Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 438/14

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2013 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 07. April 2014 wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Rechtstreits werden der Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten wegen der Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag.

2

Der Kläger ist Eigentümer des an der G.-Straße in A-Stadt gelegenen Grundstücks G1, in einer Größe von 2.022 m². Das im unbeplanten Innenbereich der Gemeinde A-Stadt gelegene Grundstück ist mit einer Halle bebaut, wird gegenwärtig aber nicht genutzt. Der Kläger hat das Grundstück aus der Insolvenzmasse der ehemaligen Eigentümerin, der Firma P.- GmbH, ersteigert. Er ist seit dem 5. Mai 2008 im Grundbuch als Eigentümer eingetragen.

3

Das Grundstück grenzt an die G.-Straße. Die G.-Straße verläuft in einer Länge von ca. 400 m von der Kreuzung mit der zur Ortsdurchfahrt der Bundesstraße 96 führenden D.-Straße in nordwestliche Richtung und erschließt das Kleinsiedlungsgebiet A-Stadt (B-Plan Nr. 1 der Gemeinde A-Stadt „An den Kleingärten“). Nördlich davon führt sie in den Außenbereich der Gemeinde, wo sie nach weiteren ca. 60 m in die S.-Straße einmündet. Westlich mündet der B.-Weg, östlich münden der R.-Weg, der K.-Weg sowie die G.-Straße in die G.-Straße ein.

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Die G.-Straße besteht im Bereich der Ortslage von A-Stadt aus den Flurstücken G2, G3, G4, G5 (hervorgegangen aus G6), G7, und den Flurstücken G8, G9 (hervorgegangen aus G10), G11 (hervorgegangen aus G12) und G13. Die Teilung des Flurstücks G10 erfolgte am 2. Juni 2004. Hinsichtlich der Flurstücke G3, G4, G5, G8, G9 und G12 hatten Verfahren nach dem Vermögenzuordnungsgesetz stattgefunden, in denen die OFD Rostock mit Bescheiden vom 22. September 1997, 3. Juli 2002, 22. Juli 2002 bzw. 15. Juli 2004 festgestellt hatte, dass die Gemeinde A-Stadt Eigentümerin der Flächen geworden ist. Mit Ausnahme des Bescheides vom 22. September 1997, der das Flurstück G12 betrifft, beruhen die Bescheide auf der Zuordnungsvereinbarung zwischen der Hansestadt Stralsund und der Gemeinde A-Stadt vom 19./30. April 2002.

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Das Eigentum an dem Grundstück Flurstück G7 hatte die Gemeinde A-Stadt auf Grundlage des notariellen Kaufvertrages vom 5. September 1995 (UR-Nr. …) der Notarin B. erworben. Die Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch erfolgte am 16. September 1996.

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Mit einer undatierten Allgemeinverfügung (Aushang vom 16. August bis 12. September 1995) war die G.-Straße bestehend aus in der Verfügung näher genannten Flurstücken straßenrechtlich gewidmet worden. In ihrer Sitzung am 26. Juni 1997 beschloss die Gemeindevertretung der Gemeinde A-Stadt, die Widmung aus dem Jahre 1995 aufzuheben. Gleichzeitig beschloss die Gemeindevertretung, die G.-Straße – diesmal ohne Benennung der betroffenen Straßenflurstücke erneut als Gemeindestraße zu widmen. Die entsprechende Allgemeinverfügung vom 3. Juli 1997 wurde durch Aushang vom 12. August bis 29. August 1997 öffentlich bekannt gemacht. In ihrer Sitzung am 9. Januar 2003 beschloss die Gemeindevertretung der Gemeinde A-Stadt, die Widmung aufzuheben. Ausweislich der Begründung der Beschlussvorlage erfolgte die Aufhebung, weil nicht alle Straßenflächen im Gemeindeeigentum standen. Die entsprechende Allgemeinverfügung vom 31. Januar 2003 wurde durch Aushang vom 31. Januar 2003 bis 19. Februar 2003 öffentlich bekannt gemacht. In ihrer Sitzung vom 12. April 2012 beschloss die Gemeindevertretung der Gemeinde A-Stadt, die G.-Straße mit Blick auf den zwischenzeitlich erfolgten Grunderwerb an allen Straßenflächen erneut zu widmen. Die entsprechende Allgemeinverfügung vom 12. April 2012 wurde durch Aushang vom 19. April 2012 bis 8. Mai 2012 öffentlich bekannt gemacht.

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Im Zuge der Erschließung des Kleinsiedlungsgebietes hatte die Gemeinde A-Stadt im Jahre 1993 mit dem Ausbau der bis dahin unbefestigten G.-Straße begonnen. Die Fahrbahn erhielt ein Verbundpflaster in einer Breite von 6 m. Des Weiteren wurden die Straßenentwässerung, beiderseitige Gehwege von jeweils 1,5 m Breite und die Straßenbeleuchtung hergestellt. Die Baumaßnahme war im Jahr 1994 technisch abgeschlossen. Die letzte Unternehmerrechnung liegt der Gemeinde A-Stadt seit dem 15. Oktober 1998 vor. Am 20. Februar 1997 hatte die Gemeindevertretung der Gemeinde A-Stadt einen Beschluss über die Abschnittsbildung für die G.-Straße zwischen der Einmündung in die D.-Straße und der nördlichen Grenze des B-Plangebietes gefasst. Innerhalb des B-Plangebietes entlang der Grenze zur Altbebauung legte die Gemeinde entsprechend der Festsetzung des Bebauungsplans eine ca. 15 m breite öffentliche Grünfläche an.

