Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 7 L 460/20
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums 7 K 1639/20 gegen den in dem Aufstellen von sechs Schildern am Barmener Badesee mit der Aufschrift „Anlage geschlossen – Zur Vermeidung des SARS-COV-2 Virus“ enthaltenen Verwaltungsakt der Antragsgegnerin vom 03. April 2020 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2I.
3Der Antrag ist zulässig und begründet.
41.) Die Kammer hat den wörtlich auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Eilantrag nach verständiger Würdigung, wie durch §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO geboten, als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 5 Var. 1 VwGO ausgelegt. Denn gemäß § 123 Abs. 5 VwGO muss ein Antragsteller grundsätzlich nach dem spezielleren § 80 Abs. 5 VwGO vorgehen, wenn im Hauptsacheverfahren eine Anfechtungsklage zu erheben ist, vorläufiger Rechtsschutz also gegenüber einem belastenden Verwaltungsakt gesucht wird. So liegt der Fall hier. Zwar fehlt es an einem Verwaltungsakt – konkret einer Allgemeinverfügung i.S.d. § 35 Satz 2 VwVfG NRW – in schriftlicher Form. Allerdings kann ein Verwaltungsakt auch in einem konkludenten Verhalten zu sehen sein.
5Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 20. Auflage 2019, § 35 Rn. 61.
6Hier hat die Antragsgegnerin nach eigenem Bekunden durch Aufstellen eines oder mehrerer Schilder mit der Aufschrift „Anlage geschlossen – Zur Vermeidung des SARS-CoV-2 Virus“ die konkrete Regelung getroffen, dass die Nutzung des Badestrandes und des Barmener Sees selbst durch die Allgemeinheit untersagt ist. Gemäß § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 19. Juni 2020 (BGBl. I S. 1385), kommt einer Klage gegen einen Verwaltungsakt auf der Grundlage des IfSG keine aufschiebende Wirkung zu.
7Statthaft ist folglich ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO.
8Der Antragsteller ist auch antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass er durch die fragliche freiheitsbeschränkende Maßnahme in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) betroffen ist, zumal da er geltend gemacht hat, dass er als Jülicher Bürger und seine Familie zu den „Stammgästen“ des Badesees zählen. Der Verweis der Antragsgegnerin auf die Regelung des § 19 Abs. 1 des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landeswassergesetz – LWG) vom 25. Juni 1995 ist zwar zutreffend. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 LWG darf jede Person natürliche oberirdische Gewässer u.a. zum Baden benutzen, wobei dies allerdings nach § 19 Abs. 1 Satz 2 LWG NRW nicht für künstliche Gewässer gilt. Dazu zählt auch ein Baggersee.
9Vgl. Czychowski/Reinhardt, WHG, 10. Auflage 2010, § 3 Rn. 55 m.w.N.
10Aus dem Wasserrecht ergibt sich demgemäß kein Anspruch des einzelnen Staatsbürgers auf Begründung oder Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs an einem bestimmten Gewässer oder in einem bestimmten Umfang
11Vgl. VGH BW, Urteil vom 27.02.2018 – 3 S 963/16 –, juris Rn. 48 m.w.N.
12Allerdings sprechen bei der hier allein möglichen summarischen Prüfung insbesondere die Einrichtung eines Badestrandes und die Anlage eines Parkplatzes durch die Antragsgegnerin als Eigentümerin dafür, dass sie den in Rede stehenden Teil des Sees zur Nutzung durch die Allgemeinheit geöffnet hat. Wer einen einmal begründeten Gemeingebrauch ausübt oder ausüben will, kann jedoch ungeachtet dessen verlangen, dass bei Eingriffen in diese Rechtsposition die einschlägigen Vorschriften des formellen und materiellen Rechts beachtet werden, und insoweit auch verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz beanspruchen
13Vgl. VGH BW, Urteil vom 29.11.2013 – 3 S 193/13 –, juris Rn. 20 m.w.N. unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne; Queitsche/Koll-Sarfeld/Walbaum, Wassergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, § 19 Anm. 2 (Stand: März 2020).
14Ungeachtet dessen ist zu konstatieren, dass die Antragsgegnerin gar keine generelle Regelung der Nutzung des Badesees treffen wollte – wozu sie als Eigentümerin durchaus berechtigt wäre – sondern zur Abwehr einer von ihr angenommenen Infektionsgefahr gehandelt hat.
