Urteil vom Verwaltungsgericht Arnsberg - 10 K 4187/18.A
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Tatbestand:
2Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Anerkennung als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus, die Feststellung von Abschiebungsverboten und eine Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
3Der Kläger zu 1. wurde am 16. Februar 1982 geboren, die Klägerin zu 2. am 05. April 1993. Ihr Geburtsort ist jeweils L. /Aserbaidschan. Die Klägerin zu 3. ist ihr gemeinsames Kind. Sie wurde am 17. Mai 2011 in C. /Aserbaidschan geboren. Die Kläger sind nach eigenen Angaben aserbaidschanischer Staatsangehörige aserbaidschanischer Volks- und islamischer Glaubenszugehörigkeit. Sie reisten – ebenfalls nach eigenen Angaben – am 28. Dezember 2016 auf dem Luftweg über Ungarn nach Deutschland ein und stellten am 16. Januar 2017 Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt).
4Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 24. Mai 2018 gab der Kläger zu 1. zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen Folgendes an: Er habe in Aserbaidschan verschiedene Berufe ausgeübt und zuletzt mit Baumaterialien gehandelt. Diese Tätigkeit habe er im Sommer 2016 wegen anhaltender Verluste aufgegeben. Aserbaidschan habe er aber weder aus wirtschaftlichen noch aus politischen Gründen verlassen. Ziel der Ausreise sei es vielmehr gewesen, seiner Tochter – der Klägerin zu 3. – eine adäquate medizinische Behandlung zukommen zu lassen. Sie leide an einer Skoliose dritten Grades und sei von ihrer Geburt an in medizinischer Behandlung gewesen. Im Laufe der Zeit habe die Familie das Vertrauen in die aserbaidschanischen Ärzte verloren. Diese hätten veraltete, risikoreiche und zu teure Behandlung vorgeschlagen. In Deutschland erhoffe man sich eine sachgerechte Behandlung.
5Die Klägerin zu 2. bestätigte in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt, die ebenfalls am 24. Mai 2018 stattfand, im Wesentlichen die Angaben des Klägers zu 1. Ergänzend gab sie an, dass die in Aserbaidschan wohnende Familie des Klägers zu 1. einen geringen Teil der Behandlungskosten mitgetragen habe. Gleiches gelte für ihre Mutter. Die Klägerin zu 3. sei fünf oder sechs Mal im Iran operiert worden. Bis sie erwachsen sei müssten noch mehrere risikoreiche Operationen durchgeführt werden. Diese könnten in Aserbaidschan nicht fachgerecht durchgeführt werden, die Familie könne die Kosten dafür zudem nicht tragen.
6Mit Bescheid vom 01. Oktober 2018 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
7Zur Begründung führte das Bundesamt aus, dass die Kläger keine Flüchtlinge im Sinne des § 3 AslyG seien und ihnen auch keiner der in § 4 AsylG genannten ernsthaften Schäden drohe. Nach ihrem eigenen Vortrag habe eine Verfolgung weder gedroht noch stattgefunden. Es lägen auch keine Abschiebungsverbote vor. Aus den von den Kläger eingereichten Attesten ergebe sich, dass bei der Klägerin zu 3. kein akuter medizinischer Handlungsbedarf bestehe. Etwaige in den nächsten Jahren notwendige Operationen könnten auch in Aserbaidschan durchgeführt werden. Der Kläger zu 1. und auch die Klägerin zu 2, die nach eigenen Angaben über ein abgeschlossenes Lehramtsstudium verfüge, seien in der Lage einer geregelten Arbeit nachzugehen und so mögliche Kosten der Behandlung zu erwirtschaften.
8Gegen diesen Bescheid wenden sich die Kläger mit der vorliegenden Klage, die am 15. Oktober 2018 bei Gericht eingegangen ist. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor: Ihre Angaben vor dem Bundesamt könnten jedenfalls nicht zu einer offensichtlichen Unbegründetheit ihrer Anträge führen. Im Übrigen habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 19. Juni 2018 (Az.: C –181/16) entschieden, dass ein abgelehnter Asylbewerber bis zum endgültigen Abschluss des gerichtlichen Verfahrens nicht abgeschoben werden dürfe. In der mündlichen Verhandlung haben sie zudem vorgetragen, dass die Krankheit der Klägerin zu 3. in Aserbaidschan nicht behandelbar sei, bis zu ihrer Volljährigkeit noch etwa zehn risikoreiche Operationen zu Kosten von jeweils 60.000,00 € notwendig seien und die Lebensqualität der Klägerin zu 3. bereits jetzt erheblich eingeschränkt sei.
