Beschluss vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 O 88/19

Gründe

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Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen den Beschluss des Senats vom 22. Juli 2019 wegen der auf die Beschwerde des Beklagten hin erfolgten Rechtswegverweisung ist zulässig, insbesondere statthaft.

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Soweit § 152a Abs. 1 S. 2 VwGO regelt, dass gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung die (Anhörungs-)Rüge nicht stattfindet, ist diese Bestimmung verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sie nicht auf Zwischenverfahren Anwendung findet, in denen abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren über einen Antrag befunden wird und die Entscheidung später nicht mehr im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 2019 - 9 B 6.19 u.a. -, juris Rn. 4; BVerfG, Beschluss vom 23. Oktober 2007 - 1 BvR 782/07 -, juris Rn. 22, BVerfGE 119, 292 ff.; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6. Mai 2010 - 1 BvR 96/10 -, juris Rn. 15).

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So liegt der Fall hier. Die Verweisung an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs ist hinsichtlich des Rechtswegs für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, gemäß § 17a Abs. 2 S. 3 GVG bindend und kann nur auf das Rechtsmittel einer Partei überprüft werden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13 -, juris Rn. 9; Beschluss vom 13. November 2001 - X ARZ 266/01 -, juris Rn. 13). Gegen die Senatsentscheidung vom 22. Juli 2019 ist ein Rechtsmittel mangels Zulassung gemäß § 17a Abs. 4 S. 4 GVG nicht gegeben; der Beschluss ist rechtskräftig. Der Eintritt der Rechtskraft gemäß § 173 S. 1 VwGO i. V. m. § 705 ZPO wird durch die Einlegung der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO nicht gehemmt, weil es sich dabei um kein Rechtsmittel im Sinne des § 705 ZPO handelt (so BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2010 - 9 KSt 1.10 u. a. -, juris Rn. 4).

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Im Übrigen bestehen gegen die form- und fristgerechte Erhebung der Anhörungsrüge keine rechtlichen Bedenken.

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Die Anhörungsrüge ist indes unbegründet.

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Die Anhörungsrügeschrift sieht eine Verletzung rechtlichen Gehörs deshalb als gegeben an, weil der Senat die seinem Beschluss vom 22. Juli 2019 zugrunde gelegten rechtlichen Erwägungen der Klägerin nicht vorab, insbesondere nicht im Rahmen der Anhörung gemäß richterlicher Verfügung vom 13. Mai 2019, mitgeteilt habe, weshalb es sich bei dem Senatsbeschluss um ein „Überraschungsurteil“ handle. Die Klägerin habe keine echte Chance gehabt, substantiiert zu den Erwägungen des Gerichts vorzutragen; zudem seien die Entscheidungsgründe rechtlich fern liegend.

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Eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs wird mit diesem Vorbringen nicht schlüssig dargelegt.

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Aus dem Prozessgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG folgt keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts. Insbesondere muss ein Gericht die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Ein Hinweis ist zwar erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist aber nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2016 - 5 P 4.16 u. a. -, juris Rn. 3 m. w. N.; Beschluss vom 23. Juli 2019 - 2 B 4.19 -, juris Rn. 15; Beschluss vom 28. Mai 2019 - 4 BN 44.18 -, juris Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 5. November 1986 - 1 BvR 706/85 -, juris Rn. 15).

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Hieran gemessen war der Senat nicht gehalten, den Verfahrensbeteiligten im Hinblick auf das mit der Anhörungsverfügung mitgeteilte voraussichtliche Entscheidungsergebnis die diesem zugrunde liegende tatsächliche und rechtliche Würdigung vorab mitzuteilen; diese ergab sich erst aufgrund der abschließenden Beratung des Senats, wie insbesondere auch die Befassung mit dem Kläger-Vorbringen aufgrund der Anhörung in den Schriftsätzen vom 4. und 5. Juni 2019 im Beschluss vom 22. Juli 2019 deutlich macht.

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Im Übrigen beziehen sich die Einwände, die die Klägerin im Rahmen der Anhörungsrüge zur Stützung ihres Rechtsstandpunktes vorträgt, - wie bisher schon vorgetragen - auf ihre Behauptung, dass vorliegend eine übliche Kostenentscheidung einer Behörde im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens im Streit stehe, und wenden sich gegen die im Rechtsstreit über den zutreffenden Rechtsweg von Anbeginn an streitige tatsächliche und rechtliche Bewertung der Entscheidung der Vergabekammer vom 26. Juli 2018 im unterschwelligen Bereich. So greift die Anhörungsrüge weitgehend nach Art einer herkömmlichen Rechtsmittelschrift die tatrichterliche Würdigung des beschließenden Senats an und bestreitet die materielle Richtigkeit seiner Erwägungen im Einzelnen und der Entscheidung im Ganzen. Ein Gehörsverstoß in Form einer Überraschungsentscheidung wird damit nicht nachvollziehbar dargelegt. Im Übrigen stellt die Anhörungsrüge keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. April 2012 - 8 B 7.12 -, juris Rn. 2).

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Soweit die Anhörungsrügeschrift einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG geltend macht, weil der Klägerin durch die angeblich rechtswidrige Verweisung an das Landgericht Magdeburg der gesetzliche Richter entzogen werde, kann die Klägerin im Rahmen der Anhörungsrüge nicht damit gehört werden, weil nicht das Verfahrensgrundrecht des rechtlichen Gehörs betroffen ist (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 13. Mai 2015 - 1 L 89/15 -, juris Rn. 8 m. w. N.).

