Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 800/17 HGW

Tenor

1. Die Beitragsbescheide des Beklagten vom 16. März 2015 – Nrn. und – in der Gestalt seiner Widerspruchsbescheide vom 9. März 2017 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Die Kläger sind Eigentümer des gewerblich genutzten Grundstücks G 1(Gewerbegebiet A.), in einer Größe von 4.356 m².

3

Das Grundstück ist aus einer Fläche (Flurstück G 2) hervorgegangen, an der der Kläger zu 2. auf Grundlage eines notariellen Vertrages über die Bestellung eines Erbbaurechts vom 26. Februar 2001 von der Stadt A-Stadt das Erbbaurecht erworben hatte. In § 17 dieses Vertrages (Anliegerbeiträge und Erschließungskosten) heißt es:

4

Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch und einmalige Abgaben nach dem Kommunalabgabengesetz, die bis zum Besitzübergang entstanden sind, trägt der Grundstückseigentümer.

5

Der Grundstückseigentümer versichert, dass unbezahlte Bescheide nicht vorhanden sind.

6

Der Grundeigentümer sichert zu, dass, sollten Bescheide, deren Grundlage Tätigkeiten vor Besitzübergang beinhalten, später ausgestellt werden und noch nicht bezahlt sind, dies von dem Grundstückseigentümer übernommen wird.

7

Der Grundeigentümer versichert, dass keine Erschließungskosten mehr anfallen, da diese alle beglichen worden sind. Sollten Erschließungskosten, den jetzigen Zustand des Vertragsgegenstandes betreffend, anfallen, werden diese von dem Grundstückseigentümer beglichen.

8

Mit notariellem Vertrag vom 12. November 2009 verkaufte die Stadt A-Stadt die von dem Erbbaurechtsvertrag erfasste Fläche an die Kläger. In § 10 des Vertrages heißt es:

9

1. Der Veräußerer trägt die Erschließungsbeiträge nach dem Baugesetzbuch sowie Beiträge nach dem Kommunalabgabengesetz, für die bis heute ein Kostenbescheid zugegangen ist, unabhängig von dessen Bestandskraft. Der Veräußerer erklärt, dass ihm unbezahlte Bescheide nicht vorliegen.

10

Alle ab heute zugegangenen Bescheide hat der Erwerber zu bezahlen. Dem Erwerber ist bekannt, dass diese Bescheide auch Kosten für Baumaßnahmen umfassen können, die bereits in der Vergangenheit abgeschlossen wurden.

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(…)

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3. Der Veräußerer erklärt, dass keine Baumaßnahmen mehr abzurechnen sind.

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In § 17 des Vertrages ist die Aufhebung des durch den Vertrag vom 26. Februar 2001 begründeten Erbbaurechts vereinbart.

14

Das Grundstück ist seit dem Jahre 1996 an die von der Stadt A-Stadt betriebene zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigungsanlage angeschlossen.

15

Mit Bescheiden vom 16. März 2015 zog der Beklagte die Kläger entsprechend ihren Miteigentumsanteilen (30 v.H. bzw. 70 v.H.) zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser) i.H.v. 15.595,12 EUR bzw. 36.380,66 EUR heran. Auf die hiergegen gerichteten Widersprüche der Kläger änderte der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 9. März 2017 – zugestellt am 15. März 2017 – die Festsetzungen und zog beide Kläger unter Abweisung ihrer Rechtsbehelfe im Übrigen zu Anschlussbeiträgen i.H.v. jeweils 51.975,79 EUR heran.

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Am 13. April 2017 haben die Kläger zu den Aktenzeichen 3 A 800/17 und 3 A 801/17 Anfechtungsklagen erhoben, die das Gericht mit Beschluss vom 30. November 2017 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des erstgenannten Verfahrens verbunden hat.

