Die Ziffern 2 bis 4 des Bundesamtsbescheids vom 05.10.2017 werden aufgehoben. Die Beklagte - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - wird verpflichtet festzustellen, dass der Abschiebung des Klägers nach Afghanistan ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegensteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.
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| Der Kläger, ein 1996 oder 1997 geborener, aus der Provinz Ghazni stammender afghanischer Staatsangehöriger vom Volk der schiitischen Hazara, stellte am 06.11.2014 in Deutschland einen Asylantrag. |
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| Am 08.06.2016 ging beim Bundesamt eine fachärztliche Stellungnahme des Psychiaters und Psychotherapeuten Dr. X. ein. Dieser führt aus, der Kläger, der seit Mitte Mai 2015 bei ihm in psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung sei, leide an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung, schweren depressiven Episode, einem chronischen Schmerzsyndrom bei Morbus Bechterew und einer arzneibedingten Adipositas. Als Jugendlicher sei er unter Zwang in ein Lager der Taliban gekommen, wo er 2 lange Jahre gelebt habe und als Terrorist und Selbstmordattentäter habe ausgebildet werden sollen. Er sei gezwungen worden, Gefangene zu töten, ansonsten er selbst getötet worden wäre. Nachdem sein Vater und sein Bruder getötet worden seien, sei er 2012 über den Iran, die Türkei, Griechenland und Italien zunächst nach Schweden geflohen, wo er 2 Jahre gelebt habe. Im Iran habe er auf dem Bau gearbeitet und sei einmal 5-6 m tief gefallen. In Schweden habe er einen Suizidversuch unternommen und habe vom Dach springen wollen. 2014 dann sei er nach Deutschland gekommen. Alle Angaben des Klägers - so Dr. K. abschließend - seien glaubhaft und in sich stimmig. Eine Rückführung nach Afghanistan sei nicht zumutbar, da dies eine erneute, schwere Retraumatisierung bedeuten würde. Ferner wurde eine Stellungnahme der Heilpraktikerin für Psychotherapie Frau Y. vorgelegt, die ausführt: Der Kläger sei mit 11 Jahren Hilfspolizist geworden und habe mit Enttäuschung ansehen müssen, dass die Polizei nicht nur korrupt gewesen sei, sondern auch unschuldige Menschen ausgeraubt und sogar körperliche und sexuelle Übergriffe verübt habe. Deshalb habe er den Dienst alsbald quittiert. Der Vater habe ihn unter Druck gesetzt, dass er Geld verdienen müsse. Über Freunde habe er von einer Gruppe (Taliban) erfahren, wo man neben dem Training auch eine Ausbildung zum Architekten erhalten könne. Dort habe er sich zum Kämpfer ausbilden lassen. Den Auftrag, Gefangene zu töten, habe er verweigert, weshalb er eingesperrt und gefoltert worden sei. Letztlich habe er mit einer Pistole an seinem Hinterkopf Menschen umbringen müssen. Ferner sei er Zeuge unzähliger Morde geworden. Bei einem Heimaturlaub habe sein älterer Bruder verhindert, dass er wieder in das Trainingslager zurückgehe. Der Bruder habe kurzerhand 3 Taliban, die ihn, den Kläger, hätten abholen wollen, an der Haustür getötet. Danach seien beide Brüder in Richtung Herat geflohen und von den Taliban verfolgt worden. Der Bruder sei dabei getötet worden. Er sei davongekommen und in den Iran geflüchtet. Die iranische Polizei habe ihn erpresst und unschuldig ins Gefängnis gesteckt. Schließlich habe er die Flucht über Türkei, Griechenland und Italien nach Schweden ergriffen. Dort habe er den Behörden nichts über seine Vergangenheit erzählt, da er Angst vor Strafe, Auspeitschung und Gefängnis gehabt habe. In Schweden habe er einen Suizidversuch unternommen und sei durch Polizei und Feuerwehr gerettet worden. Nach seiner Ablehnung dort sei er im Juli 2014 nach Deutschland gekommen. |
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| Bei seiner Anhörung am 28.10.2016 durch das Bundesamt gab der Kläger an: Es müsse 2009 oder 2010 gewesen sein, im Sommer, als er Afghanistan verlassen habe. Innerhalb Afghanistans, bis nach Herat, sei er mit seinem Bruder gereist, der die Entscheidung für die Ausreise getroffen habe. Er sei in den Iran, zunächst nach Teheran, gereist, wo er etwa 11 oder 12 Monate gelebt habe. Die Ausreise habe 9000-10.000 $ gekostet, Geld, welches von seiner Mutter gekommen sei, die es dem Schleuser immer dann gegeben habe, wenn er ein bestimmtes Ziel erreicht habe. Nach 6 Monaten seien Mutter und Schwester in den Iran dazugekommen. Er sei dann weiter über die Türkei und Griechenland bis nach Italien. Dort hätten die Leute alle gesagt, man solle nach Schweden gehen. Auf dem Landweg sei er dann mit dem Taxi nach Schweden gereist. Nach Deutschland sei er zwischen dem 13. und 15.06.2014 gekommen. Zuvor sei er etwa zweieinhalb bis drei Jahre in Schweden gewesen und habe dort eine Art Aufenthaltsgestattung gehabt. Sein Asylantrag sei jedoch abgelehnt worden und da er habe abgeschoben werden sollen, sei er zuvor ausgereist. Die Antragstellung dort sei im Jahr 2010 gewesen, die Ablehnung habe er im Juni 2014 erhalten. Bei der Asylantragstellung in Schweden sei er sehr nervös gewesen und habe nicht alle Gründe geltend gemacht. Zuhause habe er vom 8. bis zum 12. Lebensjahr als Schweißer gearbeitet. Das Geld habe er dem Vater abgeben müssen. Danach habe er als Polizeihelfer etwa 6 Monate gearbeitet, da sein Vater ihm das gesagt habe. Von seinem Partner bei der Polizei sei er belästigt und geschlagen worden. Dieser habe auch andere Menschen belästigt und von ihnen Geld gefordert. Auch habe er Menschen vergewaltigt (11-jähriger Junge). Einmal habe dieser ein Mädchen, das vorübergehend in der Wache auf die Abholung seiner Eltern wartete, aus der Zelle geholt, geschlagen und vergewaltigt. Er, der Kläger, habe gesagt, er solle sie in Ruhe lassen, ansonsten gebe es Prügel. Der Partner habe dann ihn verprügelt und er habe seinem Bruder davon erzählt. Der sei dann mit ihm zur Arbeit gegangen und sie hätten den Partner geschlagen. Der Bruder habe diesen auch gewarnt. Die nächsten 6 Monate habe sich das immer wiederholt, er habe jeden Tag 5 oder 6 solcher Vorfälle mitbekommen und habe das nicht mehr mit anschauen können. Er sei nach Hause zum Vater und Bruder gegangen und von diesen geschlagen worden, weil er die Arbeit nicht habe ausführen wollen. Der Vater habe dann eine andere Gruppe ausfindig gemacht, von der er über Freunde des Klägers erfahren habe und zu der er ihn dann geschickt habe. Dort sei er ausgebildet worden und habe die Koranschule besucht. Später habe sich herausgestellt, dass es Taliban gewesen seien. Er sei im Lesen des Korans, im Umgang mit Waffen und im Kampf ausgebildet worden. Er sei oft geschlagen worden. Auch hätten sie sie gezwungen, dass sie die Leute schlugen. Alle Jugendlichen ab 12 Jahren hätten sie aus den Dörfern geholt. Diese seien sehr hart geschlagen worden, teilweise so, dass sie gestorben seien. Auch ihn habe man geschlagen, da er sich geweigert habe, andere zu schlagen. Dafür sei er kopfüber an den Baum aufgehängt worden. (Weinen und 10-minütige Pause). Einmal sei ein anderer Gefangener rausgeholt worden und er habe ihn schlagen und erschießen sollen. Ein Taliban habe ihm eine Waffe an den Kopf gehalten und gesagt, wenn er ihn nicht erschieße, werde er erschossen. Er erzähle das zum ersten Mal, es falle ihm sehr schwer zu erzählen, dass er jemanden erschossen habe. Er sei 5 bis 6 Stunden geschlagen worden, bis er alles getan habe, was sie von ihm verlangt hätte, sogar die eigenen Fäkalien zu essen. Sie hätten dann gesagt, er sei jetzt ausgebildet und könne alles und könne jetzt auf ihre Anweisung hin Menschen umbringen. Es sei 6 Monate so gegangen, er habe das dem Vater erzählt, dass er jetzt Selbstmordattentäter sein solle. Der habe ihm aber vorgehalten, er wolle jetzt - nach Schweißer und Polizei - mit dem dritten Beruf aufhören. 