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Soweit die Anhörungsrügeschrift ausführt, hinsichtlich der Verweisung an das Landgericht Magdeburg sei kein rechtliches Gehör gewährt worden, wird eine Gehörsverletzung mit dem Vorbringen, die Bewertung des Senats sei aus den in der Rügeschrift angeführten Gründen falsch, nicht schlüssig dargelegt. Selbst wenn man unterstellt, der Senat könnte einem tatsächlichen Umstand nicht die richtige Bedeutung für weitere tatsächliche oder rechtliche Folgerungen beigemessen haben, vermag dies jedenfalls einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu begründen, da es sich auch hierbei um Fragen der tatrichterlichen Würdigung gemäß § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO und der materiellen Richtigkeit der Entscheidung handelt (vgl. OVG LSA, Beschluss vom 13. Mai 2015, a. a. O., Rn. 5). Dass der Senat im Übrigen nach seinem für eine Gehörsrüge maßgeblichen Rechtsstandpunkt entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen und erwogen haben könnte, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

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Die Gegenvorstellung der Klägerin ist nicht statthaft und deshalb unzulässig.

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Der Senatsbeschluss über die Rechtswegbeschwerde ist formell rechtskräftig und rechtlich bindend. Mit dieser Rechtskraft ist für das Gericht, an das verwiesen wurde, und im Ergebnis damit auch für die Verfahrensbeteiligten eine Bindungswirkung eingetreten (vgl. § 17a Abs. 2 S. 3 GVG), die aus Gründen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens davor schützt, dass die ergangene Entscheidung ohne weiteres wieder infrage gestellt werden kann. Die Rechtskraft verhindert ferner im öffentlichen Interesse, dass der bereits entschiedene Streit immer wieder dem Gericht unterbreitet werden kann. Durch welche Rechtsbehelfe und unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung ausnahmsweise durchbrochen werden kann, hat deshalb auch aus Gründen der Rechtsmittelklarheit, die ebenfalls aus dem Gebot der Rechtssicherheit folgt, grundsätzlich der Gesetzgeber zu entscheiden. Er hat neben dem hier nicht in Rede stehenden Institut der Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Anhörungsrüge des § 152a VwGO einen Rechtsbehelf geschaffen, der in Fällen eines schweren Verfahrensfehlers, nämlich einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, unter näher bezeichneten Voraussetzungen die Fortsetzung des abgeschlossenen Verfahrens ermöglicht. Dem lässt sich die Wertung des Gesetzgebers entnehmen, dass es in anderen Fällen eines behaupteten Verfahrensfehlers oder der angeblichen Unrichtigkeit der Entscheidung bei der eingetretenen Rechtskraft bleiben soll. Das schließt es aus, neben der Anhörungsrüge die in ihren Voraussetzungen nicht geregelte Gegenvorstellung als weitere Möglichkeit der Rechtskraftdurchbrechung zuzulassen. Die Zulässigkeit einer Gegenvorstellung kann nur in den Fällen in Betracht gezogen werden, in denen das Gericht nach der maßgebenden gesetzlichen Regelung zu einer Abänderung seiner vorangegangenen Entscheidung befugt ist und die Gegenvorstellung ihm Anlass zu einer dahingehenden Prüfung gibt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Mai 2011 - 6 KSt 1.11 u. a. -, juris Rn. 3 m. w. N.).

15

Die letztgenannten Voraussetzungen liegen in Bezug auf die Rechtswegbeschwerde grundsätzlich nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13 -, juris Rn. 9; Beschluss vom 13. November 2001 - X ARZ 266/01 -, juris Rn. 13). Soweit in der Rechtsprechung eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung allenfalls bei „extremen Verstößen“ gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften für denkbar gehalten wird, etwa wenn der Beschluss jeder Grundlage entbehrt oder dazu führt, dass die Verweisung bei Auslegung und Anwendung der maßgeblichen Normen sich in einer nicht mehr hinnehmbaren Weise von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2001, a. a. O., Rn. 15 m. w. N.; Beschluss vom 14. Mai 2013, a. a. O., Rn. 13), ist dies vorliegend weder schlüssig dargelegt noch sonst ersichtlich.

16

Insbesondere vermag die behauptete Rechtswidrigkeit der Verweisungsentscheidung noch keinen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters zu begründen. Eine - unterstellt - fehlerhafte Rechtsanwendung wäre hierfür nicht ausreichend. Die Grenzen zu einem Verfassungsverstoß sind erst dann überschritten, wenn die Auslegung einer Verfahrensnorm oder ihre Handhabung im Einzelfall willkürlich oder offensichtlich unhaltbar sind oder wenn die richterliche Entscheidung Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG grundlegend verkennt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juli 2012 - 2 BvR 615/11 -, juris Rn. 12). Von einer willkürlichen Rechtsanwendung des Senats im vorliegenden Fall kann keine Rede sein. Auch eine schwerwiegende, nicht mehr hinnehmbare Verletzung der Rechtswegordnung ist nicht feststellbar. Die Senatsentscheidung vom 22. Juli 2019, die unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung der Bundesgerichte und Heranziehung der Gesetzesmaterialien getroffen wurde, beruht weder auf grober Missachtung oder grober Fehlanwendung des Gesetzesrechts, noch hat der Senat Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG grundlegend verkannt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

18

Dieser Beschluss ist u n a n f e c h t b a r (§§ 152a Abs. 4 S. 3,152 Abs. 1 VwGO).


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