Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 7 L 835/19
Tenor
- 1.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 1925/19 gegen die Tierseuchenverfügung der Antragsgegnerin vom 31. Mai 2019 wird hinsichtlich der Ziffer 3 angeordnet.Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 4/5, die Antragsgegnerin zu 1/5.
- 2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 42.500 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 1925/18 gegen die Tierseuchenverfügung der Antragsgegnerin vom 31. Mai 2019 in Bezug auf die Ziffern 1 und 3 anzuordnen,
4hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
5I.
6Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist er gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthaft. Danach kann das Gericht die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 – 3 ganz oder teilweise anordnen. Der Klage der Antragstellerin gegen die in Rede stehende Tierseuchenverfügung kommt in Bezug auf Ziffer 1 kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 VwGO i.V.m. § 37 Satz 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesundheitsgesetz – TierGesG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. November 2018 (BGBl. I S. 1938) keine aufschiebende Wirkung zu. Die Antragsgegnerin hat unter Ziffer 1 ihrer Tierseuchenverfügung die Anordnung zum Töten von Tieren getroffen (§ 37 Satz 1 Nr. 5 TierGesG), die auf § 7 der Verordnung zum Schutz der Rinder vor einer Infektion mit dem Bovinen Herpesvirus Typ 1 (BHV1-Verordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Mai 2015 (BGBl. I S. 767), geändert durch Verordnung vom 03. Mai 2016 (BGBl. I S. 1057), und damit eine Rechtsverordnung nach § 6 Abs. 1 TierGesG gestützt ist.
7Soweit die Antragstellerin geltend macht, der Verweis auf § 37 TierGesG genüge nicht, vielmehr müsse zumindest dargelegt werden, auf welche Norm des TierGesG sie ihre Anordnung konkret stütze, ist damit der Eintritt der sofortigen Vollziehbarkeit nicht in Frage gestellt. Die Antragstellerin übersieht, dass der Wegfall der aufschiebenden Wirkung kraft Gesetzes einer behördlichen Begründung gerade nicht bedarf. Liegen mit anderen Worten die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift vor, die die sofortige Vollziehbarkeit anordnet, so tritt diese Rechtsfolge unabhängig davon ein, ob sich die Behörde dazu explizit äußert oder nicht
8In Bezug auf die in Ziffer 3 der Tierseuchenverfügung enthaltenen Androhungen der Ersatzvornahme und des unmittelbaren Zwangs entfällt die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 VwGO i.V.m. § 112 JustG NRW.
9II.
10Der Antrag ist aber nur zum Teil begründet.
11Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Dabei hat es in dem wegen der Eilbedürftigkeit nur summarischen Verfahren nicht unmittelbar die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes zu überprüfen, sondern zu untersuchen, ob das - in der Regel - öffentliche Interesse an dessen sofortiger Vollziehung das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt. Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Stellt sich heraus, dass der Rechtsbehelf aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird, so spricht dies für ein vorrangiges Vollzugsinteresse. Sodann ist festzustellen, ob zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegeben ist. Hat demgegenüber der Rechtsbehelf aller Voraussicht nach Erfolg, überwiegt regelmäßig das private Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
12Nach diesen Kriterien überwiegt einesteils das öffentliche Interesse der Antragsgegnerin am Erhalt der gesetzlich vorgesehen sofortigen Vollziehung der Tierseuchenverfügung vom 31. Mai 2019, nämlich in Bezug auf Ziffer 1, und andernteils das privaten Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 7 K 1925/19, nämlich in Bezug auf die Androhung der Ersatzvornahme in Ziffer 3 der Tierseuchenverfügung.
131.) Ziffer 1 der Tierseuchenverfügung
14a) Die Klage hat insoweit bei summarischer Prüfung voraussichtlich keinen Erfolg.
15Rechtsgrundlage für die tierseuchenrechtliche Anordnung, sämtliche im Rinderbestand der Antragstellerin befindlichen Tiere zu töten, ist § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG i.V.m. § 7 BHV1-Verordnung.
16Nach § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG trifft die Antragsgegnerin als gemäß § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten auf den Gebieten der Tiergesundheit, Tierseuchenbekämpfung und Beseitigung tierischer Nebenprodukte sowie zur Übertragung von Ermächtigungen zum Erlass von Tierseuchenverordnungen (TierSeuchZustV NW) vom 27. Februar 1996 (GV. NW. S. 104) in der Fassung der Verordnung vom 27. November 2018 (GV. NRW. S. 629) zuständige Behörde die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zur Feststellung oder zur Ausräumung eines hinreichenden Verdachtes, eines Verstoßes oder zur Beseitigung festgestellter Verstöße oder zur Verhütung künftiger Verstöße erforderlich sind. Diese mit Inkrafttreten des Tiergesundheitsgesetzes, das das bis zum 30. April 2014 geltende Tierseuchengesetz (TierSG) abgelöst hat, am 01. Mai 2014 neu eingeführte Vorschrift begründet eine generelle Ermächtigung der zuständigen Behörde zur Überwachung der Einhaltung tierseuchenrechtlicher Vorschriften. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen der zuständigen Behörde durch diese Vorschrift alle erforderlichen rechtlichen Möglichkeiten eingeräumt werden, um Verdachtsfälle oder Verstöße auszuräumen bzw. im Vorfeld bereits tätig zu werden.
17Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen (Tiergesund-heitsgesetz – TierGesG), BT-Drucks. 17/12032, S. 43.
18Dabei ermächtigt die Befugnisnorm des § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG, wie sich aus dem systematischen Zusammenhang mit der Aufgabennorm des § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2 TierGesG ergibt, zu ordnungsrechtlichen Maßnahmen bei Bestehen eines hinreichenden Verdachts eines Verstoßes, bei Vorliegen eines Verstoßes oder zur Verhinderung künftiger Verstöße gegen Vorschriften des Tiergesundheitsgesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften sowie der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich des Tiergesundheitsgesetzes. Denn in diesem Umfang obliegt den zuständigen Behörden nach § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2 TierGesG die Überwachung der Einhaltung tierseuchenrechtlicher Vorschriften und wird hierdurch auch der in § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG vorausgesetzte Eingriffsbereich bestimmt.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.10.2016 – 13 B 266/16 –, juris Rn. 16.
20Die streitgegenständliche Tierseuchenverfügung dürfte in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden sein.
21Bei der BHV1-Verordnung handelt es sich um eine aufgrund von § 6 Abs. 1 TierGesG erlassene Rechtsverordnung; die Überwachung der Einhaltung der dortigen Vorschriften obliegt nach § 24 Abs. 1 Sätze 1 und 2 TierGesG damit der Antragsgegnerin.
22Vgl. zu einem Parallelfall OVG NRW, Beschluss vom 28.10.2016 – 13 B 266/16 –, juris Rn.
23Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin vor Erlass der Verfügung unter Berufung auf § 28 II Nr. 1 VwVfG NRW wegen Gefahr im Verzug keine Anhörung durchgeführt hat. Ob wirklich kein Raum hierfür war, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn ein etwaiger Mangel dürfte bereits dadurch geheilt sein (vgl. hierzu § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW), dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Antragserwiderungsschrift vom 22. Juli 2019 auf das Vorbringen der Antragstellerin eingegangen ist.
24vgl. zu den Anforderungen Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Auflage 2018, VwVfG § 45 Rn. 87; Schemmer, in: BeckOK VwVfG, § 45 Rn. 42 (Stand: 01. April 2019), a.A. wohl Emmenegger, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Auflage 2019, § 45 Rn. 113.
25Jedenfalls könnte die Anhörung auch noch im Lauf des Klageverfahrens nachgeholt werden (vgl. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW).
26Einen Mangel an Bestimmtheit der Tierseuchenverfügung sieht die Kammer nicht. Das Gebot der inhaltlichen hinreichenden Bestimmtheit gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verlangt, dass der Entscheidungsinhalt für den Adressaten nach Art und Umfang aus sich heraus verständlich ist.
27Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 37 Rn. 5 f.; Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Auflage 2019, § 37 Rn. 42; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Auflage 2018, VwVfG, § 37 Rn. 27; Tiedemann, BeckOK VwVfG, § 37 Rn. 19 (Stand: 01. April 2019), jeweils m.w.N.
28Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Zwar ist der Antragstellerin zuzustimmen, dass eine Konkretisierung der betroffenen Rinder in der Regel über die Ohrmarkennummern des einzelnen Tieres erfolgt. Dieser Konkretisierung bedarf es freilich nicht, wenn – wie hier – der gesamte Bestand erfasst ist. In diesem Fall genügt es, dass die Betriebsregistriernummer angegeben ist, so dass für die Antragstellerin hinreichend klar ist, welche Tiere betroffen sind.
29Soweit sie einen formellen Mangel darin erblickt, dass die Antragsgegnerin ihre Tierseuchenverfügung nicht auf die Regelungen des TierGesG, sondern nur auf § 7 BHV1-Verordnung stütze, überzeugt das nicht. Unter Ziffer IV. der Verfügung (Seite 9) ist als erste Rechtsgrundlage – noch vor der BHV1-Verordnung – das TierGesG angeführt. Zudem ist diejenige Vorschrift, die auf der Grundlage dieses Gesetzes die hier konkret in Rede stehende Tötung von Tieren erlaubt, § 7 BHV1-Verordnung, der in der Verfügung explizit genannt ist.
30Ziffer 1 der Tierseuchenverfügung dürfte sich auch in materiell-rechtlicher Hinsicht als rechtmäßig erweisen.
31Nach § 7 BHV1-VO kann die zuständige Behörde die Tötung der seuchenkranken und seuchenverdächtigen Rinder anordnen, wenn der Verdacht des Ausbruchs oder der Ausbruch der BHV1-Infektion in einem Gehöft oder an einem sonstigen Standort amtlich festgestellt ist. Ein Ausbruch einer BHV1-Infektion liegt gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 BHV1-Verordnung vor, wenn diese durch virologische Untersuchung (Virusnachweise, Antigennachweis oder Genomnachweis) oder durch klinische und serologische Untersuchung auf Antikörper gegen das gE-Glykoprotein des Virus der BHV1-Infektion (Antikörpernachweis) festgestellt worden ist. Aus diesem Ansatz folgt zugleich, dass es entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht auf einen klinischen Ausbruch der Infektion ankommt.
