Urteil vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen - 8 K 1199/19
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, für die Beigeladene allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen die - unter Ersetzung ihres gemeindlichen Einvernehmens - der vormals beigeladenen N. erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die - mittlerweile erfolgte - Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage des Typs ENERCON E-138 EP3 mit einer Nabenhöhe von 131 m und einem Rotordurchmesser von 138,6 m auf dem Grundstück Gemarkung H1. , Flur 00, Flurstück 000 (N1. ).
3Bei dem Vorhabengrundstück handelt es sich um eine Bergehalde, die im Rahmen der bergbaulichen Tätigkeiten im nördlichen Ruhrgebiet aufgeschüttet wurde. Es liegt im räumlichen Geltungsbereich des Landschaftsschutzgebiets Nr. 10 „C. “ des am 7. März 2001 öffentlich bekannt gemachten Landschaftsplans Nr. 4 „H1. “ des Beklagten. Der konkrete Standort der Windenergieanlage befindet sich nach den Angaben, die über das Internetangebot des Landes Nordrhein-Westfalen für amtliche Karten und sonstige amtliche Daten (TIM-online) abgerufen werden können, etwa 98,5 m über Normalnull.
4Die vormals beigeladene N. beantragte bereits im Jahr 2011 eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von zwei Windenergieanlagen des Typs Repower (nunmehr Senvion) 3.2M114 auf der Halde N1. . Diesen Antrag stellte der Beklagte zunächst aufgrund des in Aufstellung befindlichen Sachlichen Teilflächennutzungsplans „Konzentrationszonen für Windenergieanlagen“ der Klägerin durch Bescheid vom 23. Mai 2012 bis zum 23. November 2012 zurück. Nachdem der Rat der Klägerin den Sachlichen Teilflächennutzungsplan am 6. Dezember 2012 beschlossen und ihn der Bezirksregierung N2. zur Genehmigung vorgelegt hatte, versagte die Klägerin ihr gemeindliches Einvernehmen zu dem vorgenannten Genehmigungsantrag. Unter Verweis hierauf und die damit einhergehende bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens lehnte der Beklagte die Erteilung der beantragten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung durch Bescheid vom 17. Juni 2013 ab. Nach Versagung der Genehmigung zum vorgenannten Sachlichen Teilflächennutzungsplan durch die Bezirksregierung N2. fasste der Stadtplanungs- und Bauausschuss der Klägerin am 13. März 2014 den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 000, Gebiet: „N1. “, der am 16. April 2014 im Amtsblatt der Klägerin bekanntgemacht wurde. Am 4. Mai 2016 erließ der Rat der Klägerin die Satzung über die Anordnung einer Veränderungssperre für den Bereich des Bebauungsplanes Nr. 000, Gebiet: „N1. “ (im Folgenden: Veränderungssperre), die am 13. Juni 2016 im Amtsblatt der Klägerin veröffentlicht wurde.
5Auf die gegen den Ablehnungsbescheid vom 17. Juni 2013 erhobene Klage der vormals beigeladenen N. verpflichtete die erkennende Kammer den Beklagten durch Urteil vom 11. Mai 2017 ‑ 8 K 2788/14 - den vorgenannten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Zur Begründung verwies die Kammer unter anderem darauf, dass dem Vorhaben die von der Klägerin erlassene Veränderungssperre nicht entgegenstehe. Sie sei bereits unwirksam, weil im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt ihres Erlasses keine hinreichende Konkretisierung der Planungsabsichten durch die Klägerin vorgelegen habe. Unabhängig davon sei im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung der maximal zulässige Geltungszeitraum von drei Jahren gegenüber der vormals beigeladenen N. (faktisch) ausgeschöpft. Gegen dieses Urteil beantragte die Klägerin die Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (8 A 1617/17). Am 9. Mai 2018 beschloss der Rat der Klägerin die Verlängerung der Geltungsdauer der Veränderungssperre um ein Jahr. Die entsprechende Satzung wurde am 8. Juni 2018 im Amtsblatt der Klägerin veröffentlicht.
6Abweichend von ihrem ursprünglichen Genehmigungsantrag beantragte die vormals beigeladene N. unter dem 19. Juli 2018 die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb (nur noch) einer Windenergieanlage des Typs ENERCON E-138 EP3 mit einer Nabenhöhe von 131 m und einem Rotordurchmesser von 138,6 m auf der Halde N1. . Daraufhin erklärten die vormals beigeladene N. als Klägerin im Verfahren 8 K 2788/14 und der Beklagte das Berufungszulassungsverfahren 8 A 1617/17 in der Hauptsache für erledigt.
7Den Antrag der vormals beigeladenen N. übersandte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 9. August 2018 unter anderem mit der Bitte um Prüfung, ob das gemeindliche Einvernehmen erteilt werden könne. Er bat ferner um schriftliche Mitteilung, ob die beigefügten Antragsunterlagen aus der Sicht der Klägerin als vollständig anzusehen seien, sowie um Beteiligung der Unteren Denkmalschutzbehörde der Klägerin. Der Beklagte machte ferner darauf aufmerksam, dass den Antragsunterlagen noch keine Sichtbeziehungsstudie zur Beurteilung der optisch bedrängenden Wirkung der Windenergieanlage beigefügt sei. Diese Studie werde derzeit erstellt und übersandt, sobald sie vorliege.
8Mit Schreiben vom 23. August 2018 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass die Antragsunterlagen offensichtlich unvollständig seien. Es fehlten eine Sichtbeziehungsstudie zur Beurteilung der optisch bedrängenden Wirkung, ein avifaunistisches Gutachten und ein geprüfter Standsicherheitsnachweis. Angesichts der Unvollständigkeit der Unterlagen habe die Frist des § 36 Abs. 2 BauGB nicht zu laufen begonnen. Ungeachtet der Unvollständigkeit der Bauvorlagen werde bereits zu diesem Zeitpunkt darauf hingewiesen, dass das gemeindliche Einvernehmen durch die Klägerin nicht erteilt werden könne. Es bestehe eine rechtskräftige Veränderungssperre zur Sicherung der Bauleitplanung; dies sei auch vom Beklagten zu beachten.
9Mit Schreiben vom 30. August 2018, bei der Klägerin eingegangen am 31. August 2018, und vom 17. September 2018, bei der Klägerin eingegangen am 19. September 2018, übersandte der Beklagte der Klägerin die „Artenschutzprüfung“, den „Ordner 2 (Register 15) komplett“ sowie die „Sichtbeziehungsstudie optisch bedrängende Wirkung vom 11.09.2018“. Unter Hinweis darauf, dass mit den am 17. September 2018 übersandten zusätzlichen Unterlagen der Genehmigungsantrag als vollständig anzusehen sei, erinnerte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 7. November 2018 an die erbetene Stellungnahme und setzte eine Frist bis zum 30. November 2018.
10Mit Schreiben vom 29. November 2018, das inhaltlich identisch ist mit dem Schreiben vom 6. Dezember 2018, wies die Klägerin zunächst darauf hin, dass die Sichtbeziehungsstudie vom 11. September 2018 aus ihrer Sicht fehlerhaft bzw. unvollständig sei, weshalb der Nachweis nicht erbracht sei, dass von dem Vorhaben keine optisch bedrängende Wirkung aus ginge. Zudem führte sie unter Bezugnahme auf die Veränderungssperre (erneut) aus, dass das gemeindliche Einvernehmen nicht erteilt werden könne.
11Die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Sichtbeziehungsstudie vom 11. September 2018 vorgebrachten Einwände nahm der Beklagte zum Anlass, am 7. Dezember 2018 eine Ortsbesichtigung durchzuführen, an der neben dem Gutachter auch Vertreter der Klägerin und des Beklagten anwesend waren. Die diesbezügliche schriftliche Stellungnahme der S. vom 14. Dezember 2018 wurde als Nachtrag zur Sichtbeziehungsstudie vom 11. September 2018 zu den Antragsunterlagen gereicht.
12Ausweislich des Gesprächsvermerks des Beklagten vom 25. Januar 2019 war der Genehmigungsantrag der vormals beigeladenen N. Gegenstand einer am 24. Januar 2019 durchgeführten Erörterung zwischen der Klägerin und dem Beklagten, an der unter anderem der seinerzeitige Bürgermeister der Klägerin und der seinerzeitige Landrat des Beklagten teilnahmen. Dabei habe der Beklagte darauf hingewiesen, dass die Klägerin ihr gemeindliches Einvernehmen zu Unrecht verweigert habe und er daher die Ersetzung beabsichtige. Da die diesbezüglichen Argumente „bereits umfangreich ausgetauscht“ seien, werde „nur eine sehr kurze Frist“ zur Anhörung der Klägerin gesetzt. Die Vertreter der Klägerin „signalisierten insoweit Verständnis“. Im Nachgang zu diesem Gespräch hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 24. Januar 2019 zur beabsichtigten Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens an und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 4. Februar 2019. Mit anwaltlichem Schreiben vom 1. Februar 2019 erklärte die Klägerin, sie wolle von ihrem Anhörungsrecht Gebrauch machen, benötige hierfür jedoch noch weitere (im Einzelnen konkret benannte) Unterlagen. Außerdem bat sie um eine angemessene Verlängerung der Frist zur Stellungnahme, da die gesetzte Frist von sieben Werktagen deutlich zu knapp und auch unüblich sei. Mit E-Mail vom 1. Februar 2019 übersandte der Beklagte der Klägerin die von ihr gewünschten Unterlagen und gewährte eine Fristverlängerung bis zum 7. Februar 2019. Die Argumente seien in der Sache erschöpfend ausgetauscht, zudem sei die Länge der Frist bereits mündlich angekündigt worden. Darauf erwiderte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 6. Februar 2019, dass die gesetzte Frist für eine abgestimmte Stellungnahme zu knapp sei. Ferner wies sie darauf hin, dass der Landschaftsverband X. im Rahmen der Benehmensherstellung mit der Unteren Denkmalbehörde empfohlen habe, in Bezug auf die Siedlung C. eine Sichtbarkeitsanalyse einzuholen und zu prüfen, ob die Nutzung der denkmalgeschützten Bauten der Siedlung durch die Wirkung einer Windenergieanlage auf Dauer eingeschränkt werde.
13Durch Bescheid vom 11. Februar 2019, der Klägerin zugestellt am 19. Februar 2019, erteilte der Beklagte der vormals beigeladenen N. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die beantragte immissionsschutzrechtliche Genehmigung. Zur Begründung führte er unter anderem aus: Das durch die Klägerin mit Schreiben vom 6. Dezember 2018 versagte gemeindliche Einvernehmen sei zu ersetzen gewesen. Die von der Klägerin angeordnete Veränderungssperre entfalte gegenüber der vormals beigeladenen N. keine Wirkung mehr. Unter Berücksichtigung des durch den Bescheid vom 23. Mai 2012 zurückgestellten Zeitraums von sechs Monaten sowie der seit Inkrafttreten der Veränderungssperre verstrichenen Zeit von zwei Jahren und sieben Monaten sei die maximale Geltungsdauer von drei Jahren ab dem 17. Dezember 2018 überschritten. Unabhängig davon bestünden Zweifel an der organmäßigen Zuständigkeit des Bürgermeisters der Klägerin für die ausgesprochene Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens. Auf der Grundlage der Sichtbeziehungsstudie vom 11. September 2018 sowie des Nachtrags vom 14. Dezember 2018 gehe eine optisch bedrängende Wirkung von der Windenergieanlage auch unter Berücksichtigung der von Klägerin vorgetragenen Bedenken nicht aus. Eine Einschränkung der denkmalgeschützten Bauten der Siedlung C. durch die Wirkung der Windenergieanlage könne ebenfalls ausgeschlossen werden. Eine gegebenenfalls erforderliche denkmalrechtliche Erlaubnis werde von der Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung erfasst. Auf der Grundlage der Schallimmissionsprognose der S. GmbH & Co. KG vom 11. Juli 2018 in der überarbeiteten Fassung vom 31. Januar 2019 (nachfolgend: Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019) gingen von der Windenergieanlage keine unzumutbaren Schallimmissionen aus. Für die Errichtung und den Betrieb der Windenergieanlage werde eine Befreiung gemäß § 67 BNatSchG von den Festsetzungen des Landschaftsschutzgebiets Nr. 10 „C. “ des Landschaftsplans Nr. 4 „H1. “ erteilt. Der Ausbau der Windenergie stelle ein überwiegendes öffentliches Interesse dar. Bei dem Vorhabenstandort handele es sich nicht um einen Teilbereich eines Landschaftsschutzgebietes, dem besondere oder herausragende Funktionen zugeordnet würden, die der beantragten Befreiung entgegen zu halten wären. Auf der Grundlage der im Genehmigungsverfahren vorgelegten artenschutzrechtlichen Gutachten und der diesbezüglichen Nebenbestimmungen in dem Genehmigungsbescheid verstoße das Vorhaben auch nicht gegen artenschutzrechtliche Zugriffsverbote.
14Mit Schreiben vom 25. Februar 2019 zeigte die vormals beigeladene N. dem Beklagten entsprechend Ziffer IV. 1.7 des Genehmigungsbescheides an, dass nunmehr die Beigeladene Betreiber der Windenergieanlage sei.
15Die Klägerin hat am 12. März 2019 Klage erhoben und am 20. November 2020 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt, den die Kammer durch Beschluss vom 22. Februar 2021 - 8 L 1615/20 - abgelehnt hat. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen durch Beschluss vom 2. Juli 2021 - 7 B 286/21 - zurückgewiesen.
16Auf entsprechende Anträge der Beigeladenen hat der Beklagte durch Bescheid vom 28. Januar 2021 die Nebenbestimmung IV. 6.1.2 (zum Schutz des Uhus) des angefochtenen Genehmigungsbescheides aufgehoben und durch Bescheid vom 9. November 2021 festgestellt, dass die beklagte Windenergieanlage entsprechend der Nebenbestimmung IV. 3.1.6 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 zur Nachtzeit (22:00 bis 06:00 Uhr) im Betriebsmodus 100dB mit einer Leistung von 2350 kW betrieben werden darf. Zur Begründung ist ausgeführt, dass nach dem Vermessungsbericht der E. vom 20. August 2020 die in Ziffer IV. 3.1.5 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 festgelegten Oktavschallleistungspegel für 1000, 2000, 4000 und 8000 Hertz Lo,Okt zwar überschritten seien, der Nachweis für die Aufnahme des Nachtbetriebs aber durch eine erneute Ausbreitungsberechnung in der Schallimmissionsprognose der S. vom 27. Oktober 2021 erbracht worden sei. In der am 23. März 2022 durchgeführten mündlichen Verhandlung hat die Beigeladene auf die Ausnutzung des in der Nebenbestimmung IV. 6.1.5 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 aufgeführten Parameters „kein Niederschlag“ verzichtet.
17Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens durch den Beklagten sei rechtswidrig. Im Zusammenhang mit der Abfrage und Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens sei sie nicht ordnungsgemäß beteiligt worden, weshalb sie in ihrem absoluten Verfahrensrecht aus § 36 BauGB verletzt sei. Zahlreiche Antragsunterlagen seien nicht Gegenstand der Abfrage durch den Beklagten gewesen. Die Unvollständigkeit der Antragsunterlagen habe sie mit Schreiben vom 16. August 2018 und vom 23. August 2018 gerügt und darauf hingewiesen, dass die Zwei-Monatsfrist des § 36 Abs. 2 BauGB nicht zu laufen begonnen habe. Auch in der Folgezeit seien ihr zu keinem Zeitpunkt vollständige Antragsunterlagen zur Verfügung gestellt worden. Der Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass die Veränderungssperre dem Vorhaben nicht entgegengehalten werden könne. Diese sei im entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung wirksam gewesen, insbesondere sei das erforderliche Mindestmaß an positiver Plankonzeption im entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Beschlusses über die Veränderungssperre am 4. Mai 2016 ohne weiteres erkennbar gewesen. Die erkennende Kammer habe in ihrem Urteil vom 11. Mai 2017 ‑ 8 K 2788/14 - nicht hinreichend bewertet, dass die Planung bis zu diesem Beschluss entscheidend fortentwickelt worden sei. Erklärtes positives Planungsziel sei eine zusammenhängende Freiraumentwicklung im Bereich der Halden N4. 1/11, N1. , I. 19 sowie I. 22 gewesen. Für den oberen Haldenkörper der N1. sei es von vornherein um eine Freiflächenplanung gegangen, die im Wesentlichen öffentliche Grünflächen beinhaltete. Angesichts seines Detaillierungsgrades (einschließlich der Verortung einzelner Nutzungen) habe das Plankonzept den für eine Veränderungssperre erforderlichen Konkretisierungsgrad erfüllt. Die Veränderungssperre sei auch unter dem Aspekt ihrer Geltungsdauer im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung wirksam gewesen. Entgegen der Auffassung des Beklagten sei der Zeitraum der sechsmonatigen Zurückstellung durch Bescheid vom 23. Mai 2012 nicht anrechnungsfähig, da die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht vorlägen. Anrechnungsfähige Zeiten einer faktischen Zurückstellung lägen ebenfalls nicht vor, weil der im Jahr 2011 gestellte Genehmigungsantrag zu keinem Zeitpunkt vollständig gewesen sei, worauf sie, die Klägerin, und auch der Beklagte wiederholt hingewiesen hätten. Zudem hätten die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Veränderungssperre in das vierte Jahr vorgelegen. Ferner sei weder die wegemäßige Erschließung noch die Löschwasserversorgung ausreichend gesichert. Der Genehmigung stünden auch öffentliche Belange entgegen. Es sei nicht sichergestellt, dass von dem Vorhaben keine schädlichen Umwelteinwirkungen in Form von Schallimmissionen ausgingen. Die überarbeitete Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 sei bereits nicht Gegenstand der Genehmigung geworden und weise zudem zahlreiche methodische Mängel auf. Die gutachterlichen Befunde ließen erhebliche Immissionsrichtwertüberschreitungen erwarten, dies gelte exemplarisch für den im reinen Wohngebiet gelegenen Immissionsort S1.-------straße 69. Es sei zudem nicht plausibel, warum der IP 26, an dem eine Richtwertüberschreitung um 1 dB(A) festgestellt worden sei, nicht unter dem Gesichtspunkt der Reflexionen betrachtet worden sei. Die Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 greife auch zu kurz, soweit sie auf eine Untersuchung des Tagbetriebs von vornherein verzichte. Das Vorhaben verletze in der durch den Genehmigungsbescheid zugelassenen Form das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in Bezug auf Fledermäuse und die Kreuzkröte. Der Beklagte habe darüber hinaus zu Unrecht eine Befreiung von den Festsetzungen des Landschaftsschutzgebiets Nr. 10 „C. “ des Landschaftsplans Nr. 4 „H1. “ erteilt. Die Genehmigung stelle nicht sicher, dass es zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der Siedlung „C. “ durch die Windenergieanlage komme. Ohne die vom Landschaftsverband X. angemahnte Sichtbarkeitsanalyse habe sich der Beklagte keinen Eindruck vom Grad der Überprägung des Denkmalbereichs der Siedlung „C. “ verschaffen können. Des Weiteren stehe der Genehmigung das Orts- und Landschaftsbild als öffentlicher Belang entgegen, weil der Ersatz für den Eingriff in das Landschaftsbild in Form eines Ersatzgeldes aufgrund einer veralteten Fassung des Windenergieerlasses berechnet worden sei. Die Begutachtungen zur optisch bedrängenden Wirkung vom 11. September 2018 sowie der Nachtrag vom 14. Dezember 2018 wiesen methodische Fehler auf, weswegen die optisch bedrängende Wirkung der Windenergieanlage gegenüber mehreren Wohnnutzungen verkannt worden sei. Die Genehmigung verstoße schließlich gegen § 12 LuftVG und das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme. Die luftfahrtrechtliche Zustimmung der Bezirksregierung N2. sei rechtswidrig erteilt worden. Die Belange des B. , der in 1800 m Entfernung einen Ballonstartplatz betreibe, seien nicht gewürdigt worden. Der B. habe für den Betrieb des Startplatzes - dem weltweit größten für Gasballone - im März 2000 eine unbegrenzte Genehmigung erhalten. Durch die Höhe der Windenergieanlage wären Starts bei bestimmten Windbedingungen lebensgefährlich. Bei der durch die Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 erstmalig bewirkten Zulassung des Nachtbetriebs der Windenergieanlage handele es sich um eine Nutzungsänderung und damit um ein Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB. Diese Nutzungsänderung sei nicht genehmigungsfähig, weil der am 15. April 2019 in Kraft gesetzte Bebauungsplan Nr. 000 am Vorhabenstandort Windenergieanlagen ausschließe. Im Übrigen habe der Beklagte sie insoweit auch nicht um ihr gemeindliches Einvernehmen ersucht.
18Die Klägerin beantragt,
19den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 in der Fassung der Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 sowie der in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 zu Protokoll erklärten Verzichtserklärung der Beigeladenen aufzuheben,
20hilfsweise,
21den vorgenannten Bescheid für rechtswidrig und nicht vollziehbar zu erklären.
