Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 VAs 1/11


Tenor

Der Strafsenat ist für die Entscheidung in vorliegender Sache nicht zuständig und übersendet die Akten daher an das zuständige Amtsgericht G.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht G. hat X. durch Urteil vom 2. Februar 2004 wegen versuchter Nötigung in zwei Fällen verwarnt und dessen Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,00 € vorbehalten. Mit Bewährungsbeschluss vom selben Tag hat es die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt und die Auflage erteilt, 100 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten.

2

Wegen erneuter Straffälligkeit widerrief die Strafrichterin des Amtsgerichts G. mit Beschluss vom 23. Mai 2007 – BRs 32/04 – die vorbehaltene Gesamtgeldstrafe unter Anrechnung von 20 Tagessätzen für die Erfüllung der obengenannten Auflage.

3

Die Staatanwaltschaft L. forderte den Verurteilten mit Schreiben vom 30. Juli 2007 erfolglos zur Zahlung der Geldstrafe auf. Deswegen ordnete sie mit Verfügung vom 10. Dezember 2007 die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe an (§ 459 e Abs. 1 StPO) und teilte dem Verurteilten zugleich den Termin zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe mit. Daraufhin beantragte der Verurteilte um Gestattung, die Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit abzuwenden. Diesem Antrag gab die Staatsanwaltschaft statt. Da der Verurteilte aus verschiedenen Gründen keinerlei Arbeitsstunden abgeleistet hatte, widerrief die Staatsanwaltschaft am 23. Dezember 2009 die Gestattung und ordnete gleichzeitig die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe an. Einen erneuten Antrag des Verurteilten auf Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit lehnte die Staatsanwaltschaft am 10. Februar 2010 ab und forderte ihn zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe auf. Aufgrund weiterer Eingaben des Verurteilten gestattete die Staatsanwaltschaft dem Verurteilten erneut, die Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuleisten. Wegen unterbliebener freier Arbeitsleistung widerrief die Staatsanwaltschaft am 30. August 2010 erneut die Gestattung, lehnte das Gesuch um Ratenzahlung betreffend die verhängte Gesamtgeldstrafe ab und ordnete die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe an.

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Hiergegen hat der Verurteilte mit Schreiben vom 3. September 2010 Einwände vorgebracht, die er mit Schreiben vom 30. September, 4. und 11. Oktober und 8. November 2010 näher erläuterte. Mit den Eingaben strebt er die Gewährung einer Ratenzahlung in Bezug auf die Gesamtgeldstrafe bzw. die Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch Ableistung freier Arbeit an.

5

Nachdem die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 22. September 2010 die Akte dem Amtsgericht G. zur Entscheidung über die erhobenen Einwendungen gemäß § 458 Abs. 1 StPO vorgelegt hatte, wies das angerufene Gericht mit Beschluss vom 18. November 2010 die Einwendungen des Verurteilten als unbegründet zurück. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 23. November 2010 zugestellt.

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Mit einem beim Amtsgericht G. am 23. November 2010 eingegangenen Schreiben hat sich der Verurteilte mit den Worten „Wieder Spruch Insgesamt“ offensichtlich gegen die ergangene Entscheidung des Amtsgerichts gewandt.

7

Die Staatsanwaltschaft hat dieses Schreiben als Beschwerde des Verurteilten gegen den gerichtlichen Beschluss angesehen, die Akte dem Landgericht L. als Beschwerdegericht vorgelegt und beantragt, das Rechtsmittel aus den zutreffenden Gründen der amtsgerichtlichen Entscheidung zu verwerfen.

8

Ohne Anhörung der Verfahrensbeteiligten hat die 3. Strafkammer des Landgerichts L. mit Entscheidung vom 4. Januar 2011 den Beschluss des Amtsgerichts G. vom 18. November 2010 aufgehoben und die Beschwerde an das Pfälzische Oberlandesgericht Zweibrücken zur Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG verwiesen. Dies wurde damit begründet, dass das Amtsgericht G. zur Entscheidung über das „Rechtsmittel“ des Verurteilten nicht zuständig gewesen sei. Der Verurteilte wende sich mit seinem „Rechtsmittel“ gegen den Widerruf der Bewilligung über die Tilgung uneinbringlicher Geldstrafen durch freie Arbeit. Zur Entscheidung über die Einwendungen des Verurteilten in diesem Bereich der Vollstreckung der Staatsanwaltschaft, die landesverordnungsrechtlich geregelt ist, sei der Rechtsweg zum Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken gem. §§ 23 ff EGGVG gegeben.

II.

9

Entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts ist der angerufene Strafsenat für die Entscheidung über die Einwendungen des Verurteilten betreffend den Widerruf der Gestattung, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden, und der Ablehnung einer Ratenzahlungsvereinbarung für die verhängte Gesamtgeldstrafe nicht zuständig. Bei den Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde handelt es sich zwar jeweils um eine Maßnahme zur Regelung einer Angelegenheit auf dem Gebiet der Strafrechtspflege im Sinne von § 23 EGGVG, doch können diese durch einen anderen Rechtsbehelf angegriffen werden.

10

Über Einwendungen gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde nach den §§ 459a, 459c, 459e und 459g entscheidet gemäß § 459h Abs. 1 StPO das Gericht; dies ist in der Regel das Gericht des ersten Rechtszugs (§ 462a Abs. 2 StPO). Über Einwendungen gegen eine Maßnahme des Rechtspflegers, dem die Geschäfte der Vollstreckungsbehörde nach den §§ 459 ff. übertragen sind (§ 31 Abs. 2 Satz 1 RpflG) entscheidet ebenfalls das Gericht (§ 31 Abs. 6 Satz 1 RpflG). Damit entfällt gemäß § 23 Abs. 3 EGGVG die nur subsidiäre Zuständigkeit des Oberlandesgerichts. § 459 h schließt somit in seinem Anwendungsbereich den Rechtsweg nach §§ 23 ff EGGVG aus (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 459h Rdnr. 1).