2 Tage seien es gewesen, bis sie ihn wieder abholen wollten. Er habe auch Mutter und Bruder gesagt, er sei zu erschöpft und könne es nicht mehr machen, er wolle aber nicht sterben und nicht mehr geschlagen werden und niemanden mehr umbringen. Der Bruder habe dann gesagt, wenn sie wiederkämen, werde er mit ihnen reden und eine Lösung finden. Am Abend, bevor sie ihn hätten abholen wollen, habe er mit Freunden gespielt. Da habe er erfahren, dass sein ehemaliger Polizeipartner einen der Freunde vergewaltigt habe. Dieser Freund habe dann angefangen zu weinen und wissen wollen, was man machen könne. Sie seien dann zu dritt dorthin, der ehemalige Partner sei mit einer Frau und einem weiteren Mann dort gewesen. Als sein ehemaliger Partner ihn gesehen habe, sei er aufgestanden und habe seine Waffe nehmen wollen. Sie hätten ihn davor gewarnt, aber er habe trotzdem weitergemacht. Bevor er seine Waffe auf sie habe richten können, habe er, der Kläger, auf sein Bein geschossen. Am Boden liegend habe er seine Waffe hochgehoben und auf die Frau gerichtet. Dann habe er, der Kläger, nochmals geschossen, mit klopfendem Herzen und zitternden Beinen, er wisse nicht, warum er das getan habe. Er habe dann seine Waffe einfach fallen lassen sich umgedreht. Da habe er nochmals einen Schuss gehört, ein Freund habe da noch mal geschossen und den ehemaligen Partner erschossen. Sie seien nach Hause, ohne jemandem etwas zu erzählen. Er sei eine halbe Stunde zu Hause gewesen, da habe es an der Tür geklopft. Sie seien da gewesen und hätten ihn mitnehmen wollen, er habe nicht gewollt. Er habe daran gedacht, sich mit dem Messer umzubringen, denn er habe gewusst, wenn er mitgehe, würde er nie wieder heimkehren. Er habe die Nase voll davon gehabt, ständig geschlagen und gezwungen zu werden, andere Menschen umzubringen. Er habe so große Angst gehabt und nachts nicht schlafen können. Als sein Bruder ihn so gesehen habe, habe er angefangen zu weinen. Er habe seine Waffe genommen und sei rausgegangen. Keine Minute später hätten sie Schüsse gehört und hätten dann draußen gesehen, dass sein Bruder alle 4 Personen erschossen gehabt hätte. Sein Bruder und er seien dann zu einem Nachbarn geflüchtet, hätten dessen Wagen genommen und seien nach Herat in eine Art Hotel. Nach 2 oder 3 Tagen habe der Bruder gerufen, er solle aufstehen, sie wären da. Ob es die Taliban oder die Verwandtschaft des ehemaligen Partners gewesen sei, wisse er nicht, sie seien rausgelaufen und es sei geschossen worden. Sie hätten ihre Waffen dabeigehabt und hätten zurückgeschossen, aber nicht genug Munition gehabt. Nach vielleicht 10 oder 20 Minuten habe er einen Laut seines Bruders gehört, der verletzt worden sei. Der Bruder habe einen Freund gebeten, ihn, den Kläger, wegzubringen. Er habe gesehen, dass sein Bruder aus Brust und Bein blutete (Weinen und 10-minütige Pause). Er habe seinen Bruder angesehen und beide hätten geweint. Dabei habe er seine Waffe auf sich gerichtet, weil er mit seinem Bruder zusammen habe sterben wollen. Der Freund des Bruders habe das aber mitbekommen und, bevor er habe abdrücken können, ihm von hinten gegen den Kopf geschlagen. Dann seien sie weg und hätten den Bruder zurückgelassen. Der Freund habe sich und ihn mithilfe eines Schleusers in den Iran gebracht, wo sie sich getrennt hätten. Von da an habe er nur noch daran denken können und kein Leben mehr gehabt. Die Familie des getöteten ehemaligen Polizeipartners habe den einen Freund erwischt und getötet. Der andere Freund, der dabei gewesen sei, habe flüchten müssen. Dessen Familie sei mit seiner, des Klägers, Mutter und Schwester dann zu ihm in den Iran gekommen. Die Familie des ehemaligen Partners oder die Taliban, wer wisse er nicht genau, habe dann seinen Vater mitgenommen und ihn wahrscheinlich getötet. Er habe seine Mutter danach gefragt, sie habe jedoch vermieden, ihm Genaueres zu erzählen. Seine Familie sei jedenfalls auch sehr belästigt worden. Als die Taliban ihn hätten holen wollen, sei sein Vater nicht zu Hause gewesen, da habe er ihn zuletzt einen Tag davor gesehen gehabt. Das mit dem Tod seines Vaters habe er nicht von seiner Mutter erfahren, es müsse wohl eine Woche nach seiner Flucht passiert sein. Mutter und Schwester seien erst deshalb so spät in den Iran geflüchtet, da sie im Dorf unter Beobachtung gestanden hätten. |
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| Ein vom Bundesamt an die schwedischen Behörden gerichtetes Informationsersuchen beantworteten diese unter dem 27.03.2017 und 27.06.2017 dahin, der Kläger habe am 03.05.2012 („...“, Geb. Datum 02.11.1994 - Alter über 18 Jahren aufgrund behördlicher Beurteilung) und erneut am 05.11.2012 („...“, Geb. Datum 06.05.1996) einen internationalen Schutzantrag gestellt. Der spätere Antrag sei alsbald abgelehnt worden. Unter dem 30.08.2013 sei der erste Schutzantrag abgelehnt und die Abschiebung angedroht worden. Hierbei sei relevant gewesen, dass der Kläger aufgrund einer medizinischen Untersuchung nicht als Minderjähriger anzusehen gewesen sei und keine Fluchtgründe erkannt worden seien. Das dagegen erhobene Rechtsmittel sei erfolglos gewesen und am 21.05.2014 sei Rechtskraft eingetreten. Ein zweijähriges Einreiseverbot sei am 02.06.2014 ausgesprochen worden. Ab dem 18.07.2014 sei der Kläger als untergetaucht gemeldet gewesen. Aus den vom Bundesamt beigezogenen und übersetzten schwedischen Unterlagen (Anhörungsprotokoll 23.08.2012, Bescheid vom 30.08.2013 [er geht aufgrund einer Zahnröntgenaufnahme vom 17.07.2013 von einem Alter von 19,2 Jahren aus] und Urteil VG Lulea vom 12.03.2014) geht zu den damaligen Angaben des Klägers folgendes hervor: Er sei 1997 geboren und vor 6, 7 Jahren aus Afghanistan geflohen. Sie seien 2 Monate in Herat gewesen und dann in den Iran, das seien er, seine Mutter, seine Schwester und sein Bruder gewesen. Der Bruder sei 3 Jahre jünger, die Schwester 6 Jahre jünger als er. Taliban hätten seinen Vater getötet. Sie seien klein gewesen und seine Mutter habe dort nicht mehr weiter wohnen können, deshalb seien sie in den Iran geflüchtet. Wer den Vater getötet habe, hätten sie nicht gesehen, dieser habe gerade in der Landwirtschaft gearbeitet, als Personen gekommen seien und ihn mitgenommen hätten. Dann hätten sie gehört, dass sie in getötet hätten. Sein Vater habe Weizen angebaut, und sie seien gekommen und hätten gesagt, er solle den Weizen zerstören, da sie etwas anderes anbauen wollten. Eines Tages sei der Vater mit Blut im Gesicht nach Hause gekommen. Beim zweiten Mal, als sie den Vater mitnahmen, sei er dabei gewesen. Da sei er 8 Jahre alt gewesen. Dass es Taliban gewesen seien, habe man deutlich an den langen Bärten gesehen. Man habe ihn da misshandelt, sein Handgelenk gebrochen und er habe Probleme mit dem Rücken bekommen, er könne nicht für längere Zeit stehen. Nach dem Tode des Vaters hätten sie sie weiter schikaniert, hätten gesagt, den Boden jemand anders geben zu wollen und Opium anzubauen. Deshalb habe die Mutter dort nicht mehr wohnen bleiben können. Einmal sei die Mutter, als er mit ihr auf der Straße gewesen sei, ebenfalls misshandelt worden. In Herat seien sie 2-3 Monate gewesen, hätten da aber nicht bleiben können, da die Mutter als alleinstehende Frau nicht habe arbeiten können. Sie seien dann illegal in den Iran, nach Teheran. In einem Vorort hätten sie auf einem Bauernhof gearbeitet. Mutter und Geschwister seien immer noch im Iran. Er habe den Iran verlassen, weil sie dort die Afghanen schikanierten. Er sei von der Polizei festgenommen und gezwungen worden, Geld zu zahlen. Wenn er das nicht tue, werde er nach Afghanistan deportiert. Nach dem Ereignis mit dem Vater hätten sie noch etwa 3-4 Monate im Dorf gewohnt, er wisse es aber nicht. Im Iran seien sie 6-7 Jahre gewesen, er sei dort zur Schule gegangen. Vom Iran sei er in die Türkei und dann weiter nach Griechenland, da es in Europa habe besser sein sollen. Als er den Iran verlassen habe, sei er 16 gewesen, jetzt sei er 16 1/2 oder 17. Die Geburtsdaten seiner Geschwister wisse er nicht, er müsse nachrechnen - 1379 und 1381. Seine Mutter habe 7000-8000 EUR an den Schleuser gezahlt. Mutter und Geschwister könnten deshalb noch im Iran sein, da sie nur Erwachsene deportierten, keine Frauen und keine Kinder die, wie seine Geschwister, noch klein seien. |
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| Mit Bescheid vom 05.10.2017, zugestellt am 11.10.2017, lehnte das Bundesamt den Antrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a AsylG als unzulässig ab (Ziff. 1) und stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziff. 2). Der Kläger wurde aufgefordert, Deutschland binnen einer Woche zu verlassen und ihm wurde die Abschiebung nach Afghanistan angedroht (Ziff. 3). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 4). |
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| Der Kläger hat am 13.10.2017 Klage erhoben. Am 19.10.2017 hat er ferner Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, dem mit Beschluss des Einzelrichters vom 22.01.2018 (A 6 K 9114/17) stattgegeben worden ist. |
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| Der Kläger hat im Gerichtsverfahren vorgelegt: |