32Gemessen daran sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 7 BHV1-VO erfüllt. Im Wege einer durch die Antragsgegnerin veranlassten Bestandsuntersuchung am 03. Mai 2019 in Bezug auf alle Tiere älter als zwei Jahre durch das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt Rhein-Ruhr-Wupper (im Folgenden: CVUA-RRW) sind bei 102 von 106 beprobten Tieren Antikörper gegen das gE-Glykoprotein des Virus der BHV1-Infektion (gE-Antikörper) nachgewiesen worden. Von den vier negativ getesteten Rindern ist eines, nämlich das mit der Ohrmarke DE 05 377 37257, bei einer auf diese vier Tiere beschränkten Bestandsuntersuchung durch das CVUA-RRW am 15. Mai 2019 ebenfalls positiv getestet worden. Eine weitere Bestandsuntersuchung am selben Tag hat bei 40 (davon vier fraglich) von 64 weiteren Tieren den Nachweise von gE-Antikörpern erbracht.
33Soweit die Antragstellerin im Verwaltungsverfahren unter Vorlage eines von ihr selbst in Auftrag gegebenen Untersuchungsberichts des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts CVUA-Westfalen (im Folgenden: CVUA-Westfalen) vom 21. Mai 2019 geltend gemacht hat, die Beprobungsergebnisse wiesen erhebliche Differenzen auf, folgt ihr die Kammer nicht. Das CVUA-Westfalen ist laut Befundmitteilung bei einer Beprobung des gesamten Bestandes zu dem Ergebnis gekommen, dass 142 Tiere positiv sind (davon zwei fraglich). Das weicht von dem Befund des CVUA-RRW – 143 Tiere positiv – nicht erheblich, sondern nur marginal ab, weil die Differenz nur 0,59% beträgt (Durchseuchungsgrad nach dem Befund des CVUA-RRW: 84,12%, Durchseuchungsgrad nach dem Befund des CVUA-Westfalen: 83,53%). Damit ist die Untersuchung durch das CVUA-RRW, deren Befunde die Antragsgegnerin ihrer Tierseuchenverfügung zugrunde gelegt hat, nicht wesentlich in Frage gestellt.
34Die Antragstellerin kann ferner nicht mit Erfolg geltend machen, es handele sich bei der Tötungsanordnung um eine Enteignung, die ausschließlich zum Wohle der Allgemeinheit erfolgen dürfe, woran es hier allerdings fehle. Bei der Tötung seuchenkranker oder seuchenverdächtiger Tiere handelt es sich nicht um eine Enteignung, sondern um eine Maßnahme der Inhaltsbestimmung des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.
35Vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 28.02.1961 – I C 54.57 –, juris Rn. 61 m.N.; VG Augsburg, Urteil vom 26.10.2007 – Au 7 K 05.593 –, juris Rn. 30.
36Eine Enteignung liegt nur dann vor, wenn das Eigentum an einer Sache durch einen gezielten hoheitlichen Rechtsakt entzogen wird.
37Vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.01.1991 – 1 BvR 929/89 –, juris Rn. 45 m.w.N. der Rechtsprechung des BVerfG.
38Dies war hier jedoch nicht der Fall, da es der Antragsgegnerin nicht um den Entzug von Eigentum, sondern um die Durchsetzung tiergesundheitsrechtlicher Vorschriften geht. Das Eigentum an den Rindern war aber wegen der Gefahr einer weiteren Ausbreitung der Infektion einer besonderen Pflichtenbindung ausgesetzt, die in den maßgeblichen Vorschriften des TierGesG konkretisiert worden ist. Diese "Polizeipflichtigkeit" des Eigentums kann unter Umständen, wie sie hier gegeben sind, zur Pflicht des Eigentümers werden und ihm die Duldung von öffentlich-rechtlichen Beschränkungen und Einwirkungen auf sein Eigentum auferlegen, die bis zur Tötung von Tieren des Bestandes führen können. Wird – wie im vorliegenden Fall – eine solche Duldungspflicht geltend gemacht, so kommt damit nur eine dem Eigentum anhaftende Belastung zum Ausdruck.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 28.02.1961 – I C 54.57 –, juris Rn. 61; VG Augsburg, Urteil vom 26. Oktober 2007 – Au 7 K 05.593 –, juris Rn. 30.
40Liegt keine Enteignung vor, so folgt daraus, dass auch nicht Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG Platz greift, der eine Enteignung nur gegen Entschädigung zulässt.