152.) Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.
16Die in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung fällt zugunsten des Antragstellers aus. Maßgebliches Kriterium innerhalb der Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse. Denn an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kann kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.
17Gemessen daran überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin. Denn die in Rede stehende Sperrung erweist sich als offensichtlich rechtswidrig, weil sie ermessensfehlerhaft erfolgt ist.
18Als Rechtsgrundlage für die Aufrechterhaltung der zunächst unter Verweis auf die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vollzogene Sperrung, ist – wie sich aus der internen Stellungnahme des Ordnungsamtes der Antragsgegnerin vom 07. Juli 2020 ergibt – § 28 Abs. 1 IfSG herangezogen worden. Danach trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Nach Satz 2 kann sie unter den Voraussetzungen von Satz 1 Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten und Badeanstalten oder in § 33 IfSG genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon schließen; sie kann auch Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte nicht zu betreten, bis die notwendigen Schutzmaßnahmen durchgeführt worden sind.
19Der durch diese Vorschrift gewährte Handlungsrahmen ist eröffnet, weil die Nutzung des Badesees nicht bereits unmittelbar auf Grundlage der CoronaSchVO verboten ist. Denn es handelt sich nicht um ein Schwimmbad oder eine ähnliche (Wellness-)Einrichtung im Sinne der Verordnung (gemäß aktueller Fassung vom 12. Juli 2020: § 10 Abs. 3), woraus in Verbindung mit dem Umstand, dass nach Angaben der Antragsgegnerin die Vorgaben der Anlage „Hygiene- und Infektionsschutzstandards“ nicht eingehalten werden (können), ein Verbot folgen würde.
20Hauptbestandteil eines Schwimmbades sind Schwimmbecken zum Baden und Schwimmen. Darum gruppieren sich Umkleide- und Duschräume sowie Sitz- und Liegemöglichkeiten.
21Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Schwimmbad.
22Bei öffentlichen Schwimmbädern kommt die Beaufsichtigung durch entsprechend qualifiziertes Personal hinzu. Diese sorgen für die Betriebsaufsicht und die Beaufsichtigung des Badebetriebes.
23Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Schwimmbad.
24In Bezug auf den Barmener Badesee sind diese Kriterien offensichtlich nicht erfüllt. Es gibt keine Schwimmbecken. Ferner fehlt es an einer Infrastruktur in Form von Umkleide- und Duschräumen. Sitz- und Liegemöglichkeiten bietet allein der Strand, stehen aber nicht in Gestalt von zusätzlicher Möblierung durch Stühle und Liegen zur Verfügung. Schließlich gibt es auch keine Badeaufsicht, das Schwimmen erfolgt vielmehr auf eigene Gefahr.
25Vor diesem Hintergrund erhellt zugleich, dass der Badesee – objektiv betrachtet, auch nicht als ähnliche Einrichtung angesehen werden kann. Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber gleichwohl auch einen Badesee wie den in Rede stehenden erfassen wollte, hat die Kammer nicht. Vielmehr ist in den Blick zu nehmen, dass in der am 15. Juni 2020 in Kraft getretenen Fassung der CoronaSchVO – und so auch in der aktuellen Fassung vom 12. Juli 2020 – nur noch von „Schwimmbädern, Saunen und vergleichbaren Wellnesseinrichtungen“ (§ 10 Abs. 3) die Rede. Anhaltspunkte, die einen Rückschluss darauf erlauben würden, dass die Nutzung von Bagger- bzw. Badeseen bislang verboten war, bestehen allein aufgrund der Änderung in der Wortwahl von „Einrichtungen“ zu „Wellnesseinrichtungen“ nicht. In den Pressemitteilungen der Landesregierung Nordrhein-Westfalen werden regelmäßig erhebliche Änderungen der Rechtslage mitgeteilt. In der vom 11. Juni 2020 ist aber von Bagger- und Badeseen nicht die Rede.
26Vgl. https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/neue-fassung-der-corona-schutzverordnung-mit-weiteren-erleichterungen-gilt-ab.
27Es liegt auf der Hand, dass ein weitestgehend naturbelassener Badesee ohne Infrastruktur und ohne Badeaufsicht nicht als „Wellnesseinrichtung“ anzusehen ist.
28Nach alledem ist der Handlungsrahmen des § 28 Abs. 1 IfSG eröffnet.