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Mit Bescheid vom 5. Februar 1998 zog der Rechtsvorgänger der Beklagten die Rechtsvorgängerin des Klägers – die Firma P.-GmbH – für die Kosten G.-Straße und die Kosten der östlich davon gelegene öffentliche Grünfläche zu einer Vorausleistung von 100 v.H. auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 93.114,09 DM heran. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Rechtsvorgängerin des Klägers wies der Rechtsvorgänger der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 1998 – zugestellt am 21. Oktober 1998 – zurück. Auf die Klage der Rechtsvorgängerin des Klägers änderte das Verwaltungsgericht Greifswald mit Urteil vom 3. November 1999 – 3 A 2336/98 – unter Abweisung der Klage im Übrigen den Vorausleistungsbescheid vom 5. Februar 1998 dahin ab, dass die festgesetzte Vorausleistung durch eine vom Beklagten nach Maßgabe der Entscheidungsgründe neu zu berechnende Vorausleistung ersetzt wird und begründete dies damit, dass (nur) die Einbeziehung der Grünanlage in den Vorteilsausgleich fehlerhaft sei. Den Antrag der Rechtsvorgängerin des Klägers auf Zulassung der Berufung lehnte das OVG Greifswald mit Beschluss vom 7. Dezember 2000 (– 1 L 9/00 –) ab.

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Mit Bescheid vom 25. Januar 2013 zog die Beklagte den Kläger zu einem Erschließungsbeitrag für die G.-Straße i.H.v. 36.783,74 EUR heran. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2014 – zugestellt am 11. April 2014 – zurück.

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Am Montag, den 12. Mai 2014 hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, seine Heranziehung sei rechtswidrig. Die G.-Straße dürfe nicht nach Erschließungsbeitragsrecht abgerechnet werden, weil die Verkehrsanlage zum maßgeblichen Stichtag des 3. Oktober 1990 einen ortsüblichen Ausbauzustand aufgewiesen habe. Die Erschließungsbeitragssatzung sei fehlerhaft. Das Abrechnungsgebiet sei nicht ordnungsgemäß gebildet worden. Die Einbeziehung der außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplanes gelegenen Grundstücke in den Vorteilsausgleich sei fehlerhaft. Zudem sei ein etwaiger Beitragsanspruch im Insolvenzverfahren der Voreigentümerin untergegangen, jedenfalls aber wegen Festsetzungsverjährung erloschen. Überdies habe die Beklagte ihr Recht zur Beitragserhebung verwirkt. Gemeindevertreter der Gemeinde A-Stadt hätten wiederholt erklärt, dass nur die Eigentümer der innerhalb des B-Plangebietes an die G.-Straße angrenzenden Grundstücke zu Erschließungsbeiträgen herangezogen würden. Auch hätte die Gemeinde die straßenrechtliche Widmung der G.-Straße zweimal aufgehoben und damit die Beitragsfähigkeit der Anlage beseitigt.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2013 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 7. April 2014 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Auffassung, die Heranziehung sei rechtmäßig. Entgegen der Auffassung des Klägers sei keine Festsetzungsverjährung eingetreten, denn die sachliche Beitragspflicht für die G.-Straße sei erst mit ihrer Widmung im Jahre 2012 entstanden. Zu einem früheren Zeitpunkt, insbesondere in dem Zeitraum vom Erlass der Widmungsverfügung vom 3. Juli 1997 bis zu ihrer Aufhebung durch die Allgemeinverfügung vom 31. Januar 2003 habe die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen können, weil die Gemeinde das Eigentum an der letzten zur Straße gehörenden Teilfläche – dem Flurstück G9 – erst auf Grundlage des Bescheides der damaligen OFD Rostock vom 15. Juli 2004 erworben habe. Auch eine Verwirkung des Beitragsanspruchs sei nicht eingetreten. Die erneute Widmung der G.-Straße sei erst im Jahre 2012 erfolgt, weil die Gemeinde mit Blick auf eine Vielzahl ablaufender Festsetzungfristen für andere Anlagen personell nicht zu einer früheren Abrechnung in der Lage gewesen sei.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die bei der Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge sowie die Gerichtsakten des beigezogenen Verfahrens VG Greifswald – 3 A 2336/98 – vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässige Klage ist begründet. Der streitgegenständliche Beitragsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Abrechnung der G.-Straße hat nach Erschließungsbeitragsrecht zu erfolgen (a.). Der Beitragsanspruch der Gemeinde ist infolge Festsetzungsverjährung erloschen (b.). Geht man davon aus, dass der Beitragsanspruch nicht wegen Festsetzungsverjährung erloschen ist, hat die Gemeinde ihr Recht zur Beitragserhebung verwirkt (c.).

