Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 247/16 As HGW
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 v. H. der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Kläger zu 1 bis 4 sind afghanische Staatsangehörige und stammen aus Herat. Die Kläger zu 1 und 2 sind die Eltern der Kläger zu 3 und 4. Sie reisten am 12.08.2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 20.08.2009 Asylanträge.
- 2
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte am 09.10.2009 den Antrag der Kläger zu 1 bis 4 als unzulässig ab und ordnete deren Abschiebung nach Italien an. Zur Begründung gab die Beklagte an, dass die Asylanträge nach § 27 a AsylVfG unzulässig seien, da Italien auf Grund der dort bereits gestellten Asylanträge nach Art. 16 Abs. 1 e Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Die Anordnung der Abschiebung wurde auf § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützt.
- 3
Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage stellte das Verwaltungsgericht Schwerin mit Beschluss vom 31.03.2011 (5 A 1549/09 As) unanfechtbar ein.
- 4
Am 09.04.2013 stellten die Kläger zu 1 bis 4 einen Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens (Folgeantrag), der damit begründet wurde, dass es ihnen nicht möglich gewesen sei, in Italien Fuß zu fassen. Man habe ihnen dort keine Unterkunft zur Verfügung gestellt, sie seien auf sich allein angewiesen gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 hätten trotz ihrer Arbeit ihre Familie nicht ernähren können.
- 5
Am 08.07.2014, zugestellt am 11.07.2014, erließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber den Klägern zu 1 bis 4 folgende Entscheidung:
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1. Die erneuten Anträge auf Durchführung von Asylverfahren werden abgelehnt.
2. Die Ausländer werden aufgefordert, die Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Sollten die Antragsteller diese Frist nicht einhalten, werden sie nach Italien abgeschoben.
- 7
Die Beklagte begründete dies damit, dass ein weiteres Asylverfahren nach § 71 Abs. 1 Asylgesetz nur durchzuführen sei, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Verwaltungsverfahrensgesetz vorlägen. Eine Änderung des Sachverhalts läge für die Antragsteller nicht vor, da sie – wie schon im Ausgangsverfahren – keinen Anspruch auf die Durchführung eines Asylverfahrens in Deutschland hätten. Für den Antragsteller zu 1 sei in Italien der Flüchtlingsstatus festgestellt worden. Für die Familienangehörigen ergäbe sich daraus ein Anspruch auf einen Aufenthaltstitel nach europäischem Recht. Auch lägen die Voraussetzungen für die nunmehrige Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nicht vor.
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Die Kläger zu 1 bis 4 haben am 21.07.2014 Klage erhoben. Zur Begründung geben sie an, dass ihnen in Italien jegliche Unterkunft und Versorgung verweigert worden sein soll. Die Familie habe auf der Straße leben müssen. Sie verweisen vollumfänglich auf die schriftliche Stellungnahme gegenüber der Beklagten.
- 9
Die Klägerin zu 5, Kind der Kläger zu 1 und 2, wurde am 14.04.2014 in der Bundesrepublik Deutschland geboren.
- 10
Am 20.04.2015, zugestellt am 22.04.2015, erließ das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gegenüber der Klägerin zu 5 folgende Entscheidung:
- 11
1. Der Antrag wird als unzulässig abgelehnt.
2. Die Abschiebung nach Italien wird angeordnet.
- 12
Die Beklagte begründete diese Entscheidung damit, dass für die Klägerin zu 5 der Antrag gemäß § 14 a Abs. 2, 2. Alt. AsylVfG als am 07.05.2014 gestellt gelte, da sie im Bundesgebiet geboren sei und ihre Geburt dem Bundesamt unverzüglich angezeigt worden sei. Die Klägerin zu 5 könne aufgrund des ihren Eltern in Italien gewährten internationalen Schutzes keine Schutzgewährung verlangen, da für die Schutzgewährung Italien zuständig sei.
