Beschluss vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (1. Strafsenat) - 1 Ws 191 + 291/19 (Vollz)

Tenor

1. Das Verfahren wird gemäß § 33 a StPO von Amts wegen in die Lage vor dem Senatsbeschluss vom 27. August 2020, der damit gegenstandslos wird, zurückversetzt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 29. Mai 2020 aufgehoben und die Sache an die Kleine Strafvollstreckungskammer zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

3. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die diesbezüglichen notwendigen Auslagen des Antragstellers trägt die Landeskasse (§§ 121 Abs. 4 StVollzG, 467 Abs. 1 StPO).

4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 500,-- € (§§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 65, 60, 52 Abs. 1 GKG).

Gründe

I.

1

Der Antragsteller und Rechtsbeschwerdeführer ist derzeit in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal (Pfalz) inhaftiert, wo er seit dem 29. August 2018 mehrere Haftstrafen wegen Wohnungseinbruchsdiebstahl und versuchtem Wohnungseinbruchsdiebstahl verbüßt.

2

Am 10. Februar 2020 beantragte er die Gestattung der Überlassung eine Gebetskerze zur Nutzung im eigenen Haftraum, die er über den Anstaltspfarrer beziehen wollte. Die Leitung der Justizvollzugsanstalt Frankenthal (Pfalz) lehnte dies unter Verweis auf die Dienstanweisung des Ministeriums der Justiz vom 29. November 2018, die die Überlassung von Gebetskerzen untersagt, mit Entscheidung vom 10. Februar 2020 ab. Nach dieser Dienstanweisung wird mit Blick auf eine bestehende Brandgefahr und in Reaktion auf mehrere Brandereignisse in rheinland-pfälzischen Vollzugseinrichtungen die Überlassung von Kerzen in Hafträumen der Gefangenen untersagt.

3

Hiergegen wandte sich der Antragsteller am 20. April 2020 mit seinem Antrag nach § 109 StVollzG an die Strafvollstreckungskammer des Landgericht Frankenthal (Pfalz) mit der Begründung, er benötige die Gebetskerze zum persönlichen Gebet im Haftraum. Er sei es gewohnt, sein Gebet mit dem Anzünden einer Kerze zu verbinden. Die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) wies den Antrag mit Beschluss vom 29. Mai 2020 zurück. Zum einen habe der Antragsteller erst mit Schreiben vom 20. April 2020 gerichtliche Entscheidung gegen die ablehnende Entscheidung der Justizvollzugsanstalt vom 10. Februar 2020 eingelegt und damit die 14-tägige Antragsfrist nicht eingehalten, was den Antrag unzulässig mache. Zum anderen sei der Antrag auch unbegründet. Zwar könne sich der Antragsteller auf das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 2 GG berufen. Dieses Grundrecht finde seine Grenze aber in den Grundrechten Dritter, nämlich der körperlichen Unversehrtheit der anderen Gefangenen und des Vollzugspersonals, der die angeführten Brandschutzvorschriften dienten. Letztere überwögen bei einer Abwägung angesichts der hohen abstrakten Gefahr, die von einer Dauerbrennstelle in einem notwendig verschlossenen Haftraum ausgehe. Insbesondere könnten sich die Gefangenen einem evtl. Brand nur schlecht entziehen. Sie verfügten auch nur über begrenzte Löschmöglichkeiten. Ein Zugang durch die Feuerwehr in eine Justizvollzugsanstalt sei aufgrund der Umstände nur verzögert möglich. Angesichts der zu erwartenden Intensität eines Brandes unter den Bedingungen einer Justizvollzugsanstalt, seien auch in der Abwägung mit der Religionsfreiheit des Beschwerdeführers an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts geringere Anforderungen zu stellen. Da mit LED-Kerzen eine von der Leitung der Justizvollzugsanstalt angebotene Alternative für das Gebet zur Verfügung stehe, sei die Untersagung von Wachskerzen auch verhältnismäßig. Eine dauerhafte Fremdüberwachung der Kerze könne nicht gewährleistet werden.

