Beschluss vom Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht (3. Senat) - 3 LB 5/22

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 15. Kammer, Einzelrichter - vom 23. Januar 2017 wird verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

Die Berufung ist nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 124a Abs. 6 Satz 3, Abs. 3 Satz 5, § 125 Abs. 2 VwGO durch Beschluss als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht gemäß § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des sie zulassenden Beschlusses begründet worden ist und der Klägerin wegen der Versäumung dieser Frist nicht gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.

2

Der Senat hat die Berufung durch Beschluss vom 20. April 2022 zugelassen. Dieser Beschluss, an dessen Ende auf das Erfordernis der Berufungsbegründung sowie die Frist hingewiesen wird, ist der Klägerin ausweislich des abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnisses am 21. April 2022 zugestellt worden. Eine Berufungsbegründung ist bis zum Ablauf der Monatsfrist nicht eingegangen.

3

Auf die mit Schreiben des Berichterstatters vom 27. Mai 2022 erfolgte Anhörung der Beteiligten zur vom Senat beabsichtigten Verwerfung der Berufung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Juni 2022 zunächst Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das gerichtliche Schreiben mit dem Hinweis auf die Fristversäumnis sei ihrem Prozessbevollmächtigten wegen Urlaubs erst am 10. Juni 2022 zur Kenntnis gelangt. Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2022, einem Montag, hat sie die Berufungsbegründung eingereicht und auch zum Wiedereinsetzungsantrag weiter vorgetragen.

4

Demnach habe die bei ihrem Prozessbevollmächtigten beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte L. K., die in der Kanzlei mit dem Eintragen und der Kontrolle von Fristen und Wiedervorlagen betraut sei, die Fristen zweier verschiedener Rechtssachen verwechselt, da sie durch ein dringliches Telefonat abgelenkt gewesen sei, und irrtümlich für das vorliegende Verfahren eine Zweimonatsfrist statt der korrekten einmonatigen Frist eingetragen. Aus diesem Grund sei das Verfahren dem Prozessbevollmächtigten nicht rechtzeitig wieder vorgelegt worden.

5

Damit hat die Klägerin zwar gemäß § 60 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses bezüglich der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft gemacht und die versäumte Rechtshandlung nachgeholt. Ihr kann jedoch keine Wiedereinsetzung im Sinne von § 60 Abs. 1 VwGO gewährt werden, weil sie nicht ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Das Versäumnis beruht auf einem vorwerfbaren Verhalten ihres Prozessbevollmächtigten, welches ihr gemäß § 173 Satz 1 VwGO, § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

6

Zwar wird ein Verschulden von Hilfspersonen des Prozessbevollmächtigten, insbesondere Büroangestellten, der Partei nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet. Ein Fehlverhalten solcher unselbstständig handelnden Personen kann sich jedoch dann zum Nachteil für die Partei auswirken, wenn dem Prozessbevollmächtigten insoweit ein Organisationsverschulden zur Last fällt, das sich die vertretene Person wiederum als eigenes Verschulden ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen muss (vgl. Beschl. d. Senats v. 21.03.2011 - 3 LB 5/11 -, n. v., BA S. 5; Czybulka/Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 60 Rn. 47; Weth, in: Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 85 Rn. 14, jeweils m. w. N.).

7

Indem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine Büroangestellte aufgrund einer generellen Anweisung mit der selbstständigen Eintragung und Kontrolle (auch) der Berufungsbegründungsfrist betraut hat, liegt ein derartiges Organisationsverschulden vor. Zwar dürfen Rechtsanwälte einfache Arbeiten, die keine besondere intellektuelle Leistung oder juristische Schulung erfordern und routinemäßig erledigt werden können, auf Büropersonal übertragen. Die Bearbeitung prozessualer Fristen darf geschultem und bewährtem Büropersonal überlassen werden, wenn es sich um einfache, in dem Büro geläufige Fristen handelt (vgl. Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 42. EL Februar 2022, § 60 VwGO Rn. 42 m. w. N.). Ihre Grenze findet diese Möglichkeit der Delegation aber bei Fristen, deren Berechnung Schwierigkeiten oder Besonderheiten aufweisen. Solche Fristen muss ein Rechtsanwalt selbst berechnen und überwachen (vgl. von Albedyll, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 60 Rn. 14 m. w. N.). Zu den derartigen Fristen zählen etwa die vom Zivilprozess abweichenden und in ihrer Berechnung daher fehleranfälligen Rechtsmittelbegründungsfristen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO und § 139 Abs. 3 Satz 1 VwGO, aber auch die Berufungsbegründungsfrist im Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht, deren Berechnung vergleichbare Besonderheiten aufweist (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 02.06.2008 - 2 LB 15/08 -, juris Rn. 8). Letztere Frist ist keine, deren Erfassung und Kontrolle ein Prozessbevollmächtigter seinem Büropersonal überlassen darf (vgl. ausdrücklich für die Berufungsbegründungsfrist nach § 124a Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 VwGO auch: OVG Saarlouis, Beschl. v. 26.04.2004 - 1 R 29/03 -, juris Rn. 23; Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 42. EL Februar 2022, § 60 VwGO Rn. 45; Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 70).

8

Nach dem Vorbringen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin obliegt seiner Büroangestellten offenbar generell die selbstständige Eintragung und Kontrolle von Fristen in gerichtlichen Verfahren. Dies darf nach den obigen Ausführungen jedoch nur bei Routinefristen der Fall sein, deren Bearbeitung keine tiefergehenden Rechtskenntnisse erfordert. Die Übertragung der selbstständigen Berechnung, Eintragung und Kontrolle sämtlicher Fristen an eine Rechtsanwaltsfachangestellte stellt ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin dar, da dieser seine Büroorganisation in einer Weise zu gestalten hat, nach der Fehler bei der Fristenberechnung, -eintragung und -kontrolle möglichst unterbleiben. Da bereits dies nicht geschehen ist, kommt es auf die Frage, ob die Büroangestellte des Prozessbevollmächtigten sonst immer beanstandungsfrei gearbeitet hat, ebenso wenig an wie auf den Umstand, dass es sich – dem Vorbringen zufolge – nicht um einen Fehler bei der Fristenberechnung, sondern um die Eintragung einer unzutreffenden Frist aufgrund einer Verwechselung zweier Verfahren gehandelt haben soll. Das Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Klägerin über § 85 Abs. 2 ZPO als eigenes Verschulden zuzurechnen.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 1. Halbsatz VwGO.

10

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.


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