9Die Kläger beantragen sinngemäß,
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1. die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides vom01. Oktober 2018, zugestellt am 08. Oktober 2018, zu verpflichten, die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,h i l f s w e i s e,
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2. den Klägern den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
w e i t e r h i l f s w e i s e,
143. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Abs. 1 AufenthG festzustellen,
15w e i t e r h i l f s w e i s e,
164. das Offensichtlichkeitsurteil aufzuheben und die Beklagte unter
17entsprechender Abwendung des Bescheides zu verpflichten, die
18Einreise- und Aufenthaltsverbote auf einen Monat zu befristen.
19Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
20die Klage abzuweisen.
21Sie stützt sich auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.
22Mit Beschluss vom 04. Dezember 2018 hat die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Das Gericht hat die Kläger in der mündlichen Verhandlung zu ihrem persönlichen Verfolgungsschicksal angehört.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes Bezug genommen. Ferner wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 09. Januar 2019 sowie die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnisgrundlagen Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe:
25Der Einzelrichter ist zuständig, nachdem ihm die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat (§ 76 Abs. 1 AsylG). Das Gericht kann ferner trotz des Nichterscheinens eines Vertreters der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beklagte mit der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass bei ihrem Ausbleiben auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 1 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Schließlich ist das Gericht auch nicht gehalten, das Verfahren gemäß § 94 VwGO auszusetzen und eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zu beschließen. Unabhängig davon, dass eine Vorlagepflicht nur für letztinstanzliche Gerichte besteht (vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 24. Auflage 2018, § 94 VwGO Rn. 21), ist aus dem im Folgenden dargestellten Gründen eine entsprechende Entscheidung nicht zum Erlass des Urteils erforderlich (Art. 267 des Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV).
26Die zulässige Klage ist unbegründet, da die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 14. November 2016 getroffenen Entscheidungen rechtmäßig sind und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 S. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG, die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG oder die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Auch die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Dies gilt ebenso für die Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 1 – 3 AufenthG.
27Die Kläger sind weder als Asylberechtigte anzuerkennen noch ist ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer ein Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Nr.1) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will (Nr. 2a) oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will (Nr. 2b). Das Vorliegen eines solchen Fluchtgrundes wird von den Klägern nicht behauptet. Auch im Übrigen sind bei der von Amts wegen vorzunehmenden gerichtlichen Überprüfung keine Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.
28Die Kläger können auch keinen subsidiär Schutz gemäß § 4 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 2 AufenthG beanspruchen. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Kläger haben zum Vorliegen einer solchen Gefahr nichts vorgetragen. Gründe für ihre Annahme sind auch im Übrigen nicht ersichtlich.
29Ferner haben die Kläger keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG. Ein die Androhung hinderndes Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG ist in der Regel gegeben, wenn in dem Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
30Eine solche liegt aus gesundheitlichen Gründen vor, wenn sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers auf Grund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, also wenn eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Ausgehend vom asylrechtlichen Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit reicht es dabei nicht aus, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustands im Bereich des Möglichen liegt; sie muss vielmehr überwiegend wahrscheinlich sein.
31Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17. Oktober 2006 –1 C 18/05 –juris; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein–Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 30.10.2006 – 13 A 2820/04 – juris.
32Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation im Zielstaat wegen des geringen Versorgungsstandes generell nicht verfügbar ist oder der Ausländer sie tatsächlich, also individuell aus finanziellen oder sonstigen Gründen, nicht erlangen kann.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 2006 – 1 C 18/05 – juris; BVerwG, Urteil vom 29. 10. 2002 – 1 C 1/02 – juris.