41Eine Verletzung des Eigentumsrechts gemäß Art. 14 I GG kann auch nicht mit Blick auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten landwirtschaftlichen Betrieb begründet werden. Zu berücksichtigen ist dabei neben den vorstehenden Ausführungen zur Enteignung auch, dass die Tötung der Tiere – soweit möglich – durch Schlachtung vollzogen werden soll, so dass der Antragstellerin in der überwiegenden Zahl der Fälle ein Schlachterlös verbleibt. Zudem wird grundsätzlich eine Beihilfe durch die Tierseuchenkasse gezahlt.
42Vgl. zu der Frage einer Verletzung von Art. 14 GG auch OVG NRW, Beschluss vom 28.10.2016 – 13 B 266/16 –, juris Rn. 29: nichts für pauschal behauptete Verletzung von Art. 14 GG ersichtlich.
43Die Kammer folgt auch nicht der Auffassung der Antragstellerin, eine Tötung der Tiere sei erst zulässig, wenn das Schätzungsverfahren durchgeführt worden ist, das auf der Grundlage des § 15 Nr. 1 TierGesG i.V.m. § 17 des Ausführungsgesetzes zum Tiergesundheitsgesetz und zum Tierische Nebenprodukte-Beseitigungsgesetz (AG TierGesG TierNebG NRW) vom 02. September 2008 (GV. NRW. S. 612) in der Fassung des Gesetzes vom 20. September 2016 (GV. NRW. S. 790) zur Bestimmung der Entschädigung für den Tierverlust vorgesehen ist. Bereits die gesetzliche Regelung im AG TierGEsG TierNebG NRW verdeutlicht, dass eine solche Konnexität, wie sie der Antragstellerin vorschwebt, nicht besteht. Denn gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 AG TierGEsG TierNebG NRW soll die Schätzung bei Tieren, die auf Grund einer Tierseuchenverfügung zu töten sind, vor der Tötung und im Übrigen unverzüglich nach dem Tode vorgenommen werden. Die Antragsgegnerin ist mit anderen Worten gehalten, noch vor der Tötung des Rinderbestandes den Wert der Tiere zu schätzen, ist aber auch nicht gehindert, dies unverzüglich nach dem Tod nachzuholen. Jedenfalls vermag der Umstand, dass die Schätzung bislang unterblieben sein könnte, nicht die Rechtswidrigkeit der Tötungsanordnung zu begründen. Im Übrigen ist dem Telefonvermerk vom 07. Juni 2019 über ein Gespräch der Amtstierärztin Dr. Vosen mit dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am selben Tag (Bl. 319 des Verwaltungsvorgangs) zu entnehmen, dass die Schätzung in Absprache mit der Familie der Antragstellerin für den 11. Juni 2019 vereinbart war. Wenn die Schätzung nicht schon vorgenommen worden ist, belegt der Telefonvermerk zumindest, dass der Antragsgegnerin das Erfordernis einer Schätzung bewusst ist.
44Soweit die Antragstellerin in Zusammenhang mit der Schätzung die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Tierseuchenverfügung damit begründet, sie sei darin nicht darauf hingewiesen worden sei, dass ihr dem Grunde nach Entschädigungsansprüche zustünden, erschließt sich der Kammer nicht (und es wird auch nicht weiter ausgeführt), gegen welchen Rechtssatz die Antragsgegnerin durch dieses Unterlassen verstoßen haben sollte.
45Gegen die Tötungsanordnung kann auch § 17 Nr. 1 TierSchG nicht angeführt werden. Diese Vorschrift stellt die Tötung eines Tieres ohne vernünftigen Grund unter Strafe. Sie greift vorliegend aber nicht Platz. Denn die Aussage, durch die Verfügung würden ausschließlich wirtschaftliche Interessen von Tierzuchtverbänden verfolgt, ist nicht tragfähig begründet. Zwar hat die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung auch darauf abgestellt, dass ein potentielles Ansteckungsrisiko für alle anderen Bestände zum Verlust des Art. 10-Status der Richtlinie 64/432/EWG führen könne. Allerdings dienen Bestrebungen zum Erhalt dieses Status jedenfalls auch dazu, Tierseuchen vorzubeugen sowie diese zu bekämpfen und so die Tiergesundheit in Nordrhein-Westfalen zu gewährleisten. Dass mit einer etwaigen Anerkennung des Landes Nordrhein-Westfalen als sog. "Artikel 10-Gebiet" Handelserleichterungen verbunden sind und die BHV1-Sanierung daher auch von wirtschaftlichen Erwägungen getragen sein mag, ändert nichts an dem mit dem Sanierungsprogramm verfolgten Ziel der BHV1-Bekämpfung.
46Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.10.2016 – 13 B 266/16 –, juris Rn. 24.
47Einen tierschutzrechtlichen Verstoß vermag das Gericht auch nicht darin zu sehen, dass von der Tierseuchenverfügung auch einige hochträchtige Rinder betroffen sind. Dieser Umstand kann dem soeben dargelegten vernünftigen Grund nicht den Boden entziehen. Ihrer Verantwortung als für die Tiergesundheit verantwortliche Behörde hat die Antragsgegnerin dadurch Rechnung getragen, dass sie bereits in ihrer Verfügung (vgl. S. 5) konkrete Vorgaben zur tierschutzgerechten Tötung der trächtigen Tiere erteilt hat.