- 13
Die Klägerin zu 5 hat am 04.05.2015 Klage erhoben. Sie bestreitet, dass ihre gesetzlichen Vertreter in Italien der Flüchtlingsstatus anerkannt worden sei. Außerdem bestünden wegen des Vorliegens außergewöhnlicher humanitärer Gründe Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung. Es bestünden systemische Mängel in Italien.
- 14
In der mündlichen Verhandlung am 04.05 2017 ergänzten die Kläger ihren Vortrag. Sie trugen vor, dass sie in Italien weder bei der Polizei oder der Caritas, noch beim Jugendamt hätte Hilfe bekommen. Es seien ihnen italienische Reisepässe ausgehändigt worden. Man hätte ihnen mitgeteilt, dass sie sich in Italien frei bewegen könnten. Zwei Wochen hätten sie in einem Park übernachten müssen. Nur mit der Hilfe eines Freundes hätten sie eine Wohnung bekommen, weil dieser für sie gebürgt hätte. Mit dem verdienten Geld hätten sie ihren Lebensunterhalt nicht aufbringen können. Da sie das Essensgeld für die Kinder in der Schule nicht hätten zahlen können, hätten die Lehrer die Kinder zur Mittagszeit nach Hause geschickt, obwohl es sich um Ganztagsschulen handelte. Auch das Geld für die Bücher der Kinder hätten sie nicht aufbringen können. Sie hätten immer nur befristete Arbeitsverträge über einige Monate bekommen und anfangs dafür ohne Geld arbeiten müssen. Der eigentliche Grund für die Ausreise aus Italien sei der Rauswurf der Kinder aus der Schule gewesen.
- 15
Die Kläger zu 1 bis 4 beantragen,
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den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 08.07.2014 – – 423 – aufzuheben.
- 17
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
- 18
die Klage abzuweisen.
- 19
Die Beklagte bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
- 20
Die Klägerin zu 5 beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 20.04.2015 – -423 – aufzuheben.
- 22
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
- 23
die Klage abzuweisen.
- 24
Die Beklagte bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung. Sie verweist auf den Flüchtlingsstatus der Eltern der Klägerin in Italien, Bl. 87 bis 91 der diesbezüglichen Verwaltungsvorgänge.
- 25
Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 02.09.2015 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.
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Mit Beschluss vom 17.01.2017 hat das Gericht das Verfahren der Kläger zu 1 bis 4 – 3 A 247/16 As – und das Verfahren der Klägerin zu 5 – 3 A 248/16 As – zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
- 27
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten dieses Verfahrens sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten, auf die mit der Ladung übersandte Erkenntnisquellenliste des Gerichts zum Herkunftsland Afghanistan sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 04.05.2017 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
- 28
Das Gericht konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Beklagte nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist. Darauf war sie in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).
II.
1.
- 29
Die Klage der Kläger zu 1 bis 4 ist als Anfechtungsklage zulässig, aber unbegründet.
- 30
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris) ist die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Asylgesetz - AsylG nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes mit der Anfechtungsklage zu verfolgen, da sie sich der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG darstelle. Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51). Hierzu zählt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nunmehr auch der – materiell-rechtlich unverändert geregelte - Fall, dass im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Das Bundesverwaltungsgericht führt hierzu aus (aaO, Rn. 15 f.):
- 31
Jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt, ebenso wie die hier noch ergangene - gleichbedeutende - Ablehnung der Durchführung eines weiteres Asylverfahrens, einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar (vgl. zur bisherigen Rechtslage Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand Dezember 2016, § 71a Rn. 39). Sie verschlechtert die Rechtsstellung der Kläger, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass ihr Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt und darüber hinaus auch im Falle eines weiteren Asylantrags abgeschnitten wird, weil ein Folgeantrag, um den es sich gemäß § 71a Abs. 5 i.V.m. § 71 AsylG handeln würde, nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu einem weiteren Asylverfahren führen kann. Ferner erlischt mit der nach § 71a Abs. 4 i.V.m. §§ 34, 36 Abs. 1 und 3 AsylG regelmäßig zu erlassenden, sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung auch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Der Asylsuchende muss die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt wird, erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 12). Die Anfechtungsklage ist nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das von den Klägern endgültig verfolgte Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag eine Verpflichtung der Gerichte zum "Durchentscheiden" angenommen und dementsprechend die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageart betrachtet worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 <172 ff.>), hält der Senat daran mit Blick auf die Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts nicht mehr fest.
