle. Der Bescheid vom 19. Mai 2021 sei rechtswidrig. Eine Zurückstellung nach § 15 Abs. 1 BauGB sei zum Zeitpunkt der Entscheidung des Antragsgegners nicht möglich gewesen, weil der begehrte Bauvorbescheid bereits am 10. März 2021 fiktiv gemäß § 66 Satz 3 i.V.m. § 69 Abs. 9 LBO entstanden sei. Der Anwendungsbereich des § 69 LBO sei eröffnet, weil es sich bei dem geplanten Gebäude nicht um einen Sonderbau im Sinne des § 51 LBO handele. Dem Bauvorhaben fehle der für § 51 Abs. 2 Nr. 10 und 11 LBO erforderliche Einrichtungscharakter. Die Wohnungen würden losgelöst von einem Pflege-/Betreuungsvertrag vermietet und seien organisatorisch nicht zusammengefasst. Ferner bestünden Zweifel hinsichtlich der Bestimmtheit des Zurückstellungsbescheides, da der Antragsgegner schlicht den Gesetzestext in den Tenor der Verfügung übernommen habe, ohne selbst die Dauer der Hemmung festzulegen.
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Die Beigeladene hat gegen den ihr am 15. Juli 2021 zugestellten Beschluss am 16. Juli 2021 Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11. August 2021 begründet.
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Zur Begründung macht sie geltend, dass die Beschwerde zulässig sei, weil sie durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts materiell beschwert sei. Durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des gegen den Zurückstellungsbescheid erhobenen Widerspruchs werde ihre Planungshoheit gemäß Art. 28 Abs. 2 GG berührt. Als Folge der aufschiebenden Wirkung habe die Baugenehmigungsbehörde trotz ihres Antrags nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB über die Bauvoranfrage mit verbindlicher Feststellung für die spätere Baugenehmigung zu entscheiden. Die Beschwerde sei auch begründet, weil der Beschluss ihren Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verletze. Der rechtliche Gesichtspunkt der Genehmigungsfiktion nach § 66 Satz 3 i.V.m. § 69 Abs. 9 LBO finde erstmals im Beschluss des Verwaltungsgerichts Erwähnung, ohne dass ein sorgfältiger Prozessbeteiligter damit habe rechnen müssen. Das Verwaltungsgericht habe in der Folge übersehen, dass die Genehmigungsfiktion des § 69 Abs. 9 Satz 1 LBO hier keine Anwendung finde, weil es sich bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben um eine sonstige Einrichtung zur Unterbringung oder Pflege von Personen nach § 51 Abs. 2 Nr. 11 LBO handele. Das Bauvorhaben sei als Altenwohnheim einzuordnen. Die Wohnungen sollten nach den vom Antragsteller beigebrachten Unterlagen ausschließlich an ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit hohem Hilfebedarf sowie Demenzkranke vermietet werden. Im Vordergrund der geplanten Wohnform stehe unter anderem die Möglichkeit älterer Menschen, ihre Wohnung bis zum Lebensende weiter bewohnen zu können. Dafür garantiere der Vermieter eine vierundzwanzigstündige Versorgungssicherheit durch umfassende Pflegedienstleistungen eines Kooperationspartners. Hier sei von einer faktischen Trägerschaft des Pflegedienstleisters auszugehen. Das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass gerade bei Anlagen des altersgerechten Wohnens der Grund für die Einordnung als Sonderbau in der eingeschränkten Selbstrettungsfähigkeit der Bewohner liege. Es habe ferner verkannt, dass die Genehmigungsfiktion des § 69 Abs. 9 Satz 1 LBO im Wege der teleologischen Reduktion zur Sicherung der kommunalen Planungshoheit nach Art. 28 Abs. 2 GG verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden müsse, dass sie im Fall des – wie hier – versagten gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht eintrete. Soweit das Verwaltungsgericht Zweifel hinsichtlich der Bestimmtheit des Zurückstellungsbescheides geäußert habe, handele sich nicht um einen den Beschluss selbst-ändig tragenden Grund. Im Übrigen sei die Dauer der Zurückstellung durch die Übernahme der Formulierung des § 15 BauGB in dem Sinne bestimmbar, dass der Antragsgegner gerade die gesetzliche Höchstfrist von einem Jahr habe wählen wollen.