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a. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts nicht nach § 242 Abs. 9 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB) ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann für Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts bereits hergestellt worden sind, nach diesem Gesetz ein Erschließungsbeitrag nicht erhoben werden. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

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Der Begriff der Erschließungsanlage im Sinne des § 242 Abs. 9 BauGB ist identisch mit dem des § 127 Abs. 2 BauGB. Daraus folgt, dass § 242 Abs. 9 BauGB nur dann der Anwendbarkeit des Erschließungsbeitragsrechts entgegenstehen kann, wenn der betreffenden Verkehrsanlage bereits zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Beitritts am 3. Oktober 1990 eine Anbaufunktion im Sinne des § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB zukam (VG Greifswald, Urt. v. 31.05.2012 – 3 A 495/10 –, juris). Dies trifft ausweislich der Feststellungen des VG Greifswald in dem Urteil vom 3. November 1999 (– 3 A 2336/98 –, S. 10 f. des Entscheidungsumdrucks) auf den Teil der G.-Straße, der nördlich des Flurstücks G14 (heute Flurstücke G15 und G16) verläuft, nicht zu, denn diese Teilstrecke der G.-Straße verlief am Stichtag im Außenbereich (§ 35 BauGB) der Gemeinde A-Stadt. Diese Feststellung ist auch im vorliegenden Verfahren verbindlich. Da sie die Entscheidung trägt, wird sie von der materiellen Rechtskraft des Urteils (§ 173 VwGO i.V.m. § 322 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO) erfasst. Die Rechtskraftwirkung erstreckt sich gemäß § 121 Nr. 1 VwGO auf die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens, da sie nach Rechtshängigkeit des Verfahrens 3 A 2336/98 Rechtsnachfolger der Beteiligten dieses Verfahrens geworden sind. Damit ist das Gericht an einer erneuten Prüfung dieser Frage gehindert.

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In Bezug auf den südlichen Teil der G.-Straße zwischen der Einmündung in die D.-Straße und der Nordgrenze der Flurstücke G15 und G16 ist das Erschließungsbeitragsrecht anwendbar, weil auch insoweit die Voraussetzungen des § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB nicht vorliegen. Zwar kam der G.-Straße in diesem Bereich bereits am Stichtag eine Anbaufunktion zu. Nach den ebenfalls bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts in dem bereits benannten Urteil (a.a.O., S. 11 ff. des Entscheidungsumdrucks) war sie aber nicht endgültig hergestellt i.S.d. § 242 Abs. 9 Satz 1 BauGB.

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b. Der Beitragsanspruch ist durch Festsetzungsverjährung erloschen (§ 12 Abs. 1 Kommunalabgabengesetz [KAG M-V] i.V.m. § 47 Abgabenordnung [AO]). Für Erschließungsbeiträge beträgt die Festsetzungsfrist gemäß §§ 1 Abs. 4, 12 Abs. 2 KAG M-V vier Jahre. Nach § 170 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V beginnt die Festsetzungsfrist mit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist.

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Damit kommt es auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an. Diese entsteht nach § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage, wobei die Merkmale der endgültigen Herstellung in der Satzung der Gemeinde A-Stadt über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 15. Dezember 1993 Erschließungsbeitragssatzung – EBS 1993) i.d.F. der zweiten Änderungssatzung vom 8. Februar 1996 definiert sind. Beitragsfähige Anlage i.S.d. sogenannten natürlichen Betrachtungsweise ist die G.-Straße vom Knoten D.-Straße bis zur nördlichen Grenze des B-Plangebietes. Die am 20. Februar 1997 erfolgte Abschnittsbildung für diesen Bereich ist überflüssig, aber unschädlich (so bereits VG Greifswald, Urt. v. 3. November 1999 – 3 A 2336/98 – S. 16 des Entscheidungsumdrucks). Maßgeblich ist danach zunächst die bautechnische Herstellung der G.-Straße entsprechend den satzungsrechtlichen Herstellungsmerkmalen einschließlich der Durchführung des erforderlichen Grunderwerbs (vgl. § 7 EBS 1993). Da sich das Herstellungsmerkmal auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht und damit auf die Abrechenbarkeit der Anlage bezieht, genügt die bautechnische Herstellung allein nicht. Hinzukommen muss die genaue Bezifferbarkeit des Beitragsanspruchs. Daher setzt das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht auch das Vorliegen der Unternehmerrechnungen und – soweit für die Baumaßnahme Fördermittel ausgereicht worden sind, die auch den Beitragspflichtigen zu Gute kommen – den Abschluss der Prüfung des Verwendungsnachweises voraus. Zudem erfordert die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht die Öffentlichkeit der Erschließungsanlage. Denn beitragsfähig sind nach § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB nur öffentliche Straßen, Wege und Plätze. Das Merkmal „öffentlich“ ist nicht in einem verkehrsrechtlichen, sondern in einem straßenrechtlichen Sinne zu verstehen. Maßgebend ist daher nicht die tatsächliche, jedermann mögliche Benutzung der Anlage. Die Anlage muss vielmehr gemeingebräuchlich sein, d.h. sie muss rechtlich – privatrechtlicher Verfügungsmacht entzogen – dem allgemeinen Gebrauch dienen (BVerwG, Urt. v. 13.12.1985 – 8 C 66.84 –, DVBl. 1986, 93). Erforderlich ist sonach eine straßenrechtliche Widmung (Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 12 Rn. 24).

