Urteil vom Verwaltungsgericht Greifswald (2. Kammer) - 2 A 253/20 HGW
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe der Kostenfestsetzung abwenden, falls der Beklagte nicht vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten um Wohngeld für die Klägerin.
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Der Klägerin wurde vom Beklagten Wohngeld für den Wohnraum „A-Stadt, A-Straße“, für die Klägerin und zwei Kinder als weitere Haushaltsmitglieder bewilligt, und zwar mit Bescheid vom 18.2.2016 für den Zeitraum vom 1.1.2016 bis 31.12.2016 Wohngeld in Höhe von monatlich 261,00 € und mit Bescheid vom 11.1.2017 für den Zeitraum vom 1.1.2017 bis 31.8.2017 Wohngeld in Höhe von monatlich 251,00 €. Der Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 23.8.2017 ein monatliches Wohngeld von 244,00 € vom 1.9.2017 bis 31.8.2018. Hiergegen legte die Klägerin unter dem 14.9.2017 Widerspruch ein. Mit Bescheid vom 21.9.2017 bewilligte der Beklagte der Klägerin unter Rücknahme des Bescheides vom 23.8.2017 mit Wirkung vom 1.9.2017 von Amts wegen für die Zeit vom 1.9.2017 bis zum 31.8.2018 ein Wohngeld in Höhe von monatlich 246,00 €. Auch gegen diesen Bescheid legte die Klägerin – am 9.10.2017 – Widerspruch ein, den der Landrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2017 als unbegründet zurückwies. Hiergegen erhob die Klägerin unter dem Aktenzeichen 2 A 104/18 HGW unter dem 10.1.2018 Klage, über die bislang nicht entschieden wurde.
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Mit Bescheid vom 15.8.2018 bewilligte der Beklagte der Klägerin Wohngeld in Höhe von monatlich 246,00 € für die Zeit vom 1.9.2018 bis 31.8.2019. Mit Anschreiben vom selben Tag bat der Beklagte die Klägerin um die Einreichung mehrerer Unterlagen bis zum 31.8.2019, nämlich Formblatt „Angaben zum Wohnraum“, Kopie Mietvertrag, mindestens drei aktuelle Zahlungsnachweise der Miete, Fragebögen zum gemeinsamen Sorgerecht, Nachweise über den Umfang der Betreuung für jedes Kind und Bescheid zur Feststellung der Schwerbehinderung. Zugleich wies er sie auf ihre Mitwirkungspflicht nach § § 60,61 und 65 SGB I hin sowie darauf hin, dass ihr Antrag nach § 66 Abs. 1 SGB I abgelehnt bzw. als zurückgezogen beachtet werden müsse, wenn sie ihre Mitwirkungspflicht, die für die Bewilligung von Wohngeld erforderlich sei, nicht hinreichend erfülle. Mit Schreiben vom 7.9.2018 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie die Anforderung weiterer Unterlagen nicht nachvollziehen könne und die wiederholten und unnötigen Anfragen als Schikane betrachte.
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Mit Schreiben vom 8.11.2018 forderte der Beklagte die Klägerin letztmalig auf, dort bezeichnete Unterlagen bis zum 30.11.2018 einzureichen. Zugleich wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die Verweigerung von Angaben und Nachweisen sowie die Nichtbeachtung der von der Wohngeldbehörde gesetzten Fristen zu einer Versagung des Wohngeldes wegen fehlender Mitwirkung führen könne.
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Mit Schreiben vom 26.11.2018 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass dieser bereits alle Unterlagen habe, die sie habe und es keine Änderungen gebe, die sie habe mitteilen können. Ihr Grad der Behinderung sei aufgrund der Höhe für das Wohngeld unerheblich, weshalb der Beklagte auch keinen Anspruch auf Einsicht in den Feststellungsbescheid habe. Mit Schreiben vom 5.2.2019 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er die Sachverhalte durch Ermittlung von Amts wegen aufklären werde, da sie ohne zwingende Gründe die Formblätter „Angaben zum Wohnraum“, den Mietvertrag und Fragebögen zum Sorgerecht nicht eingereicht habe. Am 8.2.2019 gingen beim Beklagte der Mietvertrag und Angaben zum Wohnraum durch den Vermieter ein.
