Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 M 31/18

Gründe

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Die zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Magdeburg - 3. Kammer - vom 7. März 2018, deren Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf das streitige Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sowie die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit den §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft zu machen. Wird mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen hingegen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 5. Januar 2007 - 1 M 1/07 -, juris [m. w. N.]).

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Vorliegend bleibt der Beschwerde mit ihren Einwendungen zum Vorliegen des Anordnungsanspruches der Erfolg bereits deswegen versagt, weil die Antragsteller - entgegen der Annahme der 1. Instanz - den erforderlichen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht haben.

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Allein der Umstand, dass die Nichterteilung der beantragten Spielhallenerlaubnis kurzfristig - vorliegend zum 1. Januar 2018 - zur Folge hatte, dass ein Weiterbetrieb der streitgegenständlichen Spielhalle damit formell illegal erfolgen würde und den Antragstellern für den Fall, dass Sie nicht selbst den Betrieb einstellen, eine behördliche Schließungsanordnung drohen kann (die im Übrigen entgegen dem Beschwerdevorbringen noch nicht Bestandteil der streitgegenständlichen Ablehnungsbescheide vom 22. Dezember 2017 ist), begründet ebenso wenig wie der Umstand, dass ein formell illegaler Weiterbetrieb der Spielhalle einer Ordnungswidrigkeit (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 1 SpielhG LSA) darstellen kann, bereits eine besondere Dringlichkeit, die die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigt. Zeitliche Verzögerungen bei einem Begehren auf Erteilung einer behördlichen Erlaubnis, wie sie etwa durch ein Widerspruchsverfahren oder eine gerichtliche Verpflichtungsklage entstehen können, sind grundsätzlich hinzunehmen, zumal wenn - wie hier - die rechtlichen Auswirkungen des seit 1. Juli 2012 in Kraft getretenen Spielhallengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt und die Notwendigkeit einer Spielhallenerlaubnis nach den Modalitäten des Übergangsrechtes lange bekannt und planbar sind.

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Die Antragsteller haben bislang entgegen § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO nicht glaubhaft gemacht, dass ihnen bei einem Abwarten der Entscheidung in einem etwaigen Hauptsacheverfahren unzumutbare, auch nach einem Erfolg in diesem Verfahren nicht mehr zu beseitigende Nachteile drohen. Die angeführten Betriebskosten und Umsatzeinbußen machen ebenso wie das Schreiben des Steuerberaters (H.) vom 22. Januar 2018 (Bl. 51 der GA) weder eine Vernichtung noch eine relevante Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Antragsteller in der gebotenen Weise glaubhaft, insbesondere erweist sich die Behauptung des Steuerberaters in dem vorgenannten Schreiben, eine Schließung der streitgegenständlichen Spielhalle „würde die gesamte Unternehmensstruktur ins Wanken bringen“, als nicht hinreichend substantiiert. Allein ein Vergleich der Umsatzzahlen der verschiedenen Spielhallenstandorte besitzt hierfür nicht die erforderliche Aussagekraft, zumal die Übersicht auch erkennen lässt, dass die Aufgabe eines Standortes (I-Stadt) durch Eröffnung eines neuen Standortes (G-Stadt) zu einer Umsatzsteigerung geführt hat. Im Übrigen mangelt es an jeglichen Angaben zur Liquiditätssituation der Antragsteller.

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Darüber hinaus ist das Beschwerdevorbringen auch nicht geeignet, den erforderlichen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.

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Der Vortrag, es bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des gesetzlich normierten Abstandsgebots setzt sich nicht in der gem. § 146 Abs. 4 S. 3 VwGO gebotenen Weise mit den Entscheidungsgründen hierzu auf Seite 9 Abs. 2 der Beschlussausfertigung auseinander und stellt diese Ausführungen nicht schlüssig infrage.

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Im Hinblick auf den vom Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zugebilligten Gestaltungsspielraum, der auch (zum Zwecke der Effektivität der Reduzierung der Spielhallendichte) ein Absehen von Ausnahmemöglichkeiten beinhaltet, genügt es nicht, wenn das Beschwerdevorbringen auf fehlende Ausnahmen, eine unwesentliche Unterschreitung des Mindestabstandes und die Behauptung verweist, sämtliche Sicherheitsvorkehrungen zur Einhaltung des Jugendschutzes würden durch die Antragsteller eingehalten. Auch die Festlegung des Maßstabes der Luftlinienentfernung ist von der Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers gedeckt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1BvR 1314/12 u. a. - , juris Rn. 153).

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Soweit das Beschwerdevorbringen das Fehlen der gesetzlichen Normierung der Bezugspunkte für die Abstandsmessung moniert, ergibt sich hieraus noch nicht in schlüssiger Weise die behauptete mangelnde Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung. Das Beschwerdevorbringen legt nicht nachvollziehbar dar, weshalb sich die Abstandsregelung des § 2 Abs. 4 Nr. 7 SpielhG LSA nicht im Wege der Auslegung (z. B. nach dem Wortsinn des Begriffes „Luftlinie“ als kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten, im vorliegenden Fall zwischen Spielhalle und geschützter Einrichtung [vgl. hierzu auch  § 10 Abs. 2 Satz 2 NGlüSpG] sowie in teleologischer Hinsicht unter Berücksichtigung des Kinder- und Jugendschutzes) in der gebotenen Weise konkretisieren lässt.

