Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 409/14

Tenor

1. Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird der Vorausleistungsbescheid des Beklagten vom 7. November 2013 – … – in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 26. März 2014 insoweit aufgehoben, als die Festsetzung den Betrag von 3.325,31 EUR übersteigt.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten wegen der Heranziehung zu einer Vorausleistung auf den Straßenbaubeitrag.

2

Der Kläger ist Eigentümer des unbebauten und landwirtschaftlich genutzten Grundstücks G1 mit einer Fläche von 5.468 m². Hiervon liegt eine Teilfläche von 1.400,96 m² im unbeplanten Innenbereich der amtsangehörigen Gemeinde A-Stadt; die Restfläche liegt im Außenbereich.

3

Das Grundstück grenzt mit einem ca. 5,30 m breiten Streifen südlich an die Straße „A.“. Dieser Streifen, der sich in südliche Richtung kontinuierlich verjüngt und am Ende eine Breite von ca. 2,50 m aufweist, ist teilweise mit einem Gebäude überbaut, das sich mit seiner Restfläche auf dem östlich angrenzenden und ebenfalls im Eigentum des Klägers stehenden Grundstück G2 befindet. Auch das Grundstück G2 grenzt an die ausgebaute Verkehrsanlage an.

4

Die Straße „A.“ führt von der Einmündung in den „W.-Weg“ in südöstliche Richtung. Jenseits der Grundstücke des Klägers verschwenkt sie sich und führt in nördliche Richtung, wo sie an der Dorfstraße endet. Westlich des klägerischen Grundstücks zweigt ein ebenfalls „A.“ genannter Stichweg von der Anlage ab. Er weist eine Länge von etwa 90 m auf und endet an einem Feldweg.

5

Der W.-Weg führt in nördliche Richtung durch die Ortslage von A-Stadt. Die in östliche Richtung führende Dorfstraße zweigt vom W.-Weg ab. Die genannten Verkehrsanlagen bilden eine Art Ring um den Ortskern von A-Stadt.

6

Im Zuge einer gemeinsam mit dem Zweckverband Wasserversorgung und Abwasserentsorgung Rügen durchgeführten Baumaßnahme (Wegebau und Regenentwässerung) ließ die Gemeinde A-Stadt die genannten Verkehrsanlagen in einem einheitlichen Zustand (Fahrbahnbefestigung und –breite) ausbauen. Die letzte Unternehmerrechnung liegt der Gemeinde seit Mai 2012 vor. Für die Baumaßnahmen wurden Fördermittel nach der Richtlinie ILERL M-V ausgereicht. Das Ergebnis der Verwendungsprüfung für die ausgereichten Fördermittel liegt noch nicht vor.

7

Mit Vorausleistungsbescheid vom 7. November 2013 zog der Beklagte den Kläger zu einer Vorausleistung auf den Ausbaubeitrag i.H.v. 3.417,67 EUR heran. Der Berechnung wurde der Aufwand für alle Verkehrsanlagen abzüglich der ausgereichten Fördermittel und die (gewichteten) Flächen aller von den Anlagen erschlossenen Grundstücke zugrunde gelegt. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. März 2014 – zugestellt am 1. April 2014 – zurück.

8

Am 30. April 2014 hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben. Er ist der Auffassung, sein Grundstück werde durch die Nutzung als Grünland von der Baumaßnahme nicht bevorteilt. Zudem grenze es nur in einer Breite von 2 m an die ausgebaute Anlage an.

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Der Kläger beantragt,

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den Vorausleistungsbescheid des Beklagten vom 7. November 2013 – 6405/13600014 – in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 26. März 2014 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Auffassung, die Heranziehung des Klägers sei rechtmäßig. Die Zusammenfassung der Verkehrsanlagen „A.“, „W.-Weg“ und „Dorfstraße“ sei mit Blick auf die beabsichtigte Zusammenfassung zu einer Abrechnungseinheit zulässig.

