Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - A 1 K 2775/19

Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 29.05.2019 wird hinsichtlich Ziffer 1 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Tatbestand

 
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Asylantrags als unzulässig und begehrt die Zuerkennung internationalen Schutzes.
Die Klägerin reiste im März 2018 in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.03.2018 einen Asylantrag. Bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 03.04.2018 erklärte sie u.a., zuvor in Dänemark erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen zu haben. Sie habe keine neuen Gründe oder Beweismittel vorzubringen. Die Klägerin legte die Entscheidung der dänischen Schiedsstelle für Flüchtlingsfragen vom 04.01.2018 vor (VAS 71; vgl. auch die vom Bundesamt vorgelegte Übersetzung, AS 55). Aus dieser geht hervor, dass diese sich bereits nicht von der von der Klägerin behaupteten Herkunft (staatenlose Bidoun aus Kuwait) hat überzeugen können, aber auch unabhängig davon die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 7 des dänischen Ausländergesetzes verneint und ihre Ausreisepflicht bestätigt hat.
Mit Bescheid vom 29.05.2019 lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin als unzulässig ab (Ziffer 1) und stellte fest, dass (mit Blick auf Kuwait) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Ziffer 2). Beim Asylantrag handele es sich um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG, weil die Klägerin vor ihrer Einreise in Dänemark erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen habe. Sie habe nach ihren eigenen Angaben keine neuen Tatsachen oder Beweismittel vorgelegt, auch sonst sei eine Änderung der Sachlage zu ihren Gunsten nicht erkennbar. Deshalb führe der Asylantrag nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abzulehnen. Allerdings sei die Klägerin bei einer Rückkehr nach Kuwait als so vulnerabel einzustufen, dass aufgrund der für sie anzunehmenden Lebensumstände eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu besorgen sei.
Die Klägerin hat am 26.06.2019 Klage gegen den am 11.06.2019 zur Post gegebenen Bescheid erhoben, zu deren Begründung sie u.a. vorträgt, die dänische Entscheidung sei nicht auf ihre persönlichen Verhältnisse eingegangen und fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sie keine Bidoun aus Kuwait sei. Ferner habe sich die Sachlage seither insofern verändert, als sie Dänemark zusammen mit ihrem iranischen Lebensgefährten verlassen und mit diesem nunmehr zwei Kinder habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamts vom 29.05.2019 in Ziffer 1 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihr subsidiären Schutz zuzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Mit Beschluss vom 02.08.2019 ist der Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
11 
Die Asylverfahren des Lebensgefährten der Klägerin und ihrer Kinder sind ebenfalls beim Verwaltungsgericht anhängig (A 5 K 2618/19; A 5 K 1390/21; A 5 K 1727/21).
12 
Dem Gericht liegen die Akten des Bundesamts vor. Diese sowie die Prozessakte sind Gegenstand der Entscheidung; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
14 
Die Klage ist, soweit sie auf die Aufhebung von Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides gerichtet ist, als Anfechtungsklage zulässig und begründet. Das Bundesamt durfte den Asylantrag der Klägerin nicht als unzulässig ablehnen. Insofern ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit sie darüber hinaus eine für sie günstige Sachentscheidung begehrt, ist ihre Verpflichtungsklage unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris).
15 
Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung ist § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unter anderem dann unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Nach dem Wortlaut des § 71a AsylG liegt ein Zweitantrag vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Diese Voraussetzungen sind Streitfall erfüllt.