4

Dass die Justizvollzugsanstalt zudem vortrage, der Antragsteller, halte seinen Haftraum nicht in Ordnung und führe hygienisch bedenkliche Zustände herbei, sei angesichts der ausgeführten generellen Abwägung nicht von entscheidender Bedeutung, könne aber für den nicht zu entscheidenden Fall der zeitweisen, kontrollierten Überlassung einer Gebetskerze, z.B. zu Feiertagen, Bedeutung erlangen.

5

Das Ministerium der Justiz hat im Rechtsbeschwerdeverfahren Stellung genommen und beantragt die Rechtsbeschwerde unter Verweis auf die Entscheidung des Landgerichts Koblenz, Beschluss vom 17. April 2019 – 7 c StVK 150/19, nicht veröffentlicht, als unzulässig zurückzuweisen.

6

Die gegen die Entscheidung des Landgerichts geführte Rechtsbeschwerde hat (vorläufigen) Erfolg und führt zu Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen.

II.

7

Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig.

8

Sie ist zunächst nicht schon wegen eines durch den Antragsteller unterzeichneten Rechtsmittelverzichts unzulässig. Der Antragsteller unterzeichnete zwar am 02. Juni 2020 ein Dokument „Mitteilung und Niederschrift anlässlich einer persönlichen Zustellung an Gefangene“. Dieses Dokument wurde dem Gefangenen im Zusammenhang mit der Aushändigung des Beschlusses des Landgerichts vom 29. Mai 2020 vorgelegt. Dort ist mit der direkt darunter folgenden Unterschrift des Antragstellers und dem Vermerk „vorgelesen, genehmigt und unterschrieben“ unter „D. Gefangene erklärte Rechtsmittelverzicht Ja/Nein“ Ja angekreuzt. Der Senat hat aber aufgrund nachgeholter Anhörung des Antragstellers (§ 33 a StPO) freibeweislich nicht sicher feststellen können, dass er mit dieser Erklärung tatsächlich auf Rechtsmittel gegen den angefochtenen Beschluss der Kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) verzichten wollte. Vielmehr hat er mit Schreiben vom 28. September 2020 mitgeteilt, er sei davon ausgegangen, dass die Frage lautete, ob er Rechtsmittel einlegen wolle, weswegen er „Ja“ angekreuzt habe. Der Vollzugsbeamte, der ihm das Dokument vorgelegt habe, sei in Eile gewesen, er selbst sei nach der Arbeit müde und hungrig gewesen, weshalb er sich überfordert gefühlt habe. Das erste, formlos übersandte, Anhörungsschreiben des Senats vom 28. Juli 2020 habe er – was nicht zu widerlegen ist – nicht erhalten. Dieser Einlassung schenkt der Senat im Lichte des gesamten Verfahrensablaufs Glauben. Es erscheint angesichts des Engagements des Antragstellers für seine Sache und der Begleitung des Verfahrens durch den Anstaltsseelsorger unplausibel, dass der Antragsteller ohne weitere Rücksprache tatsächlich auf Rechtsmittel verzichten wollte. Diese Diskrepanz veranlasste den Senat erst zu der mit dem Schreiben vom 28. Juli 2020 erfolgten erneuten Anhörung zur Frage des Rechtsmittelverzichts. Der Antragsteller gibt nunmehr auch eine in sich nachvollziehbare Erklärung für das Zustandekommen des augenscheinlichen Rechtsmittelverzichts ab, die einen ursprünglichen Verzichtswillen in Bezug auf ein Rechtsmittel zweifelhaft erscheinen lässt. Der Erforschung des wahren Erklärungswillens (vgl. § 133 BGB) kommt in der vorliegenden prozessualen Situation eine wesentliche Bedeutung zu (vgl. Dahs, Die Revision im Strafprozess, 9. Aufl. 2017, Teil 4 Rn. 42 f.). Das gilt insbesondere im unmittelbaren Anschluss an die Bekanntmachung einer nachteiligen Entscheidung, etwa nach der Verkündung eines Urteils in der Hauptverhandlung (vgl. KK-StPO/Paul, 8. Aufl. 2019, StPO § 302 Rn. 11). Dieser Situation vergleichbar ist die unmittelbare Zustellungssituation einer im schriftlichen Verfahren ergangenen Entscheidung im Strafvollzug. Im Zweifel – wie hier – ist nicht von einem wirksamen Rechtsmittelverzicht auszugehen.