- 32
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 08.07.2014 ist rechtmäßig.
- 33
Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens liegen nach § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nicht vor. Nach § 71 Abs. 1 AsylG ist in Fällen, in denen der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag, sog. Asylfolgeantrag, stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn sich die der Asylablehnung zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs.1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1. Nr. 2 VwVfG), oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Nach Absatz 2 dieser Vorschrift ist der Antrag allerdings nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen. Nach Absatz 3 muss der Antrag binnen drei Monaten gestellt werden.
a)
- 34
Die Kläger zu 1 bis 4 können sich nicht auf einen der oben genannten Wiederaufgreifensgründe berufen. Eine Änderung der Sach- oder Rechtslage im oben genannten Sinne hat nicht stattgefunden. Die Kläger zu 1 bis 4 berufen sich auf die Versorgungslage in Italien und auf das Vorliegen systemischer Mängel. Die Versorgungslage in Italien hat sich für die Kläger zu 1 bis 4 in der Zwischenzeit seit Erlass des Ausgangsbescheides für sie im Hinblick auf ihr Begehren nicht in einer begünstigenden Art und Weise verändert; sie ändert im Übrigen auch nichts an der fehlenden Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für ihr Asylbegehren. Zumindest der Kläger zu 1 ist als Flüchtling in Italien anerkannt worden, die Familienangehörigen haben ein Recht auf Familiennachzug. Aus diesem Grunde waren die Asylanträge im Ausgangsbescheid als unzulässig abgelehnt worden. Eine weitergehende Prüfung insbesondere zu der Frage, ob der Kläger im Falle einer Überstellung nach Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden, sehen weder das nationale noch das Unionsrecht als Voraussetzung für die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig vor. Ungeachtet dessen, wie die tatsächlichen Verhältnisse für international Schutzberechtigte in Italien sind, hat der Kläger zu 1 als anerkannter Flüchtling keinen Anspruch auf erneute Zuerkennung internationalen Schutzes durch die Beklagte (vgl. OVG NW, Urt. v. 24.08.2016 – 13 A 63/16.A – juris Rn. 41; VG B-Stadt, Urt. v. 22.11.2016 – 16 A 5054/14 – juris Rn. 37).
b)
- 35
Auch hinsichtlich der Kläger zu 2 bis 4 ist weiterhin Italien zuständig aufgrund der dort gestellten Asylanträge. Es liegt keine Änderung der Sach- und Rechtslage im Verhältnis zum Ausgangsbescheid vor. Der Hinweis auf schwierige Lebensverhältnisse kommt nicht zum Tragen. Die Lebensverhältnisse anerkannter Flüchtlinge in Italien stellen sich auch bei aktueller Betrachtung nicht allgemein als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Art. 3 EMRK dar, sie haben ferner Zugang zur medizinischen Versorgung. Flüchtlinge, die anerkannt worden sind, sind italienischen Staatsangehörigen gleichgestellt, d.h., es wird grundsätzlich von ihnen erwartet, dass sie selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt sorgen, sog. Prinzip der Eigenverantwortung (OVG NW, Beschl. v. 24.08.2016 – 13 A 63/16.A – juris Rn. 51 ff. unter Berufung auf Schweizer Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, 5.4.1; Schweizer Flüchtlingshilfe, Auskunft an OVG NW, 7. April 2016, S. 4 ff.; VG Greifswald, Beschl. v. 26.01.2017 – 4 B 96/17 As -; VG Schwerin, Beschl. v. 01.10.2015 – 5 B 2133/15 As SN). Das Oberverwaltungsgericht Münster trifft in seiner genannten Entscheidung ferner folgende Feststellungen, denen sich das Gericht anschließt:
- 36
Dies [die Verpflichtung zur Selbstversorgung] ist nicht menschenrechtswidrig. Art. 3 EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, jedermann in ihrem Hoheitsgebiet mit einer Wohnung zu versorgen. Auch begründet Art. 3 EMRK keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen.