34Allerdings kann von einer zu berücksichtigenden Verschlechterung des Gesundheitszustands nicht schon dann gesprochen werden, wenn lediglich eine Heilung des Krankheitszustandes im Zielstaat nicht zu erwarten oder die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland nicht gleichwertig ist. Ferner ist eine wesentliche Verschlechterung nicht bereits bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustands anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden. Denn das Verbot der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 AufenthG soll dem Ausländer keine Heilung von Krankheit unter Einsatz des sozialen Netzes der Bundesrepublik Deutschland sichern, sondern nur vor einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Leib und Leben bewahren. Daher ist der Ausländer auch grundsätzlich auf die im Zielstaat allgemein üblichen medizinischen Standards verwiesen.
35Vgl. OVG Münster, Beschlüsse vom 20. September 2006 – 13 A 1740/05 – juris; 6. September 2004 – 18 B 2661/03 – juris; 05. August 2004 – 13 A 2160/04 – juris; 20. Oktober 2000 –18 B 1520/00 – juris.
36Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Vorbringen der Antragssteller nicht zur Annahme eines in Bezug auf die Antragstellerin zu 3. vorliegenden Abschiebungsverbotes aus gesundheitlichen Gründen.
37Zur Begründung wird gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid verwiesen (dort S. 7 – 10), denen das Gericht folgt. Im Hinblick auf die Ausführungen der Kläger in der mündlichen Verhandlung ist ergänzend auszuführen:
38Aus dem Ambulanzbrief der orthopädischen Klinik W. vom 19. Juli 2017 ergibt sich, dass die Klägerin zu 3. an einer linkskonvexen thorakalen Skoliose mit Cobb-Winkel von 45,5°, einer Beinlängendifferenz von minus 0,5 cm links und einem Verdacht auf Entwicklungsstörungen leidet. Sie sei 2014 im Iran komplikationslos operiert worden. Das Gangbild sei normal. Zur Abklärung der Notwendigkeit einer Operation wurde die Klägerin zu 3. an Prof. E. . U. T1. in C1. verwiesen, ansonsten wurde die routinemäßige Vorstellung in drei Monaten empfohlen. Aus dem sich daran anschließenden Attest des Arztes der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in C1. , Prof. E. . U. T1. , vom 20. September 2018 folgt, dass die Klägerin zu 3. an einer angeborenen Deformität der Wirbelsäule und der Rippen leidet, diese zur Zeit der Erstellung des Attest jedoch zu keinen Beschwerden führte. Ein aktueller medizinischer Handlungsbedarf bestehe nicht. Allerdings sei der Verlauf der Erkrankung schwierig vorherzusehen und in den nächsten Monaten und Jahren zu beobachten. Bei einer deutlichen Verschlechterung der Skoliose werde die Klägerin zu 3. langfristig unter erheblichen Beschwerden wie Schmerzen im Bereich des Nackens und der oberen Brustwirbelsäule leiden. Dann sei eine aufwendige operative Therapie notwendig. Ferner ist das Attest wohl so zu verstehen, dass eine operative Therapie in den nächsten zwei bis drei Jahren generell empfehlenswert sein wird.
39Demnach kann nicht festgestellt werden, dass die Erkrankung der Klägerin zu 3. lebensbedrohlich ist. Die Atteste bestätigen auch nicht den Vortrag, nach dem der behandelnde Arzt der Klinik in C1. gesagt habe, dass bis zur Volljährigkeit zehn Operationen notwendig sein werden. Gleiches gilt für die Behauptung, dass nach seiner Auskunft jede dieser Operationen 60.000,00 € kosten soll. Im Übrigen können die Kosten einer Behandlung in Deutschland nicht mit denen in Aserbaidschan gleichgesetzt werden.
40Aus den Attesten ergibt sich auch nicht, dass die Klägerin zu 3. bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung erleiden wird. Vielmehr liegen zurzeit keine gravierenden Beeinträchtigungen vor, der weitere Krankheitsverlauf ist offen.
