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| Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat Anspruch auf die begehrte Feststellung seiner luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit (§ 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 S. 1 VwGO). |
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| Als Logistikfachkraft einer Firma, die Luftfrachtlieferungen am Flughafen (...) ausführt, bedarf der Kläger gem. § 7 Abs.1 Nr. 2 LuftSiG einer positiven Zuverlässigkeitsfeststellung, die ihm auf Antrag (§ 7 Abs. 2 S. 1 LuftSiG) erteilt wird. Ohne positive Entscheidung über die Zuverlässigkeit bekäme er sonst keinen Zugang zum Flughafen (§ 7 Abs. 6 S. 1 LuftSiG). |
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| Diese Zuverlässigkeit liegt beim Kläger vor, weil an ihr keine Zweifel bestehen, und ist ihm deshalb vom Beklagten auf den von ihm gestellten Antrag durch einen feststellenden Bescheid zu bescheinigen. |
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| 1. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit richtet sich nach § 7 Abs.1 LuftSiG, der durch die Novellierung des LuftSiG durch das „Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen luftsicherheitsrechtlicher Zuverlässigkeitsüberprüfungen“ (v. 22.04.2020 – BGBl. v. 30.04.2020 -, Jg. 2020, Teil I, Nr. 20, S. 840) nicht geändert wurde. |
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| Die „Zuverlässigkeit“ liegt nach § 7 Abs. 1 LuftSiG (der verfassungsgemäß ist – vgl. BVerfG, B. v. 04.05.2010 – 2 BvL 7/07 u.a.) nur vor, wenn der Betroffene Gewähr dafür bietet, dass er die Pflichten zum „Schutz des Luftverkehrs vor Angriffen“ (so der Schutzzweck des LuftSiG – vgl. § 1 LuftSiG) jederzeit erfüllt. Der Betreffende muss nach dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit das erforderliche Maß an Verantwortungsbewusstsein und Selbstbeherrschung aufbringen, selbst bei dem Inaussichtstellen von Vorteilen oder bei der Androhung von Nachteilen, ohne Beeinflussung durch fremde Manipulation, also aus eigenem Antrieb die Belange der Sicherheit des Luftverkehrs zu wahren und die ihm obliegenden Pflichten zum Schutz vor Eingriffen, insbesondere vor Flugzeugentführungen und Sabotageakten, jederzeit in vollem Umfang zu erfüllen. |
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| Dabei ist mit Blick auf die in Rede stehenden Rechtsgüter ein strenger Maßstab anzulegen. Wegen des hohen Schutzguts genügt deshalb ein geringer Gefahrengrad. § 7 Abs. 6 LuftSiG ist zu entnehmen, dass von der luftverkehrsrechtlichen Zuverlässigkeit nur ausgegangen werden kann, soweit „keine“ Zweifel bleiben. Die Zuverlässigkeit ist also schon bei geringen Zweifeln zu verneinen, ohne dass sich hieraus im Hinblick auf das betroffene Grundrecht des Betroffenen auf Freiheit der Berufsausübung aus Art. 12 GG Bedenken ergeben. Diese Rechtsprechung ist trotz Einfügung des Abs. 1a nicht überholt (OVG Bremen, B. v. 27.07. 2017 - 1 B 81/17 - juris Rn. 13 sowie OVG NRW, B. v. 01.03.2018 - 20 B 1340/17 - juris Rn. 10 und B. v. 30.05.2018 - 20 A 89/15 - juris Rn. 11 m. w. N. zu § 7 LuftSiG in der bis zum 03.03.2017 geltenden Fassung). |
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| Der Begriff der Zuverlässigkeit unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle. Bei Verpflichtungsklage ist für Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Ablehnungsbescheids die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich (vgl. BVerwG, U. v. 11.11.2004 - 3 C 8.04 -, NVwZ 2005, 450 und im Anschluss daran VG Berlin, U. v. 24.01.2018 - 13 K 279.16 -, juris). |
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| In der Regel fehlt gem. § 7 Abs. 1a S. 2 Nr. 3 LuftSiG die Zuverlässigkeit, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Person „Bestrebungen“ i.S.d § 3 Abs.1 BVerfSchG „verfolgt oder unterstützt“ oder „in den letzten 10 Jahren verfolgt oder unterstützt hat“. |
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| § 7 Abs. 1a Satz 2 LuftSiG enthält Regelbeispiele für Fälle, in denen regelmäßig die Unzuverlässigkeit anzunehmen ist, sodass nur bei Vorliegen atypischer Umstände ein Abweichen von dieser Regel gerechtfertigt ist. |
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| § 7 Abs. 1a Satz 2 LuftSiG wurde gerade zu dem Zweck neu in das Gesetz eingefügt, im Interesse einer Erleichterung der Rechtsanwendung anhand von Regelbeispielen eine Orientierung für die Konkretisierung des Begriffs der Unzuverlässigkeit zu geben (so ausdrücklich BR-Drs. 414/16, S. 51, BT-Drs. 18/9752, S. 55; siehe auch OVG NRW, B. v. 1.3.2018 - 20 B 1340/17 -, juris Rn. 31 ff.). Dabei hat sich der Gesetzgeber inhaltlich an den Vorschriften des § 18 Abs. 2 LuftPersV bzw. des § 5 WaffG orientiert, die ebenfalls eine Prüfung der Zuverlässigkeit des Antragstellers vorsehen (BR-Drs. 414/16, BT-Drs. 18/9752, jew. a. a. O.) und nach einhelliger Auffassung Regelbeispiele enthalten (vgl. nur BVerwG, U. v. 14.12.1990 - 7 C 20/90 -; Heinrich, in: Steindorf, Waffenrecht, 10. Auflage 2015, § 5 Rn. 13, Gade/Stoppa, Waffengesetz, 1. Auflage 2011, § 5 Rn. 21). |