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Mit Bescheid vom 20.3.2019 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Anspruch auf Wohngeld für den Wohnraum „A-Stadt, A-Straße“, mit Wirkung vom 1.4.2019 entfalle. Zur Begründung bezog er sich auf § 60 SGB i.V.m. § 29 Abs. 4 WoGG und darauf, dass die Klägerin die erforderlichen Nachweise ohne Angabe von Gründen nicht innerhalb der gesetzlichen Frist vorgelegt habe. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Wohngeld ab dem Zeitpunkt vom 1.4.2019 nicht mehr gegeben seien. Daher werde der Wohngeldbescheid vom 15.8.2018 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X aufgehoben.
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Hiergegen legte die Klägerin unter dem 24.3.2019 Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.4.2019 gab der Landrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte dem Widerspruch der Klägerin statt und hob er den angefochtenen Wohngeldbescheid vom 20.3.2019 auf. Zur Begründung wies er darauf hin, dass die im Wohngeldbescheid vom 20.3.2019 herangezogenen Rechtsnormen nicht geeignet seien, den Wohngeldbescheid vom 15.8.2018 aufzuheben.
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Unter dem 29.7.2019 beantragte die Klägerin erneut Wohngeld. Mit Schreiben vom 16.8.2019 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass der Antrag nicht vollständig bearbeitet werden könne, da noch Unterlagen fehlen würden und bat um Nachreichung mehrerer Unterlagen bis zum 31.8.2019. Unter dem 19.8.2019 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass die angeforderten Nachweise (Mietzahlungen Mietvertrag) übersandt würden, Änderungen des Mietvertrages nicht eingetreten seien und es über den Naturalunterhalt hinausgehend keine Zahlungen und entsprechend auch dazu keine Dokumente gebe, da bei einem jeweils hälftigen Wechselmodell keine Unterhaltsansprüche bestünden. Mit Schreiben vom 20.8.2019 entgegnete der Beklagte hierzu, dass der übersandte Mietvertrag unvollständig sei und bei einem sogenannten Wechselmodell das Nettoeinkommen des anderen Elternteils nachzuweisen und die Vereinbarung zur Betreuung des Kindes vorzulegen sei. Zugleich forderte der Beklagte die Klägerin zur Nachreichung bis zum 6.9.2019 auf.
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Mit Bescheid vom 12.9.2019 versagte der Beklagte die am 29.7.2019 für den Wohnraum „… in A-Stadt“ beantragte Wohngeldweiterleistung wegen fehlender Mitwirkung bis zur Nachholung der Mitwirkung vollständig. Zur Begründung verwies der Beklagte abermals auf die Vorschriften der §§ 60 bis 62 und 65 SGB I und darauf, dass der Antrag unvollständig sei, sodass eine Entscheidung über den Wohngeldanspruch nicht möglich sei. Unter Abwägung des Interesses der Klägerin, Wohngeldleistungen von Beginn an zu erhalten und dem öffentlichen Interesse, Wohngeldleistungen nur solchen Antragstellern von Beginn an zu gewähren, die die erforderlichen Nachweise innerhalb gesetzter Fristen vorlegen, sei dem öffentlichen Interesse ein höherer Wert beizumessen.
