Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 823/17 HGW

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Anschlussbeiträgen (Schmutz- und Niederschlagswasser).

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes Nr. 10 gelegenen und gewerblich genutzten Grundstücks Flurstücke G1und G2, in einer Größe von 27.275 m². Sie hat das Eigentum an den Flächen, aus denen das Grundstück hervorgegangen ist, u.a. auf Grundlage zweier notarieller Grundstückkaufverträge von der Stadt A-Stadt erworben.

3

In § 6 Abs. 3 (Gewährleistung) des Vertrages vom 4. September 1992 heißt es:

4

Verkäufer sichert die Bebaubarkeit des Grund und Bodens mit einem Groß- und Einzelhandelsbetrieb mit einer Größe von 3.000 m² zu. Vertragsgegenstand wird als erschlossenes Bauland verkauft.

5

In § 3 Nr. 2 Abs. 3 (Gegenleistung/Kaufpreis) des Vertrages vom 12. November 1998 heißt es:

6

Der Kaufpreis setzt sich wie folgt zusammen:

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a) auf Grund und Boden entfallen DM 21.880,00
b) auf Erschließungskosten entfallen DM 51.418,00.

8

§ 9 (Erschließungskosten und andere öffentliche Lasten) des Vertrages vom 12. November 1998 heißt es weiter:

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Alle bis zum Übergabetag durchgeführten Erschließungsmaßnahmen sind, auch wenn sie noch nicht abgerechnet sein sollten, mit dem in § 3 vereinbarten Kaufpreis abgegolten.

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Das Grundstück ist an die von der Stadt A-Stadt betriebene zentrale Schmutz- und Niederschlagswasserbeseitigungsanlage angeschlossen. Die Anschlussherstellung und Inbetriebnahme erfolgte mit der Fertigstellung des Baumarktes.

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Mit Bescheid vom 16. März 2015 zog der Beklagte die Klägerin zu einem Anschlussbeitrag (Schmutz- und Niederschlagswasser) i.H.v. 116.737,00 EUR bzw. 112.754,85 EUR (zusammen: 229.491,85 EUR) heran. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2017 zurück.

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Am 8. April 2017 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Sie ist der Auffassung, ihre Heranziehung sei rechtswidrig. Die von der Stadt A-Stadt mit der Klägerin geschlossenen Grundstückskaufverträge stünden ihrer Heranziehung entgegen. In dem Vertrag vom 12. November 1998 sei ausdrücklich formuliert worden, dass der Kaufpreis auch Erschließungskosten umfasse. Eine solche Formulierung fehle zwar in dem Vertrag vom 4. September 1992. Allerdings folge dies aus dem Umstand, dass „erschlossenes Bauland“ verkauft worden sei und dies zu einem Kaufpreis, der noch im Jahre 1998 für erschlossene Gewerbegrundstücke im Bereich des Mastweges erzielbar gewesen sei.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beitragsbescheid des Beklagten vom 16. März 2015 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 16. März 2017 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

17

Er ist der Auffassung, der Bescheid sei nicht zu beanstanden. Die Festsetzung des Niederschlagswasserbeitrags sei lediglich zu niedrig, da der Beklagte der Beitragsberechnung statt der im Bebauungsplan ausgewiesenen Grundflächenzahl (GRZ) 0,8 lediglich die GRZ 0,6 zugrunde gelegt habe. Daher belaufe sich der Niederschlagswasserbeitrag eigentlich auf 150.339,80 EUR. Die vertraglichen Vereinbarungen stünden der Heranziehung der Klägerin ebenfalls nicht entgegen. Bei der Vereinbarung in dem Grundstückskaufvertrag vom 4. September 1992 handele es sich um eine bloße Beschaffenheitsvereinbarung. Die Ablösungsvereinbarung in dem Vertrag vom 12. November 1998 sei nichtig.

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Mit Beschluss vom 30. August 2017 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

21

Er findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung in der Stadt A-Stadt (Abwasserbeitragssatzung – ABS) vom 24. Oktober 2013 i.d.F. der 1. Änderung vom 26. März 2015.

22

1. Zweifel an der Wirksamkeit der Satzung bestehen nicht (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 02.11.2017 – 3 A 1058/15 –, juris Rn. 21 ff.). Da die Klägerin insoweit keine Einwände geltend macht, kann von weiteren Darlegungen abgesehen werden.

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2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten weist jedenfalls keinen Fehler zum Nachteil der Klägerin auf.