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Die Beigeladene beantragt,
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den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 13. Juli 2021 zu dem Aktenzeichen 2 B 31/21 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er hält die Beschwerde für unzulässig, da die Beigeladene nicht beschwerdebefugt sei. Eine Beeinträchtigung ihrer Planungshoheit im Hinblick auf den hier lediglich beantragten Bauvorbescheid sei nicht erkennbar. Werde eine Genehmigung nach § 66 i.V.m. § 69 Abs. 6 und 9 LBO fingiert, sei nach der Natur der Sache kein Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 BauGB einzuholen. Wenn der Bauvorbescheid mittels einer Fiktion erteilt werde, seien die Belange der Gemeinde nicht mehr zu berücksichtigen, da das Verfahren nicht formell gemäß § 36 BauGB stattgefunden habe. Der Beigeladenen fehle auch das Rechtsschutzbedürfnis, da sie gegen die fingierte Genehmigung bereits mit aufschiebender Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO Widerspruch erhoben habe. Die Beschwerde sei aber auch unbegründet. Da das Verwaltungsgericht im vorliegenden Eilverfahren lediglich Regelungen der Landesbauordnung angewandt habe, sei die Beigeladene nicht in ihrem Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht von der Anwendbarkeit des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens ausgegangen. Bei dem Bauvorhaben handele es sich insbesondere nicht um einen Sonderbau im Sinne des § 51 Abs. 2 Nr. 11 LBO. Abzugrenzen sei zwischen „Einrichtungen“ und sonstigen Wohnungen mit einem besonderen Angebot für hilfsbedürftige Menschen. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass es hier an dem für den Begriff der „Einrichtung“ erforderlichen „Träger“ und einer „organisatorischen Zusammenfassung“ fehle, da es den Bewohnern des Vorhabens freigestellt werde, ob sie die weiteren im Haus angebotenen Leistungen nutzen. Für den Begriff der „Einrichtung“ sei konstitutiv, dass eine Pauschale bezahlt werde, die das Betreuungsangebot beinhalte. Es genüge nicht, wenn – wie hier – lediglich ein Betreuungsangebot bereitgestellt werde, das für die Bewohner nur bei tatsächlicher Inanspruchnahme Kosten verursache. Da zunächst festgestellt werden müsse, ob es sich bei einem Vorhaben um einen Sonderbau handele, sei ferner irrelevant, ob das Gebäude zugleich die besonderen Voraussetzungen erfülle, die für Personen mit einer eingeschränkten Selbstrettungsfähigkeit gelten. Die Fiktionswirkung des § 69 Abs. 9 Satz 1 LBO gelte nach dem Wortlaut der Regelung auch, wenn die Gemeinde ihr Einvernehmen verweigere, ohne dass sie hierdurch in ihrem Recht aus Art. 28 Abs. 2 GG verletzt würde. Die Regelung sei von dem Bewusstsein des Gesetzgebers getragen, dass die Gemeinde über die in § 64 Abs. 1 Satz 2 LBO angeordnete Einreichung des schriftlichen Bauantrags bei der Gemeinde hinreichend am Verfahren beteiligt werde. Sinn und Zweck der Norm, dem Bauherrn schnell eine Baugenehmigung zu erteilen und die Verwaltung zu entlasten, sprächen gegen eine restriktive Auslegung. Diese sei auch deshalb nicht möglich, weil andernfalls die Grenzen verfassungskonformer Auslegung überschritten würden. Die Norm sei insbesondere im Hinblick auf die Eigentumsgarantie des Bauherrn aus Art. 14 GG auch verhältnismäßig. Das Verwaltungsgericht habe ferner zu Recht ausgeführt, dass der Zurückstellungsbescheid zu unbestimmt sei.
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Der Antragsgegner hat keinen Antrag gestellt.
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Er meint, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht vom Eintritt der Fiktion nach § 66 i.V.m. § 69 Abs. 9 LBO ausgegangen, da es sich bei dem Vorhaben um einen Sonderbau handele. Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass der Tatbestand des § 51 Abs. 2 Nr. 8 LBO erfüllt sei, weil die in den Zeichnungen dargestellte Bäckerei mit Terrasse einen Gastraum von über 50 m² habe und deshalb Platz für deutlich mehr als 40 Sitzplätze vorhanden sei. Zudem lägen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 Nr. 6 LBO vor, da der überwiegend geschlossene (Gemeinschafts-)Flur/Innenhof eine Raumgröße von über 177 m² aufweise und dieser nach dem Wohnkonzept auch für die Nutzung durch mehr als 100 Besucher geeignet und bestimmt sei. Das Verwaltungsgericht habe ferner § 51 Abs. 2 Nr. 19 LBO nicht betrachtet, wonach Sonderbauten auch Anlagen und Räume seien, die in den Nummern 1 bis 18 nicht aufgeführt würden und deren Nutzung mit vergleichbaren Gefahren verbunden sei. Die Vorschrift des § 51 LBO erfasse bauliche Anlagen, die wegen ihrer Atypik im umfassenden Baugenehmigungsverfahren nach § 67 LBO zu behandeln seien. Hier ergebe sich die Atypik aus der geplanten Misch- und Mehrfachnutzung und ganz deutlich anhand der auf den ersten Blick erkennbaren brandschutzrechtlich problematischen Bauweise, die diverse Abweichungen von den Brandschutzvorschriften erfordere. Auch wenn es für die Annahme eines Sonderbaus nach § 51 Abs. 2 Nr. 10 und Nr. 11 LBO am Einrichtungscharakter des geplanten Gebäudes fehlen sollte, sei dennoch mit dem Wohnkonzept de facto eine vergleichbare Nutzung geplant. Der Zurückstellungsbescheid sei auch hinreichend bestimmt. Obgleich die Formulierung im Bescheid „Zeitraum bis zu zwölf Monaten“ dem Gesetzestext entspreche, sei sich jeder Leser darüber im Klaren, dass er mit einer Zurückstellung seines Baugesuchs für zwölf Monate rechnen müsse. Die Ergänzung „bis zu“ weise lediglich darauf hin, dass die Zurückstellung eventuell auch vorzeitig wieder aufgehoben werden könne. Das Verwaltungsgericht habe im Übrigen verkannt, dass der Bestimmtheitsmangel bereits durch sein Vorbringen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren geheilt worden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners verwiesen.