48Auf der Rechtsfolgenseite hat die Antragsgegnerin von dem ihr eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Zwar stellt die Antragstellerin in Abrede, dass überhaupt Ermessen ausgeübt worden sei. Ihre Erklärung, sie habe allein nach den Vorgaben des übergeordneten Ministeriums gehandelt, ist freilich eine nicht näher begründete Behauptung geblieben. Zwar hat sich – wie der Verwaltungsvorgang belegt – die Antragsgegnerin ihr Vorgehen mit dem Landesamt für Natur, Umweltschutz und Verbraucherschutz (LANUV) und dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MULNV) abgestimmt. Ein solches Vorgehen liegt allerdings angesichts der überregionalen Bedeutung des Falles in Zusammenhang mit den Bemühungen des Landes Nordrhein-Westfalen zur Eindämmung einer BHV1-Infektion auf der Hand und bedeutet nicht, dass die Antragsgegnerin kein Ermessen ausgeübt hat.
49Ihr dürfte zwar kein Entschließungsermessen zugestanden haben, weil sie nach § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG im Fall des Vorliegens eines hinreichenden Verdachtes oder eines Verstoßes - wie hier - die erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen zu treffen hat.
50Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.10.2016 – 13 B 266/16 –, juris Rn. 23.
51Indes kam ihr jedenfalls ein Auswahlermessen zu. Das ergibt sich zum einen daraus, dass sie gemäß der vorgenannten Vorschrift die "notwendigen" Anordnungen zu treffen hat. Zum anderen weist § 7 der BHV1-Verordnung die Tötung von Tieren als eine von mehreren möglichen Anordnungen im Katalog der §§ 6 und 7 BHV1-Verordnung aus („kann“).
52Die Ausübung dieses Auswahlermessens ist rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere hat sie im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung des § 24 Abs. 3 Satz 1 TierGesG entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, indem sie sich von dem Gesichtspunkt der Tierseuchenbekämpfung bzw. der Erhaltung der Tiergesundheit (vgl. § 1 TierGesG) hat leiten lassen. So hat die Antragsgegnerin ihre Verfügung explizit damit begründet (vgl. S. 7 der Verfügung), dass Rinderbestände in der engeren und weiteren Umgebung zu dem Bestand der Antragstellerin vor den schwerwiegenden tiergesundheitlichen und in der Konsequenz tierschutzrechtlichen Folgen einer BHV1-Infektion zu schützen seien.
53Bei ihrer Ermessensausübung hat die Antragsgegnerin auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen.
54Vgl. zur Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bei der Ermessensausübung nur Kopp/Ramsauer, VwVfG, 17. Auflage 2018, § 40 Rn. 48 m.w.N.
55Gegen die Geeignetheit der Maßnahme bestehen keine Bedenken. Sie dürfte sich auch als erforderlich erweisen, weil ein milderes, ebenso geeignetes Mittel nicht ersichtlich ist. Das Virus BHV1 verursacht eine in der Rinderhaltung weit verbreitete Tierseuche. Die Übertragung erfolgt meist direkt, kann aber auch indirekt über Vektoren (Personen, Kleidung, Gerätschaften, Instrumente) erfolgen. Eine Besonderheit dieser Infektionskrankheit besteht darin, dass ein einmal infiziertes Tier lebenslang Virusträger bleibt. Diese Tiere erscheinen gesund, tragen jedoch das Virus in sich und können es jederzeit unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. bei Stresssituationen wie Kalbung, Stallwechsel etc.) wieder ausscheiden und so weiterverbreiten.
56Vgl. www.cvua-rrw.de/themen/tiergesundheit/tierkrankheiten/bhv1.html.
57Die BHV1-Infektion kann zahlreiche verschiedene Symptomenkomplexe verursachen (z.B. Fieber bis zu 41,7 °C, Leistungsdepression, Appetitverlust, allgemeine Apathie), wobei je nach Manifestationsform zwei Organsysteme befallen sein können: zum einen die Atemwege (Husten, Nasenausfluss, nekrotisierende Rhinotracheitis, diphterische Membranen in tödlich verlaufenden Fällen) – infektiöse bovine Rhinotracheitis (IBR), zum anderen der Reproduktionstrakt (Fruchtbarkeitsstörungen, Fehlgeburten, Geburtsdefekte) - infektiöse pustulöse Vulvovaginitis (IPV) oder infektiöse Balanoposthitis (IBP). Bei der Kuh zählt ein Rückgang der Milchleistung zu den frühen Anzeichen einer BHV1-Infektion.
58Vgl. www.zoetis.de/conditions/rinder/infektioese-bovine-rhinotracheitis-_ibr_.aspx.