- 37
Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 (M.S.S.) -, EUGRZ 2011, 243, Rn. 249, m. w. N., und Beschluss vom 2. April 2013 - 27725/10 ( Hussein) -, ZAR 2013, 336 f., Rn. 70; OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris, Rn. 119.
- 38
Die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat, reicht ebenfalls nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Art. 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten.
- 39
Dies entspricht im Übrigen auch den Vorgaben der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie), die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass international Schutzberechtigte im Hinblick auf den Zugang zu Sozialhilfeleistungen (Art. 29), medizinischer Versorgung (Art. 30) und Wohnung (Art. 32) nicht anders als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats behandelt werden. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass anerkannte Flüchtlinge - anders als die Staatsangehörigen des Mitgliedstaats - regelmäßig weder über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügen noch auf die Unterstützung von Familienangehörigen zurückgreifen können.
- 40
Italien hat inzwischen die Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU in nationales Recht umgesetzt.
- 41
Vgl. Consiglio Italiano per i Rifugiati (CIR), Asylum Information Database (AIDA), Dezember 2015, S. 9.
- 42
Es ist deshalb davon auszugehen, dass anerkannte Flüchtlinge in Italien in den Genuss der in den Art. 20 bis Art. 35 der Qualifikationsrichtlinie genannten Rechte kommen.
- 43
Die zurückkehrenden Flüchtlinge sind zudem nicht gänzlich sich selbst überlassen. Kehren anerkannte Flüchtlinge aus dem Ausland zurück, können sie sich etwa am Flughafen in Rom von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beraten lassen.
- 44
Vgl. Auswärtiges Amt (AA), Auskunft an OVG NRW, 23. Februar 2016, S. 5; SFH, Auskunft an OVG NRW, 7. April 2016, S. 5; zurückhaltender noch SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, 5.1.
…
- 45
In Italien gibt es kein allgemeines System der Sozialhilfe. Etwaige gemeindliche Unterstützungsleistungen sind an den offiziellen Wohnsitz in der Gemeinde geknüpft.
- 46
Vgl. SFH/Juss-Buss, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011, S. 35.
- 47
Es gibt aber öffentliche Fürsorgeleistungen für gemeldete Flüchtlinge, wenn sie bereit sind, an Maßnahmen zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage, z. B. speziellen beruflichen Lehrgängen, teilzunehmen.
- 48
Vgl. Deutsche Botschaft Rom, Sozialpolitische Informationen Italien, Januar 2012, 4.6.
- 49
Lokale Behörden, Stiftungen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen oder NGOs unterhalten Integrationsprogramme und arbeiten dabei teilweise zusammen.
- 50
Vgl. AA, Auskunft an OVG Sachsen-Anhalt, 21. Januar 2013, 7.3.
- 51
Soweit solche Leistungen nicht greifen oder ausreichen, können Flüchtlinge, wenn sie - wie viele Italiener auch - arbeitslos sind, auf Spenden caritativer Organisationen zurückgreifen.
- 52
Vgl. borderline europe e.V., Gutachten zum Beweisbeschluss des VG Braunschweig vom 28. September 2012, Dezember 2012, 9.2, 10.4.; AA, Auskunft an das OVG NRW vom 23. Februar 2016, S. 5, und an das VG Potsdam vom 26. Februar 2015.
- 53
Der Arbeitsmarkt ist zwar schwierig. Viele Flüchtlinge, insbesondere junge Männer, die mit gleichaltrigen italienischen Arbeitslosen auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren, kommen häufig nur als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft unter.
- 54
Vgl. SFH, Asylverfahren und Aufnahmebedingungen in Italien, Mai 2011, S. 33; SFH, Italien: Aufnahmebedingungen, Oktober 2013, 5.3; SFH, Bewegungsfreiheit in Italien für mittellose Personen mit Schutzstatus, 4. August 2014, S. 5.