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| „Bestrebungen im Sinne von § 3 Abs.1 Nr. 1 BVerfSchG“ sind unter anderem solche, die gegen die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ gerichtet sind. |
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| Zu den Kerninhalten dieser Grundordnung zählen gem. § 4 Abs. 3 a – g BVerfSchG folgende Elemente: Volkssouveränität, Wahlen, Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung und der Exekutive und Judikative an Gesetz und Recht auf parlamentarische Opposition, Ablösbarkeit der Regierung und deren Verantwortung gegenüber Volksvertretung, Unabhängigkeit der Gerichte, Ausschluss Gewalt und Willkürherrschaft, Menschenrechte. |
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| Dagegen gerichtete „Bestrebungen“ sind gem. § 4 Abs. 1 c BVerfSchG „politisch bestimmte ziel- und zweckgerichtete“ Verhaltensweisen „in einem oder für einen Personenzusammenschluss“, der darauf gerichtet ist, die genannten Grundsätze „zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen“. |
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| „Für einen Personenzusammenschluss“ handelt, wer ihn „in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt“ (§ 4 Abs. 2 BVerfSchG). Verhaltensweisen von „Einzelpersonen“, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind nur dann Bestrebungen im genannten Sinne, wenn sie „auf die Anwendung von Gewalt gerichtet“ sind (§ 4 Abs. 4 BVerfSchG). |
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| Die materielle Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale der die Zuverlässigkeit ausschließenden Regelvermutung trägt die Behörde (so zu dem wortgleichen einbürgerungsrechtlichen Ausschlussgrund des § 11 S. 1 Nr. 1 StAG der VGH Bad.-Württ., U. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, juris, Rn. 34 m.w.Nw. der Rspr. u. Lit.). |
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| 2. Nach diesen Maßstäben und Grundsätzen bestehen im vorliegenden Fall keine – auch keine nur geringen – Zweifel an der Zuverlässigkeit des Klägers. |
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| Die Regelvermutung der fehlenden Zuverlässigkeit (vgl. § 7 Abs.1a, S. 2 Nr. 3 LuftSiG) greift nämlich im vorliegenden Fall schon nicht ein, weil es an den insoweit erforderlichen tatsächlichen Anhaltspunkten dafür fehlt, dass der Kläger gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen unterstützt oder verfolgt bzw. dies in den letzten zehn Jahren getan hätte. |
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| Die einzige vom Beklagten dafür überhaupt nur vorgetragene Tatsache, nämlich dass der Kläger ausweislich des Vereinsregisters in der Vergangenheit Sekretär der „IGMG Ortsvereins ... e.V.“ gewesen ist, stellt insoweit keinen solchen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Klägers dar, zumal er auch diese Funktion nur für die lediglich kurze Zeit von vier Monaten (vom 15.01. bis zum 15.05.2017) innegehabt hat und seither wieder nur einfaches Mitglied ist, was er - seitens des Beklagten unwidersprochen - schon im Verwaltungs- und Klageverfahren und auch erneut im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgetragen hat. |
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| Aus einer bloßen Mitgliedschaft bzw. zumindest aus einer hervorgehobenen Funktionärstätigkeit in einer Organisation lässt sich aber ein Rückschluss auf antidemokratische, freiheitsfeindliche Bestrebungen des Mitglieds nur dann ableiten, wenn die Organisation solche Bestrebungen aufgrund einer ideologisch homogenen Struktur selbst einheitlich verfolgt, nicht hingegen wenn sie inhomogen ist, also in ihr verschiedene, darunter auch unbedenkliche Strömungen existieren (so ausdrücklich BVerwG, U. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, juris, Rn. 20; ebenso schon BVerwG, U. v. 11.11.2004 - 3 C 8/04 -, juris, Rn. 39). |
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| Bei der IGMG aber handelt es sich insofern (schon lange) nicht (mehr) um eine Organisation deren Zielsetzungen so homogen und einheitlich gegen die freiheitlich demokratische Ordnung gerichtet sind, dass schon die bloße Mitgliedschaft in dieser Organisation und erst recht das Innehaben einer über die bloße Mitgliedschaft hinausgehenden Funktion, wie der eines Sekretärs eines Ortsvereins, zwingend darauf schließen lässt, dass auch der ihr angehörende Einzelne selbst entsprechende Bestrebungen verfolgt. |
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| Vielmehr handelt es sich bei der IGMG um eine Organisation, die zwar vor vielen Jahren noch eine solche einheitliche, homogene Zielsetzung verfolgt haben mag, sich aber schon seit vielen Jahren, beginnend spätestens seit 2003, 2004, im Rahmen eines - auch stark durch einen Generationenwechsel mitbedingten - Erneuerungs- und Reformprozesses zu einer insoweit inhomogenen Organisation gewandelt hat, deren Schwerpunkt nicht mehr in einer politischen Zielsetzung der Herbeiführung einer antidemokratisch geprägten Gesellschaftsordnung, sondern im Wesentlich im religiösen Bereich liegt, und in der neben – nach wie vor noch existenten - mit der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung unvereinbaren traditionellen ursprünglichen Strömungen jedenfalls heute durchaus auch damit vereinbare, liberale, reformorientierte Strömungen vorzufinden sind. |