17

Die Kläger sind der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Es fehle bereits an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die Beitragserhebung verstoße gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit, weil das Kommunalabgabengesetz keine wirksame Normierung einer vom Bestehen einer Beitragspflicht unabhängigen Höchstfrist enthalte. Die im Jahre 2016 mit Blick auf die „Verflüchtigungsrechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V eingefügte Frist von 20 Jahren sei offenkundig verfassungswidrig. Auch die Rechtsanwendung sei fehlerhaft. Die Vereinbarungen in § 17 Abs. 4 des Erbbaurechtsvertrages und § 10 des Grundstückskaufvertrages stünden ihrer Heranziehung entgegen.

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Die Kläger beantragen,

19

die Beitragsbescheide des Beklagten vom 16. März 2015 in der Gestalt seiner Widerspruchsbescheide vom 9. März 2017 aufzuheben.

20

Der Beklagte verteidigt die angegriffenen Bescheide und beantragt,

21

die Klage abzuweisen.

22

Mit Beschlüssen vom 30. August 2017 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

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1. Zwar bestehen keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt A-Stadt (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013 i.d.F. der 1. Änderung vom 26. März 2015 (VG Greifswald, Urt. v. 02.11.2017 – 3 A 1058/15 –, juris Rn. 21 ff.), jedoch ist die Rechtsanwendung durch den Beklagten fehlerhaft.

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a. Allerdings ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist nicht bereits mit dem Anschluss des Grundstücks an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage im Jahre 1991, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst auf Grundlage Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 entstanden.

27

Diese Satzung ist die erste wirksame Satzung in diesem Sinne. Die davor Geltung beanspruchenden Satzungen sind unwirksam. Die in der Abwasserbeitragssatzung der Stadt A-Stadt vom 26. August 2010 normierte Tiefenbegrenzung beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet (VG Greifswald, Urt. v. 29.11.2012 – 3 A 678/11 –, S. 5 des Entscheidungsumdrucks). Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Mecklenburg-Vorpommern in dem Urteil vom 14. Dezember 2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an. Die vor der Abwasserbeitragssatzung vom 26. August 2010 Geltung beanspruchenden Satzungen wiesen zudem eine unzulässige Privilegierung sog. altangeschlossener Grundstücke auf. Nach § 2 Abs. 3 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt A-Stadt (Kanalbaubeitragssatzung – KBS 1996) vom 26. März 1996 zahlen Grundstücke, die bereits vor (dem) Inkrafttreten des KAG Mecklenburg-Vorpommern voll an die öffentliche Einrichtung Abwasserbeseitigung angeschlossen waren, zur Abdeckung des Vorteils der verbesserten Reinigung durch die Kläranlage, wenn das Grundstück an die neue Kläranlage angeschlossen ist, den Beitragssatz aus § 4 Abs. 10 c. Diese Vorschrift sieht einen gegenüber dem allgemeinen Schmutzwasserbeitrag abgesenkten „Klärwerksbeitrag“ vor. Die Privilegierung altangeschlossener Grundstücke ist unzulässig. Sie ist vorteilswidrig und verletzt den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

28

b. Jedoch hat der Beklagte sein Recht zur Erhebung von Anschlussbeiträgen verwirkt. Als ein im Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 242 BGB) wurzelnder Vorgang der Rechtsvernichtung bedeutet Verwirkung, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist insbesondere der Fall, wenn der Verpflichtete in Folge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), der Verpflichtete ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde (Vertrauenstatbestand), und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung) (OVG Greifswald, Urt. v. 02.11.2005 – 1 L 105/05 –, juris Rn. 81).Gemessen an diesen Kriterien liegt eine Verwirkung in dem dargestellten Sinne vor.