14

Mit Schriftsätzen vom 15. August 2016 und 16. März 2017 legte der Beklagte eine Neuberechnung der Vorausleistung vor, die nur den Aufwand für die Straße „ A.“ von der Einmündung in den W.-Weg bis zur Einmündung in die Dorfstraße einschließlich des nach Süden führenden Stichweges und nur die von dieser Verkehrsanlage erschlossenen Grundstücke berücksichtigt. Danach ergibt sich eine Vorausleistung i.H.v. 3.325,31 EUR.

15

Mit Beschluss vom 12. April 2017 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

16

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

17

Die Klage kann ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu mit Schriftsätzen vom 10. Juni 2014 bzw. vom 12. Juni 2014 ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).

II.

18

Die zulässige Klage ist zum weit überwiegenden Teil unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit die Festsetzung der Vorausleistung den Betrag von 3.325,31 EUR übersteigt. Im Übrigen ist der Bescheid dagegen nicht zu beanstanden.

19

Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung der Gemeinde A-Stadt über die Erhebung von Beiträgen für den Ausbau von Straßen, Wegen und Plätzen (Straßenausbaubeitragssatzung – SABS) vom 4. Dezember 2001.

20

Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung werden vom Kläger nicht geltend gemacht. Sie drängen sich auch nicht auf. Insbesondere bestehen gegenwärtig keine Anhaltspunkte dafür, dass die in § 5 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 SABS normierte Tiefenbegrenzung nicht den Maßgaben der Rechtsprechung des OVG Greifswald (zuletzt: Urt. v. 20.09.2016 – 1 K 19/12 –, juris Rn. 40 ff. [Anschlussbeitrag]) entspricht. Dieser Frage wird ggfs. erst im Zusammenhang mit der Erhebung des endgültigen Beitrags nachzugehen sein.

21

Die Rechtsanwendung durch den Beklagten ist nur insoweit zum Nachteil des Klägers fehlerhaft, als die Verkehrsanlagen „A.“, „W.-Weg“ und „Dorfstraße“ für die Ermittlung der Vorausleistung zusammengefasst werden.

22

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: § 7 Satz 1 SABS sieht die Erhebung einer angemessenen Vorausleistung vor, sobald mit der Durchführung der Maßnahme begonnen worden ist. Die Vorausleistung ist ihrem Wesen nach ein Vorschuss auf den Ausgleich eines später mit der Herstellung der beitragsfähigen Anlage vermittelten Sondervorteils. Ihre Erhebung setzt nicht das Vorliegen eines bereits voll ausgebildeten Sondervorteils voraus, so dass es ausreicht, dass der Sondervorteil so entstehen kann, wie bei der Ermittlung der angenommen. Daraus folgt, dass die Ermittlung der Vorausleistung grundsätzlich nach denselben Kriterien zu erfolgen hat, wie die Ermittlung des endgültigen Beitrags. So ist bei der Aufwandsermittlung (vgl. § SABS) und -verteilung (vgl. § 4 Abs. 1 SABS) der Anlagenbegriff zu berücksichtigen. Der umlagefähige Aufwand ist für die jede selbstständige Anlage i.S.d. sog. natürlichen Betrachtungsweise gesondert zu ermitteln und (nur) auf die von dieser Anlage erschlossenen Grundstücke zu verteilen.

23

Allerdings dürfen künftige Verfahrensschritte, die sich auf die Entstehung des Sondervorteils auswirken, vorweggenommen werden. So dürfen die Ermittlung des beitragsfähigen Aufwandes und die Bildung des Abrechnungsgebietes bei der Erhebung einer Vorausleistung unter Berücksichtigung eines „gedachten“ Abschnittsbildungsbeschlusses i.S.d. § 8 Abs. 4 KAG M-V auf den künftigen Abrechnungsabschnitt beschränkt werden, wenn eine Abschnittsbildung an der betreffenden Stelle zulässig ist (VG Greifswald, Beschl. v. 15.12.2004 – 3 B 361/04 –). Vorliegend ist der Beklagte den „umgekehrten“ Weg gegangen und hat die Vorausleistung unter Berücksichtigung einer noch von der Gemeinde zu beschließenden Abrechnungseinheit ermittelt, die aus (mindestens) drei selbstständigen Anlagen i.S.d. natürlichen Betrachtungsweise besteht.

