Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 6 K 12812/17
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks O. Straße 111 und 111a (Gemarkung I. , Flur 3, Flurstück 537) in I. . Das Grundstück ist im südlichen, an einen Wendehammer angrenzenden Bereich mit einem Zweifamilienwohnhaus (O. Straße 111) bebaut. In dem nördlich dahinter liegenden Gebäude, welches auf Grundlage einer im Jahr 2015 erteilten Baugenehmigung errichtet wurde, befinden sich derzeit zwei Wohneinheiten und zwei zu gewerblichen Zwecken genutzte Einheiten (O. Straße 111a).
3Östlich des Grundstücks befinden sich zwei Wohnhäuser (G. -F. -Straße 5 und 7). Die Gebäude westlich des klägerischen Grundstücks (O. Straße 81, 83, 85 und 109) werden überwiegend zu Wohnzwecken genutzt. Dem Wohnhaus O. Straße 85 ist darüber hinaus ein kleiner Laden angegliedert, in dem Zubehör für die Sittichzucht verkauft wird und das Gebäude O. Straße 81 macht den Eindruck, dass sich im vorderen Bereich der Zugang zu einer gewerblich genutzten Einheit befindet. Weiter westlich auf der O. Straße und südlich des Wendehammers befinden sich, mit Ausnahme der Hallen O. Straße 79 und 90, denen jeweils eine Wohneinheit zugeordnet ist, nur gewerbliche Nutzungen. Nördlich des klägerischen Grundstücks schließt sich Wohnbebauung an.
4Weitere Einzelheiten zeigt der folgende Kartenausschnitt:
5<p class="absatzLinks">An dieser Stelle befindet sich in der Originalentscheidung eine Skizze 6Das klägerische Grundstück liegt am nordöstlichen Rand des Geltungsbereichs des Bebauungsplans Nr. 18 „T. “ der Beigeladenen aus dem Jahr 1984. Der Bebauungsplan setzt in diesem Bereich ein eingeschränktes Gewerbegebiet fest, in dem ausweislich der textlichen Festsetzungen sowohl Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonal sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter als auch nicht störende Gewerbebetriebe im Sinne von § 4 BauNVO zulässig sind. Diese Festsetzungen beziehen sich auf das insgesamt ca. 13.000 qm große Baugebiet nördlich der O. Straße zwischen der G. -F. -Straße und dem O. Bach. Zum Zeitpunkt der Aufstellung des Plans waren in diesem Bereich bereits vier Wohnhäuser vorhanden (O. Straße 109 und 111 sowie G. -F. -Straße 5 und 7). Südlich der O. Straße setzt der Bebauungsplan überwiegend unbeschränkte Gewerbegebiete fest. In diesen Gewerbegebieten ist eine Staffelung der zulässigen Betriebe und Anlagen nach den Abstandsklassen des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 9. Juli 1982 vorgesehen. Ausweislich der Begründung des Bebauungsplans war Planungsmotiv, die Nachfrage nach Baugrundstücken für Gewerbebetriebe im Gemeindegebiet der Beigeladenen zu befriedigen. Die Staffelung nach Abstandsklassen erfolgte, um Beeinträchtigungen der zum Aufstellungszeitpunkt bereits im nördlichen Bereich vorhandenen Wohnhäuser durch die gewerbliche Nutzung auszuschließen.
7Einen Überblick über den Geltungsbereich des Bebauungsplans, der sich insgesamt auf eine ca. 11,6 Hektar große Fläche erstreckt, gibt der folgende Ausschnitt aus der Plankarte:
8An dieser Stelle befindet sich in der Originalentscheidung eine Skizze.