9

Damit beruht zugleich der nicht mehr anfechtbare Senatsbeschluss vom 27. August 2020 auf einer Gehörsverletzung, weil er in Unkenntnis dessen, dass der Antragsteller das Anhörungsschreiben des Senats vom 28. Juli 2020 nicht erhalten und deshalb von seinem Äußerungsrecht keinen Gebrauch machen konnte, ergangen war. Der Antragsteller hat bei der nachgeholten Anhörung einen Sachverhalt vorgetragen, der dem ursprünglichen Beschluss die Grundlage nimmt. Folglich war das Verfahren in den Stand zurück zu versetzen, in dem es sich vor dem Beschluss befand.

III.

10

Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde nach § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig.

11

1. Die Behandlung eines zulässigen Antrags auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig begründet einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör und führt unter diesem Gesichtspunkt zu Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde.

12

Die Strafvollstreckungskammer hat keine hinreichenden Feststellungen getroffen, soweit sie den Antrag auf gerichtliche Entscheidung schon deshalb für unzulässig gehalten hat, weil der Antragsteller die 2-Wochen-Frist des § 112 Abs. 1 StVollzG nicht eingehalten habe. Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer muss den Anforderungen des § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG iVm. § 267 StPO entsprechend alle entscheidungserheblichen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte enthalten, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung der Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG zu ermöglichen (OLG Hamm, Beschluss vom 11. Juli 2019 – 1 Vollz (Ws) 5/19, BeckRS 2019, 28114 Rn. 6; Beschluss vom 13. März 2018 – III-1 Vollz (Ws) 26/18, BeckRS 2018, 11485 Rn. 11; Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl. 2017, StVollzG § 116 Rn. 4). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Zwar hat der Gefangene den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Entscheidung der Justizvollzugsanstalt vom 10. Februar 2020 erst im April 2020 gestellt. Die 2-Wochen-Frist des § 112 Abs. 1 StVollzG wird indes nur durch Zustellung oder schriftliche Bekanntgabe der angefochtenen Entscheidung in Gang gesetzt, wobei eine schriftliche Bekanntgabe gem. § 37 Abs. 3 VwVfG – in Rheinland-Pfalz in Verbindung mit § 1 LVwVfG – eine Unterschrift oder eine Namenswiedergabe erfordert (vgl. Arloth/Krä, StVollzG 4. Aufl. 2017, § 112 StVollzG Rn. 2 mwN aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte). Eine solche Bekanntmachung oder Zustellung hat die Strafvollstreckungskammer nicht festgestellt. Festgestellt wurde nur, dass der Besitz einer Gebetskerze dem Antragsteller „schriftlich versagt“ wurde. Insofern werden der zeitliche Verfahrensablauf, die Form und vor allem die Überlassung der schriftlichen Versagung an den Antragsteller nicht deutlich. Eine bloß mündliche Unterrichtung von der Entscheidung setzt die Frist des § 112 Abs. 1 StVollzG indes nicht in Gang (OLG Frankfurt, Forum Strafvollzug 1979, 61; OLG Koblenz, Forum Strafvollzug 1981, 62; 1991, 321; Laubenthal, Rn. 794; Arloth/Krä, a.a.O.). Die schriftliche Abfassung einer Entscheidung genügt für das Ingangsetzen der Frist ebenfalls nicht, wenn die Zustellung oder die schriftliche Bekanntgabe nicht nachvollziehbar ist. Dem Antragsteller muss insoweit nachweislich ein Schriftstück zum Verbleib ausgehändigt werden. Ob dies der Fall war, kann der Senat anhand der insoweit unzureichenden Feststellungen des angefochtenen Beschlusses nicht überprüfen.