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a. So ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist nicht bereits mit dem Anschluss des Grundstücks an die zentrale Abwasserbehandlungsanlage, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit dem Inkrafttreten der Abwasserbeitragssatzung vom 24. Oktober 2013 entstanden. Die am 14. September 2017 erfolgte Fehlerheilung nach § 2 Abs. 3 KAG M-V (VG Greifswald, Urt. v. 02.11.2017 a.a.O.) wirkt zurück auf den Erlasszeitpunkt der Satzung (Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 12/2016, § 2 Anm. 8.3.3.2). Die Heranziehung der Klägerin im Jahre 2015 erfolgte damit innerhalb der Festsetzungsfrist.

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Diese Satzung ist die erste wirksame Satzung i.S.d. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Die Abwasserbeitragssatzung der Stadt A-Stadt vom 26. August 2010 ist unwirksam. Die darin normierte Tiefenbegrenzung beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet (VG Greifswald, Urt. v. 29.11.2012 – 3 A 678/11 –, S. 5 des Entscheidungsumdrucks). Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Mecklenburg-Vorpommern in dem Urteil vom 14. Dezember 2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an. Die vor der Abwasserbeitragssatzung vom 26. August 2010 Geltung beanspruchenden Satzungen wiesen zudem eine unzulässige Privilegierung sog. altangeschlossener Grundstücke auf. Nach § 2 Abs. 3 der Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt A-Stadt (Kanalbaubeitragssatzung – KBS 1996) vom 26. März 1996 zahlen Grundstücke, die bereits vor (dem) Inkrafttreten des KAG Mecklenburg-Vorpommern voll an die öffentliche Einrichtung Abwasserbeseitigung angeschlossen waren, zur Abdeckung des Vorteils der verbesserten Reinigung durch die Kläranlage, wenn das Grundstück an die neue Kläranlage angeschlossen ist, den Beitragssatz aus § 4 Abs. 10 c. Diese Vorschrift sieht einen gegenüber dem allgemeinen Schmutzwasserbeitrag abgesenkten „Klärwerksbeitrag“ vor. Die Privilegierung altangeschlossener Grundstücke ist unzulässig. Sie ist vorteilswidrig und verletzt den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) (allg. Ansicht: vgl. Aussprung a.a.O., § 9 Anm. 2.5.2.2 m.w.N.).

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b. Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris).

27

c. Die in § 6 Abs. 3 des Vertrages vom 4. September 1992 und § 9 des Vertrages vom 12. November 1998 enthaltenen Vereinbarungen, an deren Prüfung das Verwaltungsgericht nicht wegen fehlender Rechtswegzuständigkeit gehindert ist (zuletzt: VG Greifswald, Urt. v. 02.11.2017 – 3 A 1058/15 –, juris Rn. 35 ff.), stehen der Heranziehung der Klägerin ebenfalls nicht entgegen.

28

aa. So handelt es sich bei der Wendung in § 6 Abs. 3 des Vertrages vom 4. September 1992, wonach der Vertragsgegenstand „erschlossen“ verkauft wird, nicht um eine Freistellung von der Erhebung von Anschlussbeiträgen. Auf die Frage der Wirksamkeit eines Beitragsvorausverzichts kommt es damit entscheidungserheblich nicht an. Für die rechtliche Einordnung der nach ihrem Wortlaut nicht eindeutigen Vereinbarung sind die Umstände des Einzelfalles maßgeblich, wobei insbesondere die Interessenlage der Vertragsparteien bei Vertragsschluss in den Blick zu nehmen ist.