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| Fachärztliche Stellungnahme Dr. X. vom 23.10.2016: Die Familie habe in einem Dorf gelebt, in dem jeden Tag Überfälle und Morde durch die Taliban erfolgt seien. Der Kläger sei als Kindersoldat schon mit 13 Jahren in bewaffnete Konflikte mit den Taliban verwickelt gewesen, wo er auch selbst mit Schusswaffen habe umgehen und auch Menschen habe töten müssen, weil er sonst selbst getötet worden wäre. Unter anderem habe er einen Polizisten getötet, der zu den Taliban gehört, ein Mädchen vergewaltigt und gedroht habe, das Mädchen zu töten. Dieser habe dann auch den Kläger und seine Familie mit dem Tod bedroht. Mit 14 sei er schließlich mit seinem 6 Jahre älteren Bruder an die Grenze zum Iran geflohen, wo sein Bruder von den Taliban auf der Flucht erschossen worden sei. Er selbst habe ebenfalls zur Verteidigung geschossen und sei dann mit dem Motorrad und einem PKW in den Iran geflüchtet, wo er zunächst ein Jahr lang gelebt habe. Sein Vater sei von den Taliban getötet worden, weil der Kläger sich geweigert habe, nach Afghanistan zurückzukehren und mit den Taliban zu kooperieren. Seine Mutter sei 6 Monate nach ihm in den Iran geflüchtet. |
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| Fachärztliche Stellungnahme Dr. X. vom 22.10.2017: Konfrontiert mit den widersprüchlichen Angaben in Schweden habe der Kläger am 18.10.2017 nochmals mit tiefer Betroffenheit seine Trauma- und Fluchtanamnese berichtet, wobei er sich aufgrund der schweren Traumatisierung nicht an alle Einzelheiten erinnern könne. Er habe Afghanistan ca. 2010/2011 verlassen, als er 13-14 Jahre alt gewesen sei. Er sei in den Iran geflüchtet, wo er ein Jahr lang gelebt habe. Von dort sei er weiter in die Türkei und nach Griechenland, von wo er mit dem Lkw nach Schweden geflüchtet sei. Bei der Anhörung dort sei er noch davon überzeugt gewesen, dass seine Aussagen an die Regierung in Afghanistan und eben auch an die Taliban weitergegeben würden. Er sei der Überzeugung gewesen, getötet zu werden, wenn er alle Angaben wahrheitsgemäß mache. Er habe in Schweden unter ständigen Verfolgungsängsten und massiven Schlafstörungen gelitten, da er überzeugt gewesen sei, die Taliban würden ihn auf jeden Fall auch dort finden. Erst aufgrund der Ermutigung durch die psychotherapeutische Behandlung bei Frau Y. und aufgrund Gesprächen mit dem Facharzt und weiteren Personen sei Vertrauen entstanden und er habe sich getraut, die Wahrheit zu erzählen. Als er nach Schweden eingereist sei, habe er tatsächlich nicht gewusst, wie alt er ist. In der Not habe er irgendein Alter angegeben. Erst Monate später habe die Mutter aus dem Iran ein Dokument geschickt, aus dem das tatsächliche Alter hervorgehe. Der Vater habe eine eigene Landwirtschaft gehabt. Er sei vor 4 Jahren im Alter von 50 Jahren wahrscheinlich von den Taliban aus Rache ermordet worden. Mit 11 Jahren sei er, der Kläger, Hilfspolizist geworden. Er habe miterlebt, wie ein Polizeihelfer ein junges Mädchen und eine Frau vergewaltigt habe. Er habe diesen Polizistenhelfer in die Beine geschossen, der dabei ums Leben gekommen sei. Deshalb habe er die Rache dessen Familie befürchtet. Schließlich habe er den Dienst bei der Polizei beendet. Sein 3 Jahre älterer Bruder habe bei einer Schießerei 2-3 Taliban erschossen, die ihn, den Kläger hätten entführen wollen. Deshalb sei seine Familie von den Taliban verfolgt worden. Mit 11-12 Jahren sei er von seinem Vater an eine Taliban-Gruppe verkauft worden. Er sei gezwungen worden, dort eine militärische Ausbildung zu machen. Er habe dort zwei Jahre gelebt und als Terrorist und Selbstmordattentäter ausgebildet werden sollen. Da habe er gelernt, mit Waffen und Bomben umzugehen und wie man Selbstmordattentate ausübt. Er habe auch eine Koranschule besucht. Während seiner Ausbildung habe er auch Gefangene getötet, wozu er von den Taliban durch Folterung, vor allem Schläge, gezwungen worden sei. Es sei sehr schlimm gewesen, Menschen erschießen zu müssen, weshalb er auch heute noch schwere Schuldgefühle habe. Mithilfe seines Bruders habe er von der Taliban-Gruppe fliehen können. Nicht mit 7-8 Jahren, wie in Schweden angegeben, sondern mit 13-14 Jahren sei er in den Iran geflohen. 7 Monate nach der Flucht von ihm und seinem Bruder in den Iran sei der Vater von den Taliban erschossen worden, nachdem diese ihn im Dorf aufgesucht hätten. Sein Bruder sei schließlich in einem Hotel in Herat, unweit der iranischen Grenze, von den Taliban erschossen worden. Er selbst habe ebenfalls sterben wollen, ein Freund habe ihn jedoch ermutigt, weiter in den Iran zu flüchten. Der Kläger sei schwer traumatisiert und habe ständig die Bilder der Toten vor Augen, verbunden mit schweren Depressionen und Schuldgefühlen. Seine Gedanken seien ständig mit den traumatischen Erlebnissen beschäftigt, er leide deshalb unter zum Teil schwerer depressiver Verstimmung, Ein- und Durchschlafstörungen, Suizidgedanken, Albträumen und Intrusionen sowie dem Verlust seiner Familie und seiner Heimat. Bei einer Rückführung nach Afghanistan erwarte er die erneute Verfolgung durch die Taliban, was mit einer erneuten, schweren Traumatisierung verbunden sein werde. Diese bestehe in einer massiven Zunahme der Symptomatik und der Gefahr konkreter Suizidhandlungen. Wegen des Morbus Bechterew entstünden jährliche Behandlungskosten von 20.000 EUR, es würden regelmäßige Spritzen und Krankengymnastik benötigt, um relativ schmerzfrei arbeiten zu können. |
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| Fachärztliche Stellungnahme Dr. X. vom 08.12.2018: Inhalt wie 22.10.2017 sowie: Immer wieder komme es trotz medikamentöser Behandlung zu akuten Krisen im Rahmen der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung. Sehr belastend sei auch die bevorstehende mündliche Verhandlung, in deren Zusammenhang er Angst vor Abschiebung nach Afghanistan habe, wo er durch die Taliban so viel Leid erfahren habe. Aktuell bestehe nach wie vor eine mittelschwere bis schwere depressive Symptomatik, Antriebshemmung, Angstzustände, Albträume, Intrusionen. Letztere stellten ein großes Problem dar, da es sich bei ihnen um ein Wiederdurchleben der traumatischen Situation mit allen Sinnesqualitäten und allen Affekten handele. Dies schlage sich hirnphysiologisch nieder und wirke direkt retraumatisierend. Jede Erinnerung an die traumatischen Erfahrungen löse schwerste Ängste und psychosomatische Beschwerden aus, wobei auch traumaassoziierte Stimuli wie Telefonate, Fernsehbilder, Radiosendungen und Zeitungsartikel retraumatisierend wirkten. |
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| den Bescheid des Bundesamts vom 05.10.2017 aufzuheben; |
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| Ein im Mai 2017 vom Generalbundesanwalt eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Anfangsverdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und der in dieser Eigenschaft begangenen Tötung eines Menschen wurde im Januar 2018 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Zur Begründung wurde näher ausgeführt, es bestünden nicht zu überwindende Zweifel daran, dass die Schilderungen des Klägers in tatsächlicher Hinsicht zutreffend seien. Seine Angaben im schwedischen Asylverfahren wichen von denjenigen im deutschen Asylverfahren ganz erheblich ab, ohne dass diese Widersprüche aufzulösen seien. Die Schilderungen im Asylverfahren wiederum wichen erheblich von denjenigen ab, die der Kläger seinem behandelnden Arzt Dr. X. gegeben habe. |
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| Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 19.12.2018 ausführlich informatorisch angehört worden. Das Gericht hat im Anschluss hieran mit Beschluss vom 28.01.2019 Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage einer psychoreaktiven Erkrankung des Klägers eingeholt. Dieses Gutachten ist unter dem 13.05.2019 von Prof. Dr. ..., Universitätsklinikum ..., erstellt und dem Gericht am 14.06.2019 vorgelegt worden ist. Im fortgesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.07.2019 ist eine erneute informatorische Anhörung des Klägers erfolgt. Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den Akteninhalt (ein Heft Bundesamtsakten, Kopien der beigezogenen Akten des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, ferner ein Heft Akten des Eilverfahrens A 6 K 9114/17) verwiesen. |
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| Die zulässige Klage ist nur mit dem Hilfsantrag begründet. |
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| 1.) Zu Recht hat das Bundesamt die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt, da auf den (echten) Zweitantrag des Klägers hin kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist. Der Kläger wird durch diese Entscheidung folglich nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO - zur Anfechtungsklage als statthafter Klageart bei Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen vgl. nunmehr: BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, Rn. 16, juris). |