22Der Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Zur Begründung wiederholt bzw. vertieft er seine Ausführungen in dem angefochtenen Genehmigungsbescheid und führt ergänzend aus: Eine Verletzung der Klägerin in ihrem formellen Beteiligungsrecht liege nicht vor. Die von der Klägerin bemängelte unterlassene Übersendung bestimmter Unterlagen werde bestritten und wäre im Übrigen schadlos, da diese Unterlagen für die entsprechende Willensbildung der Klägerin keine Relevanz aufwiesen und die fehlende Übersendung nicht gerügt worden sei. Ab dem 17. September 2018 seien die Antragsunterlagen in planungsrechtlicher Sicht vollständig und eine Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen möglich gewesen. Zudem sei es widersprüchlich, am 23. August 2018 unter bewusstem Verzicht auf das Abwarten des Eingangs der Sichtbeziehungsstudie das Einvernehmen erstmalig zu verweigern, dies am 6. Dezember 2018 zu wiederholen, und nunmehr die Verletzung von Beteiligungsrechten durch fehlende Unterlagen zu rügen. Die Windenergieanlage stehe auch den Planungen der Klägerin nicht entgegen. Die Gesamtoberfläche der N1. sei weiterhin bis auf etwa 110 m² im Top-Bereich begehbar und für andere Zwecke nutzbar. Daher seien die Ausführungen der Klägerin, aufgrund der genehmigten Windenergieanlage könne kein zusammenhängender Freizeit- und Erlebnisraum entwickelt werden bzw. die Gartenausstellung (IGA 2027) gegebenenfalls nicht stattfinden, nicht nachvollziehbar. Die wegemäßige Erschließung des Vorhabengrundstücks sei ebenso gesichert wie der Brandschutz. Der Aufbau und das Bergematerial der N1. unterschieden sich erheblich vom Aufbau und dem Schüttmaterial der Halde H2. . Die Gefahr eines Haldenbrandes sei daher praktisch ausgeschlossen. Der Genehmigung der Windenergieanlage stünden auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin öffentliche Belange nicht entgegen. Die Einhaltung der nächtlichen Immissionsrichtwerte an allen lmmissionspunkten sei auf der Grundlage der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 sicher gewährleistet. Die dortigen Ergebnisse seien durch die auf Veranlassung des Beklagten erfolgten Berechnungen der L. bestätigt worden. Die artenschutzrechtlichen Nebenbestimmungen in der Genehmigung vom 11. Februar 2019 zum Schutz der Fledermäuse und der Kreuzkröte seien ausreichend, um das Tötungsrisiko unter der Signifikanzschwelle zu halten. Seine Annahme, die Windenergieanlage beeinträchtige Belange des Denkmalschutzes nicht, ergebe sich auch aus der zwischenzeitlich vorliegenden Analyse der denkmalschutzrelevanten Betroffenheit des denkmalgeschützten Siedlungsbereichs C. des Büros für Landschaftsplanung C1. von September 2019. Eine Gefährdung des Luftverkehrs liege auch unter Berücksichtigung der Belange des in der Nähe des Vorhabenstandorts gelegenen Ballonstartplatzes nicht vor. Dies ergebe sich aus der aus Anlass des Widerspruchs des B. eingeholten Stellungnahme der Bezirksregierung N2. vom 19. Juni 2019.
25Die Beigeladene beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Zur Begründung bezieht sie sich auf den Vortrag des Beklagten bzw. vertieft diesen und führt ergänzend aus: Die Klägerin sei vom Beklagten unstreitig beteiligt worden. Einer Ersetzung des Einvernehmens durch den Beklagten habe es nicht bedurft, da die Einvernehmensfiktion eingetreten sei. Die Klägerin habe auf das Schreiben des Beklagten vom 17. September 2018, mit dem die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB in Gang gesetzt worden sei, über zwei Monate nicht reagiert. Jedenfalls sei aber die Ersetzung des Einvernehmens in einem ordnungsgemäßen Verfahren erfolgt. Im Übrigen wäre nach Maßgabe des § 46 VwVfG NRW von der Unbeachtlichkeit des von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehlers auszugehen.
28Die Kammer hat den Rechtstreit durch Beschluss vom 6. Dezember 2021 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
29Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens 8 L 1615/20 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und die Gerichtsakte 8 K 2788/14 Bezug genommen.
30Entscheidungsgründe:
31Die Klage, über die der nach § 6 Abs. 1 VwGO zuständige Einzelrichter entscheidet, hat keinen Erfolg.
32Die Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 sowie die in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 zu Protokoll erklärte Verzichtserklärung der Beigeladenen konnten noch in das laufende Klageverfahren einbezogen werden (dazu A.). Die von der Klägerin in der nunmehrigen Form fortgeführte Klage ist zwar zulässig (dazu B.), aber unbegründet (dazu C.).
33A. Die Klägerin konnte die Bescheide 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 sowie die in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 zu Protokoll erklärte Verzichtserklärung der Beigeladenen in das laufende Klageverfahren einbeziehen. Durch den Bescheid vom 9. November 2021 hat der Beklagte verbindlich festgestellt, dass der durch den Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 (vgl. Ziffer IV. 3.1.6 i. V. m. 3.1.5) zunächst aufschiebend bedingt zugelassene schallreduzierte Nachtbetrieb im Betriebsmodus 100 dB mit einer Leistung von 2350 kW nunmehr aufgenommen werden darf, weil die Beigeladene den Eintritt der aufschiebenden Bedingung nachgewiesen habe. Damit bilden dieser Bescheid und der Genehmigungsbescheid ‑ ebenso wie die dem Genehmigungsbescheid zur Sicherstellung der Erfüllung der Genehmigungsvoraussetzungen (vgl. § 12 Abs. 1 BImSchG) nachträglich beigefügten Nebenbestimmungen -,
34vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 22. November 2021 - 8 A 973/15 -, juris Rn. 49 ff., m. w. N.,
35einen unteilbaren Regelungsgegenstand und stellt dessen Einbeziehung schon keine Klageänderung dar.
36Eine Änderung des Streitgegenstands liegt mithin im Rechtssinne nicht vor, sondern lediglich eine nach § 173 VwGO i. V. m. § 264 Nr. 3 ZPO ohne Weiteres zulässige Anpassung des Klageantrags aufgrund einer nachträglichen Veränderung. Selbst wenn man die Einbeziehung des Bescheides vom 9. November 2021 als Klageänderung im Sinne von § 91 VwGO ansieht, ist diese Klageänderung aber aus Gründen der Prozessökonomie jedenfalls als sachdienlich einzustufen. Im Ergebnis nichts anderes gilt in Bezug auf den Bescheid vom 28. Januar 2021, durch den die im Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 zum Schutz des Uhus enthaltene Nebenbestimmung IV. 6.1.2 aufgehoben wurde, sowie die in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 zu Protokoll erklärte Verzichtserklärung der Beigeladenen.
37B. Die von der Klägerin in der nunmehrigen Form fortgeführte und als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthafte Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin nach § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt. Sie kann geltend machen, durch die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 11. Februar 2019 in der Fassung der Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 sowie der in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 zu Protokoll erklärten Verzichtserklärung der Beigeladenen in eigenen Rechten verletzt zu sein. Für die Klagebefugnis genügt es, wenn die geltend gemachte Rechtsverletzung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen möglich ist. Daran fehlt es nur, wenn die vom Kläger geltend gemachte Rechtsposition offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihm zustehen kann.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 2020 - 7 C 29.18 -, juris Rn. 15.
39Letzteres ist hier nicht der Fall. Die Klägerin macht geltend, dass sie durch den Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 in der Fassung der Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 in ihrem formellen Beteiligungsrecht bzw. materiellen Mitentscheidungsrecht aus § 36 BauGB verletzt ist.
40I. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt allein die Missachtung oder Verletzung des gesetzlich gewährleisteten, dem Schutz der Planungshoheit dienenden Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen zur Aufhebung der Genehmigung; eine materiell-rechtliche Überprüfung der Rechtslage findet in diesen Fällen nicht statt.
41Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26. März 2015 - 4 C 1.14 -, juris Rn. 17, m. w. N.
42Eine solche Verletzung erscheint auf der Grundlage des Vortrags der Klägerin jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen und zwar sowohl in Bezug auf den Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 als auch die Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021.
43II. Desgleichen erscheint es möglich, dass die Klägerin durch die Ersetzung ihres gemeindlichen Einvernehmens in dem Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 in der Fassung der Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 in ihrer gemeindlichen Planungshoheit verletzt wird.
44Die Einvernehmensregelung des § 36 BauGB sichert die verfassungsrechtlich gewährleistete Planungshoheit der Gemeinden. Bei einem Außenbereichsvorhaben darf die Gemeinde ihr Einvernehmen nur aus den sich aus § 35 BauGB ergebenden Gründen versagen (§ 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Hieraus folgt, dass die Voraussetzungen des § 35 BauGB auf das Rechtsmittel der Gemeinde hin in vollem Umfang nachzuprüfen sind.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2010 - 4 C 4.08 -, juris Rn. 32, m. w. N.
46Die Gemeinde kann also insbesondere geltend machen, dass ein Vorhaben öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtige; sie kann sich auch auf eine Verletzung ihrer Planungshoheit berufen, weil die ausreichende Erschließung des Vorhabens im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB nicht gesichert sei.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1990 - 4 C 45.88 -, juris Rn. 12.
48Für die Frage des „Drittschutzes“ der geltend gemachten Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB ist in derartigen Fällen kein Raum.
49Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Juli 2009 - 8 A 2357/08 -, juris Rn. 40 ff., m. w. N., speziell zu Belangen des Naturschutzes gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, sowie Beschluss vom 28. Oktober 2021 - 7 B 782/21.AK -, juris Rn. 2 ff., zur Vereinbarkeit einer Windenergieanlage mit einer Landschaftsschutzgebietsausweisung, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bzw. 5 BauGB, zum Gebot der Rücksichtnahme unter dem Blickwinkel einer optisch bedrängenden Wirkung sowie zur Verunstaltung des Landschaftsbildes im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB; ferner OVG S.‑A., Urteil vom 24. März 2021 - 2 L 79/17 -, juris Rn. 138, zu schädlichen Umwelteinwirkungen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB in Form unzumutbarer Geruchsbelästigungen; Hess. VGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 ‑ 9 B 2016/18 -, juris Rn. 10, zu den Belangen des Natur- und Artenschutzes, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, und der Funktionsfähigkeit von Radaranlagen, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 BauGB.
50Darüber hinaus ist - auch ohne ausdrückliche Nennung in § 36 BauGB - aufgrund der Sicherungsfunktion dieser Vorschrift anerkannt, dass die Gemeinde ihr Einvernehmen auch wegen einer (wirksamen) Veränderungssperre nach § 14 BauGB verweigern kann.
51Vgl. nur Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 36 BauGB Rn. 43a (Stand der Kommentierung: Mai 2021).
52Ausgehend vom Vorbringen der Klägerin besteht die Möglichkeit, dass die durch den Beklagten vorgenommene Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens zu Unrecht erfolgte, weil dem Vorhaben die Veränderungssperre für den Bebauungsplan Nr. 000, Gebiet: „N1. “ entgegenstand bzw. die Voraussetzungen des § 35 BauGB nicht vorlagen, weil eine (ausreichende) Erschließung nicht gesichert war bzw. dem Vorhaben öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB entgegenstanden.
53C. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 in der Fassung der Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 sowie der in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 zu Protokoll erklärten Verzichtserklärung der Beigeladenen verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Eine solche Verletzung folgt weder aus einer Missachtung bzw. Verletzung ihres gemeindlichen Beteiligungsrechts aus § 36 BauGB (dazu I.) noch aus einem Verstoß gegen materielles Recht, auf das die Klägerin sich berufen kann (dazu II.).
54I. Eine Missachtung bzw. Verletzung des gemeindlichen Beteiligungsrechts der Klägerin aus § 36 Abs. 1 BauGB durch den Beklagten liegt nicht vor. Der Beklagte hat die Klägerin vor Erlass des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise beteiligt mit der Folge, dass die in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB geregelte Einvernehmensfrist am 20. September 2018 in Gang gesetzt wurde und am 19. November 2018 abgelaufen war, ohne dass eine rechtlich wirksame und fristgerechte Verweigerung des Einvernehmens durch die Klägerin erfolgt war (dazu 1.). Infolge des Eintritts der Einvernehmensfiktion ist der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen § 73 Abs. 4 BauO NRW rechtlich unerheblich, liegt aber auch im Übrigen nicht vor (dazu 2.). Einer erneuten Beteiligung der Klägerin gemäß § 36 BauGB vor Erlass der Bescheide vom 28. Januar 2021 bzw. vom 9. November 2021 bedurfte es nicht (dazu 3.).
551. Der Beklagte hat die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 11. Februar 2019 nicht unter Verstoß gegen das formelle Beteiligungsrecht der Klägerin aus § 36 BauGB erteilt.
56Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde zu entscheiden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach diesen Vorschriften entschieden wird (§ 36 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 BauGB). Das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren ist ein anderes Verfahren in diesem Sinne.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 2020 - 4 C 1.19 -, juris Rn. 12, m. w. N.
58Dieses Beteiligungsrecht hat der Beklagte vor Erlass des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 nicht missachtet bzw. verletzt. Die Annahme einer Missachtung bzw. Verletzung des gemeindlichen Beteiligungsrechts scheidet jedenfalls dann aus, wenn das Einvernehmen gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB als erteilt gilt. Dies ist hier der Fall.
59a) Die Zwei-Monatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist durch das Schreiben des Beklagten vom 9. August 2018 in Verbindung mit den mit Schreiben vom 30. August 2018 und vom 17. September 2018 nachgereichten Unterlagen in Gang gesetzt worden.
60aa) Ein ordnungsgemäßes Ersuchen im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB setzt zunächst voraus, dass es eindeutig formuliert ist; die Gemeinde muss erkennen können, dass und in welcher Hinsicht die Frist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ausgelöst wird. Ob dieses Erfordernis gewahrt ist, hängt maßgeblich davon ab, wie das Schreiben nach dem Empfängerhorizont der Gemeinde verstanden werden musste.
61Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2010 ‑ 8 B 1426/10 -, juris Rn. 7 ff.; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 15. Mai 2018 - 1 A 11903/17 -, juris Rn. 44, m. w. N.; Bay. VGH, Beschluss vom 25. August 2015 ‑ 22 CS 15.1683 -, juris Rn. 25.
62Die Einvernehmensfrist wird ferner nur ausgelöst, wenn und sobald das Ersuchen der Genehmigungsbehörde der Gemeinde eine hinreichende und abschließende planungsrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens ermöglicht. Vor der Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen im bauaufsichtlichen Verfahren (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB) hat die Gemeinde zu prüfen, ob die bei ihr eingereichten Bauvorlagen eine sachgerechte Prüfung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht zulassen. Das Recht auf Beteiligung im Baugenehmigungsverfahren, das der Gesetzgeber der Gemeinde zum Schutz ihrer Planungshoheit einräumt, ist mit der Obliegenheit verbunden, im Rahmen der Möglichkeiten, die ihr das Landesrecht eröffnet, gegenüber dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde auf die Vervollständigung des Bauantrages hinzuwirken. Kommt die Gemeinde dieser Mitwirkungslast nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Einreichung des Antrags bei ihr nach, gilt ihr Einvernehmen nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 BauGB als erteilt. Die Gemeinde ist aufgrund ihres Beteiligungsrechts im bauaufsichtlichen Verfahren indes berechtigt, ihre Entscheidung über das Einvernehmen bis zum Eingang der in bauplanungsrechtlicher Hinsicht erforderlichen Unterlagen zurückzustellen. Die zweimonatige Einvernehmensfrist beginnt dann mit dem Eingang dieser Unterlagen bei der Gemeinde. Diese zur Einvernehmenserteilung im Baugenehmigungsverfahren aufgestellten Rechtssätze sind auf das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren übertragbar.
63Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 2020 - 4 C 1.19 -, juris Rn. 16 f., m. w. N.
64Das Spektrum der Unterlagen, die eine Gemeinde als Entscheidungsgrundlage nachfordern darf, ist begrenzt. § 36 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 BauGB ist dahin auszulegen, dass die Gemeinde ihre Entscheidung über das Einvernehmen auf der Grundlage der Antragsunterlagen (Bauantrag und Bauvorlagen) zu treffen hat. Der Gesetzgeber macht dies deutlich, indem er den Beginn der Einvernehmensfrist an die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde knüpft. Die Gemeinde ist deshalb darauf beschränkt, gegenüber dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde auf das Nachreichen solcher Unterlagen hinzuwirken, die mit dem Bauantrag hätten eingereicht werden müssen, um ihr die bauplanungsrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens zu ermöglichen. Zum Kreis dieser Unterlagen gehören die von der Baugenehmigungsbehörde (nach Landesrecht) einzuholenden Stellungnahmen der Fachbehörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, nicht. Der Gemeinde ist es hingegen nicht verwehrt, gegenüber der Baugenehmigungsbehörde geltend zu machen, dass der Bauantrag ohne die Vorlage einer bestimmten fachtechnischen Untersuchung in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht beurteilungsreif und insoweit ergänzungsbedürftig sei.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 2004 - 4 C 7.03 -, juris Rn. 26.
66bb) Hiervon ausgehend ist die Zwei-Monatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB durch das Schreiben des Beklagten vom 9. August 2018 in Verbindung mit den mit Schreiben vom 30. August 2018 und vom 17. September 2018 nachgereichten Unterlagen in Gang gesetzt worden. Mit dem erstgenannten Schreiben hat der Beklagte die Klägerin unter Beifügung der bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Unterlagen ausdrücklich um Prüfung gebeten, „ob das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB erteilt werden kann“. Für die Klägerin war auch eindeutig ersichtlich, dass sich dieses Ersuchen des Beklagten auf das hier streitgegenständliche und nicht auf das im Jahr 2013 abschlägig beschiedene Vorhaben (Errichtung und Betrieb von zwei Windenergieanlagen des Typs Repower 3.2M114) bezog. Dies folgt ungeachtet der vom Beklagten gewählten Formulierung „Wiederaufnahme des immissionsschutzrechtlichen Zulassungsverfahrens“ sowohl aus der Betreffzeile des Schreibens vom 9. August 2018, in der ausdrücklich das neue Vorhaben „Errichtung und Betrieb von einer Windenergieanlage Typ Enercon E-138 EP3, NH 130,53 m, RD 138,59 m, mit einer Leistung 3.500 kW“ in Bezug genommen wird, als auch aus den beigefügten Antragsunterlagen. Nichts anderes hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 23. August 2018 zum Ausdruck gebracht.
67Zudem hat der Beklagte in dem Schreiben vom 9. August 2018 um schriftliche Mitteilung gebeten, ob die zur Verfügung gestellten Antragsunterlagen aus Sicht der Klägerin als vollständig anzusehen seien. Ferner hat er bereits selbst darauf hingewiesen, dass keine Sichtbeziehungsstudie zur Beurteilung der optisch bedrängenden Wirkung der Windenergieanlage beigefügt sei. Diese werde zurzeit noch erstellt und übersandt, sobald sie vorliege. Auf das Fehlen einer Sichtbeziehungsstudie hat auch die Klägerin mit E-Mail vom 16. August 2018 sowie Schreiben vom 23. August 2018 und in letzterem darüber hinaus darauf hingewiesen, dass ohne ein avifaunistisches Gutachten eine Prüfung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB im Rahmen der Einvernehmensentscheidung derzeit nicht möglich sei. Angesichts der Unvollständigkeit gehe die Klägerin davon aus, dass die Zwei-Monatsfrist des § 36 Abs. 2 BauGB nicht zu laufen begonnen habe. Es lägen bisher auch keine geprüften Standsicherheitsnachweise vor.
68Die Klägerin und der Beklagte gehen daher im Ausgangspunkt zutreffend davon aus, dass das Schreiben vom 9. August 2018 für sich genommen die Einvernehmensfrist nicht ausgelöst hat. In einem solchen Fall beginnt die Einvernehmensfrist - wie ausgeführt - ab dem Eingang der angeforderten Unterlagen bei der Gemeinde. Hier hat der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 30. August 2018 die „Artenschutzprüfung“ (von August 2018 = avifaunistisches Gutachten) - sowie eine nicht näher bezeichnete Sichtbeziehungsstudie (offenbar vom 22. August 2018; eine solche findet sich jedenfalls im beigezogenen Verwaltungsvorgang der Klägerin) - und mit Schreiben vom 17. September 2018 die „Sichtbeziehungsstudie optisch bedrängende Wirkung vom 11.09.2018“ übersandt. Den Eingang beider Schreiben nebst den vorgenannten Antragsunterlagen hat die Klägerin nicht in Abrede gestellt. Ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Klägerin sind das Schreiben vom 30. August 2018 am 31. August 2018 und das Schreiben vom 17. September 2018 am 19. September 2018 bei der Klägerin eingegangen. Damit lagen der Klägerin die von ihr als fehlend angesehenen Antragsunterlagen - Sichtbeziehungsstudie, avifaunistisches Gutachten - spätestens am 19. September 2018 vor. Soweit sie in der E-Mail vom 16. August 2018 bzw. dem Schreiben vom 23. August 2018 auf die fehlenden Standsicherheitsnachweise hingewiesen hatte, kann dahinstehen, ob sie überhaupt selbst davon ausgegangen ist, diese Nachweise für ihre bauplanungsrechtliche Prüfung des Vorhabens im Rahmen des § 36 BauGB zu benötigen. Denn es handelt sich hierbei nicht um einen im Rahmen des § 35 BauGB zu berücksichtigenden bauleitplanerischen Belang. Vielmehr ist damit ein Gesichtspunkt angesprochen, der bauordnungsrechtlich von Bedeutung ist (§ 12 BauO NRW).