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Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 26.9.2019 Widerspruch ein. Unter dem 2.10.2019 forderte der Beklagte die Klägerin auf, bis zum 21.10.2019 die aktuelle Betriebskostenabrechnung für Ihre Wohnung einzureichen. Nachdem die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachkam, forderte der Beklagte die Betriebskostenabrechnung vom Vermieter an. Am 24.10.2019 übersandte der Vermieter die Betriebskostenabrechnung vom 30.5.2019 für das Jahr 2018, aus der sich ergibt, dass die Klägerin Vorauszahlungen in Höhe von 1.560,00 € für Heiz-und Betriebskosten geleistet hat, die tatsächlichen Ausgaben aber nur 832,21 € betragen haben, sodass der Klägerin ein Guthaben von 727,79 € überwiesen wurde. Im Anschluss bat der Beklagte den Vermieter um Übersendung der Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2016 und 2017. Der Vermieter kam dieser Bitte am 6.11.2018 nach. Daraus ergibt sich, dass der Klägerin für das Jahr 2016 auf die geleistete Vorauszahlung von 1.560,00 € eine Gutschrift von 849,32 € überwiesen wurde und für das Jahr 2017 auf ihre Vorauszahlung von 1.560,00 € ein Guthaben von 719,64 € überwiesen wurde. Der Beklagte wies darauf hin, dass die Heizungsverbrauchswerte geschätzt worden seien, da die Klägerin nicht vor Ort gewesen sei, während die Wasserzähler nicht geschätzt worden seien, da diese Funkmodule besäßen und der Mieter dafür nicht vor Ort sein müsse.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 15.11.2019 gab der Landrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte dem Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid des Beklagten vom 25.9.2019 statt und hob er den Bescheid vom 25.9.2019 auf. Zur Begründung gab er an, dass den Erfordernissen der §§ 60 bis 62 und 65 SGB I ausreichend Rechnung getragen worden sei. Im Widerspruchsbescheid wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie vom Beklagten einen neuen Bescheid erhalten werde.
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Mit Bescheid vom 27.11.2019 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin vom 29.7.2019 auf Leistungen von Wohngeld abermals ab. Zur Begründung führte er aus, die Berechnung des Wohngeldes richte sich nach § 4 WoGG u.a. nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder. Es habe sich herausgestellt, dass in den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2016 bis 2018 ein auffällig geringer Ablesewert in der Position des Wasserverbrauchs aufgeführt sei. Nach allgemeiner Lebenserfahrung könne davon ausgegangen werden, dass ein Einpersonenhaushalt bzw. ein Dreipersonenhaushalt bei Nutzung der Wohnung einen deutlich höheren Verbrauch haben müsse. Der geringe Verbrauch lasse darauf schließen, dass der Wohnraum von der Klägerin und ihren Kindern nur sehr selten oder gar nicht bewohnt werde. Nach Würdigung aller Umstände sei festzustellen, dass der Wohnraum „A-Straße, A-Stadt“, aktuell und prognostisch für den Regelbewilligungszeitraum von 12 Monaten nicht der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen von der Klägerin und ihren Kindern gewesen sei. Da es somit keine berücksichtigungsfähigen Haushaltsmitglieder im Sinne des § 5 WoGG gebe, sei der Wohngeldantrag abzulehnen.
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Unter dem 27.11.2019 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass aus den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2016 bis 2018 ersichtlich sei, dass ein sehr geringer Verbrauch vorhanden gewesen sei und nach der allgemeinen Lebenserfahrung ein Einpersonenhaushalt bzw. ein Dreipersonenhaushalt nicht mit einem solchen geringen Verbrauch leben könne. Es sei daher beabsichtigt, die Wohngeldbescheide für die Bewilligungszeiträume vom 1.1.2016 bis 31.12.2016, 1.1.2017 bis 31.8.2017, 1.9.2017 bis 31. 8. 2018 und 1.9.2018 bis 31. 8. 2019 nach § 45 SGB X zurückzunehmen und zu Unrecht gewährte Leistungen nach § 50 SGB X vollständig zurückzufordern.
