Beschluss vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 7 L 1565/20
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 36.640,- Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der am 11. August 2020 wörtlich gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage – Az.: 7 K 5410/20 – gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. Juli 2020 mit der Bezeichnung „Vermeidung weiterer Infektionsgeschehen in Großbetrieben der Fleischwirtschaft – Allgemeinverfügung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales (CoronaAVFleischwirtschaft)“, Gliederungsnummer 2128, veröffentlicht im Ministerialblatt für das Land Nordrhein Westfalen (Mbl. NRW), Ausgabe 2020 Nr. 18a vom 20. Juli 2020, Seite 431a bis 437a insoweit anzuordnen, als dass die Allgemeinverfügung den Betrieb der Antragstellerin betrifft,
4hat keinen Erfolg.
5Der zulässige Antrag ist unbegründet.
6Das Gericht macht von der ihm durch § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO eingeräumten Befugnis, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen sofort vollziehbaren Verwaltungsakt anzuordnen, Gebrauch, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen, von Vollziehungsmaßnahmen (vorerst) verschont zu bleiben, gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Durchsetzung der getroffenen Maßnahme überwiegt. Bei der Interessenabwägung spielt neben der gesetzgeberischen Grundentscheidung die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsakts eine wesentliche Rolle. Ergibt diese – im Rahmen des Eilrechtschutzes allein mögliche und gebotene summarische – Prüfung, dass der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen Verwaltungsakts kann grundsätzlich kein öffentliches Interesse bestehen. Erweist sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig, überwiegt nach der gesetzgeberischen Wertung das behördliche Aussetzungsinteresse. Erscheinen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache als offen, ist die Entscheidung auf der Grundlage einer umfassenden Folgenabwägung vorzunehmen.
7Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe fällt die Interessenabwägung zu Lasten der Antragstellerin aus.
81. Es spricht nach der wegen der Eilbedürftigkeit der Sache nur möglichen vorläufigen Prüfung der Rechts- und summarischen Prüfung der Sachlage,
9vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 23. Februar 2018 – 1 VR 11/17– Rn. 15, juris,
10Überwiegendes dafür, dass sich die angefochtene Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. Juli 2020 im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird und die Antragstellerin damit nicht in ihren Rechten verletzen wird, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
11Ihre Rechtsgrundlage findet die Allgemeinverfügung in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung oder Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden.
12Die Verfügung ist formell rechtmäßig. Das Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales Nordrhein Westfalen ist für ihren Erlass zuständig, § 3 Abs. 2 Nr. 2 IfSBG NRW.
13Auch die Entscheidung des Antragsgegners, die angeordneten Maßnahmen in der Rechtsform einer Allgemeinverfügung zu erlassen, unterliegt keinen durchgreifenden Bedenken. Nach § 35 Satz 2 VwVfG handelt es sich bei der Allgemeinverfügung um einen Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft. Der Adressatenkreis wird nach allgemeinen Merkmalen und damit gattungsmäßig bestimmt, wobei maßgebliches Abgrenzungskriterium die Konkretheit des Sachverhalts ist. Das Gattungsmerkmal, das den Personenkreis bestimmt, kann auch durch ein konkretes Ereignis hergestellt werden, das Anlass für eine Anordnung an einen näher umschriebenen Personenkreis ist. Die Bestimmtheit des geregelten Lebenssachverhalts unterscheidet dabei die personenbezogene Allgemeinverfügung von der Rechtsnorm, bei der weder der Adressatenkreis noch der zu regelnde Lebenssachverhalt konkret bestimmt sind.
14Anlass der Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 ist die aktuell bestehende Pandemielage. Da es sich hierbei um einen einzelnen und konkret erkennbaren Sachverhalt handelt, nimmt der Umstand, dass die streitgegenständliche Allgemeinverfügung auf eine Vielzahl von Betrieben auswirkt, ihr nicht den Charakter einer einzelfallbezogen Regelung. Denn anders als bei einer abstrakt generellen Regelung, die den Erlass einer Rechtsnorm erfordern würde, ist Grundlage der Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 eine von der Behörde anhand von aktuellen medizinischen und epidemiologischen Erkenntnissen angestellte Gefahrenprognose. Es geht um die Bekämpfung konkreter, unmittelbar drohender Gefahren für/bzw. durch den betroffenen Personenkreis aufgrund der aktuellen Pandemie und gerade nicht um die Abwehr einer abstrakten Gefahr.
15vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1961, – BVerwG I C 54/57 –, NJW 1961 2077 (2078); VG Dresden, Beschluss vom 15. April 2020 – 6 L 257/20 – juris.
16Die Allgemeinverfügung vom 20. Juli 2020 ist zeitlich befristet und knüpft an das Bestehen der aktuellen Gefahrenlage aufgrund der Corona-Pandemie an, entfaltet jedoch keine Wirkungen unabhängig von diesem Anlass und über diesen konkreten Sachverhalt hinaus im Hinblick etwa auf zukünftige, anderweitige gesundheitliche Gefahrenlagen. Sie betrifft sämtliche Schlacht-, Zerlegungs- und Fleischverarbeitungsbetriebe, Wildbearbeitungsbetriebe sowie sonstigen Betriebe, die Lebensmittel aus unverarbeitetem Fleisch herstellen oder behandeln mit mehr als 100 Beschäftigten an einem räumlich zusammenhängenden Standort innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen und ist daher sowohl anlassbezogen als auch hinsichtlich des Personenkreises hinreichend bestimmt.
17Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung ist voraussichtlich auch materiell rechtmäßig.
18Zunächst bestehen hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bestimmtheit, § 37 Abs.1 VwVfG NRW keine Bedenken. Soweit der Adressatenkreis der Allgemeinverfügung in Ziffer 1 neben den Schlacht-, Zerlegungs- und Fleischverarbeitungsbetrieben, Wildbearbeitungsbetrieben auch „sonstige Betriebe, die Lebensmittel aus unverarbeitetem Fleisch herstellen oder behandeln,“ umfasst, ist die Bezeichnung der Betroffenen nach ihren generellen Merkmalen bereits für sich betrachtet hinreichend konkretisiert, so dass Unklarheiten in Bezug auf den Empfängerkreis nicht bestehen. Auch der Begriff „räumlich zusammenhängender Standort“ ist selbsterklärend und bedarf keiner weiteren Definition.
19Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die streitgegenständlichen Regelungen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG liegen voraussichtlich vor.
20Für die Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen ist es nach § 28 Abs. 1 IfSG erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine übertragbare Krankheit aufgetreten ist, deren Weiterverbreitung verhindert werden soll. Das ist vorliegend der Fall, da in allen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland, auch in Nordrhein-Westfalen, eine Vielzahl von Infektionsfällen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 bestätigt wurden. Stand 24. August 2020 wurden 233.575 laborbestätigte COVID-19 Fälle an dasRobert-Koch-Instituts (RKI) übermittelt, darunter 9.272 Todesfälle.
21Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html, zuletzt abgerufen am 24. August 2020.
22An den Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG fehlt es entgegen der Auffassung der Antragstellerin auch nicht deshalb, weil nach derzeitigem Erkenntnisstand weder sie selbst noch einer ihrer Beschäftigten „krank“ oder „ansteckungsverdächtig“ im Sinne von § 2 Nr. 5 und 7 IfSG sind. Die Vorschrift ermächtigt grundsätzlich zu Maßnahmen auch gegenüber Nichtstörern,
23vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH Baden-Württemberg), Beschluss vom30. Juli 2020 – 1 S 2087/20 – Rn. 45, m.w.N., juris.
24Die in Ziffern 1.1. bis 1.3. angeordneten Maßnahmen, die die Antragstellerin im Wesentlichen zu zwei- bzw. einmalwöchentlichen Reihentests der Beschäftigten in der Produktion sowie zur Information ihrer Beschäftigten über die Verpflichtung, bei Erkältungssymptomen zuhause zu bleiben, über allgemeine Hygienemaßnahmen und das richtige Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen und zum Vorhalt der Namen und Aufenthaltsadressen sämtlicher auf dem Betriebsgelände befindlicher Personen verpflichtet, stellen Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Abs.1 Satz 1 IfSG und – entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine reine Ermittlungsmaßnahme im Sinne von § 25 IfSG dar.
25Insbesondere die Reihentestung kann dazu beitragen, in einer Gruppe von asymptomatischen Menschen Infektionen mit dem Coronavirus frühzeitig zu erkennen und diese Personen bei Bedarf zu isolieren, um so die andernfalls drohende Weiterverbreitung des Virus zu verhindern. Dass die Durchführung eines Tests einen bereits Infizierten nicht mehr vor der Infektion schützen kann, steht der Einordnung des Tests als „Schutzmaßnahme“ im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 CoronaVO daher nicht entgegen,
26vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juli 2020 – a.a.O., Rn. 46, juris.