9Am 12. Mai 2017 beantragten die Kläger die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des „Wohn- und Geschäftshauses“ O. Straße 111a in ein Wohnhaus. Ausweislich der vorgelegten Bauvorlagen beabsichtigen die Kläger die Umnutzung der beiden zu gewerblichen Zwecken genutzten Einheiten des Gebäudes zu Wohnzwecken. Sie machten geltend, dass der Bebauungsplan hinsichtlich der Festsetzung der Gebietsart „Gewerbegebiet“ wegen der vorhandenen, den Festsetzungen widersprechenden Wohnbebauung in der näheren Umgebung funktionslos geworden sei. Hilfsweise stellten sie einen Antrag auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans.
10Mit Bescheid vom 5. Dezember 2017 lehnte der Beklagte, nachdem er den Klägern Gelegenheit gegeben hatte, hierzu Stellung zu nehmen und die Beigeladene mit Stellungnahme vom 23. November 2017 das gemeindliche Einvernehmen zur Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans versagt hatte, die Erteilung der Baugenehmigung für die begehrte Nutzungsänderung ab. Zur Begründung führte er aus, dass das Vorhaben den bauplanungsrechtlichen Vorschriften zuwiderlaufe. Die Festsetzung „Gewerbegebiet“ sei nicht offensichtlich funktionslos. Soweit die Nutzung einzelner Grundstücke nicht dieser Festsetzung entspreche, würden die tatsächlichen Verhältnisse in der Gesamtbetrachtung nicht so massiv abweichen, dass der Bebauungsplan seine städtebauliche Gestaltungsfunktion nicht mehr erfüllen könne. Ferner lägen auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nicht vor, denn die Zulassung eines reinen Wohnhauses würde den Grundzügen der Planung widersprechen.
11Am 29. Dezember 2017 haben die Kläger Klage gegen den Bescheid des Beklagten erhoben, zu deren Begründung sie ausführen: Der verfahrensgegenständliche Bebauungsplan sei funktionslos. Es sei offenkundig, dass der Plan unter Berücksichtigung der tatsächlichen und faktischen Umstände als Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung nicht mehr tauglich sei. Die tatsächlichen Verhältnisse wichen derart massiv vom Planinhalt ab, dass der Bebauungsplan keine städtebauliche Gestaltungsfunktion mehr erfüllen könne. Das Grundstück sei damit Teil eines faktischen Mischgebietes, in dem die beantragte Wohnnutzung allgemein zulässig sei.
12Darüber hinaus bestehe jedenfalls ein Anspruch auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans. Die Grundzüge der Planung würden hiervon nicht berührt. In der unmittelbaren Umgebung des Grundstücks seien bereits insgesamt acht Gebäude mit Wohneinheiten vorhanden, die den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprächen. Wegen der vorhandenen massiven Wohnbebauung erscheine die zukünftige Entwicklung des Gebietes hin zu einem Gewerbegebiet ausgeschlossen. Die Grundzüge der Planung seien wegen der Beschränkung der Bebauung des hinteren Grundstücksteils auch insoweit nicht berührt, als bei der Aufstellung des Bebauungsplans beabsichtigt gewesen sei, die Nachfrage nach Baugrundstücken für Gewerbebetriebe im Gemeindegebiet zu befriedigen. Das Vorhaben sei darüber hinaus städtebaulich vertretbar und unter Würdigung nachbarrechtlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
13Im Übrigen sei nicht erkennbar, dass der Beklagte sich die Mühe gemacht habe, das Einvernehmen der Beigeladenen einzuholen. Hätte die Beigeladene das Einvernehmen versagt, wäre der Beklagte daran gehindert gewesen, die Baugenehmigung zu erteilen. So lägen die Dinge hier indes nicht. Der Beklagte habe sich bei der Versagung der beantragten Baugenehmigung vielmehr allein auf das faktische Vorliegen eines Bebauungsplans fokussiert. Hierauf komme es bei der Regelung über die Befreiung von den Festsetzungen vom Bebauungsplan jedoch gerade nicht an.