II.
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Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. Juli 2021 ist begründet.
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1. Die Beschwerde ist zulässig.
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Die für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderliche Beschwer der Beigeladenen, die nach § 63 Nr. 3 VwGO als Beteiligte des Verfahrens gemäß § 66 Satz 1, § 146 Abs. 1 VwGO die Beschwerde selbstständig einlegen kann, ist gegeben. Sie setzt eine materielle Beschwer und damit voraus, dass die für den Rechtsmittelführer ungünstige Rechtsauffassung des Gerichts zu einer Beeinträchtigung seiner eigenen subjektiven Rechte führen kann (BVerwG, Urteil vom 30. Mai 1984 – 4 C 58.81 –, Rn. 24, juris; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 41). Wenn der Antragsgegner mit der angefochtenen Verfügung auch Belange des Beigeladenen schützen wollte, kann hierfür auch das Begehren des Beigeladenen genügen, dass die sofortige Vollziehbarkeit einer ihn begünstigenden, den Antragsteller belastenden Verfügung bestehen bleibt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. Dezember 1996 – 7 B 2769/96 –, Rn. 4, juris; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 41). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die vom Antragsteller angefochtene Zurückstellung seiner Bauvoranfrage beruht auf einem entsprechenden Antrag der Beigeladenen, der nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB tatbestandliche Voraussetzung für die Entscheidung des Antragsgegners ist. Die Zurückstellung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB soll verhindern, dass die Durchführung einer gemeindlichen Planung unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird; beantragt eine Gemeinde – wie hier – die Zurückstellung, ist die Baugenehmigungsbehörde bei ihrer Entscheidung über die Bauvoranfrage bei Vorliegen der materiellen Zurückstellungsvoraussetzungen an diesen Antrag gebunden. Da ein gleichwohl ergehender Bauvorbescheid rechtswidrig wäre, vermittelt § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB der Gemeinde bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein subjektiv-öffentliches Recht (vgl. Senatsbeschluss vom 4. September 2007 – 1 LA 21/07 –, Rn. 18, juris; Hornmann, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 52. Ed. 1. Februar 2021, § 15 Rn. 24). Dieses Recht wird durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts insofern beeinträchtigt, als die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs die Bauaufsichtsbehörde verpflichtet, das Genehmigungsverfahren ungeachtet des Antrags der Beigeladenen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB fortzusetzen und über die Bauvoranfrage mit Bindungswirkung für die spätere Baugenehmigung zu entscheiden. Gerade um dies zu verhindern, hat der Antragsgegner zur Sicherung der kommunalen Planungshoheit aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG jedoch die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheides vom 19. Mai 2021 angeordnet.
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Aus der Beschwer ergibt sich hier auch das Rechtschutzbedürfnis der Beigeladenen. Dieses setzt voraus, dass sich die Rechtsstellung des Beschwerdeführers durch eine (stattgebende) Beschwerdeentscheidung verbessert (vgl. Senatsbeschluss vom 1. August 2001 – 1 O 21/01 –, Rn. 4, juris; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 146 Rn. 42). Dies ist hier der Fall. Mit der Beschwerde kann die Beigeladene den Fortgang des Genehmigungsverfahrens und eine Entscheidung über den beantragten Bauvorbescheid verhindern. Der von ihr vorsorglich erhobene Widerspruch gegen den (fingierten) Bauvorbescheid lässt das Rechtschutzbedürfnis als vermeintlich einfacheres und schnelleres Mittel nicht entfallen, da sie hiermit ihr Rechtsschutzziel, eine Entscheidung über die materiell-rechtliche Zulässigkeit des Vorhabens für bestimmte Zeit zu verhindern, nicht erreichen kann. Nur die sofortige Vollziehbarkeit der Zurückstellung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB ermöglicht es der Beigeladenen, die für die Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens maßgebliche Rechtslage durch einen rechtsverbindlichen Bebauungsplan oder gegebenenfalls eine Veränderungssperre nach § 14 Abs. 1 BauGB noch vor einer Entscheidung des Antragsgegners zu ändern und damit ihre kommunale Planungshoheit wahrzunehmen.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet.
