Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (3. Senat) - 3 M 180/16
Gründe
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I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle - 7. Kammer - vom 1. September 2016 hat keinen Erfolg.
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Die von dem Antragsteller mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, tragen eine Änderung des Beschlusses nicht.
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1. Nicht zu folgen ist dem Einwand des Antragstellers, der Antragsgegner habe mit der Anbringung des Sperrvermerks einen Verwaltungsakt erlassen; denn § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV bestimmt schon nach seinem Wortlaut, dass die sich aus § 28 Abs. 1 FeV ergebende Berechtigung des Inhabers einer ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet zu führen, unter den in § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV genannten Voraussetzungen nicht "gilt". Bereits die Erfüllung eines oder mehrerer der in § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV aufgeführten Tatbestände steht also der Nutzung einer Fahrberechtigung im Inland entgegen, ohne dass es zur Herbeiführung dieser Rechtsfolge eines rechtsgestaltenden (und damit konstitutiv wirkenden) Verwaltungsakts bedarf (vgl. dazu ausführlich unter Auswertung der obergerichtlichen Rechtsprechung: BVerwG, Urteil vom 25. August 2011 - BVerwG 3 C 25.10 -, juris Rn. 13 ff., m. w. N.).
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Gegen das Erfordernis einer konstitutiven Einzelfallentscheidung der deutschen Fahrerlaubnisbehörde spricht zudem die Regelung des § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV.
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Bereits durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 7. Januar 2009 (BGBl. I S. 29) wurde § 28 Abs. 4 FeV u. a. um einen Satz 2 ergänzt, in dem klargestellt wurde, dass die Behörde in den von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 FeV erfassten Fällen einen feststellenden Verwaltungsakt über die fehlende Berechtigung des Inhabers einer ausländischen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, von ihr im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, (lediglich) erlassen "kann". Diese Möglichkeit zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts wurde mit der Zehnten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 16. April 2014 (BGBl. I S. 348) auf sämtliche Fälle des Satzes 1 erweitert. In der Begründung zum Dritten Verordnungsentwurf (vgl. BR-Drucksache 851/08, S. 7 f.) heißt es dazu:
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"Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine (siehe hierzu Artikel 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG sowie Artikel 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG) ist durch die Fassung von Artikel 11 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG gegenüber der Fassung in Artikel 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG eingeschränkt worden. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben nun kein Ermessen mehr, sondern sind verpflichtet, die Anerkennung der Gültigkeit eines EU-Führerscheins abzulehnen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden war. Damit erhält der Aspekt der Sicherheit des Straßenverkehrs gegenüber der Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine eine herausgehobene Bedeutung. Die Nichtanerkennung von Führerscheinen stellt im Vergleich zur sog. 2. Führerscheinrichtlinie nicht mehr einen angesichts des Anerkennungsgrundsatzes eng auszulegenden Ausnahmetatbestand dar."
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Vor diesem Hintergrund ist der Fahrerlaubnisbehörde in § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV nur die Möglichkeit eingeräumt worden ("kann"), einen (feststellenden) Verwaltungsakt zu erlassen, sie wird hierzu nicht verpflichtet. Zum anderen wird der Verwaltungsakt ausdrücklich als feststellender Verwaltungsakt bezeichnet und damit als Verwaltungsakt, der eine bereits bestehende Rechtslage wiedergibt und gegebenenfalls klarstellt. Die Verordnungsbegründung bestätigt dies, wenn dort ausgeführt wird (BR-Drucksache 851/08, S. 6 a. E.), dass ein feststellender Verwaltungsakt in Betracht kommen kann, "in dem die sich aus § 28 Abs. 4 FeV ergebende Rechtslage klargestellt wird" (vgl. zu § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV BVerwG, a. a. O.).
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Ist mithin vor dem Hintergrund der seit dieser Änderungsverordnung geltenden Regelung in § 28 Abs. 4 Sätze 1 und 2 FeV für eine Ermessensbetätigung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen kein Raum mehr und kann die zuständige Behörde in den Fällen des § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV die fehlende Berechtigung einer Person, auf der Grundlage einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im Bundesgebiet zu führen, lediglich zum Gegenstand eines feststellenden Verwaltungsakts machen, so gibt der Verordnungsgeber damit zu erkennen, dass diese Rechtsfolge unabhängig vom Erlass eines solchen Bescheids eintritt.
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Übertragen auf den hier anhängigen Fall bedeutet dies, dass auch der Anbringung des Sperrvermerks auf dem ausländischen Führerschein nach § 47 Abs. 2 Sätze 2 und 3 FeV als Realakt keine konstitutive Bedeutung zukommt, weil er gerade keine Regelung im Sinne des § 1 Abs. 1 VwVfG LSA i. V. m. § 35 Satz 1 VwVfG dahingehend trifft, dass dem Antragsteller das Führen von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Bunderepublik Deutschland untersagt wird. Diese Rechtsfolge ergibt sich im Hinblick auf den Strafbefehl des Amtsgerichts Halle vom 22. August 2012 und das die Sperrfrist ändernde Urteil des Amtsgerichts Halle vom 8. November 2012 (Az. 300 Cs 133 Js 33213/11) vielmehr gemäß § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. dazu auch OVG NRW, Beschluss vom 7. Juni 2013 - 16 B 429/13 -, juris Rn. 3 f., m. w. N.).