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| Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (in der seit 06.08.2016 geltenden Fassung) ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. § 71a Abs. 1 AsylG bestimmt für den Fall, dass ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (zur Unionsrechtskonformität dieser Bestimmungen vgl. Art. 33 Abs. 2 lit. d) i.V.m. Art. 2 lit q) der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie n.F.]). |
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| Der Kläger hat zwischen Mai 2012 und Mai 2014 in Schweden ein Asylverfahren betrieben, welches rechtskräftig mit einer ablehnenden gerichtlichen Entscheidung, mithin erfolglos, abgeschlossen worden ist. Dies hat das Bundesamt durch Beiziehung der relevanten Verfahrensunterlagen aus Schweden (einschließlich deren Übersetzung in die deutsche Sprache) ausführlich und sorgfältig ermittelt. Ein Dublin-Überstellungsersuchen an Schweden erfolgte nicht. Auf den in Deutschland gestellten, angesichts der Einreise aus einem EU-Mitgliedstaat (vgl. § 26a Abs. 1 und 2 AsylG) bei verständiger Auslegung (nur) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes gerichteten Asylantrag (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylG) ist jedoch kein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Der Vortrag des Klägers ist, was zusätzlich zur Erfüllung des § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG Grundvoraussetzung für einen verfahrensrelevanten Folge- bzw. Zweitantrag wäre, bereits nicht glaubhaft. Aufgrund dieser auch von ihm so getroffenen Würdigung hat der Generalbundesanwalt das strafrechtliche Ermittlungsverfahren im Januar 2018 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. |
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| Geht es um die Wahrheitsfindung im Hinblick auf das Vorbringen eines Ausländers, der (politische) Verfolgung geltend macht, ist zu beachten, dass er sich typischerweise in Beweisnot befindet, soweit es sein individuelles Verfolgungsschicksal betrifft („Zeuge in eigener Sache"). Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen (BVerwG, Beschl. v. 10.05.2002 - 1 B 392.01 - Rn. 5, juris). Den Asylbewerber trifft nach Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Anerkennungs- bzw. Qualifikationsrichtlinie) i.V.m. §§ 15 Abs. 1,25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 VwGO die Mitwirkungspflicht, seine guten Gründe für eine ihm drohende Verfolgung oder einen sonstigen Schaden in stimmiger, schlüssiger und wirklichkeitsnaher Form vorzutragen. |
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| Der Vortrag des Klägers ist durch ganz erhebliche, in keinem Stadium des Verfahrens aufgelöste Widersprüche durchzogen. Ganz eklatant ist zunächst der Widerspruch zwischen den Angaben im schwedischen und im deutschen Asylverfahren. In Schweden hat der Kläger seinen Asylantrag damit begründet hat, der Vater sei durch die Taliban unter Druck gesetzt worden, auf seinen Feldern etwas anderes als Weizen anzubauen und deshalb schließlich von ihnen getötet worden. Die Mutter habe die dann weiter erfolgten Schikanen durch die Taliban nicht ertragen und sei mit allen Kindern in den Iran, von wo aus der Kläger weitergereist sei, um einer Abschiebung nach Afghanistan zu entgehen. Völlig anders hingegen ist der Vortrag im deutschen Asylverfahren: Hier will der Kläger, obgleich noch minderjährig, auf Druck des lieblosen Vaters Polizeihelfer geworden und Zeuge sexueller Misshandlungen von Minderjährigen durch seinen Polizeipartner geworden sein. Nachdem er dies nicht mehr habe ertragen können und die Weiterarbeit verweigert habe, sei er schließlich Opfer einer vom Vater initiierten Rekrutierung durch die Taliban geworden. Unter deren Druck und Schikane habe er, selbst brutal misshandelt, Menschenrechtsverletzungen begehen müssen. Von den Taliban sei er nur mithilfe seines später auf der Flucht bei einem Schusswechsel getöteten Bruders losgekommen, der Taliban-Kämpfer, die ihn, den Kläger, abholen wollten, getötet habe. |
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| Das Gericht konnte sich bereits nicht davon überzeugen, dass die in Deutschland vorgebrachten Gründe, und sei es auch nur in einem Kern, zutreffen könnten. Dem steht der Vortrag des Klägers in Schweden völlig entgegen. Eine Überzeugung davon, eine der beiden „Versionen" sei wahr, ist nicht möglich. Seine Einlassung in mündlicher Verhandlung, Vater und Bruder seien getötet worden, er habe Angst gehabt, die Leute würden ihn auch in Schweden finden, außerdem habe ihm jemand anderes noch gesagt, wenn er alles, wie es gewesen sei, erzähle, würde er ins Gefängnis kommen, nimmt ihm das Gericht nicht ab. Auch insoweit hat sich der Kläger selbst widersprochen. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt hatte er noch angegeben, bei der Asylantragstellung in Schweden sehr nervös und deshalb nicht in der Lage gewesen zu sein, alle Gründe geltend zu machen. Gegenüber seinem behandelnden Facharzt Dr. X. (vgl. dessen Stellungnahme vom 22.10.2017) stellte er, der zu diesem Zeitpunkt bereits über zweieinhalb Jahre in therapeutischer Behandlung war, dies stark abweichend so dar, bei der Anhörung in Schweden davon ausgegangen zu sein, seine Aussagen würden an die Regierung in Afghanistan und auch an die Taliban weitergegeben. Er habe dort unter ständigen Verfolgungsängsten und massiven Schlafstörungen gelitten und sei überzeugt gewesen, die Taliban würden ihn auch dort finden. |
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| Selbst wenn man jedoch nur den Vortrag in Deutschland zur alleinigen Grundlage einer Glaubhaftigkeitsprüfung machte, fehlt es auch an zahlreichen weiteren Stellen an Plausibilität, Kohärenz und Stimmigkeit. So liegt bereits eine erhebliche, nicht nachvollziehbare Steigerung darin, dass der Kläger im Juni 2016 gegenüber Dr. X., bei dem er seit Mitte Mai 2015 in Behandlung war, angegeben hatte, im Lager der Taliban 2 Jahre gelebt zu haben, während bei späteren Anhörungen stets nur von 6 Monaten die Rede war. Sehr auffällig ist auch, dass in dieser fachärztlichen Stellungnahme ausschließlich von der Traumatisierung bzw. Bedrohung durch die Taliban die Rede war, nicht hingegen von den Vorfällen um die Erschießung des Polizeipartners, welcher einen Freund des Klägers vergewaltigt haben soll. Besonders auffällig und einen verlässlichen Rückschluss auf Erlebtes wesentlich verhindernd ist in diesem Zusammenhang ferner wiederum, dass der Kläger gegenüber dem Gerichtsgutachter Prof. Dr. ... ausschließlich über die Furcht vor Rache durch die Familie des Polizeipartners sprach, in keiner Weise jedoch von der ansonsten während des Verfahrens als ganz besonders brutal und traumatisierend berichteten Zeit bei den Taliban. |
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| Die in einer psychischen Erkrankung des Klägers liegende Einschränkung seiner Aussagefähigkeit geht in diesem Zusammenhang nicht zu seinen Gunsten. Entgegen den ausschließlich kurativen Behandlern Dr. X. (seit Mai 2015 bis heute) und Frau Y. (von April 2015 bis [so der Kläger] etwa 2017) kann nicht davon ausgegangen werden, beim Kläger liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor. Der über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg gerichtlich mit Fällen psychoreaktiver Erkrankungen und ihrer Bedeutung für den Prozess befasste Sachverständige Prof. Dr. ..., Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums ..., hat in seinem Gutachten vom 13.05.2019 (vgl. dort Seite 8 ff.) überzeugend ausgeführt, dass die Symptome bzw. Diagnosekriterien hierzu nicht verlässlich feststellbar sind. Ein Trauma lässt sich angesichts der widersprüchlichen und völlig inkohärenten Aussagen des Klägers nicht sichern, überdies konnte aufgrund der völlig wechselnden Angaben nicht geklärt werden, welches Trauma wiedererlebt wird. Ferner wurden keine intrusiven Erlebnisse geschildert, keine Flashbacks, kein Vermeidungsverhalten. Ohnehin sind laut dem Sachverständigen, der sich hier zugleich mit dem vom Kläger ins Feld geführten Beitrag von Elbert/Schauer („Spuren belastender Lebenserfahrungen in Genom, Gehirn und Geist") auseinandersetzt, auch bei einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht alle Regeln der Aussagepsychologie zur Glaubhaftigkeit außer Kraft gesetzt, insbesondere - so hier - völlig widersprüchliche Versionen nicht möglich. Beim Kläger ist (mit der Folge für einen nationalen Abschiebungsschutz, dazu unter 2.) die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie zu stellen. Damit aber bleibt unklar, ob die berichteten Erlebnisse Wahnerinnerungen oder erfunden sind oder tatsächlich stattgefunden haben, was mithin Rückschlüsse auf einen Erlebnisbezug verhindert. |