29Sind Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Erkrankungen erforderlich, so können diese grundsätzlich nicht nur gegenüber den in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG genannten Personen, also gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern getroffen werden, sondern - soweit erforderlich - auch gegenüber Dritten (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG).
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 3 C 16.11 – juris Rn. 26 unter Hinweis auf BT-Drs. 8/2468, S. 27; OVG NRW, Beschluss vom 06.04.2020 – 13 B 398/20.NE -, juris Rn. 70; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 23.03.2020 - OVG 11 S 12/20 -, juris Rn. 8.
31Hinsichtlich Art und Umfang der Gefahrenabwehrmaßnahmen ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.
32Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 3 C 16/11 -, juris Rn. 24; VG Schleswig, Beschluss vom 22.03.2020 - 1 B 17/20 -, juris Rn. 5; VG Bayreuth, Beschluss vom 11.03.2020 - B 7 S 20.223 -, juris Rn. 44; VG Bremen, Beschluss vom 26.03.2020 – 5 V 553/20 –, juris Rn. 30.
33Hier lässt sich im Rahmen der durch § 114 Satz 1 VwGO eröffneten gerichtlichen Kontrolle nicht feststellen, dass die Antragsgegnerin von dem ihr eingeräumten Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat.
34Es ist schon nicht klar, ob die Antragsgegnerin ihr Ermessen überhaupt ausgeübt hat, so dass in der Folge von einem Ermessensausfall auszugehen wäre. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
35Die Vorschrift des § 39 Abs. 1 Satz 2 VwVfG verpflichtet die Behörde grundsätzlich, die tragenden Ermessenserwägungen in dem belastenden oder versagenden Verwaltungsakt darzulegen. Selbst wenn eine Begründung ausnahmsweise nicht geboten ist, wie hier möglicherweise aufgrund des § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW, bedarf es dennoch einer Dokumentation der Ermessenserwägungen im Verwaltungsvorgang, anhand derer sich nachvollziehen lässt, dass überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen worden ist und welche Erwägungen ihr zu Grunde lagen.
36Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.11.2011 – OVG 3 B 11.09 –, juris Rn. 31; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier/Riese, VwGO, § 114 Rn. 46 f. (Stand: Juli 2019).
37Alles andere widerspricht Art. 19 Abs. 4 GG, in dessen Licht die einfachgesetzlichen Vorschriften zu betrachten sind.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.09.2006 – 1 C 20/05 –, juris Rn. 18; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 114 Rn. 47 (Stand: Juli 2019).
39Diese Anforderungen sind nicht erfüllt. Den (wenigen) Unterlagen die als (nach Angaben des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin auf ausdrückliche Nachfrage: vollständiger) Verwaltungsvorgang übersandt worden sind, ist nicht zu entnehmen, welche Erwägungen die Antragsgegnerin im Zuge der Entscheidung über die Sperrung des Badesees angestellt hat. Laut E-Mail des Krisenstabs Jülich an verschiedene Stellen der Verwaltung der Antragsgegnerin vom 01. April 2020, 13.03 Uhr ist am Morgen dieses Tages beschlossen worden, den See nicht zu sperren; es solle aber am nächsten Tag noch einmal thematisiert werden. In einer Antwort-Mail hierauf vom selben Tag, 13.42 Uhr, heißt es, es sollte auf jeden Fall darauf hingewiesen werden, dass die Nutzung des Badestrandes verboten sei. Hierauf hat der Krisenstab in einer weiteren Mail erwidert (14.28 Uhr), da bezüglich Schließung/Verbot anders entschieden worden sei, müsse das am nächsten Tag noch einmal besprochen werden; reine Hinweisschilder wären heute schon o.k. Demgegenüber hat der Krisenstab Jülich in einer Mail vom 02. April 2020, 12.21 Uhr, mitgeteilt, die Sperrung „soll analog Spielplätze, Sportstätten“ vorgenommen werden. Aus dieser E-Mail-Kommunikation lässt sich zwar ableiten, dass zunächst erwogen worden ist, den See nicht zu sperren, letztlich aber anders entschieden worden ist. Welche Erwägungen dafür ausschlaggebend waren, diese Entscheidung zu treffen, geht aus den Äußerungen nicht hervor.
