Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (3. Kammer) - 3 A 1857/18 HGW

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten wegen der Heranziehung zu einem Anschlussbeitrag Schmutzwasser.

2

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks G1 in einer Größe von 3.940 m². Sie hat das Eigentum an dem Grundstück, das spätestens im Jahre 2008 an die zentrale Schmutzwasserbehandlungsanlage des Beklagten angeschlossen worden ist, im Jahre 2010 von ihrer Mutter, Frau A., erworben.

3

Mit Bescheid vom 27. November 2008 hatte der Beklagte Frau A. zu einem Anschlussbeitrag für das Grundstück in Höhe von 20.685,00 EUR herangezogen. Den dagegen gerichteten Widerspruch der Frau A. wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2014 zurück. Eine Anfechtungsklage hat Frau A. nicht erhoben; der Bescheid ist bestandskräftig. Eine Zahlung der Beitragsforderung durch Frau A. erfolgte nicht.

4

Mit Bescheid vom 23. Februar 2015 hatte der Beklagte die Klägerin zu einem Anschlussbeitrag für das genannte Grundstück i.H.v. ebenfalls 20.685,00 EUR herangezogen. Auf die nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens erhobene Anfechtungsklage der Klägerin hob das Verwaltungsgericht Greifswald den Bescheid mit rechtskräftigem Urteil vom 24. April 2018 (– 3 A 554/15 HGW –) auf und führte zur Begründung aus, in der Beitragserhebung liege mit Blick auf die Heranziehung der Frau A. einer unzulässige Doppelerhebung.

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Mit dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid vom 12. September 2018 zog der Beklagte die Klägerin erneut zu einem Anschlussbeitrag für das Grundstücks i.H.v. 20.685,00 EUR heran. In der Begründung des Bescheides heißt es, dass gegen Frau A. aus dem ihr im Jahre 2008 ergangenen Bescheid keine Rechte hergeleitet werden. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. November 2018 zurück.

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Am 1. Dezember 2018 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben, diese aber nicht begründet.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beitragsbescheid des Beklagte vom 12. September 2018 – Kundennummer XXX – in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 28. November 2018 aufzuheben.

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Der Beklagte verteidigt den angegriffenen Bescheid und beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Mit Beschluss vom 30. Juli 2019 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge sowie die Gerichtsakten des Verfahrens 3 A 554/15 HGW vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

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Der Rechtsstreit kann ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu mit Schriftsätzen vom 8. Oktober 2019 ihr Einverständnis (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) erklärt haben.

II.

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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1. Der Bescheid findet seine gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Kommunalabgabengesetz (KAG M-V) erforderliche Rechtsgrundlage in der Satzung des Zweckverbandes Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Rügen über die Erhebung von Beiträgen für die zentrale Schmutzwasserbeseitigung (Schmutzwasserbeitragssatzung – SBS 2012) vom 21. Juni 2012.

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a) Auf die in dem Bescheid genannte Schmutzwasserbeitragssatzung vom 14. Juli 2017 kann der Beitragsbescheid nicht gestützt werden. Denn maßgeblich ist nicht die zum Zeitpunkt des Erlasses des Beitragsbescheides geltende Satzung, sondern die Satzung, unter deren Geltung die sachliche Beitragspflicht entstanden ist. Dies folgt aus dem Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung. Dem Beitrag wesensimmanent ist das Merkmal der Einmaligkeit. Ein einmal entstandener Beitrag kann für dieselbe Maßnahme nicht zu anderer Zeit und in anderer Höhe für dasselbe Grundstück noch einmal entstehen. Daraus folgt, dass eine bestimmte Beitragspflicht, ist sie erst einmal entstanden, nicht nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt oder gar in einer anderen Höhe noch einmal entstehen kann. Die einmal entstandene sachliche Beitragspflicht schützt den Beitragspflichtigen vor jedweder Veränderung des Beitrags für dieselbe beitragsfähige Maßnahme (hier: Herstellungsbeitrag). Anders wäre im Übrigen auch die Regelung über das Bestehen einer öffentlichen Last in § 7 Abs. 6 KAG M-V nicht zu erklären (VG Greifswald, Beschl. v. 09.07.2009 – 3 B 719/09 –, n.v.; vgl. auch Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 01/2017, § 9 Anm. 2.5.2.3). Bei der unzutreffenden Bezeichnung der Rechtsgrundlage in dem streitgegenständlichen Bescheid handelt es sich um einen gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 127 Abgabenordnung (AO) unschädlichen Begründungsfehler i.S.d. § 121 Abs. 1 AO.