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Unter dem 4.12.2019 legte die Klägerin gegen das Schreiben vom 27.11. 2019 Widerspruch ein. Nachdem sich die Klägerin zu dem ihr am 28.11.2019 zugegangenen Schreiben vom 27.11.2019 nicht innerhalb der ihr eingeräumten Frist von 10 Tagen geäußert hatte, nahm der Beklagte mit Bescheid vom 17.12.2019 die Wohngeldbewilligungsbescheide vom 18.2.2016, 11.1.2017, 21.9.2017 und 15.8.2018 für den Wohnraum „A-Straße, A-Stadt“ mit Wirkung vom 1.1.2016 vollständig zurück. Zugleich teilte er der Klägerin mit, dass ihr seit dem 1.1.2016 kein Wohngeld zustehe und das für den Zeitraum vom 1.1.2016 bis 31.8.2019 zu Unrecht geleistet Wohngeld in Höhe von insgesamt 11.044,00 € zurückgefordert werde. Zur Begründung führte er aus, die Berechnung des Wohngeldes richte sich nach § 4 WoGG u.a. nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder. Es habe sich herausgestellt, dass in den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2016 bis 2018 ein auffällig geringer Ablesewert in der Position des Wasserverbrauchs aufgeführt sei. Nach allgemeiner Lebenserfahrung könne davon ausgegangen werden, dass ein Einpersonenhaushalt bzw. ein Dreipersonenhaushalt bei Nutzung der Wohnung einen deutlich höheren Verbrauch haben müsste. Der geringe Verbrauch lasse darauf schließen, dass der Wohnraum von der Klägerin und ihren Kindern nur sehr selten oder gar nicht bewohnt werde. Für diese Annahme spreche auch, dass die Betriebskostenabrechnungen der Jahre 2016 bis 2018 jeweils ein hohes Guthaben auswiesen. Nach Würdigung aller Umstände sei festzustellen, dass der Wohnraum „A-Straße, A-Stadt“, im Bewilligungszeitraumes vom 1.1.2016 bis zum 31.8.2019 nicht der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen von der Klägerin und ihren Kindern gewesen sei. Da es somit keine berücksichtigungsfähigen Haushaltsmitglieder im Sinne des § 5 WoGG gegeben habe, hätte der Klägerin in diesem Bewilligungszeitraumes kein Wohngeld zugestanden. Die zurückgenommenen Bescheide würden auf Angaben beruhen, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht habe. Daher könne sie auf den Bestand der Bescheide nicht vertrauen. Eine Rücknahme der Wohngeldbescheide sei in diesem Fall auch mit Wirkung für die Vergangenheit zulässig. Dem öffentlichen Interesse an einer Beseitigung der Rechtswidrigkeit der Wohngeldbescheide sei der Vorzug zu geben. Die Überzahlung des Wohngeldes betrage für den Zeitraum vom 1.1.2016 bis 31.12.2016 insgesamt 3.132,00 € (12 Monate je 261,00 €), für den Zahlungsabschnitt vom 1.1.2017 bis 31.8.2017 insgesamt 2.008,00 € (8 Monate je 251,00 €), für den Zeitraum vom 1.9.2017 bis 31.8.2019 und 1.9.2018 bis 31.8.2019 jeweils 2.952,00 € (jeweils 12 Monate je 246,00 €).