59Mit ihrem Einwand, die Antragsgegnerin hätte eine Impfung des Bestandes in Betracht ziehen müssen, dringt die Antragstellerin nicht durch. Soweit sie geltend macht, die Antragsgegnerin habe die Anordnung der Impfung in ihrer Tierseuchenverfügung bislang nicht berücksichtigt, ist zu konstatieren, dass die Antragsgegnerin sich damit in zulässiger Weise nach Maßgabe des § 114 Satz 2 VwGO in ihrer Antragserwiderung vom 22. Juli 2019 auseinandergesetzt hat. Dabei hat sie nachvollziehbar unter Verweis auf die von der Ständigen Impfkommission Veterinärmedizin herausgegebene Leitlinie zur Impfung von Rindern und kleinen Wiederkäuern dargelegt, dass die BHV1-Infektion durch die Impfung nicht verhindert wird und sich demgemäß auch geimpfte Tiere mit dem Feldvirus infizieren und eine latente Infektion ausbilden können.
60Vgl. Ständige Impfkommission Veterinärmedizin, Leitlinie zur Impfung von Rindern und kleinen Wiederkäuern, S. 33 (Stand: 01. März 2018).
61Diese Annahme liegt auch der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 BHV1-Verordnung zugrunde liegt, die Kriterien dafür aufstellt, wann bei geimpften Rindern von einem Ausbruch der BHV1-Infektion auszugehen ist.
62Die Antragsgegnerin hat sich im Rahmen der Antragserwiderung auch plausibel damit befasst, dass der Kreis Borken offenbar in mehreren Fällen Impfungen vorgenommen hat. Sie hat nachvollziehbar dargelegt, dass diese Vorgehensweise im Fall des Milchviehbetriebs der Antragstellerin nicht praktikabel sei. Zur Begründung hat die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung vom 22. Juli 2019 ausgeführt, dass im Kreis Borken ausnahmslos Mastbullenhaltungen betroffen seien. Der Verbleib einer Milchkuh in einer Haltung könne bis zu zehn Jahren betragen, wohingegen ein Mastbulle ca. 20 Monate in der Haltung verbleibe, die – anders als bei Milchkühen – überwiegend als Stallhaltung betrieben werde. Die darauf aufbauende Schlussfolgerung, dass bei Milchkühen ein wesentlich höheres Ansteckungsrisiko bestehe, ist aus der Sicht der Kammer nicht zu beanstanden. Es kommt freilich hinzu, dass sich ohne genaue Kenntnis der im Zuständigkeitsbereich des Kreises Borken aufgetretenen Fälle schlichtweg nicht beurteilen lässt, ob der Verzicht auf weitergehende Maßnahmen überhaupt rechtmäßig war.
63Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin zudem maßgeblich berücksichtigt, dass ein erheblicher Durchseuchungsgrad von über 80% zu konstatieren ist. Bereits bei mehr als ca. 70% BHV1-positiven Rindern ist landesverwaltungsintern die Tötung aller Rinder nach Abstimmung mit dem LANUV und dem MULNV vorgesehen.
64Vgl. LANUV, Vorgehen beim Auftreten von BHV1 in Rinderbeständen, Stand: 29. Januar 2019 (Bl. 6 des Verwaltungsvorgangs).
65Die Antragsgegnerin hat sich freilich nicht allein an dem deutlich über 70% liegenden Durchseuchungsgrad orientiert, sondern darüber hinaus die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt, ist indes zu der Einschätzung gelangt, dass betriebsorganisatorisch und strukturell eine effektive Ausschaltung der Gefahr der Seuchenverschleppung durch die Entfernung der einzelnen Reagenten nicht mehr durchführbar ist. Damit ist gemeint, dass räumlich aufgrund der baulichen Enge und im betrieblichen Ablauf eine Separierung der infizierten Tiere nicht möglich ist; der Betrieb hat nach den Feststellungen der Antragsgegnerin zudem nur einen Standort. Dieser fachlichen Bewertung ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten.
66Dass von der Maßnahme auch einige gesunde Tiere betroffen sein könnten, rechtfertigt keine andere Bewertung. Es ist schon fraglich, ob die betreffenden Tiere überhaupt noch gesund sind. Die letzte Untersuchung des Bestandes erfolgte Mitte Mai 2019, also vor mehr als zwei Monaten. Es ist weder ersichtlich noch dargetan, dass die seinerzeit nicht positiv getesteten Rinder von den infizierten Rindern separiert worden sind. Angesichts dessen ist naheliegend, dass auch sie sich mittlerweile infiziert haben. Durch die zweite Untersuchung des zunächst negativ getesteten Rindes mit der Ohrmarkennummer DE 05 377 37257 wird das anschaulich belegt: Das Tier war am 10. Mai 2019 (Probenahme am 03. Mai 2019) negativ getestet, am 15. Mai 2019 (Probenahme am 12. Mai 2019) positiv getestet. Im Übrigen sieht § 7 BHV1-Verordnung nicht nur die Tötung seuchenkranker, sondern explizit auch seuchenverdächtiger Tiere als Option vor.