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Für die Beschwerdeentscheidung ohne Bedeutung ist dabei die von der Beigeladenen erhobene Rüge, das Verwaltungsgericht habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es mit dem Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 66 Satz 3 i.V.m. § 69 Abs. 9 LBO auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abgestellt habe, mit dem sie nicht habe rechnen müssen. Mit einer solchen Verfahrensrüge kann eine Beschwerde gegen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO von vornherein nicht erfolgreich geführt werden, ohne dass es darauf ankommt, ob der behauptete Verfahrensfehler gegeben ist. Die das Rechtsmittel der Beschwerde für den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz eröffnende Regelung des § 146 Abs. 4 VwGO kennt – anders als die Vorschriften über Berufung und Revision – kein vorgeschaltetes Zulassungsverfahren (mehr), sondern ermöglicht in den von § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO gezogenen Grenzen eine umfassende, nicht von der erfolgreichen Rüge eines Verfahrensfehlers abhängige Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Oberverwaltungsgericht als zweite Tatsacheninstanz. Ein etwaiger erstinstanzlicher Gehörsverstoß würde deshalb durch das nachholende Vorbringen im Beschwerdeverfahren und dessen Berücksichtigung durch das Beschwerdegericht (ohnehin) „geheilt“ (OVG NRW, Beschluss vom 22. Februar 2021 – 1 B 2015/20 –, Rn. 12, juris).
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Die Beigeladene rügt jedoch mit Erfolg, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Zurückstellungsbescheid des Antragsgegners vom 19. Mai 2021 zu Unrecht wiederhergestellt hat.
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Der zulässige Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist unbegründet.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Zurückstellung ist in formeller Hinsicht ordnungsgemäß begründet. Der Antragsgegner hat in seiner Begründung darauf abgestellt, dass Sinn und Zweck der Zurückstellung, nämlich die Aussetzung der Entscheidung über die Bauvoranfrage aufgrund der Aufstellung eines Bebauungsplans, umgangen würden, wenn es bei dem Grundsatz aus § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO und der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs bliebe. Es müsse dann über den Antrag entschieden werden, obwohl zu befürchten sei, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Diese Begründung genügt den im vorliegenden Zusammenhang geltenden Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Die Anforderungen an die Begründung des Sofortvollzugs korrespondieren mit dem Regelungsgehalt und dem Zweck der Zurückstellung nach § 15 Abs. 1 BauGB. Diese soll die Bauleitplanung der Gemeinde für einen bestimmten Zeitraum sichern. Im Hinblick darauf sind an die Begründung des öffentlichen Vollzugsinteresses im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO keine hohen Anforderungen zu stellen. Der Antragsgegner ist insoweit zu Recht davon ausgegangen, dass sich hier das Interesse am Erlass des Verwaltungsakts mit dem öffentlichen Vollzugsinteresse deckt, weil andernfalls die Sicherungsfunktion der Zurückstellung gefährdet würde (Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2004 – 1 MB 23/04 –, n.v.; Hornmann, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 52. Ed. 1. Februar 2021, § 15 Rn. 22).
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch in materieller Hinsicht gerechtfertigt.
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Das Verwaltungsgericht ist im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs einerseits und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes andererseits zu Unrecht von der Rechtswidrigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 19. Mai 2021 ausgegangen.
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Der Zurückstellungsbescheid ist rechtmäßig.
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Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist der Zurückstellungsbescheid nicht deshalb rechtswidrig, weil der vom Antragsteller beantragte Bauvorbescheid bereits am 10. März 2021 vor Erlass des Bescheides gemäß § 66 Satz 3 i.V.m. § 69 Abs. 9 Satz 1 LBO fiktiv entstanden war. Der Eintritt der Genehmigungsfiktion scheidet hier aus, weil das Vorhaben des Antragstellers einen Sonderbau im Sinne des § 51 Abs. 2 LBO zum Gegenstand hat und damit gemäß § 69 Abs. 1 Satz 1 LBO die Regelungen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens keine Anwendung finden.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass es sich bei der Vorschrift des § 66 Satz 3 LBO um eine Rechtsgrundverweisung handelt mit der Folge, dass die Genehmigungsfiktion nur eintreten kann, wenn der Anwendungsbereich des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach § 69 LBO eröffnet ist (vgl. Senatsurteil vom 19. Februar 2004 – 1 LB 63/03 –, n.v.). Bei der geplanten Anlage handelt es sich aber entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts um einen Sonderbau, der die Anwendbarkeit des § 69 Abs. 9 Satz 1 LBO ausschließt.