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Auch die Behauptung, die neue gesetzliche Regelung zum Abstandsgebot verstoße gegen das Rückwirkungsverbot des Rechtsstaatsprinzips, wird mit dem Hinweis auf den bisherigen, legalen Betrieb der Spielhalle und den bestehenden Abstand zum Jugendfreizeitzentrum nicht schlüssig begründet.

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Die bisherige Erlaubnis der Antragsteller nach § 33i GewO vom 18. November 2009 ist gemäß der Übergangsregelung des § 11 Abs. 1 SpielhG LSA nicht mehr ausreichend; der mit ihr verbundene Freigabeeffekt bei Altspielhallen wird durch das Hinzutreten eines weiteren Erlaubnisvorbehalts eingeschränkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. April 2017 - 8 C 16.16 -, juris Rn. 29). Erforderlich war danach die Einholung einer zusätzlichen glücksspielrechtlichen Erlaubnis, deren Erteilung u. a. von der Einhaltung der im Spielhallengesetz des Landes Sachsen-Anhalt enthaltenen Abstandsgebote abhängig ist. Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot würde u. a. das Vorhandensein eines schutzwürdigen Vertrauens bei den Antragstellern voraussetzen, welches indes in das (unveränderte) Fortbestehen einer gesetzlichen Regelung und erteilten Erlaubnis nach § 33i GewO seit dem 28. Oktober 2011 (Beschlussfassung der Ministerpräsidentenkonferenz über die Änderung des Glücksspielstaatsvertrages) nicht mehr besteht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017, a. a. O., Rn. 198, 203).

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Weiter trägt die Beschwerde vor, die Antragsteller könnten sich mit Erfolg auf die Härtefallregelung des § 11 Abs. 2 SpielhG LSA berufen, was das Verwaltungsgericht rechtsfehlerhaft verkannt habe.

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Unter Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen sei ausreichend glaubhaft gemacht worden, dass eine Befreiung von dem Abstandsgebot des § 2 Abs. 4 Nr. 7 SpielhG LSA zur Vermeidung einer unbilligen Härte erforderlich sei. Eine pauschale Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen genügt allerdings nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 S. 1 und 3 VwGO an die Beschwerdebegründung, wonach sich die Beschwerdeschrift mit der angefochtenen Entscheidung - unter substantiiertem Vorbringen - auseinandersetzen muss (so OVG LSA i. st. Rspr., etwa: Beschluss vom 21. April 2006 - 1 M 54/06 -, juris [m. w. N.]; Beschluss vom 10. Januar 2011 - 1 M 2/11 -, juris). Zudem stellt es die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragsgegnerin den Antragstellern bereits bis 31. Juli 2017 und darüber hinaus für das 2. Halbjahr 2017 eine derartige Härtefallerlaubnis erteilt habe und § 11 SpielhG LSA eine mehrmalige Erteilung einer Härtefallerlaubnis für längere Zeiträume, ohne dass neue, bei Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 2012 nicht bereits bestehende Gründe dies rechtfertigten, nicht vorsehe, nicht schlüssig infrage.

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Soweit die Beschwerde vorträgt, der Bescheid vom 27. Juni 2017 enthalte keine Härtefallregelung, ist dies insoweit zutreffend, als mit Antrag vom 27. Juni 2017 eine Spielhallenerlaubnis nach § 2 SpielhG LSA befristet bis zum 31. Dezember 2017 beantragt und mit Bescheid der Antragsgegnerin vom selben Tage antragsgemäß erteilt wurde. Das Beschwerdevorbringen macht indes nicht plausibel, inwiefern nach Erteilung einer befristeten Erlaubnis nach § 2 SpielhG LSA noch Raum für die Anwendung der Übergangsregelung des § 11 Abs. 2 SpielhG LSA ist, die an den Ablauf des in § 11 Abs. 1 S. 1 SpielhG LSA bestimmten Zeitraumes und das Vorliegen, insbesondere auch an den Zeitpunkt der Erteilung der gewerberechtlichen Erlaubnis nach § 33i GewO, also an Umstände vor Erteilung einer Erlaubnis nach § 2 Abs. 1 SpielhG LSA anknüpft. Im Hinblick auf das Antragserfordernis des § 2 Abs. 2 SpielhG LSA oblag es den Antragstellern, der Verwaltung den Zeitraum vorzugeben, für den die beantragte Erlaubnis erteilt werden sollte. Im Antrag vom 27. Juni 2017 wurde in der (letzten) Rubrik (auf Seite 1 des Antrages) „Befristung der Erlaubnis“, die maximal mögliche Dauer von  15 Jahren gestrichen und durch das maschinenschriftliche Datum „31.12.17“ ersetzt.