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| Das ergibt sich ganz eindeutig aus den zahlreichen Berichten der verschiedensten Landesämter für Verfassungsschutz, die zum Teil die Beobachtung der IGMG mittlerweile schon ganz aufgegeben haben, sowie des Bundesamtes für Verfassungsschutz, einzelner Studien und auch aus der Einstufung durch das Bundesinnenministerium, das für eine differenzierte Betrachtung der IGMG eintritt, und wird in der gesamten auf diese Einschätzungen und Erkenntnisse abstellenden bundesweiten einbürgerungsrechtlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte der letzten Jahre auch so gesehen, auf die hier zurückgegriffen werden kann, weil der in § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG geregelte einbürgerungsrechtliche Ausschlussgrund des Vorliegens von Anhaltspunkten für verfassungsfeindlicher Bestrebungen, wörtlich dem im vorliegenden Fall relevanten luftsicherheitsrechtlichen Regelvermutungstatbestand des § 7 Abs. 1a, 2 Nr. 3 LuftSiG entspricht (so etwa schon VGH Bad.-Württ., U. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, juris, Rn. 47 ff. und auch U. v. 08.05.2013 - 1 S 2046/12 -, juris, Rn. 44 sowie aus jüngerer Zeit VG Berlin, U. v. 24.01.2018 - 13 K 279/16 - juris, Rn. 22 - 25 und VG Berlin, U. v. 08.01.2020 - 2 K 70.18 -, juris, Rn. 19 sowie das vom Kläger ins Verfahren eingeführte Urteil des VG Sigmaringen v. 13.06.2019 - 9 K 2811/17 -, EA S. 31 – 33; siehe auch VG Würzburg, U. v. 09.03.2015 - W 7 K 14.917 -, juris, Rn. 31 und VG Braunschweig, U. v. 16.12.2015 - 5 A 76/14 -, juris, Rn. 33 - 36; ferner VG Köln, U. v. 30.10.2013 - 10 K 2393/12 -, juris, Rn. 42 - 47; OVG Bln.-Brdbg. U. v. 10.02.2011 - OVG 5 B 6.07 -, juris, Rn.29). |
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| Dafür, dass dies etwa nach neuesten Erkenntnissen heute nicht mehr, oder jedenfalls nicht für die in Baden-Württemberg aktiven Teilgliederungen der IGMG gelten sollte, liegen dem Gericht keine Anhaltspunkte vor und ist auch sonst nichts ersichtlich (vgl. zu der nach wie vor zwar antidemokratische Tendenzen einerseits, aber auch nachlassender Gefährdungseinschätzung durch die Verfassungsschutzämter andererseits ausweisenden Auskunftslage: www.wikipedia.org/wiki/Islamische_Gemeinschaft_Millî_Görüş#Beobachtung_durch_den_Verfassungsschutz und https://de.wikipedia.org/wiki/Millî_Görüş- dort Ziff.5.2.1.: Deutschland und Ziff. 6.1 – 6.3: Antidemokratische Tendenzen, Wirtschaftliche Verflechtungen, Bezug zu gewalttätigem Islamismus). Dies hat das beklagte Land im vorliegenden Verfahren und auch trotz gerichtlicher Nachfrage in der mündlichen Verhandlung selbst nicht etwa behauptet, sondern sich mit dieser Sach- und Rechtslage trotz der Hinweise darauf von Klägerseite in der Klagebegründung und in der mündlichen Verhandlung vielmehr gar nicht weiter auseinandergesetzt. |
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| Es verweist lediglich auf die Berichte der Landesämter für Verfassungsschutz Baden-Württemberg bzw. Bayern. Selbst diesen aber ist insoweit für eine etwa auch heute noch seit damals völlig unverändert anhaltende einheitlich homogene antidemokratische Prägung der IGMG nichts zu entnehmen. Das Landesamt für Verfassungsschutz berichtet zwar durchaus von immer noch starken antidemokratischen Tendenzen in der IGMG und nennt auch Beispiele aus jüngster Zeit, wie etwa Gedenkfeiern für den eindeutig antidemokratisch orientierten, 2011 verstorbenen Gründer Erbakan, dessen Gedankengut weiter gepflegt werde, oder auch für den einstigen ägyptischen Ministerpräsidenten Mursi, der als Vertreter der islamistischen, demokratiefeindlichen Muslimbrüder auch antidemokratische Ziele vertrat und umsetzte. Es spricht aber in seinem eigenen Bericht zugleich auch selbst von der „gesamten Bandbreite“ der Milli Görüs“-Bewegung, die in Deutschland vertreten sei und von ihrer „Aufsplitterung“ in „unterschiedliche Komponenten“ sowie von der „jeweiligen Orientierung“ und „Konkurrenzverhältnissen zwischen Fraktionen und Personen“ (Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg, 2019, S. 78 ff, [81, 82], [83, 89]; ebenso der Bericht für 2018, S. 79,80). |
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| Selbst wenn aber dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg für das vorliegende Verfahren besonderes Gewicht zukommen sollte, weil es sich bei dem Ortsverein der IGMG, welchem der Kläger angehört, immerhin um einen in Baden-Württemberg angesiedelten Verein handelt, entfaltet die darin enthaltene Einschätzung der IGMG als (nach wie vor) antidemokratische Bewegung – entgegen der vom Beklagten in der Klageerwiderung vertretenen Rechtsansicht – nicht etwa eine die Beteiligten und mittelbar damit auch das Gericht bindende Wirkung im Sinne einer Art „Tatbestandswirkung“, sondern unterliegt der kritischen Analyse des Gerichts. Eine solche Tatbestandswirkung mag nämlich allenfalls eine in einem Verfassungsschutzbericht selbst als verfassungsfeindlich eingestufte und als solche bezeichnete Organisation gegen sich gelten lassen müssen, wenn und solange sie sich nicht mit den ihr möglichen Rechtsmitteln dagegen selbst zur Wehr setzt (vgl. in diesem Sinne bezüglich einer Einstufung der Scientology Organisation als verfassungsfeindlich im Bayerischen Verfassungsschutzbericht VG München, U. v. 28.08.2019 - M 31 K 19.203 -, juris, Rn. 20 - 22; zu den Klagemöglichkeiten einer Organisation gegenüber Einstufungen und Bezeichnungen sowie Berichten über sie in einem Verfassungsschutzbericht siehe BayVGH, B. v. 16.07.2010 - 10 CE 10.1201 -, juris zu einem entsprechenden Rechtsschutzbegehren der IGMG und zum Rechtsschutz insoweit auch VGH Bad.