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Hiergegen legte die Klägerin am 10.1.2020 Widerspruch ein. Hierzu führte sie aus, sie habe bereits mit ihrem vorausgegangenen Widerspruch vom 4.12.2012 dargelegt, dass es sich bei der Annahme, dass der Wasserverbrauch zu gering sei, um einen Irrtum handele, da es sich wegen fehlender Ablesung nur um geschätzte Verbrauchswerte handele und der Rückschluss somit nicht zulässig sei. Ein pflichtgemäßes Ermessen habe der Beklagte nicht ausgeübt. Eine Erstattung des geforderten Betrages sei schon aufgrund ihrer dem Beklagte bekannten schlechten finanziellen Situation völlig unmöglich.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 27.1.2020 wies der Landrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte den Widerspruch der Klägerin vom 4.12.2019 gegen den Bescheid des Beklagten vom 27.11.2019 zurück. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.2.2020 wies der Landrat des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte auch den Widerspruch der Klägerin gegen den Rückforderungsbescheid des Beklagten vom 17.12.2019 zurück. Zur Begründung wird ausgeführt, es müsse davon ausgegangen werden, dass der Wohnraum im Zeitraum vom 1.1.2016 bis zum 31.8.2019 von der Klägerin und ihren Kindern, wenn überhaupt, nur sehr selten bewohnt worden und nicht der Lebensmittelpunkt der Lebensbeziehungen gewesen sei. Ein Wohngeldanspruch im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2016 bis zum 31.8.2019 bestehe daher nicht. Die Wohngeldbescheide vom 18.2.2016, 11.1.2017, 21.9.2017 und 15.8.2018 würden somit auf Angaben beruhen, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hätte. Auf den Bestand der Bescheide könne sie daher nicht vertrauen und eine Rücknahme sei in diesem Fall auch mit Wirkung für die Vergangenheit zulässig. Entsprechend seien die Wohngeldbescheide gemäß § 45 SGB X vollständig zurückzunehmen gewesen. Gemäß § 50 Abs. 1 SGB X seien bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden sei. Das durch die Beklagte zu Unrecht geleistete Wohngeld in Höhe von 11.044 € für die Bewilligungszeiträume vom 1.1.2016 bis zum 31.8.2019 sei daher zurückzufordern.
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Am 4.3.2020 hat die Klägerin Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 17.12.2019 und den dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 18.2.2020 erhoben. Sie trägt vor, der Beklagte stütze die Versagung des Wohngeldes einzig auf einen von ihm konstruierten Anscheinsbeweis und ignoriere sämtliche ihrer Ausführungen im Widerspruchsverfahren.
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Die Klägerin beantragte zunächst sinngemäß,
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den Bescheid des Beklagten vom 17.12.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.2.2020 aufzuheben.
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Mit Beschluss vom 23.3.2020 wurde der Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen.
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Im Rechtsgespräch der mündlichen Verhandlung vom 22.9.2020, zu der die Klägerin trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war, wies das Gericht die Beklagtenvertreter darauf hin, dass für die Voraussetzungen, die den Beklagten zur Rücknahme der Bewilligungsbescheide berechtigen würden, nicht die Klägerin, sondern der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig sei. Solange er – wie im vorliegenden Fall – entgegen seiner Darlegungspflicht nicht nachgewiesen habe, dass in früheren Zeiträumen zu Unrecht Wohngeld gezahlt worden ist, weil die Voraussetzungen der Wohngeldgewährung nachweislich nicht vorgelegen hätten, sei er deshalb nicht berechtigt, das nach einer zuvor vorgenommenen Bejahung der Plausibilität der Angaben der Klägerin bereits bewilligte und geleistete Wohngeld zurückzufordern. Solange Zweifel bestünden, sei im Zweifel davon auszugehen, dass die Voraussetzungen der Gewährung von Wohngeld in den Bewilligungszeiträumen gegeben gewesen seien. Das Gericht wies den Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung weiter darauf hin, dass die angefochtenen Bescheide voraussichtlich durch das Gericht als rechtswidrig aufgehoben würden. Hierfür sei für das Gericht maßgeblich, dass nicht nachgewiesen sei, dass die Klägerin in den streitigen Zeiträumen ihren Lebensmittelpunkt mit ihren Kindern definitiv nicht in der streitgegenständlichen Wohnung gehabt hätte. Die dafür vorgetragene Begründung des Beklagten dürfte nicht ausreichend sein. Im Übrigen dürfte dies auf die Ermessensentscheidung durchschlagen, da nicht die Voraussetzungen nach § 45 Abs. 2 und Abs. 4 SGB X hätten geprüft werden könnten und durch den Beklagten auch nicht geprüft worden seien. Dieser habe zudem auch keine Erwägungen dazu angestellt, ob wegen der Privatinsolvenz der Klägerin von der Forderung abgesehen werden solle.