29

Danach ist die Klausel als Beschaffenheitsvereinbarung i.S.d. zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden § 459 Abs. 1 BGB a.F. anzusehen. Hierfür sprechen zunächst systematische Erwägungen. Die Vereinbarung ist in den § 6 „Gewährleistung“ aufgenommen worden. Dies spricht dafür, dass sie sich auf die Begründung von Nachbesserungs- bzw. Sekundäransprüchen bezieht. Vornehmlich aber die Interessenlage spricht für die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung. Nach § 459 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. haftet der Verkäufer einer Sache dem Käufer dafür, dass sie zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, nicht mit Fehlern behaftet ist, die den Wert oder die Tauglichkeit zu dem gewöhnlichen oder dem nach dem Vertrag vorausgesetzten Gebrauch aufheben oder mindern. Die Kaufsache ist fehlerhaft, wenn ihre physische Beschaffenheit von der vertraglich Vereinbarten abweicht. Von der Beschaffenheitsvereinbarung können auch Beziehungen der Kaufsache zur Umwelt, wie z.B. die abwasserseitige Erschließung eines Baugrundstücks erfasst sein (OLG Hamm, Urt. v. 18.03.2002 – 22 U 86/00 –, juris Rn. 10). Weichen die Umweltbeziehungen von der vertraglichen Vereinbarung ab, liegt ein zum Mangel führender Fehler vor (OLG Naumburg, Urt. v. 08.11.2005 – 3 U 41/05 –, juris Rn. 7). Die Klägerin hatte ein Interesse am Abschluss einer Beschaffenheitsvereinbarung, denn sie hatte die Absicht und war nach § 8 Abs. 1 des Kaufvertrages sogar verpflichtet, auf dem Kaufgrundstück einen Baumarkt oder einen anderen Gewerbebetrieb zu errichten. Diese Nutzung erfordert u.a. eine leitungsmäßige Erschließung des Grundstücks, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses aber noch fehlte. Die notwendigen Grundstücksanschlüsse wurden erst im Zuge der Verwirklichung des Bauvorhabens hergestellt. Mit der Aufnahme der Beschaffenheitsvereinbarung in den Vertrag hätten der Käuferin Gewährleistungsansprüche gegen die Stadt A-Stadt zugestanden, wenn das Kaufgrundstück mangels ausreichender Erschließung nicht gewerblich nutzbar gewesen wäre. Letztlich hätte sie sich vom Vertrag lösen können.

30

Aus der Höhe des Kaufpreises folgt nichts anderes. Es dürfte zwar zutreffen, dass der Kaufpreis über den zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehenden Bodenrichtwerten lag. Noch zum Stichtag 31. Dezember 1998 weist die Bodenrichtwertkarte im Bereich des Mastweges für erschlossenes Bauland, also Flächen, für die Erschließungsbeiträge für Anlagen i.S.d. § 127 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB) nicht mehr zu entrichten sind, einen Richtwert von 55,00 DM/m² auf. Dieser Wert entspricht dem vereinbarten Kaufpreis von 55,00 DM/m². Es ist jedoch zweifelhaft, ob dieser Wert Beiträge für – wie hier – leitungsgebundene Erschließungsanlagen (vgl. § 127 Abs. 4 BauGB) umfasst. Maßgeblich ist aber, dass in dem Vertragswerk – abgesehen von der bereits angesprochenen Wendung „erschlossen“ – an keiner Stelle auch nur anklingt, dass in dem Kaufpreis die Kosten der leitungsgebundenen Erschließung oder auch allgemeiner die Kosten der Erschließung enthalten sind. Insoweit unterscheidet sich der Vertrag von dem Vertrag vom 12. November 1998 (dazu sogleich).

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Gerade weil den geschäftserfahrenen Vertragsparteien das Problem der Erschließungskosten geläufig gewesen sein musste, sind an die Annahme eines vertraglich vereinbarten Beitragsverzichts strenge Anforderungen zu stellen sind. Dies gilt in besonderem Maße für notariell beurkundete Verträge. Wäre ein Beitragsverzicht gewollt gewesen, hätte dies klar formuliert werden können und müssen. Den Notaren sind die entsprechenden Klauseln geläufig. Hieran fehlt es jedoch ebenfalls. Dass mit der Wendung „erschlossen“ kein Beitragsverzicht gemeint ist, wurde bereits dargelegt. Andere Klauseln, die die Annahme eines solchen Verzichts nahe legen könnten, enthält der Vertrag nicht.

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bb. Die Vereinbarung in § 9 des Vertrages vom 12. November 1998, wonach alle bis zum Übergabetag durchgeführten Erschließungsmaßnahmen, auch wenn sie noch nicht abgerechnet sein sollten, mit dem Kaufpreis abgegolten sind, erfasst Anschlussbeiträge nicht (1). Ungeachtet dessen ist sie unwirksam (2).