24

Dies ist unzulässig. Zwar sieht § 4 Abs. 2 zweiter Halbsatz SABS die Bildung von Abrechnungseinheiten vor. Allerdings ist die Regelung wegen einer fehlenden Rechtsgrundlage unwirksam sein (vgl. VGH Kassel, Beschl. v. 21.12.2006 – 5 TG 2329/06 –, KStZ 2007, 113; Urt. v. 10.10.1984 – V OE 101/82 –; a.A.: OVG Greifswald, Beschl. v. 23.04.1997 - 6 M 114/96, S. 3 des Entscheidungsumdrucks; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Auflage 2012, § 30 Rn. 44 unter Hinweis auf OVG Lüneburg, Urt. v . 18.03.1986 – 9 A 237/82 – bzw. OVG Münster, Beschl. v. 04.02.1985 – 2 B 499/84 –). Das Kommunalabgabengesetz kennt zwar die Bildung von Abrechnungsabschnitten (vgl. § 8 Abs. 4 KAG M-V), nicht aber eine dem § 130 Abs. 2 Satz 3 Baugesetzbuch (BauGB) entsprechende Bestimmung zur Bildung von Abrechnungseinheiten. Es bedarf nicht nur in Ansehung der Bildung von Abrechnungsabschnitten, sondern auch in Ansehung der Bildung von Abrechnungseinheiten einer gesetzgeberischen Entscheidung. Denn die Bildung einer Abrechnungseinheit führt gegenüber der vom Kommunalabgabengesetz als Regelfall vorgesehenen Einzelabrechnung zu einer Verschiebung der Beitragslasten. Im Erschließungsbeitragsrecht dient die Bildung einer Erschließungseinheit der Entlastung der Anlieger der aufwändigeren und deshalb teureren Hauptstraße (BVerwG, Urt. v. 12.05.2016 – 9 C 11.15 –, juris Rn. 20; Urt. v. 10.06.2009 – 9 C 2.08 –, juris Rn. 26). Weil im Erschließungsbeitragsrecht ebenso wie im Straßenausbaubeitragsrecht eine feststehende Kostenlast verteilt wird, geht mit der genannten Entlastung eine Belastung der Anlieger der weniger aufwändigen und deshalb billigeren Nebenstraßen einher. Führt aber die Bildung einer Abrechnungseinheit zu einer Erhöhung der Beitragslast, so ist sie "wesentlich" im Sinne der Wesentlichkeitstheorie und bedarf der gesetzgeberischen Entscheidung.

25

Ein gesetzgeberischer Entscheidungsbedarf besteht auch noch aus einem weiteren Grund: Es ist nämlich zu klären, ob Grundstücke, die an mehrere der zusammengefassten Anlagen angrenzen, bei der Bildung einer Abrechnungseinheit trotz ihres Angrenzens an mehrere Verkehrsanlagen wie im Erschließungsbeitragsrecht (vgl. § 131 Abs. 1 Satz 2 BauGB) nur einmal berücksichtigt werden sollen. Dies wirkt sich auf die Ermittlung der Anzahl der auf die jeweiligen Grundstücke entfallenden Beitragseinheiten aus. Die Eigentümer der Grundstücke, die an mehrere der zusammengefassten Anlagen angrenzen, werden entlastet, die Eigentümer der übrigen in den Vorteilsausgleich einzubeziehenden Grundstücke werden dagegen belastet.