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Daraufhin erklären die Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung, dass der Beklagte seinen Bescheid vom 17.12.2019 aufhebt. Zugleich erklärten die Vertreter des Beklagten, dass sie sich einer eventuellen Erledigungserklärung der Klägerin anschließen und erklärten weiter die Kostenübernahme.
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Im Anschluss übersandte das Gericht der Klägerin das Protokoll der mündlichen Verhandlung und regte an, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären, da der Beklagte die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben und sich der Rechtsstreit erledigt habe.
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Die Klägerin erwiderte hierzu, dass sich der Rechtsstreit nicht erledigt habe. Der Beklagte habe ihr mit Datum vom 1.10.2020 eine neuerliche Anhörung zu dem selben Sachverhalt zugesandt. Hieraus ergebe sich die Möglichkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags. Das Rechtsschutzbedürfnis bzw. berechtigte Interesse an der Feststellung dürfte schon durch die neuerliche Anhörung in dieser Sache gegeben sein, mindestens jedoch, weil eine hohe Wiederholungsgefahr für den Erlass eines erneuten Bescheides auf gleicher Grundlage bestehe und nicht ausgeschlossen werden könne.
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Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 17.12.2019 und der Widerspruchsbescheid vom 18.2.2020 rechtswidrig waren.
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Der Beklagte stellt keinen Antrag und trägt zur Sache nicht vor.
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Am 20.4.2020 hatte die Klägerin außerdem um Eilrechtsschutz (2 B 436/20 HGW) zur Verpflichtung, ihr vorläufig Wohngeld zu gewähren, nachgesucht. Mit Beschluss vom 9.6.2020 hat die Kammer den Antrag abgelehnt. Eine Beschwerde der Klägerin blieb ohne Erfolg. Bereits am 27.2.2020 hatte die Klägerin zudem Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 27.11.2019 und den dazu ergangenen Widerspruchsbescheid vom 27.1.2020 erhoben (2 A 220/20 HGW). Mit nicht rechtskräftigem Urteil vom 8.9.2020 hat die Kammer die Klage im Verfahren 2 A 220/20 HGW abgewiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die bei den Akten befindlichen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig. Es fehlt für die von der Klägerin nach Änderung ihrer Klage erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage an dem dafür erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse. Das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO für die Zulässigkeit des Antrages notwendige Feststellungsinteresse entspricht dem Feststellungsinteresse bei § 43 Abs. 1 VwGO (Schenke/Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl., § 113 Rn. 129). Entscheidend ist, dass die gerichtliche Entscheidung geeignet sein muss, die Position des Klägers in einem der genannten Bereiche zu verbessern (Schenke/Schenke, a.a.O., Rn. 130). Das Feststellungsinteresse ist unabhängig von sonstigen Voraussetzungen zu verneinen, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Ausgangsbehörde den infrage stehenden Verwaltungsakt wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben hat, weil sie die Rechtswidrigkeit unmissverständlich anerkennt (Schenke/Schenke, a. A. O., Rn. 133). In diesem Fall kam der Beklagte lediglich der Aufhebung des für rechtswidrig erkannten Verwaltungsakts durch das Verwaltungsgericht zuvor, welches ansonsten die von der Klägerin begehrte Aufhebung des Verwaltungsakts vorgenommen hätte. Wenn die Behörde wegen der vom Verwaltungsgericht festgestellten und von ihr anerkannten Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts diesen aufhebt und damit dem durch Erhebung der Anfechtungsklage geltend gemachten Begehren des Klägers entspricht und den Kläger hierdurch klaglos stellt, besteht kein Bedürfnis mehr für eine gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Verwaltungsakts. Die Position des Klägers wird hierdurch nicht verbessert. Er hat genau das erlangt, was er mit der Klageerhebung erreichen wollte.