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b) Zweifel an der Wirksamkeit der Schmutzwasserbeitragssatzung vom 21. Juni 2012 bestehen nicht (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 01.08.2017 – 1 L 214/14 –, – 1 L 224/14 –, n.v.; VG Greifswald, Urt. v. 31.05.2018 – 3 A 502/15 –, S. 5 ff. des Entscheidungsumdrucks, n.v. ).

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2. Die Rechtsanwendung durch den Beklagten begegnet ebenfalls keinen Bedenken.

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a) So ist die Klägerin persönlich beitragspflichtig. Hierzu bestimmt 7 Abs. 2 Satz 1 erste Var. KAG M-V, dass beitragspflichtig ist, wer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des Grundstücks ist. Die Vorschrift betrifft lediglich die persönliche Beitragspflicht, deren Entstehung das Bestehen der sachlichen Beitragspflicht voraussetzt (Aussprung in: ders./Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 05/08, § 7 Anm. 12.7). Auch dies ist vorliegend der Fall. Das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht richtet sich nach § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung (st. Rspr. bereits zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F.: vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 03.03.2005 – 1 L 56/04 – S. 4 ff. des Entscheidungsumdrucks). Da das Grundstück zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Schmutzwasserbeitragssatzung vom 21. Juni 2012 bereits angeschlossen war, ist mit dem Inkrafttreten dieser Satzung die sachliche Beitragspflicht und damit die persönliche Beitragspflicht der Klägerin entstanden.

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b) Weiter ist der Beitragsanspruch nicht infolge Festsetzungsverjährung gemäß § 47 Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 12 Abs. 1 KAG M-V erloschen. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V beträgt die Festsetzungsfrist für alle kommunalen Abgaben und damit auch für Anschlussbeiträge vier Jahre. Die Festsetzungsfrist beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Beitragspflicht ist nicht bereits mit dem spätestens im Jahre 2008 erfolgten Anschluss des Grundstücks an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit dem Inkrafttreten der Schmutzwasserbeseitigungssatzung vom 21. Juni 2012 entstanden.

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Die am 22. Juni 2012 bekannt gemachte Schmutzwasserbeseitigungsbeitragssatzung ist die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes. Zu einem früheren Zeitpunkt konnte die Beitragspflicht nicht entstehen und damit auch die Festsetzungsfrist nicht ablaufen, denn die vor dem 22. Juni 2012 Geltung beanspruchenden Satzungen des Zweckverbandes sind allesamt unwirksam. Die in der Schmutzwasserbeseitigungsbeitragssatzung vom 21. Juni 2010 normierte Tiefenbegrenzung von 50 m beruht nicht auf einer ordnungsgemäßen Ermittlung der ortsüblichen Bebauungstiefe im Verbandsgebiet. Sie ist damit unwirksam. Dieser Fehler, der erst „bekannt“ ist, seitdem das OVG Greifswald dem Urteil vom 14. Dezember 2010 (– 4 K 12/07 –) die Anforderungen an die Ermittlung der Tiefenbegrenzung definiert hat, haftet sämtlichen Vorgängersatzungen an, so dass von einer Einzeldarstellung – auch zusätzlicher Fehler – abgesehen werden kann.

22

c) Mit Blick auf die Definition einer von der Entstehung der Beitragspflicht unabhängigen Festsetzungshöchstfrist in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V hat sich die Möglichkeit der Beitragserhebung weder „verflüchtigt“, noch verstößt sie gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes (OVG Greifswald, Urt. v. 06.09.2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 68 ff.; rechtskräftig durch BVerwG, Beschl. v. 18.05.2017 – 9 B 71.16 –, juris).