27Es spricht weiter Überwiegendes dafür, dass der Antragsgegner von seinem Auswahlermessen auf der Rechtsfolgenseite in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht hat.
28Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 vor, ist der Antragsgegner zum Handeln verpflichtet (gebundene Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen - „wie“ des Eingreifens - ist der Behörde Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16/11 – Rn. 24, juris.
30Art und Umfang der in Ziffer 1. der angefochtenen Allgemeinverfügung angeordneten Maßnahmen werden sich nach der insoweit eingeschränkten gerichtlichen Prüfungskompetenz (§ 114 Satz 2 VwGO) voraussichtlich als ermessensfehlerfrei, insbesondere als verhältnismäßig erweisen.
31Dass die in den Ziffern 1.2. und 1.3 getroffenen Regelungen unverhältnismäßig sein könnten, wird von der Antragstellerin nicht vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich.
32Auch die unter Ziffer 1.1. geregelte Verpflichtung zur Durchführung von Reihentestungen auf Kosten der Antragstellerin erweist sich voraussichtlich als verhältnismäßig.
33Sie verfolgt einen legitimen Zweck. Der Antragsgegner verfolgt damit das Ziel der Verhinderung der weiteren Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und speziell dem Schutz der Bevölkerung vor von einem massenhaften Infektionsgeschehen ausgehenden Gefahren.
34Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner weiterhin davon ausgeht, dass die Corona-Pandemie eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründet, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung grundsätzlich gebietet. Auch wenn sich das Infektionsgeschehen aufgrund der ergriffenen Maßnahmen insgesamt verlangsamt hat, besteht die Gefahr der unkontrollierten Verbreitung der Infektion und daran anknüpfend einer Überlastung des Gesundheitswesens mit gravierenden Folgen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung fort,
35vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 20. August 2020 – 13 b 1197/20.NE – Rn. 47, juris.
36Die Anzahl der an das Robert Koch-Institut übermittelten Neuinfektionsfälle war seit Mitte März bis Anfang Juli rückläufig, seitdem nimmt die Fallzahl stetig zu. Dieser Anstieg hat sich in den letzten Wochen deutlich beschleunigt. Gegenwärtig ist insbesondere in Nordrhein-Westfalen wieder ein Anstieg der Infektionszahlen zu verzeichnen, den das Robert Koch-Institut als beunruhigend bezeichnet.
37Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-07-28-de.pdf?__blob=publicationFile, Stand: 19. August 2020.
38Nach den Feststellungen des Robert Koch-Instituts handelt es sich weiterhin um eine sehr dynamische Situation. Die Gefährdung für die Bevölkerung wird nach wie vor als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen sogar als sehr hoch.
39Vgl. noch einmal Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Aktualisierter Stand für Deutschland, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ /N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html, Stand: 19. August 2020.
40In Rechnung zu stellen ist zudem, dass es in den letzten Monaten zu massiven Infektionsgeschehen in verschiedenen Schlachthöfen und fleischverarbeitenden Betrieben gekommen ist. Der Antragsgegner führt in der Antragserwiderung insoweit exemplarisch auf, dass es Anfang Mai 2020 im Betrieb der Firma X. nachweislich zu 299 positiven Testergebnissen, Mitte Mai im Betrieb der Firma U. in S. -X1. zu einer vierstelligen Infiziertenzahl und im Juni 2020 in einem Betrieb für Herstellung von Döner-Fleisch in N. zu 79 infizierten Personen gekommen sei, wobei bei letzterem nach Auskunft der Bezirksregierung Düsseldorf an den Antragsgegner keine Schlachtung und Zerlegung sondern lediglich Fleischverarbeitung vorgenommen werde. Dass es sich bei dem Betrieb in N. um einen fleischverarbeitenden Betrieb handelt, zieht die Kammer aufgrund dieser Auskunft nicht in Zweifel. Dies deckt sich auch mit den Erkenntnissen des VG Minden.
41Vgl. VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 – 7 L 662/20 –.
42Der allgemein bekannten Presseberichterstattung lassen sich weitere Ausbrüche in der Fleischwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern entnehmen.