-Württ., U. v. 11.11.2006 - 1 S 2321/05 -, juris, Rn. 23 ff.). Gegenüber einem einzelnen Mitglied kann dies hingegen nicht gelten, das – wie hier etwa auch der Kläger – wenig allgemeine Kenntnisse und schon gar keine detaillierten Kenntnisse von Existenz, Inhalt und Umfang eines Verfassungsschutzberichtes hat, der ihm auch nicht als solcher etwa offiziell bekanntgemacht worden ist, und das vor allem als Individuum – anders als der rechtsfähige Verein selbst – wegen seiner allenfalls mittelbaren Betroffenheit mangels eigener Rechtsverletzung gar keine Antrags- bzw. Klagebefugnis besitzt (§ 42 Abs. 2 VwGO) und daher gegenüber einem solchen Bericht gar keinen individuellen Rechtsschutz in statthafter und zulässiger Weise geltend machen kann. Vielmehr ist hier in einem Verfahren des Einzelmitglieds – wie im vorliegenden Verfahren – vom Gericht eine Inzidentprüfung der Plausibilität, Willkürfreiheit und Überzeugungskraft der Einschätzung der Verfassungsfeindlichkeit der IGMG durch das Landesamt für Verfassungsschutz vorzunehmen. |
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| Insofern hebt das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg einerseits zwar durchaus nachvollziehbar darauf ab, dass eine antidemokratische, gegen die freiheitliche Ordnung gerichtete Bestrebung der IGMG daraus ersichtlich werde, dass einige ihrer in Baden-Württemberg existierenden insgesamt 60 Ortsvereine und 4 Regionalverbände erkennbar nach wie vor die auf einen Kampf zwischen Gut und Böse (d.h. dem Falschen, Nichtigen/Unislamischen, rassistischen Imperialismus der EU usw.) abstellende Programmatik des Gründers Erbakan propagierten, Gedenkveranstaltung für Mursi, den in seiner Amtszeit als ägyptischer Ministerpräsident Freiheitsrechte beschneidenden Anführer der ägyptischen Moslembruderschaft, für Eygi, den langjährigen, antijüdisch und verschwörungstheoretisch eingestellten Autor der Milli Gazete, und für Erbakan selbst, den zweifellos antidemokratisch eingestellten Gründer der IGMG, abhielten und dass insofern auch festzustellen sei, das selbst bei jungen Anhängern der IGMG dieses tradierte Gedankengut in reiner Form zum Tragen komme. |
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| Andererseits aber dürfte es zumindest fragwürdig sein, wenn das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg etwa in seinem Bericht 2020 (S. 84 – 87) - wie auch schon in den Berichten aus den vorgehenden Jahren - eine Verfassungsfeindlichkeit, d.h. eine Unvereinbarkeit der Bestrebungen der IGMR mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, unter anderem bereits daraus ableitet, dass diese die Zugehörigkeit zur islamischen „Glaubensgemeinschaft als prioritäres Identitätsmerkmal“ ansehe, und daraus im Rückschluss folgert, dass die IGMG damit „die Beziehung zu Anders- und Nichtgläubigen als nachrangig“ betrachte, dass sie auf „Konformität und Homogenität“ ausgerichtet sei, dass „nationalistische“ Aspekte bei der Vermittlung identitätsbildender Angebote eine Rolle spielten, dass das von der IGMG propagierte „Kopftuchgebot“ für Frauen auf eine auf Geschlechtertrennung gründenden Gesellschaft abziele und im gesellschaftspolitischen Kontext „eine Reihe von Konfliktfeldern, insbesondere hinsichtlich der Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben im säkularen Staat“ eröffne, und dass schließlich das kritische Hinterfragen dieses Themenkomplexes von der IGMG als „islamfeindliche Diskriminierung oder Manifestation rechtspopulistischer“ Gesinnung gedeutet werde. |
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| Da die IGMG nach allem eine inhomogene, nicht einheitlich antidemokratische und freiheitsfeindliche Ziele verfolgende Organisation ist, in der auch unter dem Aspekt der Verfassungsfeindlichkeit unbedenkliche Strömungen und Richtungen existieren, kann entgegen der Ansicht des Beklagten aus seiner Mitgliedschaft alleine kein Rückschluss auf individuell bei ihm vorhandene zur regelhaften Annahme der Unzuverlässigkeit führende verfassungsfeindliche Bestrebungen gezogen werden. Vielmehr kommt es entscheidend darauf an, welcher dieser Richtungen der Kläger selbst innerhalb der IGMG zuzuordnen ist. Das wiederum lässt sich nur beantworten aufgrund seiner eigenen individuellen Handlungen, konkreten Aktivitäten, eigenen Äußerungen und Verlautbarungen sowie ergänzend und indiziell aufgrund von Erkenntnissen über eine möglicherweise vorhandene, grundlegend vorhandene Ausrichtung des Ortsvereins beantworten, dem er angehört. |