14Die Kläger beantragen (schriftsätzlich),
15den ablehnenden Bescheid vom 5. Dezember 2017 (Az. 60.1/1418-17-02) aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die beantragte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung des Wohn- und Geschäftshauses in I. , O. Str. 111 a, in ein Wohnhaus zu erteilen;
16hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, über ihren Bauantrag für die Nutzungsänderung des Wohn- und Geschäftshauses in I. , O. Str. 111 a, in ein Wohnhaus unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
17Der Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
18die Klage abzuweisen.
19Er trägt ergänzend zur Begründung des Bescheides vor: Das gesamte Plangebiet sei als Gewerbegebiet ausgewiesen. Diese Gebietskategorie bestimme die zulässigen Nutzungen und sei damit wesentlicher Grundzug der Planung. Selbst wenn unterstellt würde, in insgesamt acht der in dem Gebiet liegenden Gebäude sei eine Wohnnutzung ohne Bindung an einen Gewerbebetrieb vorhanden, stellte dies die Verwirklichung der Ausweisung als Gewerbegebiet auf Dauer gesehen nicht infrage. Zudem habe es vier der Wohnnutzungen bereits vor der Aufstellung des Bebauungsplans gegeben. Die nach dem Erlass des Bebauungsplans erteilten Genehmigungen zur Errichtung von wohngenutzten Gebäuden hätten zudem stets im Zusammenhang mit der Erteilung von Genehmigungen für gewerbliche Nutzungen gestanden.
20Die Beigeladene führt in ihrer Stellungnahme aus, dass die Missachtung der Festsetzungen oder die Ausweitung der im Bebauungsplan vorgesehenen Ausnahmeregelung zur Folge habe, dass bestehende und geplante Gewerbenutzungen zunehmend Rücksicht auf die Belange des Wohnens nehmen müssten. Damit würde ein gewisser Vertrauensschutz für die Entwicklungsfähigkeit von bestehenden Betrieben entfallen. Dies sei nicht wünschenswert. Zudem müsse der Genehmigung weiterer Wohnnutzung in dem Gebiet entgegengehalten werden, dass bei deren Umsetzung die Grundzüge der Planung berührt werden. Es könne daher kein Einvernehmen in Aussicht gestellt werden, da weder die Voraussetzungen für Befreiungen und Ausnahmen noch zur Ausgestaltung einer „atypischen Sondersituation“ vorlägen. Im Übrigen sei auch nicht deshalb von einer Funktionslosigkeit des Bebauungsplans auszugehen, weil die Grundstücke bereits abschließend bebaut und der genehmigten Nutzung zugeführt worden seien. Denn der Bebauungsplan sei weiterhin befähigt, städtebauliche und raumordnerische Belange zu erfüllen. Die geplante Ausweitung der Wohnnutzung verdeutliche, dass eine Steuerung in die gewerbliche Richtung von anhaltender Bedeutung sei.
ss="absatzRechts">21Am 22. Oktober 2019 hat die Kammer durch die Berichterstatterin einen Ortstermin durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll Bezug genommen.
22Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe:
24Die Berichterstatterin entscheidet gemäß §§ 87a Abs. 2 und Abs. 3, 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben.
25Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
26Der Bescheid vom 5. Dezember 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Kläger haben weder einen Anspruch auf den in der Hauptsache geltend gemachten Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung noch darauf, dass der Beklagte über den gestellten Bauantrag erneut entscheidet, wie es hilfsweise beantragt wird.
27Ein Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung besteht gemäß § 75 Abs. 1 Bauordnung NRW in der für das vorliegende Verfahren maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 2018 geltenden Fassung (BauO NRW 2000), wenn dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen.
28Vorliegend stehen dem Vorhaben öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, da das Vorhaben planungsrechtlich unzulässig ist. Grundlage der planungsrechtlichen Beurteilung ist § 30 Abs. 1 BauGB, da das Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegt, nämlich in dem des Bebauungsplans Nr. 18 „T.     “. Dieser Bebauungsplan setzt für den in Rede stehenden Teil des Plangebiets ein eingeschränktes Gewerbegebiet fest. Zulässig sind ausweislich der textlichen Festsetzungen Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonal sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, und nicht störende Gewerbebetriebe in Sinne von § 4 BauNVO. Die von den Klägern beantragte Umnutzung der bislang gewerblich genutzten Einheiten zu Wohnzwecken widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans, denn die geplante Wohnnutzung bezieht sich funktional nicht auf einen gewerblichen Betrieb.