67Soweit das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Beschluss vom 28. Oktober 2016 – 13 B 266/16 –, juris Rn. 26, ausgeführt hat, zur Ausmerzung des Erregers im Falle einer BHV1-Infektion sei die Tötung nicht erforderlich, kann diese Aussage nicht ohne Weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden. In der vom Oberverwaltungsgericht angeführten Begründung zur Verordnung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft – Zweite Verordnung zur Änderung der BHV1-Verordnung – vom 10. März 2015 -
68vgl. BR-Drucks. 94/15, S. 24 -
69heißt es, es werde im Falle einer BHV1-Infektion „eher nicht“ die Tötung der Rinder des Bestandes angeordnet werden, sondern es werde versucht werden, über die Entfernung der als infiziert erkannten Rinder in Verbindung mit Impfmaßnahmen eine Tilgung zu erreichen. Dass eine Tötung generell nicht erforderlich ist, kann dieser Aussage nicht entnommen werden. Zu berücksichtigen ist überdies der systematische Zusammenhang, in dem die Aussage des Oberverwaltungsgerichts steht. Dem Argument des seinerzeitigen Antragstellers, eine Tötungsanordnung sei das mildere Mittel, weil in diesem Fall eine Entschädigung aus der Tierseuchenkasse gezahlt werde, nicht aber bei der Anordnung der Entfernung von Reagenten, hat das Gericht entgegengehalten, dass mit dem Erlass einer Tötungsanordnung dem Antragsteller die Möglichkeit der Schlachtung und folglich das Erzielen eines Schlachterlöses verwehrt würde. Diese Erwägung greift indes hier nicht Platz. Die Antragsgegnerin hat in der Tierseuchenverfügung deutlich gemacht, dass die Tötung der Tier möglichst im Wege der Schlachtung erfolgen soll.
70Schließlich spricht alles dafür, dass die in Ziffer 1 der Tierseuchenverfügung getroffene Regelung auch verhältnismäßig i.e.S. ist. Denn es lässt sich nicht erkennen, dass die Maßnahme Nachteile herbeiführt, die zu dem beabsichtigten Erfolg außer Verhältnis stehen. Dass die Ausmerzung eines gesamten Bestandes mit harten wirtschaftlichen Folgen verbunden ist, liegt auf der Hand. Sie können durch die Schlachterlöse und die Entschädigungen aus der Tierseuchenkasse abgefedert, aber möglicherweise nicht vollständig ausgeglichen werden. Allerdings ist zu sehen, dass sich im vorliegenden Fall das wirtschaftliche Risiko realisiert, das ein Rinderhalter – zumal in der Grenzregion zu Belgien und den Niederlanden, die beide gegen die BHV1-Infektion nicht vorgehen – bewusst auf sich nimmt. Die Aussage, die Maßnahme wirke existenzvernichtend, wie im Klageverfahren 7 K 1925/19 geltend gemacht worden ist, ist unsubstantiiert geblieben. Ferner darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Bestand der Antragstellerin wegen seiner hohen Durchseuchung eine große Gefahr für Nachbarbestände begründet, zumal wenn man in Rechnung stellt, dass diese wegen des grundsätzlich bestehenden Impfverbots ab dem 01. Juli 2015 gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung des Landes Nordrhein-Westfalen zum Schutz der Rinder vor einer Infektion mit dem Bovinen Herpesvirus Typ 1 (BHV1-VO NRW) vom 20. Oktober 2014 (GV. NRW. S. 866) durchweg ungeimpft sein dürften und deswegen einer beträchtlichen Gefahr der Ansteckung ausgesetzt sind.
71b) An der sofortigen Vollziehung der unter Ziffer 1 der Tierseuchenverfügung vom 31. Mai 2019 getroffenen Anordnung besteht angesichts der mit ihr beabsichtigten Abwehr tierseuchenrechtlicher Gefahren und der Verhinderung der Weiterverbreitung der BHV1-Infektion ein besonderes Vollzugsinteresse.
722.) Ziffer 3 der Tierseuchenverfügung
73Dagegen dürfte sich Ziffer 3 der Tierseuchenverfügung der Antragsgegnerin vom 31. Mai 2019 bezüglich der Androhung der Ersatzvornahme voraussichtlich als rechtswidrig erweisen.
74Denn die Antragsgegnerin hat die Regelung des § 63 Abs. 4 VwVG NRW außer Acht gelassen. Danach sollen im Falle der Androhung einer Ersatzvornahme die voraussichtlichen Kosten angegeben werden. Daran fehlt es hier. In der Verfügung vom 31. Mai 2019 heißt es hierzu, die genauen Kosten der Schlachtung der schlachtfähigen Tiere bzw. der Euthanasierung der nicht schlachtfähigen Tiere könne zurzeit nicht erfolgen.
75Die Vorschrift des § 63 Abs. 4 VwVG NRW ist zwar nicht – wie auf Bundesebene § 13 Abs. 4 Satz 1 VwVG („ist zu veranschlagen“) – als zwingende Norm formuliert. Nach allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen begründet eine Soll-Vorschrift allerdings ebenfalls eine Verpflichtung, wenn nicht ausnahmsweise ein atypischer Fall gegeben ist.