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| In der einbürgerungsrechtlichen Rechtsprechung wird mit Bezug auf die Einbürgerungsschädlichkeit einer Mitgliedschaft und von Aktivitäten für die IGMG von den Verwaltungsgerichten insoweit regelmäßig danach differenziert, ob der Betreffende Einbürgerungsbewerber schon zu einem Zeitpunkt Mitglied geworden ist, als die IGMG noch traditionell und eindeutig homogen antidemokratisch und freiheitsfeindlich ausgerichtet war. Nur in Fällen einer bereits seit Mitte/Ende der 1990er Jahre bestehenden Mitgliedschaft bzw. sonst eindeutiger durch Publikationen, belegte Äußerungen, Einlassungen und klare Bekundungen dokumentierter zumindest einstiger antidemokratischer, traditioneller Einstellungen eines Einbürgerungsbewerbers hat die Rechtsprechung zwar keinen Austritt aus der IGMG und auch kein „Abschwören“, aber eine „glaubhafte Abkehr“ von solchen Tendenzen gefordert, also nicht nur verhandlungstaktisch motivierte Angaben und Darlegungen dazu gefordert, dass der Betreffende sich mittlerweile den reformerischen Strömungen bzw. Flügeln der IGMG angeschlossen hat, und falls solche fehlten einen Ausschlussgrund für eine Einbürgerung bejaht (vgl. VG Berlin, U. v. 08.01.2020 - 2 K 70.18 -, juris, Rn. 20 – 27; OVG NRW, B. v. 04.03.2014 - 19 A 1771/12 -, juris, Rn. 2 – 4; BayVGH, B. v. 28.03.2012 - 5 B 11.404 -, juris, Rn. 30 – 36; OVG Bln.-Brdbg., U. v. 10.02.2011 - OVG 5 B 6.07 -, juris, Rn. 31, 32; BVerwG, B. v. 15.09.2011 - 5 B 23/11 -, juris, Rn. 11; BVerwG, U. v. 02.12.2009 - 5 C 24/08 -, juris, Rn. 22, 23; VGH Bad.- Württ., U. v. 11.06.2008 - 13 S 2613/03 -, juris, Rn. 35 und Rn. 48 – 56; VG Stuttgart, U. v. 26.10.2005 - 11 K 2083/04 -, juris, Rn. 72 – 75). |
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| Daran gemessen ist im vorliegenden Fall nicht erforderlich, dass sich der Kläger glaubhaft von verfassungsfeindlichen Tendenzen in der IGMG distanziert und eine Abkehr darlegt. Denn er ist erst 1988 geboren. Das heißt, ein Alter, in dem sich typischerweise ein zurechenbares persönliches politisches-religiöses-ideologisches Bewusstsein ausbildet und angenommen werden kann, also frühestens ab 14 Jahren (gesetzliches Eintrittsalter der Religionsmündigkeit; vgl. § 5 Gesetz über die religiöse Kindererziehung v. 17.12.2008 – BGBl. I, S. 2586) bzw. ab 16 Jahren (früher Eintritt der ausländerrechtliche Handlungsfähigkeit; vgl. § 80 Abs. 1 AufenthG a.F.) hatte er erst 2002 bzw. 2004 erreicht, also zu einer Zeit, als nach der oben dargelegten Rechtsprechung die IGMG schon keine rein homogene Organisation mehr war, sondern reformistische Strömungen bereits existierten. |
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| Abgesehen davon liegen auch keinerlei Erkenntnisse, etwa des konkret vom Beklagten zum Fall des Klägers konsultierten Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, dazu vor, dass der Kläger für die IGMG ideologisch durch Schulungen, Redebeiträge, Schriftbeiträge, sonstige Äußerungen oder Aktivitäten überhaupt in irgendeiner Weise Erscheinung getreten wäre. |
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| Die Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat vielmehr ergeben, dass der Kläger sich im Gegenteil für politisch-ideologische Fragen überhaupt nicht interessiert, sondern sich darüber gar keine Gedanken gemacht hat und sogar infolge einer gewissen Unbedarftheit gar nicht wirklich in der Lage ist, zu erkennen, dass und weshalb die IGMG überhaupt in irgendeiner Weise antidemokratische oder freiheitsfeindliche Tendenzen verfolgt. Insoweit hat er, zu dem Text seines im Rahmen der Anhörung im Verwaltungsverfahren von ihm vorgelegten Schreibens befragt, in der mündlichen Verhandlung auch selbst und durch den Klägervertreter bestätigt angegeben, dass ihm vor Abfassung des Schreibens erstmals vom Klägervertreter überhaupt die Gründe dafür erläutert worden seien, weshalb Milli Görüs von deutschen Behörden teilweise antidemokratisches, verfassungsfeindliches Gedankengut angelastet werde (siehe dazu im Übrigen – zum Fall eines hauptsächlich in der Jugendarbeit eines islamischen Vereins und der Hausaufgabenbetreuung bei Milli Görüs Engagierten – bereits VGH Bad.-Württ., U. v. 08.05.2013 – 1 S 2046/12 -, juris, Rn. 44, wonach der verfassungsfeindliche Charakter der Bestrebungen von Milli Görus schon 2002 nicht so eindeutig und offensichtlich gewesen sei, dass angenommen werden müsse, jedes Vorstandsmitglied von örtlichen Mitgliedsvereinigungen hätte erkennen können und müssen, dass es verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstütze; ebenso BVerwG, U. v. 11.11.2004 – 3 C 8/04 -, juris, Rn. 40 – zum Fall eines in der IGMG nur verhältnismäßig kurze Zeit [vier Jahre] als Mitglied und Jugendbetreuer Aktiven -, wonach trotz Ausübung dieser wichtigen Funktion keine hinreichende Grundlage für die Annahme bestehe, der Betreffende habe Einblick in die wahren Zielsetzungen der Vereinigung; ähnlich auch - zum Fall eines als Sekretär eines Ortsvereins der IGMG in erster Linie religiös motiviert Tätigen - VG Gelsenkirchen, U. v. 29.11.2007 - 17 K 5862/02 -, juris, Rn. 125,126, wonach der Betreffende aufgrund seines Wissens- und Bildungsstandes als ehemaliger Bergmann mit Hauptschulabschluss den verfassungsfeindlichen Charakter der politischen Ansichten Erbakans nicht erfasst, geschweige denn mit Unterstützungswillen in sich aufgenommen habe, weil er nach seinen in der Verhandlung erkennbar gewordenen intellektuellen Fähigkeiten nicht die Wertung für sich nachvollzogen habe, hinter Erbakans Ideologie stünden gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen, zumal sein Interesse dem wirtschaftlichen Konzept Erbakans gegolten habe). |
