Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 M 101/12

Gründe

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Die zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Halle - 5. Kammer - vom 17. September 2012, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen. Wird mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 5. Januar 2007 - 1 M 1/07 -, juris [m. w. N.]).

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Hiervon ausgehend rechtfertigt das Beschwerdevorbringen die begehrte Abänderung des angefochtenen Beschlusses nicht. Der Antragsteller hat vielmehr den erforderlichen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

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Eine Verletzung von Art. 33 Abs. 2 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG kann nicht festgestellt werden. Die öffentliche Verwaltung ist im Rahmen der ihr zustehenden Personal- und Organisationshoheit nicht gehindert, den Kreis der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden Bewerber um ein öffentliches Amt aufgrund sachlicher Erwägungen einzuengen (vgl.: BVerfG, Beschluss vom 11. November 1999 - 2 BvR 1992/99 -, juris; OVG LSA, Beschluss vom 16. Juni 2010 - 1 M 79/10 -, juris). So liegt der Fall hier.

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Die hier maßgebliche Ausschreibung für den Bachelor-Studiengang „Soziale Arbeit im Sozialen Dienst der Justiz“ verfolgt das Ziel der künftigen Verwendung der erfolgreichen Absolventen auf freien Stellen im ersten Einstiegsamt der 2. Laufbahngruppe des Sozialen Dienstes. Mit der Ausschreibung hat sich der Dienstherr daher für eine Besetzung der Studienplätze ausschließlich nach Leistungsgesichtspunkten gemäß Art. 33 Abs. 2 GG entschieden, was in der Ausschreibung seinen ausdrücklichen Niederschlag gefunden hat. Indes hat die Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt in dem zugehörigen Begleitschreiben vom 27. Dezember 2011 die Berücksichtigungsfähigkeit von Bewerbungen vor vornherein unter den Vorbehalt einer entsprechenden Freigabeerklärung der personalführenden Dienststelle gestellt.

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Diese Einschränkung begegnet keinen rechtsgrundsätzlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hat etwa für den Fall, dass ein Dienstherr bereit ist, einen Beamten eines anderen Dienstherrn zu übernehmen, sofern er sich als der für das angestrebte Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung beste Bewerber erweist und der andere Dienstherr der Versetzung zustimmt, entschieden, dass diese Zustimmung - gegebenenfalls im Rechtsweg - mit einem auf „Freigabe" gerichteten Rechtsbehelf erstritten werden kann („dienstherrenübergreifende Versetzung“). Denn die öffentliche Verwaltung kann im Rahmen der ihr zustehenden Personal- und Organisationshoheit ohne Verstoß gegen den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Leistungsgrundsatz den Kreis der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden Bewerber um ein öffentliches Amt aufgrund sachlicher Erwägungen einengen, die auch darin liegen können, dass mit der Einstellungspraxis auf die Belange des anderen Dienstherrn Rücksicht genommen wird, wenn dieser aus personalpolitischen Erwägungen zu einer Versetzung seines Beamten nicht bereit ist. Art. 33 Abs. 2 GG gebietet nicht, auf eine solche Rücksichtnahme zu verzichten und den Kreis der nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes auszuwählenden Bewerber um das in Rede stehende Amt entsprechend zu erweitern, so dass auch der zurückgewiesene Beamte von ihm erfasst würde. Die Anforderung an die „Freigabebereitschaft" ist dabei indes in allen vergleichbaren Fällen einheitlich zu handhaben (siehe: BVerfG, Beschluss vom 11. November 1999 - 2 BvR 1992/99-, ZBR 2000, 377; vgl. zudem: BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 2007- 2 BvR 2494/06 -, ZBR 2008, 94; vgl. auch: OVG LSA, Beschluss vom 16. Juni 2010 - 1 M 79/10 -, juris; Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 6. Auflage, Rn. 93a [Seite 74]).

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Nichts Anderes gilt im Wesentlichen wegen haushalterischer bzw. haushaltsrechtlicher Einschränkungen bei einer avisierten veränderten dienstherrninternen Verwendung in Gestalt der Versetzung oder Abordnung (OVG LSA, Beschluss vom 16. Juni 2010, a. a. O.). Zur effektiven Verwirklichung des Leistungsprinzips des Art. 33 Abs. 2 GG ist die Auswahlbehörde aber gehalten, eine von der Beschäftigungsbehörde geltend gemachte vermeintliche „Unabkömmlichkeit“ eines Beamten zu verifizieren und aktenkundig zu machen. Ist - wie hier - die Zustimmung zur „Freigabe" Gegenstand eines hierauf gerichteten Rechtsbehelfes, gilt für die nicht freigabebereite Beschäftigungsbehörde nichts Anderes. Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend aus.

