Urteil vom Sozialgericht Trier (5. Kammer) - S 5 KR 58/18

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Mit der am 15.03.2018 beim Sozialgericht Trier erhobenen Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 08.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.01.2018 begehrt die Klägerin die Zahlung von Krankengeld über den 21.05.2017 hinaus.

2

Bei der 1957 geborenen, arbeitslosen Klägerin hatte der Beklagte gestützt auf Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung – MDK – vom 08.05.2017 und 12.06.2017 vollschichtiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt angenommen - trotz der attestierten Myalgie. Eine Arbeitsunfähigkeit über den 21.05.2017 sei nicht anzunehmen.

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Zeitgleich mit der am 31.01.2018 datierten Klageschrift ging ebenfalls am 15.03.2018 der Antrag der von einer Prozessbevollmächtigten des Sozialverbandes vertretenen Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist ein.

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Die Klägerin machte hierzu zunächst geltend, sie sei ohne Verschulden verhindert gewesen die Klagefrist des § 87 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einzuhalten. Die Klageschrift sei fristgemäß am 31.01.2018 im Büro der Prozessbevollmächtigten gefertigt und unterschrieben worden. Aufgrund einer Unachtsamkeit im Schreibbüro der Bevollmächtigten sei die Klageschrift jedoch nicht an das Sozialgericht Trier übersandt worden, sondern in der Akte liegen geblieben. Dieses Versehen sei erst am 14.03.2018 entdeckt worden. Die Bevollmächtigten treffe hier kein eigenes Verschulden, da bei der Auswahl, Anleitung und Überwachung der Hilfsperson die erforderliche Sorgfalt angewendet worden sei. Sämtliche Schreibkräfte seien ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte und seit vielen Jahren für die Bevollmächtigte tätig.

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Mit Schreiben vom 19.03.2018 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass für eine erfolgreiche Wiedereinsetzung Tatsachen vorzutragen und glaubhaft zu machen seien. Insofern werde um detaillierte Schilderung der handelnden Personen und Vorlage entsprechender eidesstaatlicher Versicherungen gebeten, wie es konkret zum Fristversäumnis gekommen sei (Einzelheiten zu Auswahl und Überwachung des Personals sowie Organisation der Fristenkontrolle und Ordnung der Abläufe durch generelle und Einzelanweisungen).

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Hierzu wurde dann vorgetragen, dass sämtliche Schriftstücke im Schreibbüro nach Diktat gefertigt und anschließend den Prozessbevollmächtigten in der jeweiligen Akte zur Unterschrift vorgelegt würden. Anschließend würden die unterschriebenen Schriftstücke von einer der Schreibkräfte aus den Akten entnommen und abgesandt. Die Akten würden dann in Aktenordnern und in diesen Aktenordnern in Aktenschränken abgelegt. Im vorliegenden Fall sei die Klageschrift zwar durch die Prozessbevollmächtigte J M unterschrieben worden. Beim Herausnehmen der Schriftstücke aus den Akten sei diese Klageschrift jedoch nicht entnommen und verschickt worden. Wer am 31.1.2018 für das Herausnehmen der Schriftstücke aus den Akten zuständig gewesen sei, könne nicht mehr nachvollzogen werden. Dies werde immer durch diejenige Schreibkraft erledigt, die in diesem Moment gerade Zeit dafür habe. Leider sei dann erst am 14.3.2018 beim Herausnehmen einer anderen Akte aus demjenigen Aktenordner, in dem auch die Akte der Klägerin abgelegt gewesen sei, durch das Herausfallen der Klageschrift bei der Entnahme aus dem Aktenschrank aufgefallen, dass die Klageschrift nicht abgesandt worden sei.

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In der Eidesstattlichen Versicherung der Bürokraft H H vom 05.04.2018 wird bestätigt, dass offenbar vergessen wurde, die unterschriebenen Schriftstücke aus der Akte zu nehmen. Wer damals dafür zuständig gewesen sei, könne heute nicht gesagt werden. Bei Entnahme des Aktenordners mit der besagten Akte am 14.03.2018 sei die besagte Klageschrift aus dem Ordner gefallen.