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2. Die rechtliche Nachprüfung der Entscheidung (§ 119 Abs. 3 Satz 4 StVollzG) ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Antrag auf gerichtliche Entscheidung – wie die Strafvollstreckungskammer gemeint hat – auch unbegründet wäre. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist insoweit gem. § 116 Abs. 1 StVollzG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

14

a. Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) weicht zum einen von der Entscheidung des Landgerichts Zweibrücken, Beschluss vom 28. August 1985 – 1 Vollz 41/84, NStZ 1985, 142 in den entscheidungserheblichen Obersätzen ab, ohne dass dies – da beide Entscheidungen mit grundsätzlichen und damit verallgemeinerungsfähigen Erwägungen begründet sind – auf Sachverhaltsabweichungen zurückzuführen wäre. In beiden Entscheidungen wird mit unterschiedlichen Ergebnissen das Recht der Religionsausübungsfreiheit aus Art. 4 GG auf seine Reichweite im Hinblick auf untergesetzliche Vorschriften zum Schutz vor Brandentwicklung und das dahinterstehende Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG hin untersucht. Dass die Entscheidung des Landgerichts Zweibrücken noch zum alten Strafvollzugsrecht ergangen ist, nimmt ihr nicht die divergierende Qualität, weil sich die maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften (§ 53 Abs. 3 StVollzG einerseits und § 58 LJVollzG Rheinland-Pfalz andererseits) inhaltlich gleichen. Seit der Übernahme der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug durch die Länder und dem Erlass von entsprechenden Landesgesetzes bedarf es einer Abweichung innerhalb des Geltungsbereichs des jeweiligen Landesgesetzes (vgl. (OLG Hamburg, Forum Strafrecht 2009, 43; OLG Frankfurt, NStZ 2012, 437), was aber – wie gezeigt – der Fall ist.Danach erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, nicht zuletzt wegen der Grundrechtsrelevanz der aufgeworfenen Fragen.

15

b. Zugleich ist die Rechtsbeschwerde auch zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, weil im Geltungsbereich des LJVollzG Rheinland-Pfalz bislang obergerichtlich nicht geklärt ist, inwieweit das in § 58 Satz 1 LJVollzG gewährleistete Recht der Gefangenen Gegenstände des religiösen Gebrauchs in angemessenem Umfang zu besitzen im Licht des Art. 4 GG durch Vorschriften des LJVollzG oder andere Eingriffsnormen begrenzt oder ausgeschlossen werden kann. Das Oberlandesgericht Koblenz hat in seinem Beschluss vom 2. Juli 2019 – 2 Ws 397/19 Vollz. (nicht veröffentlicht) nicht in der Sache entschieden, sondern lediglich die zeitliche Erledigung der in der Vorinstanz vom Landgericht Koblenz (Diez) mit Beschluss vom 17. April 2019 – 7 c StVK 150/19 entschiedenen Sache, auf die sich das Ministerium der Justiz in seiner Stellungnahme bezieht, festgestellt.

IV.

16

1. Die angefochtene Entscheidung beruht, soweit das Landgericht meint, der Antrag des Gefangenen sei von der Antragsgegnerin zu Recht abgelehnt worden, auf einer Verkennung der Reichweite des Grundrechts auf Freiheit der Religionsausübung aus Art. 4 GG.

17

Die Antragsgegnerin konnte dem Antragsteller die dauerhafte Überlassung einer Gebetskerze nicht mit dem bloßen Verweis auf die ihrem Inhalt nach nicht festgestellte Dienstanweisung vom 29. November 2018 verweigern. Die von der Strafvollstreckungskammer nachgeholte und erforderliche Abwägung der beteiligten Grundrechtspositionen ist indes nicht frei von Rechtsfehlern, weil sie die grundrechtlich geschützte Religionsausübungsfreiheit des Antragstellers aus Art. 4 GG unverhältnismäßig beschränkt und sich angesichts des Vorbehalts des Gesetzes nicht dazu verhält, auf welcher einfachgesetzlichen Grundlage die Justizvollzugsanstalt entscheiden kann.