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Im vorliegenden Fall ergibt sich eine andere Einschätzung auch nicht dadurch, dass der Beklagte offenbar den erneuten Erlass eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides prüft und er hierzu eine neuerliche Anhörung durchgeführt hat. Der Grundsatz der Wiederholungsgefahr gebietet entgegen der Einschätzung der Klägerin keine Entscheidung über die Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Verwaltungsaktes. Zwar ist ein Feststellungsinteresse grundsätzlich bei Wiederholungsgefahr zu bejahen, sofern diese hinreichend konkret ist (Schenke/Schenke, a.a.O., Rn. 141). Hierfür muss aber die hinreichend bestimmte Gefahr bestehen, dass unter im wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Maßnahme zu erwarten ist. Wesentlich für die Beurteilung des Feststellungsinteresses ist, ob die angestrebte Klärung als Richtschnur für künftiges Verhalten von Bedeutung ist (Schenke/Schenke, a. a. O., Rn. 141).
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Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Der Beklagte hat im Verlauf der mündlichen Verhandlung eingestanden, dass, solange lediglich Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen der Gewährung von Wohngeld bestehen, davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen der Gewährung von Wohngeld in den Bewilligungszeiträumen gegeben gewesen sind, da von der darlegungspflichtigen Verwaltungsbehörde nicht nachgewiesen ist, dass die Klägerin in den streitigen Zeiträumen ihren Lebensmittelpunkt mit ihren Kindern definitiv nicht in der streitgegenständlichen Wohnung gehabt hatte und deshalb sowie wegen begangener Ermessensfehler der Rücknahme- und Rückforderungsbescheid rechtswidrig ist. Soweit der Beklagte eine erneute Prüfung vornehmen sollte, ob die Gewährung des Wohngeldes zu Unrecht erfolgt ist und eine Rücknahme und Rückforderung erfolgen kann, ist mangels anderer Anhaltspunkte im Hinblick auf die Aufhebung des vorangegangenen Bescheides davon auszugehen, dass er bei einer etwaigen künftigen Entscheidung nicht an seiner früheren Rechtsauffassung festhalten und er nicht erneut einen gleichartigen Bescheid erlassen wird. Vielmehr würde er aufgrund der Darlegungen des Gerichts im Rechtsgespräch die von ihm akzeptierte Rechtsauffassung des Gerichts auch künftigen Verwaltungsentscheidungen gegenüber der Klägerin zugrunde liegen. Damit ist ausgeschlossen, dass es eine konkrete Wiederholungsgefahr für den Erlass einer gleichartigen Verfügung gibt. Da sich die Entscheidung der Kammer mit keinen anderen Rechtsfragen als den vorstehend geschilderten beschäftigen würde, würde sich auch die Rechtsposition der Klägerin durch den Erlass des beantragten Fortsetzungsfeststellungsurteils im Hinblick auf einen möglichen erneuten Rücknahme- und Rückforderungsbescheid nicht verbessern.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1, § 188 VwGO, die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf § § 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung [ZPO].
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Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 VwGO).
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Referenzen
- VwGO § 124 1x
- § 50 SGB X 1x (nicht zugeordnet)
- WoGG § 5 Haushaltsmitglieder 2x
- VwGO § 188 1x
- 2 A 220/20 2x (nicht zugeordnet)
- § 60 SGB 1x (nicht zugeordnet)
- 2 A 104/18 1x (nicht zugeordnet)
- § 50 Abs. 1 SGB X 1x (nicht zugeordnet)
- § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 43 1x
- WoGG § 4 Berechnungsgrößen des Wohngeldes 2x
- § 45 SGB X 2x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- WoGG § 29 Haftung, Aufrechnung, Verrechnung und vorläufige Zahlungseinstellung 1x
- 2 B 436/20 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 60 bis 62 und 65 SGB I 6x (nicht zugeordnet)
- § 45 Abs. 2 und Abs. 4 SGB X 1x (nicht zugeordnet)
- § 66 Abs. 1 SGB I 1x (nicht zugeordnet)