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Das Gericht hat die Prozessbevollmächtigten der Klägerin sodann mit Schreiben vom 06.04.2018 darauf hingewiesen, dass hier ein Organisationsverschulden vorliegen dürfte, nachdem nicht einmal vorgetragen worden sei, dass ein Fristenkalender geführt werde und eine entsprechende Sorgfalt insbesondere auch bei der Streichung von Fristen beachtet werde. Auch sei nicht erkennbar, ob und welche zuverlässige und wirksame Postausgangskontrolle etabliert sei.

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Sodann wurde erstmals im Schriftsatz vom 19.04.2018 vorgetragen, es werde (selbstverständlich) ein manuelles Fristenbuch geführt. Die Frist sei gestrichen worden, „nachdem die Klageschrift von der Prozessbevollmächtigten unterschrieben und Akte zur Postaufgabe – auf dem eigens dafür in einem separaten Raum eingerichteten ‚Posttisch‘ – abgelegt wurde“. Dass die Streichung der Frist im Fristenkalender nach der BGH-Rechtsprechung erst nach Kuvertierung der Schriftsätze erfolgen dürfe, sei der zitierten Rechtsprechung nicht zu entnehmen.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 08.05.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.01.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Krankengeld über den 21.05.2017 hinaus zu gewähren und der Klägerin wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie bezieht sich hierzu auch auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

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Zur Ergänzung des Tatbestands im Einzelnen wird auf die Prozessakte sowie die Beklagtenakten Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig. Nach § 87 Absatz 1 Satz 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben, wobei nach Absatz 2 die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids beginnt, sofern – wie hier – ein Vorverfahren stattgefunden hat. Diese Frist ist hier unstreitig und offensichtlich nicht eingehalten worden.

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Die Klagefrist ist eine gesetzliche Frist, die nicht verlängert werden kann (vgl. § 65 SGG) und auf deren Einhaltung auch nicht verzichtet werden kann; sie ist vielmehr eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung.

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Ist die Klage nicht fristgemäß erhoben, muss allerdings geprüft werden, ob nach Maßgabe des § 67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Da aber auch dies hier ausscheidet, musste die Klage als unzulässig abgewiesen werden.

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Eine Wiedereinsetzung nach § 67 SGG kommt vorliegend nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist jemandem, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

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Dabei steht das Verschulden des gesetzlichen Vertreters, eines Vertreters nach § 72 SGG und des Verfahrens- bzw. Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gleich (§ 73 Absatz 6 Satz 6 SGG iVm § 85 Absatz 2 ZPO) und es gelten die in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze für Rechtsanwälte auch für andere nach § 73 zugelassene Prozessbevollmächtigte (zB DGB, VdK) entsprechend (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017 § 67 Rn. 3g).

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Zwar ist das Verschulden einer Hilfsperson, derer sich der Prozessbevollmächtigte bei untergeordneten Hilfstätigkeiten bedient, etwa bei der Absendung der Klage, dem Säumigen nicht zuzurechnen, doch kann eine Wiedereinsetzung nicht gewährt werden, wenn den Prozessbevollmächtigten insoweit ein Auswahl-, Überwachungs- oder Organisationsverschulden trifft (vgl. BSG SozR 3–1500 § 67 Nr. 15). Auch insoweit sind die zu stellenden Anforderungen an Rechtsanwälte, Verbandsvertreter, Versicherungsträger und Behörden gleich (BSGE 61, 213).

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Hier liegt nach Ansicht des Gerichts ein eindeutiges Organisationsverschulden vor: Die Prozessbevollmächtigten hatten nicht einmal vorgetragen oder belegt, dass überhaupt ein Fristenkalender (manuell oder elektronisch) geführt wird und dass darin auch der tatsächliche Fristablauf - nicht nur ein früheres Datum - notiert wurden und diese Fristen sich auch von den gewöhnlichen anderen Wiedervorlagefristen deutlich abheben.