29Der Bebauungsplan ist auch wirksam. Soweit die Kläger den Bebauungsplan in Bezug auf die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung für funktionslos und damit für unwirksam halten, vermag das erkennende Gericht ihnen nicht zu folgen.
30Eine bauleitplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Stand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1998 - 4 CN 3.97 -, BVerwGE 108, 71 ff., und Beschluss vom 9. Oktober 2003 ‑ 4 B 85.03 -, BauR 2004, 1128; OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2008 - 7 B 251/08 -, juris.
32Bloße Zweifel an der Verwirklichungsfähigkeit des Plans reichen dafür indes nicht aus. Ein Bebauungsplan tritt wegen nachträglicher Funktionslosigkeit nur dann außer Kraft, wenn offenkundig ist, dass er als Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung nicht mehr taugt.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 4 CN 11.03 -, BVerwGE 122, 207; OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2013 - 10 A 2260/10 -, juris.
34Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist für jede Festsetzung gesondert zu prüfen. Dabei kommt es nicht auf die Verhältnisse einzelner Grundstücke an, sondern entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zugrunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann. Erst wenn die tatsächlichen Verhältnisse vom Planinhalt so massiv und so offenkundig abweichen, dass der Bebauungsplan insoweit eine städtebauliche Gestaltungsfunktion gar nicht mehr zu erfüllen vermag, kann eine Funktionslosigkeit angenommen werden. Das setzt voraus, dass die Festsetzung unabhängig davon, ob sie punktuell durchsetzbar ist, bei einer Gesamtbetrachtung die Fähigkeit verloren hat, die städtebauliche Entwicklung noch in eine bestimmte Richtung zu steuern.
35Vgl. BVerwG, Urteile vom 3. Dezember 1998 - 4 CN 3.97 -, und vom 28. April 2004 - 4 C 10.03 -; OVG NRW, Beschluss vom 2. April 2008 - 7 B 251/08 -, jeweils juris.
36Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze lässt sich eine Funktionslosigkeit des Bebauungsplans in Bezug auf die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung in dem Bereich, in dem sich das klägerische Grundstück befindet, nicht feststellen.
37Wenn man das ca. 13.000 qm große Baugebiet nördlich der O. Straße und östlich des Grabens insgesamt in den Blick nimmt, dann lässt sich bereits nicht erkennen, dass die dortigen Verhältnisse derzeit einen Zustand erreicht haben, bei dem eine Verwirklichung der Festsetzung in absehbarer Zeit ausgeschlossen und dies auch hinreichend erkennbar ist. Vor allem auf den westlichen Grundstücken, die fast die Hälfte der Fläche des Baugebiets ausmachen, befinden sich fast ausschließlich gewerblich genutzte Grundstücke. Dafür, dass in diesem Teilbereich in absehbarer Zeit die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht mehr verwirklicht und die Grundstücke – wie vom Bebauungsplan vorgesehen – für Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude bzw. für nicht störende Gewerbebetriebe sowie für betriebsbezogene Wohnungen genutzt werden können, liegen keine Anhaltspunkte vor. Die Festsetzung ist insoweit weiterhin taugliches Instrument für die Steuerung der städtebaulichen Entwicklung. Ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan dienten sowohl die Staffelung der zulässigen Betriebe und Anlagen nach Abstandsklassen wie auch die in dem betroffenen Baugebiet vorgesehenen Einschränkungen der gewerblichen Nutzung dazu, Beeinträchtigungen der sich im nordöstlichen Bereich befindlichen Wohnbebauung auszuschließen. Diese Zielsetzung erscheint nach wie vor städtebaulich sinnvoll und in dem Baugebiet – als Ganzes betrachtet – auch realisierbar.