43Auch das Robert Koch-Institut führt aus, dass der Anstieg der Fallzahlen bei Tätigkeiten im Lebensmittelbereich (§ 42 IfSG) größtenteils auf Ausbrüche in fleischverarbeitenden Betrieben zurückzuführen sei,
44Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht zur Coronavirus-Krankheit-2019 (Covid-19) 24.08.2020 https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html
45Dies stützt die Einschätzung des Antragsgegners in der Begründung der Allgemeinverfügung, dass erhebliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass größere Betriebe dieser Branche aufgrund der Mitarbeiterstruktur, der Arbeitsorganisation und der Arbeitssituation in der Produktion ein gesteigertes Infektions- und Verbreitungsrisiko bergen.
46Zur Erreichung dieses Zieles ist das vom Antragsgegner gewählte Mittel der Anordnung von Reihentestungen auch geeignet.
47Eine Maßnahme ist geeignet, wenn mit ihrer Hilfe der erstrebte Erfolg zumindest gefördert werden kann, wobei der zuständigen Behörde bei der Beurteilung der Eignung der Maßnahme ein Beurteilungsspielraum zusteht. Es ist nicht notwendig, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.
48Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 10. April 1997 – 2 BvL 45/92 –, Rn. 61, m.w.N., juris.
49Zweifel an der Eignung der in Ziffer 1.1 vorgesehenen Reihentestungen ergeben sich auch nicht aus den von der Antragstellerin hervorgehobenen Stellungnahmen des RKI zur Durchführung von anlasslosen Reihentestungen. Dazu führt der VGH Baden-Württemberg aus:
50Es trifft zu, dass das RKI ausgehend vom derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand von einer ungezielten Testung von asymptomatischen Personen insbesondere aufgrund der unklaren Aussagekraft eines negativen Ergebnisses, das lediglich eine Momentaufnahme darstellt, „in der Regel“ abrät (vgl. RKI, „Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2“, Anlage 4 zum Antragsschriftsatz, zuletzt abgerufen am 30.07.2020 unter https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vorl_Testung_nCoV.html,). Allerdings weist das RKI auch darauf hin, dass es abweichend von dieser Regel in bestimmten Situationen und Einrichtungen sinnvoll sein kann, Personen ohne erkennbare Symptome nach einem bestimmten Schema hinsichtlich einer SARS-CoV-2 Infektion zu untersuchen. Es nennt dazu (beispielhaft) Einrichtungen der stationären Patientenversorgung, Alten- und Pflegeeinrichtungen sowie Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen (vgl. RKI ebd.). (…) Diesen Einschätzungen des RKI liegt ersichtlich die Annahme zugrunde, dass Reihentestungen ungeachtet der damit verbundenen Nachteile (Momentaufnahme, Schaffung eines trügerischen Sicherheitsgefühls) dann ein geeignetes Mittel zur Verhinderung der Weiterverbreitung des Coronavirus darstellen, wenn eine Einrichtung vom Blickpunkt des Infektionsschutzes aus betrachtet besondere Gefahren birgt, weil viele, unter Umständen auch sehr vulnerable Personen dort regelmäßig zusammenkommen, vor Ort erhöhten Infektionsgefahren ausgesetzt sind und ein einzelner Infektionsherd deshalb in kurzer Zeit zu einer sehr schnellen und umfassenden, deshalb womöglich in der Infektionskette auch nicht mehr nachvollziehbaren und eindämmbaren Weiterverbreitung des Virus führen kann. Davon ausgehend ist der Antragsgegner aller Voraussicht nach ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Durchführung von anlasslosen Reihentestungen auch in Schlacht-, Zerlegungs-, Fleischverarbeitungs- und ähnlichen Betrieben, deren Betriebsstätten im Schlacht- und Zerlegebereich über mehr als 100 Beschäftigte verfügen, ein geeignetes Mittel sein kann, um sein infektionsschutzrechtliches Ziel zu erreichen. Er weist zutreffend darauf hin, dass diese Betriebe typischerweise durch eine Reihe von Besonderheiten geprägt sind, die zu besonderen Infektionsgefahren der zuvor skizzierten Art führen, darunter die Zahl der dort tätigen Personen, die aus lebensmittelhygienischen Gründen gebotene Absenkung der Temperatur in den Betriebsstätten, die Schwere der körperlichen Arbeit, die zu einem erhöhten Aerosolausstoß führt, die hohe Fluktuation der vielfach durch Subunternehmer gestellten Mitarbeiter sowie teilweise zusätzlich deren Unterbringung in Sammelunterkünften.
51VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. Juli 2020 – 1 S 2087/20 –, Rn. 51 ff, juris.