|
| Eine - wie vom Kläger hervorgehoben - aufgrund Beeinträchtigung des chronologischen Gedächtnisses abweichende Aussagepsychologie bei traumatisierten Personen hat der Sachverständige im Rahmen der die posttraumatische Belastungsstörung betreffenden Differenzialdiagnose verneint. Selbst wenn solches nicht völlig ausgeschlossen werden könnte, wären hierdurch die zahlreichen Widersprüche und Steigerungen im Vortrag des Klägers, weil im Wesentlichen inhaltlicher Art, nicht zu erklären, jedenfalls aber in ihrer möglichen psychisch-seelischen Ursache nicht weiter aufklärbar. Grundsätzlich aber trägt der Schutzsuchende die (materielle) Beweislast für das Vorliegen der (positiven) Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und geht insoweit ein non liquet zu seinen Lasten. Dies gilt jedenfalls bei einem nicht vorverfolgt ausgereisten Antragsteller hinsichtlich der Frage, ob ihm bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (BVerwG, Urt. v. 04.07.2019 – 1 C 33/18 -, Rn. 26 - 27, juris; Beschl. v. 15.08.2017 - 1 B 120/17, 1 PKH 75/17 -, Rn. 8, juris). Für den subsidiären internationalen Schutz und - wie hier - für die vorgelagerte Frage eines Wiederaufgreifensgrundes in Folge- bzw. Zweitantragsfällen hat Entsprechendes zu gelten. |
|
| Sonstigen Vortrag für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens nunmehr in Deutschland hat der Kläger nicht vorgebracht. Andere als vom Folge-/Zweitantragsteller selbst geltend gemachte Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sind der Prüfung des Antrags nicht zugrunde zu legen (vgl. m.w.n.: BeckOK AuslR/Dickten, 23. Ed. 1.8.2019, AsylG § 71 Rn. 15). |
|
| 2.) Der zulässige Hilfsantrag ist begründet, da der Kläger entgegen der negativen Feststellung in Ziff. 2 des Bundesamtsbescheids einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. |
|
| Die gemäß § 31 Abs. 3 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegen, betrifft einen eigenen Streitgegenstand. Dieser kann - wie vom Kläger getan - in Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen - durch den Schutzsuchenden zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016, a.a.O., Rn. 20). |
|
| a.) Abschiebungsschutz ist dem Kläger gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG zu gewähren. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. |
|
| Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen, und zwar auch dann, wenn es - wie insoweit in Afghanistan - an einem verantwortlichen Akteur fehlt. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt, wenn die Abschiebung beachtlich wahrscheinlich zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte. Zu berücksichtigen sind die landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan, diejenigen in Kabul als Ziel- bzw. Endort der Abschiebung sowie die persönliche Situation des Klägers (vgl. mit zahlreichen Nachweisen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.06.2019 - A 11 S 2108/18 -, Rn. 22 ff. und 110 ff., juris). |
|
| Die Lage in Kabul ist prekär. Sowohl die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die humanitären Umstände und die Sicherheitslage sind schlecht. Zudem sind Afghanistan und insbesondere Kabul gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen sind in besonderem Maße gefährdet (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.06.2019, a.a.O., Rn. 110 ff.). Solche ihn als vulnerable Person kennzeichnende, erschwerende individuelle Umstände liegen im Falle des Klägers vor. Er leidet gemäß des Sachverständigengutachtens Prof. Dr. ... an einer paranoiden Schizophrenie. Symptomatisch äußert sich die Erkrankung in akustischen Halluzinationen und Wahnphänomenen mit Wahnwahrnehmungen betreffend den Verfolger (einen Mann, der immer der gleiche sei, aber stets sein Aussehen verändere). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger dies - obgleich seinen Verfolgungswahn erstmals dem gerichtlichen Sachverständigen und nie zuvor seinen kurativen Behandlern offenbarend - simuliert haben könnte, gibt es nicht. Der zur Kenntnis des Gerichts langjährig im Bereich der Diagnose psychoreaktiver Erkrankungen tätige und erfahrene Prof. Dr. ... führt insoweit aus, er habe auf verschiedene Art und Weise nach den Symptomen gefragt, ohne dass eine Steigerung im Vortrag erkennbar gewesen wäre. Auch habe der Kläger Symptome nicht beliebig bejaht, sondern auch verneint, was einer typischen, nicht erlernten Schilderung entspreche und gegen ein Vortäuschen spreche. Gerade weil von den Vorbehandlern entsprechende Fragen zur Schizophrenie offensichtlich nicht gestellt worden seien, spreche dies für die Diagnose und gegen eine Simulation, da ein Simulant die Symptome aktiv nenne, der Kläger hingegen erstmals bei der Begutachtung nach den Symptomen gefragt worden sei und diese erst dann bejaht habe. Auch dem Gericht gegenüber hat der Kläger angegeben, Dr. X. und Frau Y. gegenüber nie von seinen Wahrnehmungen berichtet zu haben, da er hiernach nicht gefragt worden sei. |
|
| Der Kläger bedarf laut Sachverständigem einer antipsychotischen medikamentösen Therapie. Diese sowie die selbstredend hierbei erforderliche fachärztliche Begleitung und Überwachung ist bei Rückkehr nach Afghanistan nicht gewährleistet. Laut Auswärtigem Amt (Lagebericht vom 31.05.2018, Seite 27 [identische Feststellung im Lagebericht vom 02.09.2019, Seite 30]) findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen, abgesehen von einzelnen Projekten von NROs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. In Kabul gibt es eine staatliche Klinik mit 14 Betten zur stationären Behandlung. Es findet keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen statt. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan weiterhin hoch stigmatisiert, obwohl Schätzungen zufolge 50 % der Bevölkerung psychische Symptome wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung zeigen. Medical Country of Origin Information (MedCOI - Country Fact Sheet Access to Healthcare: Afghanistan, Dezember 2018; vgl. zum Folgenden Seiten 36-38, Seiten 60-63 [identische Feststellungen im Update Mai 2019, Seiten 36-38 und 60-63]) berichtet, obwohl im öffentlichen Gesundheitssektor Behandlungen kostenlos sein sollten, sind sie dies tatsächlich nicht. Man muss insbesondere Medikamente selbst zahlen. In Kabul gibt es nach MedCOI zwei Einrichtungen für psychische Erkrankungen, nicht allerdings sind diese auf Schizophrenie spezialisiert. Das größte Problem besteht im Fehlen von ausgebildetem Fachpersonal und in der ablehnenden bis feindlich-gewaltsamen Einstellung der Bevölkerung, einschließlich der eigenen Familie, gegenüber psychisch erkrankten Personen. |
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| Damit liegen nach Überzeugung des Gerichts in der Person des Klägers im konkreten Einzelfall besondere Umstände vor, die es ihm nicht mehr ermöglichen, in Afghanistan, speziell in Kabul, sein Existenzminimum zu fristen und ein Auskommen zu finden, mit dem er angesichts seiner Erkrankung überleben könnte. Nach der Erkenntnislage besteht aktuell eine Arbeitslosenquote von über 30 % (EASO - Afghanistan: Sozioökonomische Schlüsselindikationen [Kabul, Masar-e Scharif, Herat], April 2019, Seite 31), ferner sind allein im Jahr 2017 etwa 619.000 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, was einen zusätzlichen Druck auf die ohnehin sehr begrenzten Behandlungskapazitäten ausübt. Speziell Rückkehrer und Binnenvertriebene entbehren, anders als die ansässige Bevölkerung, medizinischer Behandlung weitaus eher (MedCOI, Dezember 2018 und Mai 2019, Seite 88/89). Der Kläger gehört angesichts seiner psychischen Erkrankung, zu der noch erschwerend eine dauerhaft behandlungsbedürftige chronisch-entzündliche rheumatische Erkrankung der Wirbelsäule („Morbus Bechterew") hinzutritt, zur Gruppe der vulnerablen Personen. Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass er zur Minderheit der Hazara gehört. Eine Abschiebung würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des psychischen Zustands und ferner auch der körperlichen Gesundheit führen - Letzteres sei es durch eigenaggressives Verhalten des Klägers, der bereits in Schweden einmal einen Suizidversuch unternommen hat, sei es durch auf der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen beruhender gewaltsamer Reaktionen seines Umfelds. Anders als etwa Depression oder PTBS äußert sich die Paranoia gerade auch im Kontakt mit und zu anderen Menschen. So gab der Kläger gegenüber dem Sachverständigen an, wenn er sich beobachte fühle, werde er wütend. Er habe auch immer wieder das Gefühl, jemand komme und schlage ihn. |