- 55
Daraus kann allerdings nicht auf eine Verletzung des Art. 3 EMRK geschlossen werden.
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Bei der Gesundheitsversorgung werden Flüchtlinge in Italien wie italienische Bürger behandelt. Der kostenlose Zugang zur Notfallversorgung steht ihnen immer zur Verfügung.
- 57
Vgl. SFH, Auskunft an OVG NRW, 18. Mai 2016, S. 4; AA, Auskunft an OVG NRW vom 23. Februar 2016, S. 6, und vom 26. Februar 2015 an VG Potsdam; vgl. Deutsche Botschaft Rom, Januar 2012, S. 25 ff.; AA, Auskunft an VG Freiburg, 11. Juli 2012, S. 2; AA, Auskunft an VG Gießen, 15. November 2012, S. 2; borderline, a. a. O., 9.2, 10.4.
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Es obliegt nach alledem dem Kläger zu 1, für seine Familie, die Kläger zu 2 bis 5, zu sorgen. Eine Änderung der Sach- und Rechtslage, die für die Kläger zu 2 bis 4 eine günstigere Entscheidung herbeiführen könnte, liegt nicht vor. Die von den Klägern vorgefundenen, für sie schwierigen Lebensverhältnisse, stellen wie gesehen keine Verletzung des Art. 3 EMRK dar, die eine andere Entscheidung als im Ausgangsbescheid rechtfertigen könnte. Sie spiegeln vielmehr die Lage wieder, die auch italienische Staatsangehörige vorfinden.
2.
- 59
Die Klage der Klägerin zu 5 ist als Anfechtungsklage zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 20.04.2015 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für den Asylantrag der Klägerin zu 5 ist nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern Italien zuständig.
a)
- 60
Rechtsgrundlage ist § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG in der durch das Integrationsgesetz vom 31.07.2016 geänderten Fassung, § 77 VwGO. Danach ist ein Antrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der VO (EU) Nr. 604/13 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31).
- 61
Dass das Bundesamt den angefochtenen Bescheid nicht auf diese Vorschrift gestützt hat (und noch nicht stützen konnte), ist unerheblich. Auch kann offen bleiben, ob und auf welcher gesetzlichen Grundlage die Behörde nach altem Recht ermächtigt war, den Asylantrag abzulehnen. Jedenfalls kann im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung der Bescheid auf der Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 1 a AsylG aufrechterhalten werden. Die Kontrolle schlichter Rechtsanwendung ist auf das Recht zu erstrecken, das geeignet ist, den Spruch des Bescheides zu rechtfertigen (hierzu mit weiteren Nachweisen OVG NW, Urt. v. 24.08.2016 – 13 A 63/16.A – juris Rn. 31ff.).
- 62
Der Vater der Klägerin zu 5, der Kläger zu 1, als gesetzlicher Vertreter, hat in Italien die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG erhalten. Da die Klägerin zu 5 in Deutschland geboren wurde, kann sie nicht selbst die Anerkennung als Flüchtling in Italien erhalten haben. Allerdings ist für minderjährige Kinder wie die Klägerin zu 5, die in einem Mitgliedstaat geboren werden, die Frage der Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags untrennbar mit der Situation ihrer Familienangehörigen, im vorliegenden Fall mit ihren Eltern, verbunden.
- 63
Nach Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO ist für die Zwecke der Dublin-Verordnung die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient (Art. 20 Abs. 3 Satz 1 Dublin III-VO). Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss (Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-VO) (vgl. VG Ansbach, Urt. v. 29.07.2016 – AN 14 K 15.50534 – juris Rn. 22).
- 64
Beide Elternteile der Klägerin zu 5 fallen unter die Definition des Familienangehörigen nach Art. 2 Buchst. g, Spiegelstrich 3 Dublin III-VO. Aus Art. 20 Abs. 3 Dublin III-VO folgt daraus, dass Italien für das Asylverfahren der minderjährigen, im Bundesgebiet geborenen Klägerin zu 5 zuständig und zu ihrer Aufnahme verpflichtet ist (gleich gelagerter Fall siehe auch VG Ansbach, Urt. v. 29.07.2016 – AN 14 K 15.50534 – juris; VG Cottbus, Beschl. v. 11.07.2014 – VG 5 L 190/14.A – juris; VG Meiningen, Beschl. v. 04.12.2014, 5 E 20238/14 Me – juris).