40Auch die Ausführungen des Bürgermeisters der Antragsgegnerin in seinem Schreiben an den Antragsteller vom 26. Juni 2020 (Bl. 5 f. der Gerichtsakte) kann nicht als zureichende Dokumentation der Ermessenserwägungen angesehen werden. Das Schreiben zielt darauf erkennbar gar nicht primär ab, sondern liefert eine Begründung dafür, warum aktuell, bezogen auf den Zeitpunkt 26. Juni 2020, eine Öffnung des Badesees aus Sicht der Antragsgegnerin nicht in Frage kommt. Die Aktualität zeigt sich etwa in dem Verweis auf die beginnenden Sommerferien (29. Juni 2020) oder die Öffnung des Jülicher Freibades (31. Mai 2020). Vor diesem Hintergrund lässt sich nicht ohne Zweifel feststellen, welche Erwägungen bei Treffen der Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Bereits dieser Umstand lässt eine Einstufung des Schreibens als Dokumentation der maßgeblichen Ermessenserwägungen nicht zu.
41Die einzig auf die Vergangenheit bezogene Aussage, mögliche Alternativen seien geprüft und auch mit der Kommunalaufsicht beim Kreis Düren abgestimmt worden, gibt auch keinen Aufschluss über die Erwägungen der Antragsgegnerin, weil nicht klar wird, welche Alternativen konkret ins Auge gefasst worden sind. In der Folge lässt sich die Erforderlichkeit der letztlich vorgenommenen Sperrung des Badesees nicht beurteilen.
42Lässt sich dem angefochtenen oder versagenden Bescheid jedoch nicht entnehmen, ob überhaupt Ermessenserwägungen angestellt worden sind, und ergibt sich dies auch nicht aus anderen Umständen des Einzelfalles, spricht dies für einen Ermessensausfall im Sinne eines materiell-rechtlichen Fehlers.
43Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.01.2018 – 9 B 1540/17 –, juris Rn. 37 unter Betonung des Erfordernisses einer einzelfallbezogenen Prüfung; SächsOVG, Urteil vom 10.11.2016 – 3 A 318/16 –, juris Rn. 42; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 23; Riese, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 114 Rn. 48 (Stand: Juli 2019).
44Bei einem Ermessensausfall kann dem Erfordernis von Ermessenserwägungen auch nicht durch nachträglichen Vortrag in den Tatsacheninstanzen genügt werden. § 114 Satz 2 VwGO schafft die prozessualen Voraussetzungen lediglich dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermessen nachträglich erstmals ausübt.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 05.09.2006 – 1 C 20/05 –, juris Rn. 22 m.w.N.
46Selbst wenn man mit Blick auf das in Rede stehende Schreiben vom 26. Juni 2020 eine zureichende Dokumentation der Ermessenserwägungen annähme, wäre die Entscheidung unter dem Aspekt des Ermessensfehlgebrauchs als fehlerhaft einzustufen:
47Soweit einleitend davon die Rede ist, dass es sich um einen Badesee in einem Landschaftsschutzgebiet handele und sogar die Umwandlung in ein Naturschutzgebiet erwogen werde, rechtfertigen beide Aspekte ersichtlich nicht den Erlass einer seuchenrechtlichen Allgemeinverfügung.
48Nichts anderes gilt für die erwähnten Regelverstöße durch Verschmutzung, Vermüllung und Lärmbelästigung.
49Schließlich erweist sich auch die Einschätzung, die Vorgaben von Ziffer VIII der Anlage „Hygiene- und Infektionsschutzstandards zur CoronaSchVO NRW“ seien umzusetzen, als rechtsfehlerhaft und kann daher ebenfalls die Sperrung des Badesees nicht rechtfertigen. Die Regelung bezieht sich auf „Schwimmbäder, Saunen, Wellnessbereiche und ähnliche Einrichtungen“. Der Barmener Badesee ist aber, wie oben dargelegt, weder ein Schwimmbad noch eine ähnliche Einrichtung. Daraus folgt, dass die Antragsgegnerin nicht die Vorgaben der Anlage „Hygiene- und Infektionsschutzstandards“ zu erfüllen hat. Vielmehr beschränkt sich ihre Aufgabe im Rahmen des Ordnungsrechts auf die Kontrolle der Einhaltung der allgemeinen Verhaltenspflichten, also in infektionsschutzrechtlicher Hinsicht insbesondere die Wahrung des Mindestabstands. Dass die Aufgabenwahrnehmung in diesem, geringeren Umfang nicht zu leisten sein soll, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich.
50Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.
51II.
52Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und berücksichtigt die mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz begehrte Vorwegnahme der Hauptsache.
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