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| Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Kläger habe Überlebensfähigkeit gezeigt, indem er in Deutschland eine Ausbildung absolviere und arbeite. Diese hier sozialstaatlich begründeten Bedingungen sind mit denjenigen in Afghanistan in keiner Weise zu vergleichen. Anders als in Deutschland wird der Kläger in Afghanistan ohne staatliche Unterstützung in einem erheblichen Konkurrenzkampf mit anderen Personen um Unterkunft und Arbeitsplatz sowie sonstige Versorgungsbedingungen stehen. Es liegt auf der Hand, dass die physischen und psychischen Kräfte hierdurch von vornherein stark beansprucht und aufgezehrt sein werden, ohne dass damit die Suche nach und Organisation einer geeigneten medikamentösen bzw. therapeutischen Behandlung seiner Erkrankung auch nur ansatzweise angestoßen, geschweige denn gelöst wären. Für eine diese Situation hindernde oder zumindest abmildernde familiäre Unterstützung spricht nichts. Wie oben ausgeführt, besteht eine Stigmatisierung psychischer Krankheit gerade auch in der Familie. Ferner war der insoweit stets konsistente Vortrag des Klägers zumindest dahin für das Gericht glaubhaft, dass die Familie im Iran, also außerhalb Afghanistans lebt. |
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| Diese Prognose einer konkreten Rückkehrgefährdung gilt nicht nur für den Ankunftsort Kabul, sondern landesweit. Es gibt in Afghanistan keinen den Anforderungen des Art. 3 EMRK entsprechenden Zufluchtsort, der die vorgenannten Voraussetzungen - die Möglichkeit unterstellt, sicher in das Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen - erfüllen würde. Die oben bezogen auf städtische Bedingungen erfolgte Würdigung gilt für den ländlichen Bereich erst recht. |
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| b.) Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung mehr. Da es sich bei dem nationalen Abschiebungsschutz um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung) handelt, kommt eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ungeachtet des materiellen Nachrangs des Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht in Betracht (BVerwG, Urt. v. 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris). Vorrangig gewesen ist danach die - hier bejahte - Frage, ob dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zusteht (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.07.2019 - A 9 S 1566/18 -, Rn. 23, juris). |
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| 3.) Aus dem Ergebnis zuvor unter 2.) folgt, dass die Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung und Befristungsentscheidung begründet und die Ziffern 3 und 4 des Bundesamtsbescheids, da den Kläger in seinen Rechten verletzend, folglich aufzuheben sind, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. |
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| Die zulässige Klage ist nur mit dem Hilfsantrag begründet. |
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| 1.) Zu Recht hat das Bundesamt die Unzulässigkeit des Asylantrags festgestellt, da auf den (echten) Zweitantrag des Klägers hin kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist. Der Kläger wird durch diese Entscheidung folglich nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO - zur Anfechtungsklage als statthafter Klageart bei Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen vgl. nunmehr: BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, Rn. 16, juris). |
|
| Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG (in der seit 06.08.2016 geltenden Fassung) ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. § 71a Abs. 1 AsylG bestimmt für den Fall, dass ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (zur Unionsrechtskonformität dieser Bestimmungen vgl. Art. 33 Abs. 2 lit. d) i.V.m. Art. 2 lit q) der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie n.F.]). |
|
| Der Kläger hat zwischen Mai 2012 und Mai 2014 in Schweden ein Asylverfahren betrieben, welches rechtskräftig mit einer ablehnenden gerichtlichen Entscheidung, mithin erfolglos, abgeschlossen worden ist. Dies hat das Bundesamt durch Beiziehung der relevanten Verfahrensunterlagen aus Schweden (einschließlich deren Übersetzung in die deutsche Sprache) ausführlich und sorgfältig ermittelt. Ein Dublin-Überstellungsersuchen an Schweden erfolgte nicht. Auf den in Deutschland gestellten, angesichts der Einreise aus einem EU-Mitgliedstaat (vgl. § 26a Abs. 1 und 2 AsylG) bei verständiger Auslegung (nur) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes gerichteten Asylantrag (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylG) ist jedoch kein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Der Vortrag des Klägers ist, was zusätzlich zur Erfüllung des § 51 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und Abs. 3 VwVfG Grundvoraussetzung für einen verfahrensrelevanten Folge- bzw. Zweitantrag wäre, bereits nicht glaubhaft. Aufgrund dieser auch von ihm so getroffenen Würdigung hat der Generalbundesanwalt das strafrechtliche Ermittlungsverfahren im Januar 2018 mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. |
|
| Geht es um die Wahrheitsfindung im Hinblick auf das Vorbringen eines Ausländers, der (politische) Verfolgung geltend macht, ist zu beachten, dass er sich typischerweise in Beweisnot befindet, soweit es sein individuelles Verfolgungsschicksal betrifft („Zeuge in eigener Sache"). Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an. Seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung ist daher gesteigerte Bedeutung beizumessen (BVerwG, Beschl. v. 10.05.2002 - 1 B 392.01 - Rn. 5, juris). Den Asylbewerber trifft nach Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Anerkennungs- bzw. Qualifikationsrichtlinie) i.V.m. §§ 15 Abs. 1,25 Abs. 1 und 2 AsylG, § 86 Abs. 1 VwGO die Mitwirkungspflicht, seine guten Gründe für eine ihm drohende Verfolgung oder einen sonstigen Schaden in stimmiger, schlüssiger und wirklichkeitsnaher Form vorzutragen. |
|
| Der Vortrag des Klägers ist durch ganz erhebliche, in keinem Stadium des Verfahrens aufgelöste Widersprüche durchzogen. Ganz eklatant ist zunächst der Widerspruch zwischen den Angaben im schwedischen und im deutschen Asylverfahren. In Schweden hat der Kläger seinen Asylantrag damit begründet hat, der Vater sei durch die Taliban unter Druck gesetzt worden, auf seinen Feldern etwas anderes als Weizen anzubauen und deshalb schließlich von ihnen getötet worden. Die Mutter habe die dann weiter erfolgten Schikanen durch die Taliban nicht ertragen und sei mit allen Kindern in den Iran, von wo aus der Kläger weitergereist sei, um einer Abschiebung nach Afghanistan zu entgehen. Völlig anders hingegen ist der Vortrag im deutschen Asylverfahren: Hier will der Kläger, obgleich noch minderjährig, auf Druck des lieblosen Vaters Polizeihelfer geworden und Zeuge sexueller Misshandlungen von Minderjährigen durch seinen Polizeipartner geworden sein. Nachdem er dies nicht mehr habe ertragen können und die Weiterarbeit verweigert habe, sei er schließlich Opfer einer vom Vater initiierten Rekrutierung durch die Taliban geworden. Unter deren Druck und Schikane habe er, selbst brutal misshandelt, Menschenrechtsverletzungen begehen müssen. Von den Taliban sei er nur mithilfe seines später auf der Flucht bei einem Schusswechsel getöteten Bruders losgekommen, der Taliban-Kämpfer, die ihn, den Kläger, abholen wollten, getötet habe. |
|