16 
Allerdings ist die Vorschrift des § 71a AsylG mit Blick auf die Vorgaben in Art. 33 Abs. 2 Buchstabe d der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) einschränkend auszulegen. Der EuGH hat ausdrücklich offengelassen, ob diese Vorschrift das Konzept des grenzüberschreitenden Zweitantrags überhaupt deckt (EuGH, Urteil vom 20.05.2021 - C-8/20 -, juris, Rn. 40; vgl. – bejahend – Generalanwalt Saugmandsgaard Øe in seinem Schlussantrag vom 18.03.2021, Rn. 49 ff.). Er hat jedoch unabhängig davon entschieden, dass Art. 33 Abs. 2 Buchstabe d i.V.m. Art. 2 Buchstabe q Verfahrensrichtlinie jedenfalls dann der Ablehnung eines Asylantrags als unzulässiger Zweitantrag im Sinne von § 71a AsylG entgegensteht, wenn das erste Asylverfahren in einem Drittstaat durchgeführt worden ist – und zwar auch dann, wenn dieser Staat am Dublin-System der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 teilnimmt (EuGH, Urteil vom 20.05.2021 - C-8/20 -, juris, Rn. 49). Zwar hat der Gerichtshof seine Entscheidung in erster Linie auf die Erwägung gestützt, dass Art. 33 in Verbindung mit Art. 2 Buchstabe q und b Verfahrensrichtlinie eine dem vermeintlichen Folgeantrag vorangehende Entscheidung eines anderen „Mitgliedstaats“ voraussetzten (ebd., Rn. 36 f.). Er hat aber gleichermaßen tragend auch darauf abgestellt, dass eine dem Folgeantrag vorausgehende „bestandskräftige Entscheidung“ gemäß Art. 2 Buchstabe e Verfahrensrichtlinie nur dann vorliegt, wenn mit dieser darüber befunden wurde, ob „gemäß der Richtlinie 2011/95 die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist“ (ebd, Rn. 38). Schließlich hat er darauf hingewiesen, dass es „nicht von einer Bewertung des konkreten Schutzniveaus für Asylbewerber im betreffenden Drittstaat abhängen könne“, ob dessen Entscheidungen denen eines Mitgliedstaats gleichgestellt werden könne, „da andernfalls die Rechtssicherheit beeinträchtigt wäre“ (ebd., Rn. 47).
17 
Den beiden zuletzt genannten Erwägungen lässt sich entnehmen, dass von einem Asylantrag nur dann als Folgeantrag im Sinne des Art. 33 Buchstabe d Verfahrensrichtlinie gesprochen werden kann, wenn die vorangegangene Entscheidung von einem Mitgliedstaat getroffen wurde, der an die Qualifikations- und an die Verfahrensrichtlinie gebunden und mithin vollwertiges Mitglied des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Denn wenn dies nicht der Fall ist, wurde im ersten Asylverfahren keine Entscheidung darüber getroffen, ob dem Antragsteller gemäß der Richtlinie 2011/95 die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist. Darüber hinaus besteht in einem solchen Fall nicht die normative Gewissheit, dass die im ersten Mitgliedstaat getroffene Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz unter Beachtung derselben prozeduralen Garantien und nach denselben materiellen Maßstäben ergangen ist. Dies ließe sich nur nach einer rechtsvergleichenden Prüfung der Entscheidungsgrundlagen feststellen.
18 
Genau eine solche, die Rechtsunsicherheit beeinträchtigende „Bewertung des konkreten Schutzniveaus für Asylbewerber“ wäre im Falle Dänemarks aber erforderlich. Denn bei Dänemark handelt es sich zwar um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, es ist aber weder an die Verfahrensrichtlinie (vgl. deren Erwägungsgrund Nr. 59) noch an die materiellen Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) gebunden (vgl. deren Erwägungsgrund Nr. 51). Damit ist nicht über das Unionsrecht – einschließlich der prozeduralen Vorkehrungen zur Wahrung der Rechtseinheit in Gestalt des Vertragsverletzungs- und Vorabentscheidungsverfahrens (vgl. Art. 258, 267 AEUV) – sichergestellt, dass die Auslegung und Anwendung des dänischen Ausländergesetzes durch die dänischen Gerichte den Vorgaben der beiden Richtlinien entspricht, so dass „gemäß der Richtlinie 2011/95“ – der Qualifikationsrichtlinie – über die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus entschieden wird.
19 
Ob dies gleichwohl in der Sache geschieht, ließe sich ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. § 293 ZPO i.V.m. § 173 VwGO) nicht abschließend klären. Dass insofern erhebliche Zweifel bestehen, ergibt sich beispielhaft aus der Gegenüberstellung der im Streitfall herangezogenen Regelung des dänischen Ausländergesetzes und der korrespondierenden Vorschriften der Qualifikationsrichtlinie.
20 
§ 7 des Ausländergesetzes lautet (in nichtamtlicher englischer Übersetzung):
21 
(1) A residence permit will be granted to an alien upon application for the purpose of a temporary stay if the alien is covered by the provisions of the Convention Relating to the Status of Refugees of 28 July 1951.