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(1) Die Vereinbarung in § 9 bezieht sich nur auf wegemäßige Erschließungsanlagen. Hierfür spricht die Formulierung „bis zum Übergabetag durchgeführte Erschließungsmaßnahmen“. Mit der Wendung „durchgeführte Erschließungsmaßnahmen“ sind abgeschlossene Maßnahmen gemeint. Abgeschlossen ist eine Maßnahme, wenn die in einem Bauprogramm vorgesehenen Arbeiten durchgeführt sind. Dies hat Bedeutung im Straßenbau- und Erschließungsbeitragsrecht. In beiden Rechtsgebieten kommt es für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht – und damit für die Abrechenbarkeit – auf die Fertigstellung der Anlage und damit auf die Durchführung der Maßnahme an. Daher sind Situationen denkbar, in denen eine Baumaßnahme durchgeführt und damit abgeschlossen ist, ohne dass bereits Beiträge für die Maßnahme erhoben worden sind. Dieser Fall soll mit der Vereinbarung in § 9 des Vertrages geregelt werden. Anders ist die Rechtslage aber im Anschlussbeitragsrecht. Hier werden keine Einzelanlagen abgerechnet, vielmehr gilt das Gesamtanlagenprinzip (vgl. § 2 Abs. 2 KAG M-V). Bei dessen Geltung lässt bereits die Möglichkeit der Inanspruchnahme der noch unfertigen (Gesamt-)Anlage unter den Voraussetzungen des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V die sachliche Beitragspflicht entstehen. Auf die Durchführung bestimmter Maßnahmen oder die Fertigstellung der Gesamtanlage, die nach dem Abwasserbeseitigungskonzept der Stadt A-Stadt nicht vor dem Jahre 2028 erfolgen soll, kommt es für die Beitragserhebung nicht an.

34

Bestätigt wird diese Auslegung dadurch, dass die Vereinbarung zwischen vor und nach dem Übergabetag durchgeführte Erschließungsmaßnahmen unterscheidet. Da das Anschlussbeitragsrecht keine Beitragsabrechnung zu einem vereinbarten Stichtag kennt, erlaubt auch dies die Annahme, dass sich die Klausel nicht auf Anschlussbeiträge bezieht.

35

(2) Sollte mit der Vereinbarung in § 9 des Grundstückskaufvertrages eine Ablösung von Anschlussbeiträgen vereinbart worden sein, so wäre sie zudem unwirksam. Zwar kann ein Beitragsanspruch vor seiner Entstehung durch Vertrag abgelöst werden. Auch kann die Ablösung des Beitrags in einem Grundstückskaufvertrag erfolgen. Weiter liegt keine unzulässige „verdeckte“ Ablösung (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 23.02.2004 – 1 M 10/04 –, juris Rn. 12; Beschl. v. 29.11.2017 – 1 M 499/17 –, S. 7 des Entscheidungsumdrucks; v. Glasenapp, NordÖR 2017, 421 <422> m.w.N.), denn der Ablösebetrag ist in § 3 Abs. 3 Buchst. b des Vertrages vom 12. November 1998 ausgewiesen.

36

Die Vereinbarung ist dennoch unwirksam, weil sie den Maßgaben des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden § 8 Abs. 9 KAG 1993 nicht genügt. Nach dieser Vorschrift können die Beitragsberechtigten Bestimmungen über die Ablösung des Beitrages im Ganzen vor Entstehen der Beitragspflicht treffen. Zwar ist sie im Einklang mit § 8 Abs. 9 letzter Halbsatz KAG 1993 vor dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht geschlossen worden (s.o. Abschn. 2. a.). Auch war es ausweislich § 9 des Vertrages das Ziel der Vertragsparteien, mit der Zahlung des vereinbarten Betrages eine spätere Beitragserhebung auszuschließen. Gleichwohl kann in der Vereinbarung keine wirksame Ablösung erblickt werden. Denn die Kommunen und Zweckverbände konnten (und können) von der Ermächtigung in § 8 Abs. 9 KAG 1993 bzw. § 7 Abs. 5 KAG M-V nur Gebrauch machen, wenn sie zuvor die über die Ablösung zu treffenden „Bestimmungen“ erlassen haben. Demgemäß ist eine Ablösungsvereinbarung nichtig, wenn sie abgeschlossen worden ist, bevor ausreichende Ablösungsbestimmungen getroffen worden sind (allg. Ansicht: vgl. Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 07/2013, § 7 Anm. 16.1 m.w.N.).

37

Diese Voraussetzung fehlt hier. Denn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses existierten keine Ablösebestimmungen. Dies aus zwei Gründen: Zum einen sah die damals Geltung beanspruchende Satzung über die Erhebung von Beiträgen für die Abwasserbeseitigung der Stadt A-Stadt (Kanalbaubeitragssatzung – KBS) vom 26. März 1996 eine Ablösung von Anschlussbeiträgen nicht vor (vgl. bereits: VG Greifswald, Beschl. v. 27.01.2015 – 3 B 879/15 –, S. 10 des Entscheidungsumdrucks). Demgemäß ist eine Ablösungsvereinbarung nichtig, wenn sie abgeschlossen worden ist, bevor ausreichende Ablösungsbestimmungen getroffen worden sind (allg. Ansicht: vgl. Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 07/2013, § 7 Anm. 16.1 m.w.N.). Zum anderen ist die Satzung unwirksam (s.o. Abschn. 2 a.). Auf Grundlage der damals Geltung beanspruchenden, aber unwirksamen Abgabensätze konnte ein ordnungsgemäßer und damit nur dann im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 Landesverwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG M-V) angemessener Ablösebetrag nicht ermittelt werden.