52Dieser Ansicht schließt sich die Kammer an.
53Die in Ziffer 1 der angefochtenen Allgemeinverfügung vorgesehenen Maßnahmen dürften auch erforderlich sein,
54vgl. VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 – 7 L 662/20 –; a.A. VG Münster, Beschluss vom 6. August 2020 – 5 L 596/20 –.
55Das Mittel ist dann erforderlich, wenn es keine mildere Maßnahme gibt, die denselben Erfolg mit gleicher Sicherheit erzielt.
56Solange eine epidemische Lage wie vorliegend durch erhebliche Ungewissheiten und sich ständig weiterentwickelnde fachliche Erkenntnisse geprägt ist, ist ihm eine entsprechende Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen.
57Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE – Rn. 90, juris.
58Gravierende Unsicherheiten bei der prognostischen Bewertung des weiteren Ausbruchsverlaufs können es – auch mit Blick auf künftig auftretende sog. Superspreading-Events – dabei rechtfertigen, vorübergehend eine stärker typisierende Betrachtung (verbleibender) Risikotatbestände anzulegen und stärker generalisierende Regelungen zu treffen. Allerdings steigen die Differenzierungsmöglichkeiten mit einer Verdichtung der Erkenntnislage.
59OVG NRW, Beschluss vom 06. Juli 2020 – 13 B 940/20.NE –, Rn. 54, juris.
60Nach diesen Maßnahmen ist die der Antragstellerin auferlegte Testverpflichtung voraussichtlich nicht zu beanstanden.
61Welche betriebsorganisatorischen oder technischen Gründe konkret das Infektionsgeschehen begünstigen, ist – dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig – noch nicht abschließend wissenschaftlich geklärt.
62Der Antragsgegner legt der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung für das Gericht nachvollziehbar die Annahme zugrunde, dass multiple – für die Fleischwirtschaft typische – Risikofaktoren, wie z.B. Belüftungsanlagen im Zusammenspiel mit der für diese Betriebe typischerweise erforderlichen Luftkühlung, die Mitarbeiterstruktur, die Arbeitsorganisation und die Arbeitssituation in der Produktion die Verbreitung fördern.
63In einer ersten vorab auf der Preprint-Plattform SSRN erschienenen Untersuchung der Ausbrüche in S. -X1. und E. wird sinngemäß ausgeführt:
64„Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die klimatischen Bedingungen des Betriebes einschließlich niedriger Temperaturen, geringem Luftaustausch, konstanter Luftzirkulation zusammen mit relativ nahen Abständen zwischen den Arbeitern und anspruchsvoller körperlicher Arbeit ein ungünstiges Zusammenspiel von Faktoren verursacht, die eine Aerosolverbreitung vonSARS-CoV-2 Partikeln begünstigte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese oder ähnliche Faktoren auch für die derzeitigen weltweiten Ausbrüche in anderen fleisch- oder fischverarbeitenden Betrieben verantwortlich sind. Der wiederholte Auftritt von solchen Ausbrüchen in fleisch- oder fischverarbeitenden Betrieben zeigt, dass Angestellte in fleisch- oder fischverarbeitenden Betrieben regelmäßig und systematisch getestet werden müssen, um zukünftige SARS-CoV-2 Ausbrüche zu verhindern (…) Es werden weitere Studien benötigt um die wichtigsten Parameter zu determinieren, die zur Risikoverminderung verändert werden könnten, z.B. über die Verbesserung der Luftzufuhr oder der Ventilation. Im Gegensatz zu Kontakten im Arbeitsumfeld, haben Faktoren wie Gemeinschaftswohnungen, Gemeinschaftsschlafräume oder Fahrgemeinschaften scheinbar keine entscheidende Rolle beim ersten Ausbruch gespielt. Nichtsdestotrotz könnten spätere Virusübertragungen innerhalb von Gemeinschaftsunterkünften oder Fahrgemeinschaften sehr wohl mitursächlich für den zweiten, größeren Ausbruch einen Monat später gewesen sein.“Vgl. Guenther, Thomas and Czech-Sioli, Manja and Indenbirken, Daniela and Robitailles, Alexis and Tenhaken, Peter and Exner, Martin and Ottinger, Matthias and Fischer, Nicole and Grundhoff, Adam and Brinkmann, Melanie, Investigation of a superspreading event preceding the largest meat processing plant-related SARS-Coronavirus 2 outbreak in Germany (July 17, 2020). Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3654517 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3654517, zuletzt abgerufen am 21. August 2020 (Übersetzung durch die Kammer).