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Soweit die Beschwerde geltend macht, die Personalbewirtschaftung sei Sache des Dienstherrn und könne dem Beamten nicht zu seinen Lasten entgegen gehalten werden, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Besteht in einer bestimmten Laufbahngruppe - wie im Fall des Antragstellers - ein erhebliches längeres wie strukturelles Personaldefizit, besitzt der Dienstherr ein elementares Interesse daran, den bestehenden Personalkörper zu erhalten, um die zwingend erforderlichen öffentlichen, insbesondere gesetzlich vorgegebenen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen zu können. Dies gilt insbesondere für den hier gegebenen Fall, dass die betreffende Bedienstetengruppe Aufgaben wahrzunehmen hat, die der Durchsetzung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG dienen. Der Beschwerde ist insoweit zwar zuzugeben, dass der Dienstherr - auch aus Verfassungsrechtsgründen - gegebenenfalls Personalengpässe bzw. -defizite zu beheben haben mag. Indes unterliegt er dabei nicht nur rechtlichen sowie (haushalts-)wirtschaftlichen oder faktischen Schranken oder Grenzen; vielmehr steht ihm bei der Umsetzung, insbesondere hinsichtlich des „Wann“ und des „Umfanges“ eine weites Organisationsermessen zu. So verpflichten § 7 Abs. 1 LHO und §§ 1, 6 Abs. 1 HGrG den Dienstherrn und seine Behörden, bei der Aufstellung und der Ausführung des Haushaltsplanes die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. Im Hinblick auf die von der Beschwerde angeführten Folgen der gewährten Altersteilzeiten vor allem im Blockmodell kommt hinzu, dass das Land Sachsen-Anhalt bei den Tarifbeschäftigten insoweit tarifvertraglichen, d. h. rechtlichen Verpflichtungen unterworfen ist; Ähnliches gilt aufgrund von § 66 LBG LSA. Im Ergebnis kann der Antragsteller von seinem Dienstherrn - auch aus Fürsorgegründen - jedenfalls nicht verlangen, ihn ungeachtet jeglicher Folgen für den Geschäftsbetrieb an einer Qualifizierungsmaßnahme teilhaben zu lassen.

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Aus den von der Beschwerde angeführten gerichtlichen Entscheidungen folgt schließlich nichts Anderes. Insbesondere aus den vom Antragsteller angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes (Urteil vom 25. November 2004 - 2 C 17.03 -, BVerwGE 122, 237; Urteil vom 28. Oktober 2004 - 2 C 23.03 -, BVerwGE 122, 147) folgt vielmehr, dass die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen ein verfassungsrechtliches Schutzgut ist, welches die Beschränkung des Bewerbungsverfahrensanspruches nach Art. 33 Abs. 2 GG zu rechtfertigen vermag. Es bedarf insoweit allerdings der Abwendung einer unmittelbar drohenden Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Ein verstärkter Personalbedarf bei bloß einer einzelnen Dienststelle stellt dabei die Funktionsfähigkeit des Verwaltungsbereichs in aller Regel nicht in Frage, dies insbesondere dann nicht, wenn die Möglichkeiten eines dienststellenübergreifenden (überörtlichen oder überregionalen) Ausgleichs nicht erschöpfend in Anspruch genommen werden. Auch hiervon geht das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend aus und hat eine dahingehende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit angenommen. Die insoweitigen tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichtes stellt das Beschwerdevorbringen indes nicht - weiter - schlüssig in Frage.

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Dass der Antragsgegner in den Jahren 2008 bis 2011 - wie Beschwerde weiter geltend macht - Freigabeerklärungen abgegeben hat, rechtfertigt für das vorliegende Verfahren kein anderes Ergebnis. Selbst wenn bereits seinerzeit eine entsprechende Personalsituation vorgelegen hätte, ändert dies nichts daran, dass der personelle Engpass den Antragsgegner sachlich berechtigt, seine bisherige Praxis aufzugeben und gegenwärtig keine dahingehenden Freigabeerklärungen mehr abzugeben. Dass der Antragsgegner nur im Fall des Antragstellers von seiner früheren Übung abgewichen wäre, wird von der Beschwerde im Übrigen nicht geltend gemacht; vielmehr weist der Antragsteller selbst darauf hin, dass der Antragsgegner nicht nur ihm die begehrte Freigabeerklärung verweigert hat.

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Im Übrigen ist dem Antragsteller - entgegen seinem Beschwerdevorbringen - mit der hier verweigerten Freigabeerklärung nicht jede weitere Qualifizierungs- oder Weiterbildungsmöglichkeit genommen. Die streitgegenständliche Entscheidung des Antragsgegners war lediglich daran geknüpft, dass die vom Antragsteller gewählte konkrete Maßnahme mit dessen Fortgang und damit mit dem vollständigen Ausfall seiner Arbeitskraft verbunden wäre.

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Eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht gegeben, da aus diesem Grundrecht keine Ansprüche des Antragstellers folgen, die über diejenigen aus Art. 33 Abs. 2 GG hinausgingen, der das Maß an Freiheit der Berufswahl gewährleistet, das angesichts der von der jeweils zuständigen öffentlich-rechtlichen Körperschaft zulässigerweise begrenzten Zahl von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst möglich ist (vgl.: BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 2 BvR 2494/06 -, NVwZ 2007, 693 [m. w. N.]).

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Darauf, ob der Antrag auch aus den weiteren vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen keinen Erfolg haben kann, kommt es nach alledem nicht entscheidungserheblich an.

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Ist der erforderliche Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, kann ein gleichwohl überwiegendes Interesse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege nicht festgestellt werden. Es geht - entgegen dem Beschwerdevorbringen - insoweit gerade nicht maßgeblich um etwaige (nutzlose) Aufwendungen des Antragsgegners, sondern darum, dass der Antragsgegner in dem Tätigkeitsbereich des Antragstellers wegen der unmittelbar drohenden Funktionsbeeinträchtigung einen Personalabgang nicht zu verantworten vermag. Dass die vom Antragsgegner insofern ausführlich dargelegten Gründe unzutreffend, lediglich vorgeschoben oder gar missbräuchlich angeführt werden, legt die Beschwerde im Übrigen nicht dar und ist auch anderweitig für den Senat nicht ersichtlich.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

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Die Entscheidung über die Festsetzung der Höhe des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40, 47, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG. Wegen der mit der einstweiligen Anordnung letztlich begehrten Vorwegnahme der Hauptsache war dieser Gesamtwertbetrag nicht weiter zu reduzieren.

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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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