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Im Unterschied zum Kommunalabgabengesetz für Straßenausbaubeiträge gibt das Baugesetzbuch für Erschließungsbeiträge nicht vor, in welcher zeitlichen Reihenfolge die genannten Entstehensvoraussetzungen vorliegen müssen. Ausreichend – aber auch erforderlich – ist, dass alle Entstehensvoraussetzungen vorliegen. Es spielt insbesondere keine Rolle, ob eine wirksame Erschließungsbeitragssatzung bereits zum Zeitpunkt der Abrechenbarkeit der Anlage vorliegt oder erst danach erlassen wird (Driehaus, a.a.O., § 11 Rn. 70).

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Gemessen an diesen Kriterien ist eigentlich davon auszugehen, dass die sachliche Beitragspflicht für die G.-Straße mit dem Eingang der letzten Unternehmerrechnung für die Erschließungsmaßnahme bei der Gemeinde A-Stadt am 15. Oktober 1998 entstanden ist. Allerdings ist das Gericht mit Blick auf die Rechtskraft des Urteils vom 3. November 1999 – 3 A 2336/98 – an dieser Feststellung gehindert, denn es stellt in den Gründen entscheidungstragend darauf ab, dass die sachliche Beitragspflicht nicht entstanden war – andernfalls wäre die Erhebung einer Vorausleistung unzulässig gewesen. Die Rechtskraft der Entscheidung erstreckt sich auf ihren Streitgegenstand. Streitgegenstand des Verfahrens war der Vorausleistungsbescheid vom 5. Februar 1998 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 1998 (vgl. § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dieser ist mit seiner Zustellung am 21. Oktober 1998 wirksam geworden. Damit bezieht sich die Feststellung, dass die sachliche Beitragspflicht nicht bestand, auf den Zeitraum bis zur Zustellung des Widerspruchsbescheides. Als Folge davon ist das Gericht an der Feststellung des Bestehens der sachlichen Beitragspflicht für die G.-Straße vor dem 21. Oktober 1998 gehindert.

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Nicht gehindert ist das Gericht aber an der Feststellung, dass die sachliche Beitragspflicht am 22. Oktober 1998 bestanden hat. Denn die Bindung an den Streitgegenstand begrenzt auch die Reichweite der Rechtskraft.Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Falle der Anfechtungsklage gegen einen beitragsrechtlichen Vorausleistungsbescheid ist der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.11.2010 – 9 S 29.10 – juris; VG Magdeburg, Beschl. v. 10.05.2010 – 9 B 435/09 – juris [zum Anschlussbeitragsrecht]; VG Greifswald, Urt. v. 26.07.2012 – 3 A 229/09 – juris, Rn 19 [zum Straßenausbaubeitragsrecht]). Damit kann das Urteil vom 3. November 1999 keine Aussage in Bezug auf das Bestehen oder Nichtbestehen der sachlichen Beitragspflicht für den Zeitraum nach dem 21. Oktober 1998 enthalten.

26

Am 22. Oktober 1998 lagen alle Voraussetzungen für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht vor. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

27

Maßgeblich ist allein die Abrechenbarkeit der G.-Straße, nicht dagegen die Abrechenbarkeit der im Bereich des B-Plangebietes in sie einmündenden Straßen. Auf die eventuell späteren Zeitpunkte des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten für diese Erschließungsanlagen, also den B.-Weg, den R.-Weg, den K.-Weg und die G.-Straße (vgl. zu diesem Gesichtspunkt: BVerwG, Urt. v. 30.01.2013 – 9 C 1.12 –, juris Rn. 24 m.w.N.) kommt es nicht an, weil die Gemeinde A-Stadt von der Bildung einer Erschließungseinheit i.S.d. § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB abgesehen hat und nach den Feststellungen in dem bereits benannten Urteil vom 3. November 1999 (S. 16 ff. des Entscheidungsumdrucks) auch keine Pflicht zur Bildung einer Erschließungseinheit besteht. Diese Feststellung ist mit Blick auf die materielle Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden Verfahren verbindlich, da sie die Entscheidung trägt.

28

Am 22. Oktober 1998 handelte es sich bei der G.-Straße auch um eine öffentliche Erschließungsanlage i.S.d. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, weil sie durch die Allgemeinverfügung vom 3. Juli 1997 straßenrechtlich als Gemeindestraße gewidmet worden war. Zweifel an der Wirksamkeit der Widmungsverfügung bestehen nicht. Da diese von den Beteiligten auch nicht geltend gemacht werden, kann von weiteren Darlegungen abgesehen werden.

29

Auch verfügte die Gemeinde A-Stadt am 22. Oktober 1998 über eine wirksame Erschließungsbeitragsatzung. Die zu diesem Zeitpunkt geltende Erschließungsbeitragssatzung ist ausweislich der tragenden Feststellungen des VG Greifswald in dem Urteil vom 3. November 1999 wirksam. Auch diese Feststellung ist mit Blick auf die materielle Rechtskraft der Entscheidung im vorliegenden Verfahren verbindlich.