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Nach den eingereichten Bauvorlagen ist ein mehrgeschossiger Baukörper mit einer Höhe von rund 14 m und einem Rauminhalt von ca. 12.573 m³ geplant, der sich auf eine Grundfläche von 42 x 30 m erstreckt und insgesamt 26 Wohnungen beinhaltet. Nach der Baubeschreibung vom 2. Dezember 2020 (Bl. 12 der Beiakte C) soll im Erdgeschoss des Gebäudes eine Wohnanlage nach dem so genannten „Bielefelder Wohnmodell“ entstehen, das eine Versorgungssicherheit ohne Erhebung einer Betreuungspauschale bieten soll. Es sollen komfortable und barrierefreie Wohnungen für ältere Menschen oder Menschen mit Behinderung geschaffen werden. Vorgesehen ist außerdem ein „Wohncafé“ mit Sitzbereich innen und außen, eine Gemeinschaftsküche und ein Sportraum als Treffpunkt und Ort der Kommunikation. Zudem soll ein sozialer Dienstleister mit einem Servicestützpunkt und einem umfassenden Leistungsangebot rund um die Uhr im Quartier präsent sein. Alle Mieter sollen auf die Hilfs- und Betreuungsangebote zurückgreifen können, diese aber nur im tatsächlichen Bedarfsfall bezahlen müssen. Die Wohnungen in den Obergeschossen sollen frei zur Miete stehen und von Alt und Jung bezogen werden können. Sie sollen ebenfalls barrierefrei errichtet werden. Im Bedarfsfall bestünde die Möglichkeit, „Pflegestufen“ zu aktivieren, was den Vorteil biete, dass die gewohnte Umgebung nicht mehr gewechselt werden müsse.
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Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei der hier geplanten Wohnanlage nicht um einen Sonderbau im Sinne der Nummern 10 (Wohnheime) und 11 (hier: sonstige Einrichtungen zur Unterbringung oder Pflege von Personen) des § 51 Abs. 2 LBO handelt, da es an dem für beide Nummern erforderlichen Einrichtungscharakter des Vorhabens fehlt. Dieser erfordert ein Mindestmaß an Organisationsstruktur, die auch eine gewisse Leitungsfunktion durch einen Träger beinhaltet. Daran fehlt es hier jedoch. Die räumliche Präsenz eines ambulanten Pflegedienstleisters als Kooperationspartner und dessen vielfältige Hilfsangebote zur Gewährleistung einer Versorgungssicherheit der Bewohner im Bedarfsfall begründen zwar einen Standortvorteil gegenüber anderen Wohnungen auf dem allgemeinen Mietwohnungsmarkt, machen das Vorhaben aber noch nicht zu einer Einrichtung, weil der Pflegedienstleister seine Leistungen nach den mit der Bauvoranfrage eingereichten Unterlagen rechtlich getrennt vom Bauherrn eigenständig anbieten soll und allein die Bewohner entscheiden, ob und wann sie die angebotenen Leistungen in Anspruch nehmen (vgl. auch Bay. VGH, Urteil vom 5. Februar 2015 – 2 BV 14.1202 –, Rn. 26, juris).
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Im Rahmen der im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung lässt sich nicht abschließend klären, ob das Bauvorhaben – wie vom Antragsgegner angenommen – die Voraussetzungen für die Annahme eines Sonderbaus nach Nr. 6 (Gebäude mit Räumen, die einzeln für die Nutzung durch mehr als 100 Personen bestimmt sind) oder Nr. 8 (hier: Schank- und Speisegaststätten mit mehr als 40 Gastplätzen einschließlich Gastplätzen im Freien, die gemeinsame Rettungswege durch das Gebäude haben) erfüllt. Die Annahme des Antragsgegners, dass der ca. 177 m² große Flur (Innenhof) im Erdgeschoss für die Nutzung von Veranstaltungen bestimmt sei, erscheint zumindest insoweit zweifelhaft, als nach dem der Baubeschreibung beigefügten Flyer der … (…) „Das Bielefelder Modell – Selbstbestimmt Wohnen mit Versorgungssicherheit“ nicht der Flur, sondern das „Wohncafé“ den Mittelpunkt der Anlage bilden soll, in dem sich alle Mieter sowie Bewohner des Umfeldes treffen können sollen und in dem eine Vielzahl von Veranstaltungen stattfinden soll (vgl. Bl. 19 der Beiakte C). Ob sich die Eigenschaft eines Sonderbaus nach § 51 Abs. 2 Nr. 8 LBO aus der geplanten „Bäckerei“ mit Terrasse ergibt, kann hier ebenfalls offenbleiben. Mit Blick auf das mit dem Vorhaben verfolgte Ziel eines barrierefreien Wohnumfeldes ist fraglich, ob § 1 Abs. 2 Nr. 1 VStättVO (für Sitzplätze an Tischen: ein Besucher je Quadratmeter Grundfläche) hier einen geeigneten Anhalt für die Ermittlung der Gastplätze bietet. Ein Möblierungs- und Bestuhlungsplan liegt nicht vor.