38Vorliegend ist aber auch nicht die teilweise Funktionslosigkeit des Bebauungsplans beschränkt auf die Festsetzung in dem östlichen Teil des Baugebiets, in dem sich das klägerische Grundstück befindet, anzunehmen. Zunächst einmal ist bei Betrachtung der nur in diesem Bereich befindlichen Bebauung eine Abweichung von der Festsetzung im Bebauungsplan nicht derart massiv, dass diese ihre st8;dtebauliche Funktion auf unabsehbare Zeit nicht mehr erfüllen kann. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass vier der Wohngebäude (O. Straße 109 und 111 sowie G. -F. -Straße 5 und 7) bereits zum Zeitpunkt der Aufstellung des Bebauungsplans vorhanden waren und vom Planungsgeber bewusst bei der Gebietsfestsetzung ber52;cksichtigt wurden. Bei den nach der Bekanntmachung des Bebauungsplans errichteten Gebäuden (O. Straße 81, 83, 85 und 111a) diente der Genehmigungslage zufolge ursprünglich keines ausschließlich Wohnzwecken. Auch wenn die für die vorhandenen Wohnnutzungen erteilten Baugenehmigungen aufgrund eines fehlenden funktionalen Bezugs zu der jeweiligen gewerblichen Nutzung nicht ohne Weiteres mit den Festsetzungen des Bebauungsplans im Einklang stehen dürften und Teile der ursprünglich genehmigten gewerblichen Nutzungen scheinbar teilweise aufgegeben wurden, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch in diesem Teilbereich zukünftig die Umsetzung des Bebauungsplans jedenfalls ansatzweise verwirklicht werden kann. Hierfür spricht, dass die Gebäude auch derzeit noch teilweise gewerblich genutzt werden (O. Straße 111a und 85) und im Übrigen jedenfalls zur Aufnahme weiterer gewerblicher Nutzung baulich angelegt zu sein scheinen (O. Straße 81 und 83). Vor diesem Hintergrund wird davon ausgegangen, dass auch dieser Teilbereich zukünftig einen Beitrag dazu leisten kann, die im Bebauungsplan angelegte Abstufung der zulässigen Gewerbebetriebe hin zum nördlich liegenden Wohngebiet zu realisieren und ein unmittelbares Aufeinandertreffen von störenden Gewerbebetrieben und Wohnnutzung zu verhindern. Jedenfalls aber kann nicht angenommen werden, dass die Entwicklung seit Erlass des Bebauungsplans derzeit einen solchen Stand erreicht hat, dass die Fortgeltung der Festsetzung keinerlei Vertrauen mehr verdient. Die zukünftige Umsetzung der Festsetzung ist vor dem Hintergrund der konkreten Entwicklung und der derzeitigen örtlichen Gegebenheiten nicht als offenkundig unmöglich einzustufen.
39Hinzu kommt, dass die Annahme einer teilweisen Funktionslosigkeit nur in seltenen Fällen angezeigt ist. Vor allem kommt eine solche dann nicht in Betracht, wenn hierfür nur die Verhältnisse einzelner Grundstücke herangezogen werden. Zu würdigen ist grundsätzlich die Festsetzung in ihrer gesamten Reichweite und die Bedeutung, die sie für den Plan in seiner Gesamtheit hat.
40Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. April 1977 - IV C 39.75 - und vom 28. April 2004 - 4 C 12/03 -, Beschluss vom 9. Oktober 2003 - 4 B 85/03 -; OVG Hamburg, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 Bf 17/11 -, jeweils juris.
41Auch kann eine teilweise Funktionslosigkeit nur bei solchen Bereichen angenommen werden, die sich funktional oder jedenfalls räumlich hinreichend von dem übrigen Gebiet abgrenzen lassen.