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Weiter lagen am 22. Oktober 1998 auch die satzungsrechtlich normierten Herstellungsmerkmale vor. Insbesondere war der erforderliche Grunderwerb an den Straßenflächen (§ 7 Abs. 1 Buchst. b EBS 1993) abgeschlossen. Dies trifft zunächst auf den „zivilrechtlichen“ Eigentumserwerb zu. Das Eigentum an dem Grundstück Flurstück G7 war mit ihrer Eintragung als Eigentümerin im Grundbuch bereits am 16. September 1996 auf die Gemeinde A-Stadt übergegangen.

31

Gleiches gilt für die von den Zuordnungsverfahren betroffenen Grundstücken. Die Vorschriften des Art. 21 Abs. 1 und 2 des Einigungsvertrages (EVertr) regeln das rechtliche Schicksal des Verwaltungsvermögens der ehemaligen DDR nach deren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland. In Art. 21 Abs. 1 Satz 1 EVertr wird der Grundsatz aufgestellt, dass DDR-Verwaltungsvermögen Bundesvermögen wird. Dieser Grundsatz gilt nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 EVertr dann nicht, wenn das DDR-Verwaltungsvermögen bereits am 1. Oktober 1989 für Verwaltungsaufgaben bestimmt war, die nach dem Grundgesetz von Ländern, Gemeinden (Gemeindeverbänden) oder sonstigen Trägern öffentlicher Verwaltung wahrzunehmen sind. Diesen Trägern steht das Verwaltungsvermögen mit Wirksamwerden des Beitritts unmittelbar nach Abs. 2 der Vorschrift zu. Diese Bestimmungen sind für die Eigentumsbegründung konstitutiv. Einer Rückübertragung, also eine Eigentumsbegründung durch Verwaltungsentscheidung, bedarf es nicht. Eine solche sieht der Einigungsvertrag nur in den vorliegend nicht gegebenen Fällen des Art. 21 Abs. 3 und Art. 22 Abs. 1 Satz 7 vor (vgl. § 11 Vermögenszuordnungsgesetz – VZOG).

32

Hinsichtlich des Flurstücks G12, aus dem das Flurstück G11 hervorgegangen ist, hatte die OFD Rostock bereits mit Bescheid vom 22. September 1997 festgestellt, dass es sich im Eigentum der Gemeinde A-Stadt befindet.

33

Weiter war die Gemeinde A-Stadt zu diesem Zeitpunkt Eigentümerin der Flurstücke G3, G4, G5, G8 und G9, denn das Eigentum an diesen Flächen war ebenfalls bereits nach den Regelungen des Einigungsvertrages und des Einigungsvertragsgesetzes mit dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 auf die Gemeinde übergegangen.

34

Dem steht nicht entgegen, dass die Frage, wer Eigentümer der Flurstücke G3, G4, G5 und G8 ist, bis zum Abschluss der Zuordnungsvereinbarung vom 19./30. April 2002 zwischen der Gemeinde A-Stadt und der Hansestadt Stralsund umstritten war. Denn weder der Zuordnungsvereinbarung, noch den auf dieser Vereinbarung fußenden Zuordnungsbescheiden der OFD Rostock vom 3. Juli 2002 und 22. Juli 2002 oder den in Folge dieser Bescheide vorgenommenen Grundbuchberichtigungen kommt für den Eigentumserwerb der Gemeinde A-Stadt eine konstitutive Wirkung zu. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

35

Bei den Flurstücken G3, G4, G5 und G8 handelt es sich ausschließlich um Fälle i.S.d. Art. 21 Abs. 2 EVertr. In Bezug auf die Flurstücke G3, G4, G5 und G8 erfolgte diese Feststellung zwar erst mit Bescheiden vom 3. Juli 2002 bzw. 22. Juli 2002 und damit nach dem 22. Oktober 1998. Da es sich aber lediglich um Feststellungsbescheide handelt, war ihr Ergehen für die Begründung des Grundeigentums der Gemeinde A-Stadt nicht konstitutiv. Wie bereits dargelegt, stellen sie lediglich die seit dem 3. Oktober 1990 bestehende Eigentumslage fest.

36

Abweichendes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Zuordnung der aus dem Flurstück G6 hervorgegangenen Flurstücke G3, G4 und G5 sowie des Flurstücks G8 auf Grundlage der zwischen der Gemeinde A-Stadt und der Hansestadt Stralsund geschlossenen Zuordnungsvereinbarung vom 19./30. April 2002 beruht (vgl. 2 Abs. 1 Satz 5 VZOG). Soweit in der die Flurstücke G6 und G8 betreffenden Vereinbarung in § 2 von einer „Übertragung“ in das Eigentum der Gemeinde A-Stadt die Rede ist, handelt es sich um eine bloße Falschbezeichnung. Eine Übertragung in dem Sinne, dass das Eigentum von der Hansestadt Stralsund auf die Gemeinde A-Stadt übergehen sollte, war weder gewollt noch erforderlich. Denn in der Vereinbarung wird zugleich festgestellt, dass es sich bei den betroffenen Flächen um Verwaltungs- und Finanzvermögen der Gemeinde handelt, deren Anspruch den Restitutionsanspruch der Hansestadt Stralsund „überlagert“. Damit wird klargestellt, dass der Prätendentenstreit hinsichtlich dieser Flächen dadurch beigelegt wurde, dass die Hansestadt Stralsund ihren konkurrierenden Anspruch aufgab.