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Das Vorhaben ist aber jedenfalls ein Sonderbau im Sinne des § 51 Abs. 2 Nr. 19 LBO. Sonderbauten sind danach Anlagen und Räume, die in den Nummern 1 bis 18 nicht aufgeführt und deren Art oder Nutzung mit vergleichbaren Gefahren verbunden sind. Ob bauliche Anlagen oder Räume, die nicht bereits vom Gesetzgeber als Sonderbauten eingestuft werden, nach ihrer Art oder Nutzung mit vergleichbaren Gefahren verbunden sind, bedarf einer Entscheidung im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände. Auszugehen ist dabei von der gesetzgeberischen Intention, solche Anlagen und Räume als Sonderbauten zu erfassen, bei denen wegen ihrer Größe, wegen der Zahl und/oder der Schutzbedürftigkeit der sich in ihnen aufhaltenden Personen oder aus anderen Gründen ein besonderes Gefahrenpotenzial erwartet werden muss (LT-Drs. 16/1675, S. 207). Namentlich der Tatbestand des § 51 Abs. 2 Nr. 11 LBO erfasst Nutzungsarten, bei denen stets mit einer größeren Anzahl von Personen zu rechnen ist, die hilfs-, betreuungs- oder erhöht schutzbedürftig sind (vgl. LT-Drs. 16/1675, S. 208). Nach der vom Antragsteller beschriebenen Konzeption der geplanten Wohnanlage besteht hier aufgrund ihrer Art und Nutzung eine vergleichbare Gefahrenlage wie im Fall einer Einrichtung zur Unterbringung oder Pflege von Personen. Zielgruppe des im Flyer der … als „Seniorenwohnanlage“ umschriebenen Wohnparks sind vornehmlich ältere Menschen und Menschen mit Behinderung. Die Anlage soll den Mietern auch bei steigender Hilfsbedürftigkeit das Wohnen in modernen und komfortablen eigenen Wohnungen im vertrauten Umfeld ermöglichen, integratives Wohnen in den Projekten und im Umfeld möglich machen (für ältere Menschen, für Behinderte, für Menschen mit geringem und hohem Hilfebedarf sowie für Demenzkranke), 24-stündige Versorgungssicherheit für die Mieter und das Wohnumfeld garantieren und die Möglichkeiten der Prävention durch eine frühzeitige Unterstützung verbessern, indem die Selbsthilfefähigkeiten der pflegebedürftigen Menschen und ihres Umfeldes gestärkt werden (vgl. Bl. 19 der Beiakte C). Das geplante Wohnungsangebot soll dem Wunsch vieler Menschen nach Unterstützung im Alltagsleben und/oder Hilfe im Pflegefall und Versorgungssicherheit in ihrer Wohnung bis zum Lebensende Rechnung tragen (vgl. Bl. 17 der Beiakte C, siehe auch die Beschreibung des Vorhabens auf Bl. 12 der Beiakte C). Das Bauvorhaben richtet sich damit vornehmlich an ältere und/oder pflegebedürftige Menschen sowie Menschen mit Behinderung, sodass im Hinblick auf die eingeschränkte Selbstrettungsfähigkeit dieses Personenkreises mit der Nutzung der Anlage vergleichbare Gefahren verbunden sind wie bei einer Einrichtung zur Unterbringung oder Pflege von Personen. Diese für die Benutzer bestehende Gefahrenlage ändert sich nicht dadurch, dass es nach dem hier gewählten Geschäftsmodell an einem alle Leistungen organisatorisch zusammenfassenden Träger fehlt und sich stattdessen der Vermieter und der von ihm ausgewählte ambulante Pflegedienstleister als Kooperationspartner jeweils auf ihr eigentliches Kerngeschäft konzentrieren (vgl. hierzu auch Bl. 19 und 21 der Beiakte C).
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Aus der Einstufung der jedenfalls für das Erdgeschoss vorgesehenen Nutzung der Wohnanlage nach dem „Bielefelder Modell“ als Sonderbau folgt im vorliegenden Fall, dass es sich bei der geplanten Anlage insgesamt um einen die Anwendung der Regelungen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens ausschließenden Sonderbau handelt. Die geplante bauliche Anlage stellt sich nach der zur Genehmigung gestellten Konzeption als ein einheitliches Vorhaben dar, das auch bautechnisch keine klare Abgrenzung zwischen der Nutzung im Erdgeschoss und den Obergeschossen trifft (vgl. hierzu auch Wolf, in: Busse/Kraus, 142. EL Mai 2021, BayBO Art. 59 Rn. 44).