65Der Antragstellerin ist zuzugeben, dass – soweit ersichtlich – das Hauptaugenmerk in der wissenschaftlichen Diskussion – wie auch in der oben zitierten Studie – auf Schlacht- und Zerlegebetrieben gelegen hat. Es ist aus Sicht der Kammer aber nicht hinreichend gesichert, dass eine entsprechende Gefährdung nicht auch von fleischverarbeitenden Betrieben – wie dem der Antragstellerin – ausgeht. Der Antragsgegner verweist insoweit nachvollziehbar auf das Ausbruchsgeschehen in dem Dönerfleischverarbeitungsbetrieb in N. . Konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse, unter welchen Voraussetzungen nicht mehr von einem erhöhten Infektionsrisiko ausgegangen werden kann, lassen sich der Studie nicht entnehmen. Die Verfasser gehen vielmehr davon aus, dass es noch weiterer Studien zur Abklärung der entsprechenden Parameter bedarf.
66Die hohe Fragilität der Lage und die fortbestehenden gravierenden Unsicherheiten rechtfertigen aus der Sicht der Kammer die vom Antragsgegner angelegte „generalisierte Betrachtungsweise“. Eine individuell konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen (Einzelfallprüfung) dürfte aufgrund der unsicheren Erkenntnislage und der Umsetzbarkeit in der Praxis derzeit nicht gleich geeignet sein,
67vgl. VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 – 7 L 662/20 –; a.A. VG Münster, Beschluss vom 6. August 2020 – 5 L 596/20 –.
68Denn es fehlt nach dem oben ausgeführten bereits an gesicherten Erkenntnissen, welche technischen bzw. organisatorischen Maßnahmen überhaupt ausreichend sind, um die Gefahr eines massenhaften Infektionsgeschehens sicher auszuschließen.
69Auch dürfte eine solche Einzelfallüberprüfung in der derzeitigen Pandemiesituation schon aus organisatorischen Gründen ausgeschlossen sein. Die zuständigen örtlichen Ordnungsbehörden und Gesundheitsämter sind bereits durch eine Vielzahl von Aufgaben in der Pandemiebewältigung eingebunden. Dass sie an der Belastungsgrenze arbeiten, wird schon dadurch belegt, dass der Antragsgegner zur Kontrolle der mit der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung auferlegten Verpflichtungen die Arbeitsschutzdezernate der Bezirksregierung zur Unterstützung heranzieht.
70Unter diesen Voraussetzungen erscheint es derzeit nahezu ausgeschlossen, dass eine Ausnahmeprüfung im Einzelfall – wie sie etwa die ab dem 9. August 2020 geltende Neufassung der Verordnung der baden-württembergischen Wirtschafts- und Sozialministerien zur Eindämmung von Übertragungen von SARS-CoV-2 (Coronavirus) in Schlachtbetrieben und der Fleischverarbeitung (Corona-Verordnung Schlachtbetriebe und Fleischverarbeitung – CoronaVO Schlachtbetriebe und Fleischverarbeitung) in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden kann.
71Im Übrigen sieht die streitgegenständliche Allgemeinverfügung in Ziffer 1.1. – anders als die vom VGH Baden Württemberg im Beschluss vom 30. Juli 2020 – 1 S 2087/20 – bewertete Rechtsverordnung – auch nicht (mehr) eine starre Pflicht zur Durchführung von zweimal wöchentlichen Reihentestungen von Mitarbeitern vor. Bei Betrieben mit mehr als 100 Beschäftigten insgesamt, von denen aber weniger als 100 Beschäftigte in der Produktion arbeiten, ist ein Test pro Woche ausreichend. In Betrieben mit 100 und mehr Beschäftigten in der Produktion ist ebenfalls eine Testung pro Woche ausreichend, wenn und solange die letzten zwei Testungen ausschließlich negative Testergebnisse erbracht haben und zugleich Personen, die mehr als 5 Tage nicht im Betrieb tätig waren (Urlaub, Neueintritt etc.) vor dem (Wieder-)Eintritt in den Betriebsablauf gesondert getestet werden.