18

2. Die Strafvollstreckungskammer geht zunächst zutreffend davon aus, dass es sich bei der beantragten Gebetskerze „unzweifelhaft“ um einen Gegenstand des religiösen Bedarfs im Sinne des § 58 Satz 1 LJVollzG handelt, auf deren Besitz der Antragsteller in angemessenem Umfang einen Anspruch hat. Dabei geht sie – wie sich aus dem Zusammenhang ergibt – von einer Gebetskerze in ihrer Form als brennende Wachs- oder Paraffinkerze aus und nicht (ausschließlich) von einer strombetriebenen LED-Kerze. Damit befindet sie sich im Einklang mit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. Müller-Moning, in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl. 2017, § 69 LandesR Seelsorge, Rn. 15; Laubenthal Rn. 625; SBJL-Schäfer, StVollzG, 7. Auflage 2020, 8. Religionsausübung Rn. 23; OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Juli 1986 – 3 Ws 1078/85 (StVollz), BeckRS 2016, 3466; LG Hamburg, Beschluss vom 24. August 2011 – 607 Vollz 74/11, LG Zweibrücken, NStZ 1985, 142). Dabei wird auch erkannt, dass es sich bei § 58 Satz 1 LJVollzG um eine Norm zur Konkretisierung der aus Art. 4 GG folgenden Religionsfreiheit für den Bereich des Strafvollzugs handelt.

19

3. Zutreffend geht die Strafvollstreckungskammer weiter davon aus, dass auch ein Art. 4 GG ausgestaltender Rechtsanspruch, wie der aus § 58 Satz 1 LJVollzG, der Einschränkung zum Schutz von Grundrechtspositionen Dritter sowie anderer Rechtsgüter von Verfassungsrang zugänglich ist, obwohl Art. 4 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält (vgl. jüngst BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 – 2 BvR 1333/17, NJW 2020, 1049, sog. Kopftuch-III-Beschluss, Rn. 82 sowie BVerfGE 28, 243, 260 f.; 41, 29, 50 f.; 41, 88, 107; 44, 37, 49 f., 53; 52, 223, 247; 93, 1, 21; 108, 282, 297; 138, 296, 333 Rn. 98; BVerfG, Beschluss vom 18. Oktober 2016 - 1 BvR 354/11, Rn. 61; SBJL-Schäfer, Strafvollzugsgesetz, 7. Auflage 2020, 8. Religionsausübung Rn. 5). Zu beachten ist allerdings im Sinne der Wesentlichkeitstheorie (vgl. Voßkuhle, JuS 2007, 118, 119), dass auch die Einschränkung von schrankenlos gewährleisteten Grundrechten auf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage erfolgen muss (BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 – 2 BvR 1333/17, NJW 2020, 1049 Rn. 82; BVerfGE 108, 282, 297; für den Strafvollzug vgl. BVerfGE 33, 1, juris Rn. 19).

20

4. Diesbezüglich geht die Strafvollstreckungskammer stillschweigend vom Vorhandensein einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage aus, was im Ergebnis mit § 4 Abs. 3 LJVollzG als sog. Generalklausel auch der Fall ist. Nach dieser Norm dürfen den Gefangenen Beschränkungen auferlegt werden soweit es an einer spezielleren Rechtsnorm fehlt und die Beschränkungen „zur Aufrechterhaltung der Sicherheit oder zur Abwendung einer schwerwiegenden Störung der Ordnung der Anstalt […] unerlässlich sind“. § 4 Abs. 3 LJVollzG knüpft eventuelle Beschränkungen eng an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach der wohl zu weitgehenden Ansicht von Hettenbach (BeckOK Strafvollzug RhPf, 14. Ed. 1.8.2020, LJVollzG § 4 Rn. 3) sind Beschränkungen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Anstalt aufgrund der Generalklausel sogar nur bei gegenwärtigen und unmittelbaren Gefahren zulässig. Jedenfalls soweit es um den Ausgleich konkurrierender Grundrechtspositionen geht, bedarf es eines Ausgleichs im Wege einer Abwägung mit dem Ziel einer praktischen Konkordanz.