29

aa. So ist die Vertrauensgrundlage der Verwirkung gegeben. Mit dem Recht der Beitragserhebung ist bei – wie hier – leitungsgebundenen Einrichtungen nicht ein nach Fertigstellung der Anlage bestehender Anspruch (die sachliche Beitragspflicht), sondern – in einem weiteren Sinne – allgemein die Befugnis zur Beitragserhebung gemeint. Die zum Erschließungsbeitragsrecht ergangene gegenteilige Auffassung des VGH Mannheim (Urt. v. 28.02.2002 – 2 S 2327/01 –, juris Rn. 39) ist auf das Anschlussbeitragsrecht nicht übertragbar. Denn im Straßenbau- oder Erschließungsbeitragsrecht kommt es für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht auf die Fertigstellung der Anlage an. Solange die beitragsfähige Verkehrs- oder Erschließungsanlage nicht endgültig hergestellt ist, können sachliche Beitragspflichten nicht entstehen. Dies schließt auch die Verwirkung von Beitragsansprüchen aus. Anders ist die Rechtslage aber im Anschlussbeitragsrecht. Hier spielt die Fertigstellung der Anlage für die Anspruchsentstehung keine Rolle. Vielmehr lässt bereits die Möglichkeit der Inanspruchnahme der noch unfertigen (Gesamt-)Anlage unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V die sachliche Beitragspflicht entstehen. Im Verhältnis zum Straßenbau- und Erschließungsbeitragsrecht ist der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung damit deutlich vorverlagert. Maßgeblich ist neben dem Anschluss bzw. der Schaffung der Anschlussmöglichkeit des betreffenden Baugrundstücks an die Anlage nur der Erlass einer wirksamen Beitragssatzung.

30

Folgte man der in der mündlichen Verhandlung vertretenen abweichenden Auffassung des Beklagten, wonach nur ein entstandener Beitragsanspruch der Verwirkung unterliegen kann, so hätte dies die Folge, dass für die Annahme einer Verwirkung regelmäßig kein Raum ist, weil die ab Entstehung der sachlichen Beitragspflicht laufende Festsetzungsfrist (s.o.) regelmäßig kürzer ist, als die Frist, in der die Vertrauensgrundlage der Verwirkung entsteht (dazu sogleich).

31

Auch die Einführung der von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V berührt die Anforderungen an die Vertrauensgrundlage der Verwirkung nicht. Während nämlich § 12 Abs. 1 Nr. 1 KAG M-V die einfachgesetzliche Ausprägung des rechtsstaatlichen Gebots der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit darstellt, beruht die Verwirkung auf dem Rechtsgedanken aus Treu und Glauben. Beide Institute stehen daher beziehungslos nebeneinander.

32

Vorliegend ist die Vertrauensgrundlage der Verwirkung gegeben, weil die Möglichkeit einer Beitragserhebung im vorliegenden Fall seit dem Anschluss des Grundstücks der Kläger an die zentrale Schmutz- und Niederschlagsanlage – die Grundstücksanschlüsse sind Bestandteil der beitragsfähigen öffentlichen Einrichtung (vgl. § 1 Abs. 3 ABS) – im Jahre 1996 besteht. Dieser Umstand allein ermächtigt zwar noch nicht zur Beitragserhebung. Hinzukommen müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, also die Schaffung eines Kommunalabgabengesetzes und die Zuständigkeit der Gemeinden zur Abwasserbeseitigung (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 15.06.2017 – 3 A 247/13 –, S. 15 des Entscheidungsumdrucks). Diese rechtlichen Voraussetzungen lagen aber ebenfalls vor. Das erste Kommunalabgabengesetz war im Jahre 1991 in Kraft getreten, zum Zeitpunkt der Herstellung der Grundstückanschlüsse galt bereits das Kommunalabgabengesetz 1993. Mit dem Inkrafttreten des Landeswassergesetzes (LWaG) am 1. Dezember 1992 sind die Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern Träger der Abwasserbeseitigungspflicht geworden (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 LWaG). Bezogen auf den Zeitpunkt der Herstellung der Grundstücksanschlüsse lag zwischen der Begründung des Rechts zur Beitragserhebung und der im Jahre 2015 erfolgten tatsächlichen Umsetzung dieses Rechts ein Zeitraum von knapp 19 Jahren, in dem der Beklagte jedenfalls nach außen hin untätig blieb. Selbst wenn man bedenkt, dass in den „Nachwendejahren“ der Erlass wirksamer Beitragssatzungen aus einer Vielzahl von Gründen misslang, was auch den Landesgesetzgeber bewogen hat, diesen Zeitraum bei der Bemessung der Höchstfrist nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V nicht mitzurechnen (vgl. § 12 Abs. 2 Nr. 1 letzter Halbs. KAG M-V), ist auch der bei Abzug dieser Jahre verbleibende Zeitraum von 15 Jahren lang genug, um den Eintritt der Vertrauensgrundlage der Verwirkung anzunehmen. Nach der Rechtsprechung des VGH München (Urt. v. 16.04.1984 – 6 B 82 A.1895 –, juris), der sich das erkennende Gericht anschließt, kann der Umstand, dass die Gemeinde die Schaffung der Voraussetzungen für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht über einen Zeitraum von acht Jahren verzögert, dazu führen, dass sie das Recht, einen Erschließungsbeitrag zu fordern, verwirkt.