26

Hiergegen wird allerdings eingewandt, die oben zitierte Rechtsprechung des OVG Mecklenburg-Vorpommern, wonach die Bildung von Abrechnungseinheiten auch ohne ausdrückliche landesgesetzgeberische Ermächtigung zulässig sei, weil § 8 KAG (a.F.) keine gegenteilige Regelung enthalte und im Übrigen der erschließungsbeitragsrechtliche Anlagenbegriff gelte, sei im Gesetzgebungsverfahren zur KAG-Novelle 2005 bekannt gewesen und daher vom Gesetzgeber in seinen Willen aufgenommen worden (Holz in: Aussprung/Siemers/ders., KAG M-V, Stand 07/2013, § 8 Anm. 1.1.3.4). Dieser Einwand greift aber zu kurz, denn in der Entscheidung wird lediglich die Frage der Zulässigkeit der Zusammenfassung mehrerer selbständiger Anlagen unter dem Gesichtspunkt eines funktionalen Abhängigkeitsverhältnisses geklärt, während offen bleibt, ob die Bildung von Abrechnungseinheiten nur die Frage der Aufwandsermittlung betrifft oder ob sie sich auch auf die Aufwandsverteilung auswirkt. Damit ist auch offen, welchen Regelungsgehalt der Landesgesetzgeber im Rahmen der KAG-Novelle 2005 in seinen Willen aufgenommen hat. Besonders deutlich wird dieses Problem bei der bereits angesprochenen Frage der Behandlung von Grundstücken, die an mehrere der zusammengefassten Anlagen angrenzen. Die Regelung des § 131 Abs. 1 Satz 2 BauGB ist eine Reaktion des Bundesgesetzgebers auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 131 Abs. 1 BBauG (nunmehr § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB), wonach bei der Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwandes für zwei einzelne Anbaustraßen eine zweifache Berücksichtigung von so genannten Eckgrundstücken unabhängig davon geboten ist, ob die Gemeinde den Erschließungsaufwand gemäß § 130 Abs. 2 Satz 1 BBauG bzw. BauGB trennt oder gemäß § 130 Abs. 2 Satz 2 BBauG (nunmehr § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB) gemeinsam ermittelt (BVerwG, Urt. v. 09.12.1983 – 8 C 112.82 –, juris Rn. 28). Der Bundesgesetzgeber hat sich mit der Regelung des § 131 Abs. 1 Satz 2 BauGB im Rahmen seiner Zuständigkeit dafür entschieden, dass die sich die Bildung einer Erschließungseinheit auch auf die Aufwandsverteilung auswirkt; für das Straßenausbaubeitragsrecht steht eine Entscheidung des Landesgesetzgebers zu dieser Frage noch aus.

27

Auf die Frage der funktionalen Abhängigkeit des „ W.-Weges“ und der „Dorfstraße“ von der Straße „A.“ kommt es daher nicht an.

28

Da die Bildung einer Abrechnungseinheit somit aus Rechtsgründen ausscheidet, hat die Aufwandsermittlung und -verteilung auch für die Erhebung einer Vorausleistung anlagebezogen zu erfolgen. Nach der vom Beklagten nunmehr vorgelegten Neuberechnung vermindert sich die Vorausleistung bei einer anlagebezogenen Abrechnung für das klägerische Grundstück um 92,36 EUR auf 3.325,31 EUR.

29

Die Neuberechnung ist nicht zu beanstanden. Sie hält der mangels substantiierter Rügen nur erforderlichen Plausibilitätskontrolle stand. Zwar weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass die der Neuberechnung zugrunde liegende Annahme, wonach die beitragsfähige Anlage „A.“ am Knoten „W.-Weg“ beginnt, dem Gerichtsschreiben vom 3. Mai 2015 widerspricht. Denn in dem Schreiben klingt die Auffassung an, dass die Anlage bereits an der Einmündung in die Kreisstraße beginnt. Diese Abweichung führt jedoch nicht zur Fehlerhaftigkeit der Neuberechnung. Bei dem Gerichtsschreiben handelt es sich in Bezug auf Definition der beitragsfähigen Anlage ersichtlich nur um eine vorläufige Einschätzung durch das Gericht, an der nicht mehr festgehalten wird. Aufgrund er vom Beklagten vorgelegten Unterlagen – wie insbesondere den Lichtbildern Bl. 44 des Verwaltungsvorgangs – und den im Internet (www.gaia-mv.de) einsehbaren maßstabsgenauen Überfliegungsfotos (zur Zulässigkeit einer lediglich auf Flurkarten und Lichtbilder gestützten Einstufung vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.12.2008 – 4 BN 26.08 –, juris Rn. 3) ist davon auszugehen, dass die beitragsfähige Verkehrsanlage „ A.“ erst im Bereich des Knotens „ W.-Weg“ beginnt. Denn es drängt sich der Eindruck auf, dass die Verkehrsanlage „ A.“ in den in nördliche Richtung führenden W.-Weg einmündet. Die Annahme des Beklagten, dass die Verkehrsanlage an der Einmündung in die „Dorfstraße“ endet, wird vom Kläger ebenso wenig angegriffen, wie die Annahme, dass der in südliche Richtung führende Stichweg Bestandteil der Verkehrsanlage ist. Fehler drängen sich insoweit auch nicht auf.