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Soweit die Beschwerde es für nicht nachvollziehbar erachtet, dass das Verwaltungsgericht die Bescheinigung des Steuerberaters vom 22. Januar 2018 nicht als ausreichend für die Glaubhaftmachung einer Existenzgefährdung angesehen habe, werden damit die vom Verwaltungsgericht angeführten Möglichkeiten einer anderweitigen Nutzung der Räume und Betriebsmittel sowie einer außerordentlichen Kündigung oder Weiterbeschäftigung des Personals in einer anderen, formell und materiell legalen Spielhalle nicht schlüssig infrage gestellt.

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Der Vortrag, die Räumlichkeiten seien wegen der noch für längere Zeit bestehenden Mietdauer nicht kündbar, ohne schriftliche Zustimmung des Vermieters, die bisher nicht vorliege, könne eine andere Nutzung nicht erfolgen, macht nicht plausibel, dass die Zustimmung des Vermieters zu einer Umnutzung nicht erreicht werden kann. Im Übrigen ist die maximale Vertragslaufzeit bis zum 30. November 2020 begrenzt (vgl. § 3 Abs. 1, 3 des Mietvertrages) und die Antragsteller haben auf eigenes unternehmerisches Risiko gehandelt, wenn sie entsprechend § 3 Abs. 3 des Mietvertrages Ende 2016 zum zweiten Mal von ihrem 3jährigen Verlängerungsrecht Gebrauch gemacht haben, obgleich damals die Einschränkung des Freigabeeffektes der gewerberechtlichen Erlaubnis nach § 33i GewO und das Hinzutreten des Erlaubnisvorbehalts nach  § 2 SpielhG LSA im Jahre 2017 zeitnah bevorstand und die Erteilung sowie Dauer einer Erlaubnis nach § 2 Spielhallengesetz LSA ungewiss war.

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Die Behauptung, eine Umnutzung würde einen nicht unerheblichen Investitionsbedarf beinhalten, ist unsubstantiiert.

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Der Vortrag, die Antragsteller könnten ihren vier Angestellten in H-Stadt weder außerordentlich kündigen noch bei einer sofortigen Schließung die Kündigungsfristen einhalten, stellt die Feststellung des Verwaltungsgerichtes nicht infrage, dass Spielhallenbetreibern nicht in jedem Einzelfall eine verlustfreie Abwicklung ihrer zu schließenden Spielhalle zu ermöglichen ist und - neben den Kündigungsmöglichkeiten - auch eine Weiterbeschäftigung in einer anderen legalen Spielhalle in Betracht zu ziehen ist. Der Begriff der unbilligen Härte in § 11 Abs. 2 SpielhG LSA setzt im Übrigen voraus, dass die Antragsteller konkret und nachprüfbar darlegen, inwiefern sie den Übergangszeitraum im Sinne des § 11 Abs. 1 SpielhG LSA zur Vorbereitung und Anpassung ihres Geschäftsbetriebes an die veränderte Rechtslage genutzt haben und weshalb die angeführten Nachteile für sie unvermeidbar waren (vgl. Nieders. OVG, Beschluss vom  4. September 2017 - 11 ME 206/17 -, juris Rn. 39; BVerfG, Beschluss vom 5. August 2015 - 2 BvR 2190/14 -, juris Rn. 24, 26). Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht.

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Entsprechendes gilt für den Vortrag in Bezug auf die Kündigungsfrist für die Anmietung der Spielautomaten und die angeblich fehlende Möglichkeit, die Automaten in anderen Spielhallen zu nutzen. Zudem ist der Beschwerdevortrag insoweit unsubstantiiert geblieben und erschöpft sich in bloßen, nicht nachvollziehbaren Behauptungen.

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Der weitere Beschwerdeantrag auf vorläufige Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung ist abzulehnen; der Vortrag zur gebotenen Folgeabwägung der beiderseitigen Interessen der Verfahrensbeteiligten liegt neben der Sache.

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Eine sofort vollziehbare Entscheidung der Antragsgegnerin in Form einer Betriebsuntersagung bzw. Schließungsanordnung für die streitgegenständliche Spielhalle, die das Gericht aussetzen könnte, liegt - soweit ersichtlich - nicht vor, ist jedenfalls nicht Gegenstand der die Versagung einer Erlaubnis gemäß § 2 SpielhG LSA betreffenden streitgegenständlichen Bescheide vom 22. Dezember 2017 und des auf Erlaubniserteilung gerichteten vorläufigen Rechtsschutzbegehrens. Zudem ist eine Antragsänderung im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nicht (mehr) zulässig; ein geändertes, d. h. neues Begehren ist vielmehr bei dem Verwaltungsgericht anhängig zu machen (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 14. Oktober 2011 - 1 M 148/11 -, juris m. w. N.).

22

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO.

23

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

24

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 GKG i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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