33

bb. Auch der Vertrauenstatbestand der Verwirkung ist gegeben. Dies folgt zwar nicht aus den Vereinbarungen in § 17 des Erbbaurechtsvertrages, denn sie sind fehlerhaft und unwirksam. Zwar ist in § 17 Abs. 1 des Erbbaurechtsvertrages vereinbart, dass die Stadt A-Stadt (nur) die Erschließungsbeiträge bzw. Anschlussbeiträge zu tragen, die bis zum Besitzübergang entstanden waren. Hiergegen ist nichts zu erinnern, insbesondere liegt darin kein Beitragsverzicht, denn die Entstehung solcher Ansprüche ist nicht denkbar, weil die Stadt A-Stadt nicht ihr eigener Schuldner sein kann (Konfusionsgedanke). Allerdings ist in § 17 Abs. 3 des Erbbaurechtsvertrages vereinbart, dass die Stadt A-Stadt auch Beiträge trägt, die nach Besitzübergang entstehen, deren Grundlage aber Tätigkeiten vor Besitzübergang sind. Von dieser Vereinbarung sind vor allem Anschlussbeiträge erfasst, da die Investitionen, die mit der Beitragserhebung refinanziert werden, wie z.B. der Klärwerksbau, zu einem erheblichen Teil vor dem Vertragsschluss im Jahre 2001 erfolgt sind. Damit hat die Stadt A-Stadt in der Vereinbarung in § 17 Abs. 3 des Erbbaurechtsvertrages auf die Erhebung von Anschlussbeiträgen verzichtet und so gegen die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V bestehende Beitragserhebungspflicht als gesetzlichem Verbot i.S.d. § 59 Abs. 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG M-V) i.V.m. § 134 BGB verstoßen (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 02.11.2017 – 3 A 1058/15 –, juris Rn. 44 ff.). Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer begründen rechtswidrige Vereinbarungen, bei denen der Beklagte außerhalb seines gesetzlich definierten Entscheidungsspielraums handelt, keinen der Abgabenerhebung entgegen stehenden Vertrauensschutz. Denn die Annahme einer Schutzwürdigkeit würde dazu führen, dass sich der Beklagte entgegen § 59 Abs. 1 VwVfG M-V i.V.m. § 134 BGB bzw. entgegen § 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V an einer unwirksamen Vertragsbestimmung festhalten lassen müsste – ein Ergebnis, das mit der strengen Gesetzesbindung der Verwaltung nicht zu vereinbaren wäre (VG Greifswald, Urt. v. 24.08.2017 – 3 A 847/14 –, n.v., S. 9 des Entscheidungsumdrucks; Urt. v. 02.11.2017 a.a.O., Rn. 49). Solche Vereinbarungen können daher allenfalls Sekundäransprüche begründen.