37

Nicht anders ist die Rechtslage in Bezug auf das in § 5 der Zuordnungsvereinbarung erfasste spätere Grundstück Flurstück G9. Auch hierbei handelt es sich um einen Fall des Art. 21 Abs. 2 EVertr. Zwar besteht hier die Besonderheit, dass die als Wegefläche genutzte Teilfläche des ursprünglichen Flurstücks G10 zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses rechtlich nicht selbstständig existierte. Die fehlende Selbstständigkeit von Teilflächen eines Vermögensgegenstandes schließt ihre Zuordnung jedoch nicht aus, wenn die Realteilung des Buchgrundstücks ohne gravierende praktische Probleme möglich ist (BVerwG, Urt. v. 07.10.2004 – 3 C 43.03 –, juris Rn. 14 ff.; Urt. v. 27.04.2006 – 3 C 23.05 –, juris; anders noch BVerwG, Beschl. v. 12.12.1995 – 7 B 428.95 –, juris Rn. 3). Dass solche Probleme in Ansehung des Flurstücks G10 bestanden haben, ist nicht erkennbar. Vielmehr haben die Parteien der Zuordnungsvereinbarung mit Blick auf die damalige Rechtsprechung (vgl. VG Berlin, Urt. v. 10.12.1997 – 15 A 20.94 –, RGV O 212) lediglich vereinbart, das Flurstück G10 vor der Zuordnungsentscheidung in selbstständige Teilflächen – die Flurstücke G17 und G9 als Wegeflächen der B.-Straße bzw. der G.-Straße und das Flurstück G18 als sonstige Fläche – aufzuteilen. Daraus folgt aber nicht, dass die Gemeinde A-Stadt erst mit der Entstehung des Flurstücks G9 im Juni 2004 Eigentümerin der Straßenfläche geworden ist. Denn die Zuordnung hätte mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch ohne eine vorherige Realteilung erfolgen können, weil die Gemeinde A-Stadt das Eigentum an der als Wegefläche genutzten Teilfläche unmittelbar nach Art. 21 Abs. 2 EVertr mit dem Wirksamwerden des Beitritts am 3. Oktober 1990 erworben hatte.

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Abweichendes könnte nur gelten, wenn die erst im Jahre 2004 erfolgte Teilung des Grundstücks Flurstück G10 Ausfluss auf die Anzahl der Beitragseinheiten gehabt hätte. Im Erschließungsbeitragsrecht können sachliche Beitragspflichten nur entstehen, wenn neben dem umlagefähigen Aufwand auch die Anzahl der Beitragseinheiten feststeht, auf die dieser Aufwand verteilt wird (vgl. Driehaus, a.a.O., § 19 Rn. 6 m.w.N.). Die Anzahl der Beitragseinheiten hätte am 22. Oktober 1998 nicht festgestanden, wenn die Teilung des Flurstücks G10 die Anzahl der Beitragseinheiten beeinflusst hätte. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn sich durch die Teilung des Grundstücks in nicht bevorteilte Wegeflächen und bevorteilte sonstige Flächen die Summe der bevorteilten Flächen verändert hätte. Dies ist vorliegend jedoch auszuschließen. Die Fläche des ursprünglichen Flurstücks G10 wurde, soweit sie Bestandteil der G.-Straße war, durch die Teilung des Flurstücks nicht verändert. Sie wurde lediglich von der Fläche, die zugleich Bestandteil der B.-Straße und sonstige Fläche war, getrennt. Die Entstehung des Flurstücks G9 hatte damit keine Auswirkung auf die Anzahl der Beitragseinheiten für die Abrechnung der G.-Straße. Der Verlauf der Grenze zwischen dem Straßengrundstück Flurstück G17 und dem sonstigen Grundstück Flurstück G18 kann sich auf die Anzahl der Beitragseinheiten für eine Abrechnung der B.-Straße auswirken. Für die vorliegend allein in Rede stehende Abrechnung der G.-Straße hat dieser Grenzverlauf dagegen keine Bedeutung.

39

Da der Gemeinde A-Stadt – wie der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage erklärte – für die Bildung des Flurstücks G9 auch keine Kosten entstanden sind, stand der umlagefähige Aufwand ebenfalls bereits am 22. Oktober 1998 fest.

40

Die Kammer verkennt nicht, dass der Zeitpunkt der Eigentumsbegründung nach Art. 21 Abs. 2 EVertr im Rahmen der Beitragserhebung zu Rechtsunsicherheiten führen kann, wenn - wie hier die Gemeinde A-Stadt und die Hansestadt Stralsund - mehrere Gemeinden um das Eigentum an einer Straßenfläche konkurrieren. Denn in einem solchen Fall kann sich die Gemeinde bis zum Abschluss des Verfahrens nach dem Vermögenszuordnungsgesetz nicht sicher sein, dass ihre Eigentümerstellung auch bestätigt wird. Es ist aber zu beachten, dass die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht maßgeblich davon abhängt, ob die Herstellungsmerkmale der Erschließungsbeitragssatzung vorliegen.