23

d) Schließlich liegt auch keine unzulässige Doppelerhebung vor.

24

aa) Eine solche Annahme folgt zunächst nicht aus der materiellen Rechtskraft des Urteils vom 24. April 2018 (– 3 A 554/15 HGW –). Zwar hat das Gericht in dem Urteil entscheidungstragend ausgeführt, dass eine unzulässige Doppelerhebung vorliegt, so dass diese Annahme von der materiellen Rechtskraft des Urteils (§ 173 VwGO i.V.m. 322 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO) erfasst wird. Dennoch ist das Gericht an einer erneuten Prüfung dieser Frage nicht gehindert. Denn die Rechtskraftwirkung erstreckt sich nicht auf Tatsachen, die erst nach Schluss der (letzten) Tatsachenverhandlung entstanden sind. Zu diesen Tatsachen gehört die in dem streitgegenständlichen Bescheid erstmals abgegebene Erklärung des Beklagten, aus dem gegenüber Frau A. ergangenen Beitragsbescheid vom 27. November 2008 keine Rechte mehr herleiten zu wollen. Diese Erklärung stellt eine neue Tatsache dar, die eine erneute gerichtliche Überprüfung ermöglicht.

25

bb) Die gegenüber der Klägerin abgegebene Erklärung, aus dem Bescheid vom 27. November 2008 keine Rechte gegenüber Frau A. herzuleiten, schließt die Annahme einer unzulässigen Doppelerhebung aus.

26

Sie ist zwar nicht gegenüber der Adressatin des Altbescheides abgegeben worden. Auch ist die Klägerin nicht die Empfangsbevollmächtigte für an ihre Mutter gerichtete Erklärungen. Da die Abgabe der Erklärung gerade mit Blick auf das Urteil vom 24. April 2018 erfolgt ist, kann sich Frau A. als lediglich Begünstigte auf diese Erklärung berufen.

27

Die Unbeachtlichkeit der Erklärung folgt auch nicht aus Wertungen der Abgabenordnung.

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(1) So ist der Beklagte im Verhältnis zur Klägerin nicht auf den Erlass eines Duldungsbescheides verwiesen, was dem Erlass des streitgegenständlichen Beitragsbescheides entgegenstehen würde. Nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 191 Abs. 1 Satz 1, 2. Var. Abgabenordnung (AO) kann derjenige durch Duldungsbescheid in Anspruch genommen werden, der kraft Gesetzes verpflichtet ist, die Zwangsvollstreckung zu dulden. Nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 77 Abs. 2 Satz 1 AO hat der Eigentümer die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz zu dulden, wenn die Zwangsvollstreckung wegen einer Abgabenforderung erfolgt, die als öffentliche Last auf dem Grundstück ruht. Aus der Akzessorietät des Duldungsbescheides folgt, dass über die genannten Voraussetzungen hinaus eine Inanspruchnahme aus der öffentlichen Last nur zulässig ist, wenn über die sachliche Beitragspflicht hinaus eine persönliche Beitragspflicht entstanden und (noch) nicht wieder erloschen ist. Ein Duldungsbescheid, der unter Verstoß gegen den Grundsatz "keine dingliche Haftung ohne persönliche Schuld" ergangen ist, ist fehlerhaft (vgl. für den Erschließungsbeitrag: BVerwG, Urt. v. 22.02.1985 – 8 C 107.83 -, juris Rn. 23). Dieser Grundsatz steht dem Erlass eines an die Klägerin gerichteten Duldungsbescheids entgegen, den es fehlt trotz ihrer Heranziehung an der persönlichen Beitragspflicht der Voreigentümerin Maren A..

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Zwar ist diese mit dem Bescheid vom 27. November 2008 zu dem Anschlussbeitrag herangezogen worden, der auch gegenüber der Klägerin festgesetzt worden ist. Dies führte jedoch nicht zu Entstehen der persönlichen Beitragspflicht. Hierzu bestimmt 7 Abs. 2 Satz 1 erste Var. KAG M-V, dass beitragspflichtig ist, wer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheides Eigentümer des Grundstücks ist. Die Vorschrift betrifft lediglich die persönliche Beitragspflicht, deren Entstehung das Bestehen der sachlichen Beitragspflicht voraussetzt (Aussprung in: Aussprung/Siemers/Holz, KAG M-V, Stand 05/08, § 7 Anm. 12.7). Daher löst eine verfrühte Bekanntgabe an den Grundstückseigentümer dessen persönliche Beitragspflicht nicht aus. Dies trifft auf die Voreigentümerin der Klägerin zu.