42So wohl OVG NRW, Beschluss vom 22. Juni 2010 - 7 B 479/10 -; OVG Hamburg, Urteile vom 28. Februar 2013 - 2 Bf 17/11 - und vom 1. November 1990 - Bf II 66/89 -, jeweils juris; Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: September 2019, § 10 Rdnr. 409.
43Beides ist im vorliegenden Fall nicht anzunehmen. Es handelt sich nur um einen von der Größe her überschaubaren Bereich und betroffen ist nur eine geringe Anzahl von Grundstücken. Darüber hinaus ist eine hinreichende topografische Abgrenzbarkeit zu der umliegenden Bebauung nicht vorhanden. Zwar weicht die Bebauungsstruktur von den im Westen und Süden angrenzenden, zu Gewerbezwecken genutzten Grundstücken ab. Die denkbaren Teilbereiche sind aber im westlichen Bereich nur durch eine schmale Zufahrt voneinander getrennt. Die Einfahrt zum Wendehammer hat ebenfalls nur eine recht ü;berschaubare Breite. Der Eindruck eines eindeutig abgegrenzten Bereichs entsteht insgesamt nicht.
44Weitere Mängel, die dem Bebauungsplan zum heutigen Zeitpunkt noch entgegenhalten werden könnten, sind weder ersichtlich, noch von den Klägern geltend gemacht.
45Die Ablehnung der Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB durch die Beklagte ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Eine solche Befreiung scheidet nämlich mit Rücksicht auf die Entscheidungshoheit des demokratisch legitimierten Rates der beigeladenen Gemeinde von vornherein aus, wenn – wie hier – die Grundzüge der Planung berührt sind.
46Der Gesetzgeber stellt mit der Abweichung nach § 31 Abs. 2 BauGB ein Instrument zur Verfügung, das im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Wahrung der Verhältnismäßigkeit für Vorhaben, die den Festsetzungen eines Bebauungsplans zwar widersprechen, sich mit den grundlegenden planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen lassen, ein Mindestmaß an Flexibilität schafft. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht. Generelle, d. h. typischerweise mit der Zulassung eines bestimmten Vorhabens verbundene Nutzungskonflikte, die eine auf die Standortfrage ausgerichtete Planung mit Abwägung gegenläufiger Interessen erforderlich machen, lassen sich nicht im Wege einer Befreiung bewältigen. Was den Bebauungsplan in seinen „Grundzügen“ berührt und seine „Planungskonzeption“ verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einen einzelfallbezogenen Verwaltungsakt der Baugenehmigungsbehörde zugelassen werden.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2012 - 4 C 14.10 -, BVerwGE 142, 1 ff.; OVG NRW, Urteil vom 17. Februar 2009 - 10 A 568/07 -, juris, mit weiteren Nachweisen.
48Vorliegend sind die Grundzüge der Planung berührt. Generell dürfte eine Befreiung von den Festsetzungen der Art der baulichen Nutzung die Grundzüge der Planung eher tangieren als eine Befreiung von einzelnen Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung. Denn während sich beim Maß der baulichen Nutzung aufgrund des Zuschnitts des einzelnen Grundstücks und der Topographie häufig besondere Situationen ergeben, die ein Abweichen von der generellen Linie des Plans vertretbar erscheinen lassen, hat die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung notwendigerweise Auswirkungen auf einen größeren Kreis von Baugrundstücken. Die Frage, welche Nutzungsarten in einem Baugebiet vorhanden sind, prägt zwangsläufig den Charakter des Gesamtgebiets. Dies kommt auch in anderem Zusammenhang zum Ausdruck, wenn etwa der sog. „Gebietsgew8;hrleistungsanspruch“ jedem Eigentümer in einem Plangebiet Abwehrrechte gegen eine festsetzungswidrige Art der baulichen Nutzung vermittelt oder wenn der Rahmen für die nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgebliche Umgebungsbebauung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung im Allgemeinen weiter gezogen wird als hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung.
49Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 28. April 2004 - 4 C 10/03 -; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 25. Juni 2013 - 6 K 3592/11 -, jeweils juris; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (Hrsg.), BauGB, Stand: September 2019, § 31 Rdnr. 36.
50Auch vorliegend hat die Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung Auswirkungen auf einen größeren Kreis von Baugrundstücken. Sie beschränken sich nicht nur auf das klägerische Grundstück und die in dem östlichen Bereich des Baugebietsabschnitts liegenden Flächen. Die Befreiung lässt sich mit den grundlegenden planerischen Vorstellungen nicht in Einklang bringen. Denn es war ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan ein zentrales Anliegen, eine Abstufung von den verschiedenen Gewerbebetrieben und im Gewerbegebiet zulässigen sonstigen Nutzungen hin zur im nördlichen Bereich vorhandenen Wohnbebauung zu schaffen. Der Satzungsgeber hat sich sogar auf ausdrücklichen Hinweis im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange bei der Aufstellung des Plans mit der Frage auseinandergesetzt, ob in diesem Bereich die Entwicklung hin zu einem Wohngebiet in Betracht komme und diese Frage verneint. Die zugrunde liegende Planungsabsicht würde durch die von den Klägern beabsichtigte Umnutzung ihres Geschäfts- und Wohnhauses auch berührt. Denn mit dieser Umnutzung würden die vorhandenen Nutzungskonflikte in dem Gebiet weiter erhöht. Sie hätte zur Folge, dass in dem betroffenen Bereich Wohnnutzung und gewerbliche Nutzung und damit völlig gegenläufige Nutzungsinteressen unmittelbar aufeinanderstoßen. Die Bewältigung genau dieses Konflikts hatte der Planungsgeber bei den Festsetzungen im Blick. Hieran vermag auch der Umstand, dass das klägerische Grundstück unmittelbar an die nördliche Wohnbebauung anschließt und sich umliegend weitere, zum Teil zu reinen Wohnzwecken genutzte Gebäude befinden, nichts zu ändern. Gleiches gilt, soweit festzustellen ist, dass einige der genehmigten Nutzungen dieser Gebäude den Festsetzungen des Bebauungsplans widersprechen. Die rechtswidrige Erteilung einer Baugenehmigung ändert nichts daran, dass die Festsetzungen, von denen eine Befreiung begehrt wird, die Grundzüge der Planung berühren. Dass der Beklagte jedenfalls im Ansatz dazu gewillt ist, die Festsetzungen auch weiterhin umzusetzen, belegt, dass die nach dem Erlass des Bebauungsplans erteilten Genehmigungen keine ausschließliche Wohnnutzung legitimieren, sondern ein gewisser Bezug zu einer gewerblichen Nutzung herzustellen versucht worden ist.
51Da die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nicht vorliegen, besteht auch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch darauf, dass der Beklagte erneut über den gestellten Bauantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidet, nicht.
52Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Dem Beigeladenen sind gemäß § 154 Abs. 3 VwGO keine Kosten aufzuerlegen; seine außergerichtlichen Kosten sind allerdings auch nicht für erstattungsfähig zu erklären.
53Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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Referenzen
- VwGO § 154 2x
- VwGO § 3 1x
- VwGO § 162 1x
- BauNVO § 4 Allgemeine Wohngebiete 2x
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 113 1x
- § 30 Abs. 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 1 Abs. 3 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 31 Abs. 2 BauGB 2x (nicht zugeordnet)
- § 34 Abs. 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- 7 B 251/08 2x (nicht zugeordnet)
- 10 A 2260/10 1x (nicht zugeordnet)
- 4 C 12/03 1x (nicht zugeordnet)
- 4 B 85/03 1x (nicht zugeordnet)
- 2 Bf 17/11 2x (nicht zugeordnet)
- 7 B 479/10 1x (nicht zugeordnet)
- 10 A 568/07 1x (nicht zugeordnet)
- 4 C 10/03 1x (nicht zugeordnet)
- 6 K 3592/11 1x (nicht zugeordnet)