41

Daran ist die Gemeinde gebunden. Da § 7 Abs. 1 Buchst. a EBS allein auf den Eigentumserwerb abstellt, liegt diese Voraussetzung in den VZOG-Fällen seit dem 3. Oktober 1990 vor. Dies gilt auch dann, wenn ihr Eigentumserwerb nach Art. 21 Abs. 2 EVertr von einem Dritten (erfolglos) bestritten wurde. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit hätte die Gemeinde ohne weiteres dadurch vermeiden können, dass sie die Regelung über die satzungsrechtlichen Herstellungsmerkmale um eine Sonderregelung für die Fälle des Art. 21 Abs. 2 EVertr ergänzt und insoweit auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Zuordnungsverfahrens abgestellt. Dies ist jedoch nicht erfolgt.

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Lagen somit die Voraussetzungen für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht bereits am 22. Oktober 1998 vor, so begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 1998 zu laufen. Sie endet folglich mit Ablauf des Jahres 2003, so dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Ergehens des streitgegenständlichen Bescheides bereits erloschen war. Die Aufhebung der straßenrechtlichen Widmung durch Allgemeinverfügung vom 31. Januar 2003 ändert hieran nichts, denn die einmal entstandene sachliche Beitragspflicht kann nicht durch die nachträgliche Veränderung von anspruchsbegründenden Umständen wieder beseitigt werden (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 10.06.2014 – 5 A 337/13 –, juris Rn. 31 zur Aufhebung der Beitragssatzung nach Entstehung der sachlichen Beitragspflicht).

43

c. Der Beitragsbescheid ist auch dann aufzuheben, wenn man den vorstehenden Ausführungen nicht folgt und mit dem Beklagten davon ausgeht, dass der Eigentumserwerb der Gemeinde A-Stadt erst mit der Entstehung des Flurstücks G9 am 2. Juni 2004 und dem nachfolgenden Zuordnungsbescheid vom 15. Juli 2004 entstanden ist.

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In diesem Fall wäre zwar keine Festsetzungsverjährung eingetreten. Denn zum Zeitpunkt des Vorliegens der Herstellungsmerkmale (Eigentumserwerb an allen Straßenflächen) war die G.-Straße wegen der Anfang 2003 erfolgten Aufhebung der straßenrechtlichen Widmung keine beitragsfähige Erschließungsanlage i.S.d. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB mehr (vgl. Ruff, KStZ 2016, 86 m.w.N.). Die Aufhebung ist zwar rechtswidrig – dazu sogleich – aber wirksam (§ 35 Satz 2 i.V.m. § 43 Abs. 2 Landesverwaltungsverfahrensgesetz [VwVfG M-V]. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Aufhebungsverfügung (§ 44 VwVfG M-V) sind nicht ersichtlich. Die Qualität einer beitragsfähigen Erschließungsanlage erhielt die G.-Straße damit erst wieder durch ihre erneute straßenrechtliche Widmung mit Verfügung vom 12. April 2012, sodass die sachliche Beitragspflicht erst am Tage des Wirksamwerdens der Allgemeinverfügung entstanden ist. Da die übrigen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht an diesem Tage vorlagen – Zweifel an der Wirksamkeit der zu diesem Zeitpunkt Geltung beanspruchenden Satzung der Gemeinde A-Stadt über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen (Erschießungsbeitragssatzung 2001 – EBS 2001) vom 12. Dezember 2001 bestehen entgegen der vom Kläger nicht weiter begründeten Auffassung nicht –, ist die sachliche Beitragspflicht Ende Mai 2012 entstanden. Die Heranziehung des Klägers im Jahre 2013 wäre bei dieser Betrachtungsweise fristgemäß erfolgt.

45

Gleichwohl wäre der Bescheid auch bei dieser Sachlage rechtswidrig, denn die Gemeinde A-Stadt hat ihr Recht zur Beitragserhebung verwirkt. Verwirkung ist ein im Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242) wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (OVG Greifswald, Urt. v. 01.04.2014 – 1 L 142/13 – juris Rn. 57). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

46

Geht man davon aus, eine Beitragserhebung bereits im Jahre 2004 möglich gewesen wäre, wenn die Gemeinde A-Stadt die G.-Straße frühzeitig erneut gewidmet hätte, so lag zwischen diesem Zeitpunkt und dem der Heranziehung des Klägers ein Zeitraum von etwa neun Jahren. Nach der Rechtsprechung des VGH München (Urt. v. 16.04.1984 – 6 B 82 A.1895 –, juris), der sich die Kammer anschließt, kann der Umstand, dass die Gemeinde die Schaffung der Voraussetzungen für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht über einen Zeitraum von acht Jahren verzögert, dazu führen, dass sie das Recht, einen Erschließungsbeitrag zu fordern, verwirkt.