22 
(2) A residence permit will be granted to an alien upon application for the purpose of a temporary stay if the alien risks the death penalty or being subjected to torture or inhuman or degrading treatment or punishment if returning to his country of origin. An application as mentioned in the first sentence above will also be considered an application for a residence permitfor the purpose of a temporary stay according to subsection (1).
23 
(3) In cases comprised by subsection (2) where the risk of a death penalty or being subjected to torture or inhuman or degrading treatment or punishment originates from a particularly grave situation in the alien’s country of origin characterised by random violence and assaults on civilians, a residence permit will be granted upon application for the purpose of a temporary stay. An application as referred to in the first sentence will also be considered an application for a residence permit under subsections (1) and (2) above.
24 
(4) A residence permit under subsections (1) – (3) may be refused if the alien has already obtained protection in another country or has close ties with another country in which the alien must be assumed to be able to obtain protection. A decision according to the first sentence may be made irrespective of whether the alien is covered by subsections (1) – (3).
25 
Dänemark gewährt danach einerseits – wie von Art. 13 Qualifikationsrichtlinie vorgegeben – den Flüchtlingsschutz, wie er sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergibt (§ 7 Absatz 1 des dänischen Ausländergesetzes). Andererseits führen – wie von Art. 15 Buchstaben a und b der Qualifikationsrichtlinie vorgesehen – auch die Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder der erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu einem Bleiberecht (§ 7 Absätze 2 und 3 des dänischen Ausländergesetzes).
26 
Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie definiert den subsidiären Schutz (in amtlicher englischer Sprachfassung) allerdings weiter und zwar wie folgt:
27 
Serious harm consists of:
28 
(a) the death penalty or execution; or
29 
(b) torture or inhuman or degrading treatment or punishment of an applicant in the country of origin; or
30 
(c) serious and individual threat to a civilian’s life or person by reason of indiscriminate violence in situations of international or internal armed conflict.
31 
Die unter Art. 15 Buchstabe c Qualifikationsrichtlinie in den Blick genommene Konstellation – die Gefahr eines ernsthaften Schadens resultiert aus einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) – wird damit von der dänischen Regelung jedenfalls nicht ausdrücklich erfasst.
32 
Nach alledem durfte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin nicht mit Blick auf die in Dänemark ergangene Entscheidung als Zweitantrag behandeln.
33 
Das Gericht ist mit Blick auf § 78 AsylG nicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dazu verpflichtet, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs herbeizuführen. Es macht von seinem nach Art. 267 Abs. 2 AEUV eröffneten Ermessen dahingehen Gebrauch, von einer Vorlage abzusehen, weil sich aus Sicht des Gerichts die vorstehend erläuterte Auslegung von Art. 33 i.V.m. Art. 2 der Verfahrensrichtlinie aufdrängt, wenn auch eine andere Auslegung nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl. Marsch, in: Schoch/Scheider, VwGO, Anhang § 40 VwGO [Art. 267] Rn. 42 [Stand: März 2014] m.w.N.). Das Bundesamt ist, obwohl es mit Verfügung vom 04.06.2021 auf diese hingewiesen und ausdrücklich um Stellungnahme gebeten worden ist, der Rechtsauffassung des Gerichts in seinem Schriftsatz vom 19.07.2021 nicht entgegengetreten.
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83 b AsylG.

Gründe

 
13 
Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
14 
Die Klage ist, soweit sie auf die Aufhebung von Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides gerichtet ist, als Anfechtungsklage zulässig und begründet. Das Bundesamt durfte den Asylantrag der Klägerin nicht als unzulässig ablehnen. Insofern ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Soweit sie darüber hinaus eine für sie günstige Sachentscheidung begehrt, ist ihre Verpflichtungsklage unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris).
15 
Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung ist § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unter anderem dann unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Nach dem Wortlaut des § 71a AsylG liegt ein Zweitantrag vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Diese Voraussetzungen sind Streitfall erfüllt.