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Das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht richtet sich nach § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung (st. Rspr. bereits zu § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG a.F.: vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 03.03.2005 – 1 L 56/04 – S. 4 ff. des Entscheidungsumdrucks). Hiernach konnte die sachliche Beitragspflicht zunächst nicht entstehen. Zwar war das Grundstück zum Zeitpunkt des Ergehens des Beitragsbescheides vom 27. November 2008 bereits an die Schmutzwasserbehandlungsanlage des Zweckverbandes angeschlossen. Jedoch verfügte der Zweckverband damals nicht über eine wirksame Beitragssatzung, denn die seinerzeit Geltung beanspruchende Schmutzwasserbeseitigungsbeitragssatzung vom 20.03.2008 i.d.F. der 1. Änderung ist unwirksam (VG Greifswald, Urt. v. 27.01.2010 – 3 A 194/09 –, juris).

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Die persönliche Beitragspflicht der Frau A. ist auch nicht auf Grundlage der Schmutzwasserbeitragssatzung – SBS) vom 21. Juni 2012 entstanden. Zwar handelt es sich hierbei um die erste wirksame Beitragssatzung des Zweckverbandes (VG Greifswald, Urt. v. 26.07.2012 – 3 A 1424/09 –, juris). Das OVG Greifswald geht ebenfalls von der Wirksamkeit der Satzung aus (Beschlüsse vom 01.08.2017 – 1 L 214/14 –, – 1 L 224/14 –, n.v.). Auch kann ein mangels wirksamer Rechtsgrundlage fehlerhafter Bescheid grundsätzlich durch das Nachschieben einer wirksamen Satzung geheilt werden. Denn eine bestimmte zeitliche Reihenfolge besteht für das Vorliegen der Merkmale des § 9 Abs. 3 KAG M-V nicht. Anders als im Straßenbaubeitragsrecht, aber ebenso wie im Erschließungsbeitragsrecht reicht es im Anschlussbeitragsrecht aus, wenn die (wirksame) Satzung der Vorteilslage nachfolgt. Entsteht die sachliche Beitragspflicht – wie hier – erst nach Bekanntgabe des Beitragsbescheides, so entsteht mit ihr auch die persönliche Beitragspflicht, weil die Bekanntgabe bis zur Aufhebung des Beitragsbescheides fortwirkt (Aussprung a.a.O.).

32

Diese Heilungsfolge tritt aber nur dann ein, wenn zu diesem Zeitpunkt alle sonstigen Voraussetzungen für das Entstehen der Beitragspflicht erfüllt sind und insbesondere der in Anspruch Genommene dann noch Eigentümer des Grundstücks oder dinglich Berechtigter ist (vgl. für den Erschließungsbeitrag: BVerwG, Urt. v. 27.09.1982 – 8 C 145.81 –, DVBl. 1983, 135 <136>; VGH Kassel, Urt. v. 27.11.1991 – 5 UE 80/89 –, GemHH 1993, 115 <116>; Driehaus/Raden, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 10. Auflage 2018, § 19 Rn. 30). Dann wird der Beitragsbescheid mit Wirkung "ex-nunc" geheilt (VGH Kassel a.a.O.). Dies trifft vorliegend jedoch nicht zu, denn die Voreigentümerin der Klägerin war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Schmutzwasserbeitragssatzung vom 21. Juni 2012 nicht mehr Eigentümerin des Grundstücks. Ihre persönliche Beitragspflicht konnte daher nicht entstehen.