38

Die im Widerspruchsverfahren vertretene Auffassung der Klägerin, wonach die Wirksamkeit der Vereinbarung nicht anhand abgabenrechtlicher Kriterien zu prüfen sei, weil Rechtmäßigkeitsmaßstab ausschließlich die Bestimmung des § 54 Abs. 2 Bauplanungs- und Zulassungsverordnung der DDR (BauZVO) seien, trifft nicht zu. Richtig ist zwar, dass nach § 246a Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 Baugesetzbuch i.d.F. des Einigungsvertrages (BauGB 1990) anstelle von § 124 BauGB damaliger Fassung § 54 BauZVO anzuwenden war, der in seinem Absatz 2 die vertragliche Übernahme der Kosten städtebaulicher Maßnahmen durch den Bauwilligen regelte. Richtig ist auch, dass § 54 Abs. 2 BauZVO die Ermächtigung zu entnehmen ist, vom Abgabenrecht abweichende vertragliche Regelungen über die Kosten von Erschließungsmaßnahmen zu treffen (BVerwG, Urt. v. 30.05.2012 – 9 C 5.11 –, juris Rn. 38 ff.) und dass dies auch für nach Landesrecht beitragsfähige Erschließungsanlagen gilt (BVerwG a.a.O., Rn. 48). Allerdings verkennt sie, dass die Vorschrift des § 54 Abs. 2 BauZVO zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages vom 12. November 1998 keine Geltung mehr hatte, denn § 246a Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 BauGB 1990 ist durch Art. 1 Nr. 27 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. April 1993 ersatzlos aufgehoben worden (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 29.11.2017- 1 M 499/17 –, S. 5 des Entscheidungsumdrucks).

39

d. Auf einen durch die Ablösevereinbarung begründeten Vertrauensschutz kann sich die Klägerin ebenfalls nicht berufen. Denn es steht – wie bereits dargelegt – nicht fest, dass sich die Ablösungsvereinbarung auf den vorliegend streitgegenständlichen Anschlussbeitrag bezieht. Zudem begründen rechtswidrige Vereinbarungen, bei denen die Behörde außerhalb ihres gesetzlich definierten Entscheidungsspielraums handelt, nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer keinen der Abgabenerhebung entgegen stehenden Vertrauensschutz. Denn die Annahme einer Schutzwürdigkeit würde dazu führen, dass sich der Beklagte entgegen § 59 Abs. 1 VwVfG M-V i.V.m. § 134 BGB bzw. entgegen § 56 Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V an einer unwirksamen Vertragsbestimmung festhalten lassen müsste – ein Ergebnis, das mit der strengen Gesetzesbindung der Verwaltung nicht zu vereinbaren wäre (VG Greifswald, Urt. v. 24.08.2017 – 3 A 847/14 –, n.v., S. 9 des Entscheidungsumdrucks; Urt. v. 02.11.2017, a.a.O., Rn. 49). Solche Vereinbarungen können daher allenfalls Sekundäransprüche begründen.

40

e. Schließlich scheidet auch eine Anrechnung des mit dem Kaufpreis gezahlten Ablösungsbetrages von umgerechnet 26.289,61 EUR auf die Höhe des Leistungsgebotes aus. Denn es steht – wie ebenfalls dargelegt – nicht fest, dass mit den in der Ablösungsvereinbarung genannten Erschließungskosten die Kosten der leitungsgebundenen Erschließung gemeint sind. Ungeachtet dessen hätte der Anschlussbeitrag auch bei Berücksichtigung des gezahlten Ablösungsbetrages so wie erfolgt festgesetzt werden können. Denn die Festsetzung des Niederschlagswasserbeitrags ist zu niedrig. Nach § 4 Abs. 6 Buchst. a ABS wird die Grundstücksfläche nach Absatz 2 bei Grundstücken im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes mit der dort festgesetzten Grundflächenzahl multipliziert. Der Bebauungsplan weist für das Grundstück der Klägerin eine Grundflächenzahl von 0,8 aus. Unter Berücksichtigung dieser Grundflächenzahl errechnet sich für das Grundstück ein Niederschlagswasserbeitrag von 150.339,80 EUR. Dieser Betrag übersteigt den festgesetzten Beitrag von 112.754,85 EUR deutlich. Der Differenzbetrag ist größer als der gezahlte Ablösungsbetrag.

41

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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