72In Rechnung zu stellen ist zudem, dass die angefochtene Allgemeinverfügung durch die zuständige Behörde fortlaufend evaluiert wird und unter Berücksichtigung aktueller wissenschaftlicher Ergebnisse regelmäßigen kurzfristigen Anpassungen unterliegt. So handelt es sich bei der angefochtenen Allgemeinverfügung bereits um die dritte Fassung der CoronaAV Fleischwirtschaft vom 24. Juni 2020. In den neueren Fassungen wurde die Häufigkeit der Testpflicht unter Berücksichtigung der Belastungen der Betriebe durch die Testungen und der Erfahrungen und des aktuellen Infektionsgeschehens für die zuvor genannten Fälle reduziert.
73Selbst wenn man aber davon ausginge, dass die ergriffene Schutzmaßnahme der Reihentestung im Einzelfall unverhältnismäßig sein kann, wenn der einzelne Betrieb dem behördlichen Leitbild bei Erlass der Allgemeinverfügung nicht entspricht,
74vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 21. August 2020 – 20 L 1097/20 –
75würde dies im konkreten Einzelfall der Antragstellerin nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Dass der Betrieb der Antragstellerin von den vom Antragsgegner bei dem Erlass der Allgemeinverfügung in den Blick genommen Verhältnissen abweicht, ist nicht ersichtlich. Es handelt sich bei ihrem Betrieb um einen Fleischverarbeitungsbetrieb, in dem Salami/Rohwurst hergestellt, veredelt und verpackt wird. Die klimatischen Bedingungen entsprechen denjenigen des behördlichen Leitbildes. Die Luft in den Produktionsbereichen wird im Betrieb der Antragsgegnerin heruntergekühlt. Soweit die Antragstellerin darauf abstellt, dass die Temperatur in ihrer Produktion jedoch bei über 10°C, in einem Produktionsbereich sogar bei 17°C liege, ist nicht ersichtlich, dass bei diesen Temperaturen eine Gefahr für die begünstigende Verbreitung des Virus nicht mehr besteht. Gleiches gilt für den Umstand, dass durch die Lüftungsanlagen eine Frischluftzufuhr erfolge und ein kompletter Austausch der Luft mehrmals in der Stunde, im Minimum jedenfalls einmal die Stunde erfolge. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kann nicht beurteilt werden, welche konkreten Bedingungen die Lüftungs- und Klimaanlagen erfüllen müssen, um von einer wesentlichen Reduzierung der Infektionsgefahr ausgehen zu können. Auch hat die Antragstellerin nicht substantiiert dargetan, dass in ihren Produktionsbereichen berechnet auf die Größe der Räumlichkeiten stets nur eine sehr geringe Anzahl an Mitarbeitern tätig sei. Zwar ist der insoweit als Anlage Ast17 vorgelegten Tabelle der Antragstellerin sowohl die Fläche der Produktionsräume als auch die Anzahl der Beschäftigten zu entnehmen. Welcher Anteil der Fläche auf Einrichtung und Gerätschaften entfällt, wieviel Fläche jedem Arbeitnehmer in seinem Arbeitsbereich also tatsächlich zur eigenen Nutzung zur Verfügung steht, ist jedoch nicht ersichtlich. Auch die Mitarbeiterstruktur der Antragstellerin entspricht dem von der Antragsgegnerin zugrunde gelegten Leitbild. Auch sie beschäftigt fast zur Hälfte Leiharbeitnehmer. Zwar sind lediglich vier Beschäftigte der Antragstellerin ihren Angaben nach in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, nähere Erkenntnisse über die Wohnsituation der übrigen Arbeitnehmer liegen jedoch nicht vor. Dass die übrigen Mitarbeiter – wie die Antragstellerin vorträgt – in „privaten Wohnungen“ leben, schließt eine gemeinschaftliche Unterkunft jedenfalls nicht aus. Der Umstand, dass die Antragstellerin ihre Mitarbeiter in mindestens vier verschiedenen und ggf. sogar weiteren Sprachen auf die einzuhaltenden Hygienemaßnahmen hinweist, legt nahe, dass auch sie viele Wanderarbeiter insbesondere aus Osteuropa beschäftigt.
76Der Umstand, dass bisher nur ein einzelner Mitarbeiter der Antragstellerin positiv auf das Coronavirus getestet wurde, ist vor dem Hintergrund des dynamischen Infektionsgeschehens nicht geeignet, die Ungefährlichkeit des Betriebes der Antragstellerin bzw. von Großbetrieben der Branche insgesamt zu belegen,
77vgl. VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 – 7 L 662/20 –.
78Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, dass Ermittlungen der Antragsgegnerin vor dem Ausbruch der Pandemie gravierende Missstände und unhaltbare Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft ergeben haben. Aufgrund der körperlich schweren Tätigkeiten beim Schlachten und Fleischverarbeiten sowie der Erkenntnis über den Einsatz von Werkvertragsnehmern in der Produktion der Fleischindustrie und dem dort herrschenden Preisdruck erscheine diese Branche besonders anfällig für Defizite hinsichtlich der Umsetzung von Arbeitsschutzbestimmungen und angemessener Entlohnung. Die Bilanz: In 85 Prozent der überprüften Betriebe wurde von den Aufsichtsbeamtinnen und -beamten eine hohe Anzahl teils gravierender Arbeitsschutzmängel ermittelt.
79Vgl. Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein Westfalen, Überwachungsaktion. „Faire Arbeit in der Fleischindustrie“. Abschlussbericht., Aktenzeichen III A4 – Sd.
80Insoweit hatten freiwillige Selbstverpflichtungen in der Branche bereits in der Vergangenheit nicht den gewünschten Erfolg gezeigt.
81Die in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen sind auch angemessen.
82Eine rechtswidrige Ungleichbehandlung ist nicht erkennbar. Die vom Antragsgegner vorgebrachten Gründe für die besondere Maßnahme hinsichtlich der gesamten Großbetriebe der Fleischwirtschaft, insbesondere das deutschlandweit zu beobachtende vermehrte Auftreten von Superspreading-Events bei unklarer Ursache, stellt einen sachlichen Grund für die Differenzierung zu anderen Wirtschafts- und Gesellschaftszweigen, in denen in der Vergangenheit ebenfalls solche Infektionsgeschehen aufgetreten sind, sowie für die (pauschale) Gleichsetzung aller erfassten Betriebe der Fleischwirtschaft dar,
83vgl. VG Minden, Beschluss vom 24. August 2020 – 7 L 662/20 –.
84Zwar ist die Antragstellerin durch die Regelungen in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Der Eingriff erfolgt jedoch auf der Ebene der Berufsausübung, sodass zu seiner Rechtfertigung lediglich vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls vorliegen müssen,
85vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Beschluss vom 13. August 2020 – 20 CS 20.1821 – m.w.N., juris.
86was in Hinblick auf den angestrebten Schutz der Gesundheit Einzelner und der Allgemeinheit vor der Verbreitung des SARS-COV2-Virus der Fall ist. Die angegriffene Maßnahme ist zeitlich beschränkt und verbietet auch nicht die Fortführung des Betriebes der Antragstellerin als solchen, sondern legt der Antragstellerin lediglich besondere Schutzmaßnahmen auf. Die wirtschaftliche Belastung wird durch die von der Allgemeinverfügung vorgesehene Möglichkeit der Testung im sogenannten „Pool-Verfahren“ zumindest abgemildert. Dass die Kosten für die Maßnahme für sich genommen geeignet sind, den Betrieb der Antragstellerin existenziell zu bedrohen, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.
872. Selbst wenn man den Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache als offen ansehen wollte – eine offensichtliche Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. Juli 2020 ist nach dem bereits Ausgeführten jedenfalls nicht gegeben – gebietet eine ergänzend vorzunehmende allgemeine Folgenabwägung nicht die Aussetzung der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung. Die mit dem weiteren Vollzug der angegriffenen, zeitlich beschränkten Schutzmaßnahme einhergehenden wirtschaftlichen Nachteile sind im Anschluss an die vorstehenden Ausführungen und vor dem Hintergrund möglicher Regressforderungen gegenüber dem Antragsgegner, nicht derart gewichtig, dass sie das mit der Allgemeinverfügung verfolgte Interesse, das weitere Infektionsgeschehen möglichst effektiv einzudämmen, überwiegen.
88Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
89Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Dabei orientiert sich die Kammer an der mindestens zu erwartenden wirtschaftlichen Belastung durch die Testungsverpflichtung. Da die angegriffene Allgemeinverfügung mit Ablauf des31. August 2020 außer Kraft tritt, zielt der Antrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Halbierung des Streitwertes für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.
90Rechtsmittelbelehrung:
91(1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet.
92Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) eingelegt werden.
93Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) eingeht.
94Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
95Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sind durch einen Prozessbevollmächtigten einzureichen. Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
96Die Beschwerdeschrift und die Beschwerdebegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
97(2) Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird.
98Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
99Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
100Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
101Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
102War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
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