33

(2) Die Erklärung, aus dem an Frau A. gerichteten Beitragsbescheid keine Rechte herleiten zu wollen, ist funktionsgleich mit der Rücknahme des Bescheides (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 27.05.2009 – 3 A 616/07 –, juris Rn. 32). Daher wäre die Erklärung unbeachtlich, wenn sie gegen die im kommunalabgabenrechtlichen Verfahren zu beachtenden Regelungen über die Rücknahme von Abgabenbescheiden (§ 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 130 AO) verstieße. Dies ist jedoch nicht der Fall.

34

(a) So ist die Regelung über die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (§ 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 130 AO) trotz der Bestandskraft des an Frau A. gerichteten Beitragsbescheides anwendbar. Zwar gilt im Regelungsbereich der Abgabenordnung ein erhöhter Schutz der Bestandskraft, den die Verwaltungsverfahrensgesetze so nicht kennen. Bestandkräfte Steuerbescheide und diesen gleichgestellte Verwaltungsakte können nur nach den Maßgaben der §§ 172 ff. AO aufgehoben oder geändert werden. In diesem Zusammenhang bestimmt § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d letzter Halbsatz AO, dass die (allgemeinen) Regelungen über die Rücknahme und den Widerruf bei bestandkräftigen Steuerbescheiden nicht gelten. Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass es an einer Rechtsgrundlage für die Rücknahme des an Frau A. gerichteten Beitragsbescheides fehlt. Denn es ist zu beachten, dass § 12 Abs. 1 KAG M-V lediglich eine entsprechende Anwendung der Vorschriften der Abgabenordnung anordnet, soweit nicht das Kommunalabgabengesetz oder andere Gesetze besondere Vorschriften enthalten. Demgemäß geht das OVG Greifswald davon aus, dass die auf das bundesrechtliche Steuerrecht zugeschnittenen Tatbestände des § 172 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht ohne Weiteres auf kommunale Entgeltabgaben zu übertragen sind und zieht eine Kompetenz der abgabenerhebenden Behörde in Erwägung, (bestandskräftige) Abgabenbescheide zu ändern, ebenso wie dies bundesrechtlich in § 172 Abs. 1 Nr. 1 AO für Verbrauchssteuern geregelt ist (OVG Greifswald, Beschl. v. 28.11.2005 – 1 M 140/05 –, juris Rn. 16). Dem folgt auch das erkennende Gericht.

35

(b) Die Voraussetzung für eine Rücknahme des Beitragsbescheides nach § 130 Abs. 1 AO – seine Rechtswidrigkeit – liegt ebenfalls vor, da sein Erlass die persönliche Beitragspflicht der Frau A. – wie dargelegt – nicht begründen konnte.

36

(c) Schließlich steht auch der Rechtsgedanke aus § 169 Abs. 1 Satz 1 AO, wonach eine Abgabenfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig ist, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist, der Beachtlichkeit der Erklärung nicht entgegen. Zwar gilt die Bestimmung kraft der Verweisung in § 12 Abs. 1 KAG M-V auch für Kommunalabgaben (vgl. VG Greifswald, Urt. v. 10.08.2011 – 3 A 141/08 –, juris 22). Allerdings ist konnte die Festsetzungsfrist gegenüber Frau A. nicht an- und damit auch nicht ablaufen. Die Festsetzungsfrist läuft im Verhältnis zum Beitragsschuldner, hier dem Grundeigentümer. Sie beginnt gemäß § 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Abgabe entstanden ist. Die Entstehung der Beitragspflicht und damit des abstrakten beitragsrechtlichen Schuldverhältnisses richtet sich nach § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V. Danach entsteht die sachliche Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung angeschlossen werden kann, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Vorliegend ist die Beitragspflicht ist nicht – wie bereits erwähnt – mit dem vor dem Jahre 2008 erfolgen Anschluss des Grundstücks an die zentrale Schmutzwasserbeseitigungsanlage, sondern gemäß § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V erst mit dem Inkrafttreten der Schmutzwasserbeseitigungssatzung vom 21. Juni 2012 entstanden. Zu diesem Zeitpunkt war Frau A. nicht mehr Eigentümerin des Grundstücks und konnte damit auch nicht Schuldnerin des Beitragsanspruchs sein. Ihr gegenüber lief damit nie eine Festsetzungsfrist.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

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