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| Vielmehr ist er hier in Deutschland geboren und groß geworden. Seinen Heimatort ... hat er nie verlassen. An Schulungen der IGMG hat er nie teilgenommen. Für Politik – auch für die Politik des Ministerpräsidenten Erdogan in der Türkei – interessiert er sich nicht. Erdogan selbst – einen einstigen ideologischen und politischen Weggefährten des IGMG Gründers Erbakan – hat er (wie viele in der Türkei und in Deutschland lebende Türken) allein wegen seiner wirtschaftlichen Erfolge bewundert, inzwischen aber findet er ihn wegen der schlecht laufenden Wirtschaft „nicht mehr so gut“. Für dessen undemokratische Herrschaftsausübung in der Türkei interessiert er sich nicht. Die von der IGMG publizierte Zeitung „Mílli Görus Gazete“ kennt er gar nicht und hat sie nie gelesen. Türkisches Fernsehen schaut er hauptsächlich, um türkische Filme anzusehen. |
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| Als in Deutschland geborener und hier aufgewachsener Türke ist er im Rahmen des demokratischen, freiheitlichen, westlichen Lebens in der Bundesrepublik aufgewachsen, das er, was die politischen und sozialen Verhältnisse angeht, wie sie in der existierenden pluralistischen Gesellschaftsordnung vorliegen, offenbar zu schätzen weiß („Ich finde diese demokratische Ordnung hier in Deutschland gut, hier kann ich gut leben“), jedenfalls aber in keiner Weise etwa als Bedrohung oder als falsch oder gar böse und unislamisch empfindet, wie es etwa traditionalistische Anhänger des konservativen antidemokratischen Flügels der IGMG empfinden würden. |
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| Dass eine Frau Bundeskanzlerin ist, empfindet er offenbar in keiner Weise als eine kulturelle Bedrohung. Er gab vielmehr an, er orientiere sich (statt an Erdogans Herrschaft in der Türkei, die ihn nicht interessiere) „an Frau Merkel“, weil er hier groß geworden sei. Wenn er irgendwann einmal heirate und seine Frau ein Kopftuch tragen wolle, sei das für ihn genauso in Ordnung, wie wenn sie kein Kopftuch trage. Vorschreiben werde er ihr dies nicht, auch wenn seine Mutter und Schwester ein Kopftuch trügen. |
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| Mit nichtmuslimischen Deutschen, also Menschen anderen Glaubens und anderer Nationalität, umzugehen, hat er überhaupt kein Problem, sondern sich wie selbstverständlich im Rahmen seiner Aktivitäten für die IGMG für gemeinsame Sport und Festveranstaltungen auf lokaler Ebene eingesetzt, zu der alle Mitglieder beider gesellschaftlicher Gruppierungen eingeladen wurden. |
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| Seine Mitgliedschaft in der IGMG und seine Aktivitäten, die er in diesem Zusammenhang ausübt, beschränken sich allein auf den religiös-sozialen Bereich. Die Moscheegemeinde des Ortsvereins der IGMG ist für ihn allein als Institution relevant und wichtig, die Muslimen einen Ort zum Beten bietet. |
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| Er selbst hat für die Kammer plausibel und nachvollziehbar, weil ausweislich seiner Angaben in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise etwa durch verhandlungstaktisches Lavieren gekennzeichnet, sondern völlig offen angegeben, dass er mit dem Ortsverein der IGMG nur insoweit Kontakt gehabt habe, als er die von diesem betriebene örtliche Moschee als Gebetshaus genutzt habe. Er sei damit – vermittelt über seine Eltern – groß geworden und schon immer in die Moschee gegangen. Sein Vater habe ihn gelehrt, zu beten und den Koran zu lesen. Seinen monatlichen Beitrag von 25 Euro leistet er an den IGMG Ortsverein, um damit den Betrieb und die Kosten der Erhaltung der Moschee zu unterstützen. Insoweit passt zu dieser Angabe auch stimmig seine Darstellung, dass er erst nach Zögern und nur um die Verantwortlichen nicht ganz allein dastehen zu lassen, auf deren Bitten schließlich – und auch nur für ganz begrenzte Zeit von vier Monaten – den Posten eines Sekretärs des Ortsvereins übernommen habe, weil die IGMG Verantwortlichen sonst keinen gehabt hätten, der als Ansprechpartner für den Umgang mit den deutschen Behörden bezüglich baurechtlicher und sonstiger Fragen für den Umbau des Moscheegebäudes fungieren könnte. |
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| Nach seinen Auseinandersetzungen mit dem Vorstand des Ortsvereins wegen der von ihm nach Beendigung der Sekretärsarbeit erbetenen, aber dann erst 2019 schließlich vollzogenen Streichung als Inhaber dieser Funktion im Vereinsregister, hat er sich mit diesem überworfen und ist seither gar nicht mehr in die Moschee in ... gegangen, sondern nutzt Moscheen in anderen Gemeinden im Umkreis, weil er sich auch nicht an die Moschee in ... gebunden fühlt, sondern auch woanders beten kann. |