| Das Gericht konnte sich bereits nicht davon überzeugen, dass die in Deutschland vorgebrachten Gründe, und sei es auch nur in einem Kern, zutreffen könnten. Dem steht der Vortrag des Klägers in Schweden völlig entgegen. Eine Überzeugung davon, eine der beiden „Versionen" sei wahr, ist nicht möglich. Seine Einlassung in mündlicher Verhandlung, Vater und Bruder seien getötet worden, er habe Angst gehabt, die Leute würden ihn auch in Schweden finden, außerdem habe ihm jemand anderes noch gesagt, wenn er alles, wie es gewesen sei, erzähle, würde er ins Gefängnis kommen, nimmt ihm das Gericht nicht ab. Auch insoweit hat sich der Kläger selbst widersprochen. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt hatte er noch angegeben, bei der Asylantragstellung in Schweden sehr nervös und deshalb nicht in der Lage gewesen zu sein, alle Gründe geltend zu machen. Gegenüber seinem behandelnden Facharzt Dr. X. (vgl. dessen Stellungnahme vom 22.10.2017) stellte er, der zu diesem Zeitpunkt bereits über zweieinhalb Jahre in therapeutischer Behandlung war, dies stark abweichend so dar, bei der Anhörung in Schweden davon ausgegangen zu sein, seine Aussagen würden an die Regierung in Afghanistan und auch an die Taliban weitergegeben. Er habe dort unter ständigen Verfolgungsängsten und massiven Schlafstörungen gelitten und sei überzeugt gewesen, die Taliban würden ihn auch dort finden. |
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| Selbst wenn man jedoch nur den Vortrag in Deutschland zur alleinigen Grundlage einer Glaubhaftigkeitsprüfung machte, fehlt es auch an zahlreichen weiteren Stellen an Plausibilität, Kohärenz und Stimmigkeit. So liegt bereits eine erhebliche, nicht nachvollziehbare Steigerung darin, dass der Kläger im Juni 2016 gegenüber Dr. X., bei dem er seit Mitte Mai 2015 in Behandlung war, angegeben hatte, im Lager der Taliban 2 Jahre gelebt zu haben, während bei späteren Anhörungen stets nur von 6 Monaten die Rede war. Sehr auffällig ist auch, dass in dieser fachärztlichen Stellungnahme ausschließlich von der Traumatisierung bzw. Bedrohung durch die Taliban die Rede war, nicht hingegen von den Vorfällen um die Erschießung des Polizeipartners, welcher einen Freund des Klägers vergewaltigt haben soll. Besonders auffällig und einen verlässlichen Rückschluss auf Erlebtes wesentlich verhindernd ist in diesem Zusammenhang ferner wiederum, dass der Kläger gegenüber dem Gerichtsgutachter Prof. Dr. ... ausschließlich über die Furcht vor Rache durch die Familie des Polizeipartners sprach, in keiner Weise jedoch von der ansonsten während des Verfahrens als ganz besonders brutal und traumatisierend berichteten Zeit bei den Taliban. |
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| Die in einer psychischen Erkrankung des Klägers liegende Einschränkung seiner Aussagefähigkeit geht in diesem Zusammenhang nicht zu seinen Gunsten. Entgegen den ausschließlich kurativen Behandlern Dr. X. (seit Mai 2015 bis heute) und Frau Y. (von April 2015 bis [so der Kläger] etwa 2017) kann nicht davon ausgegangen werden, beim Kläger liege eine posttraumatische Belastungsstörung vor. Der über mehr als zwei Jahrzehnte hinweg gerichtlich mit Fällen psychoreaktiver Erkrankungen und ihrer Bedeutung für den Prozess befasste Sachverständige Prof. Dr. ..., Leiter der Sektion Forensische Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums ..., hat in seinem Gutachten vom 13.05.2019 (vgl. dort Seite 8 ff.) überzeugend ausgeführt, dass die Symptome bzw. Diagnosekriterien hierzu nicht verlässlich feststellbar sind. Ein Trauma lässt sich angesichts der widersprüchlichen und völlig inkohärenten Aussagen des Klägers nicht sichern, überdies konnte aufgrund der völlig wechselnden Angaben nicht geklärt werden, welches Trauma wiedererlebt wird. Ferner wurden keine intrusiven Erlebnisse geschildert, keine Flashbacks, kein Vermeidungsverhalten. Ohnehin sind laut dem Sachverständigen, der sich hier zugleich mit dem vom Kläger ins Feld geführten Beitrag von Elbert/Schauer („Spuren belastender Lebenserfahrungen in Genom, Gehirn und Geist") auseinandersetzt, auch bei einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht alle Regeln der Aussagepsychologie zur Glaubhaftigkeit außer Kraft gesetzt, insbesondere - so hier - völlig widersprüchliche Versionen nicht möglich. Beim Kläger ist (mit der Folge für einen nationalen Abschiebungsschutz, dazu unter 2.) die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie zu stellen. Damit aber bleibt unklar, ob die berichteten Erlebnisse Wahnerinnerungen oder erfunden sind oder tatsächlich stattgefunden haben, was mithin Rückschlüsse auf einen Erlebnisbezug verhindert. |
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| Eine - wie vom Kläger hervorgehoben - aufgrund Beeinträchtigung des chronologischen Gedächtnisses abweichende Aussagepsychologie bei traumatisierten Personen hat der Sachverständige im Rahmen der die posttraumatische Belastungsstörung betreffenden Differenzialdiagnose verneint. Selbst wenn solches nicht völlig ausgeschlossen werden könnte, wären hierdurch die zahlreichen Widersprüche und Steigerungen im Vortrag des Klägers, weil im Wesentlichen inhaltlicher Art, nicht zu erklären, jedenfalls aber in ihrer möglichen psychisch-seelischen Ursache nicht weiter aufklärbar. Grundsätzlich aber trägt der Schutzsuchende die (materielle) Beweislast für das Vorliegen der (positiven) Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und geht insoweit ein non liquet zu seinen Lasten. Dies gilt jedenfalls bei einem nicht vorverfolgt ausgereisten Antragsteller hinsichtlich der Frage, ob ihm bei Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (BVerwG, Urt. v. 04.07.2019 – 1 C 33/18 -, Rn. 26 - 27, juris; Beschl. v. 15.08.2017 - 1 B 120/17, 1 PKH 75/17 -, Rn. 8, juris). Für den subsidiären internationalen Schutz und - wie hier - für die vorgelagerte Frage eines Wiederaufgreifensgrundes in Folge- bzw. Zweitantragsfällen hat Entsprechendes zu gelten. |
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| Sonstigen Vortrag für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens nunmehr in Deutschland hat der Kläger nicht vorgebracht. Andere als vom Folge-/Zweitantragsteller selbst geltend gemachte Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sind der Prüfung des Antrags nicht zugrunde zu legen (vgl. m.w.n.: BeckOK AuslR/Dickten, 23. Ed. 1.8.2019, AsylG § 71 Rn. 15). |
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| 2.) Der zulässige Hilfsantrag ist begründet, da der Kläger entgegen der negativen Feststellung in Ziff. 2 des Bundesamtsbescheids einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. |
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| Die gemäß § 31 Abs. 3 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegen, betrifft einen eigenen Streitgegenstand. Dieser kann - wie vom Kläger getan - in Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen - durch den Schutzsuchenden zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden (BVerwG, Urt. v. 14.12.2016, a.a.O., Rn. 20). |
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| a.) Abschiebungsschutz ist dem Kläger gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG zu gewähren. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Im Falle einer Abschiebung wird eine Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 EMRK dann begründet, wenn erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Fall der Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein. |
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| Auch schlechte humanitäre Verhältnisse können eine Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen, und zwar auch dann, wenn es - wie insoweit in Afghanistan - an einem verantwortlichen Akteur fehlt. Es sind also im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK nicht nur Gefahren für Leib und Leben berücksichtigungsfähig, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen, sondern auch „nichtstaatliche“ Gefahren auf Grund prekärer Lebensbedingungen, wobei dies aber nur in ganz außergewöhnlichen Einzelfällen in Betracht kommt, wenn die Abschiebung beachtlich wahrscheinlich zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Betroffenen führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte. Zu berücksichtigen sind die landesweiten Lebensverhältnisse in Afghanistan, diejenigen in Kabul als Ziel- bzw. Endort der Abschiebung sowie die persönliche Situation des Klägers (vgl. mit zahlreichen Nachweisen: VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.06.2019 - A 11 S 2108/18 -, Rn. 22 ff. und 110 ff., juris). |