21

5. Ein Rückgriff auf § 58 Satz 2 LJVollzG scheidet vorliegend als gesetzliche Grundlage für die Versagung einer Gebetskerze aus, weil diese Vorschrift zum einen nur ein nachträgliches Entziehen eines Gegenstandes gestattet und dies zudem an einen groben Missbrauch, etwa die Nutzung einer Kerze als Brenn- oder Kochstelle, durch den Gefangenen knüpft, für den hier nichts festgestellt ist (BeckOK Strafvollzug RhPf/Hettenbach, 14. Ed. 1.8.2020, LJVollzG § 58, Rn. 17, 18).

22

Ebenfalls nicht in Betracht kommt im Außenverhältnis zum Gefangenen eine Begründung der Überlassungsuntersagung allein auf der Grundlage der Dienstanweisung vom 29. November 2020, denn dieser kommt keine Gesetzesqualität zu. Der unmittelbar demokratisch legitimierte parlamentarische Gesetzgeber hat deren Inhalt nicht selbst bestimmt (vgl. zum Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, Sachs/ders., 8. Aufl. 2018, GG Art. 20 Rn. 113-117). Soweit ihr lenkende Bedeutung für die Ermessensausübung der Leitung der Justizvollzugsanstalt zukommt, ist die Strafvollstreckungskammer bei der Überprüfung der auf gesetzlicher Grundlage getroffenen Ermessensentscheidung nicht an die Vorgaben der Dienstanweisung gebunden (vgl. Voßkuhle/Kaufhold, JuS 2016, 314, 316).

23

6. Die durch die Strafvollstreckungskammer vorgenommene Abwägung des Grundrechts des Antragstellers aus Art. 4 GG mit den Grundrechten der Gefangenen und des Vollzugspersonals aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, dem auch als Schutzpflicht ausgestalteten Recht auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit (vgl. statt vieler Sachs/Murswiek/Rixen, 8. Aufl. 2018, GG Art. 2 Rn. 24 f.), wahrt im Ergebnis nicht die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn und führt zu einer übermäßigen Beschränkung des betroffenen Grundrechts des Antragstellers aus Art. 4 GG, indem sie jegliche dauerhafte Überlassung von traditionellen Gebetskerzen aus Brandschutzgründen untersagt.

24

a. Das Verbot der dauerhaften Überlassung von Gebetskerzen im Haftraum stellt einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts auf Religionsausübung des Antragstellers aus Art. 4 Abs. 1, 2 GG dar. Das persönliche Gebet und seine Ausgestaltung sind Teil der Religionsausübung. Das Grundrecht sichert nicht nur im Sinne eines Abwehrrechts zu, dass sich der Staat der Einmischung in den höchstpersönlichen Bereich des Einzelnen enthält, sondern es gebietet auch im positiven Sinn, Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (so BVerfG NStZ 1988, 573). Dies gilt unter den Bedingungen des Strafvollzugs jedenfalls für das persönliche Gebet im eigenen Haftraum. Es ist in der christlichen Tradition, der sich der Antragsteller verbunden sieht, gebräuchlich, eine Kerze als Versinnbildlichung der Präsenz Jesu Christi in religiösen Zusammenhängen zu verwenden, etwa zur Fokussierung beim Gebet. Insoweit wird auf die Bibelstellen Joh 8, 12; Mt 5, 14-16 oder Psalm 27, 1 verwiesen, in denen Gott als „Licht der Welt“ bezeichnet ist. Der traditionellen Kerze wird nach christlichem Verständnis in Abgrenzung zur LED-Kerze dabei eine spirituelle Bedeutung beigemessen, die über das Licht hinaus eine Selbstverzehrung und Aufopferung zum Ausdruck bringt, die an das Sichopfern Jesu Christi für die Menschen erinnert (vgl. Beschluss des Petitionsausschusses in der Sitzung des Schleswig-Holsteinisches Landtages zur Sitzung vom 11. Dezember 2018 betreffend die Petition L2123-19/527, wiedergegeben im vierteljährlichen Bericht des Ausschusses, LT-DRs 19/1211 S. 25-30). Hierbei ist indes ohnehin auf die persönlichen Glaubensvorstellungen des Antragstellers abzustellen, weniger auf die Lehrmeinung einer kirchlichen Gemeinschaft oder eine theologisch zwingende Beurteilung. Soweit der Antragsteller eine Kerze zur Verrichtung seines Gebets fordert, ist dieser Wunsch damit nicht nur einfachgesetzlich nach § 58 Satz 1 LJVollzG verbürgt, sondern auch vom Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 4 GG umfasst.

