Beschluss vom Verwaltungsgericht Halle (4. Kammer) - 4 B 193/17

Gründe

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Der sinngemäße Antrag des Antragstellers,

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die aufschiebende Wirkung seiner Klage (4 A 194/17 HAL) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 17. März 2017 (Ziffer 4. des Bescheids) festzustellen,

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hat Erfolg.

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Das Eilrechtsschutzgesuch des Antragstellers ist nach § 88 VwGO dahin auszulegen, dass er die Feststellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsandrohung begehrt. Eine derartige Auslegung des Antragsbegehrens ist in den Fällen sachgerecht und geboten, in denen der Klage bereits kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zukommt, die Behörde die aufschiebende Wirkung jedoch verkennt oder nicht beachtet. In solchen Konstellationen ist der gebotene Rechtsschutz in analoger Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO durch die Feststellung der aufschiebenden Wirkung zu gewähren.

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Dergestalt verhält es sich hier.

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Das Bundesamt geht nämlich rechtsirrig von der Bestandskraft des Bescheids vom 17. März 2017 aus und hat in Verkennung der Rechtslage der Ausländerbehörde des Landkreises Saalekreis mit Schreiben vom 12. April 2017 mitgeteilt, die Abschiebungsandrohung werde am 22. April 2017 vollziehbar.

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Die Klage des Antragstellers vom 07. April 2017 gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid des Bundesamts vom 17. März 2017 hat indes aufschiebende Wirkung. Nach § 75 Abs. 1 AsylG hat die Klage gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 sowie der §§ 73, 73b und 73c aufschiebende Wirkung. Hier liegt ein Fall des § 38 Abs. 1 AsylG vor. Diese Norm erfasst die sonstigen, nicht mit einer verkürzten Ausreisefrist oder ohne eine solche verbundenen Fälle der Ablehnung des Asylantrags, für die sie eine Ausreisefrist von 30 Tagen bestimmt. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers als unbegründet abgelehnt und ihn zur Ausreise binnen 30 Tagen aufgefordert. Seiner Klage kommt demnach aufschiebende Wirkung zu.

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Dem kann das Bundesamt nicht entgegenhalten, der Antragsteller habe die Frist zur Klageerhebung versäumt.

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Dahinstehen kann, ob die zweiwöchige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG bei Erhebung der Klage am 07. April 2017 abgelaufen war. Zwar wurde der Bescheid des Bundesamts vom 17. März 2017 dem Jugendamt A. am 23. März 2017 zugestellt, so dass ausgehend von diesem Zustellungszeitpunkt die Zweiwochenfrist mit Ablauf des 06. April 2017 abgelaufen wäre. Indes ist der am 01. Januar 1999 geborene Antragsteller am 01. Januar 2017 volljährig geworden mit der Folge, dass die Vormundschaft des Jugendamts gemäß § 1882 BGB endete und der Antragsteller für Verfahrenshandlungen im Rahmen des Asylverfahrens gemäß § 12 Abs. 1 und 2 Satz 1 AsylG selbst aktiv und passiv handlungsfähig wurde, so dass es auf die Zustellung des Bescheids an ihn ankommen könnte. Dies bedarf indes keiner Entscheidung.

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Die Klagefrist bestimmt sich vorliegend nämlich nicht nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG. Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist dagegen die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nach § 58 Abs. 2 VwGO innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig.

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Diese Jahresfrist ist hier ersichtlich gewahrt. Sie ist zudem einschlägig, weil die dem Bescheid des Bundesamts vom 17. März 2017 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig in Sinne dieser Vorschrift ist.

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Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist insbesondere dann unrichtig, wenn sie, selbst wenn sie – wie hier – die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben enthält, generell geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, Urteil vom 21. März 2002 – BVerwG 4 C 2.01 – Juris Rn. 12).

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Das ist hier der Fall.

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Gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die Klage beim Verwaltungsgericht auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden. Die in der dem angegriffenen Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung enthaltene Formulierung „Die Klage muss (…) in deutscher Sprache abgefasst sein“ ist geeignet, bei ihrem Empfänger den falschen Eindruck zu erwecken, dass eine Klage abweichend davon ausschließlich schriftlich beim zuständigen Verwaltungsgericht eingereicht werden kann.

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Dem verwendeten Verb „abfassen" kommt nämlich ganz überwiegend die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung zu. Es ist gleichbedeutend mit anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen, niederlegen (VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016 – 22 K 4119/15.A – Juris Rn. 54 f. unter Verweis auf den Duden, Das Synonymwörterbuch, 4. Aufl., zum Stichwort „abfassen", Ziffer 1; siehe auch: Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache, 9. Auflage 1978, S. 17, wonach dem zugehörigen Substantiv „Abfassung" die Bedeutung der Aufzeichnung eines Textes bzw. einer Niederschrift zukommt). Dass in verschiedenen gesetzlichen Vorschriften von „schriftlich abgefasst" (§ 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 41a Abs. 1 Satz 1 StPO, § 84 Satz 1 ArbGG) oder von „schriftlich abfassen" (§ 129 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 311 Abs. 2 Satz 3 ZPO) die Rede ist, nimmt der Formulierung in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht den irreführenden Charakter, zumal die vorgenannten gesetzlichen Regelungen lediglich sprachliche Doppelungen enthalten könnten.

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Es ist vor diesem Hintergrund nicht aus sich heraus verständlich, dass eine Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann. Der der Rechtsbehelfsbelehrung beigefügte Zusatz zur Abfassung der Klage in deutscher Sprache ist deshalb geeignet, fehlerhaft nahezulegen, dass die Klage ausschließlich schriftlich bei Gericht einzureichen ist, und den Rechtsschutzsuchenden dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt einzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1978 – BVerwG 6 C 77.78 – Juris Rn. 24 zu § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Dass das Bundesamt mit diesem Zusatz lediglich auf „deutsch" als Gerichtssprache hinzuweisen beabsichtigt und auch eine mündlich zur Niederschrift erhobene Klage vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts (in deutscher Sprache) abgefasst wird, ändert nichts daran, dass die gewählte Formulierung zur Erweckung des Eindrucks geeignet ist, der Rechtsschutzsuchende müsse die Klage schriftlich einreichen, da in der Rechtsbehelfsbelehrung ein Hinweis darauf fehlt, dass er die Klage selbst mündlich zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erheben kann, ohne sie selbst „abfassen" bzw. verschriftlichen zu müssen.

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Aus dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 05. Februar 1990 (BVerwG 9 B 506/89, Juris) lässt sich nicht Gegenteiliges gewinnen. Der Entscheidung ist schon nicht zu entnehmen, inwieweit ihr überhaupt ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, insbesondere ob in der dem angegriffenen Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung auf die Möglichkeit der Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle hingewiesen wurde oder nicht. Zudem befasst sich der Beschluss ausschließlich mit der Frage der Gewährung der Wiedereinsetzung in die Klagefrist.


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