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| Auch soweit er sich um den Ausbau der Moschee bemüht hat und in diesem Zusammenhang um Jugend- und Sozialarbeit, liegt ihm offensichtlich nicht daran, Jugendliche im Sinne einer traditionalistischen islamistischen IGMG Ideologie zu beeinflussen oder zu schulen, sondern allein daran, diesen einen Platz zum Zusammenkommen, Reden, oder Sporttreiben zu bieten, um sie so von Gefährdungen des Drogenkonsums fernzuhalten. Soweit in diesem Zusammenhang Filme geschaut werden, sehen die Jugendlichen hauptsächlich sogenannte Blockbuster, also gerade keine IGMG Propagandafilme. |
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| Diese gesamten Einlassungen des Klägers hält die Kammer aufgrund des Eindrucks, den sie von ihm in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, für glaubhaft. Er hat offen, ohne Scheu und ohne auszuweichen, versucht, alle Fragen klar und einfach nach seinem besten Wissen und Gewissen beantwortet, soweit er ihren Inhalt überhaupt richtig zu erfassen vermochte, was manchmal weitere Fragen nötig machte. |
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| Das Gericht ist davon überzeugt, dass er sich insoweit nicht etwa verstellt oder gar Unkundigkeit vorgespiegelt hätte, um bei ihm etwa in Wahrheit vorhandene verfassungswidrige Einstellungen oder Tendenzen zu verbergen. |
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| Vielmehr hat er sich offenbar selbst von der Moscheegemeinde in ... mittlerweile sogar etwas distanziert. Aufgrund seines nachvollziehbaren Unmuts darüber, dass der Vereinsvorstand bis 2019 brauchte, um seiner Bitte nachzukommen, seine bereits nach vier Monaten Anfang 2017 wieder beendete Sekretärsfunktion im Verein aus dem Vereinsregister streichen zu lassen, die ihm die zur Kündigung seines Arbeitsplatzes Schwierigkeiten mit seiner luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfung überhaupt erst eingebracht hat, hat er die Moschee dort schon längere Zeit gar nicht mehr besucht und auch keinen Kontakt mehr mit den Vereinsvorstandsmitgliedern mehr, denen er aus diesem Grund „nicht mehr in die Augen sehen“ will, sondern besucht andere Moscheen in umliegenden Orten, da er sich innerlich nicht an eine bestimmte Moschee, eben die in ..., gebunden fühlt. |
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| Dass der Kläger ehrlich antwortet, entnimmt die Kammer auch dem Umstand, dass er von sich aus auch womöglich für ihn nachteilige Umstände, offen dargelegt hat. Er hat nämlich auf die Frage nach dem Anfang der 2000er Jahre in ... islamistisch und eindeutig verfassungsfeindlich aktiven, deshalb ausgewiesenen, sogenannten „Kalifen von ...“ geantwortet, damals habe es in diesem Zusammenhang Durchsuchungen gegeben, auch bei seinem Vater, gefunden worden sei aber nichts. Anlass seien Zeitschriften gewesen, die der Kalif unverlangt zugesandt habe. Sein Vater habe sich jahrelang bemüht, diese regelmäßigen Zeitschriftenzusendungen abzubrechen. |
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| Auch aus diesem Umstand folgt indessen nichts für eine Unzuverlässigkeit des Klägers wegen etwaiger Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Zum einen hat nämlich der vom Beklagten eingeschaltete Verfassungsschutz trotz spezifisch zum Kläger durchgeführter Recherche überhaupt nichts außer dem ihn betreffenden Vereinsregistereintrag herausgefunden. Wäre der Vater des seinerzeit erst 16 Jahre alten Klägers damals auch nur im Entferntesten selbst als Islamist aus dem Umfeld des „Kalifen“ aufgefallen oder hätte sich ein Verdacht gegen ihn bei der Durchsuchung erhärtet, so wäre dies mit Sicherheit in den vom Verfassungsschutz bzw. den Staatsschutzabteilungen der Kriminalpolizei geführten Dateien vermerkt worden. Seinerzeit ist nämlich unter großer Aufmerksamkeit der Medien der sogenannte „Kalif von ...“, ein Islamist, der in Deutschland ein Kalifat mit Geltung der Sharia ausrufen wollte, in Abwesenheit ausgewiesen worden, der sich noch rechtzeitig nach Jordanien hatte absetzen können. Seine Klage gegen die Ausweisungsverfügung wurde vom Verwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesen (vgl. VG Freiburg, U. v. 08.02.2006 - 1 K 1908/04; siehe dazu auch die Pressemeldung des VG vom 02.03.2006 – auf der Internetseite des VG: www.vgfreiburg.de). Er hatte in der Tat von ... aus seine Bestrebungen als 1. Vorsitzender der verbotenen „Muslim Gemeinde ... e.V.“ verfolgt. Er war bis zur Trennung von diesem ein Gefolgsmann des bundesweit als „Kalif von Köln“ bekanntgewordenen Hasspredigers Kaplan, gewesen, der damals in die Türkei abgeschoben wurde. |
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| Im Übrigen hat es seit 2003, als die Wohnung des „Kalifen“ in ... durchsucht worden war, bis heute offenbar in ... keinerlei islamistische Aktivitäten mehr gegeben. Von Seiten des Verfassungsschutzes wäre dazu andernfalls im vorliegenden Verfahren sicher etwas mitgeteilt worden, denn er beobachtet die islamistische Szene in Baden-Württemberg durchaus, ohne allerdings für die dortigen Moscheevereine eine Zusammenarbeit mit den türkisch-nationalistisch rechtsgerichteten „Grauen Wölfen“ oder Salafisten feststellen zu können (vgl. die Antwort der Landesregierung auf eine kleine Anfrage im Landtag von Baden-Württemberg, vom 27.07.2011 – LT-Drs. 15/362 - https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP15/Drucksachen/0000/15_0362_D.pdf). |