41Selbst dann, wenn es zu dem denkbar ungünstigsten Verlauf kommen sollte, wären die Kläger gehalten die Klägerin zu 3. in Aserbaidschan behandeln zu lassen. Ihre in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, dass die dortigen Ärzte ihnen gesagt hätten dass die Krankheit in Aserbaidschan generell nicht behandelbar ist, steht in Widerspruch zu ihren vor dem Bundesamt gemachten Angaben. Dort haben sie vorgetragen, dass die aserbaidschanischen Ärzte ihnen unter anderem ein Korsett und eine Operation empfohlen hätten. Dies entspricht im Wesentlichen den im Attest der Klinik für Orthopädie Unfallchirurgie in C1. vorgeschlagenen Behandlungsmethoden, auch wenn der dortige behandelnde Arzt aktuell weder eine Operation noch ein Korsett für geboten hält. Es ist auch im Übrigen davon auszugehen, dass die Erkrankung in Aserbaidschan behandelbar ist.
42Dass die Kläger kein Vertrauen in die aserbaidschanischen Ärzte haben, führt nicht zur Annahme eines Abschiebungsverbots. Zwar war den Klägern zu 1. und 2 in der mündlichen Verhandlung deutlich anzumerken, dass sie der Klägerin zu 3., die aufgrund ihrer bestehenden leiblichen Verwandtschaft und der bisherigen Fehlgeburten ihr einziges Kind bleiben soll, die bestmögliche ärztliche Versorgung zukommen lassen wollen. Nach den oben dargestellten Grundsätzen sind sie jedoch darauf verwiesen, das aserbaidschanische Gesundheitssystem in Anspruch zu nehmen.
43Eine Therapie in Aserbaidschan ist für die Kläger auch finanzierbar. Sie sind in der Lage arbeiten zu gehen und können gegebenenfalls die Unterstützung der Mütter des Klägers zu 1. und der Klägerin zu 2. sowie der Schwestern der Klägerin zu 2. in Anspruch zu nehmen. Sie haben auch die Kosten der bisherigen Behandlung der Klägerin zu 3. in Aserbaidschan und sogar eine operative Therapie im Iran tragen können.
44Die Abschiebungsandrohung beruht auf §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG in Verbindung mit § 59 AufenthG und ist ebenfalls rechtmäßig. Etwas anderes folgt auch nicht aus den Grundsätzen, die der Europäische Gerichtshof (EuGH) in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 („Gnandi“) aufgestellt hat.
45In dieser Entscheidung hat sich der EuGH mit der Frage befasst, ob in den Fällen, in denen der Antrag eines Ausländers auf Gewährung internationalen Schutzes abgelehnt wurde, eine Rückkehrentscheidung unmittelbar nach oder zusammen mit der Ablehnung erlassen werden darf. Dies könnte deshalb problematisch sein, weil die Aufforderung zum Verlassen des Staatsgebietes dann vor einer etwaigen gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung ergeht. Der EuGH ist der Ansicht, dass die Richtlinien 2008/115/EG und 2005/85/EG sowie die Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einem solchen Vorgehen der Behörden dann nicht entgegenstehen, wenn unter anderem alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, der Ausländer während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten kommen kann und wenn er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115/EG und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sei Sache der nationalen Gerichte.
46Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 68.
47In den Entscheidungsgründen führt der EuGH unter anderem aus, dass zur Vermeidung einer der Charta der Grundrechte widersprechenden Behandlung dem Ausländer ein Rechtsbehelf zustehen müsse, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfalte. Ferner müssten während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und im Fall seiner Einlegung bis zur Entscheidung über ihn unter anderem alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung ausgesetzt werden. Hierzu genüge es nicht, dass der Mitgliedsstaat von einer zwangsweisen Umsetzung der Rückkehrentscheidung absehe; vielmehr müssten alle ihrer Rechtswirkungen ausgesetzt werden. Diese bedeute insbesondere, dass die Frist für die freiwillige Ausreise nicht zu laufen beginnen dürfe, solange der Ausländer ein Bleiberecht habe.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 54 – 66.
49Diesen Rechtsschutzanforderungen wird das deutsche Asylverfahrensrecht unzweifelhaft bei Klagen, die nach § 75 Abs. 1 AsylG aufschiebende Wirkung haben, gerecht; im Ergebnis allerdings auch in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet. Dies gilt sowohl für die vom EuGH geforderte Aussetzung aller Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung als auch das Erfordernis eines Rechtsbehelfs, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet.
50Auf die Erfüllung dieser Rechtsschutzanforderungen auch bei der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet kommt es im vorliegenden Fall an, weil das Bundesamt eine derartige Regelung in dem angefochtenen Bescheid zu Recht getroffen hat. Die Ablehnung des Asylantrags einschließlich der Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf Gewährung subsidiären Schutzes als offensichtlich unbegründet drängt sich hier auf, weil sich weder aus dem Vortrag der Kläger noch sonst konkrete Anhaltspunkte für entsprechende Ansprüche ergeben.
51Im Hinblick auf das Erfordernis der Aussetzung aller Rechtswirkungen bedarf es der Entscheidung, ob die unter Ziffer 4. des angefochtenen Bescheids getroffene Anordnung, nach der die Ausreisefrist von einer Woche grundsätzlich bereits mit der Bekanntgabe des Bescheides und nicht erst nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu laufen beginnt (vgl. §§ 36 Abs. 1, 38 Abs. 1 S. 2 AsylG) zu einer Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung führt. Diese Frage, die in Rechtsprechung und Literatur noch nicht abschließend geklärt ist, ist zu verneinen.
52Teilweise wird vertreten, dass die Anordnung einer solchen Frist zu freiwilligen Ausreise, die mit der Bekanntgabe des Bescheides und nicht dem Abschluss des (gerichtlichen) Verfahrens zu laufen beginnt, zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung insgesamt führe.
53Vgl. Verwaltungsgericht (VG) Arnsberg, Beschluss vom 17. Dezember 2018 – 3 L 1935/18.A –, juris; wohl auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – 11 S 2125/18 –, juris Rn. 14; offen gelassen von VG Würzburg, Beschluss vom 24. September 2018 – W 2 S 18.31990 –, juris; Gutmann, Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, in: NVwZ 2018, S. 1629 – 1631; siehe auch Hruschka, Anmerkung zum EuGH-Urteil vom 19. Juni 2018 in der Rechtssache „Gnandi“, in: Asylmagazin 2018, Heft 9, S. 290 – 293, der die Notwendigkeit einer Änderung des nationalen Rechts sieht.
54Nach anderer Auffassung ist bereits nach der geltenden Gesetzeslage davon auszugehen, dass der Lauf der Ausreisefrist erst mit der (negativen) gerichtlichen Entscheidung über den Eilantrag in Gang gesetzt wird. Dies führe bei einer im Übrigen gegebenen Rechtmäßigkeit des Bescheides zur vollständigen Ablehnung des Eilantrags. Als Begründung wird teilweise eine europarechtskonforme Auslegung des § 36 Abs. 1, Abs. 3 S. 8 AsylG und teilweise die Ansicht, dass mit rechtzeitiger Stellung des Eilantrags die im Bescheid gesetzte Ausreisefrist gemäß § 59 Abs. 1 S. 6 AufenthG unterbrochen wird, herangezogen.
55Vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 11. Dezember 2018 – A 2 K 10728/18 –, juris; VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A –, juris Rn. 27 m.w.N.; noch offen gelassen von VG Berlin, Beschluss vom 24. September 2018 – 36 L 358.18 A –, juris.
56Schließlich wird vertreten, dass sich aus den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen generell keine Rechtswidrigkeit einer solchen Abschiebungsandrohung ergibt.
57Vgl. VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2018 – 5 L 4508/18.F.A. – juris; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris; VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 - 2 B 1616/18 - asyl.net: M26508, unter Hinweis auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018, 10 B 4228/18; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 05. Juli 2018 – 20 B 17.31636 –, juris Rn. 40; Wittkopp, Abschiebung abgelehnter Asylbewerber im Einklang mit Unionsrecht – Das Urteil „Gnandi“ des EuGH, in: ZAR 2018, S. 325 – 331; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, EuGH: Zur Verbindung von Ablehnungs- und Rückkehrentscheidungen, in: Entscheiderbrief 11-12/2018, S. 4 – 6; siehe auch Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. November 2018 – 12 S 2504/18 –, juris.
58Dieser letztgenannten Auffassung ist zu folgen. Es ist nicht davon auszugehen, dass der EuGH auch für die Fälle der Ablehnung eines nach dem 20. Juli 2015 gestellten Asylantrags als offensichtlich unbegründet verlangt, dass die Frist erst nach dem Abschluss des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens zu laufen beginnt.
59Denn das in dem Verfahren „Gnandi“ ergangene Urteil stützt sich auf die Bestimmungen der Richtlinie 2005/85/EG, die jedoch mittlerweile durch die Richtlinie 2013/32/EU abgelöst worden sind.
60In der Richtlinie 2005/85/EG war in Art. 39 Abs. 1 im Wesentlichen nur geregelt, dass abgelehnte Asylbewerber das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht oder Tribunal haben. In Art. 39 Abs. 3 dieser Richtlinie wurde den Mitgliedsstaaten zudem die Möglichkeit eingeräumt, im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen Vorschriften festzulegen im Zusammenhang mit den Fragen, ob der Rechtsbehelf nach Art. 39 Abs. 1 zur Folge hat, dass Antragsteller sich bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen und der Möglichkeit eines Rechtsmittels oder von Sicherungsmaßnahmen, wenn der Rechtsbehelf nach Art. 39 Abs. 1 nicht zur Folge hat, dass sich Antragsteller bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im betreffenden Mitgliedstaat aufhalten dürfen.
61Diese Regeln sind mit der Richtlinie 2013/32/EU durch ein ausdifferenzierteres System ersetzt worden. Demnach stellen die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 46 Abs. 1 sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht gegen die in Art. 46 Abs. 1 a) bis c) genannten ablehnenden Entscheidungen haben. Nach Art. 46 Abs. 4 und 5 legen die Mitgliedsstaaten angemessene Fristen für die Wahrnehmung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 46 Abs. 1 fest und gestatten unbeschadet von Art. 46 Abs. 6 den Antragstellern das Recht zum Verbleib in ihrem Staatsgebiet bis zum Ablauf der Rechtsbehelfsfrist oder bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf. Nach Art. 46 Abs. 6 sind demgegenüber unter anderem in dem hier vorliegenden Fall der Ablehnung eines Antrags als offensichtlich unbegründet die Gerichte befugt, „entweder auf Antrag des Antragstellers oder von Amts wegen darüber zu entscheiden, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, wenn die Entscheidung zur Folge hat, das Recht des Antragstellers auf Verbleib in dem Mitgliedstaat zu beenden und wenn in diesen Fällen das Recht auf Verbleib in dem betreffenden Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf im nationalen Recht nicht vorgesehen ist“. Gemäß Art. 46. Abs. 8 gestatten die Mitgliedsstaaten dem Antragsteller bis zur Entscheidung in dem Verfahren nach den Abs. 6 und 7 darüber, ob der Antragsteller im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf, im Hoheitsgebiet zu verbleiben.
62Diesem Regelungssystem entsprechen die §§ 34 – 43 AsylG und §§ 74, 75 AsylG. Demnach ist insbesondere die Bestimmung, dass bei einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet der Antragssteller nur bis zum Abschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ein Recht zum Verbleib hat, nach Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU europarechtskonform. Unter anderem in den Fällen der offensichtlichen Unbegründetheit ist es ausdrücklich zulässig, dass (1) die Behörden eine Entscheidung treffen können, die das Recht des Asylbewerbers auf Verbleib im Mitgliedsstaat beendet, dass (2) das nationale Recht nicht vorsehen muss, dass ein Recht auf Verbleib im Mitgliedstaat bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf besteht und dass es (3) dann einem Gericht obliegt darüber zu entscheiden, ob der Asylbewerber (bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens) im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats verbleiben darf (Art. 46 Abs. 6 a.E.). Dieses gestufte Rechtsschutzsystem, dem das deutsche Verfahrensrecht entspricht, setzt voraus, dass eine von der Behörde gesetzte Ausreisefrist sofort zu laufen beginnt, weil die Behörde es sonst nicht in der Hand hätte das Recht auf Verbleib zu beenden und eine gesonderte Entscheidung eines Gerichts über den Verbleib bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens überflüssig wäre. Würde die Ausreisefrist während der Rechtsbehelfsfrist und – bei Einlegung eines Rechtsbehelfs – bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht zu laufen beginnen, bräuchte es nicht der von Art. 46 Abs. 6 und §§ 80 Abs. 5 VwGO, 36 Abs. 3 AsylG vorgesehenen Entscheidung des Gerichts über ein (vorläufiges) Bleiberecht. Auch die Regelung des Art. 46 Abs. 8 hätte keinen Anwendungsbereich, wenn die Ausreisfrist nicht schon zu laufen beginnen würde. Ferner sieht Art. 46 Abs. 8 ein Bleiberecht nur für den Zeitraum bis zur gerichtlichen Eilentscheidung und nicht bis zum Ablauf einer danach beginnenden Ausreisfrist vor. Von dem EuGH ist dies in der Entscheidung „Gnandi“ nicht berücksichtigt worden, weil die Richtlinie 2013/32/EU gemäß ihres Art. 52 erst auf nach dem 20. Juli 2015 gestellte Anträge auf internationalen Schutz Anwendung findet.