- 65
Die Vorschrift ordnet für das minderjährige Kind eine zuständigkeits- und verfahrensrechtliche Akzessorietät zum Hauptverfahren der Familienangehörigen (ihrer Eltern) an. Ein gesondertes Ersuchen für das Kind ist entbehrlich (Art. 20 Abs. 3 Satz 2 Dublin III-Verordnung), weil schon kein gesondertes Zuständigkeitsverfahren eingeleitet wird.
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Die Wahrung des Familienverbandes mit ihren Eltern dient dem Kindeswohl der Klägerin zu 5.
- 67
Dies steht auch im Einklang mit weiteren europäischen Rechtsvorschriften. Nach Art. 23 der Richtlinie 2011/95/EO (Qualifikationsrichtlinie) tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann. Die Klägerin zu 5 hat in Italien Anspruch auf die in Art. 24-35 der genannten Qualifikationsrichtlinie genannten Leistungen wie etwa Aufenthaltstitel, Sozialhilfe, medizinische Versorgung, Wohnraum und Integrationsmaßnahmen (siehe VG Ansbach; aaO.).
b)
- 68
Die von der Beklagten unter Ziffer 2 erlassene Abschiebungsanordnung beruht auf § 34 a Abs. 1 AsylG in der Fassung des Integrationsgesetzes vom 31.07.2016. Sie ist rechtmäßig. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, wenn der Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nummer 1) abgeschoben werden kann.
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Die Abschiebung kann durchgeführt werden. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich bei der Klägerin zu 5 um ein Kleinkind handelt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17.09.2014 zu § 34 a Abs.1 AsylG, Beschluss vom 17.09.2014, 2 BvR 1795/17, juris Rn. 9 ff., wonach bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen ist, dass die Familie eine sichere Unterkunft erhält, führt hier zu keinem anderen Ergebnis:
- 70
a) Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. November 2004 - 2 M 299/04, juris; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 3. Dezember 2010 - 4 Bs 223/10 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31. Mai 2011 - A 11 S 1523/11 -, InfAuslR 2011, S. 310, dort <311> auch m.w.N. zur a.A.; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 4. Juli 2012 - 2 LB 163/10 -, InfAuslR 2012, S. 383; OVG K-Stadt-Brandenburg, Beschluss vom 1. Februar 2012 - OVG 2 S 6.12 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris; zuletzt VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris).
- 71
Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen (vgl. OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 30. August 2011 - 18 B 1060/11 -, juris, Rn. 4; BayVGH, Beschluss vom 12. März 2014 - 10 CE 14.427 -, juris, Rn. 4; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 25. April 2014 - 2 B 215/14 -, juris, Rn. 7; VG Karlsruhe, Beschluss vom 19. Mai 2014 - A 9 K 3615/13 -, juris, Rn. 4).
- 72
b) Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte unter anderem dann gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert, und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche - außerhalb des Transportvorgangs - eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinn). Das dabei in den Blick zu nehmende Geschehen beginnt regelmäßig bereits mit der Mitteilung einer beabsichtigten Abschiebung gegenüber dem Ausländer. Besondere Bedeutung kommt sodann denjenigen Verfahrensabschnitten zu, in denen der Ausländer dem tatsächlichen Zugriff und damit auch der Obhut staatlicher deutscher Stellen unterliegt. Hierzu gehören das Aufsuchen und Abholen in der Wohnung, das Verbringen zum Abschiebeort sowie eine etwaige Abschiebungshaft ebenso wie der Zeitraum nach Ankunft am Zielort bis zur Übergabe des Ausländers an die Behörden des Zielstaats. In dem genannten Zeitraum haben die zuständigen deutschen Behörden von Amts wegen in jedem Stadium der Abschiebung etwaige Gesundheitsgefahren zu beachten. Diese Gefahren müssen sie entweder durch ein (vorübergehendes) Absehen von der Abschiebung mittels einer Duldung oder aber durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Vollstreckungsverfahrens mittels der notwendigen Vorkehrungen abwehren (vgl. zum Ganzen VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. Februar 2008 - 11 S 2439/07 -, InfAuslR 2008, S. 213 <214> unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 1998 - 2 BvR 185/98 -, InfAuslR 1998, S. 241).