47

Es liegen auch besondere Umstände vor, die die Geltendmachung des Beitragsanspruchs als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Dies ist nach der bereits zitierten Rechtsprechung des OVG Greifswald insbesondere dann der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung).

48

Zwar sind Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Fallkonstellation vorliegend nicht erkennbar. Der Vortrag des Klägers zum Vertrauenstatbestand ist unerheblich. Äußerungen von Gemeindevertretern amtsangehöriger Gemeinden zur Abgabenerhebung können keinen Vertrauenstatbestand begründen, da für die Abgabenerhebung nicht die Gemeinde, sondern das Amt zuständig ist (§ 127 Abs. 2 Kommunalverfassung [KV M-V]). Zur Vertrauensbetätigung fehlt ein Vortrag des Klägers.

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Dennoch geht die Kammer davon aus, dass die streitgegenständliche Beitragserhebung gegen Treu und Glauben verstößt, denn die dargestellten Kriterien sind nicht abschließend („insbesondere“). Die Treuwidrigkeit folgt aus dem Umstand, dass die Gemeinde A-Stadt die Widmungsverfügung vom 3. Juli 1997 durch die Allgemeinverfügung vom 31. Januar 2003 aufgehoben hat, obwohl der in der Beschlussvorlage angegebene Grund – die Rechtswidrigkeit der Widmung wegen des fehlenden Eigentums an allen Straßenflächen – nicht mehr vorlag. Denn abgesehen von dem das Flurstück G10 betreffenden Verfahren waren zum Zeitpunkt der Aufhebung der Widmung alle Zuordnungsverfahren abgeschlossen. Richtig ist zwar, dass die Gemeinde zum Zeitpunkt der Aufhebung der Widmung meinte, nicht Eigentümerin des Flurstücks G10 zu sein, da das diese Fläche betreffende Zuordnungsverfahren erst mit Bescheid vom 15. Juli 2004 abgeschlossen wurde. Dennoch konnte sie nicht davon ausgehen, dass die Widmungsverfügung vom 3. Juli 1997 zum Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch rechtswidrig war, denn die straßenrechtliche Widmung kann nach § 7 Abs. 3 Straßen- und Wegegesetz (StrWG M-V) nicht nur dann erfolgen, wenn die Gemeinde Eigentümerin der Straßenfläche ist, sondern auch dann – auch dies war der Gemeinde ausweislich der Beschlussvorlage bekannt –, wenn der Eigentümer der Fläche der Widmung zustimmt. Einer (vorherigen) Zustimmung steht die „nachträgliche Zustimmung“ gleich (vgl. Sauthoff in: Sauthoff/Witting, StrWG M-V, § 7 Rn. 57). Eine solche „nachträgliche Zustimmung“ lag spätestens seit dem Abschluss der Zuordnungsvereinbarung vom 19./30. April 2002 vor. Denn in dem u.a. das Flurstück G10 betreffenden § 5 der Vereinbarung hatte auch die Hansestadt Stralsund erklärt, dass die „öffentliche Straßenbaulast für die Wegeflächen bei der Gemeinde“ liege. In dieser Erklärung liegt die Genehmigung der Nutzung von der G.-Straße erfassten Teilfläche des Flurstücks G10 als öffentliche Verkehrsfläche. Diese Erklärung wurde auch von der „richtigen“ Person abgegeben, denn die Hansestadt Stralsund war die einzige mit der Gemeinde A-Stadt um das Eigentum an dem Flurstück G10 konkurrierende Prätendentin.

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Konnte somit nicht die Rechtswidrigkeit der Widmung der maßgebliche Grund für ihre Aufhebung sein, so rückt der mit der Aufhebung der Widmung verbundene Wegfall der G.-Straße als beitragsfähige Erschließungsanlage in den Vordergrund. Dies zeigt sich durch das spätere Verhalten der Gemeinde. Nach dem – aus Sicht der Gemeinde – im Jahre 2004 erfolgten Eigentumserwerb am letzten Bestandteil der Straßenfläche hätte es nahe gelegen, die G.-Straße erneut zu widmen und den Erschließungsbeitrag zu erheben. Die für die Beitragserhebung erforderlichen Daten dürften wegen der Erhebung der Vorausleistung größtenteils bereits vorgelegen haben. Dies ist jedoch nicht erfolgt. Stattdessen hat die Gemeinde von einer erneuten Widmung der bautechnisch seit langem fertig gestellten und verkehrlich genutzten Straße bis zum Jahr 2012 abgesehen. Damit ist die Aufhebung der Widmung letztlich nur erfolgt, um eine Beitragserhebung „nach Bedarf“ zu ermöglichen. Zwar mag es aus Sicht der Gemeinde A-Stadt Gründe für diese Vorgehensweise gegeben haben (Bearbeitungsrückstau mit der Folge des Drohens von Festsetzungsverjährungen). Dies rechtfertigt ihre Verhaltensweise jedoch nicht. Die Möglichkeit, die Entstehung sachlicher Beitragspflichten nach Belieben hinauszuschieben, um einer drohenden Festsetzungsverjährung zu entgehen, ist mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbaren. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 05.03.2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris) schützt das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsgleichheit und Belastungsvorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können.

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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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