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| Zudem berichtete auch die Presse 12 Jahre später unter ausdrücklicher Berufung auf eine Auskunft des Landesamtes für Verfassungsschutz, dass Islamisten in ... nicht mehr in Erscheinung getreten seien. In dem einschlägigen Presseartikel (YYY vom 14.03.2015 – online – „...: Kein Hinweis auf Kalifat-Staat Aktivität“) ist vielmehr davon die Rede, die Behörden hätten Meldungen von sensibel gewordenen ...er Bürgern über vermeintliche islamistische Aktivitäten durchaus im Blick. Am bekanntesten sei in ... der türkisch-islamische Verein mit seiner Moschee am Sportzentrum, der sich offen und diskussionsbereit zeige, insbesondere wenn er jährlich die Bevölkerung zum Tag der offenen Moschee einlade. Der Verein sei mit der IGMG verbunden, einer der bedeutendsten islamistischen Organisationen, die als nicht radikal gelte. |
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| Diese Informationen wiederum decken sich damit, dass sich auch im Internet zu dem IGMG Ortsverein in ... keine weitere Meldung findet als eine bloße Nachricht darüber, dass dieser eine karitative Veranstaltung durchgeführt habe (vgl. IGMG Meldung vom 17.7.2010 - https://www.igmg.org/YYYY-.../). |
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| Vor diesem Hintergrund ergibt sich aus der Mitgliedschaft des Klägers im Ortsverein ... der IGMG keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass er etwa eine staats- und demokratiefeindliche Einstellung besitzt. Das zeigt sich letztlich auch darin, dass er - wofür er verständlicherweise allen Anlass gehabt hätte - im gesamten Verfahren und in der mündlichen Verhandlung auch keine Zeichen eines Unmuts darüber äußerte oder zeigte, dass er aufgrund der Ablehnung der Feststellung seiner luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit seinen Arbeitsplatz verloren hat und seither arbeitslos ist, obwohl das Regierungspräsidium seine Entscheidung einzig und allein auf den bloßen Umstand seiner Sekretärstätigkeit für die IGMG zu stützen vermochte und keine auch nur ansatzweisen weitere Aufklärungsbemühungen unternommen hat, um etwa individuell auf ihn bezogen (z.B. auch durch eine persönliche mündliche Anhörung des Klägers im Verwaltungsverfahren) festzustellen, ob er damit überhaupt die konservativ- demokratie- und freiheitsfeindliche traditionelle Ideologie der IGMG verfolgt und unterstützt, oder etwa einfach nur ihrem unbedenklichen, integrierten, reformierten Flügel anhängt, oder wie sich die Aktivitäten des IGMG Ortsvereins ... ganz generell insoweit darstellen. Vielmehr hat er dagegen in aller Nüchternheit und Besonnenheit die ihm zustehenden Rechtsmittel ergriffen, die ihm im demokratischen Rechtsstaat zur Verfügung stehen und in jeder Hinsicht durch sein Aussageverhalten auch im Termin kooperiert. Eine den demokratischen Rechtsstaat und seine Behörden ablehnende Grundeinstellung ist daraus also gerade nicht abzuleiten, sondern im Gegenteil zeigt sich, dass der Kläger mit dieser Grundordnung einverstanden ist. |
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| Nach allem stellt sich der Fall des Klägers nicht anders dar als in vielen vergleichbaren Fällen, in denen die Verwaltungsgerichte in einbürgerungsrechtlichen Verfahren zum Ergebnis kamen, dass die Mitgliedschaft der Betreffenden in der IGMG und ihre Aktivitäten dort sich in bloß aus religiösem Interesse bzw. Interesse an sozialer Arbeit und Einbindung motivierte Handlungen von Personen erschöpft, die seit Geburt, durch Schule und Ausbildung ins Leben in der Bundesrepublik eindeutig integriert sind, und mit traditioneller Erbakan-freundlicher Grundeinstellung und Propaganda der IGMG bzw. entsprechenden Einstellungen nichts zu tun haben, welche das westlich-demokratische freie Leben in der Bundesrepublik als Anti-These zu grundlegenden islamischen Werten und Bedrohung islamischer Grundeinstellungen wahrnehmen, weil sie auch erst zu einer Zeit ab Anfang der 2000er Jahre Mitglied geworden sind, als sich auch in der IGMG ein Generationenwandel und liberale, reformerische nicht mehr demokratiefeindliche Strömungen zu entwickeln begann (vgl. zu solchen Fällen VG Berlin, U. v. 24.01.2018 – 13 K 279.16 -, juris, Rn. 25 ff; VG Würzburg, U. v. 09.03.2015 - W 7 K 14.917 -, juris, Rn. 34 ff.; VG Braunschweig, U. v. 16.12.2015 - 5 A 76/14 -, juris, Rn. 38 ff., VG Köln, U. v. 30.10.2013 - 10 K 2393/12 -, juris, Rn. 50 ff.; VGH Bad.-Württ., U. v. 08.05.2013 - 1 S 2046/12 -, juris, Rn. 44; OVG NRW, B. v. 05.11.2012 - 19 A 111/11 -, juris, Rn. 8 ff.; VG Köln, U. v. 29.11.2010 - 10 K 7620/04 -, juris, Rn. 46 ff.; VG Gelsenkirchen, U. v. 29.11.2007 - 17 K 5862/02 -, juris, Rn. 120 ff.; BVerwG, U. v. 11.11.2004 - 3 C 8/04 -, juris, Rn. 40 ff.). |
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| Beschluss vom 23. Juli 2020 |
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