69Vgl. dazu, dass das Einvernehmen nicht wegen bauordnungsrechtlicher Vorschriften verweigert werden kann, OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 18. Januar 2018 ‑ 8 A 11373/17 -, juris Rn. 29.
70Entgegen der Auffassung der Klägerin bedurfte es im Zusammenhang mit der Übersendung der nachgereichten Antragsunterlagen keines erneuten Hinweises auf § 36 BauGB und auch keiner erneuten Abfrage nach dieser Vorschrift durch den Beklagten. Für die Klägerin war nämlich ohne weiteres erkennbar, dass die nachgereichten Unterlagen sich auf das Ersuchen des Beklagten vom 9. August 2018 bezogen haben, ob sie ihr gemeindliches Einvernehmen nach § 36 BauGB zu dem hier streitgegenständlichen Vorhaben erteile. Dies folgt aus den jeweiligen Betreffzeilen der Schreiben vom 30. August 2018 und vom 17. September 2018, die identisch sind mit der Betreffzeile im Schreiben vom 9. August 2018 sowie der einleitenden Formulierung im Anschluss an die Anrede „anbei die weiteren Ergänzungen zum o. g. Genehmigungsantrag“.
71Bei dem mit Schreiben vom 9. August 2018 formulierten Ersuchen um Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens handelte es sich auch nicht um eine „Abfrage auf Vorrat“, deren Zulässigkeit die Klägerin in Frage stellt. Zwar ging (auch) der Beklagte zu diesem Zeitpunkt von der Unvollständigkeit der Antragsunterlagen aus. Diesen Umstand hat er indes in dem Schreiben vom 9. August 2018 ausdrücklich - und zudem durch Fettdruck optisch hervorgehoben - offenbart und eine Nachreichung der Sichtbeziehungsstudie in Aussicht gestellt, sobald ihm diese selbst vorliege. Ferner hat er die Klägerin um Mitteilung gebeten, ob aus ihrer Sicht die Antragsunterlagen im Übrigen vollständig seien. In einer solchen von Transparenz getragenen Vorgehensweise vermag die Kammer eine unbillige Risikoverlagerung auf die Klägerin nicht zu erblicken. Es ist auch unter Berücksichtigung ihres Vortrags nicht erkennbar, welche zusätzlichen, über die bereits benannte Mitwirkungsobliegenheit hinausgehenden und ihr billigerweise nicht mehr zumutbaren Prüfungserfordernisse von der Klägerin abverlangt worden wären. Ebenso wenig besteht in Konstellationen - wie der vorliegenden - die von der Klägerin angesprochene Unklarheit bezüglich des Fristbeginns. Beginnt die Einvernehmensfrist nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in den Fällen, in denen die Gemeinde entsprechend ihrer Mitwirkungsobliegenheit vor Ablauf von zwei Monaten zu Recht auf die Unvollständigkeit der Antragsunterlagen hinweist, erst mit Eingang der nachgereichten Unterlagen bei der Gemeinde zu laufen, gilt nichts anderes in der hier gegebenen Konstellation, in der die Genehmigungsbehörde bereits selbst im Rahmen ihres Ersuchens nach § 36 Abs. 2 BauGB darauf hinweist, die Antragsunterlagen seien ihrer Auffassung nach unvollständig.
72Auch das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass es nicht in allen Fällen, in denen die Zwei-Monatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB unterbrochen wird (im dortigen Fall durch eine Zurückstellung nach § 15 Abs. 3 BauGB), eines erneuten Ersuchens der Genehmigungsbehörde bedarf.
73Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2015 - 4 C 1.14 -, juris Rn. 16.
74b) Da die Klägerin in der Folge, d. h. innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Schreibens vom 17. September 2018 am 19. September 2018, weder die Unvollständigkeit der Antragsunterlagen (erneut) moniert noch ihr Einvernehmen verweigert hat, ist die Einvernehmensfiktion des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB mit Ablauf des 19. November 2018 eingetreten.
75Vgl. dazu, dass sich die Dauer der Frist nach den §§ 187 ff. BGB beurteilt, Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielen-berg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 36 BauGB Rn. 38a (Stand der Kommentierung: Mai 2021).
76aa) Diese Frist ist nicht durch das Schreiben des Beklagten vom 7. November 2018 und die dortige Setzung einer Frist zur Stellungnahme bis zum 30. November 2018 verlängert worden. Abgesehen davon, dass sich diese Fristsetzung offensichtlich auf die Stellungnahme nach § 11 der 9. BImSchV und gerade nicht auf die Einvernehmensfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB bezog, steht letztere nicht zur Disposition der Beteiligten und ist eine Verlängerung rechtlich nicht zulässig.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 2020 - 4 C 1.19 -, juris Rn. 21, m. w. N.
78bb) Die Zwei-Monatsfrist des § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist ferner nicht durch die weiteren Schreiben der Klägerin vom 29. November 2018, vom 6. Dezember 2018, vom 1. Februar 2019 und vom 6. Februar 2019 über den 19. November 2018 hinaus verlängert bzw. unterbrochen worden. Denn sämtliche der vorgenannten Schreiben sind bei dem Beklagten erst nach dem 19. November 2018 und damit nach Ablauf der Zwei-Monatsfrist eingegangen. Ebenso wenig kann der Eintritt der Fiktion durch eine Anhörung und Ersetzung des Einvernehmens überwunden werden.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 2020 - 4 C 1.19 -, juris Rn. 21.
80cc) Die Klägerin hat ihr gemeindliches Einvernehmen auch mit dem Schreiben vom 23. August 2018 nicht in rechtlich erheblicher Weise verweigert. Maßgeblich hierfür sind folgende Erwägungen:
81Zunächst ist festzustellen, dass sowohl der Beklagte als auch die Klägerin übereinstimmend davon ausgingen, dass die Klägerin ihr Einvernehmen (erst) mit Schreiben vom 6. Dezember 2018 versagt hat (vgl. einerseits Seite 30 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019: „Die Stadt H1. hat mit Stellungnahme vom 06.12.2018 ihr Einvernehmen gemäß § 36 BauGB im Rahmen des Antrags der N. zur Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage auf der N1. in H1. versagt.“; andererseits Seite 6 der Klagebegründungsschrift vom 17. Juli 2019: „Mit Schreiben vom 06.12.2018 verweigerte die Klägerin die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens.“). Demgegenüber haben beide den Ausführungen auf Seite 2 des Schreibens der Klägerin vom 23. August 2018 eine rechtlich erhebliche Qualität in Bezug auf die Verweigerung des Einvernehmens nicht beigemessen. Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird durch den Umstand bestätigt, dass auf Seite 2 des vorgenannten Schreibens zunächst ausdrücklich herausgestellt wird, dass angesichts der Unvollständigkeit der Unterlagen nach Auffassung der Klägerin die Zwei-Monatsfrist des § 36 Abs. 2 BauGB nicht zu laufen begonnen habe. Im Anschluss hieran leitet sie ihre im Zusammenhang mit dem gemeindlichen Einvernehmen stehenden Ausführungen mit der Formulierung ein „Bereits zu diesem Zeitpunkt weise ich ungeachtet der Unvollständigkeit der Bauvorlagen darauf hin, dass das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB durch die Stadt H1. nicht erteilt werden kann“. Geht man vom insoweit maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont aus, durfte und musste der Beklagte auf der Grundlage dieser Ausführungen den Schluss ziehen, dass die Klägerin eine verbindliche Erklärung über das Einvernehmen (noch) nicht abgeben wollte, sondern es sich (zunächst) lediglich um einen rechtlich unverbindlichen Hinweis auf die im Jahr 2016 erlassene und im Jahr 2018 um ein weiteres Jahr verlängerte Veränderungssperre handeln sollte, die der Erteilung eines Einvernehmens durch die Klägerin (ihrer Auffassung nach) entgegensteht. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin ihr gemeindliches Einvernehmen in dem Schreiben vom 23. August 2018 hilfsweise für den Fall, dass ihre Auffassung hinsichtlich des Fristbeginns unzutreffend sein sollte, versagt haben könnte, sind dem vorgenannten Schreiben nicht zu entnehmen. Solche hat auch die Klägerin nicht konkret benannt.
822. a) Ist die Einvernehmensfiktion nach den vorstehenden Ausführungen eingetreten und die Klägerin damit so zu behandeln, als habe sie ihr gemeindliches Einvernehmen erteilt, bedurfte es keiner Ersetzungsentscheidung durch den Beklagten gemäß § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB. Daher ist es rechtlich nicht erheblich, ob der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen § 73 Abs. 4 BauO NRW vorliegt.
83b) Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin ihr gemeindliches Einvernehmen bereits mit dem Schreiben vom 23. August 2018 rechtlich wirksam versagt hatte, kann eine Verletzung des Mitwirkungsrechts der Klägerin nach § 36 BauGB nicht festgestellt werden. Denn die Klägerin hätte sich dann in der Lage gesehen, ihr Einvernehmen aus Sachgründen zu versagen. Damit wäre dem Zweck des Einvernehmenserfordernisses Genüge getan.
84Die in § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorgesehene Mitwirkung der Gemeinde ist auf die Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit ausgerichtet. Die Gemeinde soll dort, wo sie noch nicht geplant hat, oder dann, wenn ein Bauvorhaben von ihrer Planung abweicht, im Genehmigungsverfahren an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Bauvorhabens mitentscheidend beteiligt werden. Darüber hinaus soll sie in den Fällen, in denen ein nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB zulässiges Vorhaben ihren planerischen Vorstellungen nicht entspricht, von ihrer planungsrechtlichen Möglichkeit Gebrauch machen können, durch Aufstellung eines Bauleitplans die planungsrechtlichen Grundlagen für die Zulässigkeit eines Vorhabens zu ändern und zur Sicherung der Planung das Mittel der Veränderungssperre zu ergreifen oder das Baugesuch zurückstellen zu lassen.
85Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2015 - 4 C 1.14 -, juris Rn. 11, m. w. N.
86Die Klägerin hat in dem Schreiben vom 23. August 2018 auf die im Jahr 2016 erlassene und im Jahr 2018 verlängerte Veränderungssperre zur Sicherung ihrer Planung für den Bereich des zum damaligen Zeitpunkt in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan Nr. 000, mithin auf ihre schon eingeleitete Bauleitplanung verwiesen, durch die die planungsrechtlichen Grundlagen für die Zulässigkeit des hier streitgegenständlichen Vorhabens geändert werden sollten. Damit hat sie zugleich zum Ausdruck gebracht, dass sie bereits auf der Basis der ihr bis dahin vorliegenden Unterlagen die (abschließende) Entscheidung treffen konnte, dass das Vorhaben ihre Planung behindert und die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens nicht in Betracht kommt. Schon deshalb geht ihr Einwand, ihr hätten nicht alle für die Entscheidung relevanten Unterlagen vorgelegen, ins Leere.
87Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 2020 - 4 C 1.19 -, juris Rn. 17.
88Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Klägerin in dem Schreiben vom 23. August 2018 zugleich die Unvollständigkeit der Antragsunterlagen gerügt hat. Zum einen hat der Beklagte - wie bereits ausgeführt - die in dem vorgenannten Schreiben konkret benannten Unterlagen (Sichtbeziehungsstudie, avifaunistisches Gutachten = Artenschutzprüfung von August 2018) der Klägerin mit Schreiben vom 30. August 2018 und vom 17. September 2018 zur Verfügung gestellt. Zum anderen ist festzustellen, dass es sich bei den von der Klägerin auf Seite 11 f. des Klagebegründungsschriftsatzes vom 17. Juli 2019 aufgeführten Unterlagen - Avifaunistisches Gutachten (= Artenschutzprüfung) von Oktober 2018; Nachtrag zum Landschaftspflegerischen Begleitplan von November 2018; Nachtrag der S. zum Gutachten zur optisch bedrängenden Wirkung vom 14. Dezember 2018; Überarbeitung der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 - (lediglich) um Ergänzungen bereits zuvor von der vormals beigeladenen N. vorgelegter und der Klägerin vom Beklagten unstreitig zur Verfügung gestellter Gutachten handelt, namentlich: Artenschutzprüfung von August 2018; Landschaftspflegerischer Begleitplan von Juni 2018; Sichtbeziehungsuntersuchung zur Beurteilung der optisch bedrängenden Wirkung vom 11. September 2018; Schallimmissionsprognose vom 11. Juli 2018. Dass diese Gutachten eine fundierte bauplanungsrechtliche Beurteilung des Vorhabens nicht ermöglichten, hat die Klägerin im Rahmen ihrer Beteiligung in Bezug auf die Artenschutzprüfung von August 2018, den Landschaftspflegerischen Begleitplan von Juni 2018 sowie die Schallimmissionsprognose vom 11. Juli 2018 nicht geltend gemacht. Insoweit reicht alleine die allgemein gehaltene Bitte in dem Schreiben vom 1. Februar 2019, ihr „eventuell weiter nachträglich eingegangene Unterlagen zugänglich [zu] machen“, mangels einer hinreichenden Konkretisierung nicht aus.
89Soweit die Klägerin in dem Schreiben vom 29. November 2018 (bzw. vom 6. Dezember 2018) darauf hingewiesen hatte, dass die Sichtbeziehungsuntersuchung vom 11. September 2018 „teils fehlerhaft bzw. unvollständig“ sei, wurden diese Bedenken im Rahmen eines am 7. Dezember 2018 durchgeführten Ortstermins überprüft, an dem neben dem Gutachter von der S. und Vertretern des Beklagten auch Vertreter der Klägerin teilgenommen haben. Im Nachgang an diesen Ortstermin hat die S. ihre schriftliche Stellungnahme vom 14. Dezember 2018 verfasst. Auf die im Zusammenhang mit der Sichtbeziehungsuntersuchung erfolgten Nachprüfungen durch den Gutachter und deren Ergebnis hat der Beklagte die Klägerin zudem in dem Anhörungsschreiben vom 24. Januar 2019 ausdrücklich hingewiesen. Eine Anforderung speziell dieser Unterlagen durch die Klägerin vor Erlass des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 ist weder vorgetragen noch den dem Gericht zur Verfügung gestellten Verwaltungsvorgängen des Beklagten bzw. der Klägerin zu entnehmen. Vor diesem Hintergrund kann das Verhalten der Klägerin nur dahingehend gewertet werden, dass sie die Stellungnahme der S. vom 14. Dezember 2018 für ihre bauplanungsrechtliche Beurteilung nicht für erforderlich gehalten hat, jedenfalls insoweit aber ihrer Rügeobliegenheit nicht nachgekommen ist.
90Ausgehend von der - hier unterstellten - Annahme, dass die Klägerin ihr gemeindliches Einvernehmen bereits mit Schreiben vom 23. August 2018 rechtlich wirksam versagt hat, war die ihr gewährte Frist gemäß § 73 Abs. 4 BauO NRW zu der von dem Beklagten beabsichtigten Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens auch unter Berücksichtigung der hiergegen gerichteten Einwände der Klägerin mit Blick auf die vorliegenden Einzelfallumstände (noch) angemessen. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem Beschluss der Kammer vom 22. Februar 2021 ‑ 8 L 1615/20 -, Seite 13 f. des Beschlussabdrucks = juris Rn. 52, und in dem nachfolgenden Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Juli 2021 im Beschwerdeverfahren ‑ 7 B 286/21 -, Seite 4 f. des Beschlussabdrucks = juris Rn. 11 ff., wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.
913. Einer erneuten Beteiligung der Klägerin gemäß § 36 BauGB vor Erlass der Bescheide vom 28. Januar 2021 bzw. vom 9. November 2021 bedurfte es nicht.
92Durch den erstgenannten Bescheid hat der Beklagte die dem Schutz des Uhus dienende Nebenbestimmung IV. 6.1.2 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 aufgehoben, nachdem die Beigeladene entsprechend der Nebenbestimmung IV. 7.2 gegenüber dem Beklagten nachgewiesen hatte, dass das bisher nur im Jahr 2017 bestätigte Brutrevier des Uhus (auch) im Jahr 2019 nicht mehr besetzt war.
93Durch den Bescheid vom 9. November 2021 hat der Beklagte festgestellt, dass die beklagte Windenergieanlage entsprechend der Nebenbestimmung IV. 3.1.6 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 zur Nachtzeit (22:00 bis 06:00 Uhr) im Betriebsmodus 100dB mit einer Leistung von 2350 kW betrieben werden darf. Der Sache nach handelt es sich dabei (lediglich) um die rechtsverbindliche Feststellung, dass die in der vorgenannten Nebenbestimmung formulierten Voraussetzungen für die Aufnahme des schallreduzierten Nachtbetriebs eingetreten sind. In diesem Zusammenhang hat der Beklagte in dem Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 (dort Seite 36) darauf verwiesen, dass die Schallimmissionsprognose (vom 31. Januar 2019) zwar die Einhaltung der nächtlichen Immissionsrichtwerte in der schallreduzierten Betriebsweise an allen Immissionspunkten nachweise. Da das Schallverhalten der Windenergieanlage für den schallreduzierten Betrieb in der Nachtzeit aber nicht durch einen FGW-konformen Vermessungsbericht belegt werde, dürfe der Nachtbetrieb derzeit nicht erfolgen. Eine verlässliche Prognose sei auf Basis der berücksichtigten Garantiewerte des Herstellers nicht möglich. Mit dieser Vorgehensweise hat sich der Beklagte eng an die Empfehlung der durch Erlass des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2017 eingeführten LAI-Hinweise zum Schallimmissionsschutz bei Windkraftanlagen in der überarbeiteten Fassung vom 23. Juni 2016 angelehnt.
94Mit den in den Bescheiden vom 28. Januar 2021 bzw. vom 9. November 2021 enthaltenen Regelungen geht entgegen der Auffassung der Klägerin keine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB einher. Dementsprechend war eine erneute Abfrage des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB nicht erforderlich.
95a) Zu den Vorhaben im Sinne des § 36 Abs. 1 Satz 1 bzw. 2 BauGB gehören gemäß § 29 Abs. 1 BauGB die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von baulichen Anlagen sowie Aufschüttungen und Abgrabungen größeren Umfangs, Ablagerungen einschließlich Lagerstätten. Eine - im vorliegenden Fall allein in Betracht kommende - Nutzungsänderung liegt vor, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens die einer genehmigten Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird und durch die Aufnahme dieser veränderten Nutzung bodenrechtliche Belange neu berührt werden können, so dass sich die Genehmigungsfrage unter bodenrechtlichem Aspekt neu stellt.
96Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2010 - 4 C 10.09 -, juris Rn. 12, m. w. N.
97Hingegen stellt eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die dazu führt, dass eine Anlage nunmehr bebauungsrechtlich anders zu beurteilen ist als bisher, als solche keine Nutzungsänderung dar. Das gilt auch dann, wenn der Betrieb der Anlage intensiviert wird, ohne dass der Betreiber etwas an den für die Bestimmung der Nutzungsart maßgebenden Merkmalen ändert.
98Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 1998 - 4 C 9.97 -, juris Rn. 14; OVG Bremen, Beschluss vom 30. März 2021 ‑ 1 LA 180/18 -, juris Rn. 36.
99b) Nach diesen Maßgaben handelt es sich bei den Bescheiden vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 bei wertender Betrachtung nicht um eine Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB. Zunächst besteht kein Zweifel daran, dass der Genehmigungsantrag vom 19. Juli 2018 der vormals beigeladenen N. auch den Nachtbetrieb umfasste, wie sich insbesondere aus der im Genehmigungsverfahren vorgelegten Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 und mangels einer entsprechenden Einschränkung des Anlagenbetriebs ergibt. Demgemäß wurde der - schallreduzierte - Nachtbetrieb nicht erst durch die vorgenannten Bescheide, sondern dem Grunde nach bereits durch den Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 zugelassen, vor dessen Erlass eine ordnungsgemäße Beteiligung der Klägerin ‑ wie ausgeführt - nach § 36 BauGB erfolgt war. Diese Feststellung folgt aus zahlreichen Nebenbestimmungen des Genehmigungsbescheides, die unter artenschutzrechtlichen Gesichtspunkten (vgl. Ziffer IV. 6.1.2 und 6.1.7) bzw. unter Lärmschutzaspekten (vgl. Ziffer IV. 3.1.1, 3.1.4 bis 3.1.7) Beschränkungen (teilweise in zeitlicher Hinsicht) des nächtlichen Betriebs vorsehen. Die Aufhebung dieser Beschränkungen durch die Bescheide vom 28. Januar 2021 und vom 9. November 2021 erweist sich daher allenfalls als eine Nutzungsintensivierung und nicht als eine Nutzungsänderung.
100Im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 28. Januar 2021 weist die Klägerin zwar zutreffend darauf hin, dass es sich bei der aufgehobenen Nebenbestimmung IV. 6.1.2 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 nicht um eine aufschiebende Bedingung handelt. Abgesehen davon, dass der Nachtbetrieb durch die vorgenannte Nebenbestimmung (nur) vom 15. Januar bis zum 15. August eines jeden Jahres und daher bereits nicht ganzjährig eingeschränkt war, begründet der Beklagte die Aufhebung der Nebenbestimmung IV. 6.1.2 allein mit einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, nämlich dass im Rahmen der erfolgten Nachkartierungen durch das Kölner Büro für Faunistik (auch) im Jahr 2019 keine Hinweise für die Anwesenheit eines Uhus im Wirkbereich der Windenergieanlage gefunden wurden (vgl. den entsprechenden Bericht vom 17. Mai 2019) und insoweit artenschutzrechtliche Konflikte nicht bestehen. Die mit der Aufhebung der Nebenbestimmung IV. 6.1.2 einhergehende Nutzungsintensivierung beruht somit gerade nicht auf einer Änderung des Betriebs der Windenergieanlage durch den Betreiber, sondern auf äußeren, seinem Einflussbereich entzogenen Umständen.
101Im Ergebnis nichts anderes gilt in Bezug auf den Bescheid vom 9. November 2021. In der Nebenbestimmung IV. 3.1.6 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 hat der Beklagte die Inbetriebnahme der Windenergieanlage während der Nachtzeit von der Vorlage eines FGW-konformen Vermessungsberichts abhängig gemacht, der den Nachweis erbringt, dass die im Wind-BIN des höchsten gemessenen Summenschallleistungspegels vermessenen Oktavschallleistungspegel zuzüglich des 90%-Konfidenz-intervalls der Gesamtunsicherheit aus Vermessung, Serienstreuung und Prognosemodell (L0, Okt, Vermessung) die in Nebenbestimmung IV. 3.1.5 des Genehmigungsbescheides genannten Werte der oberen Vertrauensbereichsgrenze (L0, Okt) nicht überschreiten. Werden nicht alle Werte L0, Okt eingehalten, kann der Nachweis für die Aufnahme des Nachtbetriebs über die Durchführung einer erneuten Ausbreitungsrechnung für die Windenergieanlage erbracht werden. Diese Kontrollrechnung ist mit dem identischen Ausbreitungsmodell einschließlich der Immissionsaufpunktmodellierung durchzuführen, wie es in der Schallimmissionsprognose vom 11. Juli 2018 abgebildet ist. Als Eingangsdaten sind die oberen Vertrauensbereichsgrenzen der vermessenen Oktavschalleistungspegel L0, Okt, Vermessung des Wind-BINs mit dem höchsten gemessenen Summenschallleistungspegel anzusetzen. Der Nachweis für die Aufnahme des Nachtbetriebs gilt dann als erbracht, wenn die so ermittelten Teilimmissionswerte der Windenergieanlage die für sie in der Schallimmissionsprognose vom 11. Juli 2018 ermittelten und in Anhang I zum Genehmigungsbescheid aufgelisteten Teilimmissionspegel nicht überschreiten. Der Nachtbetrieb ist nach positivem Nachweis und Freigabe durch die Untere Immissionsschutzbehörde des Beklagten in dem Betriebsmodus mit der zugehörigen maximalen Leistung und Drehzahl zulässig, der dem vorgelegten schalltechnischen Nachweis zu Grunde liegt.
102An der vorstehend wiedergegebenen Nebenbestimmung IV. 3.1.6 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 wird deutlich, dass der Beklagte die Aufnahme des Nachtbetriebs der Windenergieanlage an die Vorlage eines (in der Nebenbestimmung näher beschriebenen) Nachweises knüpft, dass die maßgeblichen Immissionsrichtwerte im Einwirkungsbereich der Windenergieanlage während der Nachtzeit eingehalten werden. Diese vom Beklagten gewählte Vorgehensweise erfolgte - wie bereits ausgeführt - vor dem Hintergrund, dass für den hier genehmigten Anlagentyp ENERCON E-138 EP3 eine FGW-konforme Vermessung des Schallverhaltens in der erforderlichen schallreduzierten Betriebsweise (Betriebsmodus 100 dB mit einer Leistung von 2350 kW) noch nicht vorlag. Hat der Beklagte die Zulässigkeit des Nachtbetriebs damit vom Eintritt eines zukünftigen ungewissen Ereignisses abhängig gemacht, handelt es sich bei der vorgenannten Nebenbestimmung rechtstechnisch um eine aufschiebende Bedingung im Sinne von § 12 Abs. 1 BImSchG, § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW. Die Beifügung einer Bedingung ist ohne Einfluss auf die Wirksamkeit der Genehmigung. Diese ist mit ihrer Bekanntgabe (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG NRW) für Behörde und Adressat im Sinne einer „äußeren Wirksamkeit“ hinsichtlich der später eintretenden Rechtswirkungen verbindlich (§ 43 Abs. 2 VwVfG NRW). Die „innere Wirksamkeit“, die Regelungswirkung der Genehmigung, tritt erst ein, wenn auch die Bedingung eintritt (vgl. § 158 Abs. 1 BGB).
103Vgl. Mann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 12 BImSchG Rn. 58 (Stand der Kommentierung: Januar 2014); Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 36 Rn. 75.
104Damit erschöpft sich der Regelungsgehalt des Bescheides vom 9. November 2021 in der rechtsverbindlichen Feststellung, dass nach Auffassung des Beklagten die in der Nebenbestimmung IV. 3.1.6 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 geregelte aufschiebende Bedingung eingetreten ist.
105Der Klägerin mag zuzugestehen sein, dass in den Fällen, in denen der Vorhabenträger zunächst die Genehmigung allein für den Tagbetrieb beantragt, auf dieser Basis das gemeindliche Einvernehmen abgefragt und nachfolgend die Genehmigung nur für den Tagbetrieb erteilt wird, hinsichtlich der späteren Beantragung des Nachtbetriebs von einer bodenrechtlich relevanten Nutzungsänderung auszugehen sein könnte.
106Vgl. zu einer solchen Konstellation im Zusammenhang mit der Erteilung eines Vorbescheids: VG Minden, Urteil vom 8. Juni 2011 - 11 K 744/11 -, juris Rn. 27 ff.
107Eine derartige Konstellation liegt hier nach den vorstehenden Ausführungen indes nicht vor. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Klägerin musste der Beklagte sie vor Erlass des Bescheides vom 9. November 2021 auch nicht um das gemeindliche Einvernehmen hinsichtlich der Frage ersuchen, ob die in der Nebenbestimmung IV. 3.1.6 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 geregelte aufschiebende Bedingung eingetreten ist. Denn es handelt sich bei dieser Entscheidung - wie bereits ausgeführt - nicht um eine Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens im Sinne von §§ 36 Abs. 1, 29 Abs. 1 BauGB. Damit ist der Anwendungsbereich des § 36 BauGB insoweit bereits nicht eröffnet und ist das Einvernehmen der Gemeinde nicht erforderlich.
108II. Mit Eintritt der Einvernehmensfiktion ist es der Klägerin verwehrt, die - ihrer Ansicht nach - in der Erteilung der angefochtenen Genehmigung für das streitgegenständliche Vorhaben liegende Verletzung der vom Einvernehmenserfordernis umfassten Rechte geltend zu machen. Das gilt jedenfalls für solche Umstände, die bereits zu diesem Zeitpunkt die Verweigerung des Einvernehmens nach Auffassung der Gemeinde gerechtfertigt hätten. Insofern verletzt die Genehmigung die Gemeinde nicht in eigenen Rechten.
109Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 2020 - 4 C 1.19 -, juris Rn. 22 ff.; OVG NRW, Urteil vom 28. November 2007 ‑ 8 A 2325/06 -, juris Rn. 71 ff., m. w. N.
110Dies gilt indes nicht für Umstände, die nach Eintritt der Fiktion und vor Erteilung der Genehmigung entstanden sind und die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens betreffen; hierauf kann sich die Gemeinde berufen.
111Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. August 2020 - 4 C 1.19 -, juris Rn. 25 ff.
112Hiervon ausgehend ist festzustellen, dass sämtliche von der Klägerin gegen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der beklagten Windenergieanlage vorgebrachten Einwände bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der Einvernehmensfiktion existierten, weshalb sie sich hierauf im gerichtlichen Verfahren nicht berufen kann.
113Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen zum Rügeverlust - und damit die Abweisung der Klage selbstständig tragend - greifen die vorgebrachten Einwände der Klägerin aber auch in der Sache nicht durch. Die Klägerin hätte ihr Einvernehmen weder mit Verweis auf die im Jahr 2016 erlassene und im Jahr 2018 verlängerte Veränderungssperre für den Bebauungsplan Nr. 000, Gebiet: „N1. “ (dazu 1.) noch wegen einer nicht gesicherten Erschließung des Vorhabens (dazu 2.) noch mit Verweis auf der Windenergieanlage entgegenstehende öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB (dazu 3.) verweigern dürfen, weshalb die Erteilung der angefochtenen Genehmigung vom 11. Februar 2019 unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, wobei es insoweit einer Betätigung des Ermessens durch den Beklagten nicht bedurfte (dazu 4.), keinen rechtlichen Bedenken begegnet. Die Bescheide vom 28. Januar 2021 bzw. vom 9. November 2021 sind nicht wegen des geltend gemachten Verstoßes gegen den Bebauungsplan Nr. 000 rechtswidrig (dazu 5.).
1141. Die Klägerin macht ohne Erfolg geltend, dem genehmigten Vorhaben habe die im Jahr 2016 erlassene und im Jahr 2018 um ein Jahr verlängerte Veränderungssperre für den Bereich des Bebauungsplans Nr. 000 entgegengestanden.
115Die vom Rat der Klägerin am 4. Mai 2016 beschlossene und am 13. Juni 2016 bekannt gegebene Veränderungssperre litt an einem zu ihrer Unwirksamkeit führenden materiellen Mangel. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre nach § 14 BauGB lagen zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses nicht vor.
116a) Nach § 14 BauGB kann die Gemeinde, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans (wirksam) gefasst ist, zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt beschließen, dass Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen.
117Eine Veränderungssperre kann nur verhängt werden, wenn die Planung einen Stand erreicht hat, der ein Mindestmaß dessen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Hierzu gehören regelmäßig insbesondere konkretisierte Vorstellungen zur angestrebten Art der zulässigen baulichen Nutzungen. Nur dann kann die Veränderungssperre ihren Sinn erfüllen, vorhandene planerische Ziele zu sichern und deren weitere Entwicklung zu ermöglichen. Unzulässig ist eine Veränderungssperre hingegen, wenn zur Zeit ihres Erlasses der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise abzusehen ist. Demgemäß muss im Zeitpunkt des Erlasses der Veränderungssperre über den bloßen Aufstellungsbeschluss hinaus auch eine hinreichende Konkretisierung der positiven Planungsabsichten vorliegen, die insbesondere eine Entscheidung über Ausnahmen nach § 14 Abs. 2 BauGB rechtssicher und vorhersehbar ermöglicht. Der der Veränderungssperre zugrunde liegende Beschluss, einen Bebauungsplan aufzustellen, muss über den Inhalt der angestrebten Planung aber keinen abschließenden Aufschluss geben. Eine strikte Akzessorietät zwischen konkreten Planungsabsichten der Gemeinde und der Rechtmäßigkeit der Veränderungssperre besteht nicht. Es ist gerade deren Sinn, vorhandene planerische Ziele zu sichern und deren weitere Entwicklung zu ermöglichen. Wesentlich ist aber, dass die Gemeinde bereits positive Vorstellungen über den Inhalt des Bebauungsplans entwickelt hat. Eine Negativplanung, die sich darin erschöpft, einzelne Vorhaben auszuschließen, reicht grundsätzlich nicht aus.
118Dabei gilt der Grundsatz, dass eine die Veränderungssperre hinreichend tragende Planung regelmäßig erst dann den erforderlichen Konkretisierungsgehalt hat, wenn der Plangeber sie auf einen bestimmten Gebietstyp ausgerichtet hat. Zielt der Bebauungsplan nicht auf die Festsetzung eines bestimmten Gebietstyps nach der Baunutzungsverordnung, sondern soll er sich auf sonstige Festsetzungen nach § 9 Abs. 1 BauGB beschränken, ist ein hinreichender Konkretisierungsgrad mit Blick auf § 14 Abs. 2 BauGB erst dann erreicht, wenn sich den Planungsvorstellungen ein hinreichend konkreter Gebietsbezug dergestalt entnehmen lässt, für welche Teile des Plangebietes welche dieser Festsetzungen in Betracht gezogen wird. Nimmt der Plangeber im Wesentlichen Festsetzungen in den Blick, die eine bauliche Nutzung weitgehend ausschließen (etwa nach § 9 Abs. 1 Nr. 10, 15, 18, 20, 24 und 25 BauGB), bedarf es zudem der Feststellung, dass solche Festsetzungen, die für eine Außenbereichsfläche von vornherein fast ohne positive Bedeutung sind, im konkreten Fall gleichwohl städtebaulich erforderlich sind und das mit ihnen verbundene weitgehende Verbot einer nicht in dem zugleich festgesetzten bzw. hier noch geplanten Sinne qualifizierten Bebauung (nur) eine legitime Nebenwirkung ist, die voraussetzt, dass die Festsetzung auch in ihrer eigentlichen und gleichsam positiven Zielsetzung - hier und heute - gewollt und erforderlich ist. Wo die Nebenwirkung indes zum eigentlichen Zweck wird und allenfalls sie es ist, die gewünscht wird und „erforderlich“ sein könnte, scheiden etwa § 9 Abs. 1 Nr. 10, 18 BauGB als geeignete Grundlagen aus.
119Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. Dezember 2020 ‑ 2 D 50/20.NE -, juris Rn. 27 ff., m. w. N.
120b) Hieran gemessen lag das für den Erlass einer Veränderungssperre im maßgeblichen Zeitpunkt erforderliche Mindestmaß an positiven bauleitplanerischen Vorstellungen im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB nicht vor. Diesbezüglich hat die Kammer bereits im Urteil vom 11. Mai 2017 - 8 K 2788/14 -, Seite 10 ff. des Urteilsabdrucks, ausgeführt:
121„Zunächst lassen sich dem Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 000 und dem Beschluss über die Veränderungssperre keine nennenswerten Anhaltspunkte über die Planungsabsichten entnehmen. Bezeichnenderweise ist in den mit dem bekannt gemachten Aufstellungsbeschluss und mit der bekannt gemachten Veränderungssperrensatzung veröffentlichen Planzeichnungen für das Plangebiet keine Festsetzungsabsicht enthalten, sondern vielmehr allein der damalige „status-quo“ nachgezeichnet. Ferner hat der Stadtplanungs- und Bauausschuss mit Blick auf den Aufstellungsbeschluss lediglich beschlossen, dass ein weiteres Aufstellungsziel nicht die „Nutzung des Haldenkörpers als Standort zur Erzeugung erneuerbarer Energien“ sein soll.
122Sofern zusätzlich die Ausschuss- und Ratsvorlagen der Beigeladenen berücksichtigt werden, lassen sich daraus – auch bei einer Gesamtbetrachtung – ebenfalls keine hinreichend konkretisierten Planungsabsichten der Beigeladenen im dafür maßgeblichen Zeitpunkt entnehmen. Dies gilt insbesondere für die Ausschussvorlage Nr. 14.0124 für die Sitzung des Ausschusses am 13. März 2014 (Aufstellungsbeschluss), für die Rats- und Ausschussvorlage Nr. 16/0114 für die Sitzungen am 14. April und 4. Mai 2016 (Veränderungssperre) und der Ausschussvorlage Nr. 16/0147 für die Ausschusssitzung am 14. April 2016. Den beiden erstgenannten Ratsvorlagen zufolge soll der Bebauungsplan zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung der Haldenlandschaft dienen und die freiraumplanerische Entwicklung des Bereichs unterstützen. Dazu würden „insbesondere“ folgende Ziele zählen: ordnungsgemäße Erschließung (Zugänge/Zufahrten sowie Parkmöglichkeiten), Vernetzung/Wegesystem, Erholungs- und Freizeitnutzung inklusive Sportnutzung, Prüfung und Regelung baulicher Nutzungsmöglichkeiten im Haldenbereich, Gewässerbau. Aus dieser allgemein gehaltenen Aufzählung ergibt sich, dass letztlich eine Eingrenzung der Planungsabsicht nicht erfolgt ist, sondern vielmehr eine „Ideensammlung“ zu potentiellen Nutzungsmöglichkeiten vorgenommen wurde, zumal die Aufzählung der Ziele nicht enumerativ gemeint ist, wie durch das die Aufzählung vorangestellte Wort „insbesondere“ zum Ausdruck kommt. Deutlich wird die mangelnde Konkretisierung hier namentlich auch durch das in der Aufzählung nicht weiter eingeschränkte Ziel der Prüfung baulicher Nutzungsmöglichkeiten, da die Art und der Umfang baulicher Nutzung ganz erheblichen Einfluss auf die Einordnung und Ausgestaltung eines Plangebiets haben. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der hier beabsichtigten Freiraumüberplanung des Außenbereichs. Da eine Negativplanung keine hinreichend konkreten (positiven) Planungsvorstellungen ersetzt, ergibt sich vorliegend auch aus der in der Ausschussvorlage Nr. 16/0114 ausdrücklich genannten Absicht, anderweitig bestehende Nutzungsabsichten, die sich nicht mit den städtischen Vorstellungen der Beigeladenen decken, namentlich die Errichtung von WEA auszuschließen, keine andere Bewertung der Umstände. Dass im maßgeblichen damaligen Zeitpunkt im Übrigen noch keinerlei planerische Konkretisierung ersichtlich war, lässt sich exemplarisch daran sehen, dass in der Ratsvorlage zum Aufstellungsbeschluss mit Blick auf die Prüfung baulicher Nutzungsmöglichkeiten noch der Klammerzusatz „z.B. Jugendhotel“ vorhanden war, der in der Ratsvorlage zur Veränderungssperre ca. zwei Jahre später nicht mehr enthalten ist. Ferner geht aus der Ratsvorlage zur Veränderungssperre hervor, dass ein „zu erstellende[s] Nutzungskonzept“ „zukünftig“ die Grundlage für das Bebauungsplanverfahren Nr. 000 bilden soll. Mithin geht die Beigeladene selbst davon aus, dass ein solches noch nicht vorliegt. In der Ausschussvorlage Nr. 16/0147 werden vorrangig die Ergebnisse des Werkstattverfahrens vorgestellt. In einem nächsten Schritt solle ein „Rahmenkonzept“ entwickelt werden, dass insbesondere Grundlage für das weitere Aufstellungsverfahren des Baubauungsplans 000 „N1. “ sei. Mithin lässt sich wiederum aus der Vorlage selbst ableiten, dass nicht einmal ein Rahmenkonzept besteht, sondern vielmehr einige „Ideen“ gesammelt wurden. Schließlich ergibt sich aus den beiden letztgenannten Vorlagen, dass das Werkstattverfahren vom 11. bis 13. November 2015 lediglich eine Grundlage für ein Nachnutzungskonzept bilden soll; in welchem Umfang die Ergebnisse des Werkstattverfahrens jedoch übernommen werden, ist gerade nicht ersichtlich.“
123Diesen Ausführungen tritt die Klägerin rechtlich nicht durchgreifend entgegen, zumal sich die Kammer wie vorstehend ersichtlich - entgegen dem Vortrag der Klägerin - eingehend mit dem Aufstellungsbeschluss zum Bebauungsplan Nr. 000, dem Beschluss über die Veränderungssperre, den zugehörigen Ausschuss- und Ratsvorlagen und den Planungsunterlagen der Klägerin auseinandergesetzt hat. Auch die weiteren Ausführungen der Klägerin bieten keinen Anlass, die Wirksamkeit der Veränderungssperre im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigungserteilung nachträglich rechtlich abweichend zu bewerten. Insofern wird zur Vermeidung von Wiederholungen zusätzlich auf die diesbezüglichen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in dem Beschluss vom 2. Juli 2021 - 7 B 286/21 -, Seite 6 f. des Beschlussabdrucks = juris Rn. 17 ff., im zugehörigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Bezug genommen.
124Daher kann dahinstehen, ob - wie der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid annimmt und die Klägerin in Zweifel zieht - die Veränderungssperre dem Vorhaben der Beigeladenen (auch) deswegen nicht (mehr) entgegengehalten werden kann, weil ihre dreijährige Geltungsdauer ab dem 17. Dezember 2018 überschritten war.
1252. Die Klägerin hätte ihr gemeindliches Einvernehmen auch nicht aufgrund einer mangelnden Erschließung des Anlagengrundstücks im Sinne von § 35 Abs. 1 BauGB verweigern dürfen.
126Anders als die Erschließungsanforderung in Gebieten mit qualifizierten Bebauungsplänen sowie im nicht beplanten Innenbereich verlangt § 35 Abs. 1 BauGB nur eine ausreichende Erschließung. An die gesicherte Erschließung sind damit geringere Anforderungen zu stellen. Die ausreichende Erschließung richtet sich nach den jeweiligen Vorhaben, den sich daraus ergebenden Anforderungen an die Erschließung und den örtlichen Gegebenheiten. Mit dem Erfordernis einer ausreichenden Erschließung soll insgesamt berücksichtigt werden, dass ein Mindestmaß an Zugänglichkeit der Grundstücke für Kraftfahrzeuge, und zwar nicht nur des Nutzers des privilegierten Betriebes, sondern auch für öffentlichen Zwecken dienende Fahrzeuge, wie z. B. der Feuerwehr und der Entsorgung erfüllt wird, und weiter, dass der Gemeinde nicht als Folge der Genehmigung von Vorhaben unangemessene Erschließungsmaßnahmen aufgedrängt werden. Andererseits muss berücksichtigt werden, dass die Zulassung von privilegierten Vorhaben nicht an übertriebenen Anforderungen an die Erschließung scheitern darf.
127Vgl. OVG Rh.-Pf., Urteil vom 22. November 2007 ‑ 1 A 10253/07 -, juris Rn. 45; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 35 BauGB Rn. 69, m. w. N. (Stand der Kommentierung: Oktober 2019).
128Gesichert im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB ist die Erschließung, wenn damit gerechnet werden kann, dass sie bis zur Herstellung des Bauwerks (spätestens bis zur Gebrauchsabnahme) funktionsfähig angelegt und wenn ferner damit zu rechnen ist, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen wird.
129Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 1985 - 4 C 48.81 -, juris Rn. 20.
130Ausgehend hiervon ist sowohl die wegemäßige Erschließung des Anlagengrundstücks (dazu a)) als auch die Löschwasserversorgung (dazu b)) ausreichend gesichert.
131a) Die wegemäßige Erschließung des Anlagengrundstücks ist ausreichend gesichert. Nach den von der Klägerin nicht substantiiert in Zweifel gezogenen Angaben des Beklagten (vgl. Seite 21 des Schriftsatzes vom 18. Oktober 2019) sind die Betriebswege auf der Halde N1. schon für den Schwerverkehr während der Aufschüttungsphase ausgelegt gewesen. Auch ist die Benutzung dieser Wege für die Anlieferung der Windenergieanlage sowie für spätere Kontroll- und Wartungsarbeiten vertraglich zwischen der Beigeladenen und der S1. abgesichert. Für das Flurstück 000 der F. wiederum besteht ein Nutzungsvertrag zwischen der S1. und der F. . Im Vertrag über das Vorhabengrundstück zwischen der S1. und der Beigeladenen ist weiter geregelt, dass auch die Beigeladene für die Erschließung ihres Anlagengrundstücks von diesen Nutzungsrechten Gebrauch machen darf.
132b) Die Erschließung des Vorhabens ist auch mit Blick auf die Verfügbarkeit von Löschwasser ausreichend gesichert.
133In dem von der Beigeladenen im Genehmigungsverfahren vorgelegten Brandschutzkonzept, das Bestandteil der Genehmigung vom 11. Februar 2019 geworden ist (vgl. Anhang II Ziffer 12), ist im Einzelnen ausgeführt, dass aufgrund der besonderen Konstruktionsart der Windenergieanlagen der Firma ENERCON keine erhöhte Brandlast oder Brandgefährdung bestehe und im Falle eines Brandes keine größere Anzahl von Menschen, Tieren oder erheblichen Sachwerten gefährdet sei. Deswegen sei eine örtliche Löschwasserbereitstellung (Hydranten, Löschwasserbehälter usw.) nicht notwendig. Zur Erfüllung des abwehrenden Brandschutzes hätten die Gemeinden die notwendige Löschwasserversorgung bereitzustellen und zu unterhalten. Dies werde - so der Beklagte (vgl. Seite 22 des Schriftsatzes vom 18. Oktober 2019) - auch durch die Feuerwehr der Klägerin durch entsprechende Wassermengen in den Löschfahrzeugen gewährleistet. Bei einem Brand der Gondel sei zunächst die Sicherung der Umgebung notwendig. Löschwasser werde erst benötigt, wenn brennende Teile herabstürzten. Bei einem Brand im Turmfuß müsse zunächst die Abschaltung der Anlage bestätigt werden bis Löschwasser benötigt werde. Da die Feuerwehr keine Möglichkeit zum Löschen eines Brandes in großen Höhen habe, konzentriere sich der Brandschutz bei Windenergieanlagen auf die Vermeidung und Früherkennung von Bränden sowie bereits vorgeschaltet auf die Vermeidung und Erkennung von kritischen Zuständen, die zu einem Brand führen könnten. Dieser Schwerpunkt sei auch im Brandschutzleitfaden des Verbandes der deutschen Sachversicherer (VdS 3523) verankert. Dort würden Blitzeinschlag, elektrische Störungen und heiße Oberflächen als die häufigsten Brandursachen genannt und dementsprechend ein Blitzschutzsystem, ein elektrisches Schutzkonzept, die Zustandsüberwachung und Meldung an eine ständig besetzte Stelle über die Fernüberwachung sowie eine regelmäßige fachkundige Wartung als zentrale Elemente des Brandschutzes aufgezeigt. Diese Elemente seien heute Standard bei modernen Windenergieanlagen und bei der beklagten Windenergieanlage vorhanden. Verglichen mit anderen gewerblich-industriellen Anlagen bewerteten Brandschutzingenieure die Brandlasten in Windenergieanlagen als gering.
134Diesen eingehend begründeten und plausiblen Ausführungen hat die Klägerin nichts Substanzielles entgegengesetzt und daher keine begründeten Zweifel an dem Vorbringen des Beklagten geweckt. Dem Hinweis der Klägerin auf die Gefahr eines Haldenbrandes und der hierdurch bedingten Gefährdung der umliegenden Wohnhäuser hält der Beklagte entgegen (vgl. Seite 23 f. des Schriftsatzes vom 18. Oktober 2019), dass es sich bei der Bergehalde N1. um Gesteinsmassen handele, die beim Abbau der zu gewinnenden Kohle mit abgebaut worden seien. Bei dem Bergematerial, das seit etwa 1950 auf die Halden des Bergbaus aufgeschüttet worden sei, habe sich der Restkohlegehalt gegenüber der Zeit davor stark verringert, d. h. die brennbaren Bestandteile des aufgeschütteten Materials seien wesentlich weniger geworden. Weiter sei seit diesem Zeitpunkt darauf geachtet worden, die Aufschüttung so durchzuführen, dass möglichst keine Hohlräume entstünden. So sei insbesondere im Topbereich der HaIde N1. und auch bei der Gestaltung der zwei geschlungenen, aufsteigenden Tropfen nur Bergematerial verwendet worden, dass bei der Gewinnung von Kohle nach dem neusten Stand der Technik angefallen sei. Der Restkohlegehalt sei daher denkbar klein. Weiter sei - schon aus Gründen der Standsicherheit - ein Standort gewählt worden, an dem die Schüttdichte nachweislich besonders gut sei. Der Aufbau und das Bergematerial der Bergehalde N1. unterschieden sich erheblich vom Aufbau und dem Schüttmaterial der HaIde H2. und somit auch in der potenziellen Brandgefahr. Daher sei die Gefahr einer Entzündung durch eine äußere Quelle praktisch ausgeschlossen. Auch aus der langjährigen Genehmigungspraxis des Beklagten für Windenergieanlagen könne gesagt werden, dass in keinem Fall eine Löschwasserbereitstellung (Hydranten, Löschwasserbehälter usw.) am Standort einer Windenergieanlage notwendig gewesen sei. Unter den Standorten für Windenergieanlagen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten befänden sich mehrere Standorte auf Halden, im Waldrandbereich und auch direkt im Wald. Auch diesen nachvollziehbaren und einzelfallbezogenen Ausführungen des Beklagten ist die Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten. Ihr Verweis auf die Situation an der angrenzend gelegenen Halde H2. , die sich seit vielen Jahren in einem Schwelbrand befinde, ist bereits deswegen nicht zielführend, weil dieser Schwelbrand auf eine Selbstentzündung des Bergematerials im Inneren der Halde H2. und nicht auf eine Entzündung durch eine äußere Quelle zurückgeht. Demgemäß hätte ein entsprechender Schwelbrand im Inneren der Halde N1. seine Ursache gerade nicht im Betrieb der beklagten Windenergieanlage.
135Die im Zuge der Realisierung des Landschaftsparks geplanten Übernachtungsmöglichkeiten („Basislager“) sind hier schon deshalb nicht relevant, weil sie zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Genehmigung vom 11. Februar 2019 ihrerseits noch nicht genehmigt waren.
136Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Juli 2021 ‑ 7 B 286/21 -, juris Rn. 23.
1373. Die Versagung des gemeindlichen Einvernehmens durfte die Kläger ferner nicht auf dem Vorhaben entgegenstehende öffentliche Belange stützen.
138Inwieweit einem durch § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben - wie hier der Windenergieanlage nach Nr. 5 der vorgenannten Vorschrift - öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegenstehen, ist grundsätzlich im Wege einer „nachvollziehenden“ Abwägung zu ermitteln. Dabei sind die öffentlichen Belange je nach ihrem Gewicht und dem Grad ihrer nachteiligen Betroffenheit einerseits und das kraft der gesetzlichen Privilegierung gesteigert durchsetzungsfähige Privatinteresse an der Verwirklichung des Vorhabens andererseits einander gegenüberzustellen. Privilegierte Vorhaben sind nicht an jedem beliebigen Standort im Außenbereich zulässig. Auch für privilegierte Anlagen gilt das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs. Mit § 35 Abs. 1 BauGB hat der Gesetzgeber den Außenbereich insbesondere nicht generell als Baubereich für privilegierte Vorhaben freigegeben, sondern ihre Zulässigkeit vielmehr von der Einzelfallprüfung abhängig gemacht, ob ihnen an einem konkreten Standort öffentliche Belange entgegenstehen. Im Einzelnen bestimmt sich das Gewicht sowohl der Privilegierung als auch das der öffentlichen Belange anhand einer Bewertung des Einzelfalls.
139Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2018 - 8 A 2478/15 -, juris Rn. 66 ff., m. w. N.
140Hiervon ausgehend stehen dem streitgegenständlichen Vorhaben die von der Klägerin geltend gemachten öffentliche Belange in Gestalt des Landschaftsschutzes (dazu a)), von schädlichen Umwelteinwirkungen in Form von Lärm (dazu b)), des Naturschutzes (dazu c)), des Denkmalschutzes (dazu d)), des Orts- und Landschaftsbildes (dazu e)) sowie des Rücksichtnahmegebots (dazu f)) nicht entgegen.
141a) Die Windenergieanlage widerspricht nicht den Darstellungen eines Landschaftsplans gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB.
142Der Vorhabenstandort liegt im räumlichen Geltungsbereich des Landschaftsschutzgebiets Nr. 10 „C. “ des am 7. März 2001 öffentlich bekannt gemachten Landschaftsplans Nr. 4 „H1. “ des Beklagten. Innerhalb dieses Landschaftsschutzgebiets ist die Errichtung einer baulichen Anlage im Sinne der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, von der auch Windenergieanlagen erfasst werden, nach Maßgabe von § 26 BNatSchG grundsätzlich verboten, wobei die Errichtung von Windenergieanlagen in planungsrechtlich abgesicherten Konzentrationszonen ausdrücklich unberührt bleibt (vgl. Abschnitt C.1.2.1, Verbot Nr. 1, Seite 114 des Landschaftsplans). Von diesem Bauverbot hat der Beklagte in dem Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 eine Befreiung auf der Grundlage des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erteilt (vgl. dort Seite 3 und 37). Diese Entscheidung ist rechtmäßig.
143Die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt voraus, dass diese aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist. Durch Gründe des Wohls der Allgemeinheit gedeckt sind alle Maßnahmen, an denen ein öffentliches Interesse besteht. Liegt ein solches vor, ist zu prüfen, ob es die Befreiung erfordert. Eine Befreiung ist nicht erst dann erforderlich, wenn den Belangen der Allgemeinheit auf keine andere Weise als durch die Befreiung entsprochen werden könnte, sondern schon dann, wenn es zur Wahrnehmung des jeweiligen öffentlichen Interesses vernünftigerweise geboten ist, mit Hilfe der Befreiung das Vorhaben an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen. Es genügt nicht, wenn die Befreiung dem allgemeinen Wohl nur irgendwie nützlich oder dienlich ist.
144Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, juris Rn. 340 f., m. w. N.
145Nach diesen allgemeinen Grundsätzen konnte für das dem grundsätzlichen Bauverbot des Landschaftsplans widersprechende Vorhaben der Beigeladenen, das von den im Landschaftsplan vorgesehenen Ausnahmeregelungen nicht erfasst wird, eine rechtmäßige Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG erteilt werden. Ausgehend von dem Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes (dazu aa)) besteht die allgemeine Möglichkeit einer Befreiung (dazu bb)) und überwiegt das öffentliche Interesse an der Windenergienutzung den Landschaftsschutz im vorliegenden Einzelfall (dazu cc)). Ermessensfehler liegen nicht vor (dazu dd)).
146aa) Für das Landschaftsschutzgebiet Nr. 10 „C. “ ist der Schutzzweck in Abschnitt C.1.2.2 des Landschaftsplans Nr. 4 des Beklagten (dort Seite 143) wie folgt bestimmt:
147„Die Festsetzung erfolgt gem. § 21 a) LG
1481. zur Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes.
149Die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in diesem Gebiet wird im Wesentlichen bestimmt durch:
150- die ca. 80 jährige M1.-----allee , ca. 450 m entlang der „L1. “, westlich und östlich der F1. Straße (B 224),
151- den Gehölzkomplex auf den Haldenfüßen am Südwestende des C2.--straßentales zwischen der N3. und der I. 22“.
152In den zugehörigen Erläuterungen heißt es:
153„Der von der bergbaulichen Nutzung stark überformte Landschaftsraum zeigt nur noch wenige naturnahe Lebensräume und gliedernde und belebende Landschaftselemente auf. Durch die Schüttprozesse bzw. durch die noch zu erwartenden Haldenschüttungen ist der Raum in seinem Wirkungsgefüge, Erscheinungsbild und für die Erholungsnutzung stark beeinträchtigt. Die Festsetzung des Raumes als Landschaftsschutzgebiet ist zur Wiederherstellung naturnaher Lebensstätten und Lebensgemeinschaften und ihrer Wirkungsgefüge entsprechend der veränderten spezifischen Standortbedingungen als auch zur Wiederherstellung eines befriedigenden Landschaftsbildes mit einem entsprechenden Wegeangebot für die wohnungsbezogene und gesamtstädtische Erholungsnutzung erforderlich.“
154bb) Die Erteilung der Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG scheidet hier nicht von vornherein deshalb aus, weil der Landschaftsplan Nr. 4 (Abschnitt C.1.2.1, Ausnahme Nr. 1 Buchstabe b) eine Ausnahme insbesondere nur für solche Vorhaben vorsieht, die § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 BauGB in der bei Erlass des Landschaftsplans geltenden Fassung unterfielen. Die Voraussetzungen für Ausnahmen, die im Landschaftsplan selbst vorgesehen sind, und einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG sind verschieden. Wäre bei allen Fallgestaltungen, die im Landschaftsplan nicht ausdrücklich als Ausnahme genannt sind, ein atypischer Fall als ungeschriebene Voraussetzung für eine Befreiung ausgeschlossen, bliebe für den Befreiungstatbestand kein Anwendungsfall mehr. Dies ist gesetzlich nicht gewollt.
155Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, juris Rn. 346 f., m. w. N., und Beschluss vom 2. Juli 2021 ‑ 7 B 286/21 -, juris Rn. 26.
156Abgesehen davon geht der Landschaftsplan Nr. 4 selbst von einem Nebeneinander der dort ausdrücklich genannten Ausnahmen und einer gesetzlich geregelten Befreiung aus. Dies folgt unzweifelhaft aus der die Ausnahmetatbestände einleitenden Formulierung „Über die Befreiungsmöglichkeit gem. § 69 LG von den Ge- und Verboten […] hinaus“. In § 69 des Gesetzes zur Sicherung des Naturhaushalts und zur Entwicklung der Landschaft (Landschaftsgesetz - LG) war eine allgemeine Befreiungsmöglichkeit geregelt, deren Voraussetzungen im Wesentlichen denjenigen in § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG entsprechen. Mit der Neufassung durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. November 2016 (GV.NRW. S. 934) wurde das Landschaftsgesetz als Gesetz zum Schutz der Natur in Nordrhein-Westfalen (Landesnaturschutzgesetz - LNatSchG NRW) verkündet. Eine allgemeine Befreiungsvorschrift sieht das Landesnaturschutzgesetz nicht mehr vor, sondern verweist in § 75 auf die Befreiungsvorschrift des § 67 BNatSchG.
157cc) Der Beklagte hat ohne Rechtsfehler darauf abgestellt, dass am konkreten Standort ein überwiegendes öffentliches Interesse zugunsten der Windenergie im Sinne des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG anzunehmen ist.
158Eine Befreiung setzt eine Abwägungsentscheidung im Einzelfall voraus, bei der zu prüfen ist, ob die Gründe des Allgemeinwohls so gewichtig sind, dass sie sich gegenüber den Belangen des Landschaftsschutzes durchsetzen. Das allgemeine Interesse am Ausbau regenerativer Energien stellt ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne von § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG dar, begründet jedoch keinen allgemeinen Vorrang vor dem Landschaftsschutz. Insbesondere ist es nicht geeignet, Landschaftsschutzgebietsfestsetzungen bzw. -verordnungen und die mit ihnen verfolgten Ziele im Wege der Befreiung generell zu Gunsten von energiepolitischen Zwecken zu relativieren. Umgekehrt ist es nicht ausgeschlossen, dass sich die Windenergie in besonders gelagerten Einzelfällen gegenüber den Belangen des Landschaftsschutzes durchsetzt, wenn die Landschaft am vorgesehenen Standort weniger schutzwürdig, die Beeinträchtigung geringfügig ist und das durch die Landschaftsschutzfestsetzung unter besonderen Schutz gestellte Ziel der dauerhaften Sicherung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit wie des Erholungswerts der Landschaft nicht beeinträchtigt wird.
159Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, juris Rn. 349 f., m. w. N., und Beschluss vom 2. Juli 2021 ‑ 7 B 286/21 -, juris Rn. 30.
160Das kommt insbesondere in Betracht, wenn der Landschaftsplan - wie hier - weite Teile des Außenbereichs einer Gemeinde unter Schutz stellt.
161Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, juris Rn. 351, m. w. N., und Beschluss vom 2. Juli 2021 ‑ 7 B 286/21 -, juris Rn. 30.
162Dies zugrunde gelegt, überwiegt am geplanten Anlagenstandort das öffentliche Interesse an der Windenergienutzung die Belange des Landschaftsschutzes. Zur Begründung seiner Entscheidung verweist der Beklagte in dem Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 (im Anschluss an die Stellungnahme seiner Unteren Naturschutzbehörde vom 12. Dezember 2018) darauf, dass der Vorhabenstandort kein Teilbereich des Landschaftsschutzgebietes sei, dem eine besondere oder herausragende Funktion zugeordnet werden könne. Für das Landschaftsschutzgebiet „C. “ seien im Landschaftsplan keine über die allgemeinen Festsetzungen hinausgehenden Ge- und Verbote formuliert. Ferner spricht für ein überwiegendes Interesse an der Windenergienutzung am vorliegenden Standort, dass - wie bereits der Landschaftsplan selbst erläuternd feststellt - eine unberührte bzw. intakte Naturlandschaft aufgrund der langjährigen bergbaulichen Nutzung und den damit einhergehenden erheblichen Schüttprozessen ohnehin nicht besteht und das betroffene Gebiet nur über einen stark eingeschränkten Erholungswert verfügt. Zudem ist eine allenfalls geringfügige Beeinträchtigung der Landschaft durch die Windenergieanlage zu erwarten, zumal diese eine vergleichsweise geringe Bodenfläche von 110m² einnimmt. Dem widerspricht auch nicht die optische Gestaltung des Tops der Halde N1. in Gestalt zweier ineinander verschlungener Tropfen (die ursprünglich geplante Gestaltung als Vulkankegel musste mangels vorhandener Erdmassen verworfen werden), zumal dies vom Standpunkt eines am Fuße oder auf der Halde stehenden Betrachters ohnehin nicht sichtbar sein dürfte.
163Die Errichtung und der Betrieb einer Windenergieanlage am Vorhabenstandort beeinträchtigen auch nicht den in den vorstehend zitierten Erläuterungen des Landschaftsplans genannten Schutzzweck des Landschaftsschutzgebiets, wonach die Festsetzung zur Wiederherstellung naturnaher Lebensstätten und Lebensgemeinschaften sowie eines befriedigenden Landschaftsbildes mit einem entsprechenden Wegeangebot für die wohnungsbezogene und gesamtstädtische Erholungsnutzung erforderlich sei. Abgesehen davon, dass der Landschaftsplan selbst von der Wiederherstellung eines (lediglich) „befriedigenden“ Landschaftsbildes spricht, kann eine nicht mehr hinzunehmende Beeinträchtigung der genannten Ziele durch die Windenergieanlage nicht festgestellt werden. Im Gegenteil verweist der Regionalverband Ruhr (RVR) z. B. im Zusammenhang mit der auf der Halde Hoppenbruch (Stadt Herten), die ebenfalls in einem Landschaftsschutzgebiet liegt (vgl. Landschaftsschutzgebiet Nr. 3 „Haldenlandschaft Hoppenbruch“ des Landschaftsplans Nr. 5 „F2. “ des Beklagten vom 3. Dezember 2008) errichteten Windenergieanlage ausdrücklich auf das gut ausgebaute Wegesystem für Spaziergänger sowie die rund 4,4 km lange Mountainbikestrecke,
164vgl. https://www.rvr.ruhr/themen/tourismus-freizeit/halden-landmarken/orte-halden/orte-detailseite-halden/news/halde-hoppenbruch-kreis-recklinghausen/,
165und damit auf Gesichtspunkte, die unter den Begriff der Naherholung fallen. Auch ausweislich der Darstellungen der Stadt Herten auf ihrer Internetpräsenz stellt die Halde Hoppenbruch beliebtes Ausflugsziel u. a. für sportliche Aktivitäten dar.
166Vgl. https://www.herten.de/kultur-und-freizeit/naherholung-erholung-im-gruenen/halde-hoppenbruch.html.
167Der RVR als zwischenzeitlicher Eigentümer u. a. der N1. sieht diese ‑ sowie weitere bereits mit Windenergieanlagen bebaute Halden - in seiner Pressemitteilung vom 22. Januar 2021,
168im Internet abrufbar unter https://www.rvr.ruhr/service/presse/pressemitteilung-detailseite/news/gruene-infrastruktur-der-metropole-ruhr-wird-weiter-ausgebaut-acht-halden-der-rag-jetzt-im-besitz-des-rvr/,
169als für touristische Angebote relevant an und stellt zudem heraus, dass auch die Bebauung von Halden mit Windenergieanlagen zum Zweck der Gewinnung von Energie aus regenerativen Quellen seiner beabsichtigen Nutzung entspreche. Auf sechs Halden seien, so der RVR, bereits Anlagen zur Energieerzeugung installiert; weitere kämen potenziell als zusätzliche Standorte für Windkraft- oder Solaranlagen in Betracht. Vor diesem Hintergrund vermag die Kammer der Annahme der Klägerin, die Windenergieanlage beeinträchtige die Entwicklung bzw. Nutzung der N1. zu einem bzw. als Naherholungsgebiet in einer nicht mehr hinzunehmenden Art und Weise nicht zu folgen, zumal der Anblick von Windenergieanlagen im Außenbereich aufgrund ihrer mittlerweile vorkommenden Häufigkeit - nach den im Internet verfügbaren Zahlen ist die Anzahl von Windenergieanlagen an Land in Deutschland von etwa 9.300 im Jahr 2000 auf etwa 29.600 im Jahr 2020 angestiegen, die überwiegend in Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein errichtet sind -,
170vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/20116/umfrage/anzahl-der-windkraftanlagen-in-deutschland-seit-1993/#professional,
171eine Alltäglichkeit geworden sein dürfte, was eher für eine das Erscheinungsbild der Landschaft mitgestaltende und keine beeinträchtigende Wirkung sprechen könnte.
172dd) Ermessensfehler nach § 40 VwVfG NRW, § 114 Satz 1 VwGO sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
173Die zur Entscheidung berufene Behörde „kann“ nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG eine Befreiung erteilen. Ihr steht ein Befreiungsermessen zu. Sie ist daher grundsätzlich berechtigt, unter Wahrung der gesetzlichen Ermessensgrenzen eine beantragte Befreiung aus Gründen der Zweckmäßigkeit zu versagen. Da die für die Ermessensausübung entscheidungsrelevanten Aspekte in der Regel bereits im Rahmen der Prüfung der tatbestandlichen Befreiungsvoraussetzungen zu berücksichtigen sind, verbleiben auf der nachgelagerten Ebene der Ermessenausübung allerdings nur noch „Ermessensreste“.
174Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, juris Rn. 354 f., m. w. N.
175Dies zugrunde gelegt, sind hier keine über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen hinausgehenden (und damit nicht bereits berücksichtigten) ermessensrelevanten Gesichtspunkte ersichtlich, aus denen eine Befreiung hätte versagt werden können.
176b) Von der genehmigten Windenergieanlage gehen keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB in Form von Lärm aus.
177Ausgehend von den Immissionsrichtwerten der TA Lärm (dazu aa)) sind die im Einwirkungsbereich der Windenergieanlage liegenden maßgeblichen Immissionsorte keinen unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt (dazu bb)).
178aa) Im Einwirkungsbereich der Windenergieanlage gelten unterschiedliche Immissionsrichtwerte. Es befinden sich dort durch den Bebauungsplan Nr. 001, I3. -, C2. -, S1.-------straße („C. A“) der Klägerin ausgewiesene reine Wohngebiete, in denen grundsätzlich (vgl. aber die nachfolgenden Ausführungen unter Gliederungspunkt C. II. 3. b) bb) aaa) (1)) die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchstabe f TA Lärm maßgeblich sind. Ferner befinden sich dort Wohnhäuser, die durch den Bebauungsplan Nr. 001 und Nr. 002, Gebiet: Gewerbepark H1. , der Klägerin als allgemeine Wohngebiete ausgewiesen sind. Allerdings wird in der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 002 (dort Seite 23) ausgeführt, dass es sich bei der städtebaulichen Situation des Plangebietes überwiegend um Gemengelagen handele, die im Laufe der Zeit gewachsen seien. Deshalb sei bei der Betrachtung der immissionsrechtlichen Situation unter Berücksichtigung der vorhandenen Betriebe (gemeint sind Gewerbebetriebe) und der hierdurch bedingten Immissionsvorbelastung für die Baugebiete im Bebauungsplangebiet das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme anzuwenden. Daher werde den angrenzenden allgemeinen Wohngebieten immissionsschutzrechtlich der Störgrad von Mischgebieten zugewiesen, weshalb hier Buchstabe d und nicht e von Nr. 6.1 Satz 1 TA Lärm Anwendung findet. Diese immissionsschutzrechtliche Einordnung des zulässigen Störgrades wird durch die Klägerin nicht (substantiiert) in Zweifel gezogen.
179Den im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gelegenen Wohnhäusern sind ebenfalls die für Dorf- und Mischgebiete nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchstabe d TA Lärm festgelegten Grenzwerte zuzumuten.
180Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 22. November 2021 - 8 A 973/15 -, juris Rn. 119 f., m. w. N.
181Für die im Einwirkungsbereich ausgewiesenen Gewerbegebiete (Bebauungsplan Nr. 002) gelten die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 Buchstabe b TA Lärm.
182bb) Die hiernach maßgeblichen Immissionsrichtwerte werden durch den Betrieb der streitgegenständlichen Windenergieanlage hinreichend sicher eingehalten. Dies folgt aus den auf der Grundlage des Interimsverfahrens durchgeführten Berechnungen in den Schallimmissionsprognosen vom 31. Januar 2019 bzw. 27. Oktober 2021. Danach werden die zulässigen Immissionsrichtwerte an den maßgeblichen Immissionsorten im Einwirkungsbereich der Windenergieanlage weder während des nunmehr zugelassenen Nachtbetriebs (dazu aaa)) noch des Tagbetriebs (dazu bbb)) überschritten.
183aaa) Der Beklagte hat - wie bereits ausgeführt - durch Bescheid vom 9. November 2021 verbindlich festgestellt, dass der durch den Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 (vgl. Ziffer IV. 3.1.6 i. V. m. 3.1.5) zunächst aufschiebend bedingt zugelassene schallreduzierte Nachtbetrieb im Betriebsmodus 100 dB mit einer Leistung von 2350 kW ab sofort aufgenommen werden darf, weil die Beigeladene den Eintritt der aufschiebenden Bedingung nachgewiesen habe. In diesem Betriebsmodus werden die rechtlich zulässigen Immissionsrichtwerte während des Nachtbetriebs hinreichend verlässlich eingehalten.
184(1) In der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019, die entgegen der Behauptung der Klägerin ausdrücklich in der angefochtenen Genehmigung aufgeführt (vgl. dort Seite 3 sowie Anhang II Nr. 15) und damit zum Bestandteil selbiger geworden ist und bei der für die Ausbreitungsrechnung - mangels eines zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Vermessungsberichts des hier genehmigten Anlagentyps - der höchste vom Hersteller für den Betriebsmodus 100 dB angegebene Schallleistungspegel von 100 dB(A) zuzüglich eines Sicherheitszuschlags in Höhe von 2,1 dB(A) für den oberen Vertrauensbereich (wegen der Unsicherheit des Prognosemodells, der Unsicherheit durch Serienstreuung, der Unsicherheit der Herstellerangaben sowie einer angenommenen Irrtumswahrscheinlichkeit von 10 %, vgl. Seite 36 f. der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019) zugrunde gelegt wurde, wurde ausweislich der Ergebnistabelle (dort Seite 46 f.) an keinem dort betrachteten Immissionsort der jeweils rechtlich zulässige Immissionsrichtwert überschritten.
185Diese Feststellung gilt insbesondere in Bezug auf das Wohnhaus S1.-------straße 71 (= IP 70 WR), das in einem durch den Bebauungsplan Nr. 001 ausgewiesenen reinen Wohngebiet liegt und für das unter Berücksichtigung der Vorbelastung durch die TH Food GmbH eine Gesamtbelastung von 36,0 dB(A) berechnet wurde. Ungeachtet der Ausweisung als reines Wohngebiet ist die Annahme des Beklagten in dem angefochtenen Bescheid, am Immissionspunkt S1.-------straße 71 gelte ein Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts und von 55 dB(A) tags, keinen rechtlichen Bedenken ausgesetzt.
186Zwar betragen die Immissionsrichtwerte in reinen Wohngebieten gemäß Nr. 6.1 Satz 1 Buchstabe f TA Lärm 35 dB(A) nachts und 50 dB(A) tags. Grenzen gewerblich, industriell oder hinsichtlich ihrer Geräuschauswirkungen vergleichbar genutzte und zum Wohnen dienende Gebiete aneinandergrenzen (Gemengelage), können allerdings gemäß Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 TA Lärm die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Dabei sollen nach Satz 2 der vorgenannten Vorschrift die Immissionsrichtwerte für Kern-, Dorf- und Mischgebiete nicht überschritten werden. Nach Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 1 TA Lärm ist für die Höhe des Zwischenwertes die konkrete Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebietes maßgeblich. Als wesentliche Kriterien nennt Nr. 6.7 Abs. 2 Satz 2 TA Lärm die Prägung des Einwirkungsgebiets durch den Umfang der Wohnbebauung einerseits und durch Gewerbe- und Industriebtriebe andererseits, die Ortsüblichkeit eines Geräusches und die Frage, welche der unverträglichen Nutzungen zuerst verwirklicht wurde.
187Die Annahme einer Gemengelage in diesem Sinne setzt nicht ein unmittelbares Aneinandergrenzen der Gebiete voraus. Da die Rechtsprechung vor der erstmaligen Einführung von Regelungen zu Gemengelagen in der TA Lärm die besonderen Rechtsgrundsätze für Gemengelagen aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme abgeleitet hat,
188vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1975 - IV C 71.73 -, juris Rn. 23, m. w. N.,
189und die TA Lärm in Nr. 6.7 Abs. 1 Satz 1 hierauf ausdrücklich Bezug nimmt, kommt es letztlich darauf an, wie weit dieses Gebot reicht. Das ist in dem gesamten räumlichen Bereich der Fall, in dem die Nutzung des einen Gebiets noch prägend auf das andere Gebiet einwirkt.
190Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Nr. 6 TA Lärm Rn. 25 (Stand der Kommentierung: Dezember 2006); Feldhaus/Tegeder, in: Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, B 3.6, Nr. 6 TA Lärm Rn. 60 (Stand der Kommentierung: 1. November 2010).
191Nach diesen Grundsätzen ist die durch den Beklagten vorgenommene Erhöhung der für ein reines Wohngebiet geltenden Immissionsrichtwerte um 5 dB(A) für die auf der östlichen Seite der S1.-------straße gelegenen Wohnhäuser (ungerade Hausnummern) nicht zu beanstanden. Ausweislich der erläuternden Ausführungen im Schriftsatz vom 18. Oktober 2019 (dort Seite 25) hat sich der Beklagte bei der Zwischenwertbildung von der Erwägung leiten lassen, dass die Wohnhäuser auf der gegenüberliegenden (westlichen) Straßenseite der S1.-------straße zwar - wie bereits ausgeführt - in einem durch den Bebauungsplan Nr. 002 der Klägerin ausgewiesenen allgemeinen Wohngebiet liegen, wegen ihrer Nähe zu gewerblichen Nutzungen aufgrund des Gebotes der gegenseitigen Rücksichtnahme immissionsschutzrechtlich aber lediglich den Schutzanspruch eines Mischgebietes geltend machen können. Daher sei - so der Beklagte - für die Wohnhäuser auf der östlichen Seite der S1.-------straße (ungerade Hausnummern) ein Zwischenwert von 40 dB(A) für den Schutzanspruch zur Nachtzeit zu bilden, der dem angrenzenden Planbereich - gemeint ist der Bebauungsplan Nr. 002 - und dem folgenden Gewerbegebiet Rechnung trage.
192Die Unbedenklichkeit dieser, von der Klägerin im Übrigen nicht (substantiiert) gerügten Vorgehensweise wird zudem dadurch bestätigt, dass die hier in Rede stehende Bebauung entlang der östlichen Seite der S1.-------straße nicht in verstärktem Maße schutzbedürftig ist. Ausweislich der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 001 würden an den straßenzugewandten Fassaden der bestehenden Wohnhäuser u. a. an der S1.-------straße die Orientierungswerte der DIN 18005 in Höhe von 50 dB(A) tags, 40 dB(A) nachts bei reinen Wohngebieten um bis zu 8 dB(A) überschritten. Daher wurden in die textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 001 Maßnahmen des passiven Schallschutzes aufgenommen. Gemäß Ziffer 5.1 der textlichen Festsetzung sind auf den überbaubaren Grundstücksflächen entlang u. a. der S1.-------straße (Häuser 23 bis 83, ungerade Ziffern) für Aufenthaltsräume gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes erforderlich. Demnach sind an allen Außenbauteilen Bauschalldämmmaße (R'w,res) in Höhe von 45 dB(A) gemäß DIN 4109 (1990) Tabelle 8 einzuhalten. Zusätzlich sieht Ziffer 5.2 der textlichen Festsetzung vor, dass auf den überbaubaren Grundstücksflächen entlang u. a. der S1.-------straße an den straßenzugewandten Fassaden in allen Schlaf- und Kinderzimmern sämtlicher Geschosse schalldämmende bzw. fensterunabhängige Lüftungseinrichtungen vorzusehen sind.
193Entspricht der immissionsschutzrechtliche Schutzanspruch für das Wohnhaus S1.-------straße 71 demnach demjenigen eines allgemeinen Wohngebiets, bleibt die in der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 prognostizierte nächtliche Gesamtbelastung an diesem Immissionspunkt mit 36,0 dB(A) deutlich hinter dem rechtlich zulässigen Immissionsrichtwert von 40 dB(A). Die vorstehenden Ausführungen gelten für den IP 71 WR S1.-------straße 51 in gleicher Weise.
194Im Ergebnis nichts anderes gilt in Bezug auf das von der Klägerin ebenfalls ausdrücklich angesprochene Wohnhaus S1.-------straße 69, das in der Immissionsprognose vom 31. Januar 2019 nicht als eigener Immissionspunkt betrachtet wurde. Zwar dürfte ihr Hinweis darauf, dass der Häuserreihe auf der westlichen Seite der S1.-------straße eine schallabschirmende Wirkung von mindestens 5 dB(A) im Hinblick auf den nachts vom Betrieb U. ausgehenden Gewerbelärm - wie sie in der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 für das Wohnhaus S1.-------straße 71 angenommen wurde (dort Seite 32/33) - in Bezug auf das Wohnhaus S1.-------straße 69 nicht zukomme, nicht von vornherein von der Hand zu weisen sein. Dieser Einwand bedarf allerdings keiner weiteren Vertiefung bzw. Aufklärung. Denn selbst wenn man eine solche Abschirmungswirkung außer Ansatz ließe und von einer nächtlichen Vorbelastung durch den Betrieb der U. von 34,0 dB(A) ‑ und nicht von 29,0 dB(A) - ausginge, wäre der ausgehend von den vorstehenden Ausführungen zum Vorliegen einer Gemengelage im Sinne von Nr. 6.7 TA Lärm auch für das Wohnhaus S1.-------straße 69 maßgebliche Immissionsrichtwert von 40 dB(A) nachts nicht ansatzweise erreicht und erst recht nicht überschritten. Diese Annahme folgt aus der Berechnung der Gesamtbelastung für das Wohnhaus S1.-------straße 78 in der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 (dort Seite 31). An diesem Immissionspunkt beträgt die berechnete Gesamtbelastung 37,8 dB(A), wobei als von der Windenergieanlage ausgehende Zusatzbelastung ein Wert von 35,5 dB(A) und als Vorbelastung durch den Betrieb der U. ein Wert von 34,0 dB(A) in Ansatz gebracht wurde. Da die Zusatzbelastung durch die Windenergieanlage an dem Wohnhaus S1.-------straße 69 jedenfalls nicht mehr als 35,5 dB(A) betragen dürfte (vgl. insoweit die Berechnung der L. vom 19. September 2019, wonach die Zusatzbelastung am Immissionsort S1.-------straße 69 = IO-25 35,0 dB(A) beträgt), kann auch die Gesamtbelastung höchstens 37,8 dB(A) betragen.
195Der weitere Hinweis der Klägerin, der Immissionspunkt S1.-------straße 69 sei unter Reflexionsgesichtspunkten offensichtlich problematischer als der hieraufhin untersuchte Immissionsort S1.-------straße 71, führt desgleichen nicht zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Genehmigung (in Bezug auf den Nachtbetrieb). Selbst wenn man für den Immissionspunkt S1.-------straße 69 - entsprechend den vorstehenden Ausführungen - eine Gesamtbelastung von 37,8 dB(A) zugrunde legt zuzüglich einer theoretisch maximal möglichen Pegelerhöhung von 3 dB(A) durch Reflexionen (vgl. hierzu die von der Klägerin nicht in Frage gestellte Annahme auf Seite 38 der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019) und somit von einer Gesamtbelastung von 40,8 dB(A) ausgeht, hätte die Genehmigung (für den Nachtbetrieb im Betriebsmodus 100 dB und einer Leistung von 2350 kW) in Anwendung von Nr. 3.2.1 Abs. 3 Satz 1 TA Lärm nicht versagt werden dürfen. Danach soll für die zu beurteilende Anlage die Genehmigung wegen einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte nach Nummer 6 aufgrund der Vorbelastung auch dann nicht versagt werden, wenn dauerhaft sichergestellt ist, dass diese Überschreitung nicht mehr als 1 dB(A) beträgt. Diese Voraussetzungen liegen hier in Bezug auf den Immissionsort S1.-------straße 69 vor. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage der Zulässigkeit von Abrundungen im Anwendungsbereich der TA Lärm,
196vgl. hierzu zuletzt OVG NRW, Urteil vom 22. November 2021 - 8 A 973/15 -, juris Rn. 124 f., unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des 8. Senats in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes einerseits, aber auch auf die „erwägenswerten Argumente“ bei Agatz, Windenergie-Handbuch, 17. Ausgabe, Dez. 2020, S. 118 f., andererseits, die eine Abrundung auch im Anwendungsbereich der TA Lärm als zulässig erachtet; vgl. auch die LAI-Hinweise zur Auslegung der TA Lärm vom 22./23. März 2017 (dort „Anhang allgemein“),
197ebenso wenig an wie auf die Frage, ob es sich bei den zur Straße ausgerichteten Fenstern der östlich der S1.-------straße gelegenen Wohnhäusern mit Blick auf die im Bebauungsplan Nr. 001 vorgeschriebenen passiven Lärmschutzmaßnahmen überhaupt um maßgebliche Immissionsorte im Sinne von Nr. 2.2 Abs. 1 TA Lärm handelt.
198Schließlich ist der Vortrag der Klägerin, am IP 26 WA = S1.-------straße 78 sei in der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 eine Richtwertüberschreitung von 1 dB(A) festgestellt worden, nicht nachvollziehbar bzw. trifft nicht zu. Dieser Immissionspunkt liegt zwar in einem durch den Bebauungsplan Nr. 002 ausgewiesenen allgemeinen Wohngebiet, kann - wie bereits ausgeführt - aber immissionsschutzrechtlich (lediglich) den Schutzanspruch eines Mischgebiets geltend machen. Gemäß Nr. 6.1 Abs. 1 Buchstabe d TA Lärm gilt daher ein nächtlicher Immissionsrichtwert von 45 dB(A). Die berechnete Gesamtbelastung am IP 26 WA beträgt 37,8 dB(A). Selbst unter Berücksichtigung einer Pegelerhöhung von 3 dB(A) wegen etwaiger Reflexionen wäre der nächtliche Grenzwert nicht ansatzweise erreicht und erst recht nicht überschritten.
199(2) Dass die Windenergieanlage im Betriebsmodus 100 dB mit einer Leistung von 2350 kW die maßgeblichen Immissionsrichtwerte während des Nachtbetriebs hinreichend sicher einhält, wird bestätigt durch die Schallimmissionsprognose vom 27. Oktober 2021. Diese Ausbreitungsberechnung beruht nicht auf den Herstellerangaben, sondern auf dem Vermessungsbericht der E. vom 20. August 2020, dessen Emissionsansätze auf einer unter anderem nach Maßgabe der FGW-Richtlinie (Fördergesellschaft Windenergie e. V.: Technische Richtlinie zur Bestimmung der Leistungskurve, des Schallleistungspegels und der elektrischen Eigenschaften von Windenergieanlagen - Teil 1: Bestimmung der Schallemissionswerte, Rev. 18 vom 1. Februar 2008) erfolgten Einfachvermessung des hier in Rede stehenden Anlagentyps ENERCON E‑138 EP3 basieren. Danach wurde im Betriebsmodus 100 dB und einer Leistung von 2350 kW ein maximaler Schallleistungspegel von 100,4 dB(A) ermittelt (vgl. Seite 6 und 29 des Vermessungsberichts der E. vom 20. August 2020). Unter Zugrundelegung dieses höchsten Summenschallleistungspegels einschließlich eines Sicherheitszuschlags für den oberen Vertrauensbereich von 2,3 dB(A) - wegen der Unsicherheit des Prognosemodells, der Unsicherheit durch Serienstreuung, der Unsicherheit der Typenvermessung bei einfach vermessenen Anlagen sowie einer angenommenen Irrtumswahrscheinlichkeit von 10 % (vgl. Seite 36 f. der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 und Seite 2 der Schallimmissionsprognose vom 27. Oktober 2021) - wurde in der Schallimmissionsprognose vom 27. Oktober 2021 eine von der Windenergieanlage ausgehende Zusatzbelastung ermittelt, welche mit derjenigen aus der Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 identisch ist bzw. diese geringfügig unterschreitet. Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zur Schallimmissionsprognose vom 31. Januar 2019 ergeben sich demnach ebenfalls keine Überschreitungen der rechtlich zulässigen Immissionsrichtwerte während des schallreduzierten Nachtbetriebs.
200bbb) Es ist zudem hinreichend verlässlich sichergestellt, dass die jeweils maßgeblichen Immissionsrichtwerte während des Tagbetriebs der Windenergieanlage eingehalten werden. Diese Feststellung kann entgegen der Auffassung der Klägerin auch ohne entsprechende Schallimmissionsprognose für die Tagzeit getroffen werden und ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
201Ausweislich der Herstellerangaben erhöht sich der von der Windenergieanlage des hier in Rede stehenden Typs ausgehende Schallleistungspegel im (leistungsoptimierten) Volllastbetrieb im Betriebsmodus 0 s mit der Nennleistung von 3500 kW im Vergleich zum schallreduzierten Betrieb im Betriebsmodus 100 dB mit einer Leistung von 2350 kW, der den Berechnungen in den Schallimmissionsprognosen vom 31. Januar 2019 und vom 27. Oktober 2021 zugrunde gelegt wurde, um (lediglich) 6 dB(A). Demgegenüber erhöhen sich die rechtlich zulässigen Immissionsrichtwerte für die Tagzeit um jeweils 15 dB(A) im Vergleich zu den entsprechenden Richtwerten zur Nachtzeit. Der - zutreffende - Hinweis der Klägerin darauf, dass nicht alle im Umfeld der Windenergieanlage befindlichen schutzbedürftigen Nutzungen im Tagbetrieb außerhalb des Einwirkbereiches der Anlage im Sinne von Nr. 2.2 Buchstabe a TA Lärm lägen, führt auch unter Berücksichtigung etwaiger Vorbelastungen nicht zu der Annahme, dass eine separate Betrachtung des Tagbetriebs im Rahmen einer Schallimmissionsprognose erforderlich war/ist. Gemäß Nr. 3.2.1 Abs. 2 Satz 1 TA Lärm darf die Genehmigung für die zu beurteilende Anlage ‑ hier die beklagte Windenergieanlage - auch bei einer Überschreitung der Immissionsrichtwerte aufgrund der Vorbelastung aus Gründen des Lärmschutzes nicht versagt werden, wenn der von der Anlage verursachte Immissionsbeitrag im Hinblick auf den Gesetzeszweck als nicht relevant anzusehen ist. Das ist nach Satz 2 der vorgenannten Vorschrift in der Regel der Fall, wenn die von der zu beurteilenden Anlage ausgehende Zusatzbelastung die Immissionsrichtwerte nach Nummer 6 am maßgeblichen Immissionsort um mindestens 6 dB(A) unterschreitet. Dies ist hier in Bezug auf den Tagbetrieb - wie aufgezeigt - der Fall. Darüber hinaus käme im Falle einer geringfügigen Überschreitung des rechtlich zulässigen Immissionsrichtwertes um bis zu 1 dB(A) während des Tagbetriebs aufgrund der Vorbelastung (wiederum) Nr. 3.2.1 Abs. 3 TA Lärm zur Anwendung.
202c. Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das artenschutzrechtliche Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) hinsichtlich der Fledermäuse, der Kreuzkröte und des Uhus.
203aa) Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist individuenbezogen und bereits dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist. Mit Blick auf die bei einer Windenergieanlage nie völlig auszuschließende Gefahr von Kollisionen geschützter Tiere sind diese Voraussetzungen nur dann erfüllt, wenn das Vorhaben dieses Risiko in einer für die betroffene Tierart signifikanten Weise erhöht (vgl. nunmehr, den Signifikanzansatz der Rechtsprechung aufgreifend: § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG i. d. F. des Gesetzes vom 15. September 2017, BGBl. I S. 3434). Ein Nullrisiko ist nicht zu fordern. Das anhand einer wertenden Betrachtung auszufüllende Kriterium der Signifikanz trägt dem Umstand Rechnung, dass für Tiere bereits vorhabenunabhängig ein allgemeines Tötungs- und Verletzungsrisiko besteht, welches sich nicht nur aus dem allgemeinen Naturgeschehen ergibt, sondern auch dann sozialadäquat sein kann und deshalb hinzunehmen ist, wenn es zwar vom Menschen verursacht ist, aber nur einzelne Individuen betrifft. Denn tierisches Leben existiert nicht in einer unberührten, sondern in einer von Menschen gestalteten Landschaft. Nur innerhalb dieses Rahmens greift der Schutz des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Umstände, die für die Beurteilung der Signifikanz eine Rolle spielen, sind insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des durchschnittenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen, darüber hinaus gegebenenfalls auch weitere Kriterien im Zusammenhang mit der Biologie der Art. Eine signifikante Steigerung des Tötungsrisikos erfordert Anhaltspunkte dafür, dass sich dieses Risiko durch den Betrieb der Anlage deutlich steigert. Dafür genügt es weder, dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, noch, dass im Eingriffsbereich überhaupt Exemplare betroffener Arten angetroffen worden sind.
204Zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle von naturschutzrechtlichen Bewertungsfragen und damit auch der Beurteilung, ob das Tötungsrisiko signifikant erhöht ist, gilt Folgendes: Wenn und solange es für die Erfassung und Bewertung vorhabenbedingter Einwirkungen an gesetzlichen Vorgaben oder einer untergesetzlichen Maßstabsbildung durch verbindliche Festlegungen etwa mittels Durchführungsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften fehlt, muss die Behörde auf außerrechtliche naturschutzfachliche Maßgaben zurückgreifen, zu denen vor allem Fachkonventionen und Leitfäden gehören. Fehlt es in den einschlägigen Fachkreisen und der einschlägigen Wissenschaft an allgemein anerkannten Maßstäben und Methoden für die fachliche Beurteilung, kann die gerichtliche Kontrolle des behördlichen Entscheidungsergebnisses mangels besserer Erkenntnis der Gerichte an objektive Grenzen stoßen. Sofern eine außerrechtliche Frage durch Fachkreise und Wissenschaft bislang nicht eindeutig beantwortet ist, lässt sich objektiv nicht abschließend feststellen, ob die behördliche Antwort auf diese Fachfrage richtig oder falsch ist. Dem Gericht ist durch Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht auferlegt, das außerrechtliche tatsächliche Erkenntnisdefizit aufzulösen. Es ist aber Aufgabe der Gerichte zu überprüfen, ob die vorliegenden Untersuchungen den aktuell besten wissenschaftlichen Erkenntnisstand widerspiegeln oder sich für die Bestandserfassung von betroffenen Arten oder für die Ermittlung des Risikos bestimmte Maßstäbe und Methoden durchgesetzt haben und andere Vorgehensweisen nicht mehr als vertretbar angesehen werden können. Fehlen diesbezügliche vereinheitlichende Vorgaben, muss das Gericht auf die konkrete Kritik hin überprüfen, ob die vorliegenden Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichten, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu prüfen. Ebenso kann und muss ein Gericht dann, wenn keine allgemein anerkannte fachliche Meinung existiert, kontrollieren, ob die von der Behörde verwendeten fachlichen Maßstäbe und Methoden vertretbar sind und die Behörde insofern im Ergebnis zu einer plausiblen Einschätzung der fachlichen Tatbestandsmerkmale einer Norm gelangt ist. In einem solchen Fall wird geprüft, ob der Behörde bei der Ermittlung und der Anwendung der von ihr aus dem Spektrum des Vertretbaren gewählten fachlichen Methode Verfahrensfehler unterlaufen, ob sie anzuwendendes Recht verkennt, von einem im Übrigen unrichtigen oder nicht hinreichend tiefgehend aufgeklärten Sachverhalt ausgeht, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt.
205Bei naturschutzfachlichen Bewertungsfragen hat das Gericht typischerweise zwei-schrittig zu prüfen. Es muss zunächst feststellen, ob es eine anerkannte Fachmeinung zu Methode oder Inhalt der aufgeworfenen Frage gibt; das ist eine Tatsachenfeststellung, die notfalls mit sachverständiger Hilfe erfolgen kann. Gibt es einen solchen „Standard“, dann prüft das Gericht dessen Befolgung bzw. die Gründe für eine Abweichung. Gibt es ihn nicht, sondern stattdessen ein wissenschaftliches „Erkenntnisvakuum“ im Sinne einer Grenze der tatbestandsbezogenen Erkenntnis- und Sachaufklärungsmöglichkeiten, gilt der Plausibilitätsmaßstab.
206Vgl. zum Ganzen OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 ‑ 8 A 1183/18 -, juris Rn. 149 ff., m. w. N. zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts.
207bb) Ausgehend von diesen Maßgaben verstößt das Vorhaben insbesondere unter Berücksichtigung der im Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 enthaltenen Nebenbestimmungen weder hinsichtlich der Fledermäuse (dazu aaa)) noch der Kreuzkröte (dazu bbb)) noch des Uhus (dazu ccc)) gegen das artenschutzrechtliche Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG.
208aaa) Der Beklagte hat hinreichend sichergestellt, dass das Tötungs-/Verletzungsrisiko in Bezug auf Fledermäuse unter der Signifikanzschwelle verbleibt. Die insoweit unverändert geltende Genehmigung vom 11. Februar 2019 sieht nach ihren Nebenbestimmungen in Ziffer IV. 6.1.5 bis 6.1.7 vom 1. April bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres Abschaltalgorithmen mit anschließendem Monitoring vor. Dabei sind die Nebenbestimmungen insgesamt - insbesondere mit Blick auf die Bedingungen der Abschaltung (Windgeschwindigkeiten im 10‑Minutenmittel unter 6 m/s, Temperaturen über 10° C und kein Niederschlag) - eng an den Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen“ vom 10. November 2017 (im Folgenden: Artenschutzleitfaden NRW 2017; dort Seiten 33, 36 f. und 59) sowie den vorhergehenden Leitfaden vom 12. November 2013 (dort Seiten 26, 29 f. und 47 f.) angelehnt.
209Dies ist naturschutzfachlich nicht zu beanstanden. Diese Feststellung gilt zunächst hinsichtlich der geregelten Windgeschwindigkeit (im 10‑Minutenmittel unter 6 m/s),
210vgl. hierzu ausführlich OVG NRW, Urteil vom 1. März 2021 - 8 A 1183/18 -, juris Rn. 244 ff.,
211gegen die auch die Klägerin keine Bedenken geltend gemacht hat.
212Ihr Einwand, die vom Beklagten gewählte Formulierung einer Abschaltung der Windenergieanlage bei Temperaturen „über“ 10° Celsius widerspreche den Vorgaben im Artenschutzleitfaden NRW 2017, greift nicht durch. Der Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass im vorgenannten Leitfaden im Zusammenhang mit dem Parameter Temperatur das mathematische (Vergleichs-)Zeichen „>“ verwendet wird, dem die Bedeutung „größer als" zukommt. Damit werden entgegen der Annahme der Klägerin nicht Temperaturen „ab“ 10°C, sondern alle über 10°C liegenden Temperaturwerte erfasst. Wäre auch die Temperatur von genau 10°C erfasst, wäre das mathematische Vergleichszeichen „≥“ (größer als oder gleich) verwendet worden, so wie z. B. in Thüringen.
213Vgl. Institut für Tierökologie und Naturbildung, Arbeitshilfe zur Berücksichtigung des Fledermausschutzes bei der Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA), Dezember 2015, Seite 44.
214Hinsichtlich des weiteren in der Nebenbestimmung IV. 6.1.5 aufgeführten Parameters „kein Niederschlag“ weist die Klägerin zwar zutreffend auf die Fußnote 10 auf Seite 33 des Artenschutzleitfadens NRW 2017 hin, wonach dieser Parameter bis auf Weiteres noch nicht verwendet werden könne, da diesbezüglich noch keine Erkenntnisse über konkrete Schwellenwerte vorlägen und außerdem keine Möglichkeiten zur Berücksichtigung in ProBat bestünde. Ob der vom Beklagten geregelte Parameter „kein Niederschlag“, zu dem das Vorliegen einer allgemein anerkannten Fachmeinung nach Auswertung der in den verschiedenen Leitfäden empfohlenen Abschaltalgorithmen nicht festgestellt werden kann,
215vgl. insoweit: Ministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz des Landes Brandenburg, Beachtung naturschutzfachlicher Belange bei der Ausweisung von Windeignungsgebieten und bei der Genehmigung von Windenergieanlagen vom 1. Januar 2011, Anlage 3 (Handlungsempfehlung zum Umgang mit Fledermäusen bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Brandenburg), Stand: 13. Dezember 2010, Seite 5: kein Niederschlag; Verwaltungsvorschrift „Naturschutz/Windenergie“ Hessen vom 17. Dezember 2020, Anlage 6, Tabelle 7: Niederschlag < 0,2 mm/h, wobei der Betreiber in den Antragsunterlagen nachzuweisen habe, dass er den Niederschlagsgrenzwert von 0,2 mm/h exakt messen könne; artenschutzrechtliche Vorgaben Schleswig-Holstein vom 22. August 2017, Seite 16: „Als zusätzlicher Parameter kann die Niederschlagsfreiheit, die mit einer Niederschlagsintensität von weniger als 0,5 mm/h definiert wird, in die Inhaltsbestimmung aufgenommen werden. Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass seitens des Antragsstellers ein akzeptabler Niederschlagssensor beantragt wird. Dazu ist darzustellen, dass regelmäßige und dauerhafte Niederschlagsmessungen nachweislich verlässlich möglich sind (dauerhafte Funktionalität)“; Bayerisches Landesamt für Umwelt, Arbeitshilfe Fledermausschutz und Windkraft, Teil 1, Stand: März 2017, Seite 13: Niederschlag 0,2 mm/Stunde, sofern dieser Parameter gemessen und diese Messungen bei der Steuerung der Anlage berücksichtigt werden können; Leitfaden Niedersachsen vom 24. Februar 2016, Nr. 7.3: kein Regen; Institut für Tierökologie und Naturbildung, Arbeitshilfe zur Berücksichtigung des Fledermausschutzes bei der Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA) in Thüringen, Dezember 2015: keine Angabe bezüglich Niederschlag; Naturschutzfachlicher Rahmen Rheinland-Pfalz vom 13. September 2012: keine Angabe bezüglich Niederschlag; Leitfaden Artenschutz Sachsen-Anhalt vom 17. September 2018, Seite 24: „Die Abschaltung kann entfallen bei Starkniederschlag (mehr als 5 mm Niederschlag in 5 Minuten) und bei Dauerregen. Dauerregen ist gegeben, wenn über einen Zeitraum von 6 Stunden ununterbrochen mehr als 0,5 mm Niederschlag je Stunde gefallen sind“; Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie Mecklenburg-Vorpommern, Artenschutzrechtliche Arbeits- und Beurteilungshilfe für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen (AAB-WEA), Teil Fledermäuse, Stand: 1. August 2016, Seite 19: Niederschlag < 2 mm/h; Hinweise zur Untersuchung von Fledermausarten bei Bauleitplanung und Genehmigung für Windenergieanlagen Baden-Württemberg, Stand: 1. April 2014: keine Angabe bezüglich Niederschlag,
216gleichwohl als vertretbar angesehen werden kann, um sicherzustellen, dass ein etwaiges Tötungsrisiko unterhalb der Signifikanzschwelle bleibt, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Denn die Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 erklärt, dass sie auf die Ausnutzung des in Nebenbestimmung IV. 6.1.5 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 geregelten Parameters „kein Niederschlag“ verzichtet.
217Ohne Erfolg bleibt schließlich der Einwand der Klägerin im Zusammenhang mit dem in Ziffer IV. 6.1.7 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 geregelten Fledermaus-Monitoring. Damit wird dem Betreiber lediglich die Möglichkeit eröffnet, das in Ziffer IV. 6.1.5 angeordnete umfassende Abschaltszenario gegebenenfalls nachträglich „betriebsfreundlich“ zu optimieren. Ob ein solches Fledermaus-Monitoring tatsächlich durchgeführt wird und zu welchem Ergebnis es gelangt, beeinflusst nicht die Rechtmäßigkeit der Genehmigung, sondern ist eine Frage der Anlagenüberwachung.
218Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. Oktober 2019 ‑ 8 A 2172/16 -, n. v., Seite 4 des Beschlussabdrucks.
219bbb) Ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko kann auch in Bezug auf die Kreuzkröte (Bufo calamita), einer streng geschützten Art im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 14 Buchstabe b BNatSchG, nicht festgestellt werden.
220Eine Gefährdung der Kreuzkröte durch den Betrieb der Windenergieanlage kann aufgrund ihres bodennahen Lebensraums offensichtlich ausgeschlossen werden. Der danach allenfalls während der Errichtungsphase bestehenden Gefährdung der Kreuzkröte hat der Beklagte durch die Nebenbestimmung IV. 6.1.3 des Genehmigungsbescheides vom 11. Februar 2019 in ausreichender Weise Rechnung getragen. Danach sind zum Schutz der Kreuzkröte die in der Artenschutzprüfung beschriebenen Maßnahmen von der ökologischen Baubegleitung zu koordinieren, anzuordnen und zu überwachen. Eingriffs- oder Lagerbereiche, die potenziell durch die Kreuzkröte genutzt oder besiedelt werden können, sind gegen einwandernde Kreuzkröten zu schützen (Amphibienschutzzaun). Innerhalb der eingezäunten Bereiche sind möglicherweise vorhandene Tiere abzusammeln und aus dem Gefahrenbereich auszusiedeln.
221Der Einwand der Klägerin, die vorstehend beschriebene Vorgehensweise sei nur während der Aktivitätsphasen der Kreuzkröten (April bis September) praktikabel, während der Ruhephase vergrüben sich die Tiere im Erdboden, weshalb das in der Nebenbestimmung vorgesehene Absammeln nicht möglich sei, Individuen innerhalb des eingezäunten Bereichs würden bei Erdarbeiten und Befahren mit schwerem Gerät zwangsläufig getötet, führt nicht zur Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass ein Nullrisiko nicht verlangt wird und die Gefährdung sich hier auf die Errichtungsphase der Windenergieanlage und damit auf einen vergleichsweise kurzen Zeitraum beschränkt. Zum anderen hat der Beklagte unwidersprochen vorgetragen (vgl. Seite 33 des Schriftsatzes vom 18. Oktober 2019), dass es Aufgabe der in der Nebenbestimmung IV. 6.1.3 angeordneten ökologischen Baubegleitung sei, Maßnahmen des Artenschutzes so rechtzeitig zu initiieren, dass keine Verbotstatbestände ausgelöst werden könnten. Sollten im Baufeld potentielle Überwinterungslebensräume sein, habe die ökologische Baubegleitung die Abzäunung früh genug anzuordnen oder eine Verschiebung des Baustarts zu bestimmen.
222ccc) Es kann ferner nicht festgestellt werden, dass das Vorhaben in Bezug auf den Uhu (Bubo bubo), einer streng geschützten Art im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 14 Buchstabe a BNatSchG, gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstößt.
223Zwar hat der Beklagte die im Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 zum Schutz des Uhus geregelte Nebenbestimmung IV. 6.1.2 - Abschaltung der Windenergieanlage vom 15. Januar bis zum 15. August eines jeden Jahres jeweils in der Zeit von einer halben Stunde vor Sonnenuntergang bis eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang - durch den von der Klägerin in das Klageverfahren einbezogenen Bescheid vom 28. Januar 2021 aufgehoben. Dass eine solche Abschaltung rechtlich erforderlich ist, um ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für den Uhu zu vermeiden, hat die Klägerin indes nicht (substantiiert) geltend gemacht. Hierfür bestehen vor dem Hintergrund, dass ein Uhu-Revier im 1000 m-Radius um den Vorhabenstandort weder im Jahr 2018 noch im Jahr 2019 gefunden wurde (vgl. hierzu den Bericht des Kölner Büros für Faunistik vom 17. Mai 2019), auch im Übrigen keine begründeten Anhaltspunkte.
224d) Dem Vorhaben stehen Belange des Denkmalschutzes (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) im Hinblick auf die benachbarte denkmalrechtlich geschützte Bergarbeitersiedlung „C. “ nicht entgegen.