1.

11

Die nachträgliche Gewährung von Zahlungserleichterungen durch die Vollstreckungsbehörde ist in § 459a StPO geregelt. Über Einwendungen des Verurteilten gegen die Ablehnung von Zahlungserleichterungen durch den Rechtspfleger entscheidet gemäß § 31 Abs. 6 RPflG nach § 459h das Gericht des ersten Rechtszugs; hier das Amtsgericht G.. Damit entfällt bereits für diesen Teil der Entscheidung des Rechtspflegers die nur subsidiäre Zuständigkeit des Senat (§ 23 Abs. 3 EGGVG).

2.

12

Für die Einwendungen des Verurteilten gegen den Widerruf der Gestattung, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden, ist ebenfalls das Gericht des ersten Rechtszugs gemäß § 459 h StPO zuständig.

13

Dem steht nicht entgegen, dass die auf der Ermächtigungsbestimmung von Art. 293 EGStGB ergangene rheinland-pfälzische Landesverordnung über die Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit (GVBl. 1988,110) nicht ausdrücklich in § 459h StPO erwähnt ist. Denn die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, die Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit zu widerrufen (§ 6 Landesverordnung über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen durch freie Arbeit), ist zugleich eine Anordnung über die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Sinne von § 459e Abs. 1 StPO, der in § 459h StPO zitiert ist.

14

Ist die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe gegen einen Verurteilten angeordnet, kann ihm die Vollstreckungsbehörde auf seinen Antrag gestatten, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch Arbeit abzuwenden (§ 1 Landesverordnung über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen durch freie Arbeit). Wird dem Antrag stattgegeben, darf die Ersatzfreiheitsstrafe nicht vollstreckt werden, weil ein Vollstreckungshindernis besteht. Hat der Verurteilte die erforderliche Arbeitsleistung vollständig erbracht, ist die Ersatzfreiheitsstrafe erledigt. Lehnt die Vollstreckungsbehörde aber den Antrag ab oder widerruft sie die Gestattung, so verbleibt es – unbeschadet der immer bestehenden Abwendungsmöglichkeit durch Zahlung der Geldstrafe gemäß § 459 e Abs. 4 StPO – bei der Anordnung, dass die Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wird.

15

Somit ist die Gestattung gemeinnütziger Arbeit eng mit § 459e StPO verbunden. Mit dem Entschluss, die Bewilligung gemeinnütziger Arbeit abzulehnen oder die ursprünglich erteilte Gestattung zu widerrufen, wird mittelbar immer auch eine Entscheidung über das „ob“ der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe getroffen. Die gegen die Versagung oder den Widerruf der Gestattung gerichteten Einwendungen des Verurteilten zielen deshalb rechtspraktisch zugleich gegen die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe. (Vgl. hierzu OLG Koblenz NStZ–RR 2010, 190; BGHSt 54, 25 ff.; OLG Karlsruhe NStZ–RR 2009, 220).

16

Der Begriff der „Entscheidungen“, die unter die Regelung des § 459h StPO fallen, ist weit zu fassen. Er umfasst alle Maßnahmen und Anordnungen, unabhängig davon, ob ein Ermessensspielraum besteht oder nicht. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die StPO oder, wie hier, auf Art. 293 EGStGB gestützte landesrechtliche Rechtsverordnung zur Grundlage haben. Die Bedeutung des im Jahr 1974 eingeführten § 459h StPO besteht nämlich darin, dass er die richterliche Zuständigkeit bei Einwendungen gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde zusammenfassend regelt und den Rechtsweg gemäß § 23 EGGVG gerade ausschließen soll. Damit soll eine Zweigleisigkeit der Rechtsbehelfe vermieden werden (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2009, 220).

17

Dieser Intention des Gesetzgebers läuft die vom Landgericht vertretene Rechtsauffassung zuwider. Denn dies würde für die vorliegende Fallkonstellation bedeuten, dass über die Einwendung gegen die Versagung einer Ratenzahlung das Amtsgericht G. als erstinstanzliches Gericht befinden müsste und über die Einwendung gegen den Widerruf der Gestattung, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit abzuwenden, der Strafsenat beim Pfälzischen Oberlandesgericht. Dies widerspricht einer zügigen Vollstreckung der verhängten Strafe.

3.

18

Aufgrund dessen ist dem Amtsgericht G. als zuständigem Gericht erneut die Akte zur Entscheidung vorzulegen.

4.

19

Der erneuten Vorlage der Akte an das Amtsgericht G. steht nicht entgegen, dass ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtsweges grundsätzlich bindend ist, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG. Eine solche Bindungswirkung besteht nicht, wenn das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten verletzt wurde (Kissel/Mayer, GVG, 6. Aufl., § 17 Rdnr. 39.

20

So liegt der Fall hier. Das Landgericht hat weder die Staatsanwaltschaft noch den Verurteilten gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG angehört. Gegen eine Bindungswirkung spricht auch, dass das Amtsgericht G. bereits mit seinem Beschluss vom 18. November 2010 eine bindende Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtsweges getroffen hatte. Weder die Staatsanwaltschaft, der Verurteilte noch das zur Entscheidung berufene Amtsgericht G. hatten Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtswegs. Daher hatte das Amtsgericht in der Sache entschieden und damit konkludent die Zulässigkeit des Rechtswegs verbindlich bejaht und einem weiteren Streit entzogen (vgl. Zöller-Lückemann, ZPO, 28. Aufl., § 17a Rdnr. 5).

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