- 73
Die der zuständigen Behörde obliegende Pflicht, gegebenenfalls durch eine entsprechende Gestaltung der Abschiebung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit eine Abschiebung verantwortet werden kann, kann es in Einzelfällen gebieten, dass erforderliche Hilfen rechtzeitig nach der Ankunft im Zielstaat zur Verfügung stehen, wobei der Ausländer regelmäßig auf den dort allgemein üblichen Standard zu verweisen ist (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Juni 2011 - 2 M 38/11 -, InfAuslR 2011, S. 390 <392>).
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c) So liegt es auch im vorliegenden Fall. Bei Rückführungen in sichere Drittstaaten können hiervon betroffene Ausländer - anders als bei der Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen. Bestehen - wie gegenwärtig im Falle Italiens - aufgrund von Berichten international anerkannter Flüchtlingsschutzorganisationen oder des Auswärtigen Amtes belastbare Anhaltspunkte für das Bestehen von Kapazitätsengpässen bei der Unterbringung rückgeführter Ausländer im sicheren Drittstaat, hat die auf deutscher Seite für die Abschiebung zuständige Behörde dem angemessen Rechnung zu tragen.
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Bei Vorliegen einer solchen Auskunftslage hat das zuständige Bundesamt angesichts der hier berührten hochrangigen Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 6 Abs. 1 GG und der bei der Durchführung von Überstellungen allgemein besonders zu beachtenden Gesichtspunkte der Familieneinheit und des Kindeswohls (vgl. etwa Erwägungsgrund 22 und Art. 14 Abs. 1 a) und d) der Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie) jedenfalls bei der Abschiebung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern bis zum Alter von drei Jahren in Abstimmung mit den Behörden des Zielstaats sicherzustellen, dass die Familie bei der Übergabe an diese eine gesicherte Unterkunft erhält, um erhebliche konkrete Gesundheitsgefahren in dem genannten Sinne für diese in besonderem Maße auf ihre Eltern angewiesenen Kinder auszuschließen.
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Die Klägerin zu 5 ist am 14.04.2014 geboren, sie ist nicht mehr als Kleinstkind im Sinne des Bundesverfassungsgerichts anzusehen. Aber unabhängig vom Alter des Kindes handelt es sich bei den Klägern um eine vollständige Familie, deren Eltern die Versorgung und Betreuung der Familie übernehmen können (s.a. VG Schwerin, Beschl. v. 01.10.2015 – 5 B 2133/15 As SN). Insbesondere der aufgrund seines Flüchtlingsstatus einem italienischen Staatsangehörigen gleichgestellte Vater der Familie, der Kläger zu 1, ist verpflichtet, für seine Familie auch ohne ein Sozialsystem, wie es in Deutschland existiert, aufzukommen. Er hat sich in das Italien existierende System - wie auch die Italiener - zu integrieren.
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Der Ansicht, dass Familien mit Kleinkindern ohne individuelle Erklärung der italienischen Behörden hinsichtlich einer angemessenen Unterkunft nicht nach Italien abgeschoben werden können (z.B. VG Magdeburg, Beschl. v. 21.03.2017 – 8 B 139/17 –juris) wird angesichts einer durch diese Auffassung nicht vorgenommenen Differenzierung des Alters der Kinder, der konkreten Familiensituation und nicht zuletzt im Hinblick auf das genannte Prinzip der Eigenverantwortung in Bezug auf zumindest ein Elternteil nicht gefolgt.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b Abs. 1 AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 und § 711 Zivilprozessordnung [ZPO].
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