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2. Insoweit ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner vor Anbringung des Sperrvermerks keinen rechtsbehelfsfähigen Bescheid über die Inlandsungültigkeit der niederländischen Fahrerlaubnis vom 30. November 2011 nach § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV erlassen hat. Vielmehr vollzieht der Sperrvermerk in entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 2 Satz 2 FeV lediglich die o. g. amtsgerichtlichen Entscheidungen.
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3. Entgegen der Auffassung des Antragstellers hat das Amtsgericht Halle (Saale) in seinem Urteil vom 8. November 2012 (Az. 300 Cs 133 Js 33213/11) nicht lediglich ein Fahrverbot gemäß § 44 des Strafgesetzbuchs (StGB) ausgesprochen und damit den seit dem 8. Oktober 2012 rechtskräftigen Strafbefehl vom 22. August 2012 geändert. Da der Antragsteller seinen Einspruch gegen den Strafbefehl wirksam auf die Rechtsfolge und damit auf die Dauer der Wirkung der Entziehung bei einer ausländischen (hier niederländischen) Fahrerlaubnis beschränkt hat, hatte das Amtsgericht in dem o. g. Urteil auch nur über die Dauer der Entziehung zu entscheiden. Bereits der Strafbefehl hat damit dem Antragsteller unter Bezugnahme auf §§ 69, 69b StGB rechtskräftig "die Fahrerlaubnis entzogen mit der Wirkung einer Aberkennung des Rechts, …von der Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland (Inland) Gebrauch zu machen". Lediglich die zunächst auf zwölf Monate festgesetzte Dauer der Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, wurde durch das amtsgerichtliche Urteil vom 8. November 2012 auf drei Monate herabgesetzt (vgl. II. der Urteilsgründe).
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Insoweit ist dem Antragsteller zwar einzuräumen, dass das Schreiben der Staatsanwaltschaft Halle vom 8. November 2012, mit dem ihm der Führerschein zurückgesandt und er darauf hingewiesen worden ist, dass das gegen ihn verhängte "Fahrverbot" erst mit Ablauf des 7. Februar 2013 endet, zumindest irreführend ist. An der mit rechtskräftigem Strafbefehl vom 8. Oktober 2012 ausgesprochenen Fahrerlaubnisentziehung gemäß §§ 69, 69b StGB und der rechtswirksamen Anbringung eines Sperrvermerks gemäß § 47 Abs. 2 FeV ändert dieses formlose Schreiben der Staatsanwaltschaft Halle indes nichts, so dass der Antragsteller entgegen seiner Auffassung auch weiterhin nicht berechtigt ist, von seiner Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.
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Vielmehr hat der Antragsteller - wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt - vor einem erneuten Gebrauch seiner niederländischen Fahrerlaubnis im Inland gemäß § 28 Abs. 5 Satz 1 FeV die Zuerkennung der Fahrerlaubnisberechtigung zu beantragen, worauf ihn der Antragsgegner in seinem Schreiben vom 30. September 2015 auch hingewiesen hat.
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4. Soweit der Antragsteller zu den Anmerkungen des Verwaltungsgerichts zum Umgang mit seinen Führerscheinen Stellung nimmt, führen diese schon deswegen nicht zum Erfolg der Beschwerde, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung hierauf nicht tragend gestützt hat.
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5. Aus dem Umstand, dass der Antragsgegner über den Widerspruch vom 1. Oktober 2015 bisher nicht entschieden hat, lässt sich schließlich entgegen der Auffassung des Antragstellers ein besonderes Eilbedürfnis im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht herleiten, insbesondere zeigt die Beschwerdeschrift nicht auf, inwieweit die Widerspruchsentscheidung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller könnte das von ihm erstrebte Ziel, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis wieder Gebrauch zu machen, vielmehr dadurch erreichen, dass er bei dem Antragsgegner gemäß § 28 Abs. 5 Satz 1 FeV den hier - wie oben bereits erläutert - erforderlichen Antrag auf Zuerkennung der Fahrerlaubnisberechtigung stellt.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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III. Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG. In Anlehnung an Nrn. 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 bestimmt sich bei Verfahren wegen der Entziehung der Fahrerlaubnis für mehrere Klassen der Streitwert grundsätzlich nach der jeweils höchsten Klasse (hier Klasse AM und B), sofern nicht im Einzelfall eine Klasse (Klasse A oder C) gegenüber der Klasse B eine eigenständige Bedeutung hat (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 24. September 2009 - 3 M 299/09 -, m. w. N.). Da der Klasse AM keine eigenständige Bedeutung zukommt, war für die Klasse B der Auffangstreitwert festzusetzen, der im Hinblick darauf, dass es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, zu halbieren war.
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IV. Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.
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