25

b. Demgegenüber hat die Strafvollstreckungskammer überzeugend ausgeführt, welche Aspekte unter dem Stichwort Brandschutz unter den Bedingungen einer Justizvollzugsanstalt zu berücksichtigen sind, um im Rahmen der Abwägungsentscheidung nach § 4 Abs. 3 LJVollzG die Sicherheit der Anstalt und damit zugleich die körperliche Unversehrtheit der Gefangenen und Mitarbeiter zu schützen.

26

c. Im Ergebnis können diese Argumente jedoch nicht im Rahmen der nach § 4 Abs. 3 LJVollzG zu treffenden Abwägungsentscheidung nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den generellen Vorrang vor der Grundrechtsbetätigung des Antragstellers beanspruchen. Damit wird dem Prinzip der praktischen Konkordanz nicht entsprochen. Zum einen fehlt es an empirisch belegten Tatsachen, die tatsächlich eine durch Kerzen bedingte erhöhte Brandgefahr belegen, im Gegensatz zu durch Zigaretten oder Feuerzeuge bzw. Streichhölzer verursachten Brandereignissen. Insofern bedürfte es eines nicht nur theoretischen Vergleichs, um eine privilegierende Andersbehandlung dieser potentiellen, aber im Justizvollzug erlaubten Brandquellen, deren Besitz und Gebrauch lediglich der Betätigung der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG dient, zu rechtfertigen. Die Stellungnahme des Ministeriums der Justiz im Rechtsbeschwerdeverfahren verhält sich hierzu nicht. Weiter bedürfte es zunächst der Erörterung inwiefern durch Auflagen zur Aufstellung, zur Brenndauer oder zur Verwendung brandsicherer Gefäße oder Untergründe sowie zum Zustand des Haftraumes unter dem Gesichtspunkt der Brandlast die Brandgefahr, die von einer traditionellen Kerze ausgeht, weiter minimiert werden kann.

27

Zentral ist zudem darauf abzustellen, ob sich aus der Person des Antragstellers oder seinem Vollzugsverhalten greifbare Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er mit einer überlassenen Gebetskerze nicht in der gebotenen Weise verantwortungsvoll umgehen wird, zumal ein Brand nicht zuletzt seine eigene körperliche Unversehrtheit beeinträchtigen würde, er also schon ein Eigeninteresse am Brandschutz hat. Insofern erschiene es – um ein naheliegendes Beispiel anzuführen – unbedenklich etwa einem Gefangenen eine Gebetskerze zu verweigern, der mit Brandstiftungsdelikten vorbelastet ist. Zu solchen Aspekten hat die Antragsgegnerin in erster Instanz im Ansatz vorgetragen, die Strafvollstreckungskammer hielt dies indes nicht für entscheidungserheblich.

28

Auch insoweit sind weitere Feststellungen zu treffen für den Fall, dass die Strafvollstreckungskammer nach erneuter Prüfung nicht schon die Zulässigkeit des Antrags verneint.

V.

29

Die Kostenentscheidung aus §§ 121 Abs. 4 StVollzG, 467 Abs. 1 StPO.

30

Der Gegenstandswert war gemäß §§ 1 Abs. 1 Nr. 8, 65, 60, 52 Abs. 1 GKG für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 500 Euro festzusetzen.

31

Die Beschwerde gegen die Festsetzung des Gegenstandswerts durch das Landgericht ist durch den Erfolg der Rechtsbeschwerde erledigt.

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