16 
Allerdings ist die Vorschrift des § 71a AsylG mit Blick auf die Vorgaben in Art. 33 Abs. 2 Buchstabe d der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) einschränkend auszulegen. Der EuGH hat ausdrücklich offengelassen, ob diese Vorschrift das Konzept des grenzüberschreitenden Zweitantrags überhaupt deckt (EuGH, Urteil vom 20.05.2021 - C-8/20 -, juris, Rn. 40; vgl. – bejahend – Generalanwalt Saugmandsgaard Øe in seinem Schlussantrag vom 18.03.2021, Rn. 49 ff.). Er hat jedoch unabhängig davon entschieden, dass Art. 33 Abs. 2 Buchstabe d i.V.m. Art. 2 Buchstabe q Verfahrensrichtlinie jedenfalls dann der Ablehnung eines Asylantrags als unzulässiger Zweitantrag im Sinne von § 71a AsylG entgegensteht, wenn das erste Asylverfahren in einem Drittstaat durchgeführt worden ist – und zwar auch dann, wenn dieser Staat am Dublin-System der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 teilnimmt (EuGH, Urteil vom 20.05.2021 - C-8/20 -, juris, Rn. 49). Zwar hat der Gerichtshof seine Entscheidung in erster Linie auf die Erwägung gestützt, dass Art. 33 in Verbindung mit Art. 2 Buchstabe q und b Verfahrensrichtlinie eine dem vermeintlichen Folgeantrag vorangehende Entscheidung eines anderen „Mitgliedstaats“ voraussetzten (ebd., Rn. 36 f.). Er hat aber gleichermaßen tragend auch darauf abgestellt, dass eine dem Folgeantrag vorausgehende „bestandskräftige Entscheidung“ gemäß Art. 2 Buchstabe e Verfahrensrichtlinie nur dann vorliegt, wenn mit dieser darüber befunden wurde, ob „gemäß der Richtlinie 2011/95 die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist“ (ebd, Rn. 38). Schließlich hat er darauf hingewiesen, dass es „nicht von einer Bewertung des konkreten Schutzniveaus für Asylbewerber im betreffenden Drittstaat abhängen könne“, ob dessen Entscheidungen denen eines Mitgliedstaats gleichgestellt werden könne, „da andernfalls die Rechtssicherheit beeinträchtigt wäre“ (ebd., Rn. 47).
17 
Den beiden zuletzt genannten Erwägungen lässt sich entnehmen, dass von einem Asylantrag nur dann als Folgeantrag im Sinne des Art. 33 Buchstabe d Verfahrensrichtlinie gesprochen werden kann, wenn die vorangegangene Entscheidung von einem Mitgliedstaat getroffen wurde, der an die Qualifikations- und an die Verfahrensrichtlinie gebunden und mithin vollwertiges Mitglied des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist. Denn wenn dies nicht der Fall ist, wurde im ersten Asylverfahren keine Entscheidung darüber getroffen, ob dem Antragsteller gemäß der Richtlinie 2011/95 die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutzstatus zuzuerkennen ist. Darüber hinaus besteht in einem solchen Fall nicht die normative Gewissheit, dass die im ersten Mitgliedstaat getroffene Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz unter Beachtung derselben prozeduralen Garantien und nach denselben materiellen Maßstäben ergangen ist. Dies ließe sich nur nach einer rechtsvergleichenden Prüfung der Entscheidungsgrundlagen feststellen.
18 
Genau eine solche, die Rechtsunsicherheit beeinträchtigende „Bewertung des konkreten Schutzniveaus für Asylbewerber“ wäre im Falle Dänemarks aber erforderlich. Denn bei Dänemark handelt es sich zwar um einen Mitgliedstaat der Europäischen Union, es ist aber weder an die Verfahrensrichtlinie (vgl. deren Erwägungsgrund Nr. 59) noch an die materiellen Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) gebunden (vgl. deren Erwägungsgrund Nr. 51). Damit ist nicht über das Unionsrecht – einschließlich der prozeduralen Vorkehrungen zur Wahrung der Rechtseinheit in Gestalt des Vertragsverletzungs- und Vorabentscheidungsverfahrens (vgl. Art. 258, 267 AEUV) – sichergestellt, dass die Auslegung und Anwendung des dänischen Ausländergesetzes durch die dänischen Gerichte den Vorgaben der beiden Richtlinien entspricht, so dass „gemäß der Richtlinie 2011/95“ – der Qualifikationsrichtlinie – über die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus entschieden wird.