30

Die Einbeziehung des klägerischen Grundstücks in den Vorteilsausgleich begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Das Grundstück grenzt an die ausgebaute Anlage an, so dass ihm die von § 4 Abs. 1 SABS vorausgesetzte qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit geboten wird.

31

Unschädlich ist, dass es nur in einer Breite von 5,40 m an die Straße angrenzt, dass sich dieser Streifen auf eine Breite von 2,50 m verjüngt und zudem auch noch teilweise bebaut ist. Zwar schließt dies ein (durchgängiges) Befahren des Grundstücks von der ausgebauten Verkehrsanlage aus. Nicht ausgeschlossen ist aber eine fußläufige Erreichbarkeit des Grundstücks. Dies ist für das Entstehen einer Vorteilslage ausreichend. Der Umstand, dass das Grundstück von der Anlage nicht mit landwirtschaftlichem Gerät herauffahren kann, führt nicht dazu, dass es aus dem Vorteilsausgleich ausscheidet. Dem Straßenausbaubeitragsrecht ist eine Koppelung zwischen der Qualität der Erreichbarkeit des Grundstücks und dessen baulicher Ausnutzbarkeit fremd. Im Rechtsbereich der Beitragserhebung für eine vorhandene, lediglich erneuerte oder verbesserte Ortsstraße reicht es zur Annahme eines auszugleichenden Sondervorteils aus, dass die Straße in qualifizierter Weise, nämlich vom eigenen Grundstück aus, in Anspruch genommen werden und das Grundstück in einer Weise genutzt werden kann, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, von der Ortsstraße Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann. Auf die Frage, ob die ausgebaute Anlage das Grundstück im baurechtlichen Sinne erschließt, kommt es dagegen nicht an (VGH München, Urt. v. 30.10.2007 – 6 BV 04.2189 – juris; VG Greifswald, Beschl. v. 13.01.2010 – 3 B 1734/09 –, juris). Ausreichend für die Annahme eines Vorteils in diesem Sinne ist grundsätzlich die fußläufige Erreichbarkeit der betreffenden Straße von dem bevorteilten Grundstück aus, die nicht durch ein nicht ausräumbares tatsächliches oder rechtliches Hindernis ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Das Grundstück des Klägers reicht an die abgerechnete Einrichtung heran, ist also ein Anliegergrundstück. Es kann in beitragsrechtlich sinnvoller Weise landwirtschaftlich genutzt und von der ausgebauten Straße aus (fußläufig) erreicht werden. In der verbesserten Erreichbarkeit des Grundstücks liegt der abzuschöpfende Vorteil des Klägers. Auch eine landwirtschaftliche Nutzung beinhaltet nicht nur ein Befahren, sondern auch ein Betreten des Grundstücks (VG Greifswald, Urt. v. 31.01.2014 – 3 A 1640/12 –, juris Rn. 17).

32

Die fußläufige Erreichbarkeit ist nicht durch das auf dem Zuwegungsstreifen befindliche Gebäude ausgeschlossen – gegenteiliges wird auch vom Kläger nicht behauptet –, so dass sich die Frage, ob der auf dem Grundstück befindliche Gebäudeteil ein beachtliches Hindernis darstellt, nicht stellt.