76Vgl. zum verwaltungsvollstreckungsrechtlichen Gebot der Angabe der Kosten der Ersatzvornahme OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.11.2018 – OVG 11 S 55.18 – juris Rn. 67; OVG LSA, Beschluss vom 29.03.2016 – 2 M 156/15 –, juris Rn. 38; Sadler, VwVG – VwZG, 7. Auflage 2010, § 13 VwVG Rn. 105 m.w.N.; allgemein Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 40 Rn. 44; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, 9. Auflage 2018, VwVfG § 40 Rn. 26; Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Auflage 2019, § 40 Rn. 32.
77Eine solche Ausnahmekonstellation kann hier nicht festgestellt werden. Weder der Tierseuchenverfügung, noch dem Verwaltungsvorgang, noch der Antragserwiderung kann entnommen werden, warum eine Bezifferung der Kosten nicht möglich ist.
78Soweit das Verwaltungsgericht Münster in seinem Beschluss vom 13. Juni 2006 – 6 L 303/06 – juris Rn. 12, ausführt, das Fehlen der Angabe der voraussichtlichen Kosten sei unschädlich, kann diese Bewertung nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen werden. Denn das Verwaltungsgericht Münster hat nicht nur auf den Charakter der Norm als Soll-Vorschrift, sondern – nachvollziehbar – auch darauf abgestellt, dass erhebliche Kosten bei dem im zugrunde liegenden Fall zu beurteilenden Entfernen eines Praxisschildes nicht zu erwarten sein dürften. Von unerheblichen Kosten kann hier nicht die Rede sein. Damit aber gibt es keinen Grund, die durch die Regelung des § 63 Abs. 4 VwVG NRW bezweckte Warnfunktion, nämlich dem Schuldner vor Augen zu führen, welche Kosten im Falle der Verwaltungsvollstreckung auf ihn zukommen, unbeachtet zu lassen.
79Vgl. zu Sinn und Zweck der Regelung HessVGH, Beschluss vom 26.03.2004 – 3 TM 1626/03 –, NvwZ-RR 2004, 524; Erlenkämper/Rhein, VwVG und VwZG, 4. Auflage 2010, § 63 VwVG Rn. 32; Sadler, VwVG – VwZG, 7. Auflage 2010, § 13 VwVG Rn. 101.
80Auch die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. März 2004 – 3 TM 1626/03 – NvwZ-RR 2004, 524, kann vorliegend nicht fruchtbar gemacht werden. Der Verwaltungsgerichtshof hatte entschieden, dass das Fehlen der Angabe der geschätzten Kosten zwar rechtsfehlerhaft sei, aber die Wirksamkeit der Androhung nicht beeinträchtige. Als maßgeblich erweist sich die Erwägung, dass die mit der Veranschlagung der Kosten verbundene Warnfunktion aus anderen Gründen nicht entfallen sei, weil der Vollstreckungsschuldner von einem Schriftsatz des Vollstreckungsgläubigers Kenntnis erlangt habe, in dem dieser die Einleitung des Vollstreckungsverfahrens mit dem Antrag verbunden habe, die voraussichtlichen Kosten der Ersatzvornahme mit vorläufig 27000 DM zu veranschlagen. Für ein Nicht-Entfallen der Warnfunktion auf einem vergleichbaren oder einem anderen Wege ist vorliegend aber nichts ersichtlich.
81Vorsorglich weist die Kammer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass § 63 Abs. 4 VwVG NRW nicht die Angabe der genauen Kosten verlangt; vielmehr ist nur von den voraussichtlichen Kosten die Rede.
82Soweit die Antragsgegnerin in Ziffer 3 ihrer Verfügung zusätzlich die Durchsetzung der Maßnahme im Rahmen des unmittelbaren Zwangs gegen die Antragstellerin angedroht hat, geht diese Androhung ins Leere. Denn die Verpflichtung des Betroffenen, die Ersatzvornahme zu dulden und die Befugnis der Vollzugsbehörden, eventuellen Widerstand des Betroffenen bei der Ersatzvornahme mit Gewalt zu brechen, folgt bereits unmittelbar aus § 65 Abs. 2 S. 1 VwVG NRW. Sind Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Antragstellers als Pflichtigem aber bereits aufgrund der Festsetzung des Zwangsmittels selbst zulässig, führt die in Ziffer 3. des Bescheides getroffene - überflüssige - Androhung von unmittelbarem Zwang zu keiner Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten.
83Vgl. hierzu VG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2008 – 17 L 2076/07 –, juris Rn. 11 ff. m.N.
84Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO.
85II.
86Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer geht bei pauschalierender Betrachtung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen von einem Wert in Höhe von 500 Euro pro betroffenem Tier aus; dieser Betrag wird im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes halbiert.
87Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28.10.2016 – 13 B 266/16 –, juris Rn. 33.
88In Anlehnung an Ziff. 1.7.2 Satz 1 des Streitwertkatalogs bleibt die auf die Grundverfügung bezogene Zwangsmittelandrohung für die Streitwertfestsetzung außer Betracht.
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