63Vgl. VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26. November 2018 – 5 L 4508/18.F.A. – juris Rn. 14; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris; VG Stade, Beschluss vom 30.07.2018 – 2 B 1616/18 – asyl.net: M26508, unter Hinweis auf VG Hannover, Beschluss vom 12. Juli 2018 – 10 B 4228/18 –.
64Die Auffassung, dass aufgrund des formalen Kriteriums des Fristbeginns die nach den §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG erlassen Abschiebungsandrohungen generell rechtswidrig sein sollen, würde zudem zu nur schwer hinnehmbaren Ergebnissen führen. Dies gilt vor allem für die von ihr gezogenen Konsequenz, dass jedem Eilantrag unabhängig von seiner Begründetheit im Übrigen stattzugeben sein soll. Denn dann wäre ein Ausländer, dessen Antrag auch nach der Auffassung des Gerichts offensichtlich keinen Erfolg haben wird (etwa weil sein Vorbringen offenkundig falsch ist, er gefälschte Beweismittel vorgelegt oder über seine Identität getäuscht hat, § 30 Abs. 3 Nr. 1 – 3 AsylG) oder bereits unzulässig ist (§§ 36 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4, Art. 46 Abs. 6 b) der Richtlinie 2013/32/EU), bis zum Abschluss des oft mehrere Jahre dauernden Hauptsacheverfahrens nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Dies würde dem Wortlaut der §§ 34 – 43, 74, 75 AsylG sowie des Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU und ihrem Regelungszweck, erkennbar aussichtslose Verfahren effizient zu gestalten, zuwiderlaufen.
65In der hier vertretenen Lösung liegt keine unzumutbare Verkürzung des Rechtsschutzes des Ausländers. Dieser darf in den Fällen des negativen Ausgangs des Eilverfahrens und der damit tatsächlich vorliegenden offensichtlichen Unbegründetheit seines Antrags nicht auf einen längeren Aufenthalt im Bundesgebiet vertrauen, sondern muss ich auf seine Ausreise nach Beendigung des Eilverfahrens einstellen. Dies gilt erst recht für die Fälle der erfolglosen Durchführung eines Hauptsacheverfahrens. Ferner ist ihm unabhängig davon nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens eine Frist zur freiwilligen Ausreise zuzubilligen.
66Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1986 – 1 C 16/85 –, juris Rn 21 und 22.
67Aufgrund der Bestimmungen der Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU ist es auch nicht selbstverständlich, dass der EuGH verbindliche Anforderungen für alle Verfahrensarten aufstellen wollte, die über die Bestimmungen der Richtlinie 2013/32/EU hinausgehen. Der Entscheidung „Gnandi“ ist schon nicht ausdrücklich zu entnehmen, dass die Ausreisefrist erst nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens zu laufen beginnen muss. Die nicht Teil des Tenors gewordene Formulierung, dass diese Frist nicht zu laufen beginnen darf, „solange der Betroffene ein Bleiberecht hat“, kann auch so verstanden werden, dass er nur während des laufenden gerichtlichen Verfahrens den Mitgliedsstaat nicht verlassen muss. Dies entspricht dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits und der Vorlagefrage. Ferner stellt der EuGH in den weiteren Entscheidungsgründen hinsichtlich der Rechte des Antragsstellers stets auf den Abschluss des gerichtlichen Verfahrens und nicht an eine sich daran anknüpfende Ausreisefrist ab.
68Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juni 2018, – C-181/16, Celex-Nr. 62016CJ0181 – juris Rn. 63 a.E. und 66 a.E.
69Auch in seinem Beschluss vom 05. Juli 2018, in dem wiederholt auf die im Verfahren „Gnandi“ ergangene Entscheidung Bezug genommen wird, fordert der EuGH nur, das die Wirkungen der Rückkehrentscheidung bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens auszusetzen sind. Unter Hinweis auf Art. 46 Abs. 8 der Richtlinie 2013/32/EU stellt er ausdrücklich fest, dass in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet die Mitgliedsstaaten Ausländern einen Verbleib in ihrem Hoheitsgebiet nur bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über ihr Bleiberecht gestatten müssen. Er verlangt nicht, dass sich daran noch die ursprünglich gesetzte Ausreisefrist anschließt.
70Vgl. EuGH, Beschluss vom 05. Juli 2018 – C-269/18 PPU –, juris Rn. 53; siehe auch VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 21.
71Die geltende Rechtslage wird im Ergebnis auch dem vom EuGH aufgestellten Erfordernis eines Rechtsbehelfs, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung entfaltet, gerecht.
72Zwar hat gemäß §§ 75 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG eine Klage gegen die in dem Bescheid getroffenen Entscheidungen nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Vielmehr ist der Ausländer gehalten, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen.
73Dies entspricht jedoch – wie dargestellt – dem von Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32/EU ausdrücklich vorgesehenen Regelungssystem.
74Ferner sind die Folgen der Stellung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis mit denen einer kraft Gesetzes bestehenden aufschiebenden Wirkung identisch, so dass eine äquivalente Rechtsschutzdichte besteht.
75So ist gemäß § 36 Abs. 3 S. 8 AsylG eine Abschiebung des Ausländers vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Dabei handelt es sich um mehr als ein (vom EuGH als nicht ausreichend angesehenes) bloßes Absehen von einer Abschiebung durch die Behörden, weil die Rechtsfolge gesetzlich vorgeschrieben ist. Auch eine Inhaftierung des Ausländers ist während der Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens nicht zulässig, da keine vollziehbare Ausreispflicht besteht (vgl. § 62 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG).
76Dem Ausländer stehen mindestens für die Dauer des gerichtlichen Verfahrens alle Rechte aus der Richtlinie 2003/9/EG und der sie ablösenden Richtlinie 2013/33/EU zu. Insbesondere behält er seine Rechte aus der Aufenthaltsgestattung (vgl. § 67 Abs. 1 Nr. 4 AsylG) einschließlich der Rechte aus dem Asylbewerberleistungsgesetz (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Asylbewerberleistungsgesetz – AsylbLG).
77Der Prüfungsumfang des Verfahrens auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes genügt ebenfalls den europarechtlichen Anforderungen. Zwar ist eine mündliche Verhandlung nicht erforderlich (§§ 80 Abs. 5, Abs. 7, 101 Abs. 3 VwGO, 36 Abs. 3 S. 4 AsylG), dafür ist gemäß § 36 Abs. 4 S. 1 VwGO die Abschiebung bereits bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung auszusetzen und nicht erst bei voller richterlicher Überzeugung. Der Ausländer kann sich zudem auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung von Umständen berufen, die Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben könnte (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG).
78Schließlich wird der Ausländer durch die dem Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung transparent über die Einhaltung der vorgenannten Garantien informiert.
79Vgl. VG Berlin, Beschluss vom 30. November 2018 – 31 L 682.18 A – juris Rn. 22 – 29 m.w.N., auch zur Gegenansicht; VG Münster, Beschluss vom 08. Oktober 2018 – 9 L 976/18 –, juris Rn. 11.
80Die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots entspricht den Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG.
81Nach alldem ist die Klage auch hinsichtlich sämtlicher Hilfsanträge unbegründet.
82Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 S. 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.
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- §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG 4x (nicht zugeordnet)
- § 59 AufenthG 1x (nicht zugeordnet)
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- 1 C 16/85 1x (nicht zugeordnet)
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