34

Nach Auffassung des Gerichts folgt der Vertrauenstatbestand der Verwirkung aber aus den Vereinbarungen in § 10 des Grundstückskaufvertrages. Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vereinbarungen bestehen nicht. Insbesondere liegt darin kein unzulässiger Beitragsverzicht. Nach § 10 Nr. 1 hat die Stadt A-Stadt (nur) die Erschließungsbeiträge bzw. Anschlussbeiträge zu tragen, die bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses entstanden waren. Dies schließt zwar auch solche Beiträge ein, die der Kläger zu 2. als Erbbauberechtigter zu tragen gehabt hätte (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 3 KAG M-V). Beitragsansprüche, die von der Klausel in § 10 Nr. 1 des Kaufvertrages erfasst werden konnten, existierten aber nicht. Auch die gesetzlich normierte Beitragserhebungspflicht als gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB bestand zum Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrages nicht mehr, denn die zwingende Regelung in § 8 Abs. 1 Satz 1 KAG 1993 war im Zuge der KAG-Novelle 2005 durch die geschmeidigere Soll-Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V abgelöst worden. Eine durch den Erlass einer wirksamen Beitragssatzung ausgelöste Beitragserhebungspflicht (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 16.11.2017 – 3 A 2324/16 –) bestand ebenfalls nicht, da die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Geltung beanspruchenden Satzungen unwirksam sind (s.o.). Beiträge, die nach dem Vertragsschluss entstehen, haben nach dem Vertrag die Kläger zu tragen – und zwar im Unterschied zu § 17 Abs. 3 des Erbbaurechtsvertrages auch dann, wenn die mit dem Beitrag abgerechneten Investitionen vor dem Vertragsschluss erfolgt sind. Eine Beitragserhebung gegenüber den Klägern ist demnach nicht vertraglich ausgeschlossen worden.

35

Das der Beitragserhebung dennoch entgegenstehende Vertrauen wird durch die Klausel in § 10 Nr. 3 des Vertrages begründet. Darin erklärt der Veräußerer (die Stadt A-Stadt), dass keine Baumaßnahmen mehr abzurechnen sind. Hierbei handelt es sich nicht um einen unzulässigen vertraglichen Verzicht im Sinne einer Willenserklärung, sondern lediglich um eine unzutreffende Wissenserklärung. Anders als eine vertragliche Vereinbarung ist sie nicht an den §§ 54 ff. VwVfG M-V zu messen; sie kann damit zwar falsch, aber nicht unwirksam sein. Strenggenommen ist sie noch nicht einmal Vertragsbestandteil, sondern lediglich eine im Vertrag protokollierte Erklärung zu einem tatsächlichen Umstand. Vor dem Hintergrund der Vereinbarungen in § 10 Nr. 1 des Grundstückskaufvertrages begründet die Klausel ein schutzwürdiges Vertrauen, nicht zu den Kosten von Maßnahmen herangezogen zu werden, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses begonnen, aber nicht abgerechnet waren.

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Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingewandt hat, dass die Vertrauensgrundlage der Verwirkung zwar seit dem Jahre 1996 bestanden haben mag, der Vertrauenstatbestand der Verwirkung aber erst im Jahre 2009 entstanden ist, dürfte dies zwar zutreffen; es hilft ihm aber nicht weiter. Denn die Vertrauensgrundlage und der Vertrauenstatbestand der Verwirkung müssen zwar kumulativ vorliegen, aber nicht simultan. Ausreichend ist vielmehr, dass – wie hier – auf der Vertrauensgrundlage ein Vertrauenstatbestand entstanden ist.

37

cc. Schließlich ist auch vom Vorliegen einer Vertrauensbetätigung auszugehen. Zwar fehlt hierzu jeglicher Vortrag der Kläger, dass und welche Vermögensdispositionen sie im Vertrauen auf die Nichterhebung von Anschlussbeiträgen getroffen haben. Allerdings ist beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen der Verwirkung in der Regel auch von einer Vertrauensbetätigung auszugehen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Auflage 2017, § 53 Rn. 48). Denn an die Darlegungslast dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Abgesehen von der bei Grundstücksverkäufen erfolgenden Vereinbarung über die Tragung öffentlicher Grundstückslasten (vgl. 436 BGB) wird ein Bezug zwischen dem bestehenden Vertrauen in das Unterbleiben einer Abgabenerhebung und einer konkreten Vermögensdisposition regelmäßig nicht nachgewiesen werden können. Da vertrauensbegründete Vermögensdispositionen aber auch außerhalb von Vereinbarungen in Grundstückskaufverträgen getroffen werden, wäre eine Verengung der Vertrauensbetätigung auf diesen Sachbereich unangemessen. Daher ist die Vertrauensbetätigung nur dann darzulegen und ggfs. zu beweisen, wenn Zweifel an ihrem Vorliegen bestehen. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 709 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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