19 
Ob dies gleichwohl in der Sache geschieht, ließe sich ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. § 293 ZPO i.V.m. § 173 VwGO) nicht abschließend klären. Dass insofern erhebliche Zweifel bestehen, ergibt sich beispielhaft aus der Gegenüberstellung der im Streitfall herangezogenen Regelung des dänischen Ausländergesetzes und der korrespondierenden Vorschriften der Qualifikationsrichtlinie.
20 
§ 7 des Ausländergesetzes lautet (in nichtamtlicher englischer Übersetzung):
21 
(1) A residence permit will be granted to an alien upon application for the purpose of a temporary stay if the alien is covered by the provisions of the Convention Relating to the Status of Refugees of 28 July 1951.
22 
(2) A residence permit will be granted to an alien upon application for the purpose of a temporary stay if the alien risks the death penalty or being subjected to torture or inhuman or degrading treatment or punishment if returning to his country of origin. An application as mentioned in the first sentence above will also be considered an application for a residence permitfor the purpose of a temporary stay according to subsection (1).
23 
(3) In cases comprised by subsection (2) where the risk of a death penalty or being subjected to torture or inhuman or degrading treatment or punishment originates from a particularly grave situation in the alien’s country of origin characterised by random violence and assaults on civilians, a residence permit will be granted upon application for the purpose of a temporary stay. An application as referred to in the first sentence will also be considered an application for a residence permit under subsections (1) and (2) above.
24 
(4) A residence permit under subsections (1) – (3) may be refused if the alien has already obtained protection in another country or has close ties with another country in which the alien must be assumed to be able to obtain protection. A decision according to the first sentence may be made irrespective of whether the alien is covered by subsections (1) – (3).
25 
Dänemark gewährt danach einerseits – wie von Art. 13 Qualifikationsrichtlinie vorgegeben – den Flüchtlingsschutz, wie er sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergibt (§ 7 Absatz 1 des dänischen Ausländergesetzes). Andererseits führen – wie von Art. 15 Buchstaben a und b der Qualifikationsrichtlinie vorgesehen – auch die Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder der erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung zu einem Bleiberecht (§ 7 Absätze 2 und 3 des dänischen Ausländergesetzes).
26 
Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie definiert den subsidiären Schutz (in amtlicher englischer Sprachfassung) allerdings weiter und zwar wie folgt:
27 
Serious harm consists of:
28 
(a) the death penalty or execution; or
29 
(b) torture or inhuman or degrading treatment or punishment of an applicant in the country of origin; or
30 
(c) serious and individual threat to a civilian’s life or person by reason of indiscriminate violence in situations of international or internal armed conflict.
31 
Die unter Art. 15 Buchstabe c Qualifikationsrichtlinie in den Blick genommene Konstellation – die Gefahr eines ernsthaften Schadens resultiert aus einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) – wird damit von der dänischen Regelung jedenfalls nicht ausdrücklich erfasst.
32 
Nach alledem durfte das Bundesamt den Asylantrag der Klägerin nicht mit Blick auf die in Dänemark ergangene Entscheidung als Zweitantrag behandeln.
33 
Das Gericht ist mit Blick auf § 78 AsylG nicht gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV dazu verpflichtet, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs herbeizuführen. Es macht von seinem nach Art. 267 Abs. 2 AEUV eröffneten Ermessen dahingehen Gebrauch, von einer Vorlage abzusehen, weil sich aus Sicht des Gerichts die vorstehend erläuterte Auslegung von Art. 33 i.V.m. Art. 2 der Verfahrensrichtlinie aufdrängt, wenn auch eine andere Auslegung nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl. Marsch, in: Schoch/Scheider, VwGO, Anhang § 40 VwGO [Art. 267] Rn. 42 [Stand: März 2014] m.w.N.). Das Bundesamt ist, obwohl es mit Verfügung vom 04.06.2021 auf diese hingewiesen und ausdrücklich um Stellungnahme gebeten worden ist, der Rechtsauffassung des Gerichts in seinem Schriftsatz vom 19.07.2021 nicht entgegengetreten.
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei, § 83 b AsylG.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen