Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (2. Kammer) - 2 A 1206/14

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 100 v. H. der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Klägerin ist Mitglied der Bürgerschaft der Hansestadt Stralsund, die am 15. August 2013 die Aufstellung des Bebauungsplanes ... beschloss, der ein neues Wohngebiet nördlich der Studentensiedlung H. zum Gegenstand hat. An der Abstimmung nahm Frau S. E. teil.

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Die Klägerin hat am 13. November 2014 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, der Bürgerschaftsbeschluss vom 15. August 2013 sei unwirksam, da ein Bürgerschaftsmitglied trotz Mitwirkungsverbotes abgestimmt habe. Frau E. sei befangen gewesen und hätte ausgeschlossen werden müssen.

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Sie – die Klägerin - habe ein Feststellungsinteresse, da sie gemäß § 23 Abs. 3 der Kommunalverfassung dem Gemeinwohl verpflichtet sei und dafür zu sorgen habe, dass unrechtmäßig zustande gekommene Beschlüsse der Gemeindevertretung als rechtswidrig erkannt und gegebenenfalls aufgehoben würden.

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Die Klägerin beantragt,

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festzustellen, dass Frau Bürgerschaftsabgeordnete S. E., K. Ring, Stralsund, anlässlich ihrer Teilnahme an der Beschlussfassung in der Bürgerschaftssitzung am 15. August 2013 zum Aufstellungsbeschluss Bebauungsplan Nr. ... „Nördlich H.“ (Beschluss-Nr. 2013-V-06-0999) befangen gewesen sei und daher von der Beratung und Abstimmung hätte ausgeschlossen werden müssen und aus diesem Grund der Beschluss gegen das Recht verstoße und nichtig sei.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er trägt vor, die Klage sei bereits unzulässig. Die Klägerin habe die Beeinträchtigung ihrer organschaftlichen Rechte nicht dargetan. Sie mache vielmehr die objektive Rechtswidrigkeit eines Bürgerschaftsbeschlusses geltend und maße sich damit eine Rolle an, wie sie der Kommunalaufsichtsbehörde zustehe. Es sei überdies nicht nachvollziehbar, warum die Klage gegen den Oberbürgermeister gerichtet sei. Nur hilfsweise werde darauf verwiesen, dass die Klage jedenfalls unbegründet sei.

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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akte dieses Verfahrens und den Verwaltungsvorgang des Beklagten (zwei Hefter) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist bereits unzulässig.

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Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage), § 43 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO].

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Die Klägerin hat kein berechtigtes Interesse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO an der begehrten Feststellung. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ist im Falle eines als schutzwürdig anzuerkennenden Interesses rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art gegeben (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 20. Aufl., 2014, § 43, Rz. 23). In diesem Sinne findet die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO auf die Feststellungsklage entsprechende Anwendung, so dass die Klage nur dann zulässig ist, wenn der Kläger geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein (BVerwG, Urt. v. 10.07.2001 - 1 C 35/00 - BVerwGE 114, S. 356 [360]). Wird die Feststellungsklage – wie im vorliegenden Fall – im Rahmen einer sogenannten Kommunalverfassungsstreitigkeit erhoben, bei der verschiedene Organe (oder Teile eines Organs) einer kommunalen Körperschaft gegeneinander Streit führen, bedeutet dies, dass das erforderliche Feststellungsinteresse nur besteht, soweit der Kläger die Verletzung seiner organschaftlichen Rechte („Wahrnehmungsberechtigungen“) geltend macht.

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Zwar ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass eine Entscheidung, die unter Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot zu Stande kommt, unwirksam sein kann. Das ergibt sich aus § 24 Abs. 4 Satz 1 der Kommunalverfassung [KV M-V]. Diese Unwirksamkeit berührt aber nicht die Wahrnehmungsberechtigung des Gemeindevertreters. Ihm ist kein Widerspruchsrecht oder Recht auf Feststellung der Unwirksamkeit eingeräumt.

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Es ist vielmehr so, dass ein Beschluss, der unter Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot zu Stande gekommen ist, zunächst nur schwebend unwirksam ist, denn nach § 24 Abs. 5 Satz 1 KV M-V kann ein Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot nach Ablauf eines Jahres nicht mehr geltend gemacht werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß innerhalb dieser Frist schriftlich unter Bezeichnung der Tatsache, aus der sich der ungerechtfertigte Ausschluss ergibt, gegenüber der Gemeinde geltend gemacht wird.

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Schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich, dass danach der ungerechtfertigte Ausschluss nur von demjenigen mit der Rechtsfolge, den Eintritt der Wirksamkeit zu verhindern, vorgetragen werden kann, der im Außenverhältnis zur Gemeinde von der Entscheidung betroffen ist. Denn ein (weiteres) Mitglied der Gemeindevertretung könnte den ungerechtfertigten Ausschluss nicht „gegenüber der Gemeinde“, sondern nur gegenüber dem Organ „Gemeindevertretung“ geltend machen, wie dies hier wohl gemeint ist, wenngleich der Antrag gegen den Oberbürgermeister der Hansestadt Stralsund gerichtet ist.

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Ein von dem Beschluss nicht Betroffener kann den ungerechtfertigten Ausschluss zudem zwar behaupten, aber nicht „geltend machen“, denn das setzt ein Rechtsverhältnis voraus, in dem „Geltung“ beansprucht werden kann.

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Die Kammer versteht die Vorschrift des § 24 Abs. 5 Satz 1 KV M-V nicht dahingehend, dass sie einen eigenständigen „Rechtsbehelf“ bei einem Verstoß gegen das Mitwirkungsverbot oder einem ungerechtfertigten Ausschluss eines Mitglieds der Gemeindevertretung begründen will, sondern für die sich aus anderen Vorschriften ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten oder Berechtigungen eine Frist setzt. So versteht sie auch die Ausführungen von G. (Darsow u. a., Schweriner Kommentierung der KV M-V, 4. Aufl., 2014, § 24, Rz. 31).

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Nichts anderes folgt aus der Regelung des § 23 Abs. 3 KV M-V, wonach die Mitglieder der Gemeindevertretung ihr Mandat im Rahmen der Gesetze nach ihrer freien, nur dem Gemeinwohl verpflichteten Überzeugung ausüben (Satz 1) und an Aufträge und Verpflichtungen, durch welche die Freiheit ihrer Entschließungen beschränkt wird, nicht gebunden sind (Satz 2).

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Das dem einzelnen Mitglied der Gemeindevertretung danach verbriefte freie Mandat soll eine möglichst offene, unabhängige und breite Auseinandersetzung über die Belange der örtlichen Gemeinschaft ermöglichen und zugleich auch sicherstellen. Beschränkungen dieses Rechts sind daher nur in engen Grenzen im Rahmen der Gesetze möglich (VG Kassel, Beschl. v. 21.11. 2011 – 3 L 1399/11.KS – juris), so dass sich aus dieser Vorschrift Abwehrrechte des einzelnen Mitglieds der Gemeindevertretung gegenüber anderen Organen der Kommune ergeben können. Es ergeben sich daraus aber keine aufsichtsrechtlichen Befugnisse gegenüber anderen Organen, wie sie die Klägerin für sich in Anspruch nimmt.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

21

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 Zivilprozessordnung [ZPO].

22

Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 VwGO).

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