225Diese Feststellung folgt bereits daraus, dass das Vorhaben weder unmittelbar im Sinne des § 9 Abs. 1 Buchstabe a DSchG NRW in dieses Denkmal eingreift noch liegt diesbezüglich eine Beeinträchtigung gemäß Buchstabe b der vorgenannten Vorschrift vor. Es bedurfte daher schon keiner denkmalschutzrechtlichen Erlaubnis gemäß § 9 Abs. 2 DSchG NRW, um die Belange des Denkmalschutzes zu überwinden.
226§ 9 Abs. 1 DSchG NRW unterscheidet in den Buchstaben a und b zwischen Eingriffen in die Substanz/das Erscheinungsbild des Denkmals bzw. der Änderung seiner örtlichen Lage oder der bisherigen Nutzung einerseits (Buchstabe a) und Eingriffen in der engeren Umgebung eines Denkmals andererseits, wobei insoweit zusätzlich eine Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes des Denkmals vorliegen muss (Buchstabe b).
227Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2021 ‑ 8 A 2790/18 -, juris Rn. 68.
228Eine Beeinträchtigung des denkmalrechtlich geschützten Erscheinungsbildes eines Denkmals im Sinne von § 9 Abs. 1 Buchstabe b DSchG NRW liegt vor, wenn der mit dem Erscheinungsbild angesprochene Denkmalwert durch das Vorhaben wesentlich herabgesetzt wird. Zur Ermittlung des individuellen Denkmalwerts eines Denkmals ist in erster Linie auf die Eintragung in der Denkmalliste und die ihr beigefügte Begründung abzustellen, denn nach nordrhein-westfälischem Recht ist die Eintragung für die Denkmaleigenschaft konstitutiv (§ 3 Abs. 1 Satz 2 DSchG NRW). Dabei ist zu berücksichtigen, dass das hier in Rede stehende denkmalrechtliche Erscheinungsbild nicht zu verwechseln ist mit dem bloßen - ungestörten - Anblick des Denkmals als Objekt. Das denkmalrechtliche Erscheinungsbild ist vielmehr als der von außen sichtbare Teil eines Denkmals zu verstehen, an dem jedenfalls der sachkundige Betrachter den Denkmalwert, der dem Denkmal innewohnt, abzulesen vermag. Da das Erscheinungsbild des Denkmals mit Blick auf Maßnahmen in seiner Umgebung geschützt wird, muss die Beziehung des Denkmals zu seiner Umgebung außerdem für den Denkmalwert von Bedeutung sein. Bei der Beurteilung des Denkmalwerts eines Denkmals und der Erheblichkeit eines Eingriffs in diesen ist das Gericht nicht an die Stellungnahmen der Denkmalpflegeämter gebunden. Diese dienen vielmehr lediglich der Beratung und Unterstützung der Denkmalbehörden und der Gerichte.
229Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Oktober 2014 ‑ 7 A 1739/13 -, juris Rn. 34 ff., und Urteil vom 8. März 2012 - 10 A 2037/11 -, juris Rn. 68 ff.; hierauf bezugnehmend auch OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2021 ‑ 8 A 2790/18 -, juris Rn. 65 f.
230Nach diesen Maßgaben liegt der hier allein in Betracht kommende Eingriff in die unter Denkmalschutz gestellte Siedlung „C. “ im Sinne des § 9 Abs. 1 Buchstabe b DSchG NRW nicht vor. Ausweislich der zusammenfassenden Betrachtung der nach Genehmigungserteilung vorgelegten „Analyse der denkmalrechtlichen Betroffenheit des denkmalgeschützten Siedlungsbereichs C. in H1. im Zusammenhang mit der Errichtung einer Windenergieanlage“ des Büros für Landschaftsplanung C1. von September 2019 erfolgte die Unterschutzstellung des Denkmals zur Sicherung oder Wiederherstellung der Geschlossenheit des Siedlungsbilds sowie seiner prägenden Gestaltungselemente für die Zukunft. Die Siedlung C. sei zwischen 1912 und 1925 errichtet worden und sei eine Bergarbeitersiedlung mit vom Gartenstadtgedanken geprägten Wohnungsbau. Die klassische Gartenstadt stelle sich als eine von Grünflächen durchzogene, aufgelockerte und durch Radialstraßen gegliederte Stadt mit räumlicher Trennung wichtiger Funktionen dar. Umgeben sei die Gartenstadt von einem nicht bebaubaren öffentlichen Grüngürtel. Die räumliche Trennung öffentlicher und privater Räume erfolge durch unterschiedliche Fluchtlinien der Gebäude, womit zusätzlich abwechslungsreiche Straßenräume geschaffen würden. Auch die Siedlung C. werde von den typischen, vielfältigen Haustypen mit vorindustriellen agrarisch-dörflichen Architekturdetails, individuellen und abwechslungsreichen Straßenräumen sowie einer starken Durchgrünung mit privaten Nutzgärten und öffentlichen Grünflächen geprägt. Innerhalb des bereits 1912 zu Baubeginn vorhandenen Straßendreiecks S1.-------straße , C2.--straße und I3. Straße sei ein Straßennetz mit platzartigen Aufweitungen entstanden. Diese innere Erschließung verlaufe weitestgehend radial, überlange Perspektiven würden somit vermieden und es gebe keine klassischen Sichtachsen. Der kulturlandschaftliche Fachbeitrag zum Regionalplan Ruhr (LVR/LWL 2014) betone, dass „bei aller Vielfalt in der äußeren Erscheinung der Siedlung [wurde] (sic!) durch die Gleichartigkeit bestimmter, prägender Gestaltungsmerkmale eine heute selten gewordene gestalterische Geschlossenheit erreicht [wurde]“. Diese für den Gartenstadtgedanken typische, gestalterische Geschlossenheit führe dazu, dass die Siedlung C. keine besondere Lagebeziehung zu seiner unmittelbaren Umgebung besitze. Aufgrund der radial angelegten inneren Erschließung fänden sich keine Sichtachsen zu den baulichen Strukturen der benachbarten Siedlungseinheiten. Die „Gartenstadt C. " sei ein in sich geschlossenes bauliches Ensemble ohne Raumwirkung in die Umgebung. Bei einem durch Gestaltung und Erschließung in sich geschlossenen baulichen Ensemble wie der Siedlung C. sei ein potenzieller negativer Einfluss der Umgebung auf die denkmalgeschützten Aspekte dieses Ensembles nicht gegeben. Darüber hinaus sei die Siedlung C. in ihrer denkmalschutzrelevanten Bedeutung nicht von der Gestaltung der Umgebung abhängig. Eine Veränderung in der Umgebung habe demnach keinen Einfluss auf die denkmalpflegerischen Belange innerhalb der Siedlung C. In diesem Zusammenhang führe auch die Errichtung einer Windenergieanlage auf der Halde N1. nicht zu einer denkmalschutzrelevanten Beeinträchtigung des Erscheinungsbildes der Siedlung C. .
231Diesen für das Gericht plausiblen und nachvollziehbaren Ausführungen, die sich der Beklagte zu Eigen gemacht hat, hat die Klägerin, die selbst die zuständige Untere Denkmalschutzbehörde ist, nichts von Substanz entgegengebracht.
232e) Der Belang des Orts- und Landschaftsbildes aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB steht der Erteilung der Genehmigung ebenfalls nicht entgegen.
233In diesem Zusammenhang hat die Klägerin bereits nicht nachvollziehbar dargelegt, wie sich der gerügte Umstand, dass der Landschaftspflegerische Begleitplan des Büros für Landschaftsplanung C1. von Juni 2018 mit Nachtrag von November 2018 möglicherweise auf der Grundlage des Windenergie-Erlasses aus dem Jahr 2015 anstelle des Windenergie-Erlasses aus dem Jahr 2018 erstellt worden sei, auf die Richtigkeit seines Ergebnisses, insbesondere den Wert des ermittelten Ersatzgeldes, ausgewirkt haben soll. Denn die in Ziffer 8.2.2.1 (Windenergie-Erlasses aus dem Jahr 2015) bzw. dem entsprechenden Anhang (Windenergie-Erlasses aus dem Jahr 2018) tabellarisch aufgeführten Wertstufen zur Ermittlung des Ersatzgeldes sind identisch. Anderweitige, inhaltliche Fehler der Berechnung sind weder hinreichend substantiiert vorgetragen noch sonst erkennbar.
234f) Die Errichtung und der Betrieb der Windenergieanlage verstößt auch nicht gegen das in § 35 Abs. 3 BauGB verankerte Rücksichtnahmegebot. Von ihr geht weder eine unzumutbare optisch bedrängende Wirkung auf die umliegenden Wohnhäuser aus (dazu aa)) noch beeinträchtigt sie den in etwa 1800 m entfernten Freiballonaufstiegsplatz H1. in unzumutbarer Weise (dazu bb)).
235aa) Die Klägerin hat nicht aufgezeigt, dass von der genehmigten Windenergieanlage eine unzumutbare optisch bedrängende Wirkung auf die umliegenden Wohngrundstücke ausgeht.
236Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bedarf es einer Einzelfallprüfung, um beurteilen zu können, ob Windenergieanlagen optisch bedrängend auf die Umgebung wirken. Dabei sind insbesondere die folgend genannten Aspekte zu berücksichtigen, und zwar für die Anlage: Gesamthöhe, Standort mit topographischer Situation, Größe des Rotordurchmessers; für das Grundstück: Lage, Ausrichtung bestimmter Räumlichkeiten und deren Fenster und Terrassen zur Windenergieanlage, etwaige Abschirmung zur Anlage, Blickwinkel auf die Anlage, Hauptwindrichtung. Unter Berücksichtigung (insbesondere) der vorstehenden Kriterien lassen sich für die Ergebnisse der Einzelfallprüfungen grobe Anhaltswerte prognostizieren: Beträgt der Abstand zwischen einem Wohngebäude und einer Windenergieanlage mindestens das Dreifache der Gesamthöhe der geplanten Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu dem Ergebnis kommen, dass von dieser Anlage keine optisch bedrängende Wirkung zu Lasten der Wohnnutzung ausgeht. Ist der Abstand geringer als das Zweifache der Gesamthöhe der Anlage, dürfte die Einzelfallprüfung überwiegend zu einer dominanten und optisch bedrängenden Wirkung der Anlage gelangen. Beträgt der Abstand zwischen dem Wohnhaus und der Windenergieanlage das Zwei- bis Dreifache der Gesamthöhe der Anlage, bedarf es regelmäßig einer besonders intensiven Prüfung des Einzelfalls. Diesem groben Raster liegt die Überlegung zu Grunde, dass die optisch bedrängende Wirkung einer Windenergieanlage mit zunehmendem Abstand regelmäßig abnimmt. Diese Grundsätze gelten auch für moderne Typen von Windenergieanlagen, die durch einen höheren Turm und einen größeren Rotordurchmesser gekennzeichnet sind.
237Vgl. zum Ganzen mit ausführlicher Begründung OVG NRW, Urteil vom 20. Dezember 2018 - 8 A 2971/17 -, juris Rn. 195 ff., m. w. N.
238Dass der genehmigte Standort der Windenergieanlage sich etwa 60 bis 70 m oberhalb der umliegenden Wohnhäuser befindet, bewirkt - entgegen der Annahme der Klägerin - nicht, dass diese Höhendifferenz bei der Abstandsbewertung zu der Gesamthöhe der Anlage zu addieren wäre. Denn eine auf höherem Gelände stehende Windenergieanlage wirkt weniger bedrängend als eine Windenergieanlage, die sich auf der gleichen Ebene wie ein Wohngebäude befindet, aber eine Höhe aufweist, die der Summe aus der Höhendifferenz und der Höhe der erstgenannten Anlage entspricht. Zudem berücksichtigt der grobe, pauschalierende Anhaltswert mittelbar auch, dass der Rotor der Anlage tendenziell umso größer ist, je höher die Anlage ist. Ein Geländeunterschied vergrößert jedoch nicht den Rotorumfang, sondern hat auf diesen keinen Einfluss. Der Höhenunterschied ist daher (nur) im Rahmen der Einzelfallprüfung zu berücksichtigen, weil er die optischen Wirkungen der Windenergieanlage verstärken kann.
239Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Oktober 2021 ‑ 8 A 2790/18 -, juris Rn. 54 f., m. w. N.
240Um von einer optisch bedrängenden Wirkung zu sprechen, reicht es für sich gesehen nicht aus, dass die Windenergieanlage von den Wohnräumen aus überhaupt wahrnehmbar ist. Das Gebot der Rücksichtnahme vermittelt dem Nachbarn keinen Anspruch auf eine von technischen Bauwerken freie Sicht. Die optisch bedrängende Wirkung einer Windenergieanlage entfällt daher nicht erst dann, wenn die Sicht auf die Windenergieanlage durch Abschirm- oder Ausweichmaßnahmen völlig gehindert wird. Ausreichend ist vielmehr, dass die Anlage in ihrer Wirkung durch eine vorhandene Abschirmung optisch abgemildert wird oder dass eine solche Abschirmung in zumutbarer Weise hergestellt werden kann. Dies gilt insbesondere für Außenbereichsgrundstücke oder für unmittelbar an den Außenbereich angrenzende Wohngrundstücke. Denn in diesen Fällen sind dem Betroffenen wegen des verminderten Schutzanspruchs eher Maßnahmen zuzumuten, durch die er den Wirkungen der Windenergieanlage ausweicht oder sich vor ihnen schützt.
241Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2021 ‑ 8 A 2790/18 -, juris Rn. 56 f., m. w. N.
242Ausgehend von diesen Maßgaben hat die Klägerin nicht (substantiiert) aufgezeigt, dass von der Windenergieanlage entgegen der Annahme des Beklagten eine optisch bedrängende Wirkung zu Lasten der umliegenden Wohngrundstücke ausgeht. Der Beklagte stützt sich dabei maßgeblich auf die Sichtbeziehungsuntersuchung zur Beurteilung der optisch bedrängenden Wirkung der Windenergieanlage der S. vom 11. September 2018 einschließlich des Nachtrags vom 14. Dezember 2018. Dass die dortigen Ausführungen methodische Mängel aufweisen oder maßgebliche Einzelfallumstände verkennen und der Beklagte daher zu unvertretbaren Ergebnissen gekommen sein könnte, hat die Klägerin mit ihrem pauschalen Vortrag nicht aufzeigen können.
243Mangels konkreter Angaben bleibt unklar, hinsichtlich welcher „mehrerer Wohnnutzungen“ bzw. in welchen „betreffenden Einzelfällen“ der Gutachter aufgrund der vorgetragenen schematisch fehlerhaften Bewertung der topografischen Lage zu unvertretbaren Ergebnissen gelangt sein soll. Nicht erkennbar ist ferner, dass und warum der Gutachter im Rahmen der Einzelfallbetrachtung des Wohnhauses X3. Straße 165 die Topografie - wie die Klägerin meint - „pauschal zugunsten einer weniger belastenden Topografie gewertet“ hätte und dass aufgrund dessen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verletzt wäre. Im Gegenteil berücksichtigt die bemängelte Stelle des Gutachtens insbesondere die Lage, Ausrichtung und bauliche Beschaffenheit des Wohngebäudes, namentlich der Fenster sowie die konkret sichtverschattende Wirkung des mit Dachpfannen bzw. lichtundurchlässigem Material abgedeckten Wintergartens, und setzt diese mit der Positionierung der Windenergieanlage unter Beachtung der Hauptwindrichtung konkret in Beziehung. Hinsichtlich der von der Klägerin angesprochenen Sichtbeziehungen von Außenwohnbereichen ‑ gemeint sein dürften Terrassen- bzw. Gartenflächen - ist darauf hinzuweisen, dass Nutzungen im Freien, die im Regelfall ohnehin nur in den Sommermonaten stattfinden, im Hinblick auf ihre Schutzwürdigkeit hinter derjenigen von Wohngebäuden zurücktreten.
244Vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 3. November 2016 ‑ 12 ME 131/16 -, juris Rn. 21.
245Angemerkt wird in diesem Zusammenhang, dass der Einzelrichter am 16. Februar 2022 in drei Parallelverfahren (8 K 3255/18, 8 K 3274/18 und 8 K 3366/18) - u. a. am benachbarten Wohngrundstück X3. Straße 171 - eine Inaugenscheinnahme durchgeführt hat und auch ohne Berücksichtigung der hier gegebenen topographischen (Sonder-)Situation eine optisch bedrängende Wirkung nicht feststellen konnte.
246Desgleichen unsubstantiiert ist der weitere Vortrag der Klägerin, wonach der teilweisen Sichtverschattung „einiger Immissionsorte“ durch Laubbäume eine zu große Bedeutung zugemessen worden sei. Die Klägerin hat schließlich auch nicht in nachvollziehbarer Weise dargelegt, dass und warum die gutachterlichen Ausführungen nicht auf die in den Grundrissplänen abgebildete Möblierung Bezug nehmen durften, zumal die überwiegende Anzahl der Grundrisspläne dem Gutachter von der Klägerin selbst zur Verfügung gestellt und durch die Anwohner zum Teil keine Möglichkeit der Inaugenscheinnahme der konkreten Begebenheiten gegeben wurde. Im Hinblick auf die von der Klägerin konkret gerügte gutachterliche Einzelfallbetrachtung hinsichtlich der Betriebsleiterwohnung C6. Straße 67 ist ebenfalls kein Fehler feststellbar, da der Gutachter während des Ortstermins am 5. September 2018 die tatsächliche Anordnung der Möblierung in Augenschein nehmen konnte und zu dem Ergebnis gekommen ist, dass diese annähernd den Darstellungen auf dem vorgelegten Grundriss entsprochen habe.
247bb) Ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot liegt auch in Bezug auf den in etwa 1800 m entfernten Freiballonaufstiegsplatz H1. nicht vor.
248Die Klägerin macht insoweit geltend, dass durch die Höhe der Windenergieanlage Starts bei bestimmten Windbedingungen lebensgefährlich seien. Sie legt indes nicht im Einzelnen dar, um welche „Windbedingungen“ es sich dabei handelt sowie deren Verteilungshäufigkeiten bezogen auf das Kalenderjahr. Auch führt die Klägerin nicht ansatzweise aus, aus welchen konkreten Gründen sie eine „Lebensgefahr“ herleitet. Zudem setzt sie sich nicht mit den Ausführungen der Bezirksregierung N2. als der zuständigen Luftfahrtbehörde auseinander. Diese stellt in ihrem Schreiben an den Beklagten vom 19. Juni 2019 (eingereicht als Anlage 7 zum Klageerwiderungsschriftsatz vom 18. Oktober 2019) zusammenfassend fest, dass das Vorliegen einer konkreten Gefahr für den Luftverkehr nur unter ganz bestimmten, seltenen Gegebenheiten vorliege, der Betrieb des Gasballonplatzes im Übrigen aber nicht durch den Bau und den Betrieb der Windenergieanlage eingeschränkt werde. Dies reiche nicht aus, um die Zustimmung (nach § 14 Abs. 1 LuftVG) insgesamt versagen zu können. Gegen eine unzumutbare Beeinträchtigung des Freiballonaufstiegsplatzes H1. durch die beklagte Windenergieanlage spricht darüber hinaus der Umstand, dass der B. als Inhaber der entsprechenden Betriebsgenehmigung seine (zusammen mit dem O. ) gegen den Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 2019 erhobene Klage 8 K 763/20 in der mündlichen Verhandlung am 23. März 2022 in der Hauptsache für erledigt erklärt hat, nachdem sich die Kläger im vorgenannten Verfahren mit der Beigeladenen auf einen außergerichtlichen Vergleich verständigt hatten. Danach kann der B. bzw. der O. für bis zu drei Veranstaltungen im Kalenderjahr verlangen, dass der Betrieb der Windenergieanlage bei Windrichtungen zwischen 290° und 335° eingestellt wird (Trudelbetrieb). Aus welchen Gründen gleichwohl der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot vorliegen soll, ist nicht ersichtlich und wird von ihr auch nicht substantiiert dargelegt.
2494. Die Klägerin wendet ferner ohne Erfolg ein, die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB sei deshalb rechtswidrig, weil sich der Beklagte offensichtlich zur Ersetzung des Einvernehmens verpflichtet gesehen und keinerlei Ermessenserwägungen hierzu angestellt habe.
250Die Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde bzw. zuständigen Behörde im Rahmen der Ersetzung des Einvernehmens ist gesetzlich gebunden. Ermessen ist ihr nicht eingeräumt.
251Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2. Juli 2021 - 7 B 286/21 -, juris Rn. 35; Hess. VGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 ‑ 9 B 2016/18 -, juris Rn. 10; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 36 BauGB Rn. 41, m. w. N. (Stand der Kommentierung: Mai 2021).
2525. Die Bescheide vom 28. Januar 2021 bzw. vom 9. November 2021 sind nicht wegen des geltend gemachten Verstoßes gegen den Bebauungsplan Nr. 000 rechtswidrig.
253Ausgehend davon, dass durch diese Bescheid kein Vorhaben im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB zugelassen wurde (vgl. hierzu die Ausführungen unter Gliederungspunkt C. I. 3.), ist deren Rechtmäßigkeit auch nicht an den Vorgaben des Bebauungsplanes Nr. 000 zu messen.
254Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, entspricht der Billigkeit, weil sie einen (Ablehnungs-)Antrag gestellt und sich damit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
255Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO (hinsichtlich der Beigeladenen) bzw. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO (hinsichtlich des Beklagten).
256Rechtsmittelbelehrung:
257Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
2581. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2592. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
2603. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2614. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
2625. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
263Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
264Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung ‑ ERVV ‑) wird hingewiesen.
265Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
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