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| Die Lage in Kabul ist prekär. Sowohl die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die humanitären Umstände und die Sicherheitslage sind schlecht. Zudem sind Afghanistan und insbesondere Kabul gerade auch in jüngster Zeit mit der Rückkehr einer Vielzahl von Menschen aus dem benachbarten und westlichen Ausland konfrontiert. Bestimmte, vulnerable Gruppen wie etwa Familien mit jüngeren Kindern, alleinstehende Frauen, Kranke oder ältere Menschen sind in besonderem Maße gefährdet (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 26.06.2019, a.a.O., Rn. 110 ff.). Solche ihn als vulnerable Person kennzeichnende, erschwerende individuelle Umstände liegen im Falle des Klägers vor. Er leidet gemäß des Sachverständigengutachtens Prof. Dr. ... an einer paranoiden Schizophrenie. Symptomatisch äußert sich die Erkrankung in akustischen Halluzinationen und Wahnphänomenen mit Wahnwahrnehmungen betreffend den Verfolger (einen Mann, der immer der gleiche sei, aber stets sein Aussehen verändere). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger dies - obgleich seinen Verfolgungswahn erstmals dem gerichtlichen Sachverständigen und nie zuvor seinen kurativen Behandlern offenbarend - simuliert haben könnte, gibt es nicht. Der zur Kenntnis des Gerichts langjährig im Bereich der Diagnose psychoreaktiver Erkrankungen tätige und erfahrene Prof. Dr. ... führt insoweit aus, er habe auf verschiedene Art und Weise nach den Symptomen gefragt, ohne dass eine Steigerung im Vortrag erkennbar gewesen wäre. Auch habe der Kläger Symptome nicht beliebig bejaht, sondern auch verneint, was einer typischen, nicht erlernten Schilderung entspreche und gegen ein Vortäuschen spreche. Gerade weil von den Vorbehandlern entsprechende Fragen zur Schizophrenie offensichtlich nicht gestellt worden seien, spreche dies für die Diagnose und gegen eine Simulation, da ein Simulant die Symptome aktiv nenne, der Kläger hingegen erstmals bei der Begutachtung nach den Symptomen gefragt worden sei und diese erst dann bejaht habe. Auch dem Gericht gegenüber hat der Kläger angegeben, Dr. X. und Frau Y. gegenüber nie von seinen Wahrnehmungen berichtet zu haben, da er hiernach nicht gefragt worden sei. |
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| Der Kläger bedarf laut Sachverständigem einer antipsychotischen medikamentösen Therapie. Diese sowie die selbstredend hierbei erforderliche fachärztliche Begleitung und Überwachung ist bei Rückkehr nach Afghanistan nicht gewährleistet. Laut Auswärtigem Amt (Lagebericht vom 31.05.2018, Seite 27 [identische Feststellung im Lagebericht vom 02.09.2019, Seite 30]) findet die Behandlung von psychischen Erkrankungen, abgesehen von einzelnen Projekten von NROs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. In Kabul gibt es eine staatliche Klinik mit 14 Betten zur stationären Behandlung. Es findet keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen statt. Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan weiterhin hoch stigmatisiert, obwohl Schätzungen zufolge 50 % der Bevölkerung psychische Symptome wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung zeigen. Medical Country of Origin Information (MedCOI - Country Fact Sheet Access to Healthcare: Afghanistan, Dezember 2018; vgl. zum Folgenden Seiten 36-38, Seiten 60-63 [identische Feststellungen im Update Mai 2019, Seiten 36-38 und 60-63]) berichtet, obwohl im öffentlichen Gesundheitssektor Behandlungen kostenlos sein sollten, sind sie dies tatsächlich nicht. Man muss insbesondere Medikamente selbst zahlen. In Kabul gibt es nach MedCOI zwei Einrichtungen für psychische Erkrankungen, nicht allerdings sind diese auf Schizophrenie spezialisiert. Das größte Problem besteht im Fehlen von ausgebildetem Fachpersonal und in der ablehnenden bis feindlich-gewaltsamen Einstellung der Bevölkerung, einschließlich der eigenen Familie, gegenüber psychisch erkrankten Personen. |
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| Damit liegen nach Überzeugung des Gerichts in der Person des Klägers im konkreten Einzelfall besondere Umstände vor, die es ihm nicht mehr ermöglichen, in Afghanistan, speziell in Kabul, sein Existenzminimum zu fristen und ein Auskommen zu finden, mit dem er angesichts seiner Erkrankung überleben könnte. Nach der Erkenntnislage besteht aktuell eine Arbeitslosenquote von über 30 % (EASO - Afghanistan: Sozioökonomische Schlüsselindikationen [Kabul, Masar-e Scharif, Herat], April 2019, Seite 31), ferner sind allein im Jahr 2017 etwa 619.000 Personen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt, was einen zusätzlichen Druck auf die ohnehin sehr begrenzten Behandlungskapazitäten ausübt. Speziell Rückkehrer und Binnenvertriebene entbehren, anders als die ansässige Bevölkerung, medizinischer Behandlung weitaus eher (MedCOI, Dezember 2018 und Mai 2019, Seite 88/89). Der Kläger gehört angesichts seiner psychischen Erkrankung, zu der noch erschwerend eine dauerhaft behandlungsbedürftige chronisch-entzündliche rheumatische Erkrankung der Wirbelsäule („Morbus Bechterew") hinzutritt, zur Gruppe der vulnerablen Personen. Es kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass er zur Minderheit der Hazara gehört. Eine Abschiebung würde mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung des psychischen Zustands und ferner auch der körperlichen Gesundheit führen - Letzteres sei es durch eigenaggressives Verhalten des Klägers, der bereits in Schweden einmal einen Suizidversuch unternommen hat, sei es durch auf der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen beruhender gewaltsamer Reaktionen seines Umfelds. Anders als etwa Depression oder PTBS äußert sich die Paranoia gerade auch im Kontakt mit und zu anderen Menschen. So gab der Kläger gegenüber dem Sachverständigen an, wenn er sich beobachte fühle, werde er wütend. Er habe auch immer wieder das Gefühl, jemand komme und schlage ihn. |
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| Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Kläger habe Überlebensfähigkeit gezeigt, indem er in Deutschland eine Ausbildung absolviere und arbeite. Diese hier sozialstaatlich begründeten Bedingungen sind mit denjenigen in Afghanistan in keiner Weise zu vergleichen. Anders als in Deutschland wird der Kläger in Afghanistan ohne staatliche Unterstützung in einem erheblichen Konkurrenzkampf mit anderen Personen um Unterkunft und Arbeitsplatz sowie sonstige Versorgungsbedingungen stehen. Es liegt auf der Hand, dass die physischen und psychischen Kräfte hierdurch von vornherein stark beansprucht und aufgezehrt sein werden, ohne dass damit die Suche nach und Organisation einer geeigneten medikamentösen bzw. therapeutischen Behandlung seiner Erkrankung auch nur ansatzweise angestoßen, geschweige denn gelöst wären. Für eine diese Situation hindernde oder zumindest abmildernde familiäre Unterstützung spricht nichts. Wie oben ausgeführt, besteht eine Stigmatisierung psychischer Krankheit gerade auch in der Familie. Ferner war der insoweit stets konsistente Vortrag des Klägers zumindest dahin für das Gericht glaubhaft, dass die Familie im Iran, also außerhalb Afghanistans lebt. |
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| Diese Prognose einer konkreten Rückkehrgefährdung gilt nicht nur für den Ankunftsort Kabul, sondern landesweit. Es gibt in Afghanistan keinen den Anforderungen des Art. 3 EMRK entsprechenden Zufluchtsort, der die vorgenannten Voraussetzungen - die Möglichkeit unterstellt, sicher in das Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen - erfüllen würde. Die oben bezogen auf städtische Bedingungen erfolgte Würdigung gilt für den ländlichen Bereich erst recht. |
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| b.) Ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllt sind, bedarf keiner Prüfung mehr. Da es sich bei dem nationalen Abschiebungsschutz um einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (§ 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 einschließlich Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung) handelt, kommt eine Abschichtung einzelner nationaler Abschiebungsverbote im Laufe des gerichtlichen Verfahrens ungeachtet des materiellen Nachrangs des Abschiebungsverbots in verfassungskonformer Auslegung des § 60 Abs. 7 Satz 1 und 5 AufenthG nicht in Betracht (BVerwG, Urt. v. 08.09.2011 - 10 C 14.10 -, juris). Vorrangig gewesen ist danach die - hier bejahte - Frage, ob dem Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zusteht (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 17.07.2019 - A 9 S 1566/18 -, Rn. 23, juris). |
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| 3.) Aus dem Ergebnis zuvor unter 2.) folgt, dass die Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsandrohung und Befristungsentscheidung begründet und die Ziffern 3 und 4 des Bundesamtsbescheids, da den Kläger in seinen Rechten verletzend, folglich aufzuheben sind, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. |
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