33

Zudem sei darauf hingewiesen, dass das Grundstück auch dann in den Vorteilsausgleich aufzunehmen ist, wenn man mit Blick auf den Überbau von einer fehlenden fußläufigen Erreichbarkeit unmittelbar von der ausgebauten Anlage ausgeht. Denn in diesem Fall ist das Grundstück als sog. Hinterliegergrundstück in den Vorteilsausgleich aufzunehmen. Es grenzt auf das ebenfalls im Eigentum des Klägers stehende Grundstück G2, das selbst an die Straße „A.“ angrenzt. Eine (fußläufige) Erreichbarkeit der ausgebauten Anlage ist über dieses Grundstück gegeben. Die Eigentümeridentität allein reicht vorliegend für die Einbeziehung aus, denn bei dem Grundstück G1 handelt es sich – bei Unterstellung einer fehlenden fußläufigen Erreichbarkeit von der nördlich verlaufenden Teilstrecke der Straße „A.“ – um ein sog. gefangenes Hinterliegergrundstück, das über keine weitere Anbindung an das öffentliche Wegenetz verfügt. Ungeachtet dessen ist davon auszugehen, dass bei den Grundstücken G1 und G2 bereits wegen des Überbaus eine einheitliche wirtschaftliche Nutzung von Hinterlieger- und Anliegergrundstück vorliegt, was auch eine Einbeziehung sog. nicht gefangener Hinterliegergrundstücke in den Vorteilsausgleich erlauben würde (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 05.11.2014 – 1 L 81/13 und 1 L 220/13 –, juris).

34

Unbeachtlich ist der Einwand des Klägers, dass das Grundstück sei nicht bevorteilt, weil es landwirtschaftlich genutzt werde. Der straßenbaubeitragsrechtliche Vorteil liegt in der Verbesserung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Es kommt daher im Straßenausbaubeitragsrecht – anders als im Erschließungsbeitragsrecht – für die Annahme eines beitragsrelevanten Vorteils nicht auf eine bestimmte Grundstücksnutzung an. Die Art der Grundstücksnutzung bzw. Nutzungsmöglichkeit wirkt sich erst bei der Bemessung des beitragsrelevanten Vorteils aus. Demgemäß hat der Beklagte die diesseits der satzungsrechtlichen Tiefenbegrenzung gelegene Teilfläche des Grundstücks als Bauland (Faktor 1) und die jenseits der Tiefenbegrenzungslinie gelegene Teilfläche als unbebaute Außenbereichsfläche (Faktor 0,05) bewertet. Dies entspricht den Maßgaben des § 5 Abs. 2 Nr. 3 SABS. Irrelevant ist, dass das das Grundstück wegen seiner Einbindung in eine großflächige landwirtschaftliche Nutzung nicht über die Straße „ A.“ angefahren wird. Denn vorteilsbegründend ist nach § 4 Abs. 1 SABS bereits die Möglichkeit der Inanspruchnahme. Auf eine tatsächliche Inanspruchnahme kommt es nicht an.

35

Schließlich ist die Heranziehung des Klägers ist nicht zu beanstanden. Nach § 7 Abs. 4 Satz 1 KAG M-V i.V.m. § 7 Satz 1 SABS können auf die künftige Beitragsschuld angemessene Vorausleistungen erhoben werden, sobald mit der Durchführung der Maßnahme begonnen worden ist. Die Vorausleistung darf nicht mehr verlangt werden, wenn die Beitragsschuld nicht mehr „künftig“, sondern „aktuell“ ist. „Aktuell“ ist die Beitragsschuld aber erst, sobald die sachliche Beitragspflicht entstanden ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Für die Durchführung des Bauvorhabens sind Fördermittel ausgereicht worden, die – weil sie von den Gesamtkosten der Maßnahme abgezogen worden sind – auch den Beitragspflichtigen zugutekommen. Die Prüfung des Verwendungsnachweises für die ausgereichten Fördermittel war jedenfalls zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Widerspruchsverfahrens (VG Greifswald, Urt. v. 26.07.2012 – 3 A 229/09 –, juris Rn. 19) nicht abgeschlossen. Damit standen zu diesem Zeitpunkt die umlagefähigen Kosten der Baumaßnahme nicht fest (vgl. § 9 SABS).

36

Auch gegen die Höhe der Vorausleistung (100 v.H. des endgültigen Beitrags) ist nicht zu erinnern. Sie berücksichtigt den Umstand, dass der Straßenausbau technisch abgeschlossen ist und die Anlage in vollem Umfang benutzt werden kann.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Berufung ist wegen der Abweichung von OVG Greifswald, Beschl. v. 23.04.1997 – 6 M 114/96 – S. 3 des Entscheidungsumdrucks zuzulassen.

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