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Der Zurückstellungsbescheid vom 19. Mai 2021 genügt entgegen der Ansicht des Antragstellers auch dem formellen Begründungserfordernis des § 109 Abs. 1 LVwG. Die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die den Antragsgegner zur Zurückstellung der Bauvoranfrage bewogen haben, sind in dem Bescheid mitgeteilt. Ob diese Gründe zureichend sind, ist im Rahmen des § 109 Abs. 1 LVwG ohne Belang, da diese Vorschrift keine Pflicht zur objektiv richtigen Begründung aufstellt (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 39 Rn. 30).
- 41
Der Zurückstellungsbescheid ist auch im Übrigen materiell-rechtlich nicht zu beanstanden.
- 42
Wird eine Veränderungssperre nach § 14 BauGB nicht beschlossen, obwohl die Voraussetzungen gegeben sind, oder ist eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten, hat die Baugenehmigungsbehörde nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall für einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Diese Voraussetzungen liegen in dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vor (vgl. hierzu Schoch, in: Schoch/Schneider, 40. EL Februar 2021, VwGO § 80 Rn. 421).
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Die Beigeladene hat eine Veränderungssperre nicht beschlossen, obwohl die Voraussetzungen nach § 14 Abs. 1 BauGB gegeben sind, d.h. sie einen Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst hat, der gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 BauGB ortsüblich bekannt gemacht wurde.
- 44
Zwar kann in diesem Zusammenhang nicht auf den Aufstellungsbeschluss vom 11. Mai 2021 abgestellt werden, da dieser Beschluss unstreitig nicht ortsüblich bekannt gemacht wurde. Der nach § 10 Abs. 1 Nr. 2a) der Hauptsatzung der Beigeladenen vom 30. November 2020 zuständige Bauausschuss hat jedoch am 1. Juni 2021 erneut einen Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 3.69 „An der Chausée 16“ gefasst, der am 9. Juni 2021 in der Zeitung „Holsteiner Allgemeine“ gemäß § 16 Abs. 4 der Hauptsatzung ortsüblich bekannt gemacht wurde und im Rahmen der Entscheidung über den anhängigen Widerspruch zu berücksichtigen ist.
- 45
Der Aufstellungsbeschluss ist nicht deshalb unwirksam, weil er sich räumlich nur auf das Grundstück des Antragstellers erstreckt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass allein der Umstand, dass sich ein Bebauungsplan räumlich nur auf wenige Grundstücke oder – wie hier – nur ein einziges Grundstück erstreckt, noch kein hinreichender Grund für die Annahme der Nichtigkeit des Plans ist. Das gilt selbst dann, wenn die Gemeinde erst aus Anlass eines konkreten Bauantrags mit der Aufstellung des Bebauungsplans reagiert und dabei auch mitbezweckt, die künftig vom Eigentümer gewollte Nutzung zu verhindern. Die Bauleitplanung kann auch in solchen Fällen ein im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB "erforderliches" Sicherungsinstrument sein, das eine positive planerische Aussage insofern enthält, als einer sich abzeichnenden Fehlentwicklung entgegengesteuert werden soll (BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 1992 – 4 B 55.92 –, Rn. 3, juris). Letzteres ist hier ersichtlich der Fall, weil die Beigeladene mit dem Aufstellungsbeschluss als Reaktion auf die Bauvoranfrage des Antragstellers reagiert hat, um in Wahrnehmung ihrer kommunalen Planungshoheit eine im Hinblick auf die Umgebungsbebauung städtebaulich verträgliche Nachnutzung des Grundstücks sicherzustellen.