23

Soweit nunmehr vorgetragen wurde, es werde ein manueller Fristenkalender geführt, mag dies zwar zutreffen, ist aber angesichts der unzureichenden Anweisungen zum Streichen von Fristen und der fehlenden Etablierung einer wirksamen Postausgangskontrolle nicht geeignet, ein Organisationsverschulden zu entkräften: Entscheidend ist vorliegend schon alleine die Tatsache, dass die Prozessbevollmächtigten bei der Streichung von Fristen in diesem manuellen Fristenkalender nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet haben:

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Fristen im Kalender dürfen nicht schon bei der Anfertigung bzw. einer Unterschrift unter die Klageschrift und Ablegen des Schreibens auf einem „Posttisch“, sondern frühestens nach deren Bereitstellung für die Aufgabe zur Post gestrichen werden. Insofern haben die Prozessbevollmächtigten hier auch gerade keine zuverlässige und wirksame Postausgangskontrolle etabliert, denn sie können nicht einmal angeben, wer an diesem Tag für die Fristwahrung (dh. rechtzeitige Aufgabe zur Post oder FAX-Übermittlung uä) Verantwortung tragen musste.

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Genau daran knüpft das Erfordernis der sorgfältigen Führung eines Fristenkalenders indes an: die im Fristenkalender eingetragene Frist darf erst dann gestrichen werden, wenn die Sache postversandfertig (d.h. im Regelfall des Postversands: Klageschriftsatz fertiggestellt, unterschrieben, kuvertiert und frankiert) und sichergestellt ist, dass der Schriftsatz auch tatsächlich abgesandt wird.

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Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. Beschluss vom 04.11.2014 - Az: VIII ZB 38/14) hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 – XI ZB 23/08, XI ZB 24/08, NJW 2010, 1363 11 mwN). Dies setzt zum einen voraus, dass die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst dann gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2013 – VI ZB 78/11, aaO Rn. 10 mwN; vom 16. Dezember 2013 – II ZB 23/12, juris Rn. 9 mwN). Ferner gehört hierzu die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird (BGH, Beschlüsse vom 2. März 2000 – V ZB 1/00, NJW 2000, 1957 unter II; vom 13. September 2007 – III ZB 26/07, FamRZ 2007, 1879 Rn. 15; vom 17. Januar 2012 – VI ZB 11/11, NJW-RR 2012, 427 Rn. 9; vom 26. April 2012 – V ZB 45/11, juris Rn. 12; vom 16. Dezember 2013 – II ZB 23/12, a aO; vom 11. März 2014 – VIII ZB 52/13, juris Rn. 5; jeweils mwN). Eine solche zusätzliche Kontrolle ist bereits deswegen notwendig, weil selbst bei sachgerechten Organisationsabläufen individuelle Bearbeitungsfehler auftreten können, die es nach Möglichkeit aufzufinden und zu beheben gilt.

27

Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin gehandhabte Praxis genügt diesen Anforderungen bei Weitem nicht, was den Vorwurf des Organisationsverschuldens und damit den Ausschluss der Wiedereinsetzung rechtfertigt. Die unterschriebene Klageschrift war mit dem bloßen Ablegen auf einem „Posttisch“ weder postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden, noch war mit einer wirksamen Postausgangskotrolle mit einer eigens für diese Aufgabe als zuständig bestimmten Bürokraft dafür Sorge getragen, dass die Frist im Kalender auch tatsächlich erst dann gestrichen wird, wenn diese Aufgabe zur Post tatsächlich durchgeführt wurde.

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Eine Ablehnung der Wiedereinsetzung hat gemäß § 202 Satz 1 SGG iVm § 238 Absatz 2 Satz 1 ZPO in der Form zu erfolgen, die für die Entscheidung in der Sache gilt (BVerwGE 74, 289, 290), weshalb bei Klagen über die Ablehnung der Wiedereinsetzung erst im Urteil zu befinden ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage 2017 § 67 Rn. 17a).

29

Mithin war die Klage als unzulässig abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

31

Die Berufung gegen dieses Urteil ist zulässig (§§ 143, 144 Abs 1 SGG).

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