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Die Zurückstellung dient auch der Sicherung der Bauleitplanung der Beigeladenen. Voraussetzung ist hierfür, dass die in Aussicht genommene Planung so hinreichend deutliche Konturen erlangt hat, dass sie als Maßstab zur Beurteilung möglicherweise entgegensteuernder Vorhaben taugt (Stock, in: EZBK, 142. EL Mai 2021, BauGB § 15 Rn. 30). Die Planung muss im Zeitpunkt der Entscheidung über die beantragte Aussetzung des Verfahrens bereits einen Stand erreicht haben, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Wesentlich ist dabei, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht nicht aus (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 – 4 CN 16.03 –, Rn. 28, juris). Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Anforderungen an die Konkretisierung im Interesse eines effektiven Schutzes der Planungshoheit nicht überspannt werden dürfen. Die Gemeinde wird sich im Allgemeinen nicht bereits zu Beginn des Aufstellungsverfahrens auf ein bestimmtes Planungsergebnis festlegen können; es ist gerade der Sinn der Vorschriften über die Planaufstellung, dass der Bebauungsplan innerhalb des Planungsverfahrens – insbesondere unter Beachtung des Abwägungsgebotes – erst erarbeitet wird (BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 – 4 CN 16.03 –, Rn. 31, juris). Ausgehend hiervon geht der künftige Planinhalt aus der Begründung des Aufstellungsbeschlusses vom 1. Juni 2021 hinreichend konkret hervor. Die Beigeladene plant danach (siehe Bl. 83 f. der Gerichtsakte) ein allgemeines Wohngebiet mit Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung. Ziel ist eine städtebaulich vertretbare Nachnutzung des vergleichsweise großen Grundstücks und eine Gliederung des „Bauvolumens“. Die so umrissenen Planungsvorstellungen der Beigeladenen erschöpfen sich nicht (negativ) darin, das Vorhaben des Antragstellers zu verhindern, sondern lassen ein aus der Umgebungsbebauung abgeleitetes Planungskonzept für die Nachnutzung des mit einer Gaststätte bebauten Grundstücks erkennen. Die Durchführung dieser Planung würde durch das Vorhaben des Antragstellers unmöglich gemacht.
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Der Zurückstellungsbescheid ist im Hinblick auf die Dauer der Aussetzung auch hinreichend bestimmt im Sinne des § 108 Abs. 1 LVwG. Der Inhalt der getroffenen Regelung muss danach im Zusammenhang mit den Gründen und sonstigen bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen für die Beteiligten, insbesondere für die Adressaten des Verwaltungsakts, so vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, dass sie ihr Verhalten danach ausrichten können. Bei der Ermittlung des Inhalts der Regelung ist nicht auf die subjektiven Vorstellungen der Personen abzustellen, sondern auf den objektiven Erklärungswert und Erklärungsinhalt des den Betroffenen als Inhalt des Verwaltungsakts Mitgeteilten, so wie sich dieses den Betroffenen darstellt und nach Treu und Glauben (§ 157 BGB) verstanden werden darf. Unklarheiten gehen zu Lasten der Behörde (OVG NRW, Beschluss vom 19. Juni 2015 – 11 A 2046/13 –, Rn. 3, juris, zu § 37 Abs. 1 VwVfG NRW). Die Anforderungen orientieren sich dabei an den Erfordernissen der jeweiligen Entscheidung und den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts (Müller, in: Huck/Müller, 3. Aufl. 2020, VwVfG § 37 Rn. 9 m.w.N.).
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Nach diesen Grundsätzen ist die von der Baugenehmigungsbehörde in ihrem Bescheid anzuordnende Dauer der Zurückstellung, die nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB zwölf Monate nicht überschreiten darf, im Wege der Auslegung hier (noch) hinreichend bestimmbar. Der Tenor des Bescheides ist zwar insofern unbestimmt, als darin die Entscheidung über die Bauvoranfrage „für einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten“ ausgesetzt wurde. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans regelmäßig einen die in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannte Höchstfrist übersteigenden Zeitraum in Anspruch nimmt. Wenn keine besonderen Umstände vorliegen, besteht deshalb in der Regel kein Anlass für die Behörde, eine kürzere Dauer der Zurückstellung festzusetzen (vgl. Rieger, in: Schrödter, 9. Aufl. 2019, BauGB § 15 Rn. 12), zumal die Baugenehmigungsbehörde bei einer entscheidungserheblichen Änderung der Sach- oder Rechtslage das Genehmigungsverfahren ohnehin von sich aus wieder aufgreifen und die Gemeinde hierauf hinwirken muss (Stock, in: EZBK, 142. EL Mai 2021, BauGB § 15 Rn. 46). Der Begründung des Zurückstellungsbescheides lässt sich entnehmen, dass das Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans nach dem darin angeführten Aufstellungsbeschluss vom 11. Mai 2021 im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zurückstellung noch ganz am Anfang stand. Im Weiteren ergeben sich aus der Begründung auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner Anlass gehabt hätte, eine kürzere als die Höchstfrist von zwölf Monaten für die Dauer der Zurückstellung festzusetzen. Wenn die Behörde in Ansehung einer solchen Begründung im Tenor ihrer Entscheidung – wie hier – den Gesetzeswortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB wiedergibt liegt – ebenso wie bei einer Bezugnahme auf „die Frist nach § 15“ (siehe hierzu Stock, in: EZBK, 142. EL Mai 2021, BauGB § 15 Rn. 47) – die Auslegung nahe, das die Baugenehmigungsbehörde die zwölfmonatige Höchstfrist angeordnet hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
- 51
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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